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4. Kapitel

Nachdem wir die Elefantenzähne vergraben und sorgfältige Notizen über die Lage und besondere Merkmale der Gegend gemacht hatten, damit ich den Ort leicht wiederfinden konnte, setzten wir unsere Reise fort. Einen Monat lang zogen wir die Linie entlang, die jetzt den Orange-Freistaat vom westlichen Griqualand und Transvaal von Betschuanaland trennt. Die einzigen Schwierigkeiten, die wir hatten, waren dieselben, die auch jetzt noch häufig Afrikareisenden begegnen – gelegentlicher Wassermangel und mühseliges Kreuzen von Flüssen und Bächen. Ich entsinne mich, daß wir an dem Orte, wo jetzt Kimberley liegt, ausspannten, aber dann doch gleich wieder weitereilen mußten, weil kein Wasser da war. Damals dachte ich nicht daran, daß ich's erleben würde, Kimberley als große Stadt zu sehen, die jährlich für viele Millionen Pfunde Diamanten hervorbringt, und des alten Indaba-Zimbi Zauberkraft kann schließlich gar nicht so sehr viel wert gewesen sein, denn sonst hätte er mir's gesagt. Ich fand das Land fast vollständig entvölkert. Nicht lange vorher war Mosilikaatze, der Löwe, Chakas General hindurchgezogen bei seinem Vorrücken nach dem Lande, das jetzt Matabeleland ist. Seine Fußspuren waren deutlich genug. Fortdauernd stießen wir auf Orte, wo augenscheinlich Kaffernkrale gestanden hatten. Nun waren die Krale nur noch Asche und Trümmerhaufen, und zwischen dem üppigen Grase lagen die Gebeine von Hunderten von Männern, Frauen und Kindern, und alle diese hatte des Sulus Assagai geküßt. Ich entsinne mich, daß ich an einem dieser verödeten Plätze die Hirnschale eines Kindes fand, in der eine Heidelerche ihr Nest gebaut hatte. Zwitschern der jungen Vögel darin machte mich zuerst darauf aufmerksam. – Kurz nach diesem Ereignis hatten wir unser zweites großes Abenteuer, ein viel ernsteres und tragischeres als das erste.

Wir zogen parallel mit dem Kolongflusse, als eine Herde Bläßböcke unsere Spur kreuzte. Ich feuerte auf einen und traf ihn auch hinten. Er galoppierte noch ungefähr tausend Meter mit der übrigen Herde, dann legte er sich nieder. Da wir Fleisch nötig hatten, denn tagelang hatten wir kein Wild angetroffen, so sprang ich auf mein Pferd, und indem ich Indaba-Zimba zurief, daß ich die Wagen wieder einholen würde oder weiterhin, an einem eine Stunde entfernten Hügel, sie treffen wollte, jagte ich dem verwundeten Bock nach. Sobald ich ihm aber auf hundert Meter nahekam, sprang er auf und entfloh so geschwind, als ob er unverletzt wäre, und in gehöriger Entfernung legte er sich dann wieder nieder. Ich folgte und dachte, die Kräfte würden ihn bald verlassen. Dasselbe Spiel wiederholte sich dreimal. Beim drittenmal verschwand er hinter einer Erhöhung, und da ich mittlerweile die gute Laune und Geduld verloren hatte, so dachte ich, ich wollte an die Erhöhung heranreiten und sehen, ob ich nochmal zum Schuß käme.

