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Fünfter Gesang.
Das goldene Haus


[168] [169]        Dem Trümmerschutt des alten Roms entsteigt
Das neue Rom – das Rom des Nero. Leuchtend
Entgegenwachsen in der Ebene
Die Steinkolosse seinem Herrscherblick,
Indeß vom Söller seines goldnen Hauses,
Der junge Roma Zier und Krone, stolz
Er in die Tiefe schaut.
                                 »O Rom,-« (so ruft er)
»Ich stürzte dich in Trümmer hin, und du,
Du gabst hinsinkend mir das Hochgefühl
Von meiner Göttlichkeit. Nun sei's genug!
Ich sage dir: Erhebe dich aufs Neue!
Erhebe dich glanzvoller als du warst:
Ich will ein Rom vor meinen Augen sehn,
Das ich geschaffen, und bezeugen soll
Die Welt, daß ich nicht bloß Zerstörer bin! –
Nicht mein Gedanke wars, in einer Wüste
Zu thronen – Nero braucht die Welt, sie zu beherrschen.
O Römervolk, das mir zu Füßen wimmert,
Wie einem knie'nden Sclaven sag' ich dir:
Steh' auf! – Hinstrecken kann ich dich ja wieder,
Sobald es mir gefällt! –
                                  O Menschlein, die ihr
Da unten krabbelt um das Steingetrümmer,
[170] Ameisen gleichend, die, sobald man ihnen
Zerwühlt der Wohnstatt lockres Hügelrund,
Gleich wieder emsig durcheinander wimmelnd
Den neuen Bau beginnen – besser wär' euch
Den Wohnsitz aufzuschlagen, statt zu Füßen
Des Nero und in seines Aug's Bereich,
Zu Füßen eines glühenden Vulcans!« –
      In tieferen Gedankentraum versinkt
Das Haupt des Herrschers. Götterhauche schwellen
Die Brust ihm wieder, seine Blicke schwingen
So stolz und machtvoll sich ins Thal hinab,
Wie junge Adler aus dem Felsenhorst.
Er denkt an Vindex einen Augenblick,
An den verweg'nen Thoren, der es wagt,
Aus Gallien jene Meutrerschaar zu führen,
Die Galba's Namen auf ihr Banner schreibt –
Wie? gegen den gewaltigen Vernichter
Wagt er's die Schaar zu führen, gegen Rom,
Wo Sclavenschauder stummer jetzt als je
Die Kette schleppt, will er sein Banner tragen,
Bedrohn den Machtsitz Neros? Armer Falter,
Der in die Flamme taumelt! – Nero denkt
An ihn nur einen Augenblick und lächelt
Verachtungsvoll. Und rückwärts wieder schweift
Sein Sinn, er denkt des geisterhaften Alten,
Den ausgestreckt der Flammenschlund als Zunge,
Er denkt an ihn und lächelt. Er gedenkt
Der Christen, die zerfleischt im Circus starben,
Und lächelt. Er gedenkt des Flammengräul's,
In dem das alte Rom versank, und lächelt.
[171] Und weiter, weiter noch zurücke schweift
Sein Sinnen, er gedenkt des Bacchanals,
Und Agrippinas auch – doch siehe da,
Er lächelt nicht mehr – seine Stirn beschattet
Der Ernst im Flug; wohl schüttelt er alsbald
Das Wölkchen von der Stirn wie eine Fliege –
Doch Fliegen sind hartnäckig oft und necken,
Mit lästigem Gesumme wiederkehrend,
Des Helden Stirn, der Löwen niederwirft …
      »Ha« ruft er, »gibt es stets Momente noch,
Wo ich ein Mensch nur bin? O Apathie,
Die Götterstirnen stets umschweben soll,
Wirst du zuweilen noch mir ungetreu?
Bist du denn eine Metze wie Fortuna,
Die heut uns noch umarmt, und morgen plötzlich
Verläßt mit leerem Beutel, leerer Brust?
Wie kommt in Nero's Herz die Unruh' noch?
Was regt geheim den tiefen Sinn mir auf
In solchen Abends sel'ger Götterstille? –
Der Friede schwebt wie eine weiße Taube
Vom Aventin her übers goldne Rom –
Mir ist als sollt' ich ihn am Fittig fassen,
Und ganz ihn bergen hier in meiner Brust! –
      Doch – ist nicht Unruh' manchmal lieblicher,
Als ew'ges Einerlei des Götterfriedens?
Zuweilen sehn' ich mich nach ihr; nach dir,
Empfindungswechsel, sanfte Flut und Ebbe
Der Herzenswogen, die das Menschendasein
Erträglich, oft sogar auch lieblich macht! –
Und doch, nie wieder könnt' ich, wollt' ich ernstlich,
[172] Zurück mich bannen lassen in die Schranken
Alltäglich-engen, menschlichen Gefühls:
Umkehr auf meinem Pfad – unmöglich ist sie;
Des Menschendaseins Ring hab' ich durchbrochen
Und bin hinausgewachsen über ihn –
Wollt' ich zurück, er faßte mich nicht mehr.
Nein, nein! ob einsam auch, ich bleibe doch
In meinen stolzen Höh'n – ich bleibe Nero!« – –
      Es senkt sich leise dunkelschattend nieder
Die stille Nacht. Vom Tagwerk ruhn die Menschen.
Die guten Genien des Friedens schweben
Um nied're Hütten. Aber aus den Tiefen
Aufflatternd kommen finstere Dämonen,
Wie Fledermäuse in der Dämmerung,
Und kreisen um des Nero goldnes Haus.
Sie heischen Einlaß. Einlaß forderst du
An dieser Schwelle, nächtliches Gezücht? –
Die Sorge ist es und die Reue. – Sieh,
Die Sorge kehrt vom Glanz geblendet um
Schon an des Hauses Thür. Die Reue schlüpft
Hinein ins Innre bis zu Nero – doch
Vor seinem festen Blicke weicht auch sie
Zurück und flieht. In dieser Brust von Erz,
Gehärtet in den Flammen Roms, da ist
Kein Ort für sie. Sie flieht. –
                                          Da, siehe, wagt
Hervor sich aus dem dunkelsten der Winkel
Des Tartarus ein andres Ungethüm.
      Das ist der gräulichste der Nachtunholde,
Die aus den Wassern des Cocytus trinken.
[173] Die Flügel hängen bleischwer ihm herab,
An ödem Ort gekauert liegt das Scheusal
Und mit dem Kopfe wackelt es im Schlaf.
Ein grauer Nebelregen, endlos triefend,
Ist seine Atmosphäre Wenn es gähnt,
So ist's, als ob das alte Chaos wieder
Aufschlöße seinen Rachen, zu verschlingen
Die Welt, die es gebar.
                                    Dies Ungethüm
Kommt jetzt herauf vom Grund des Erebus.
Es flattert um den goldenen Palast,
Durchschwebt die Pforten, weicht vor'm Glanze nicht
Zurück, geblendet wie die Sorge, nicht
Vor Nero's Blick verschüchtert wie die Reue.
Es nähert sich dem stille Sinnenden,
Und öffnet, ungesehn von ihm, den Rachen,
Und haucht ihn an mit seines Odems Hauch …
      Kennt ihr den Namen dieses Ungeheuers?
Der Menschen Mund benennts die Langeweile.
Die kleinen Erdensöhne neckt es mäßig,
Die großen Geister faßt's mit Geierkrallen …
       Es langweilt Nero sich. – Er ruft: »Wo ist
Mein lust'ger Narr, mein immer durst'ger Dickwanst
Von Benevent, mein wackerer Silen?
Er komme! – wenn ich in sein Antlitz blicke,
Ins rothe, feiste, ewig lächelnde,
Erheitert es gemach die Stirne mir
Gleichwie das Sonnenrund umwölkte Höhn!« –
      Hineilt der Sclave, doch er bringt zurück
Alsbald die Kunde: »Saccus, Herr, ist todt!
[174] Gestorben diese Nacht!« – »Gestorben? wie?« –
»Des Leibes Ueberfüllung bei dem Schmaus,
Mit dem, o Herr, du gestern eingeweiht
Dein neues goldnes Haus, bracht' ihm den Tod.« –
      »Ei sieh, mein Saccus auch,« ruft Nero, »folgt
Dem Tigellin? – Fast steh' ich schon allein!
Sieh, wie das wechselt, wie das kommt und geht
Rings um mich her, und ich, nur ich allein
Bin unveränderlich in allem Wechsel …
Doch nein! nicht ganz! die neckische Natur,
Die nichts mehr über meinen Geist vermag,
Sie hält an meinen Leib sich und beginnt
Mir Kinn und Wangenblüte zu verschwemmen
Durch gelblich-schlaffen Wulst, obgleich die Jugend
Ums Haupt mir noch in voller Locke flattert! –
Doch seh' ich recht? was zeigt mir da die Welle
Des Silberspiegels hell im Lichterglanz?
Ein graues Haar auf meinem Haupt? o pfui!
Ein graues Haar steckt all' die andern an!
