Robert Hamerling
Der König von Sion
Robert Hamerling

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                    Doch nun wendete Lips van Straaten, der hinkende Schalksnarr,
Sich zu dem neuen Gebieter und fragt' ihn, wie er des Kanzlers
Amt zu besetzen gedenke, nachdem er König geworden?
»Willst du, erhabener König«, so rief er, »für solcherlei Würde
Den volkstümlichsten Mann und den frei'sten in Sion, so nimm mich!
Weiß doch Jeder in Münster, daß ich es gewesen, der immer
Hatte den allergeringsten Respect vor dem früheren König!
Wie zum vorigen König du, so pass' ich zum neuen!
Denn probat ist die Regel in sämmtlichen Reichen der Erde:
Herrscht als König ein Narr, so erkieset den Schuft er zum Kanzler,
Herrscht als König ein Schuft, so nimmt er zum Kanzler den Narren!
Zögere nicht, und mach' mich zum Kanzler, erhabener König!« –

Sprach's, da schmunzelte Krechting, und nickte mit trunkenem Haupt ihm
Gnädig zu; dann lallt' er: »Sei Kanzler in Sion, du Schalksnarr!«
Neben den König nun setzte sich stolz der erkorene Kanzler,
Und zu den Männern im Kreis, die mit glasigen, triefenden Augen
Zechend vor sich hin sah'n und die Wandlung der Dinge bestaunten,
Sprach er: »Ihr Bürger und Häupter von Sion, es ziemt euch fürwahr nicht,
Mich zu beneiden; denn kommt nur die Gnadenlavine des Königs
Einmal in's Rollen, da werdet ihr sehen! Erobern die Welt wir,
Vicekönige, denk' ich, und Erbstatthalter und And'res
Braucht er in Menge sodann: nicht überall kann er ja selbst sein.
Ei, da gilt's zu vertheilen die Länder. Da finden zuletzt sich
Pfründen für Alle. Nun seht, ihr Männer, ich bin in der Welt rings
Viel umher schon gekommen, ich hab' schier sämmtlicher Herren
Länder gesehn; wenn Einer vermag, sie geschickt zu vertheilen,
So bin ich's! Ihr seht, wie er nickt schon, der König; er billigt,
Was ich euch sag' als Kanzler. Da ist Churhessen, ein schönes
Land, und bequem zu regieren. Wer will's? ei, wackerer Xantus,
Nimm dich des Ländleins an, wenn auch nur mir zu Gefallen!
Gebhart, tapferer Held, in Lothringen, bitt' ich, und Elsaß
Nimm in die Hände die Zügel! Du, Schulze, du laß dir im Schwarzwald
Huldigen! Müller, im Thüringerlande, dem schönen, als Landgraf
Mach' dir's bequem! Kurt Mayer aus Ulm, als Schneider gewandert
Bist du im Ungarland, wie ich höre: wie wär's, wenn als Fürst du
Dahin kehrtest zurück? Für dich, Haus Pfeffer aus Nürnberg,
Ist Friesland wie gemacht; zieh' hin, und regiere mir's glorreich!
Jost van der Schanz, du setz' dich in Wälschland fest; Pomeranzen
Blüh'n dir und Feigen alldort! Land Böheim ist für den Tylan,
Welcher die Wache da drauß' vor dem Eingang hält so getreulich.
Portugal, ei, potz Blitz! da glüh'n goldfarbig die Weiber,
Und goldfarbig der Wein! Hör', wackerer Knipperdolling,
Wenn ich's einem vergönne, das Land, dir will ich es gönnen!
Wenn sie dich krönen, so denk' an mich, und laß bei dem Festmahl
Leben den ehrlichen Lips im goldenen Wein von Oporto!« –

»Wie?« fiel hier in die Rede dem ehrlichen Lips van Straaten
Xantus, der einstige Fleischer, der jetzo am Meisten bezecht war;
»Wenn im dortigen Land die erlesensten Weiber gedeihen,
Und die erlesensten Weine, so mag Churhessen ein And'rer
Nehmen; ich selber verlange nur König zu sein von Oporto!« –
»Narr!« entgegnete zornig der trunkene Knipperdolling;
»Was? Churhessen verschmähst du? für dich ist's lange zu gut noch!« –
Wild aufbraus'te der And're sofort. In sionischen Männern
Waren die Nerven gereizt zu krankhaft zitternder Spannung,
Rasch und mächtig erglomm in dem siechen Geblüte die Wallung.
Und so kehrte sich Xantus mit krampfhaft wüthigem Faustschlag
Über den Tisch nach dem Haupte des rasch ausweichenden Gegners.
Aber anstatt des bedroheten Haupt's baß traf er des Tisches
Kante: den Tisch nicht brach er, den eichenen, ehern gefügten,
Aber die schwammigen Knochen der Hand, daß er ächzend zurück sank.
Also befehdeten dort zwei trunkene Männer von Sion
Sich um die Länder der Erde mit grollender, wilder Erbitt'rung . . .