Ich erreichte die Erhöhung, die mit Steinen bestreut war, blickte hinüber und sah – ein Sululager. Ich rieb mir die Augen und blickte wieder hin. Ja, da war kein Zweifel möglich. Sie lagerten ungefähr tausend Meter entfernt beim Wasser; einige lagen an der Erde, andere kochten an den Feuern, andere gingen mit Schilden und Speeren; alles in allem mochten es zweitausend sein. Während ich mich wunderte – und nicht ohne einige Unbehaglichkeit –, was sie in aller Welt hier zu tun haben könnten, hörte ich plötzlich rechts und links von mir wilde Schreie. Ich blickte erst hier-, dann dorthin. Von jeder Seite stürzte ein großer Sulu auf mich los, in der rechten Hand den breiten, scharfen Assagai schwingend und in der linken einen schwarzen Schild tragend. Der Mann zur Rechten war vielleicht fünfzehn, der zur Linken höchstens zehn Meter entfernt. Sie rannten herbei, die wütenden Augen traten ihnen fast aus dem Kopfe, und ich fühlte, indem mich ein Furchtschauer kalt durchrieselte, daß in weiteren drei Sekunden sich diese großen »bangwans« in meine Eingeweide bohren würden. Bei solchen Gelegenheiten handeln wir, glaube ich, mehr aus Instinkt als aus irgendeinem andern Grunde – denn für Gedanken ist keine Zeit. Auf alle Fälle ließ ich die Zügel sinken und feuerte, indem ich die Flinte hob, mitten auf den Mann linker Hand. Die Kugel schlug voll durch seinen Schild durch und dann durch ihn, und er rollte zu Boden. Ich drehte mich im Sattel um; zum Glück war mein Pferd daran gewöhnt, still zu stehen, wenn ich von seinem Rücken aus feuerte, und dann war es auch so überrascht, daß es nicht wußte, nach welcher Seite hin es schauen sollte. Der andere Wilde war dicht neben mir; sein ausgestreckter Schild berührte die Mündung meines Gewehres, als ich den Hahn des linken Laufes spannte. Der Schuß krachte, der Krieger flog hoch in die Luft und stürzte dann tot gegen mein Pferd, während sein Speer dicht an meinem Gesicht vorbeifuhr. Ohne nochmals zu laden, selbst ohne mich umzublicken, ob das Hauptkorps der Sulus den Tod seiner Wachen bemerkt hatte, wandte ich mein Roß und trieb ihm die Sporen in die Weichen. Sobald ich den Abhang des Hügels hinabgeritten war, trieb ich es etwas nach rechts, um meine Wagen abzufangen, ehe die Sulus sie sahen. Ich war noch keine dreihundert Meter weit geritten, als ich zu meinem Erstaunen eine Spur gewahrte, die von Wagenrädern und Ochsenhufen herrührte. Es mußten wenigstens acht Wagen und einige hundert Stück Vieh gewesen sein. Ich begriff sofort, daß die Sulus der Spur der Wagen folgten, die aller Wahrscheinlichkeit nach einer Gesellschaft wandernder Buren gehörten.

Die Wagenspur lief in der Richtung, die ich hatte einschlagen wollen, so folgte ich ihr also. Wieder eine englische Meile weiter kam ich an den Hang eines Hügels, und dort sah ich ganz dicht vor mir die Wagen an dem Ufer des Flusses zu einem rohen Lager zusammengeschoben. Und da kamen auch meine eigenen Wagen, die den Abhang hinabzogen, auf die andern zu.

In weiteren fünf Minuten war ich da; die Buren – denn Buren waren es – standen außerhalb des kleinen Lagers herum und beobachteten das Näherkommen meiner Wagen. Ich rief sie an, und sie wandten sich um und erblickten mich. Der allererste Mann, auf den meine Blicke fielen, war ein Bur mit Namen Hans Botha. Ich hatte ihn vor Jahren in Kapstadt sehr gut gekannt. Er war kein schlechter Vertreter seiner Klasse, aber ein höchst ruheloser Mensch mit einem großen Widerwillen gegen jede Autorität, oder, wie er es nannte, mit ›Liebe zur Freiheit‹.

Vor Jahren hatte er sich einer Gruppe auswandernder Buren angeschlossen, hatte sich aber, wie ich alsbald erfuhr, mit dem Leiter derselben überworfen und zog nun fort in die Wildnis, um selbständig eine kleine Kolonie zu gründen. Der arme Kerl! Es war seine letzte Reise.