Fort, grauer Erstling! soll denn auch für mich
Sie kommen, jene böse, böse Zeit,
Wo Haar um Haar von meinem Haupte sinkt
Wie Blatt um Blatt vom Rosenhaupte sinkt?
Ha! bleibt der Geist nur jung und unverändert,
Und du, o Fleisch, verblühst an mir? und ich
Muß dich zuletzt als einen kalten Leichnam,
Als todten Zwillingsbruder, der mit mir
Verwuchs im Mutterleib und vor mir starb,
Durchs Leben weiter schleppen? – Warum ist
Der Gott in mir an diese alternde
[175] Vergängliche Natur gebunden? – Fort,
Ihr melancholischen Gedanken! Spüle
Mir weg den Schweiß der Stirn, du goldne Quelle
Der Lust
, die mir in reicher Fülle sprudelt,
Wie keinem Staubgebornen je vor mir!«
      So spricht er, und erhebt sich, zu durchwandeln
Auf leichter Freudenjagd sein goldnes Hans.
Sein Lieblingslöwe folgt ihm wie ein Hündlein;
Ein zahmer Elephant, mit klugem Aug',
In Goldschmuck prangend wie ein Leibtrabant,
Geht ihm voran mit einem Fackellicht.
Ein Sclaventroß folgt seiner Schritte Spur,
Gewärtig jedes leisen Herrscherwinks.
Er wandelt hin durch alle Prunkgemächer,
Durch alle Riesenhallen, alle Höfe
Des Kaiserpalasts, dessen Märchenpracht
Kein Dichterwort beschreibt. Die Tempel Roms
Und Griechenlands und Asiens, geplündert
Sind sie für dieses eine goldne Haus.
Im Vorhof steht ein ragender Koloß,
Des Nero Riesenbild, hoch wie ein Thurm:
Des Fußes Zeh' hat Menschenleibes Dicke.
So unabsehbar dehnt der Vorhof sich,
Daß tausend Schritte lang ein Porticus
Hinläuft in ihm, und sich ein Weiher dehnt,
Drin des Palastes Zinnen rings sich spiegeln
Wie eine Stadt im Meer. Der Prachtbau streckt
Die Glieder aus vom stolzen Palatin
Noch über Nachbarhügel: grüne Triften
Und blüh'nde Gärten und Gehölze selbst
[176] Hat eingeschluckt der steinerne Gigant,
Und diese grünen fort in seinem Innern,
Und merken nicht, daß nicht mehr frei sie grünen,
Nein, in dem Bauche eines Ungeheuers.
Sein flacher Dächerscheitel ist gekrönt
Mit Blumenfluren und mit Lorberhainen.
Und Glied für Glied ist dieser ganze, stolze,
Gewalt'ge Steinkoloß gehüllt in Goldzier,
Und steht auf seiner Höhe wie ein Held,
Mit goldner Rüstung schimmernd in der Sonne.
Im Innern ist der Goldgrund noch von Gemmen
Bestralt, in farb'ger Mosaik: es trägt
Schmucküberwuchert' Säulenwerk die stolzen
Goldschimmernden Rotunden, incrustirt
Mit Bernstein und Türkisen und Topasen.
Goldschwere Riesen-Prachtvorhänge schließen
Die hohen Elfenbein- und Schildpattpforten,
Und babylonisches Gewebe breitet
Sich unterm Fuß des Schreitenden so weich,
Wie frischgepflückte Rosenblätter aus.
      Der Estrich ist gezimmert aus Kristallen,
Man glaubt zu wandeln auf der Meeresflut;
Korallenbäume steigen draus hervor
Als Candelaber. Farbenwunder schimmern
Von Wänden, Erz- und Marmorbilder ragen:
Hier, mit smaragdnen Augen funkelnd, steht
Ein Silberlöwe und hier windet sich
Ein Schlangenthier – es starrt die Schuppe golden,
Unheimlich blitzt das Auge von Rubin.
Hier funkelt eine malachitne Säule,
[177] Die nächtlich Glanz verbreitet wundersam.
Ein Bild des Nero schimmert mit der Wehr
Apolls, aus Jaspis ganz. Was gelten noch
Murrhinische Gefäße, Citrusplatten,
Bernsteingeräth, in diesem Eldorado?
      Und was verbirgt nun erst das Innerste!
Das goldne Haus ist eine Welt im Kleinen:
Um sich versammelt hat aus allen Zonen
Des Nero Drang, der unersättliche,
In alle Tiefen, alle Höhen schweifend,
Was nur die Sinne reizt, den Geist erregt.
Natur und Wissenschaft und Kunst gesellen
Ihr Bestes hier dem Glanz der goldnen Schätze.
Als Herrn der Welt betrachtet Nero sich:
So schuf er sich sein Haus zum Bild der Welt! –
      Durch all' die Pracht nun wandelt er dahin:
Wie kommt's, daß heut sie seinen Blick nicht fesselt?
»Du flammenfarb'nes Gold,« so ruft er aus,
»Nur du allein warst würdig, dich zu wölben
Zur Wohnstatt mir, und all' der Prunk der Welt
Schlingt, wie's geziemt, sich um mein Götterdasein
Als deutungsreiches Arabeskenwerk …
Doch all' die Pracht beginnt mich anzufrösteln …«
      Beschwingten Schritts betritt er einen Raum,
Den er das Pantheon der Sinne nennt.
Hier ist vereinigt alle Sinnenfreude,
Hier ist Elysium. Ein Dämmerlicht,
Ein rosiges, durchglüht die Zauberhalle,
In wechselnd holdem Reiz nach Nero's Laune
Zu tiefer Dämm'rung jetzt gedämpft und jetzt
[178] Mit goldig hellem Glanz die Halle füllend.
Ein warmer Hauch, wie weiche Tropenluft,
Halb süßabspannend und halb süßaufregend, –
Umweht die Wange schmeichlerisch. Musik
Rauscht aus verborgnen Quellen her, bald zärtlich
Wie das Gegirr der Tauben, stürmisch bald
Wie Lust, die triumphirt. Der Ruchsinn schwelgt
Entzückt in Specerei'n, aus goldnen Pfannen
Die Silberwölkchen mischend ins Arom
Prachtvoller Blumenwunder, die den Ort
Umranken mit verschwenderischer Zier,
Und hier und dort zu Lauben sich verschränken.
Dazwischen murmelt leise, sanft einlullend,
Ein feiner duftger Silbertropfenstaub,
Der aus Goldröhren in krystallne Becken
An trauter Stelle quillt, wo sein Geriesel
Berückend sich dem halb-erstickten Laut
Heißglüh'nder Wonneseufzer mischen mag.
      Wer diesen Raum betritt, der athmet tiefer
Im Drang des Busens auf, und meint, er stehe
Im Heiligthume der Libido selbst,
Und gleich nun müsse wo auf weichem Thronsitz,
Auf einem hochgeschwellten Rosenlager,
Sie ihm erscheinen, üppig hingelehnt.
      Und traun, in Wahrheit ist ihr Tempel hier.
Schon kündigt sie sich an: auf Wänden schwelgt
In heißen Tinten üpp'ge Schilderei,
Und diese Statuen, die Marmor scheinen,
Im Reiz, dem lüsternen, der Nacktheit reglos,
Betrachtet man, befühlt man sie genauer,
[179] So überrascht ein warmes, weiches Leben,
Das lachend niederspringt vom Postament.
Und während Nero an den goldnen Tisch
Sich setzt, den alles Leckere belastet,
Was nur den Gaumen kitzelt und entzückt,
Und gaukelnd eine Schaar von Götterknaben
Mit würz'ger Goldflut ihm den Becher füllt,
Drängt aus dem Hintergrund der Zauberhalle
Sich allgemach der schönsten Weiber Schwarm.
Die einen hüpfen um den Nero, schmiegen
Zu ihm sich kosend, ruhn auf seinem Knie
Und nippen, sich bezechend, aus den Bechern;
Es plaudern Andre, scherzen, oder trällern
Ein Liedchen zu dem Klang des Heptachords.
Auf Purpurkissen Andre ruhn, und Andre
Erheben erst aus Bädern ihren Leib,
Den weißen, mild-erfrischten. Andre nahn
Des Nero Schwelgertisch als holde Gruppen,
Verwirklichend manch alte Götterfabel:
Des Mars, der Venus lüsterne Geschichte,
Und manche Liebschaft auch des Vaters Zeus.
      Wer hat so zauberreichen Schönheitsflor
Vereinigt je gesehn, wie Nero's Aug'
An dieser Stelle sieht? Von jeder Form,
Die schwebt im bunten, weiten Reich der Schönheit,
Ist hier ein Urbild: 's ist wie das Gehirn
Des Phidias und Zeuxis, angefüllt
Mit jedes Reizes höchsten Idealen.
Da sieh' die schlanke, jungfräuliche Kissa,
Den lieblichen Narzissenstengel, da
[180] Die vollentwickelte, die stolze Nais,
Die eine hehre Juno scheint, und da
Die kolossal'schen Formen der Dione,
Ein Prachtbau süßgeschwellter Gliederfülle.