Nur mit Mühe beschwichtigt den drollig-unheimlichen Wettkampf
Lips van Straaten, der Narr. Und es eifert der trunkene Krechting:
»Lasset den Zank um die Länder: ich will für die heutige Nacht erst
Theilen die Weiber, die jetzt zwar spröde noch thun: doch gewöhnen
Müssen sie sich fortan, alltäglich zu wechseln die Gatten!« –

Und er beginnt sofort zu vertheilen die blühenden Weiber.
Diese gewährt er dem Kanzler, dem neuen, die and're dem Tilbeck,
Und so Anderen And're. »Und mir?« lallt trunkenen Muthes
Knipperdolling entgegen dem Freund. Da lachte der wüste
Krechting: »Dir geb' ich die Schönste, die Königin Divara selber!
Nimm sie hin und erfreu' dich an ihr!« – Erst fühlte geschmeichelt
Sich durch das schöne Geschenk der gewaltige Knipperdolling.
Und er erhob mit galantem Gegrinse sich taumelnd. Des alten
Grolls nun schien er vergessen zu wollen, der stets ihm die braune
Königin hatte verleidet. Er nahte sich ihr, doch die Stolze
Stieß hohnlachend den Trunk'nen zurück, daß taumelnd er hinfiel.
Fluchend nun lag er am Boden und stieß mit der Wuth des Berauschten
Häßliche Schmähungen aus, und schwur, er habe die Braune
Immer gehaßt, die werth, daß nach Hexengebrauche mit Kerzen
Man ihr bestecke den Leib, bei Satansfesten zu leuchten . . .
Gräulich verzerrt das Gesicht sich des tückischen Krechting, und heimlich
Bebend befiehlt vor die Thür' er zu werfen den schmähenden Saufbold.

Und dann wieder beginnt er umher zu vertheilen die Weiber.
Doch zu gering war die Zahl; und es stritten die wankenden Männer
Sich um die Weiber alsbald, wie zuvor um die Länder der Erde.

Aber gar seltsam lächelnd begann jetzt Divara: »Hört mich,
Männer von Sion! Ich war's, die zu Gaste hieher euch gebeten!
Mir obliegt es zu sorgen, daß kräftig gedeihe die Festlust.
Immer noch Solche gewahr' ich, die mürrisch dahier und verdrossen
Sitzen im fröhlichen Kreis. Ei, sind der sionischen Männer
Sinne geworden so stumpf? und stärkerer Mittel bedarf es,
Um sie zu reizen, zu spornen? Wolan, so laßt mich vorerst noch
Füllen die Becher mit ander'm Getränk, mit dem Besten, was Sions
Keller verbargen bis heut'!« – Sie winkt, und dunkelgelockte
Diener gehorchten dem Wink, in kristall'nen Gefäßen kredenzend
Duftiges Naß, weißblinkend und hell, das, in Becher gegossen,
Schäumt' und gährte mit Macht und wie flüssige Glut in den Kehlen
Süßlich brannte. Die Augen der Männer begannen zu leuchten,
Und es umspielte die Lippen ein wonnig-heiteres Lächeln.

Aber es winkte von Neuem die Königin. Siehe, da schwebten
Plötzlich herein in die Halle die reizendsten Weiber, und lächelnd
Ihnen voran ein Knäblein. Das Knäblein trug in den Händen
Schwebend die zierlichste Lampe, die hell mit rosigem Lichtschein
Glomm, und alle Gestalten im prangenden Saale mit hohem,
Lieblichem Zauber umgoß. In diesem verklärenden Lichte
Schwebte die lächelnde Schaar liebreizender, holder Gestalten.
Mitten in's düstere Treiben herein der sionischer Zecher,
Sprangs wie ein Reigen verscholl'ner hellenischer Göttergebilde.
Jugendlich frisch und blühend, erstralend in heiterer Schöne,
Schwebten sie her und hin und begannen zuerst nur bei sanftem
Flöten- und Saitengetön in Gruppen und holden Symplegmen
Jeglichen Reiz zu entfalten. In pantomimischen Spielen
Wagten und schmiegten sie sich als arkadische Schäfer und Jungfrau'n:
Neckisches Haschen und Flieh'n, süßlockendes Winken und Trotzen,
Schüchternes Schmachten zuerst, dann stürmisches keckes Umwerben,
Zärtliches Tändeln, zuletzt obsiegende, feurige Liebe:
Solches erschöpften sie spielend, die lächelnden Zaubergestalten,
Wandelnd dahin in tänzelndem Schritt, dann wieder auf weichen
Teppichen ruhend, und hold sich umschlingend, wie Liebende kosen,
Traulich allein. Doch plötzlich verstummten die weichlichen Flöten
Und es erscholl, wildlärmend, bacchantisches Rauschen und Sausen,
Cymbel und Tamburin – und empor vom Boden aus sanften
Liebesumschlingungen rissen, in stürmischer wilder Erregung,
Sich die Entflammten und drehten in rasend-beflügeltem Schwung sich.

Und hinblickt auf den Reigen, begeistert, der Männer von Sion
Trunkener Schwarm. Da erlischt die gemeine, die wüste Berauschung
Ihnen im Haupt, und zu höherer Lust aufregt sie der Zauber
Dieser berückenden Schöne. Sie selbst auch leuchten wie Götter,
Kräftig, blühend, verjüngt im Scheine der magischen Lampe.