»Wie geht es Ihnen, Mynheer Botha?« redete ich ihn auf holländisch an.

Der Mann sah mich an, sah mich noch schärfer an, und dann rief er, nachdem er aus seiner holländischen Schwerfälligkeit aufgerüttelt war, seiner Frau, die auf dem Wagenkasten saß, zu: »Komm her, Frau, komm. Hier ist Allan Quatermain, der Sohn des Prädikanten. Wie geht's Ihnen, Herr Quatermain, und was gibt's Neues drunten am Kap?«

»Was es am Kap Neues gibt, weiß ich nicht, Hans«, antwortete ich feierlich; »aber hier ist das Neueste, daß ein Sulu-Impi Ihnen auf der Spur ist und nur zwei Meilen von hier rastet. Das weiß ich bestimmt, denn ich habe eben zwei von ihren Schildwachen totgeschossen«, und ich zeigte ihm meine leere Flinte. Für einen Augenblick herrschte erstauntes Schweigen, und ich sah die bronzefarbenen Gesichter der Männer trotz des Sonnenbrandes erbleichen, während eine oder zwei der Frauen leicht aufschrien und die Kinder zu ihnen hinkrochen.

»Allmächtiger Gott!« rief Hans. »Das muß das Umtetwa-Regiment sein, das Dingaan gegen die Basutsus gesandt hat und das ihn wegen der Marschen nicht erreichen konnte. Es fürchtete sich, nach dem Sululande zurückzukehren und wandte sich nordwärts, um Mosilikaatze zu treffen.«

»Macht ein ordentliches Lager, Leute! Ein gutes Lager, wenn euch euer Leben lieb ist, und einer von euch springe aufs Pferd und treibe das Vieh herein.«

In diesem Augenblick kamen meine eigenen Wagen heran. Indaba-Zimbi saß auf dem Bock des ersten und war in eine Decke gehüllt. Ich rief ihn heran und verkündete ihm die Neuigkeiten.

»Schlechte Nachrichten, Macumazahn«, sagte er; »morgen früh wird's tote Buren geben, aber sie werden nicht vor dem Morgengrauen angreifen, und dann werden sie das Lager so wegfegen«, und er fuhr mit der Hand über den Mund.

»Hör mit deinem Krächzen auf, du weißköpfige Krähe«, sagte ich, obgleich ich wußte, daß er die Wahrheit sprach. Was für Aussichten hatte ein Lager von im ganzen zehn Wagen gegen wenigstens zweitausend der tapfersten Wilden in der Welt?

»Macumazahn, willst du dieses Mal meinem Rate folgen?« sagte Indaba-Zimbi alsbald.

»Wie lautet er?« fragte ich.

»Höre, laß deine Wagen hier, springe auf jenes Pferd und laß uns beide davonjagen, so schnell wie wir können. Die Sulus werden uns nicht folgen, sie werden sich nach den Buren umsehen.«

»Ich will die andern weißen Leute nicht verlassen«, sagte ich; »das würde die Tat eines Feiglings sein. Wenn ich sterbe, sterbe ich.«

»Schon recht, Macumazahn, dann bleib und laß dich töten«, antwortete er, indem er eine Prise Schnupftabak nahm. »Komm, laß uns nach den Wagen sehen«, und er schritt auf das Lager zu.

Hier war alles in Verwirrung. Nichtsdestoweniger erwischte ich Hans Botha und stellte ihm vor, ob es nicht das Rätlichste wäre, die Wagen zu verlassen und zu entfliehen, um das Leben zu retten.

