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So trennten sie sich und Colomba reiste nach Florenz zurück. Horburg freute sich sehr ihrer Heimkehr, und auch sie freute sich. Es war ja ihr Platz neben ihm – und sie verlangte so sehr danach, in eine tiefere Lebensgemeinschaft mit ihm zu treten, daß sie in jedem Ausdruck von Liebe von seiner Seite einen Vorboten zu sehen hoffte, der ein Erwachen seiner Seele verkünde. Durch seine literarischen Arbeiten, welche der Zeitgeschichte angehörten, hatte Horburg Interesse für gerichtliche Studien bekommen, die ihn sehr beschäftigten. Sein Thätigkeitsbedürfniß, das sich in seinem früheren Leben nach Außen und auf greifbare Dinge wendete, kehrte sich jetzt mehr dem Kreise der Gedanken zu. Er suchte sogar sein längstvergessenes Latein wieder hervor, um manche alte Quellen und Chroniken zu lesen. Colomba war mehr denn je auf sich allein angewiesen und mußte zufrieden sein, wenn ihr Mann Zeit fand, gegen Abend mit ihr einen Spaziergang durch die Cascinen (den großen öffentlichen Park bei Florenz) oder durch die Olivenhaine zum Kloster von Mont Oliveto; – oder zum paradiesischen Klosterhügel von S. Miniato zu machen. Sie las aber viel und dachte noch mehr, als sie las. Umgang mit Frauen hatte sie nicht. Die beschränkten Geldmittel gestatteten nicht, daß sie in der Gesellschaft, wohin sie gehörte, standesmäßig hätte leben können. Da sie aber von Kindheit auf an die Zurückgezogenheit gewöhnt war, in welcher ihre Eltern sich glücklich fühlten und in welcher sie und Reginald fröhlich aufwuchsen: so spürte sie nicht den mindesten Trieb zu den Freuden des geselligen Verkehrs – diesem künstlichen Surrogat und Zerstörer des Familienlebens und der Häuslichkeit, sobald er, wie heutzutage, statt einer flüchtigen Erholung ein stehendes Bedürfniß wird.
»Ich mache Dir ein gar trauriges Leben, Colombella,« sagte Horburg, als sie einmal durch die herrliche Cypressenallee nach S. Miniato hinaufgingen.
»Nur ernst, nicht traurig!« rief sie lieblich.
»Der Jugend kommt der Ernst gewöhnlich wie etwas Trauriges vor,« versetzte er. »Abwechselung, Bewegung, neue Erscheinungen, fremde Bilder erfreuen sie, weil der Drang nach Wissen und Kennen in ihr liegt – und die Fröhlichkeit ist ihr Element.«
»O das ist nicht die rechte Fröhlichkeit, die nur von Außen und durch einen unbestimmten Trieb nach Zerstreuung und Wissen angeregt wird!« rief Colomba. »Froh in der Seele können wir bei allem Ernst der äußeren Verhältnisse sein – und diese Fröhlichkeit geht nicht, wie ihre falsche Schwester, mit Leichtsinn und Unbeständigkeit Hand in Hand.«
»Gute Colombella!« sagte er mitleidig.
»Warst Du fröhlich, als Du so jung warst wie ich und Alles hattest, wonach die unerfahrene Jugend strebt und verlangt?« fragte sie.
»Ich! fröhlich? . . . Nein, Colombella, diese zwei Worte habe ich nie zusammengestellt! – Munter, ja ausgelassen lustig, voll Scherz und Thorheit war ich – und zuweilen enthusiastisch aufgeregt; aber nicht fröhlich. Der Frohsinn ist für den Menschen, was der Frühlingshimmel voll Morgenroth und Lerchengesang für die Natur ist. Ich bin zu früh in die Mittagsgluth der Sonne gerathen . . . in das Getriebe der Leidenschaften, außer mir, in mir. Davon wird man nicht fröhlich.«
»Sieh, wie gut Gott es mit mir meint, indem er mich durch Dich fernab von jenem gefährlichen Treiben hält!« erwiderte sie. »Ein ernstes, stilles Leben ist doch gewiß viel schöner und, auf die Dauer, auch viel genußreicher, als so ein tumultuarisches. Es ist wie dieser Weg nach St. Miniato: bergan, durch eine Allee von dunkeln Cypressen; aber oben angelangt, schaut man in's Paradies, in's himmlische – wovon das irdische doch nur ein schwacher Abglanz ist.«
Sie waren oben angelangt und setzten sich auf den umgestürzten Stamm einer alten Cypresse. Colomba nahm ihren breiten Florentiner Strohhut ab, die Mailuft wehte ihre schwarzen Locken von ihrer blüthenweißen Stirn zurück und färbte ihre zarten Wangen mit einem warmen Rosenhauch. Ihr Auge leuchtete über das wunderbar schöne Naturbild hin, das sich vor ihr entfaltete. Der Charakter von Florenz ist ganz der des italienischen Mittelalters, mit Mauern und Thürmen, mit Castellen und Zinnen, das Haus eine Feste, die Stadt ein Kriegslager. Bewehrt und behelmt sieht es aus, wie ein alter rüstiger Kämpe, der in Sang und Sage fortlebt, während er sich zur Ruhe niedergelegt hat an dem blumenreichen Arno und zu den Füßen von Santa Maria dei Fiori, mit dem lieblichen Namen und der majestätischen Kuppel, Brunelleschis Meisterwerk – die einst Michel Angelo's Adlerauge so sehr an Größe und Erhabenheit gewöhnte, daß ihm der noch kühnere Schwung der Kuppel von St. Peter zu Rom gelang. Das ganze Arnothal weit und breit um Florenz ist wie ein liebliches Kind: es lacht Jeden an, der es anschaut; die Natur und die Kultur haben es mit ihren Gaben überschüttet. So ruht es bebaut, gepflegt, geschmückt im weiten Schoß der Appeninen, die es begränzen wie ein schützender Wall und bei der reichen Beleuchtung des Südens in allen Farben des Regenbogens spielen.