Und Jan selber, entrissen auf ein Mal des lächelnden Hohnes
Schnödem Gefühl, das im Herzen das wüste Getrieb ihm erregte,
Blickt in den Schönheitsreigen mit neu sich belebenden Augen:
Und noch einmal befeuert das leben-verlangende Herz ihm
Dies aufregende Tosen der Cymbeln, der wogende Rhythmus
Und der befeuerte Tact, und der wilde, bacchantische Tanzschwung.
Und die Begeisterung schwellt, mit Wehmuth leise sich mischend,
Hoch ihm das Herz. »Ei«, spricht er zu sich, »es berührt mich die Schönheit
Einmal noch, und die Lust, mit ihrem berückenden Zauber?
Seit ich lebe, war immer nach heiterer Freude die Sehnsucht,
Jegliche süße Berauschung des Geistes und Herzens verschwistert
Eng in mir mit dem Streben nach Hohem und Reinem und Edlem.
Ist's so Menschengeschick? ist's nur der Unseligsten Erbtheil?
Ach, warum ist die Freude, der heitere Jubel der Sinne,
Hier auf Erden geknüpft an's Besudelte, Schnöde, Gemeine?
Aber im Schmutze sogar, o Freude, du Tochter des Himmels,
Trägst du berauschend die Spur noch der hohen und himmlischen Züge!
Weht dein Hauch noch einmal mich an? Schwül duften die Blumen
Vor dem Gewitter, und schwül auch duften der Freude, der Schönheit
Blüten einher vor dem Schritt des sich düster erfüllenden Schicksals« . . .

Und so ergriff auch ihn die Berauschung. Nur Lips, in ein grelles
Spöttisches Lachen, um sich her die Mienen Verzückter gewahrend,
Bricht er aus – was soll es bedeuten, das gellende Lachen?

Aber es warfen entflammend-verlockende, minnige Blicke
Während des Tanzes die holden, die feurigen Weibergestalten
Auf die entflammten Betrachter. Es tritt aus den Reihen der Schönen
Manche mit Lächeln heraus, um die Liebebethörten zu necken,
Und mit Gekos' und Geplauder den zärtlichsten Wink zu erwidern;
Andere werden gehascht mit Gewalt aus dem schwebenden Tanzschwarm
Bis zuletzt, wie sich löset ein Kranz, aus welchem man spielend
Blum' um Blume gezogen, sich löset der prangende Reigen.
Fröhlich wiegt auf den Knieen ein reizendes Weib nun ein Jeder.
Jan auch, dem Sinnenden, nähert sich schmeichelnd die Schönste der Schönen:
Aber es schreckt sie zurück das Geknurr der gewaltigen Hunde,
Die zu den Füßen des Jünglings ruh'n. Doch die Anderen wiegen
Lachend die Weiber im Schooße, begierig nach Kuß und Umarmung.

Aber der Schalksnarr Lips, er springt wie ein Toller mit Possen
Zwischen den Paaren umher, und plötzlich, scherzend und lachend,
Stößt er, unwissend, so scheint's, und tölpisch, die magische Lampe
Dröhnend vom Tische herab –
                                                  Da starrt mit Graus und Entsetzen
Auf die Gestalt, die er glühend noch hält in umschlingenden Armen,
Jeder sionische Zecher: es grinsen die reizenden Weiber
Frech, zigeunerhaft-roh, hohläugig und runzlig und hager
Ihnen entgegen, mit welken und schwammigen Gliedern, mit gelben,
Wüsten, verbuhlten, in höhnischer Lache verzerrten Gesichtern:
Aber sie selbst auch, die Männer von Sion, entsetzen der Eine
Sich vor dem Anderen jetzt, denn sie blicken sich an mit den bleichen
Zügen, den hager-verfall'nen, gespenstig – als jenes entstellte
Menschengebild, das aus ihnen zu formen begonnen die Wollust,
Und vollendet der Hunger . . . So steh'n sie in dumpfer Erstarrung
Schweigend: es tönt um sie nur das grelle Gelächter des Schalksnarr'n
Hin durch den dampfenden Saal. Inzwischen, von Keinem bemerkt, ist
Krechting, der neueste König, gesunken mit Scepter und Krone
Hinter den Tisch, vom Weine bewältigt. Der brütende, düst're
Dusentschur hat den Finger getaucht in verschüttete Reste
Des glutsprühenden Tranks: wahnwitzig beschreibt er die Wand jetzt
Mit dem befeuchteten Finger. »Was kritzelst du?« fragt ihn der Schalksnarr,
Nähernd der Wand ein Licht: Da entzünden sich bläulich die Zeichen,
Und aufleuchtet in flammendem Zug » Mene tekel upharsim «,
Wie es geleuchtet dereinst bei dem Königsgelage Belsazars.
Wieder nun lachte der Narr. »Da seht wie geartet der Trank ist,
Den man euch heute credenzt – er brennt an der Wand wie im Leibe!« –