»Wie können wir das?« antwortete er; »zwei von den Frauen sind zu korpulent, um eine Meile zu gehen, eine ist in Wochen, und wir haben nur sechs Pferde für uns alle. Außerdem würden wir, wenn wir es täten, in der Wüste Hungers sterben. Nein, Herr Allan, wir müssen es mit den Wilden auskämpfen, und Gott helfe uns.«

»Gott helfe uns, in der Tat. Denken Sie an die Kinder, Hans!«

»Ich kann es gar nicht ertragen, daran zu denken«, antwortete er mit gebrochener Stimme, während er auf sein eigenes kleines Mädchen blickte, ein süßes, lockiges, blauäugiges Kind von sechs Jahren, Tota mit Namen, das ich oft, als es ein Baby war, gewartet hatte. »Oh, Herr Allan, Ihr Vater, der Prädikant, hat mich immer gewarnt, gen Norden zu ziehen, und ich wollte nie auf ihn hören, weil ich ihn für einen verdammten Engländer hielt; jetzt sehe ich meine Torheit ein. Herr Allan, wenn Sie können, so versuchen Sie, mein Kind vor diesen schwarzen Teufeln zu retten; wenn Sie länger leben als ich und Sie die Kleine nicht retten können, dann töten Sie sie«, und er drückte meine Hand.

»So weit ist es noch nicht, Hans«, erwiderte ich.

Dann machten wir uns an die Arbeit bei dem Lager. Die Wagen, die, meine zwei inbegriffen, sich auf zehn beliefen, wurden in Form eines Vierecks zusammengeschoben und die Deichsel von jedem derselben mit den Zügeln an dem unteren Teile des davorstehenden festgemacht. Die Räder wurden auch festgeschlossen, und der freie Raum zwischen der Erde and dem unteren Boden des Wagens mit den Zweigen des Kameldornbaumes ausgefüllt, der zum Glück in beträchtlicher Menge in der Nähe wuchs. In dieser Weise wurde eine Schutzwand von nicht geringer Stärke gebildet; wenn man bedenkt, daß der Feind keine Feuerwaffen besaß und für unsere Leute geschützte Plätze zum Feuern gelassen waren. In wenig mehr als einer Stunde war alles, was getan werden konnte, getan, und es entspann sich eine Diskussion über die Unterbringung des Viehs, das bis dicht an das Lager herangetrieben worden war. Einige der Buren wollten es in das Lager hineinhaben, so klein dasselbe auch war, oder wenigstens so viele von den Tieren, als man unterbringen konnte. Ich sprach entschieden dagegen, indem ich hervorhob, daß die Tiere, sobald das Schießen losginge, von Schrecken ergriffen werden und die Verteidiger des Lagers niedertreten würden. Im Gegenteil schlug ich vor, daß einige der eingeborenen Diener die Herde das Flußtal entlang treiben sollten, bis sie zu einem freundlich gesinnten Stamme oder sonst einem sicheren Platze gelangten. Natürlich würden sie, sobald die Sulus sie gewahrten, verfolgt werden, aber die Bodenbeschaffenheit war günstig, und es war möglich, daß sie entkamen, wenn sie sofort aufbrachen. Meinem Vorschlage wurde sofort zugestimmt, und, was noch mehr ist, es wurde abgemacht, daß einer der Holländer und alle die Frauen und Kinder, die reisefähig waren, mit ihnen ziehen sollten. Nach einer halben Stunde brachen zwölf von ihnen mit den Eingeborenen, dem Holländer, der sie führte, und dem Vieh auf. Drei meiner eigenen Leute schlossen sich auch an, die drei andern und Indaba-Zimbi blieben bei mir im Lager.

Der Abschied war herzbrechend, und ich mag nicht dabei verweilen. Die Frauen weinten, die Männer stöhnten und die Kinder blickten sich mit angstvollen bleichen Gesichtern an. Endlich waren sie fort, und ich wenigstens war froh darüber. Im Lager blieben siebzehn weiße Männer, vier Eingeborene, die zwei Burenfrauen, die zu dick waren, um zu reisen, die Kindbetterin mit ihrem Kindchen und Hans Bothas kleine Tochter Tota, von der zu trennen er sich nicht entschließen konnte. Zum Glück war ihre Mutter schon fort. Und hier will ich gleich erwähnen, daß zehn von den Frauen und Kindern, zusammen mit der Hälfte des Viehs, entkamen. Das Sulu-Impi sah sie nie, und am dritten Tage ihrer Reise kamen sie an den befestigten Platz eines Griquahäuptlings, der sie schützte, wofür er die Hälfte des Viehs als Bezahlung bekam. Dann reisten sie in kleinen Touren bis hinunter zur Kapkolonie und erreichten die zivilisierte Gegend ungefähr ein Jahr nach dem Angriff auf das Lager.