Da siehe, holde Kinder, goldig- blond,
Ganz weiche Zärtlichkeit, verhalt'ne Minne;
Da Schwarzgelockte, Feueraugige;
Da schimmert lieblich' Braun , da prunkend Roth,
In feinen krausen Lockenringen wogend –
Da sieh' die stolze Griechin mit den edlen,
Vollkommnen Zügen, da die feurige
Hispanierin, die üpp'ge Syrerin,
Da der Germanin kräftig derben Reiz,
Und da sogar die schwarze Negerin,
Die schmiegsame – denn Alles will vereinigt
Die weltumschlingende Begier des Nero.
      O Frauenschönheit, edle Himmelsblume,
Die schönsten deiner Blüten werden nicht
Des Sehnenden Besitz, den sie auf Erden
Zum Gotte machen könnten – nein, sie werden
Gestreut als Würze in den Freudenkelch
Des Reichthums und der üpp'gen Schwelgerei,
Die wählerisch sie mit erstorb'nem Sinn
Beschnüffelt, und sich ihrer kaum erfreut! –
Der Schönheitsreigen, welcher ihn umgaukelt,
Er ist dem Nero, seht, so viel, so wenig,
Wie Satten reiche Tische, vollbesetzt,
Und schlummerlosen Kranken weiche Polster.
Und statt zu greifen nach den Hesperiden
Der Lust, die rings um ihn so lockend hängen,
[181] Versinkt er fragend in sich selbst: »Wie kommts,
Daß nun an mir sogar der süße Reiz
Der Sinne mehr und mehr erlahmt? Wie kommts,
Daß nichts mich lockt und nichts mich mehr entzückt?
Ich steh' im Meer der Freude wie ein Schiff
Bei Windesstille steht im Ocean:
Kein Lüftchen regt des Herzens todte Welle
Und meiner Wünsche Segel hängen schlaff!
Wenn etwas lohnt die Mühe, Mensch zu sein,
Und sterblich-ird'scher Glieder sich zu freu'n,
Ist's eines holden Weibes Glutumarmung;
Und doch, was ist zuletzt denn auch das Weib
Dem Uebersättigten? Ha, keine Lust
Gibt es, bei der so schnöd, so übermüthig
Wie bei des Weibes Reiz der Ueberdruß
Und die Begierde mit uns Fangball spielen!
      Es lockt von voll entfalteter Natur
Uns zu der knospenden; von dieser wieder
Zurück zur vollen; von der blondgelockten
Zur braungelockten Schönheit schwanken wir;
Vom Zarten drängt es uns zum Ueppigen,
Vom Ueppigen zurück zum Zarten wieder:
Doch matter stets und matter übertüncht
Verblaßter Freuden innres Einerlei
Des äuß'ren Wechsels Reiz – und immer weiter
Sperrt seinen Rachen auf ein Sinnenhunger,
Den nichts mehr sättigt, weil ihn nichts mehr reizt.
's ist nicht die Gier, die drängt zum Uebermaß,
Es ist der Ekel: Weil uns nichts befriedigt,
Versuchen wir das Unerhörteste …
[182] O glücklich der Genießende, den noch
Begierde stachelt zum Genuß! Begier
Ist leicht gestillt und ihr genügt das Nächste;
Doch Ueberdruß, das ist der nimmersatte,
Der wilde Wolf, das die gefräßige
Harpye, Alles niederschlingend, Alles
Besudelnd! … Glücklich wer noch mit dem Aug'
Der Sehnsucht sieht! wem Frauenschönheit noch
Ein Ideal ist, nicht die greifbarste
Von allen ird'schen Raumausfüllungen,
Wem als ein Eden noch, als Paradies
Erscheint die Sommerlandschaft, Weib genannt,
Mit ihren leid'gen steten Wetterwechseln, -
Mit ihren Zorngewittern, Thränenregen,
Und periodischen Versumpfungen …
Wie kommt es denn, daß wir zu Narren werden,
Wenn wir ein schönes Weib zur Seite haben?
Warum durchzuckt uns eine weiße Haut
Wie funkensprühend heut, die doch gar bald,
Sind ihrer wir gewohnt, so kühl uns läßt
Wie unser eignes Fleisch? Bethörung nur,
Bezauberung der Sinne, Phantasie
Ist Jugendlust, und Lieb' ein Sommerhauch,
Der als beschwingter Sclav' den Blütenstaub
Von einem Blumenkelch zum andern trägt! –
Fort, fort von hier – will heut an einer Schau,
Von mehr gediegner Art mein Auge laben!« –
      So lästert frech der übersatte Schwelger.
Und weiter durch die goldnen Hallen wandelnd
Ins vollgefüllte Schatzhaus tritt er ein,
[183] Wo aufgehäuft Kleinode, die kein Crösus
Vereint gesehn und kein Polykrates!
Gold, Silber, Perlen, schimmerndes Electron,
Und edles, feurig-sprühendes Gestein,
Vom Indus, vom geheimnißvollen Osten
Des Kolcherlands, vom ceylonesischen
Gestad' des alten Perlenmeers geholt!
Da ruhen sie in märchenhafter Pracht,
Die augenblendenden, die lichten Kinder
Der schwarzen Mutter Nacht – die Edelsteine:
Hier Adamas, der Unbezwingliche,
In weißem Glanze stralend: hier Rubin,
Wie angeblasne Kohlen feurig glühend,
Und hier der sanfte, glutende Saphir,
Der himmelblaue, heilige, der Fürst
Der Steine, welcher Indertempel schmückt.
Da grünt der Augentröster, der Smaragd,
Da gleißt der Amethyst, der Traumerreger,
Buntschillernd äfft hier das Chamäleon
Der Steine, der Opal, den Regenbogen,
Da glitzert Turmalin und Chrysolith,
Achat und Jaspis, Türkis und Beryll,
Topas und Hyacinth, und was noch sonst
Dem Mutterschoß der Erde ward entrissen,
Zu dem es, weils zu tiefst aus ihm geboren,
Auch wieder strebt mit schwerstem Herzensdrang! –
      »Sieh da die steingeword'nen Zauberflämmchen,«
(Ruft Nero) »welche glüh'ndes Feuer scheinen,
Und anzufühlen sind so marmorkalt!
Mir ist, als sollt' ich die gefrorne Pracht
[184] Auflösen wieder in ihr altes, heißes
Glutelement, das hier zu Eiskrystallen
Verzaubert ist. Die kalten Steine schneiden
Mit ihren scharfen Kanten mir ins Aug'
Und in die Seele –
                          Und wie konnt' ich nur
Sie emsig sammeln, und mich ihrer freu'n,
Als hätt' ich Großes dran? Sind es nicht Kiesel,
Nur etwas glänzender, und etwas bunter?
Ist nicht ein Wassertropfen ganz so gut,
In dem die Sonne glänzt, als ein Demant?
Doch der ist seltenerdas ist's! Ich Thor,
Was strebt' ich mir in Haufen das zu sammeln,
Was nur als Einzles, Seltnes Werth besitzt?
Das Seltene in Haufen wird gemein.
Fort, fort damit, 's ist nöthig aufzuräumen!
Greif zu, mein Cappadox, greif zu, mein Syrus!
Hier, Geta, dir der eiergroße Saphir!
Fang auf den Jaspisklumpen, Asdrubal!«
So spricht er und ergötzt sich lachend dran,
Die Steine seinen Sclaven zuzuwerfen.
Dann setzt er seine nächt'ge Wandrung fort.
      Er tritt hinaus auf eine Blumenflur,
Die taghell prunkt in grellem Fackelglanz.
Da leuchtet Lilien- und Lotosblüte,
Da wiegt auf hohem Stengel sich der Stern
Gelbstralender Narzissen, die Violen
Streu'n milden Duft, die Tulipanen nicken
Mit goldnen Kelchen, voll von Mondesthau,
Crocus und Amaranth und Hyazinthen
[185] Erblühn, Jasmin, Syringe duftet lieblich.
Wohin du blickst, die Blüten sind wie Flämmchen,
Die lodernd aus der grünen Hülle brechen.
Hier blüht ein gelbes auf und dort ein blaues,
Hier flackerts grün, hier weiß, hier purpurfarben.
O sieh, wie zierlich rings auf Blätterfüßen
Sie stehn, die lieblich bunten Blumenlichter
Im Frühlingssaal! Armleuchter ist der Kirschzweig,
Der Rosenstrauch ein ganzer Candelaber! –
      »Was willst du mir, du farbiges Gewimmel,«
(Ruft Nero), »und du, Schleicher Wohlduft auch,
Der sich mir kitzelnd in die Nase stiehlt?
Was hast du mir zu sagen, buntes Gras,
Das morgen Heu ist, mit den Blumenäuglein
Und mit den säuselnd zarten Blätterlippen?
Ich liebe dich nicht mehr: mir ist die Mohnflur
Wie eine ausgegoss'ne Lache Bluts,
Und auf dem Strauch die rothen Beeren scheinen
Mir Tropfen, die aus offnen Wunden fließen!
Ihr eitlen Blumenfürsten, was stolziert ihr
Mit einer Krone, die ein Hauch entblättert?