Schauder ergreift die Erstarrten – und todstill war's in der Halle –
Horch – da erscholl, dumpfdröhnend, ein mächtiger Donner vom Markt her:
Dann ein Büchsengeknatter; auch wüstes, wirres Geschrei scholl
Zu dem Palaste herüber. Die Männer – ein doppelt Entsetzen
Faßt sie. Da stürzt ein Bote, der hinter sich her eine Blutspur
Zieht, mit dem Rufe herein: »Zu den Waffen!« Er ruft es, und bricht dann
Sterbend zusammen.
                                  Gekämpft auf dem Markt ward eben ein kurzer
Grausiger Kampf. – –
                                    Ruh' hatte geherrscht bis heut' in des Bischofs
Heer, und mehr als je heut' schien sie zu herrschen im Lager.
Aber hinaus war geschlichen zu Wilcke, dem Tapfern, aus Münster
Einer vom wandernden Stamm; der sprach: »Herr, reif ist der Apfel,
Komm', ihn zu pflücken! Die Männer von Münster, in wilder Berauschung
taumeln sie heut' umher, wehrlos und kraftlos und sinnlos:
Komm' um die Mitte der Nacht, und du findest entriegelt das Kreuzthor
Für dich selbst und die Söldner!« So flüstert der schleichende Bote
Wilcke, dem Tapferen, zu, dem Feldhauptmann, an dem Tage,
Als nach Hamm war geritten mit sämmtlichen zaudernden Räthen
Wirich, der Kriegsfeldherr . . .
                                                Und Wilcke gedachte des Schwures . . .
Und er rüstet die Seinen, erwartend die nächtliche Stunde.
Und als gekommen die Stunde, da führt er gegen das Kreuzthor
Sacht die bewaffneten Schaaren, und trifft es entriegelt, und harrend
Steht am Thore der braune Verräther, zu leiten die Söldner
Still durch verödete Gassen. Verkommene wüste Gestalten
Ruh'n auf den Boden gestreckt. Sind's Todte? Berauschte nur sind es . . .
Aber aus dumpfer Berauschung empor nun taumelt erschrocken
Mancher der marklosen Streiter, den hallenden, dumpfen Gewaltschritt
Wandelnder Krieger und Eisengeklirr in den Straßen vernehmend.
Ja, sie taumeln empor, mit fieberndem Haupt, und mit starrem
Aug' anglotzend den Feind: schon sind sie Gespenster, bevor noch
Sie hinmetzelt am Weg im Vorwärtsschreiten der Söldner.

Aber was treten hervor die Gestalten vergangener Tage,
Lange verschollen in Sion? Die treu noch Geblieb'nen, die Ernsten
Sind es, die einzig bewahrt noch den Funken des einstigen Feuers:
Matthissons alte Cohorte, verlacht seit lange, verspottet.
Wenige sind's: kaum fünfzig sionische Männer: aus bessern
Tagen ein spärlicher Rest. Sie treten hervor und sie schaaren
Sich auf der Mitte des Marktes, gewaffnet, zu eherner Phalanx,
Und, entrollend noch einmal das heilige Banner von Sion,
Stimmen noch einmal sie an den verschollenen Psalm des Propheten
Matthisson, den erhab'nen Choral der Wiedergetauften,
Welcher vor Münsters Thoren erscholl nach dem schönsten der Siege:
Wüthig stürzen die Söldner heran auf die todesgeweihte,
Düstere, bleiche Cohorte der letzten sionischen Streiter.
Schwächer und schwächer erklingt der Choral – das besudelte Banner
Sions, es badet sich rein noch einmal im Blute der letzten
Anabaptisten, der letzten vom Bunde der Freien und Reinen,
Die da geträumt in begeisterter Seele, die Welt zu erneuern . . .

Aber im Domhof d'rüben, im hohen Palaste des Königs,
Als sie vernommen den Boten, die bleichen Genossen des Festmahls,
Und von dem Marktplatz her das Geknatter, da kam die Besinnung
Halb den Berauschten zurück. Zu den Scheiben der Fenster in Eile
Stürzend, und prallend zurück, und mit stummem Entsetzen hinabwärts
Deutend einander, erblicken sie feindliche Lanzen im Domhof
Blitzend, und Fackelgeleucht, und Schaaren der Söldner, umstellend
Im Halbdunkel der Nacht den Palast. Durch Säl' und Gemächer
Sinnlos eilen sie hin, die betäubten Genossen des Festmahls,
Suchend ein heimlich Asyl. Die halb sich ernüchtert, sie taumeln
Über die völlig Berauschten, die schlafend noch liegen am Boden.

Aber zu Jan, dem König, der schweigend, mit blitzenden Augen,
Steht in der Mitte der Halle, die Hand am Griffe des Schwertes,
Laut umbellt von den Rüden, den immer getreuen Gefährten,
Kehrt im Vorbeigeh'n flüchtig sich Lips van Straaten, der Schalksnarr.
»Jan, nur Geduld!« so spricht er vertraulich; »das närrische Stück, gleich
Geht es zu Ende; der Vorhang sinkt, es verlöschen die Lichter.
Wirf in die Ecke den Trödel und geh' zur Ruhe; du hast dich
Wacker gehalten, so wie ich's erwartet: mit leidlichem Anstand
Hast du die Davidsrolle gespielt; mit besserem Anstand
Freilich, als Glück und Dank! Denn das Stück, das war ein verdammtes
Stück, ein wunderlich-krauses . . . Zur Ruh', Freund Jan! – Für den Ausgang,
Und für den kräftigen Schluß, laß mich noch sorgen, den alten
Lips van Straaten, den Gaukler, den Führer des Trupps, der auf Solches
Sich doch muß am Besten versteh'n . . . zur Ruhe, du junges
Blut, zur Ruh'! Schlaf süß, und träume von besseren Dingen,
Als von der irdischen Welt und der traurigen Posse des Lebens!« –

Flüchtig so im Vorbeigeh'n sprach zu dem schweigenden König
Lips. Dann faßt' er am Arme den riesigen Tylan, der eben,
Mit einer Fackel in Händen, wie sinnlos ihm in den Weg lief.
»Komm, Freund Tylan!« so sprach zu dem schweifenden Riesen der Schalksnarr.
»Komm mit mir!« – Und es folgt ihm nickend der Träger der Fackel.