Wie alle Menschen von tiefer und zarter Empfindung, hatte Colomba ein offnes Auge und Herz für die Schönheit der Natur. Ihr Blick ruhte mit träumerischer Seligkeit auf dem entzückenden Bilde.
»Colomba!« sagte Horburg, »wenn Du so hineinschaust in diese Welt von Schönheit, durchrieselt dann nicht eine unermeßliche Sehnsucht Deine Brust und möchtest Du nicht glücklicher werden, als Du bist?«
»Ja gewiß!« sagte sie still.
»Und wenn dieser intensive Wunsch, dieser Athemzug Deines Herzens, der ebenso unwillkürlich ist, wie Dein Herzschlag selbst – wenn er nicht erfüllt wird – was dann, Colomba?«
»Dann lege ich ihn für mein Erdenleben in die Hand Gottes, meines himmlischen Vaters – und hoffe um desto fester auf dessen Erfüllung im ewigen Leben, denn Gott betrügt uns nicht . . . . und sein Apostel hat uns verkündet, es sei Denen, die Gott lieben, dereinst eine namenlose Seligkeit bereitet.«
»O Du glückliches, gläubiges Kind!« seufzte er.
»Ja,« sagte Colomba, »jung, unerfahren und unwissend bin ich – und insofern ein Kind. Wenn Du aber meinst, der Glaube mache mich zum unwissenden Kinde – oder ich sei ein solches, weil ich glaube: so irrst Du, lieber Rudolf. Der Glaube macht die großen Menschen, die großen Seelen, die großen Charaktere; – der Unglaube macht kindisch.«
Sie erschrak über diese unwillkürliche Aeußerung, aber Horburg beachtete sie nicht und fragte:
»Warum legst Du dem Glauben die Kraft bei, große Menschen zu bilden?«
»Weil der Glaube die Seele in eine übernatürliche Gemeinschaft des Lebens mit Christus bringt – und die wahre Größe von Ihm ausgeht; denn Er ist das Ideal für alle und jede Vollkommenheit, und Er gibt die Kraft, es zu erstreben.«
»O Kind, wie viel große Männer, die Christus nicht kannten, nicht glaubten!«
»Nach der Ordnung der Natur, durch seltene natürliche Eigenschaften und im Sinn und nach dem Geschmack der Welt – ja, das ist richtig, da können sie groß sein. Aber ganz gewiß fehlte dann immer in ihrer Seele ein Etwas – und das war denn auch der Punkt, wo sie nicht groß, sondern zuweilen erbärmlich waren und ihre Kraftlosigkeit offenbarten. Ohne Ideal – keine wahre Größe der Menschenseele – und ohne Christus kein wahres Ideal.«
»Auf Deinem Standpunkt hast Du recht,« sagte Horburg; »aber – ist er der richtige?«
»Prüfe ihn mit aller Schärfe des Verstandes, mit aller Einsicht der Intelligenz, mit aller Gewissenhaftigkeit des Herzens!« rief sie lebhaft und freudig.
»Ja, ja! es soll geschehen, Colombella! . . . . nur nicht in diesem Augenblick, wo mich die Florentinische Geschichte so ungemein beschäftigt,« entgegnete er.
Colomba schwieg, um ihren Mann weder zu ermüden noch zu reizen; aber sie faltete still die Hände und bat für ihn um den guten Willen für himmlische Dinge, dem die Gnade nie fehlt.
Ein heller Glücksstern ging ihr auf, als sie Mutter wurde. Nicht bloß übertrug sie auf die kleine Heliade alle Zärtlichkeit ihres Herzens, sondern sie hoffte auch, durch dies Kind einen neuen Weg zur Seele des Vaters zu finden. Es schien ihr unmöglich, die Pflichten eines Vaters zu erfüllen ohne Gott und ohne Glauben. Horburg hatte eine unaussprechliche Freude an der Kleinen; er gab ihr den alten Namen Heliade, der in seiner Familie gebräuchlich war. Er wollte sie zu einem Genie heranbilden; – Colomba zu einer Heiligen. Einstweilen war Heliade wie jedes andere Kind.
