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Dem in den vorangehenden Blättern erzählten Straffall ähnelt der folgende in seinen prozessualen Anfangsstadien sehr. Auch hier wurde trotz Mangels eines objektiven Tatbestands Anklage wegen Mordes erhoben, auch hier erwies sich das Geständnis der Angeschuldigten (gleichfalls einer verheirateten Frau, die bereits früher geboren hatte) als wert- und haltlos. Alles dies dürfte die gemeinsame Erörterung beider Fälle rechtfertigen. Daß der folgende Strafprozeß viel rascher und kürzer verlief, hat die Angeschuldigte wohl nur dem Umstande zu verdanken, daß hier Anzeige unmittelbar nach der mutmaßlichen Tat erstattet wurde, so daß sichere Feststellungen alsbald erfolgen konnten.
Die am 26. Februar 1885 ehelich geborene unverehelichte Bertha O., evangelisch, stand seit Jahren bei einem Mühlenbesitzer in einem Dorfe Ostpreußens in Diensten. Sie war ein beschränktes, gutartiges Wesen. Im Jahre 1906 bekam sie einen Sohn, den sie bei ihrem in der Nähe wohnenden Vater unterbrachte. Im Oktober 1907 knüpfte sie mit dem nur wenig ältern Arbeiter Z. ein Verhältnis an. Sie hielt sich späterhin für schwanger und machte aus dieser Entdeckung kein Geheimnis. Sie mußte deswegen im Januar 1908 ihren Dienst bei dem Mühlenbesitzer verlassen. Von dem Arbeiter Z., der sich für den Vater des zu erwartenden Kindes hielt, wurde sie zu seinen in einem benachbarten Dorfe wohnenden Eltern gebracht. Z. sorgte in der Folgezeit für sie und wollte sie auch wegen der Schwängerung heiraten. Um Ostern 1908 zogen beide am Wohnort der Eltern des Z. zusammen in eine kleine Wohnung und nahmen den zweijährigen Sohn der O. zu sich. Sie hatten in einem auch von andern armen Familien bewohnten kleinen Häuschen ein Zimmer und eine Kammer inne. Z. arbeitete an einem benachbarten Orte, kam Sonnabend abends nach Hause und ging Montags in der Frühe zur Arbeit. Am Pfingstmontag den 8. Juni 1908 heirateten sie und lebten in derselben Weise weiter. Der 23 Jahre alte Ehemann war ein nüchterner ordentlicher Mensch. Er gab seiner Frau Sonnabend immer seinen ganzen Verdienst ab. Die letztere kaufte dann Lebensmittel für sich und für ihren Mann ein, der seinen Vorrat für die ganze Arbeitswoche mitnahm. Wenn er nach Hause kam, war die Frau Z. zumeist niedergedrückt und etwas betrübt. Verkehr mit andern Frauen pflegte sie nicht; sie hielt sich zurück und war schweigsam. Zu ihrem Mann äußerte sie häufig, sie werde wohl sterben. Sie äußerte auch, sie werde Juli oder Anfang August entbunden werden. Z. hielt diesen Zeitpunkt für zutreffend und hatte nach wie vor keinen Zweifel, daß das zu erwartende Kind von ihm sei.
Am 19. Juni 1908, einem Freitag, blieb die Z. im Bette liegen. Abends kam eine Bekannte zum Besuch; die Z. blieb liegen und klagte über Kreuzschmerzen, auch den folgenden Sonnabend blieb sie im Bett liegen. Die im selben Hause wohnenden Frauen kümmerten sich nicht um sie. Sonnabend abends kam der Mann wie gewöhnlich nach Hause und fand seine Frau im Bette liegend. Sie gab an, sie sei krank. Auf weiteres Befragen erklärte sie, ihr täte das Kreuz weh, sie könne sich nicht aufrichten. Der Mann fragte weiter. Die Z. zögerte lange und sagte, sie könne ihm das gar nicht erzählen, mit ihr sei schon alles gut, es sei alles vorbei. Der Mann drang in sie und erfuhr nun zu seiner Überraschung folgendes: Sie habe in der vorigen Nacht nach Mitternacht um die erste Stunde geboren. Sie habe die Frauen im Hause nicht geweckt, weil sie nicht die Macht dazu gehabt habe. Auf die Frage des Z., wo sie denn das Kind hätte, sagte sie, sie hätte es vergraben, nicht zwischen den Häusern, sondern hinter der Scheune. Den Ort gab sie nicht näher an, sagte vielmehr: »Laß man zufrieden, ich werde es dir ein andermal zeigen.« Da sie krank zu Bette lag, drang Z. nicht mehr in sie und fragte nur noch, ob das Kind gelebt habe. Er erhielt zur Antwort: »Ja, etwa 3 Minuten«. Auf seine Frage, ob es nicht ausgewachsen gewesen sei, sagte die Z., oben sei der Kopf etwas offen gewesen; – ob es ein Junge oder eine Marjell gewesen sei, wisse sie nicht, sie habe nicht nachgesehen.