Aber es führte den Riesen der Narr in des räumigen Hauses
Untersten Keller hinab. Da lag umher in dem weiten
Düstern Gewölbe gehäuft von Gewaffen unzähliger Vorrath:
Schwerter und Feuergewehr, und eiserne Panzer, und Haufen
Riesiger Kugeln dabei. Und es stand in der Mitte des Kellers
Eine gewaltige Tonne. Ihr nahte sich Lips, und den Deckel
Hob er herab und beguckte mit seltsamem Grinsen den Inhalt . . .

»Tylan!« sprach er sodann, wie toll, mit närrischem Lachen,
»Weißt du es wol, was der Bischof thut mit dem König von Sion,
Wenn er ihn hat in Händen? nun, hör', ich will es dir sagen!
Nicht soll bleiben ein Stein auf dem andern in Münster und Alles,
Was nicht tödtet das Schwert, ist verfallen dem Stricke des Henkers,
Oder dem Rad, und dem Roste, dem glühenden; aber dem König,
Jan von Leyden, dem edlen, mit glühenden Zangen am Holzstoß
Wird ihm das Fleisch von den Gliedern, das Herz aus dem Leibe gerissen!
Wie von brennenden Mooren und Haiden, so wird sich verbreiten
Im westphälischen Land vom rebellischen Fleische der Brandduft!
Wackerer Tylan, siehe, so wird es kommen!« – Der Riese
Runzelt die Stirn, dann ruft er mit drohender, wilder Geberde:
»Laß mich, laß mich hinauf! will schützen den König von Sion,
Und mit Hammer und Keule zerspalten den Schädel des Bischofs!«

»Halt!« sprach Lips; »halt ein, du Hammer- und Keulengewalt'ger!
Diesen da oben ist nimmer zu helfen mit Hammer und Keule!
Wir zwei nur, wir halten uns tapfer und trotzen dem Bischof,
Hier im Verließ. Da haben wir Waffen; und siehst du, die Tonne –
Schad' um die Tonne, die volle, daß nutzlos hier sie der Staub deckt!
Komm' nur einmal und sieh'!« – Heran trat, näher dem Faße,
Tylan jetzt und blickte hinein. Auflachte der Schalksnarr:

»Komm doch zu nah' nicht, Freund, mit der Fackel, du bringst ja den Bischof
Sonst um den Spaß, ha ha! wenn etwa platzte der Bowist,
Und zugleich mit dem Staube der Königspalast in die Lüfte
Flög', und der König dazu, und die, die da oben soeben
Nach ihm strecken die Hände, die Söldner des Wilcke – da wär' ja,
Haha! schnöd' um das Beste betrogen Capitel und Bischof!
Freund, das bedenk! bleib' ferne dem Zündstaub da mit dem Stablicht!« –

So rief grinsend der Narr, als Warner, und drängte doch immer
Näher
der Kufe den Riesen und mit ihm die brennende Fackel –
Schwatzend und lachend umher, so stößt er ihn, toll sich geberdend,
Hart am Faß. Und schauerlich hallt sein wüstes Gelächter
Wieder im grausen Gewölb. Doch die gellende Lache des Schalksnarrn
Plötzlich erstirbt sie, verschlungen, verhallt in des berstenden Eimers
Ungeheurem Donnergekrach:
einstürzt das Gewölbe,
Stürzt der Palast: um die Trümmer empor hell schlagen die Flammen . . .

Aber bevor vom Donnergekrach des berstenden Eimers
Münster erbebt, hat oben im prangenden Saal, wo im grausen
Wirrwarr todbleich schwanken die Männer, erwachend der trunk'ne
Krechting empor sich gerafft vom Boden. Die Krone vermissend,
Die ihm vom Haupte gefallen, entgegen dem König, der ruhig
Immer noch steht, umbellt von den Rüden, inmitten des Aufruhrs,
Taumelt er, ballend die Faust, und heischt mit Gelall' die verlor'ne
Krone von ihm: da stürzt auf den Drohenden wild sich der Rüden
Feuriges Paar, und es zucken zerfleischt auf dem dampfenden Estrich
Die Gliedmaßen des Wichts. Doch Zeit nicht bleibt mehr, zu schaudern:
Söldlinge stürmen herein. Da birst mit Gedonner den Stürmern
Unter den Füßen der Grund, und rauchende Trümmer begraben
All' die Genossen des Mahls, und alle die Schätze von Sion,
Alle die Bischofssöldner, die über die Schwelle gedrungen. – –