Colomba's Hoffnung bezüglich ihres Mannes erfüllte sich durchaus nicht. Im Gegentheil! er widmete sich den Studien und schriftstellerischen Arbeiten mit erhöhtem Eifer, der seinen Grund nicht bloß im wissenschaftlichen Interesse hatte. Die Bedürfnisse der Familie vermehrten sich in dem Maß, als Heliade heranwuchs. Und nicht nur die Gegenwart – auch die Zukunft erfüllte ihn mit Sorgen. Er war um ein halbes Jahrhundert älter als seine Tochter, so daß er nach dem Lauf der Natur viele Jahre vor ihr und ihrer Mutter aus diesem Leben scheiden mußte. So wie das geschah, verfielen Beide der vollkommenen Armuth, da das Jahrgeld, das er durch seine Apostasie sich erworben hatte, mit seinem Tode erlosch. Colomba hatte freilich dereinst das kleine Vermögen ihrer Mutter zu erwarten; aber obschon die ganze Familie O'Connor davon gelebt hatte, so war dies doch nur möglich in der Vigne am Coelius und gab nicht eine Existenz, wie er sie für seine Wittwe und Tochter wünschen mußte. – Ueberdas war Mistriß O'Connor kaum so alt wie er. Diese Gedanken marterten ihn! Arbeit wurde ihm mehr und mehr eine Zerstreuung von quälenden Vorstellungen und Quelle einigen Erwerbes. Zuweilen schmeichelte er sich mit der Hoffnung, durch seine Feder zu Vermögen zu gelangen, wenn er nur in Deutschland und in näherer Verbindung mit dem deutschen Buchhandel sein könne. In seiner jetzigen Entfernung und Entfremdung von Deutschland war die Täuschung zu verzeihen! – Seine beiden ersten Werke, lebhaft und einfach eigene Erinnerungen erzählend, waren beifällig aufgenommen. Minder ein drittes, in welchem er einige Florentinische Lebensbeschreibungen gab, die mit der etwas breiten Feder, welche man in Italien liebt, gezeichnet waren und in Deutschland wenig Interesse erregten. Er meinte, er werde sich besser mit dem deutschen Geist, dessen Anschauungsweise und dessen Bedürfnisse in Harmonie setzen – und diese würde auf seine Arbeiten Einfluß üben, wenn er Florenz verließe und in die deutsche Heimath übersiedelte. Vielleicht wäre dann auch eine Verständigung mit seinem Vetter zu ermöglichen, daß wenigstens ein Theil seines Jahrgeldes nach seinem Tode auf Frau und Kind überginge. Doch war diese Hoffnung ganz schwach und die Sache mußte mit der höchsten Vorsicht von seiner Seite betrieben werden, damit Colomba nie und nimmer erfahre, welcher trüben Quelle die Subsistenzmittel der Familie entflossen. Er kannte sie genug, um zu wissen, daß sie lieber den Hungertod leiden, als von dem Judasgelde leben würde. Und als diese Ueberzeugung ihm klar geworden war, da trat aus ihr ein Stachel hervor und berührte sein Gewissen – zuerst ganz leicht, nur die Oberfläche ritzend. Sie würde mich verabscheuen – dachte er zuerst bei sich selbst; und dann mich verachten – dachte er weiter; und sie hätte ein Recht dazu – dachte er endlich; denn es ist niederträchtig, eine religiöse Ueberzeugung zu verkaufen. Und obschon ich keine hatte, so war es doch nicht weniger niederträchtig, eine andere Ueberzeugung zu erheucheln oder vorzugeben.
So sprach das Gewissen zu Horburg – und er mußte sein Ohr dagegen verstopfen, denn wovon sollte er mit den Seinen leben, wenn er zurücktrat zur alten Kirche? Sein Vetter wußte nur zu gut, weshalb der alte Herrnhuter das Jahrgeld ausgesetzt habe, um nicht in der Intention des Onkels einen Vorwand zu finden, dem unglücklichen Ueberläufer die Pension zu entziehen. Nein! nie soll es dahin kommen! sprach Horburg zu sich selbst; – nie soll sie es erfahren . . . und nie Heliade! Ueberdas hatte ich keinen Glauben . . . . konnte also auch keinen verleugnen . . . . und das Jahrgeld hab' ich nöthig für Weib und Kind. Die zu erhalten ist meine erste Pflicht! –
Wenn Colomba im Verlauf eines innigen Gesprächs ihn sanft fragte, ob er nicht ihren religiösen Standpunkt seiner gründlichen Prüfung unterziehen wolle, wie er es ihr einst zugesagt; so antwortete er:
»Mit der Zeit, Colombella! . . . . Das ist ein Gegenstand, der ungeheures Studium erfordert. Um ihn zu erschöpfen, müßte man die Religionssysteme aller Völker – und zwar in der Ursprache, nicht in armseliger Uebersetzung kennen lernen . . . . namentlich die indischen, egyptischen und persischen.«
»Aber darüber vergeht ein Menschenleben!« rief Colomba traurig.
»Vielleicht gäbe eine solche Forschung das Resultat einer Ur-Religion, oder Ur-Offenbarung, welche dann weiter beweisen würde, daß alle Religionssysteme einen gemeinsamen Grund in einer Ur-Wahrheit haben und folglich weit mehr verwandt sind, als man geneigt ist anzunehmen. Und daraus ließe sich leicht der Schluß ziehen, daß die Glaubensformen nach Epochen und Völkern wechseln. Ist es aber diesen gestattet, sich die Form zu wählen und auszubilden, die ihnen homogen ist: so muß das Individuum dasselbe Recht in Anspruch nehmen dürfen – umsomehr, als die Einzelnen immer der großen Masse voraus sind, und dann, Colombella, wäre dasjenige erwiesen, wovon ich schon jetzt die Ueberzeugung habe, daß mein Standpunkt zur Anschauung religiöser Dinge gerade so richtig ist, als der Deine.«
»Es kommt aber nicht auf bloße Anschauungen an!« rief Colomba; »sondern auf Handeln und Sein, auf Grundsätze für die Zeit, auf Ziel für die Ewigkeit – auf Rettung unserer Seele . . . Rudolf! auf Rettung Deiner Seele. Das Alles lehrt Dich der Glaube, von welchem Christus gesagt hat: »Wer glaubt und getauft ist, der wird selig werden« – und den die Apostel in Seinem Namen und Auftrag bis zur heutigen Stunde verkündigen – und Du willst die Wahrheit der Offenbarung bei Indiern und Persern suchen!«
»Die indische Trimurtis und die Trias Götter der Egypter haben doch etwas, das an die Trinitätslehre erinnert,« entgegnete Rudolf.