Der Mann gab sich nicht zufrieden und wollte näheres wissen. Sie erzählte ihm dann, sie habe das Kind nicht bloß, sondern eingewickelt begraben. Er fragte auch, ob sie das Kind nicht auf dem Kirchhof begraben lassen wolle. Sie entgegnete, in ihrem Heimatsorte habe eine Frau ein Kind von 8 Monaten gehabt und es auch vergraben. Hier könne es auch so sein. Hiermit gab sich dann der Mann zufrieden. Darüber, ob sie das Kind umgebracht, und aus welchem Grunde sie es vergraben habe, wurde nicht gesprochen. Die Ehegatten blieben nunmehr, wie gewöhnlich, bis Montag in der Frühe zusammen, ohne daß ihnen der Fall weiter besonderer Beachtung wert schien. Ein charakteristisches Zeichen der Stumpfheit und Gleichgültigkeit breiter Volksschichten! Sie schliefen die beiden Nächte in dem einzigen Bette und als Z. am Montag Morgen in der Dämmerung zur Wochenarbeit ging, sagte er, sie möge dafür sorgen, daß das Kind auf den Kirchhof käme. Er nähme keine Schuld auf sich; es käme doch sicherlich noch etwas nach. Die Z. meinte, es würde wohl nicht so schlimm sein damit. Der Vorfall blieb aber im Dorfe nicht unbekannt. Die Hausgenossinnen besuchten im Laufe des Vormittags die schwach und teilnahmlos im Bette liegende Frau, fragten sie aus und erfuhren von ihr, sie habe das Kind draußen geboren und an der Scheune vergraben. Die Z. erzählte auch von der Frau aus ihrer Heimat, die es ebenso gemacht habe, der habe es nichts geschadet, sie könne es daher auch so machen. An demselben Montag kam die Hebamme, untersuchte die Frau, hatte aber keinen Anlaß, Besonderes anzuordnen. Nachmittags riefen die Hausbewohner den Arzt mit der Mitteilung, die Wöchnerin liege im Sterben. Er fand sie im Bette, die Hebamme bei ihr. Die Z. erzählte von der Geburt und daß das Kind ein Loch im Kopf gehabt hätte. Der Arzt stellte fest, daß eine akute Anämie nicht bestand. Die Temperatur betrug 37°, Pulsfrequenz war 96 in der Minute, Puls kräftig und regelmäßig. Die Brüste gaben keine Milch, die Gebärmutter war durch die Bauchdecken nicht deutlich durchzufühlen, aus den äußeren Genitalien floß ziemlich viel weißer Schleim; Blut war nicht zu finden. Bei der inneren Untersuchung fand sich der äußere Muttermund geschlossen, die Gebärmutter war nicht vergrößert. Die Z. gab an, ihr Blut habe schon »gestockt«, es habe auch schon bei ihrer ersten Entbindung sehr bald gestockt. Der Arzt hatte keinen Zweifel, daß die Frau vor kurzem geboren habe.
Endlich hatte auch der am selben Orte wohnende Gendarm Kenntnis von dem Vorfall erhalten. Er nahm Ermittlungen vor und stellte durch Befragung der Hausgenossen und Nachbarn fest, daß die Z. in der Nacht vom 19./20. ein Kind geboren und gleich vergraben habe. Bei der Geburt sei zwar niemand zugegen gewesen, die Z. habe aber geäußert, das Kind habe noch einige Minuten gelebt. Er befragte die im Bett liegende Z. und sie gestand ihm, sie habe das Kind, welches gelebt habe, vergraben; an welcher Stelle, wisse sie nicht. Sie wisse auch nicht, ob es männlichen oder weiblichen Geschlechts gewesen sei, ihrem Manne habe sie davon Mitteilung gemacht. Da der Gendarm von den Frauen erfuhr, es solle an der Scheune gewesen sein, forschte er nach der Stelle, fand aber nichts. Er reichte nunmehr die Anzeige ein und brachte darin die allgemeine Vermutung zum Ausdruck, der Mann müsse wohl das Kind wieder ausgegraben und an anderer Stelle vergraben haben. Am 24. Juni 1908 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage durch Antrag auf Voruntersuchung,
I. gegen die Ehefrau Z. unter der Anschuldigung, vorsätzlich ihr in der Nacht vom 19. zum 20. Juni 1908 geborenes eheliches Kind getötet zu haben und zwar mit Überlegung;
II. gegen den Arbeiter Z. unter der Anschuldigung,
1. ohne Vorwissen der Behörde den Leichnam des zu 1. erwähnten Kindes beiseite geschafft,
2. der in den §§ 56-58 des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und der Eheschließung vom 6. II. 1878 vorgeschriebenen Anzeigepflicht nicht nachgekommen zu sein.