Der Nachmittag war schon weit vorgeschritten, und noch immer ließ sich nichts von dem Sulu-Impi gewahren. Eine wilde Hoffnung durchzuckte uns, daß sie andern Zielen gefolgt sein möchten. Seit Indaba-Zimbi gehört hatte, daß wir das Regiment für zum Umtetwastamme gehörig hielten, war er in tiefe Gedanken versunken gewesen. Und nun kam er zu mir und erbot sich hinauszugehen und ihre Bewegungen zu erspähen. Zuerst war Hans Botha dagegen eingenommen und sagte, er wäre ein ›verdomte Swartsel‹ – ein verdammter Schwarzer – und würde uns verraten. Ich hielt ihm vor, daß nichts zu verraten wäre. Die Sulus mußten wissen, wo die Wagen waren, aber für uns war es wichtig, Informationen über ihre Absichten zu bekommen. So wurde also zugestimmt, daß Indaba-Zimbi gehen sollte. Ich sagte es ihm. Er nickte mit seiner weißen Locke und sagte: »Schon recht, Macumazahn«, und dann brach er auf. Ich bemerkte zu meiner Überraschung, daß er vorher noch auf den Wagen kletterte und sein ›Monti‹ holte, seine Medizin, die er zusammen mit seinem ganzen Zauberapparat immer in einer Art Felleisen trug. Ich fragte ihn, warum er das täte. Er antwortete, er wolle sich damit gegen die Speere der Sulus unverletzbar machen. Ich glaubte seiner Erklärung nicht im geringsten, sondern war im Herzen davon überzeugt, daß er die Gelegenheit wahrnehmen wollte, um sich zu retten und mich meinem Schicksale zu überlassen. Ich tat aber nichts, um ihn daran zu hindern, denn ich hatte den alten Burschen gern und hoffte aufrichtig, daß er dem traurigen Schicksal, das über uns hing, entfliehen möchte.

So ging also Indaba-Zimbi fort, und als ich seiner entschwindenden Gestalt mit den Blicken folgte, dachte ich, daß ich ihn niemals wiedersehen würde. Aber ich irrte mich und ahnte nicht, daß er sein Leben wagte, nicht für die Buren, die er samt und sonders haßte, sondern für mich, den er in seiner seltsamen Art liebte.

Als er weggegangen war, vervollständigten wir unsere Vorbereitungen für die Verteidigung, indem wir den Wagen und Dornen durch Anhäufung von Steinen und Erde noch mehr Halt zu geben versuchten. Dann aßen und tranken wir beim Sonnenuntergang so gut wir unter den Verhältnissen konnten, und nachdem wir damit fertig waren, sprach Hans Botha, der Leiter des Trupps, ein Gebet, indem er Gott um unsere Erhaltung anflehte. Es war ein rührender Anblick, den dicken Holländer zu sehen, wie er barhäuptig dastand, sein breites Gesicht von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet, und in der einfachen, ungekünstelten Sprache sich an ihn wandte, der allein von den Speeren des grausamen Feindes erretten konnte. Ich entsinne mich, daß der letzte Satz seines Gebetes lautete: »Allmächtiger, wenn wir getötet werden müssen, so rette die Frauen und Kinder und meine kleine Tota vor den verdammten Sulus und laß uns nicht erst noch mißhandelt werden.«

Ich sprach das Gebet in meinem eigenen Herzen inbrünstig nach, das weiß ich, denn gleich den anderen war ich in schrecklicher Furcht, und wie man zugeben muß, nicht ohne Grund.