Doch wie durch Zauber erhalten ist Jan von Leyden, der König,
Unter den stürzenden Trümmern: im Sturz ihm zu schützender Wölbung
Haben sie über dem Haupt sich gefügt. Zwar sind ihm die Sinne
Schaudernd geschwunden im Donnergedröhn der zertrümmerten Mauern,
Doch wie vom Scheintod Einer erwacht in der Gruft, so der Jüngling
Jetzt im schaurigen Dunkel.
                                            Da faßt eine glühende Hand ihn
Plötzlich am Arm und zieht ihn fort durch's finstere Grauen.
Und so weiter und weiter auf endlosem Pfade gerissen
Fühlt er sich; undurchdringlich umgibt ihn immer das Dunkel.
Dumpf und schwer ist die Luft. Entführen ihn unter dem Erdreich
Geister der Tiefe? doch plötzlich trifft sein glühendes Antlitz
Freier, erfrischender Hauch. Wo ist er? um's Auge geworfen
Fühlt er Hüllen, und dann mit Gewalt sich gehoben, gebunden
Auf ein stampfendes Roß. Und er hört noch andere Rosse
Schnauben im thauigen Hauch. Fort jetzt auf den schnaubenden Rossen
Geht's durch die finstere Nacht. Er lauscht. Horch – donnernde Brücken!
Horch! nun knirschet der Sand! horch, horch, auf der Haide der Ginster
Ist's, was da flüstert im Wind – nun braus't es von heiseren Wassern –
Horch, wie das Mühlrad rauscht! Nun schweigende Stille der Ödniß –
Nur noch das Stampfen und Schnauben der Rosse. – So weiter und weiter
Geht's durch die finstere Nacht in sausender, brausender Eile.
Rauscht nicht Blättergesäusel nunmehr? Vom Sattel gezogen
Fühlt sich der Jüngling jetzt, und geführt mit verbundenem Aug' still
Aufwärts über Geröll. Dumpf kreischende nächtliche Vögel
Flattern ihm über dem Haupt. Wann endet die schaurige Wand'rung?
Unmuth schwellt ihm die Seele. Gedrängt durch Felsengeschiebe
Wird er mit schnöder Gewalt. Nun glaubt er inmitten der Felsen
Einsam gelassen zu steh'n. Da fallen vom Aug' ihm die Binden.

Aber ein Schimmer bewältigt den eben erschlossenen Augstern
Blendend: vom nimmer Erwarteten prallt er versehrt wie ein Fühlhorn
Ab. Nicht Mond und Sterne zu Häupten erblickt der Betroffne.
Über ihm dehnt sich, bestralt von rosigem Licht, eine Wölbung
Weithin im Felsengeklüft. Und geschmückt ist die prangende Grotte,
Wie die kristallene Behausung der Stromfei, oder des Berggeists
Halle, von Gnomen erbaut. Und die flimmernden Wölbungen starren
In phantastischer Pracht, und schwellende Teppiche glätten
Zum einladenden Pfühl den verborgenen, zackigen Felsgrund.
Aber entgegen dem Jüngling hebt sich lächelnd die braune
Königin Divara wieder. Im tieferen Grunde der Halle
Dämmerts von braunen Gestalten. »Wo bin ich?« ruft er mit Unmuth.
»Laß mich von hinnen, o Weib! Mir ist, als stürzte die Wölbung
Über mich her! Was willst du von mir? Weib, sage, wo bin ich?« –

Divara lächelt und führt durch felsige Pforten den Jüngling
Schweigend hinaus. Da erstaunt er. In nächtlicher Öde der Davert
Steht er auf ragendem Fels: auf derselbigen Warte, wo vormals
Matthisson ihn getauft aus dem brausenden Sturz der Gewässer,
Wo er mit weihenden Worten das Haupt ihm unter dem lichten
Sternengezelte benetzt, zum Bund' ihn der Wiedergebornen,
Wiedergetauften geweiht, zum Bunde der Freien und Reinen!
Wieder nun standen die Stern' am Himmel und funkelten. Wieder
Ging ein Gesäusel dahin durch die träumenden Wipfel der Kiefern.
Und wie der Jüngling stand mit dem leuchtenden Meister von Harlem,
Steht mit dem Weib er jetzt auf der felsigen Höhe des Waldes,
Vom Mondlichte bestralt: zwei ragende, stolze Gestalten,
Still umweht von den Schauern der Einsamkeit und des Nachtgrau'ns.
Träumerisch klang durch die Nacht hin das heisere Brausen des Waldstroms.

Aber es schmiegte das Weib sich mit schmeichelndem Laut an den Jüngling:
»Bist du zufrieden, o Jan? seit Monden gehöhlt war der Fluchtweg
Tief in der Erde für uns: den erlesensten meiner Getreuen
War er vertraut; und hier in den heimlichen Grotten der Davert
Ist von den Meinen ein sich'res Asyl uns für Wochen bereitet.
Sieh', es erschließt für uns sich der schimmernde Saal in der Felskluft,
Prangend geschmückt, wie von Gnomen erbaut für den Fürsten der Geister.
Da nun halten wir Rast: da hüten wir mit den Getreuen
Unsern Besitz – o wisse: Juwelen und schimmernde Perlen,
Gold'nes Geschmeid, und edles Gestein, des sionischen Schatzes
Köstlichste Fülle, der Scepter sogar und die schimmernde Krone
Blieb dir gerettet, o Freund! In der sicheren Grotte der Davert
Bergen den Schatz wir, bis freier geworden im Lande die Pfade,
Und bis sicher wir mögen entflieh'n, weit über die Grenzen,
In ein blühendes Land, wo reich wir und üppig und prangend
Wieder im stolzen Palast uns freuen der Liebe, des Lebens!« –

So das verlockende Weib. Doch in flammenden Augen erhab'nen
Zorn, rief Jan: »Entweiche von mir, entweiche, du braunes
Weib – dein höllischer Zauber, du dunkle, bezwang mich im Leben,
Aber ich triumphier' im Tod! Zum Lichte, dem reinen,
Schwing' ich mich wieder empor, und mit dir im Dunkel zurücke
Laß' ich, was mich befleckt! Fahr' hin! laß sterben mich einsam!« –

Ruft's und wendet sich ab, von hinnen zu schreiten. Sie aber
Faßt noch einmal ihn an mit gewaltiger Hand, und mit wilden,
Weit sich erschließenden Augen, umwogt vom entfesselten Haupthaar,
Steht sie verlockend vor ihm in diabolischer Schönheit . . .