Als Untersuchungsrichter und Staatsanwalt am folgenden Tage, den 25. Juni, am Tatorte eintrafen, war die Z. zu den Schwiegereltern übergesiedelt. Sie lag schwach, blaß und teilnahmlos im Bette. Der Ehemann war, von der Arbeitsstelle geladen, anwesend. Die zunächst vorgenommene Augenscheinseinnahme und die Durchsuchung der Wohnung der Eheleute Z. förderte nichts von Belang zutage. Keine blutigen Lappen, keine Blutspuren im Lager, keine Nachgeburt. Nirgends fand sich in der Umgegend eine Stelle, wo frisch gegraben war, keinerlei Spur eines objektiven Tatbestandes konnte aufgefunden werden. Die Hausbewohner und Nachbarn bekundeten dasselbe, was der Gendarm bereits berichtet und was die Z. ihnen selbst erzählt hatte. Der nunmehr vernommene Ehemann Z. bestritt, die Leiche beiseite geschafft zu haben. Die Anmeldung des Todesfalles habe er unterlassen; er habe nicht gewußt, daß die Anmeldung durch ihn geschehen müsse. Er gab an, seine Frau habe in der letzten Zeit wohl geäußert, sie würde bald sterben, aber nichts davon gesagt, sie wolle dem zu erwartenden Kinde etwas antun. Er schilderte im übrigen die Vorgänge, wie eingangs angegeben, und erwähnte im besondern noch, er habe am letzten Sonntag vor der Nacht der Geburt bei ihr geschlafen. Dabei sei ihm besonders ihr hoher Leib aufgefallen. Der Mann machte einen glaubhaften Eindruck. Was er sagte, stimmte auch durchaus mit den übrigen Feststellungen überein. Der Arzt, der am Montag Nachmittag zur Z. gerufen worden war, bekundete über seine Wahrnehmungen (vgl. oben), untersuchte die Z. wiederum und stellte jetzt fest, daß sich nunmehr an den äußeren Genitalien und in der Scheide rotes flüssiges Blut zeige, das mit Sicherheit von einer Periode herrühre. Er komme daher auf Grund dieser neuen Untersuchung zu dem Schlusse, daß die Angeschuldigte weder hochgradig schwanger, noch in der Nacht vom 19. zum 20. Juni entbunden sei. Ob sie vor kürzerer Zeit entbunden sei, vermöge er nicht zu beurteilen. Im übrigen mache ihm die Angeschuldigte einen nicht ganz normalen Eindruck. Für den vor kurzem auffallend dicken Leib könne er keine Aufklärung geben. Der leidende Zustand in der letzten Zeit sei wohl auf seelische Erregungen zurückzuführen.
Diese Feststellungen erweckten Zweifel an dem Vorliegen des objektiven Tatbestandes. Da jedoch das Gutachten des Arztes nicht so bestimmt schien, daß jeder Zweifel ausgeschlossen war, wurde der nächste Kreisarzt telephonisch herbeigerufen. Noch vor seiner Ankunft legte die Angeschuldigte folgendes Geständnis negativer Art ab: Sie habe überhaupt seit ihrer ersten Entbindung im Jahre 1906 nicht mehr geboren. Sie habe allerdings im Herbst 1907 nach der Anknüpfung des Verhältnisses mit ihrem jetzigen Manne im Dorfe für schwanger gegolten und sich selbst auch wohl dafür gehalten. Allerdings habe sie selbst nicht recht gewußt, ob sie wirklich schwanger sei oder nicht. Einen dicken Leib habe sie gehabt. In letzter Zeit sei sie nicht mehr dicker geworden. Ein Zucken im Innern wie von einem Kinde habe sie manchmal verspürt. Sie könne keine Angaben darüber machen, wie oft und wie lange ihr seit Oktober 1907 die Regel ausgeblieben sei. Sie habe sie aber um Ostern herum noch gehabt. Am letzten Mittwoch habe sie sich, weil sie sich elend fühlte, ins Bett gelegt. Sie habe mittlerweile doch gemerkt, daß sie nicht schwanger sein könnte. Sie habe befürchtet, ihr Mann könne ihr böse sein, wenn das jetzt nach der Heirat herauskäme. Sie habe Angst gehabt, daß er ihr Vorwürfe machen werde, weil sie ihn getäuscht hätte, obwohl sie doch selbst es nicht genau gewußt hätte. Da hätten sie die Gedanken getrieben zu sagen, daß sie das Kind vergraben hätte.
Die Untersuchung des Kreisarztes ergab die Wahrheit der Angaben der Angeschuldigten, daß sie ein Wochenbett nicht durchgemacht habe. Der Sachverständige erstattete sein Gutachten dahin, daß die Z. weder in der Nacht vom 19. zum 20. Juni noch auch etwa 8 Tage vorher ein lebensfähiges Kind zur Welt gebracht habe. Die Periode habe sich nach ihrer Angabe vormittags wieder eingestellt. Nachdem so der Zweck der Voruntersuchung erreicht war, wurde sie geschlossen und die Angeschuldigte wurde alsbald mangels jeden objektiven Tatbestandes außer Verfolgung gesetzt.