Was willst du, bunt bemaltes Faserwerk?« –
So ruft er, und im Weiterschreiten grimmig
Aufreutet er die Lilien und die Rosen.
      Und weiter wandelnd der Tyrann betritt
Des Hauses Raum, wo ein gewaltiger
Thierzwinger sich erhebt. In diesem hat
Versammelt Nero alle Thiergestalten
Da brüllt der Löwe; Bär und Elephant,
Und Nashorn und Giraffe wandelt hier.
[186] Da wälzen Schlangen auch und Krokodile
Sich hinter sichern Gittern. Adler sitzen
Auf Silberspangen ruhig, Pfaue schreiten
Mit prächtigem Gefieder, Schwäne segeln,
Und rosig flimmernde Flamingos prunken
Auf Weihern hier wie auf Aegyptersee'n.
      Doch wie zuvor die holde Pflanzenwelt,
Erscheint dem Nero heut die Thierwelt auch
Gespensterhaft. Ihn faßt ein Schauder an
Gleichwie vor Zerrgebilden, und er findet
In ihrem Blick ein Fremdes, das ihn anglotzt
Mit diabolischer Gewalt.
                                    »Mir ist,« so spricht er,
»Als säh ich hier in lauter todte Larven.
Je mehr mein Auge sich versenken will
In and'rer Creaturen Aug', so mehr
Werd' ich des ungeheuren Abgrunds inne,
Der alle Wesen von einander trennt.
Ja, jedes Angesicht ist eine Larve,
Die immer mehr verbirgt als offenbart.
Sogar das edle Menschenangesicht
Erscheint zuweilen mir mit einem Male
So fremd und seltsam, so gespensterhaft,
Daß ich erschrecke. Oefters meinen wir,
Wenn unser Blick taucht in ein andres Aug',
Wir säh'n bis auf der Seele Grund hinab;
Doch Täuschung ist es nur, und plötzlich wird uns,
Als sollt' uns schwindeln, und als ständen wir
Vor einer Tiefe, nimmer zu ermessen:
Mit Recht, – denn keine Brücke geht von einem
[187] Zum andern Wesen, jedes ist ein Selbst,
Und jedes ruht auf sich und will nur sich,
Und kennt nur sich, versteht nur sich allein!
      Ich seh' die Thierwelt durcheinander krabbeln,
Gewürm und Käferwerk in eklen Massen:
Ich sehe Molche, Kröten, Basilisken,
Ich sehe Drachen, Olme, Scorpione,
Chamäleone, Salamander seh' ich
In scheußlichem Gewimmel mich umkriechen.
Ha, sind das deine schöpfrischen Gedanken,
Natur, unholde Mutter? du erschufst
Ein Reich, wo Eins vor'm Andern sich entsetzt,
Und Eines wüthend sich aufs Andre stürzt!
Du hast erschöpft in deinen Schöpfungen
Vielmehr das Häßliche und Fürchterliche,
Als das Gefällige und Edelschöne.
Ei, sage, hast du mütterlich gehandelt,
An deiner Söhne edelstem, dem Menschen?
Du hast mit einer Schöpfung ihn umzirkt,
Die gegen ihn in ew'gem Grimme wüthet:
Die Elemente kämpfen gegen ihn,
Das wilde Thier fährt grimmig auf ihn los,
Ohnmächt'ge Nattern spritzen Gift auf ihn,
Der Wurm selbst frißt sich tückisch in sein Fleisch.
Nicht anders ist's, als wäre das Geschaffne
Nur da, den Menschen grimmig zu befehden
In einem ewigen Vernichtungskampf!
      Und dort, wo du ein Liebliches versuchst,
Natur, wie arm ist deine Phantasie!
Ein Blümlein hold, ein tonbegabtes Vöglein,
[188] Ein flimmernd' Steinchen und ein bunter Falter –
Nun, das gelingt dir manchmal, doch im Ganzen
Bist du zu kleinlich-maßvoll und zu karg!
Wahrhaftige Verschwendung kennst du nicht,
Machst nicht Gebrauch von deinen reichen Mitteln!
Warum erblicken wir nicht Blumenhäupter,
Wie eine Tonne groß? warum nicht Felsen
Aus Edelstein? warum muß dem Geschöpf,
Weil es das Eine hat, das Andre fehlen?
Warum ist nicht so prächtig wie der Pfau
Die Nachtigall, warum der Adler nicht
So farbenglänzend wie der Colibri?
Und warum ist der Mensch, der hohe Mensch,
Nicht auch geflügelt, wie der ärmste Sperling? …«
      Unmuthig fürder schreitend jetzt betritt
Der Tadler einen Saal – das Heiligthum
Der Isis – Erd' und Himmelsraum im Kleinen.
Hoch in der Decke kreist ein Sternenhimmel,
Indeß des Estrichs Grund, erhöht, vertieft,
Nachbildet all' der Erde Meer und Länder.
      Und in des Raumes Mitte leuchtend steht
Ein Isisbild, verhüllten Angesichts,
Ein riesiges. Der Göttin Brüste schwellen,
In Händen hält die Lilienblume sie
Als Scepter, auf dem Haupte königlich
Trägt sie als Diadem den gier'gen Vogel,
Deß' Name »Geier« ist, und der das Wort
»Genug« nicht kennt.
                              »Natur,« ruft Nero, »Name
Von seltsam unerfaßlicher Bedeutung,
[189] Ziellos erschaffende Zerstörerin!
Warum bedeckst mit einem Schleier du
Dein Angesicht? Das Weib verbirgt ja sonst
Sein Angesicht nur wenn es häßlich ist –
Bist du es auch vielleicht? Bedeckt der Schleier
Die Flecken und die Mängel deines Wesens?«
      So scherzend frevelt er und nähert sich
Dem Bild der Göttin, hebt mit einer Hand
Den Schleier ihr, und hält ihr mit der andern
Die Fackel, einem Sclaven abgenommen,
Vors Angesicht. Da fängt das ganze Bild,
Geformt aus Chryselectron, das die Flamme,
Die sich ihm nähert, gierig an sich reißt,
Sieh, plötzlich fängt es schreckbar an zu glühn,
Und seine Saphiraugen sprühen Blitze
Des wild'sten Zorns, daß Nero fast erschrickt,
Und unwillkürlich sinken läßt den Schleier.
»Ei sieh,« ruft er, »wie spröde sich ein Weib
Benimmt, das Alles eher ist, als Jungfrau!
Wer weiß auch, ob sichs lohnte, vorzudringen
Ins Innerste der irdischen Natur?
Wenn es gelänge, maulwurfartig sich
Hindurchzuwühlen durch die Erde ganz,
Die doch wohl bodenlos nicht ist, so stießen
Vielleicht wir unter ihr auf ganz dieselbe
Unendlichkeit, die leere, wesenlose,
Die hier sich über unserm Haupte wölbt!
      Was hat sie uns zu bieten, diese blaue
Unendlichkeit
? – Ich will zu ihr mich wenden,
Und meine grauen Astrologen fragen,
[190] Ob sie mir etwas dort erbeuten können,
Was dieses Abends üble Laune bannt!« –
      Und er betritt die höchste Warte seines
Palastes, wo die Sternenschauer wachen.
's ist Mitternacht. Die goldnen Sterne glänzen
Im dunklen Haupt der Nacht wie tausend lichte
Gedanken. Unverwandten Blickes schau'n
Ins Aetherblau, wo eine Welt von Welten
Sich aufthut, ernste silberbärtge Späher.
Und Nero spricht zu ihnen: »Sagt mir an,
Ihr Immerwachen, was gewährt euch denn
Die schnöde kalte Sternwelt zum Ersatz
Für Schlafes Süßigkeit, drauf ihr verzichtet?«
      Der Sternenseher greisester erwiedert:
»Da oben, siehe, Herr! da geh'n allnächtlich
Die lieblichen Sternbilder ihre Bahnen
In ew'ger Schöne, ew'ger Majestät:
Da segelt stolz der Schwan im blauen Aether,
Die Lyra tönt von Sphärenharmonie'n,
Die Sternsaat des Arctur im Norden schimmert,
Von einem Himmelsrand zum andern wirft
Den Stralenpfeil Orion, Hercules
Bedräut mit seiner Sternenkeule siegreich
Die finstern Nachtgewalten. Sieh, so schließt sich
Lebendig über uns ein Lichtreich auf,
Wo uns're Geister wandern. Und die trauten
Sternbilder, siehe, lieben uns – sie sind
Mit uns vertraut und künden uns die Zukunft!«
      »Sternbilder!« lächelt Nero; »weil ihr nichts
Von jenen öden Räumen wißt, beschickt
[191] Sie eure Phantasie mit Colonie'n
Von ihren eignen Ausgeburten. Nein!
Der Himmel ist ein Abgrund, kalt und todt,
Und seine Sterne wissen nichts von uns! –
      Wenn aus Planetenwandel ihr die Zukunft
Zu deuten wißt, du Alter, sag' mir an,
Wann ist dir selbst bestimmt des Lebens Ziel?« –
      Es stellt das Horoskop der Astrolog
Und spricht zuletzt: » Nur einen Tag, o Herr,
Vollendet mein Geschick sich vor dem deinen!