»Ja . . . . wie die Carricatur an das Ideal!« sagte Colomba schnell; – »wie jener Apollokopf, der copirt – und diese Copie wieder copirt wird und so fort, bis die vierundzwanzigste Copie – ein Froschkopf ist! Wird die Lehre nicht göttlich rein bewahrt, wie sie göttlich rein offenbart ist: so thun menschlicher Verstand, Phantasie, Klügelei nach und nach so viel hinzu, daß aus der Lehre von der Trinität eben so richtig eine Trimurtis wird, wie aus dem Apollo ein Froschkopf. Da nun die Offenbarung nirgends rein erhalten ist als da, wo eine göttliche Autorität sie schirmt: so gucken außerhalb der christlichen Kirche – Froschköpfe aus allen Religionssystemen hervor, während uns der Eingeborene Sohn des ewigen Vaters entgegenstrahlt.«
»Das Alles müßte ergründet werden, Colombella! . . . . das kostet Zeit . . . . und für den Augenblick bin ich sehr beschäftigt mit der Uebersetzung von Manzoni's Promessi Sposi« in's Deutsche.«
»Armer Rudolf! wie schwer machen wir Dir das Leben!« sagte Colomba zärtlich.
Ach! nicht die Arbeit drückte ihn! sie war ihm willkommen als Ausrede und als Zerstreuungsmittel gegen quälende Gedanken. Seine freie Zeit wendete er auf Heliade. So lange sie ganz klein war, spielte und scherzte er mit ihr; als sie etwas älter wurde, unterrichtete er sie. Das war seine Erholung, seine Freude. Wie ihn früher Colomba's Seelenfrische labte, so jetzt Heliade – und umsomehr, als er ihr gegenüber weniger egoistisch war. Suchte er den Geist des Kindes zu wecken und zu entwickeln, so stand Colomba ebenso sorgsam neben Heliade, um ihrer Seele die Richtung auf das Himmlische zu geben und das Kind, einsam zwischen Vater und Mutter lebend, rankte sich zu Beiden hinan, wie eine Rebe, die sich von einem Baum zum andern schlingt. Colomba vermied den Fehler, den ihre vortrefflichen Eltern bei ihrer Erziehung nicht vermieden hatten: sie erzog Heliade nicht für diesen oder jenen Stand, nicht für einen bestimmten Platz in der Welt, sondern so, daß Heliade ihre Bestimmung darin finde, im Willen Gottes zu leben, zu handeln, zu denken; das sollte ihr, sowohl nach Innen als nach Außen, die Grundlage einer starken sittlichen Freiheit werden. Horburg wunderte sich zuweilen im Stillen, wie die schmiegsame Colomba von unüberwindlicher Festigkeit sein konnte, um Heliade wieder und immer wieder in ihrem eigenen Willen zu bekämpfen – und nach der Art mancher zärtlichen Väter schien ihm, daß die Mutter zu viel verlange. Machte er eine derartige Aeußerung, so entgegnen Colomba sanft:
»Das weibliche Geschlecht kann nie zu früh und nie zu viel in der Selbstverleugnung geübt werden. Sie ist das sicherste Gegengewicht gegen unsere feine, reizbare, allen Affecten offene Naturanlage. Im kindlichen Gehorsam lernen wir ihre Anfangsgründe und dann, aber auch nur dann – kann sie sich allmälig bis zu jenem stillen Heroismus, den das spätere Leben zuweilen von dem Weibe fordert, steigern.«
»Du hast Recht,« sagte er; »und ein in dieser Weise entwickelter Charakter wirkt auch günstig auf den Geist; denn jede beharrliche geistige Thätigkeit ist Arbeit – und oft sehr mühsame Arbeit, die viel Selbstverleugnung erheischt.«
Dennoch hätte er Heliade mehr nach ihrer Laune oder nach seinen Eingebungen des Augenblicks leben lassen, während Colomba nie vergaß, daß sie für die Seele ihrer Tochter dereinst eine schwere Rechenschaft ablegen müsse. Folglich ging sie mit einer Gewissenhaftigkeit zu Werke, welche unerreichbar für Alle ist, die an kein ewiges Leben mit seinen gerechten Vergeltungen glauben.
Immer mehr reifte Horburgs Entschluß der Uebersiedlung nach Deutschland. Manzonis »Verlobte« wurde lange zuvor gelesen und bewundert, ehe er mit seiner Uebersetzung fertig war. Aehnlich ging es ihm mit späteren Arbeiten: entweder war der Gegenstand bereits behandelt – oder er traf ein Thema, das im Norden der Alpen nicht so ansprechend war, als im Süden. Sein schriftstellerisches Talent war nicht erster Ordnung. Wie man von Garrik erzählt, er habe das Alphabet mit einem so wundersam tragischen Ausdruck sprechen können, daß die Zuhörer darüber Thränen vergossen: so besitzen einzelne seltene Federn die Macht, durch ihre Originalität den Leser zu bezaubern und einem minder interessanten Thema durch lebendige Darstellung, Feinheit des Ausdrucks, Schärfe der Beobachtung, oder worin sonst ihre Magie bestehen möge, Reiz zu verleihen. Eine solche Feder führte Horburg aber nicht. Folglich war es für ihn von großer Wichtigkeit, Gegenstände und Richtungen genau zu kennen, mit welchen sich das Publikum eben beschäftigte oder mit welchen es durch einzelne Coryphäen eben bekannt gemacht wurde; denn das Thema sollte ihn tragen. Bis er in Florenz diese Kunde erhielt und er sich in den Gegenstand hineingearbeitet hatte, war die größere Theilnahme vielleicht schon wieder erkaltet. Ueberdas fehlten ihm in Florenz deutsche Bücher, Zeitschriften, Journale, wovon immer nur Weniges und langsam über die Alpen kam; denn der Umschwung, welcher durch die vervielfältigten Verbindungsmittel jede Art des Verkehrs steigert, war vor einigen dreißig Jahren noch nicht eingetreten. Ueberdas konnte sich Horburg des Wunsches nicht erwehren, seine Heliade nach Deutschland zurückzubringen und ihre Zukunft dort begründet und gesichert zu sehen. Er für seine Person hatte keine besondere Sympathie für Deutschland. Die cosmopolitische Richtung der Deutschen wäre wohl nach seinem