Von altersher bekannt ist der Satz: Confessio regina probationum. Vgl. u. a. den nach Fertigstellung dieser Arbeit erschienenen Aufsatz des Staatsanwalts Dr. Wulffen »Das Geständnis« in der Woche, 1910, Nr. 19, S. 769. Das Geständnis des Beschuldigten muß auch im allgemeinen wie in früheren Zeiten so auch heute noch naturgemäß als das beste und für die Überführung sicherste Beweismittel der Schuld angesehen werden. Vor dem Schwurgericht insbesondere pflegt der Praktiker eine Sache von vornherein als »sicher« nur dann zu bezeichnen, wenn ein mehr oder weniger umfassendes Geständnis des Verdächtigen vorliegt.
Der Satz von der im Geständnis zu erblickenden regina probationum war der Grundsatz des alten Inquisitionsprozesses und auch der Grundsatz des diesem nachgebildeten älteren preußischen Strafprozesses. Unter seiner Geltung mußte daher das Hauptstreben auf die Herbeiführung eines Geständnisses gerichtet sein, das gerichtlich, ernstlich und ausdrücklich sein mußte, dann aber volle Beweiskraft hatte Welches Unheil hat diese Beweisregel des alten Inquisitionsprozesses in früheren Jahrhunderten in sozialkultureller Hinsicht angerichtet! (Hexenprozesse). (§ 370 Kriminal-Ordnung). Daneben mußte dennoch in jedem Falle der Tatbestand festgestellt werden (§§ 136, 300, 301 Kriminal-Ordnung). Als das spätere reformierte preußische Strafprozeßrecht die positiven Regeln über die Vornahme und die Wirkungen der Beweise beseitigte (§ 22 Abs. 2 der Verordnung vom 3. Januar 1849) Die Notwendigkeit, bei Ablegung eines Geständnisses noch Ermittelungen zur Feststellung des Tatbestandes vorzunehmen, war sonach prozessual nicht mehr vorhanden. In der Übergangszeit (1850) kam daher bei manchen Untersuchungsgerichten die später reprobierte Praxis auf, in allen Fällen eines Geständnisses diese Ermittelungen zu unterlassen. Vgl. Goltdammers Archiv, Bd. 2, S. 766., hatte das Geständnis des Angeklagten seine überragende Wirkung verloren. Es war von nun an ein Beweismittel wie jedes andere, mußte aber naturgemäß wegen der ihm begrifflich innewohnenden Bedeutung stets ein solches von besonderer Art und Wucht bleiben.
So auch im heutigen Reichsstrafprozeß. Der Grundsatz der freien aus dem Inbegriff der Verhandlung zu schöpfenden richterlichen Beweiswürdigung gestattet es, eine Verurteilung des Angeklagten ausschließlich auf sein Geständnis zu gründen.
Nun ist ja hinlänglich bekannt, daß ein Geständnis nicht immer und unbedingt ein sicheres zuverlässiges Beweismittel für die Schuld sein muß. Es wird in keinem Kapitalprozeß versäumt, daneben auch die andern Belastungsmomente zu sammeln, schon um deswillen, damit das Geständnis in seiner Glaubwürdigkeit und Zugkraft nachgeprüft werden kann. In erster Linie wird immer das Vorhandensein und die Beschaffenheit der strafbaren Handlung festgestellt (objektiver Tatbestand). Im Rahmen aller übrigen Feststellungen nimmt dann das Geständnis, wenn es abgelegt wird, die ihm gebührende Stelle als Schlußstein des ganzen Beweisgebäudes ein, das um so gelungener und sicherer gefügt erscheint, je eher es dieses Schlußsteins entbehren kann.