« –
      »Wie?« donnert Nero, »greiser Bösewicht,
Du wagst's, den altersschwachen Daseinsrest,
Der dir gegönnt noch ist, frech anzuknüpfen
An's junge, göttlich-hohe Lebensloos
Des Nero-Dionysos? Stirb noch heut,
Und dies dein Todesurtheil, das ich spreche.
Bezeuge dir, wie der Verkündigung,
Die du mir gabst, ich spotte!«
                                               Zitternd fährt
Der schwache Greis vor Nero's Zorngeberde
Zurück, und schwankt, und stürzt vom Rand der Warte
Hinunter und zerschmettert sich das Haupt …
      »Ei seht den Alten, wie er um den Lohn
Betrügt den Henker!« ruft mit frevlem Spotte
Der Wüthrich.
                       Niedersteigt er von der Warte,
Und neuer Hallen Raum betritt er jetzt.
Es thut ein Riesensaal vor ihm sich auf
Hier hat er alldurchforschend-wißbegierig
Gehäuft einst tausendfach aus aller Welt
[192] Vergangner Alter bunten Ueberrest-
»Anwidert mich,« ruft Nero, »die Natur –
Kann Menschendaseinsspur mich noch ergötzen?
      Da, siehe, liegt der Ring des glücklichen
Polykrates, der vielberühmte; da
Ein Ueberbleibsel von dem Lehm, daraus
Prometheus Menschen formte, hier ein Splitter
Vom Baum in Aulis, drauf die Schlange saß,
Die, vorbedeutend, daß zehn Jahre lang
Noch Troja stehen sollt', neun Sperlingsjunge
Zusammt der Mutter fraß. Hier ist die Geißel,
Mit welcher König Xerxes einst das Meer,
Das widerspenst'ge, peitschen ließ. Hier ist
Ein Stück vom Pflug des Triptolem, und hier
»Vom Schild des Hercules ein Nabelstück.
Hier ist der Becher, draus sich Alexander
Bei lust'gem Schmause pflegte zu bezechen,
Und hier der Becher, draus den Schierlingssaft
Der weise Socrates im Kerker trank.
Hier ist die Lanze des Miltiades
Und hier das Schwert des Thermopylenkämpfers
Leonidas. Ein Balken hier vom Schiffe,
Das den Aeneas trug nach Latium,
Und hier ein Zahn aus dem Gebiß der Wölfin,
Die ein bekanntes Brüderpaar gesäugt.
      Mit Lächeln auf den Wust der Seltenheiten
Blickt Nero und beginnt: »Wie konnt' ich nur
Erfreu'n mich je an solchem bunten Trödel?
In grünsten Jugendtagen häuft' ich ihn,
Wo ich, mit unerfahrner Seele noch
[193] Ins Weite schweifend, rings um mich das All
Versammeln wollte, weil der Sinn mir noch
Nicht aufgegangen war für jene bess're,
Für jene innere Unendlichkeit,
Die auf das Wollen, auf das Ich sich gründet.
Was sollen diese kargen Splitter mir,
Die schwimmen auf der trüben Oberfläche
Des Zeitenstroms? Was soll mir die Geschichte
Der kleinen Menschenwelt? – Was ist Geschichte?
Geschichte ist die Schattenbildersammlung
Der Wolken vom verfloss'nen Jahr; Geschichte
Ist Protokoll des Flugs der Vögel, die
Uns weggeflogen überm Haupte sind;
Geschichte ist Geburts- und Sterbechronik
Der Falter und der Blumen, die zusammen
Verbuhlten einen kurzen Sommertag,
Und jetzo dünn und breit gequetscht sind zwischen
Den Riesenbücherrollen jener Chronik.
Geschichte ist die tröstliche Gewißheit,
Daß irgendwelcher längstvergessne Mann
Nicht Cajus hieß, nein, Lucius. Geschichte
Ist das Register aller der Muränen
Und der Fasane, die wir aufgezehrt
Und längst verdaut; sie ist das Inventar
Der Haar' und Nägel, die die Menschheit sich
Vom Haupt und von den Fingern weggestutzt!« –
Er sprichts, und faßt halb lachend und halb grimmig
Den Wust der aufgehäuften Seltsamkeiten
Und schleudert ihn durchs Fenster tief hinab.
      Und eine letzte Halle nimmt ihn auf:
[194] Die prunkvoll-stolzeste der Riesenhallen,
Wo aller Zeiten hehrste Kunstgebilde
Vereinigt sind, Urschöpfung oder Nachbild.
In Stein und Farbe glänzen die Gedanken
Des Phidias und des Apelles hier,
Und ihnen schließt in Rollen, rings gereiht,
Sich an, was edle Dichterphantasie
In süßen und erhabnen Tönen sang.
      Oft labte, oft entflammte wonneschauernd
Der Jüngling Nero noch die bess're Seele
An solcher Schöne reinem Wunderflor –
Versuchend selbst in Klängen nachzustammeln
Am Schönheitspsalter manche Melodie.
      Nun aber steht er wie vor Schaugerichten,
Vor kalten, todten, die zur Seele nicht
Mehr sprechen, weil sie selber leer und todt ist …
      »O marmorglatte, marmorkalte Welt
Des Scheins (so ruft er), leeres Formenwesen!
Wir haben längst uns übersatt gesehn
An dieser reinen Schöne der Hellenen!
Dies Linienspiel thut meinem Auge weh
Mit seiner Zierlichkeit und seiner Weichheit;
Ich sehne mich nach Fratzen, Zerrgebilden –
Mein Sinn ist nicht mehr schlicht, nicht mehr harmonisch
Genug gestimmt, sich kindlich noch zu freu'n
An dieser stillen sanften Harmonie,
Die schön, doch regungslos ist wie die Fläche
Des unbewegten Sees. Ich fordre Leben,
Verzückung, Wonnerausch und Schmerzenskrampf!
      Fort mit den Schemen, den veralteten,
[195] Armsel'ger Steineklopfer, Farbenkleckser,
Fort mit den Rollen auch der Dichterlinge,
Die nun schon ein Jahrtausend lang das Heu
Verwelkter Redeblumen wiederkäu'n!« –
Er sprichts und stürzt von ihren Postamenten
Die Meisterstücke reinster Griechenkunst
Und heißt die Bücherrollen, aufgestapelt
In langen Reih'n, den Flammen übergeben. –
      Und so nun hat das Ungethüm, das grause,
Das heimlich aus dem Hades kam herauf,
Und, unverschüchtert hin vor Nero tretend,
Ihn angehaucht mit seines Mundes Hauch –
Es hat zuletzt den Rachen immer weiter
Und weiter aufgethan und allgemach
Des Nero ganzes goldnes Haus verschlungen
Des Nero ganze reiche Welt im Kleinen
Mit allen ihren bunten Herrlichkeiten. –
Nichts ist mehr sein, nichts kann ihn mehr erfreu'n,
Und arm nun wie ein Bettler steht er da.
      »Die Sinnenwelt (ruft Nero) hat nichts mehr,
Was mich zerstreuen, was mich fesseln könnte.
Ruft mir den Seneca, der weiß vielleicht
Mich einmal noch, wie einst, mit wunderlichen
Lehrsätzen und Sophismen zu ergötzen.
Ruft ihn, ob er bei seinen Bücherrollen
Die Mitternacht durchwacht, ob er beim späten
Gelag noch bechert, denn er ist ergraut
Im einen wie im andern Thun als Meister!« –
      Herbei beschieden wird der Philosoph
Und tritt gehorsam vor des Herrn Gesicht,
[196] Der ihm entgegen ruft: »He da, mein wackrer
Annäus, deute mir, wie's kommen mochte,
Daß, was mich sonst ergötzt, mir schal geworden,
Daß selbst mein goldnes Haus mit allen seinen
Erles'nen Schätzen mir zum Ekel ward?
Ich habe mir die Welt in Gold verwandelt,
Wie Midas: hab' ich etwa thöricht so
Das Leben selbst und seine Freuden all'
Verwandelt mir zu goldnen Schaugerichten,
Um hungernd dran den Zahn mir auszubrechen?«
      Der weise Seneca versetzt: »Warum
Wolltst du genießen als ein Schrankenloses,
Was eben nur in der Beschränkung reizt?
Was heischtest du für deine Sinne das,
Was nur die Phantasie umfassen kann?
Was schöpfst du aus dem Meere mit der Hand
Und wunderst dich, daß du nicht mehr daraus
Vermagst zu schöpfen als – die Handvoll eben?« –
      »Du nennst das Uebel, nenne die Arznei!" –
      »Stell' wieder her die alte Republik,
Stell' her das alte große Römerthum
Und sei ein Mann, wie Numa und wie Brutus,
Wie Fabius und wie Publicola:
Schlag heut den Feind wie Scipio, und morgen
Begib dich auf ein ländlich Gut und wandle
Dort hinterm Pfluge her wie Cincinnatus!« –
      »Natürlich zur Verdauung! Ei, ausstopfen
Soll ich den leeren Balg des alten Roms,
Den es wie eine Schlange abgeworfen,
Ihm meinen Hauch einblasen und ihn dann
[197] Lebendig laufen lassen? Ich soll mich
Als Schaufigur des alten Römerthums
Maskiren, daß die nordischen Barbaren,
Sobald sie kommen, gaffend mich bewundern,
Und am ehrwürd'gen, weißen Bart mich zupfen?