Geschmack gewesen, da sie sich sehr gut mit dem weitläuftigsten Individualismus verträgt; – aber er fand sie zu kleinstädtisch und spießbürgerlich: das langweilte ihn, so lange er jung war. Aber jetzt war er alt, jetzt lebte er in geordneten Verhältnissen, jetzt dachte er an die Zukunft eines geliebten Kindes: da stieg auf einmal das gute alte Deutschland im Preise. Doch zögerte er, diese Ansicht seiner Frau mitzutheilen. Für sie war Italien die Heimath und Deutschland ein fast schauerlich unbekanntes Land mit fremder Sprache, fremden Sitten, fremder Natur – rauh, ernst, kalt. Das sagte sie auch, als Horburg doch endlich mit seinem Vorschlag hervortrat. Doch fügsam in allen Dingen, die nicht gegen Glaube und Pflicht waren, überließ sie ihrem Mann die Entscheidung. Ihm wurde Italien verleidet durch die revolutionären Stürme, welche es seit dem Jahr 1830 durchbrausten, und gaben sich auch ähnliche Erschütterungen in Deutschland kund, so glaubte er doch mehr an die Besonnenheit des deutschen Charakters, aus welcher dann naturgemäß die Ueberlegung hervorgeht und den evolutionären Tendenzen entgegentritt. Es lag damals noch nicht so klar wie jetzt zu Tage, daß geheime Gesellschaften und Geheimbünde ein großes unsichtbares Netz über Europa ausspannen, worin ein beträchtlicher Theil der Menschheit, – Manche gefangen ohne es zu wissen – zerstörenden Zwecken dienen. Die Thätigkeit der schlechten Presse gegen jede höhere Richtung des Menschen, gegen Glauben, Sitte und Moral – ihre systematische, beharrliche Arbeit, um das Urtheil zu verfälschen, die Einsicht zu trüben, die Leidenschaften aufzustacheln, wenn es sich um Personen, Institutionen, Lehren und Verhältnisse handelt, die mit christlichen Grundsätzen zusammenhängen – ihr rastloses Bemühen, das Christenthum mit ihrem giftigen Athem anzuhauchen und es dann so darzustellen, als ginge der Gifthauch vom Christenthum aus – ihr Streben, die Menschheit zu verdummen und zu verthieren – stand noch nicht in jener offenkundigen Blüthe, wie heutzutage. Horburg, wie so manche Männer, die ein stürmisches Leben hinter sich haben, wollte möglichst in Ruhe seine späteren Jahre hinbringen, und da das bei den italienischen Convulsionen nicht möglich war, so wendete er sich dahin, wo er die größten Garantien für friedliche Zustände erhoffte. Er wählte Dresden zum Wohnort, weil er den Aufenthalt in Norddeutschland für seine literarischen Pläne als Mitarbeiter von Zeitschriften am geeignetsten fand. Ueberdas war die Gegend freundlich und das materielle Leben nicht kostspielig. Im Spätjahr 1831 langten sie dort an und bezogen den Pavillon im Großen Garten, weil soeben auch das friedliche Dresden der Schauplatz einer revolutionären Bewegung – und die ganze Familie froh war, diese ruhige Unterkunft zu finden.
Mit welchen Gefühlen Colomba Italien verließ, beschreiben Worte nicht. Sie mußte sich von Allem losreißen, was mit ihrem Herzen verwebt war. Sie kannte nicht eine umherstreifende und nach Außen bewegliche Existenz. Sie kannte nur Rom und Florenz und Florenz und Rom – und den Weg, der gleichsam die Axe dieser beiden Pole ihres Lebens war, und sie hatte nicht den mindesten Wunsch, etwas Anderes kennen zu lernen, da es ja unmöglich etwas Schöneres sein konnte. Wenn auch in Pausen von etlichen Jahren – zuweilen konnte sie doch die geliebte Mutter besuchen und die lieben Erinnerungen der ersten Jugend im Häuschen am Monte Celio auffrischen und wieder einmal Kind sein und sich so lieben lassen, wie eben nur die Mutter das Kind liebt. Jede andere Liebe in den menschlichen Verhältnissen wird mit Opfern bezahlt; die Mutterliebe nicht. Das Kind ist eben das Kind; es nimmt Opfer hin; es bringt sie nicht. Sei es, wie es wolle – die Mutter liebt es. Ach, würde es je möglich sein, von Dresden aus nach Italien zu reisen, bei beschränkten Geldmitteln die große Entfernung! – Und bitter wie die Trennung von der Heimath und von der Mutter, so war auch die von dem Vater ihrer Seele – wie sie Pater Generoso nannte. Er hatte ihren Fuß auf den Weg des Glaubens gestellt, den der geheiligte Wille festhält und der weit über der Sphäre kindlicher Gewohnheit, andächtiger Uebungen und frommer Gefühle liegt. Er war während siebzehn Jahren ihr Führer auf diesem Wege, dessen unsichtbare Dornen nur Gott kannte – und er! Die ganze Erziehung ihrer Seele für's ewige Leben hatte er mit einer Weisheit gemacht, die ihr immer himmlischer erschien, je mehr sie im Stande war, den Unterschied zu würdigen, der die Affecte von den Tugenden trennt. Diesen heiligen Freund und Rathgeber mußte sie verlassen mit der Gewißheit, ihn nie wiederzufinden und nirgends vollkommen ersetzen zu können! Pater Generoso war am Ende seiner Laufbahn; auf den Abschied von ihm folgte kein Wiedersehen hienieden. Und dies Alles mußte Colomba opfern nicht in der ersten Jugend, wo das Weib so bereitwillig und leichten Sinnes dem geliebten Mann über Land und Meer in seine Heimath folgt, sondern zu einer Zeit, wo die elastische Tragkraft der Jugend gebrochen war und ihr die Uebersiedelung in so ganz fremde unbekannte Umgebungen grenzenlos schwer machte. Dennoch lag ihr tiefster Kummer in dem Gedanken, daß sich protestantische Einflüsse auf Horburg geltend machen könnten. Seine Seele wieder zu gewinnen für den heiligen Glauben, den sie verloren und verlassen hatte, war der Polarstern ihres Lebens, der ihr jetzt mehr als je umwölkt vorkam.