Eine besondere und möglicherweise allein ausschlaggebende Bedeutung gewinnt erst das Geständnis in den seltenen Fällen, wo die Feststellung eines objektiven Tatbestandes überhaupt nicht oder nicht mehr möglich ist. Wie in unserem Fall I. Als die mutmaßliche, mitten im Winter geschehene Mordtat zur Kenntnis der Behörden kam, war bereits ein Vierteljahr verflossen. Den objektiven Tatbestand festzustellen, war unmöglich geworden, sobald man annahm (und man konnte dies sehr wohl annehmen), daß das mit Sicherheit festgestellte Hochwasser die Stelle, wo die kleine Kindesleiche oberflächlich verscharrt sein sollte, überströmt und diese fortgeschwemmt hatte. Man konnte aber auch mit Fug annehmen, daß schon früher der zur fraglichen Zeit von jenem Orte mit einem Stück Fleisch im Maul gesichtete Hund sie weggeschleppt hatte. Bei dieser Sachlage mußte das glaubhafte durch Indizien z. B. der bezeugte üble Geruch in der Wohnung der Angeklagten, das geflissentliche Meiden der Hausbewohner nach dem 15. Dezember. unterstützte Geständnis der von andern und von sich selber als schwanger angesehenen Frau eine besondere, eine zur Überführung hinreichende Bedeutung besitzen. Dies um so mehr, als es auch an plausiblen Motiven der Tat nicht fehlte. Dies Geständnis war auch nicht etwa spontan, unter dem plötzlichen Drucke eines unerwarteten Ereignisses, sondern mehrfach jedesmal nach hinreichender Überlegungsfrist abgelegt worden, vor dem Untersuchungsrichter, vor dem Verteidiger, vor dem Schwurgericht. Alle Einzelheiten des Vorgangs waren in diesen Geständnissen genau und plastisch angegeben. Vor der Hauptverhandlung hatte sich die Angeklagte noch des Zuspruchs des Verteidigers vergewissern können; der Verteidiger selbst war so sehr von der Schuld der Angeklagten überzeugt, daß er nur um Verneinung der Frage nach der Überlegung und um mildernde Umstände zu bitten vermochte Der Verteidiger erzählt, er habe die N. in der Untersuchungshaft öfters besucht, habe sie über alles befragt und nicht den geringsten Zweifel an ihrer Zurechnungsfähigkeit und an der Richtigkeit ihrer Angaben gehabt. Als dann nach dem Todesurteil, während die Akten sich in der Revisions-Instanz befanden, Verwandte der N. ihn besucht und gesagt hätten, die N. sei ja früher verrückt gewesen, da habe diese Mitteilung einen überraschenden Eindruck auf ihn gemacht. Dieser Verwandtenbesuch sei der Anlaß zum Wiederaufnahmeverfahren gewesen.. Für keinen Beteiligten lag Anlaß vor, an der Wahrheit eines so beschaffenen Geständnisses einer Frau zu zweifeln, die keinerlei Spuren einer abnormen geistigen Beschaffenheit zeigte. Es muß wohl auch keinerlei Grund in der Hauptverhandlung vorgelegen haben, nachzuprüfen, wie das erste Geständnis, und wie später die Wiederholungen dieses Geständnisses entstanden waren. Ein solches Geständnis dieser Frau mußte wahr sein! Und doch war es falsch. Wenn auch eine positive Feststellung, ob die N. Mitte Dezember 1892 ein lebendes Kind geboren hat oder nicht Der Beschluß der Strafkammer vom 21. März 1894, durch den die Wiederaufnahme angeordnet wurde, nahm trotz der Ergebnisse der Beweisaufnahme über diesen Punkt noch an, sie habe ein lebendes Kind geboren. Vgl. oben S. 111., sich nicht treffen läßt, so hat doch in der erneuten Hauptverhandlung vom 18. Dezember 1894, wie mir Beteiligte versicherten, den Ausschlag nicht etwa die Annahme einer Geistesstörung der N. zur Zeit der Begehung der Tat Den geneigten Leser interessiert vielleicht die Mitteilung, daß die N. noch heute lebt, für ganz normal gilt und wie jede andere geistig gesunde Arbeitsfrau ihren Beschäftigungen nachgeht. Geboren hat sie seit jener Zeit nicht mehr., sondern die allgemeine Überzeugung gegeben, die N. habe in der Tat nicht ein Kind geboren.
Der Fall der Auguste N. bildet ein sehr seltenes Blatt in den Annalen der Kriminalprozesse. Nicht deshalb, weil sie zum Tode verurteilt, im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden ist, wie es zuweilen vorkommt, wenn Zweifel in die Schuld des Angeklagten nachträglich rege werden, sondern um deswillen, weil sie wegen Mangels eines objektiven Tatbestandes in der erneuten Verhandlung freigesprochen worden ist Von einem andern Falle eines Mordprozesses, in dem der Verdächtige trotz Mangels zuverlässigen objektiven Tatbestandes auf Grund seines glaubhaften Geständnisses ebenfalls rechtskräftig zum Tode verurteilt worden war, wird in Goltdammers Archiv, Bd. 2 (1854), S. 738 berichtet. Ein gewisser S. war 1849 wegen Landstreicherei und Diebstahls verhaftet worden und hatte sich im Verlauf der dieserhalb gegen ihn geführten Untersuchung des Mordes und der Brandstiftung mit Todesfolge bezichtigt. Die angeblichen schweren Verbrechen waren auch anscheinend wirklich begangen worden, nur lagen sie weit zurück; das eine 6, das andere 2 Jahre. Die Ermittelungen ergaben mehrfaches Beweismaterial gegen S. – Vor der Bestätigung des Todesurteils wurde durch einen Zufall entdeckt, daß S. am Tage des Brandes an anderem weit entfernten Orte verhaftet und daß also für diesen Fall sein Alibi nachgewiesen war. Die weiteren Ermittelungen ließen auch Zweifel rege werden, daß S. die Mordtat begangen hatte. Er gestand schließlich, daß er sich in beiden Fällen fälschlich selbst bezichtigt habe. Motiv: Er habe wegen des Diebstahls und der Landstreicherei auf Grund der Äußerungen seiner Mitgefangenen annehmen müssen, ihn treffe eine mehrjährige im Zuchthaus zu verbüßende Strafe, wo es ihm sehr schlecht ergehen und er viele Prügel erhalten werde. Daher habe er aus Furcht vor dem Zuchthause den Tod vorgezogen. Wahrscheinlich war auch S. geisteskrank. – Eine strafprozessuale Parallele mit unserm Fall I sei gestattet. Damals gab das Gesetz keine prozessuale Handhabe zur Beseitigung des rechtskräftigen gegen S. erkannten Todesurteils. Restitution wäre nur beim Nachweis zulässig gewesen, daß das Urteil auf einer falschen Urkunde oder der Aussage eines meineidigen Zeugen beruhte. (§ 151 der Verordnung vom 3. Januar 1849.) So konnte im Fall des S. nur die Gnade helfen.. Wie, wenn der Verteidiger, nachdem das erste Urteil ergangen war, nicht aus dem weit zurückliegenden Vorleben der zum Tode Verurteilten Tatsachen ermittelt und zur Sprache gebracht hätte, welche den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Geisteskrankheit zu stützen geeignet waren? Es ist zu beachten, daß die Verurteilte ihre früheren Geständnisse erst nach Zulassung des Antrags, und nachdem sie längere Zeit nach der Verurteilung im Gefängnis gesessen hatte, widerrief, während man die Ergebnisse des Beweisverfahrens über die allein geltend gemachte Geistesstörung abwartete.