Dann brach die Dunkelheit herein, und wir nahmen die uns bestimmten Plätze ein, jeder mit seiner Flinte in der Hand, und spähten schweigend hinaus in die Dunkelheit.

Dann und wann steckte einer der Buren seine Pfeife mit einem Scheit des schwelenden Feuers an, und der Schein desselben beleuchtete für einige Augenblicke sein bleiches ängstliches Gesicht.

Hinter mir lag eine der dicken Frauen auf der Erde. Selbst das Schreckliche unserer Lage konnte ihre schweren Augenlider nicht offenhalten, und sie schnarchte laut. Weiterhin, dicht am Feuer, lag die kleine Tota in einen Mantel gewickelt. Sie schlief ebenfalls, den Daumen im Munde, und von Zeit zu Zeit trat ihr Vater heran, um sie anzusehen.

So schlichen die Stunden hin, während wir auf die Sulus warteten. Aber da ich die Gewohnheiten der Eingeborenen sehr genau kannte, so befürchtete ich keinen Angriff ihrerseits während der Nacht, obgleich sie, wenn sie ihn gemacht hätten, uns mit wenig Verlusten auf ihrer Seite hätten überwältigen können. Es ist bei diesen Völkern nicht Sitte, sie kämpfen gern bei Tageslicht, am liebsten beim Morgengrauen.

Um elf Uhr ungefähr, gerade als ich auf meinem Posten ein wenig einnickte, hörte ich außerhalb des Lagers einen leisen Pfiff. Sofort war ich völlig wach und hörte die ganze Reihe entlang das Knacken der Schlösser, als die Buren ihre Flinten spannten.

»Macumazahn«, sagte eine Stimme, die Stimme Indaba-Zimbis, »bist du da?«

»Ja«, antwortete ich.

»Dann halte ein Licht so, daß ich genug sehen kann, um in das Lager hineinzuklettern«, sagte er.

»Ja, ja! Halten Sie ein Licht«, sagte einer der Buren. »Ich traue Ihrem schwarzen Schepsel nicht recht, Herr Quatermain; er hat vielleicht einige seiner Landsleute mitgebracht.« So wurde eine Laterne geholt und nach der Richtung der Stimme hingehalten. Indaba-Zimbi war ganz allein. Wir ließen ihn in das Lager und fragten ihn nach Neuigkeiten.

»Hört meine Neuigkeiten, weiße Männer«, sagte er. »Ich wartete, bis es dunkel wurde, dann kroch ich bis zu dem Platze, wo sich die Sulus gelagert haben, verbarg mich hinter einem Steine und lauschte. Sie sind ein großes Regiment, und etwas wie Boer Botha da drüben dachte. Vor drei Tagen stießen sie auf die Wagenspur und folgten ihr. Heute nacht schlafen sie auf ihren Speeren, und morgen, bei Tagesanbruch, wollen sie das Lager überfallen und alle töten. Sie sind sehr schlecht auf die Buren zu sprechen wegen der Schlacht am Blutflusse und der andern Kämpfe, und das ist der Grund, warum sie den Wagen folgten, statt gerade nordwärts hinter Mosilikaatze herzuziehen.«

Eine Art von Stöhnen ließ sich aus der Reihe der zuhörenden Holländer vernehmen.

»Ich will euch was sagen, Herren«, sagte ich, »statt hier zu warten, um abgeschlachtet zu werden wie ein Bock in der Fallgrube, laßt uns jetzt hinausgehen und das Impi überfallen, während es schläft.«

Dieser Vorschlag erregte lebhaftes Hin- und Hersprechen, aber zu guter Letzt fand sich nur ein Mann, der dafür votierte. Die Buren entbehren in der Regel jener Begeisterung, die große Soldaten macht; solche unsichere Hoffnungen sind nicht nach ihrem Geschmack, und statt mutig etwas zu wagen, verschanzen sie sich lieber in einem Lager, wenn die Aussichten auf Sieg auch noch so schwach sind. Ich für mein Teil bin überzeugt, daß wir, wenn sie meinem Rate gefolgt wären, die Sulus besiegt hätten. Siebzehn verzweifelte Männer mit Feuerwaffen würden in einem Lager schlafender Wilden keinen geringen Effekt erzielt haben. Aber er wurde nicht angenommen, und so ist alles Reden darüber überflüssig.