Heliade freute sich auf das Neue, das Unbekannte, das immer einen hohen Reiz für die Jugend hat, die so gern kennen und wissen mag und nicht ahnet, welche Gefahren um diesen magischen Drang schweben. Heliade war nicht umsonst die Tochter ihres Vaters, war rastlos, beweglich wie er in seiner Jugend; weil sie aber auch die Tochter ihrer Mutter war, so nahm die innere Flamme eine andere Richtung. Einsam bei ihren Eltern aufgewachsen, war Heliade bei zwölf Jahren einerseits ein vollkommenes Kind gänzlichst unberührt von Allem, was Welt ist, andererseits ernst und klug weit über ihre Jahre hinaus. Sie kannte und theilte die Sorgen ihrer Mutter um die Glaubenslosigkeit ihres Vaters. Colomba hatte dem Kinde die Wahrheit gesagt, wenn es fragte, weshalb der Vater nichts von dem Allen thue und beobachte, was die Mutter thue und von ihr verlange. Colomba sagte mit Thränen im Auge:
»Dein Vater theilt nicht unsern Glauben, Heliade, und weil das ein unbeschreibliches Unglück ist, müssen wir ihn unbeschreiblich lieben und Gott bitten, daß er ihm unsern Glauben schenke.«
»Das wollen wir thun!« sagte die energische Heliade, damals ein Kind von fünf Jahren, und so tief senkte sich dies mütterliche Wort in ihre kleine Seele, daß sie zu verstehen schien, wie die Liebe mit ihren heiligen Waffen berufen ist, das zu besiegen, was der Gnade Widerstand leistet.
Als sie älter wurde, tröstete sie oftmals Colomba und ermuthigte sie, wenn diese Anwandlungen von Verzagtheit über Horburgs Seelenzustand hatte. Ihre Tröstungen entsprangen nicht aus der oberflächlichen Arglosigkeit um himmlische Dinge, welche der Kindheit eigen ist und allzuoft von ihr in's spätere Leben übertragen wird; – sie hatten ihren Grund in dem unerschütterlichen Vertrauen, das aus einer feurigen Liebe entspringt. Oftmals zitterte Colomba, wenn sie die außerordentliche Liebeskraft in Heliadens Herz wahrnahm, denn wenn sie sich nicht auf einen Gegenstand wendete, der ihrer werth war – welchem Schicksal ging dann ihr Kind, ihr einziges, entgegen! . . . besonders dann, wenn es etwa die Mutter früh verlieren und allein neben dem glaubenslosen Vater bleiben sollte! In Italien hätte Heliade für diesen Fall ihre Großmutter in der Nähe gehabt – aber in Deutschland fehlte ihr jede Stütze! – So büßte Colomba für den Leichtsinn ihrer Jugend durch ein Leben voll bitterer Sorge und tiefen Kummer. Aber sie nahm willig diesen Schleifstein ihrer Seele an, weil er sie übte in der vollkommnen Liebe, die kreuzbeladen dem Gekreuzigten folgt. Horburg hatte auch seine bittern Sorgen, ja, noch tiefere, denn im Gewissen nagte ein Wurm; da er aber das Geheimniß des Kreuzes verachtete, so spürte er nur Druck und Last – doch nicht den läuternden Segen des heiligen Schleifsteins. Darum standen Beide in ihrem innersten Wesen von einander getrennt. Das war die Nemesis! sie hatten sich gegen den Willen Gottes und gegen den Willen der Eltern verbinden wollen; – sie hatten sich verbunden in Frevel und Leichtsinn; – jetzt waren sie verbunden . . . . und Sternenweiten trennten Seele von Seele! Colomba hatte den Glauben bewahrt und richtete sich von ihrem Sturz wieder auf am Kreuz; Horburg hatte den Glauben aufgegeben und gab sein Leben und Streben der Bestimmung durch äußere Verhältnisse hin, die ihn nicht aufrichteten.
In Dresden ging es durchaus nicht so, wie er gehofft hatte. Jung-Deutschland und Hegelianismus bemächtigten sich der Presse. Mit ihnen zu gehen war für Horburg unmöglich. Jung-Deutschlands entsittlichten Liberalismus hatte er vierzig Jahre früher in Frankreich durchgemacht und erkannt, daß derselbe zur Guillotine führte und nur durch Napoleonische Despotie überwunden werden konnte. Und den Atheismus in ein System zu bringen, wie Hegel und dessen Schüler es thaten, um dann den Menschen ohne Gott in sich selbst zum Gott zu verwandeln – diese armselige Taschenspielerei konnte ihn weder blenden noch verlocken, da er ohne Philosophie und ohne System, nur seinen Leidenschaften, Neigungen und Sympathien zügellos folgend, zu demselben Resultat gekommen war. Er fand weder Beschäftigung noch Theilnahme. Die revolutionäre Strömung, die er in Italien verlassen hatte und die in Frankreich, in Belgien, in Polen herrschte und Deutschland mit einem flammenden Gürtel umgab, kam zu verschiedenen Ausbrüchen auf deutschem Boden und unterwühlte ihn. Horburg bedauerte im Herzen seine Uebersiedelung. Aber was war zu machen? – Die Reise hatte so viel gekostet, daß an eine Rückreise gar nicht zu denken war, wenn sich nicht unerwartete Hülfsquellen eröffneten. Horburg schrieb, um nicht ganz unbeschäftigt zu sein, publicistische Aufsätze aus dem Italienischen und Französischen für Zeitschriften; – sie wurden aber schlecht bezahlt, wie alle Uebersetzungen. Fleißig besuchte er die Bibliothek und sein alter Gedanke, die Ur-Religion zu suchen, wurde wieder in ihm lebendig. Da er aber die orientalischen Sprachen nicht kannte, so begann er die lateinischen Kirchenväter zu studiren und zugleich bei einem gelehrten Rabbiner hebräisch zu lernen.