Nein – nimmer werd' ich eine todte Puppe!
      Laß einen Pätus wandern als Gespenst
Der Vorzeit durch die helle Gegenwart;
Ich aber will das Blut; das meine Zeit
Mir in die Adern goß, so wie bisher
Als Lebender in mir verbrausen lassen!
Zu Numa's Zeit wär' ich vielleicht ein Numa
Geworden und zu Brutus Zeit ein Brutus,
Zu meiner Zeit mußt' ich ein Nero werden.
Denn keine Größe kann gedeihn, die nicht
Die Wurzel hat im Herzen ihrer Zeit.
Das lehrst am besten du mich, alter Freund!
Zu Catos Zeit wärst du ein Cato worden:
Doch da du's werden wollt'st zu Nero's Zeit,
So trägst in dir du zwei verschiedne Seelen
Und wandelst hin als traurig Zwitterding!
Du donnerst gegen schnöde Weichlichkeit
Von seidnen Kissen, predigst Mäßigkeit
Mit lallend schwerer Zunge beim Gelag.
Bei meinen Freudenfesten hast du nie
Verfehlt als Mitgeladner mitzuzechen.« –
      »Ich mußte mich in deine Launen fügen,
Und wollte nicht von deiner Seite weichen;
Ich fügte mich in Schlimmes, um das Schlimm're
Noch fern zu halten, wenn es möglich war.« –
[198]       »Sophist! zu thun, was inn're Triebe fordern,
Ist nichts so leicht gefunden als – ein Grund.
Gesteh', es war kein Opfer – mit Beruf
Und mit Behagen sah ich stets dich zechen!
Genußsucht hat in dieser argen Zeit
Die Herzen angesteckt wie eine Seuche,
Und gegen eine Seuche, das ist sicher,
Hilft kein Philosophem!« –
      »Wohl bin ich Mensch, doch streb' ich nach dem Rechten,
Und Weisheit, Wahrheit ist mein höchstes Ziel.
Mein ganzes Leben, scheint es auch zersplittert,
Ist doch zuvörderst ihrem Dienst geweiht.« –
      »Ja, selbst bei Becherklang philosophirst du: –
Doch welche Weisheit hast du ausgeforscht?
Hast du vielleicht entdeckt, daß Feuer brennt
Und Wasser flüssig ist? Ist eine Wahrheit,
Dir klar geworden, die nicht auch ein And'rer
Gewußt hat, ohne zu philosophiren?« –
      »Gewußt, doch nicht begriffen – sieh, ich lernte
Begreifen, was die Andern bloß gewußt.
Warst du es nicht, der dies Verständniß mir
In tausend Dingen abgelauscht, und der
An meinen Lippen einst begierig hing?« –
      »O dies Versteh'n! – Seit ich die Welt verstehe,
Erscheint sie mir so leer, so schal: du mahnst
Mich sehr zur Unzeit eben an den Urquell,
Aus dem geflossen ist mein Ueberdruß.
O, selig sind die nichts Verstehenden,
Nichts Wissenden! Ich sehne mich nach Träumen,
Nach Dämm'rung, lieblicher Unwissenheit –
[199] Dies grelle Licht des Wissens blendet mich!
Ich fluche dieser klaren Afterweisheit,
Und deiner selbst auch, dem ich sie verdanke!
Sie bringt mich um die beste Lebenslust.
Annäus, wiß' es, ich bin unzufrieden
Mit dir, ich bin es satt, dir zu begegnen!

Zum Glück bist du ein großer Stoiker,
Und fürchtest nicht den Tod – ich denke selbst,
Daß nur erwünscht dir meine Weisung kommt,
Wenn ich dich ernstlich bitte, zu verschwinden
Aus dieser Welt, die Aergerniß dir gibt!
Wie wär's, wenn du's versuchtest, dir die Adern
Zu öffnen?
diese Todesart ist jetzt
In Rom gebräuchlich, und, wie man versichert,
Die sanfteste von allen. – Fahre wohl!
Vom innern Zwiespalt, drein der Stoicismus
Dich stürzt mit deiner alten Sympathie
Für glänzendes Metall und volle Becher,
Befreie dich der Tod – wir müssen Alle
So oder so zuletzt uns helfen – sieh,
Wer weiß, wie ich mir selbst noch helfen muß?« –
      Hinwegschwankt Seneca, das Todesurtheil
Tief in der Seele, wissend wohl, daß Nero
Nie eins zurücknahm, das er sprach! –
      »Wohl,« fährt in sich versunken Nero fort,
»Wohl half ich Grund zu fluchen dir, du schnödes
Verstandeslicht, das mir die Welt entzaubert,
Und des Genießens beste Würze raubt.
Nicht ohne Grund wohl sucht und liebt die Lust
Die Dämm'rung – sie verträgt kein helles Licht.
[200] Was nützt Erkenntniß, wenn sie am Erkannten
Die Freude mir verdirbt?
Was hilft Unendlichkeit,
Wenn mir das Endliche darin zerrinnt?
So lang man lebt mit menschlichen Organen,
Wär's doch die beste der Unendlichkeiten,
Das Endliche unendlich zu genießen!
Das eben nun versagt das Schicksal mir.
Es langweilt schier mich meine Göttlichkeit,
Und meine Allmacht, und mein Geisteslicht.
Ich sehne mich nach myst'scher Dämmerung;
Ich möchte gern vor etwas schaudern. – Ha,
Das einz'ge Wesen, dessen Anblick mich
Erschüttern und vor dem ich schaudern könnte,
Wär' Agrippina nur – und diese hält
Der Hades fest! – –
                  Doch geht nicht von Beschwörern
Die Sage, die des Nachts mit Zaubersprüchen
Und Weiheguß aus ihren Gräbern locken
Die Todten? An des Hades Pforte klopfen
Das möcht' ich, ja! Die Erd' und den Olymp,
Sie hab' ich durchgekostet – gerne möcht' ichs
Nun auch mit Pluto's Reiche noch versuchen,
Wohin ich Agrippina zürnend stieß! –
Ha, denk ich deines Namens – Mutter, Mutter,
Da mein' ich oft, ich müsse dich noch einmal
Der Unterwelt entreißen, um noch einmal
Die Rachethat an dir zu thun, noch einmal
Dich zu ertränken in der Meeresflut: –
Dann wieder – Augenblicke kommen, wo
[201] Mir plötzlich ist, als sollt' ich Veilchen dir
Und Rosen streu'n auf die krystall'ne Gruft,
So weit sie blaut, die grausam dich verschlang,
Und deines Odems stolzen Hauch erstickt,
Du einzig Weib, vor dem sich Nero beugte!« –
      Der Blick des Sinnenden sucht vom Gemach
Den Ausblick in die Weite. Der Krystall
Des Fensters läßt den goldnen Vollmond still
Vorüberwandelnd schau'n. Was hebt sich dort
In Lunas weißem Licht vom Marmorglanz
Der Säulenhalle dunkelschattend ab?
s' ist eine menschliche Gestalt, die noch
In einsam stiller Mitternacht, wie sinnend,
Gelehnt an eine blanke Säule ruht.
Nun hebt sich, sieh, das silbergraue Haupt
Und blickt hinauf zu Nero; schaurig spiegelt
Der Mondstral sich in großen tiefen Augen –
Es ist der greise, todverachtende
Titan, der aus dem Blut- und Flammenmeer
Des Circus lebend stieg. –
                                    »Den Greis dort führe
Zu mir empor!«
                        Der rasche Sclav' enteilt.
      Ein flüchtiger Moment verrinnt und Nero
Sieht wieder sich dem Düstren gegenüber,
In dessen Aug' kein Sterblicher, als er,
Mit Ruhe blickt.
                       »Du hast mich einmal schon
(So spricht er) mit verweg'ner Redekunst
Und einem kleinen Zauberstück ergötzt.
[202] Willst du noch einmal mir zu Willen sein?
Verstehst du dich vielleicht ein wenig auch
Auf Nekromantik? Sieh, es lüstet mich
Zu schaudern, und die Erde hat nichts mehr,
Wovor ich schaudern könnte; nur der Hades
Umschließt ein Weib, deß' Anblick mich noch einmal
Aufrütteln könnt' im Tiefsten meiner Seele –
Ich will's! – die dumpfe Ruh' langweilt unsäglich!
Dies Weib ist Agrippina. Kannst du sie
Heraufbeschwören aus dem dunklen Reich?«
      Der Greis erwiedert: »Nicht vergebens kam ich.
Seit wen'gen Tagen lebt in Romas Mauern
Ein Magus aus Aegypten, hochberühmt.