Fälle falscher Selbstbezichtigung sind nicht gerade häufig beobachtete Erscheinungen in der Strafrechtspraxis. Dafür ist denn doch in jedem Menschen die natürliche Scheu vor dem Übel der Strafe zu groß, als daß er sich ihm ohne Schuld unterwerfen möchte. Immerhin kann es vorkommen, daß ein Beschuldigter aus edlen oder eigensüchtigen Motiven sich selbst fälschlich einer Straftat bezichtigt, etwa um einen andern vor der Strafe zu retten, um die eigene Haft abzuwenden (Fall I, vgl. oben S. 144), zu mildern oder abzukürzen. Es ist auch denkbar, daß in höchst seltenen Fällen ein Geständnis durch physischen oder psychischen Zwang oder seelische Folter erpreßt wird Vgl. die von Rosenblatt aus Österreich erzählten Fälle in Goltdammers Archiv, Bd. 31, S. 447 f. und dann nachher aus Dummheit oder Angst aufrechterhalten wird.
Weitaus die meisten der seltenen Fälle falscher Selbstanklagen werden aber wohl immer auf Geisteskrankheit oder geistige Störung zurückgeführt werden müssen. Solche Fälle Vgl. Groß, Handbuch für Untersuchungsrichter (1904), Bd. I, S. 118 und die Zitate dort. einer Geistesstörung, die sich nicht anderweit zu äußern braucht, so daß das Geständnis dem Laien keineswegs als Ausfluß abnormaler geistiger Verfassung erscheint, werden vornehmlich bei Frauenspersonen beobachtet. Die Frage des Geschlechtslebens und der auf ihm beruhenden Folgeerscheinungen spielt dabei eine große Rolle.
In der gerichtsärztlichen Wissenschaft wird allseits betont, daß Angaben von Frauenspersonen über das Vorliegen einer Schwangerschaft sehr unzuverlässige Faktoren für die Diagnose der Sachverständigen sind, wie denn gerade Schwangere und Wöchnerinnen oft Dinge erzählen, die sich nicht ereignet haben Vgl. u. a. Casper-Liman, Gerichtliche Medizin (1889), Bd. II, S. 1030. Vgl. auch Groß, Handbuch für Untersuchungsrichter (1908), I. Teil, S. 124, 125.. Es braucht sich dabei keineswegs immer um Frauenspersonen zu handeln, die hysterisch im weiteren Sinne sind oder die pathoform lügen, deren Phantasie und instinktiver Hang sie veranlaßt, Dinge zu erzählen, die sich niemals zutrugen (pathologische Lügen, – Pseudologia phantastica, – hallucinations rétroactives).