Als Colomba von diesen Studien Kunde erhielt, bebte ihr Herz vor Freude. Es war die erste Freude, die ihr in Deutschland zu Theil wurde. Sie bemerkte, daß Horburg immer ernster, schweigsamer, ja schwermüthig wurde. Seine hohe Gestalt, die er noch immer stolz und aufrecht getragen hatte, beugte sich; sein volles dunkles Haupthaar trug freilich schon längst den Reif des vorwinterlichen Lebens: jetzt trat der Winter ein und bestreute es mit Schnee. Angsthaft sah Colomba diese Veränderung: welche Seelenkämpfe riefen solche Erscheinungen hervor? was war ihr Beweggrund? wo war ihr Ziel und Ende? . . . Oder machten nur die Jahre sich geltend? Er äußerte sich weder über seine Studien noch seine Gedankt noch seine Absichten. Er scherzte auch nicht mehr so viel wie sonst mit Heliade und übertrug deren Unterricht meistentheils an Colomba.
»Du mußt Deinen Vater erheitern und zerstreuen, Heliade!« sagte Colomba; »es scheint mir, als beschäftige er sich mit Büchern, die ihm einen übertrieben ernsten Eindruck machen.«
»Ich habe es auch schon bemerkt,« sagte Heliade;»er ist hier ganz anders als in Florenz.«
»Er hat wohl nicht Alles so gefunden, wie er es sich vorstellte. Wenn er nur nicht krank wird in diesem rauhen Winter.«
»O nein!« rief Heliade tröstend, »der Winter ist nicht rauh, nur kalt . . . . und das gefällt mir . . . . der schöne weiße Schnee, das blanke Eis . . . . ich hoffe, das wird ihm nicht schaden! . . . Aber Du hustest, Mama!« . . . . und sie heftete mit zärtlicher Besorgniß ihr großes, liebestrahlendes Auge auf Colomba.
Mutter und Tochter führten zusammen ein Einsiedlerleben zu Zweien. Mehr denn je waren sie auf sich selbst angewiesen und beschränkt. In Florenz hatte kein strenger Winter sie von der freien Natur abgesperrt, deren Schönheit ihnen immer neuen Genuß bot, wenn sie Arm in Arm an den Ufern des Arno wandelten. Colomba's Gesundheit ertrug schwer das ungewohnte nordische Klima; es fesselte sie dermaßen an ihre Wohnung, daß sie sich nur Sonntags zum Gottesdienst in die Stadt begeben konnte. Aber schweigend und klagelos brachte sie ihr Opfer und war nur darauf bedacht, Heliade fröhlich und heiter zu erhalten, um durch sie auf ihren Mann zurückzuwirken. Das erste gelang ihr: Heliade war fröhlich, wie die Unschuld ist – wie die Lerche im Frühling, die sich singend zum Morgenhimmel erhebt, und je höher in den blauen Lüften schwebend, desto heller ihr Sang, der sogleich verstummt, wenn sie auf den Erdenboden zurückkehrt. Heliade war glücklich durch die zärtliche Liebe zwischen Mutter und Tochter – eine Liebe, welche durch die zarte Seelensorge um den Gatten und Vater ein eigentümliches Gepräge von trauter Freundschaft bekam und Heliade daran gewöhnte, ihr lebhaftestes Interesse den übernatürlichen Gütern zuzuwenden. Des Vaters Ernst und Schweigsamkeit störte und drückte sie nicht; sie sah darin nur eine Aufforderung, ihn zu erheitern.
Der kleine Salon des Pavillons war das Familienzimmer, in welchem sie immer beisammen waren. Da stand ein Tisch mit Horburgs Schreibereien – und ein anderer Tisch, an welchem Colomba und Heliade lasen, schrieben, zeichneten und arbeiteten. – An den Wänden hingen kleine Büchergestelle in starken Schnüren. So einfach die Einrichtung, war doch der Eindruck gemüthlich gerade durch diesen Charakter von schlichter, edler Häuslichkeit.
»Aber, lieber Papa, jetzt hast Du ganz gewiß genug studirt!« sagte Heliade eines Abends zu Herr von Horburg, indem sie leise aufstand, den Arm um seinen Nacken und die Hand auf das Buch legte, worin er las.
»Man studirt nie genug, liebes Kind,« sagte Herr von Horburg, lehnte sich im Stuhl zurück und sah sie freundlich an.
»Nie genug für Dich, Papa! aber für mich ist es schon zu viel. Die Augen sind mir vor Schläfrigkeit so klein wie Pfefferkörner geworden.«
»So gehe schlafen, mein Kind!«
»O Papa, nein! dann säße Mama ganz allein und still wer weiß wie lange da! Wenn ich hier bin, kann sie doch zuweilen mit mir sprechen . . . ganz leise und heimlich, um Dich nicht zu stören. Aber das ist doch besser, als gar nicht sprechen.«
»Meinst Du?« fragte er lächelnd.