»Weiche von mir«, ruft Jan auf's Neue, mit flammenden Augen;
»Weiche von mir! Du erscheinst so voll mir des Grau'ns, wie der Dämon,
Der so schmählich verwüstet das hoffnungsfreudige Sion!
Weib, entweiche! die Hand, die du lockend mir reichst, ist die schnöde
Teufelsfaust, die nach Blüten des Himmels, so oft sie auf Erden
Prangend sich wollen entfalten, die neidische Hölle heraufstreckt!
Weib, dein Lächeln, es ist unheimlich mir, wie des Satans
Ewiger Hohn, ja, die ew'ge, die höhnische Lache des Satans
Über des Menschengeschlechts urewige thörichte Schwachheit,
Ewig strebenden Drang und ewiges schnödes Ermatten –
Über den ewigen Tod des erhabensten Wollens in grauser
Selbstsucht, und des Erglühens, des schönsten, in rascher Erkaltung:
Weib, dein Wort, es erklingt mir, wie Sprüche des tückischen Zaubers,
Welcher den Geist zum Gespenst und den Gott im Menschen zum Teufel
Ewig verzerrt – zur Frazze verwandelt den reinen Gedanken,
Wenn er in's Dasein tritt – und zum Aase das Wort, wenn es Fleisch wird –
Weib, im Aug' dir spiegelt die Chaosnacht sich, die alte,
Ja, die unselige Nacht, die kindesmörderisch ewig
Wieder verschlingt das Licht, das, befruchtet vom Geist, sie geboren . . .
Weiche von mir!« –
                                Er ruft's. Sie ergrimmt – sie ergreift ihn gewaltsam
In unbändigem Drang, wie die Windsbraut oder ein Dämon,
Der den Verdammten entführt. Er aber, ein zürnender Held nun,
Ringt mit ihr, in grausigem Kampf: beim Scheine des fahlen
Mondlichts, hoch auf der Warte des felsigen Hangs, wo der Abgrund
Steil abfällt und sich unten verliert in schaurigem Dunkel,
Ringen sie: wild, wie der Cherub ringt mit dem Geiste der Tiefen,
Ringt mit dem Weibe der Jüngling. Titanische höhere Kräfte
Fühlt er erwacht in den Armen: und gleich wie der Adler den Schakal,
Den er vergeblich bekämpft auf irdischem Plane, nach aufwärts
Mit sich reißt, wo er leicht ihm obsiegt, im heimischen Luftreich –
So faßt Jener das Weib, und hält es mit ehernen Armen
Über dem Boden empor, daß es, schwebend gelöst von des Erdreichs
Sicherem Halt, sich windet, von seinen Gewalten verlassen,
In ohnmächtigem Grimm; und »Hinab mit dir in den dunklen
Schlund, du Tochter der Nacht!« so ruft er, und schleudert obsiegend
Tief sie hinab in die Schlucht: wild tanzen und stieben des Waldstroms
Schaumglanzfunken um sie, wie der Willkommjubel des Abgrunds . . .

Aber vom Felsengeklüft her scholl's wie Dämonengewimmer.
Durch das Geblätter des Walds ging wilderes Rauschen – die Eulen
Kreischten in Lüften. Von fern durch die Nacht, aus den Sümpfen der Nied'rung
Scholl Rohrdommelgestöhn mit satanisch-unheimlichem Klange . . .

Neu aufathmet der Sieger und leuchtenden Blickes zum Himmel
Schaut er empor. »Nun schwebe hernieder zu mir, du Befreier,
Sühnender Engel des Todes!« so ruft er . . . »Ich danke dir, Tylan,
Der du geschliffen ein Schwert für mich in der Öde der Davert
Hier, in derselbigen Nacht, da der schwärmende Meister zu hohem
Schicksalskampf mich berief. Von sämmtlichen Schätzen in Sion
Hab' ich werth es geachtet und nie von der Seite gelassen:
Nun ist's der letzte Besitz mir: die Welt mir damit zu erobern,
Hab' ich gehofft; nun wol! eine Welt mir damit zu erobern,
Seh' ich gekommen die Stunde:
die Welt zwar nicht, die ich meinte –
Nein, eine andere wird, eine bess're, der Stahl mir erschließen« . . .