Insbesondere ist es nichts Ungewöhnliches, daß Frauen sich für schwanger halten ohne Vorhandensein einer Schwangerschaft Zwar kommt der umgekehrte Fall öfter vor, daß nämlich wirklich Schwangere an die neue Schwangerschaft nicht glauben wollen, besonders bei unverheirateten Personen, die sich verzeihlicher Selbsttäuschung solange als irgend möglich hingeben und alle Zeichen anders deuten. Vgl. Casper-Liman a. a. O. I, S. 225 f., Hofmann, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin (1883) S. 203 ff.. Häufig glauben Frauen, namentlich nervöse, blutarme Frauen oder solche mit bösem Gewissen (über Geschlechtsakte) alle subjektiven Zeichen der Schwangerschaft zu empfinden, insbesondere Anschwellen des Leibes, Kindsbewegungen, ohne daß eine Spur von Schwangerschaft vorhanden ist. Oft findet sich auch wirklich in solchen Fällen eingebildeter Schwangerschaft (» Grossesse nerveuse« – » spurious pregnancy«) eine Anschwellung des Unterleibs, wie sie aus verschiedenen Ursachen entstanden sein kann. (Schwellung des Abdomen infolge Tympanites, – Fettablagerung, – große Myome). Unbehagen und Schmerzen begleiten diese Veränderungen, Leibweh, Drängen, Kreuzschmerzen treten auf, Bewegungen im Leibe werden verspürt, die ganz natürliche Ursachen haben können, – alles Symptome, die verschwinden, wenn die Frauen zur Überzeugung gebracht werden, daß sie nicht schwanger sind Vgl. u. a. Schröder, Lehrbuch der Geburtshilfe (v. Olshausen-Veit, Bonn 1893) S. 121. – Schröder, Handbuch der Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane (1893) S. 271, 285. – Seydel, Leitfaden der gerichtlichen Medizin (1895) S. 23. – Casper-Liman a. a. O. I, S. 203, 226. – Der letztere erzählt von dem Falle eines 14jährigen Mädchens (Idiotin), die in der Verhandlung gegen den Anstaltsleiter wegen eines an ihr begangenen Sittlichkeitsverbrechens mit hochtragendem Bauche watschelnd den Verhandlungssaal betrat. Arzt und Hebammen hatten 6monatliche Schwangerschaft attestiert. Der Gerichtsarzt stellte fest, daß von Schwangerschaft keine Rede sei. Im Bauche war eine Geschwulst, eine lipomatöse Wucherung des Unterhautfettgewebes..
Solche Veränderungen sind auch bei der Z. aufgetreten (Fall II). Auf Grund derselben hat sie sich auch selbst im Herbst und Winter 1907 für schwanger gehalten. Sie gab an, sie habe einen dicken Leib gehabt … habe manchmal Zucken im Innern wie von einem Kind verspürt … habe aber doch nicht recht gewußt, ob sie schwanger sei. Es lag für sie nahe, nach dem im Herbst 1907 mit dem neuen Bräutigam Z. aufgenommenen Geschlechtsverkehr anzunehmen, sie sei nun wieder in andern Umständen. Aus diesem Angstgefühl heraus entstanden die Einbildungsvorstellungen, die äußeren Einwirkungen taten das ihrige dazu. Man hielt sie im Dorfe allgemein für schwanger; sie wurde deshalb von der Mühle entlassen. Z. sorgte für sie, brachte sie zu seinen Eltern, wollte sie heiraten, sie zogen zusammen, die Zeit verstrich. Die Z. äußerte, sie müsse Juli oder Anfang August niederkommen, der Mann hielt diesen Zeitpunkt für richtig. Später fiel ihm ihr dicker Leib besonders auf. Eine Simulation muß bei diesem beschränkten gutartigen in Stumpfheit und Druck aufgewachsenen melancholisch gestimmten Wesen für ausgeschlossen erachtet werden. Fälle der Durchführung einer simulierten Schwangerschaft können nur in größeren Verhältnissen vorkommen bei raffinierteren Personen, die über Täuschungsmittel und -Möglichkeiten verfügen. (Draga Maschin!) In so kleinen armseligen Verhältnissen wie hier muß eine derartig effektvolle Simulation, die sechs Monate hindurch die Nachbarn, Hausgenossinnen, den zu betrügenden Gatten selber und dann auch noch über die angebliche Geburt hinaus Hebamme und Arzt zu täuschen verstünde, schlechterdings für unmöglich angesehen werden. Die Z. muß daher wirklich den dicken Leib und die charakteristischen Beschwerden der Schwangeren gehabt haben, sie hatte die Kreuzschmerzen und nicht die Kraft, sich aufzurichten, als der Mann nach Hause kam. In ihrer Wahnvorstellung sah sie sich selbst in der Rolle einer Schwangeren. Die oben erwähnte günstige Disposition zu solchen Wahnvorstellungen hatte sie, denn sie zeigte Symptome einer Melancholie, genau wie die N. im Fall I. Sie war häufig traurig, war verschlossen und einsam und äußerte, sie werde wohl sterben. Sie rechnete mit der immer näher rückenden Entbindung, wegen der sie von Z. geheiratet worden war. Als ihr nun endlich die Erkenntnis kam, sie sei wohl doch nicht schwanger, wirkte die Angst auf ihr Gemüt ein. Sie fürchtete, der Mann werde ihr böse sein, daß sie ihn getäuscht habe. Da »gaben ihr die Gedanken ein,« zu sagen, sie hätte das Kind vergraben. Die Autosuggestion bewirkt wiederum, daß sie nunmehr die Rolle der Wöchnerin körperlich durchführen konnte. Sie dachte sich so in diese Rolle hinein, daß sie sich benahm wie eine solche und auf Befragen die Einzelheiten des Vorgangs erzählte, an die sie vielleicht selbst glaubte. Vielleicht, denn zur genauen psychologischen Untersuchung fehlen im Fall II die Grundlagen. Nachdem festgestellt war, daß kein objektiver Tatbestand vorlag, bot der Fall zu weiterer Untersuchung vom kriminellen Standpunkt aus keine Veranlassung. Insbesondere wurde das Vorleben der Z. nicht näher aufgedeckt. Für die Annahme einer gewissen geistigen Störung (Melancholie) sind aber Anhaltspunkte genug zutage getreten.