»Meinst Du nicht, Papa?« fragte sie sehr erstaunt.
»Was hast Du denn heute gelesen, Heliade?«
»Etwas, das mir die größte Freude gemacht hat, Papa! nämlich: nicht die Angelsachsen, – die Iren sind es, die zu den germanischen Völkern der Franken, der Alemannen, das Licht des Christenthums gebracht haben. Die heiligen Columban, Fridolin und Gallus waren Iren und bekehrten den Elsaß, Schwaben und die Schweiz, und das war über hundert Jahr früher, als der Angelsachse Winfried Bonifacius die Sachsen und Hessen bekehrte.
»Und warum freut Dich das so sehr, Heliade?« fragte Herr von Horburg sanft und traurig.
»Weil die Glaubensboten aus Mama's Land in Dein Land gekommen sind,« sagte sie eifrig.
»Gutes Kind!« sagte Herr von Horburg und streichelte mitleidig Heliadens zarte Wangen.
»Und St. Columban ist Mama's Schutzpatron, sie heißt ja Colomba,« fuhr Heliade fort; – »und die Legende erzählt so liebliche Dinge von Columban! Wenn er in den wilden Wald ging, flohen vor ihm die Wölfe und Bären; die Vögelchen aber umflatterten ihn und sangen dazu, als ob sie froh wären, ihn zu sehen – und die scheuen Eichhörnchen kamen von den Bäumen herab, kletterten auf seine Schulter und schauten ihn vertraulich an. Die reißenden Thiere hatten Furcht vor ihm, die unschädlichen Zutrauen – da muß doch wohl etwas vom lieben Gott in ihm gewesen sein! – Das habe ich Alles heute gelesen . . . . deutsch gelesen und englisch aufgeschrieben! Mama sagt: Erträglich; aber noch lange nicht gut. Nicht wahr, Mama?«
Am andern Tische saß Frau von Horburg, eine Erscheinung von krankhafter Zartheit, beträchtlich jünger als der Gemahl, aber gleich ihm mit einem tieftraurigen Ausdruck, nur gemildert durch unaussprechliche Sanftmuth. Sie hatte, während Heliade sprach, ihre Handarbeit in den Schooß sinken lassen, stützte den Arm auf den Tisch und die Wange auf die Hand und blickte mit ein Paar unvergleichlich schönen schwarzen Augen – irischen Augen, celtischen klugen, die nichts Europäisches haben – auf ihre Tochter und deren Vater, die sich zu einander verhielten wie die Alpenrose neben einem Felsen. Ihr rabenschwarzes Haar hob die Marmorblässe ihres Angesichts, ihrer Hand, noch mehr hervor und ihre Augen lagen tiefer in den schön geschnittenen Höhlen und ihre Schläfen waren tiefer eingesunken, als es in ihrem Alter zu sein pflegt. Ihre ganze Erscheinung verrieth, daß ein Wurm heimlich an ihr nage; – war das nur Seelenschmerz? . . . . oder der Todtenwurm?
Auf Heliadens Frage antwortete sie nur durch ein liebreiches Lächeln. Heliade bemerkte aber, daß ihre Legende vom hl. Columban ihren Vater nicht sehr beschäftige, darum sagte sie:
»Nun mußt Du auch noch etwas Heroisches hören, eine alte irische Heldensage, Papa! – Vor grauen Jahren schiffte sich eine Schaar kühner Jünglinge von den Inseln des Westmeeres, die ihnen zu eng und zu klein waren, ein – um ein größeres Land zu finden. Sie machten untereinander ab: wer von ihnen zuerst mit der Hand das fremde Land berühre – der solle König sein und die übrigen Alle zu Siegen und Heldentaten anführen. Als sie nun so dahinschifften durch die breiten schäumenden Wogen, sieh! da tauchte die Küste vom grünen Erin vor ihnen auf. Alle jubelten und spannten die Segel straffer, und während das Schiff wie ein Delphin dahinschoß, dachte Jeder heimlich, wie er es wohl anstellen könne, zuerst das Gestade zu erreichen. Der Eine wollte es mit einem kühnen Sprung erreichen, der Andere schwimmend. So überlegten sie und kamen dem Ufer immer näher. Da trat ein Jüngling hart an den Vordertheil des Schiffes. Er legte die linke Hand auf den Rand; – in der Rechten hielt er die Streitaxt. Was will er thun? fragten Alle gespannt. Da fuhr die Streitaxt nieder und schnitt die linke Hand vom Arm ab; . . . . und der Jüngling ergriff mit der Rechten die Hand und warf sie mit gewaltigem Schwung hinüber an's Ufer . . . und Alle frohlockten . . . . aber O'Bryan war König!«
»Gefällt Dir der Ehrgeiz so sehr, Heliade?« fragte Horburg.
»O Papa!« rief sie mit einem Blick leisen Vorwurfs, so sehr mißverstanden zu werden; – »nein! das Opfer gefällt mir. O'Bryan vergoß sein Blut, um König zu werden. Louis Philipp läßt gar gemüthlich Andere ihr Blut vergießen. Das Eine ist Heldensinn und Seelengröße, das Andere ist Ehrgeiz. Mir gefällt die alte Art besser.«
»Vergiß aber nicht, Heliade,« sagte Colomba, daß wir Alle unter Umständen etwas Aehnliches thun und das geringere Gut für das höhere hingeben müssen, und wenn es uns auch an Blut und Leben geht.«
»Und wenn es uns auch Blut und Leben geht!« wiederholte Heliade nachdrücklich und nachdenklich, um sich die Worte fest in's Gedächtniß zu prägen.
Horburg legte die Hand über die Augen und tiefe Stille herrschte im Zimmer.