Sprach's, und erhebend das Schwert, abstreift von der Brust er die Hülle
Sich mit der Linken. Da fällt vor die Füsse hinab ihm ein Röslein
Rührung beschleicht ihm das Herz. »Bei der ich unendlichen Glückes
Traum eine Stunde geträumt, sei du mein letzter Gedanke«,
Ruft er; »die Stunde des Glücks, lichtvoll aufwiegt sie ein ganzes
Leben voll Schicksalshohn, voll schmerzlichen Ringens. O Hilla!
Seit du mir dich entrissen, entschwand mir das schöne Vertrauen
Auf mich selbst und die Welt und auf alles Erhabne und Edle.
Doch mit der Knospe, die wieder mit hellen, geläuterten Augen ich schaue,
Die sich zur Rose mir nicht entrollt, doch zur Perle versteint hat,
Kehrt mir der liebliche Glaube zurück an das Ewige, Hohe,
Und an das winkende Glück, das in grauender Ferne die Menschheit
Ewig erblickt: ja ich glaube daran auf's Neue: wie hoch es
Schweben auch mag und wie rasch unheiligen Händen entschwinden,
Die es zu haschen vermeinen: als reifende Frucht in der Schooß einst
Wird es den Würdigen fallen! so jauchzt das vertrauende Herz mir,
Und in diesem Vertrauen umarme der sühnende Tod mich!«

Also ruft er. Es hebt sein Aug' in des leuchtenden Äthers
Halle noch ein Mal sich. Und nun wieder in dämmernden Lüften
Flattern die weißen Gewölke, wie Züge der Geister: zu streiten
Scheinen sie gegen einander mit blinkenden Schilden am Himmel,
Über dem Plan, wo erglänzen die Zinnen von Münster im Frühlicht.
Und wie verzückt empor blickt Jan. »Nach gewaltigen Schlachten«
Ruft er, »kämpfen die Geister noch fort der Erschlag'nen im Luftraum –
Also berichten die Sagen: so wird der sionische Kampf auch
Weitergekämpft noch in Lüften – ja weitergekämpft noch in großer
Geisterschlacht: und wer weiß, wie zuletzt noch fällt die Entscheidung?
All' dies irdische Lanzengeklirr und Schwertergerassel,
Eitel Getöse nur ist's; in den Wolken die Kämpfe der Geister,
Sie nur sind es zuletzt, die entscheiden der Menschen Geschicke!
Kämpft ihn denn aus, ihr Geister da oben im leuchtenden Äther,
Kämpfet ihn aus, ihr, den Kampf des sionischen großen Gedankens,
Daß er leuchtend und hehr, von trübender Schlacke geläutert,
Noch obsiege dereinst. Doch den sterblichen Kämpfern, die todwund
Sinken mit Speer und Schild in den Staub der besudelten Wahlstatt,
Müde des Lebens, und müde des Strebens, und müde des Irrens –
Diesen vergönnt sei die Rast in der heiligen Stille des Todes!« –

Ruft's, und zücket den Stahl: und das jugendlich-blühende Leben
Blutend verhaucht in der Öde, von Stralen des Morgens umfunkelt,
Einsam Jan von Leyden, der König der Wiedergetauften. –

Und nun dämmert der Tag. Es steht blutfarbig im Osten
Hoch ob Münster das Morgenroth. Blutroth ist der Himmel,
Blutroth ist in den Straßen von Münster der Boden, und blutroth
Wälzt, von Leichen geschwellt, dahin sich durch Münster der Aafluß.
Niedergemetzelt nun sind auf dem Markt die sionischen Streiter
Bis zum letzten. Aus Häusern noch schleppt bei den Haaren der Landsknecht
Zitternde Ketzer hervor und durchsticht sie, oder aus Fenstern
Stürzt er sie lachend hinab in die Spieße der wilden Gesellen.
Einhalt thut nach Tagen dem blutigen Morden der Bischof:
Fortan ereilt nicht ohne Gericht mehr den Ketzer die Rache –
Nein, erst wird er gefoltert: mit glühenden Zangen zerfleischt dann,
Oder verbrannt, wo nicht auf's Rad ihm geflochten die Glieder . . .

Und so entschwindet ein Mond. Dann wird's alltäglich und stille
Wieder in Münster wie einst. Das Verwegene, Grausige, Tolle,
Was da gescheh'n, es bedünket Dieselbigen, die es erlebten,
Nur wie ein Traum. Einlenket das Leben auf's Neu' in die alten
Bahnen; es ist, als hätte sich niemals And'res ereignet.
Ruhig folgt dem Geschäfte des Tag's in den Straßen der Bürger,
Ruhig geht er den Markt entlang. Dort sitzt die uralte
Bettlerin wieder, wie einst, auf den Rathhausstufen und murmelt:
Komme zu uns dein Reich, und führ' uns nicht in Versuchung! –
Ruhig kommen und gehen die Monde, die Jahre. Der Mönch steht
Vor den Altären zu Münster, wie einst, und von den entweihten
Kanzeln spricht er zum Volk; aufhorchet die Menge mit Andacht.
Jährlich feiern den Tag mit Pomp im Dome die Priester,
Welcher zurücke geführt in die Mauern von Münster den Bischof,
Und es feiern die Bürger ihn mit. Es lies't in vergilbten
Blättern mit Schauder der Enkel die grause Geschichte der Väter –
Kaum noch begreift er es jetzt, wie möglich Solches geworden . . .

Aber die Zeit, sie kommt, wo Verschollenes wieder bedeutsam
Wird – und sobald sie gekommen, die sinnige Muse bedenkt es.
Und so hebt aus des Zeitstroms Flut, der ja ewiger Sterne
Spiegel und Grab, dies Bild sie: verständlich dem neuen Geschlechte,
Schreckend und spornend zugleich, auf schwebendem Kahne der Dichtung
Über den Brandungen rage der leuchtende König von Sion.


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