Bei der N. (Fall I) ist eine gewisse geistige Störung mit Sicherheit festgestellt worden; fraglich blieb nur, ob sie auch zur Zeit der angeblichen Tat bestand. Es ist auch als festgestellt zu erachten, daß die N. sich selbst bis in den Winter 1892 hinein für schwanger hielt, und daß sie Sorge um das zu erwartende Kind haben mußte, denn sie hatte keine Nahrung. Vier ihrer Kinder waren bei schlechter Nahrung früh an Krämpfen gestorben. Bei ihrer melancholischen Stimmung hatten daher Gemütsbewegungen auf sie eingewirkt, die den geistigen Defekt steigern mußten. Wenn man ihr nun weiter die Angabe glaubt, es sei das Blut wieder gekommen und dabei ein Klumpen abgegangen, so daß sie nicht gewußt habe, was mit ihr sei, so muß man annehmen, daß diese körperliche Erschütterung die geistige Störung ebenfalls ungünstig beeinflußte. In diesen Gemütszustand hinein fielen die Ereignisse des 23. März 1893, die mehrstündigen verantwortlichen Vernehmungen durch die Respektsperson des Gendarms. Nunmehr wirkte notwendig eine besonders starke Gemütsbewegung auf sie ein, und es erscheint erklärlich, daß sie die eindringlichen Fragen des Gendarms alle bejahte und sich schließlich selbst fälschlich beschuldigte. Erfahrungsgemäß beschuldigen sich ja Geisteskranke oder Geistesschwache häufig, wenn eine starke Gemütsbewegung auf sie einwirkt. Daß dieses Geständnis später von ihr vor andern Amtspersonen immer wieder bestätigt wurde, läßt sich wohl nur durch völlige Geistesstörung erklären, die nunmehr partiell und temporär vorhanden und durch die vorangegangenen Gemütsbewegungen hervorgerufen worden war Aber in der Folgezeit wieder gewichen ist.. –
In der Tatsache, daß Geistesstörungen solcher Art vorkommen, die dem Laien nicht oder nur sehr schwer erkennbar sind, weil ihre im Strafverfahren zutage tretenden Symptome auch anders gedeutet werden können, liegt für die Rechtspflege eine gewisse Gefahr. Die Niedergeschlagenheit und traurige Verstimmung, die Schweigsamkeit und Schreckhaftigkeit des Untersuchungsobjekts, die möglicherweise als einzige äußerliche Symptome einer solchen geistigen Störung (Melancholie) zutage treten, können auch sehr wohl als Folgeerscheinungen des Untersuchungsverfahrens und seines Eindrucks gedeutet werden. Wenn von einer Frauensperson, die nur solche Symptome zeigt, ein Geständnis mit allen Einzelheiten abgegeben wird, wenn plausible Motive und mehrere Indizien das mehrfach wiederholte Geständnis unterstützen, so scheint zunächst kein Grund vorzuliegen, einen Psychiater als Sachverständigen zuzuziehen für die Frage, ob das Geständnis nicht am Ende wertlos ist. Gerade heutzutage wird häufig darüber geklagt, daß psychiatrische Sachverständige zu häufig gehört werden, und daß zu oft Angeklagte wegen Geistesstörung der verdienten Strafe entzogen werden. Immerhin wird man aber bei Geständnissen von derartigen Frauenspersonen besondere Vorsicht walten lassen müssen und den medizinischen Sachverständigen lieber zu oft als zu wenig heranziehen. Äußere Kennzeichen einer möglicherweise vorhandenen Melancholie, bei der den Angaben einer Frauensperson nur mit großer Vorsicht Glauben geschenkt werden kann, sind außer den erwähnten Symptomen – traurige Verstimmung, Scheu, Zurückhaltung, Schweigsamkeit – auch Magerkeit und Kümmerlichkeit der äußeren Erscheinung. In unsern beiden Fällen waren die Angeklagten in solcher körperlichen Verfassung. Unter diesen Umständen bringe man dem Geständnis, wenn es nicht durch einen objektiven Tatbestand bedenkenfrei gestützt wird, Mißtrauen entgegen und überschätze die Indizien nicht, mögen auch die Motive noch so klar erscheinen! In derartigen Zweifelsfällen kann die Erforschung des Vorlebens der Angeschuldigten, das überhaupt im Strafverfahren nie unberücksichtigt bleiben sollte, weniger entbehrt werden denn je.