Er nennt sich Apollonius von Thana:
Der ruft dir jedes Schattenbild herauf
Vom Orcus, das dein Herz ersehnt.« –
                                                       »Wohlan!
Führ' mich an seine Schwelle! diese Nacht noch
Will ich's erproben!
bist du wohl bereit?«
» Ich bin es, folge mir!« – – –
      Im mitternächtlich einsamen Gemach,
Dem hochgewölbt-gruftartig-fensterlosen,
Das keinen Blick hat für die Außenwelt,
Nein, ganz in sich gekehrt ist wie das Aug'
Des tief Entschlummerten – da brütend sitzt
Der Nekromant beim Schein der Naphthalampen,
Die einen düster-fahlen Schimmer werfen
Auf seltsam-schauerlich Geräth. Es glotzen
Aegypt'sche Götterbilder von den Wänden
In thierisch-menschlicher Gestalt: Bubastis
[203] Und Horus, Typhon, Isis und Osiris.
Dazwischen schlingen Zaubercharaktere
Sich an den Wänden hin wie kriechendes
Gewürm. Auf ragenden Gestellen gleißen
Metall'ne Spiegel, Urnen voll von Asche
Und Todtenbeinen – andere Behälter,
Von Zauberkräutern voll. Da, siehe, steht
Ein menschliches Geripp' und drüber hängt
Ein todter Rabe; hier liegt hingestreckt
Ein ausgestopftes Krokodil; hier Köpfe
Von Hunden und vom Sperber und vom Ibis.
Da starrt ein todter Luchs und eine todte
Hyäne mit verglasten Augen. Athmet
Kein Leben unter all' dem Moder? Doch –
Da, siehe, knurrt ein schwarzer Hund zu Füßen
Des Magiers: unheimlich wie vom Hund
Der Hecate ein Zwillingsbruder; hier
Wälzt eine lange, gelbe Schlange sich
In glatten Windungen durch das Gemach,
Mit rothen Augen gräßlich funkelnd; dort
Im Winkel kauert eine riesige
Giftkröte mit weit vorgequoll'nen Augen
Und offnem Schlund, in den, vom schnöden Odem
Des Scheusals wie betäubt, die Mäuse laufen.
      Der Nekromant sitzt tief in sich versunken.
Vom alten Todtenlande kam er her,
Vom uralt-heil'gen Todtenland Aegypten,
Deß' Glanz nun untergeht. Im üpp'gen Rom,
Wo Lebenslust in wilder Woge schäumt,
Da steht der dunkle Wanderer vom Nil
[204] Gleichwie ein Todesbote. Dunkelglutend
Aufblitzt im Auge dieses Magiers
Das myst'sche Licht des Orients, das immer
In mattgedämpftem Stral nur Bahn sich bricht
Ins Abendland, ins kalte, nüchterne.
Doch schon auf leisen Sohlen naht die Zeit,
(Das Aug' versprichts, das glüh'nde, dieses Mannes)
Wo einen vollern Strom von seinem Licht
Siegreich das Morgenland aussenden wird,
Die ganze Völkerwelt des Occidents
Versammeln wird zu einem neuen Cult.
Weltumgestaltende Gedanken glühn
Auf braunen, schwarzumlockten Denkerstirnen
Am lybischen Gestad' und in Judäa.
Als Thaumaturgen und Theurgen gehn,
Vorboten einer neuen Zeit, die Männer
Vom Nil und von Chaldäa durch die Welt.
Und jene myst'sche Denkerglut, sie ruht
Auch auf der Stirn des Apollonius:
Nach Rom gewandert kam er und vernahm
Hohnlächelnd, wie sich Nero brüstete
Mit Allmacht – ha, vermag der auch die Geister
Zu zwingen und die Hölle? Nimmermehr!
Doch Apollonius vermag's. Ihm ist genaht
Zu wiederholten Malen schon ein düst'rer,
Geheimnißvoller Greis, der ihn ermuntert,
Mit aller Zauberkraft sich auszurüsten
Zu einem großen Geister-Zauberwerk –
Denn einen Nero gelt' es zu beschämen …
      Wie Apollonius nun aus tiefem Sinnen
[205] Sein Haupt erhebt, da, siehe, steht vor ihm
Derselbe düstre wundersame Greis;
Es wechseln nur ein flüchtig Wort die Beiden
Geheimnißvoll – dann führt der Alte schweigend
Den Herrscher Roms in's dämmrige Gemach
Des Nekromanten.
                              Nero spricht: »Bist Du's,
Dem zaub'rische Gewalt gegeben ist,
Und der heraus vom Hades zwingt die Todten?« –
»Nicht bloß die Todten zwing' ich, Imperator!
Dämonen auch gehorchen meinem Wink
Nach den Gesetzen orphischer Magie –
Und selbst die hohen Götter zwingt mein Wille,
Denn echter Wille ist Magie, ist Allmacht!« –
      » So denk' auch ich! – Doch willst Du mir beweisen,
Daß Deine Willensmacht die Macht des Nero,
Noch überragt durch mystisch-dunkle Kunst,
So schließe mir des Orcus Pforten auf
Und bringe mir vor Augen Agrippina!
«
      Der Zaub'rer spricht: »Ich bin's, der es vermag!«
Und er versenkt den dunklen Blick zuerst
Tief in geheime Zeichen, myst'sche Rollen,
In Hieroglyphentafeln,–zu erspäh'n
Den günst'gen Augenblick. Dann wirft er Rauchwerk
In glüh'nde Pfannen, d'raus in lichten Qualmen
Berauschendes Gedüft emporwallt; seltsam-
Gestaltet ragen auf grotesken Säulen
Die Lampen, die durch's weiße Rauchgewölk
In dunkelrothem Scheine düster brennen.
Dann vom Gestell herab holt Zauberkräuter
[206] Der Nekromant, vollsaftige, gepflückt
Am Pontus und am Nil mit eh'rner Sichel
In Mitternächten: weißen Asphodil,
Osiriskraut, Verben' und Aconit.
      Inzwischen sieht, halb spöttisch lächelnd, Nero
In dem Gemach sich um; sein Auge fällt
In einen blinkenden metall'nen Spiegel:
Da sieht ihm grau'nhaft grinsend plötzlich über
Die Schulter ein Gesicht, noch spöttischer
Als sein's – er prallt zurück, in Eile stürzt,
Und wie ergrimmt, der Nekromant herbei,
Und deckt mit einem Tuch die Spiegelfläche.
Dann hebt er einen Stein des Bodens aus
Und schlachtet über der entblößten Stelle
Den Mächten des Avern ein schwarzes Lamm,
Und läßt, geheime Zaubersprüche murmelnd,
Den frischen Blutstrom in die Erde rinnen.
Es schleicht der Hund heran, die warme Feuchte
Zu lecken, doch der Zaub'rer stößt zurück ihn,
Daß er sich heulend in den Winkel schmiegt.
      Der Blutdampf steigt empor. Auffängt vom Blute
Ein Weniges der Magier in der Schale,
Und drei gemess'ne Tropfen läßt er fallen
In einen Kelch voll schäumend duftgen Tranks,
Den er dem Nero reicht, um d'ran zu nippen.
Vom Reste sprengt er hierhin, dorthin, murmelnd
Das Blut des Lamms in Tropfen aus der Schale –
Und sieh', wohin solch rother Tropfen thaut,
Erwacht bei jener Pfannen brodelndem
Gequalm und beim unheimlichen Geflacker
[207] Der Lampen und bei fremder Töne Klang,
Die wie aus weiter Ferne schaurig weh'n,
Mit einem Mal ein seltsam Leben: Todtes
Regt sich gespensterhaft:
Des todten Luchses Augen und der todten
Hyäne fangen plötzlich an zu funkeln
Und ihre Nasenlöcher dehnen sich
Wie lüstern, um den Blutdampf einzusaugen.
Der Rabe, hängend über dem Skelett,
Hebt mit den Flügeln mälig an zu schlagen,
Und hackt den Schnabel ein in's Knochenwerk,
Das dürre, das mit Fleisch sich zu bekleiden
Und leis' in Schmerzen aufzuächzen scheint.
Das Krokodil sperrt seinen Rachen auf
Und eine feu'rgeschwänzte Ratte läuft
Daraus hervor, mit einem Flatterschwarm
Von Eulen und von Fledermäusen, die
Sich wispernd, schwirrend rings umher verbreiten.
      Noch wandelt durchs Gemach der Nekromant,
Sprengt hierhin, dorthin Tropfen von der Schale.
Da fällt ein Tropfen gegen seinen Willen
In eine jener eh'rnen Zauberurnen,
D'rin Todtenbein und Todtenasche liegt.
Aufzischen aus der grauen Asche Flämmchen,
Und d'raus empor, sieh', taucht ein bleiches Haupt,
Ein todtenbleiches, unbekanntes Haupt
Mit festgeschlossnen Augen: zitternd stürzt
Und unmuthglühend rasch der Nekromant
Herbei und drückt zurück mit eh'rnem Deckel
Die Grau'nerscheinung in den Aschenkrug.
[208]       Nun regen ihr Gefieder auch die Sperber
Und flattern im Gemache hin und her;
Doch über ihr Gekrächz ergrimmt die Kröte,
Ergrimmt das Krokodil, die gelbe Schlange,
Bald durcheinander schnaubts und schwirrt und schnappt,
Es geht ein Sausen durch die Luft, dazwischen
Klingts wie Geächz und Weinen, wie der Scylla
Gebell, wie Meergeräusch und Sturmgebraus –
Der schwarze Hund mischt in der Thiere Streit
Sich wüthend ein, die Schlange zischt und schäumt,
Die Kröte spritzt um sich mit schwarzem Gift:
Der Magier sammelt unter Zaubersprüchen
Den weißen Schaum von dem Gebiß des Hundes,
Der Schlange Geifer und der Kröte Gift
Und mischt's am Boden in die rauchende
Blutlache, d'rein er auch die Zauberkräuter
Geworfen hat –
                      Hei, toller stets und toller
Braust die gespenst'ge Meute durcheinander.
Nero erblaßt entsetzt und will der Schlange,
Der feueräugigen, die nach ihm züngelt,
Den Kopf zertreten; da geht wilder noch
Durch's Haus ein Brausen und ein Todesächzen.
Die Erde bebt. Gespenster grinsen tanzend,
Und Memphis' Götter mischen in den schnöden
Gestaltungen mit Hund- und Vögelköpfen
Von dem Gestell herab sich in den Reigen.
      Nun aber in den zaubertollen Wirbel
Des grausen, wildentfesselten Gezüchts
Ruft plötzlich ernst und klar der Nekromant
[209] Gebiet'risch ein geheimnißvolles Wort –
Da schwindet, sieh', im Nu das stygische
Gesindel allzusammt, das Zauberwesen
Verhallt, verflattert; süßer Veilchenduft
Verbreitet sich, ein lichter Purpurschein
Durchquillt den Raum, und aus dem weißen Rauch
Vom Hintergrund der hohen Halle her
Naht plötzlich, sieh, mit Zügen, bleich doch süß,
Von Purpurschein umflossen, hold umkränzt
Von Lilien und Asphodil,
Geschloss'nen Auges schwebend Agrippina – –
      Ja, das ist Agrippina, wie sie reizvoll
Im Reigen der Lebendigen geschwebt –
Nur zarter ist ihr Leib, ätherischer,
Aus Mondesduft und Rosenglanz gewoben,
Verjüngten Reizes, wie sie wohl als Jungfrau
In zartem Alter blühen mochte – still
Hinschwebt sie wie ein süßer Traumgedanke,
So sinnbestrickend, lieblich, hold – nur bleich. –
      Und bei dem Anblick geht durch's Herz des Nero
Ein wild Gemisch von Lust und Schauder – siegend
Durch alten Groll und neues Grauen bricht
Hervor ein unermeßlich tiefes Sehnen
Aus seiner Brust, und durch den wüsten Abgrund
Im Busen dieses Uebermenschen zuckt
Zum ersten, letzten Mal der Stral der Liebe
Mit ihrer ganzen vollen Himmelslust,
Mit ihrem ungeheuren Todesschmerz.
Kein Wort ermißt das Unbeschreibliche,
Das sich vollzieht in diesem Augenblick
[210] Ja Nero's Herz – er will die Hohe fassen
Bei ihrer Liljenhand – doch sie gehört
Dem Hades an und zwischen ihn und sie
Wälzt Zeit und Ewigkeit und Schicksal sich
Wie ein unendliches Gewölk
– sie weicht zurück,
Verschwebt, zerfließt gemach im Hintergrund.
      Doch Nero starrt noch immer auf die Stelle.
Und wieder sieht er Agrippina, – doch
Er sieht kein Blendwerk mehr, er sieht sie anders,
Als sie der Nekromant ihm zeigen will:
Er sieht sie, wie beim Bacchanal sie ihm
Erschien als Roma, nur unsäglich ernst,
Mit Mienen, trauervoll, mit welken Kränzen,
Die wirr, zerrissen niederhängen – dann –
Wie ihm das Bild auf's Neue näher schwebt,
Verwandelt sich's ihm wechselnd allgemach
In jene königliche Agrippina,
Die todeskalt in Gold- und Purpurzier
Das Meer an seine Schwelle warf, und die
Wie eine sturmgebroch'ne Lilje lag
In seinem Atrium. So schwebt sie langsam
An ihm vorüber, schlägt die Augen auf,
Und blickt ihn an mit grassem, todtem Blick,
Der ihn entsetzt. Er sieht sie wieder nur
Als Muttermörder – Grausen faßt ihn, Schweiß
Tritt auf die Stirn ihm, und mit Augen, weit
Hervorgequollen, blickt er auf das Schreckbild
Der eig'nen Phantasie, das schauerlicher,
Als alles Zauberwerk des Nekromanten
Ihn foltert. Doch – ist Agrippina nicht
[211] Allein? Ha, sieh! wer ist's denn wohl
Der hinter ihr am tief verstörten Antlitz
Des Nero still vorüberschwebt? Es ist
Der Schatten des Britannicus: die Flecken
An seinem nackten Leib, wie sie das Gift
Hervorgetrieben, sieh, sind überstrichen
Mit weißem Gips – so that es Tigellin,
Daß nicht Verräther sie des Gifttranks würden
Am Leichnam des von ihm Gemordeten. –
Und da – da, siehe, schwebt ein bleiches Paar
Von Jungfrau'n still vorüber, schlummerfest-
Geschloss'nen Aug's – o wie verschieden ganz
An Mienen und Gestalt: Actäa hier,
Die frische Mädchenblüte, in den Schlamm
Gestampft vom Tanzschritt der Bacchanten – dort
Die ernste Christenjungfrau, sie, die Hehre,
Die Nero noch dem wilden Todesrachen
Entreißen wollt' zu lüstern-frevlem Spiel.
Und, ha, wer ist der Schwarze dort, die schnöde,
Hohngrinsende Gestalt im Leichentuch,
Mit einer Viper um den Arm? Und wer
Ist die Silensgestalt, die aufgeduns'ne,
Die sich von einer der ägyptischen
Gottheiten borgt die wunderlichste Larve, –
Und d'rin mit tollen Sprüngen grimassirt?
Und wer sind all' die andern Schreckgebilde,
Die aus dem Grund der Erde mälig wachsen,
Und grinsend vor den bleichen Nero treten?
      's ist eine ganze Geistercaravane:
Es schlingt um ihn sich her der Schwebereigen,
[212] Und das Gemach erweitert endlos sich
Zum Wüstenplan um ihn, d'raus er die Städte
Hinweggebrannt, die Völker weggetilgt –
Und die Gespenster des Gewesenen
Umkreisen ihn – der Schauder schüttelt ihn;
Nicht grausenvoller, nicht vernichteter
Stand in dem Kreis der Furien Orest,
Die ihn umdrängten mit den Flammenaugen,
Die ihn zerfleischten mit den Schlangengeißeln,
Als jetzt in diesem Reigen Nero steht …
      »Ha,« ruft er, während sich die Haare sträuben
Auf seinem Haupt – »schickt der Avernus denn
Mir alle seine Todten jetzt herauf?
Was schlingst du, Schauder, Riesenschlange, mir
Die Kettenglieder um den Leib und schnürst
Die Brust zermalmend mir zusammen? Ha!
In meinem Innersten bäumt etwas noch
Sich gegen dich mit letzten Kräften auf!
Doch die Natur versagt den Kampf. So brich
Zusammen, Sohn des Staub's, armsel'ger Leib!« –
      Und das Entsetzen, gleich als wollt' es sich
Erbarmen seines Opfers, faßt ihn an
Und wirft ihn hin. Er stürzt, sein Aug' erlischt,
Wohlthätige Besinnungslosigkeit
Umfängt ihn.
                     Ueber den Gebroch'nen beugt
Der düst're Greis sich, wie ein Rachedämon
Sich über todeswunde Opfer beugt.
Zum Nekromanten ernst gewendet spricht er:
»Die ewige Natur, sie hat gesiegt:
[213] Die kühnsten Geister, die aus ihrem Centrum
Hinausgestürzt, sie hascht sie wieder auf
Mit einer Angel, wenn die Bande all'
Gerissen sind, und diese Angel ist
Das Grau'n. Des Grau'ns kann keine Seele sich
Entschlagen – auch des Nero Seele nicht!
Er ist gebrochen, ist gebeugt, beschämt,
Wenn auch auf Augenblicke nur; – laß' ihn
Das Haupt auch immer wieder stolz erheben:
Viel tiefer trägt in sich, als sie es meint,
Den Wurm die stolze Zeder, den ich ihr
In's Mark gepflanzt – langsam doch sicher geht
Das ewige Verhängniß seinen Gang.
Der Menschensohn, der schicksallos sich glaubt,
Ihn blickt der Genius der Menschheit schon
Mitleid'gen Auges an und sieht die Stunde
Beflügelt nah'n, die sein Geschick erfüllt.«

[214] [215]


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