Danach kehrten wir zu unsern Posten zurück, und langsam zog sich die Nacht zum Morgen hin. Nur diejenigen, die unter ähnlichen Verhältnissen gewacht haben in der Erwartung eines fast gewissen und grausamen Todes, können sich von der Qual dieser schrecklichen, schweren Stunden eine Vorstellung machen. Aber sie gingen schließlich auch herum, und endlich fing im fernen Osten der Himmel an sich aufzuhellen, während der kühle Morgenwind die Leinwand unserer Wagen bewegte und mich bis auf die Knochen durchkältete. Die fette Holländerin hinter mir erwachte mit lautem Gähnen, dann fiel ihr alles wieder ein, und sie stöhnte auf, während ihre Zähne vor Kälte und Angst zusammenschlugen. Hans Botha ging zu seinem Wagen und holte eine Flasche Pfirsichbranntwein, aus der er etwas in ein Zinnschälchen goß und uns jedem einen kräftigen Schluck gab, während er versuchte, uns aufzuheitern. Aber diese gemachte Scherzhaftigkeit schien seine Genossen noch mehr niederzudrücken. Wenigstens tat sie es auf alle Fälle mit mir.

Nun wurde der helle Schein größer, und wir konnten in dem dichten Nebel, der über dem Flusse hing, schon ein Stück weit sehen, und nun – oh, da kam es. Von der andern Seite des Hügels, vielleicht tausend Schritte oder noch etwas weiter vom Lager entfernt, kam ein schwacher summender Klang – der entsetzliche Schlachtgesang der Sulus. Bald konnte ich die Worte verstehen. Sie waren einfach genug:

»Wir werden sie erschlagen, wir werden sie erschlagen. Ist es nicht so, meine Brüder?

Unsere Speere sollen blutrot erröten. Ist es nicht so, meine Brüder?

Denn wir sind die Säuglinge Chakas, Blut ist unsere Milch, meine Brüder.

Erwachet, Kinder des Umtetwa, erwachet! Der Geier kreist, der Schakal schnüffelt die Luft.

Erwachet, Kinder des Umtetwa – rufet laut, ihr ringgeschmückten Männer: Dort ist der Feind, wir werden ihn erschlagen. Ist es nicht so, meine Brüder?

S'gieh! S'gieh! S'gieh!«

Dies ist eine ungefähre Übersetzung dieses verhaßten Gesanges, den ich bis zum heutigen Tage oft noch im Traume höre. Auf dem Papiere sieht er nicht besonders imposant aus, aber wenn der Leser ihn gehört haben könnte, wie er zu gleicher Zeit aus den Kehlen von fast dreitausend Kriegern erscholl und durch die stille Luft rollte, dann würde er ihn wohl eindrucksvoll gefunden haben.

Nun erschienen die Schilde über dem Kamm der Erhöhung. Sie kamen kompanieweise, jede Kompanie ungefähr hundert Mann stark. Im ganzen waren es einunddreißig Kompanien. Ich zählte sie. Als alle hinüber waren, formierten sie sich in drei Kolonnen, und dann trabten sie den Abhang herab auf uns zu. In einer Entfernung von einhundertfünfzig Schritten, also gerade außerhalb der Schußweite unserer damaligen Flinten, hielten sie und begannen wieder zu singen.

»Dort unten ist der Kral des weißen Mannes – ein kleiner Kral, meine Brüder.

Wir werden ihn verschlingen, wir werden ihn niedertreten, meine Brüder.

Aber wo ist des weißen Mannes Vieh – wo sind seine Ochsen, meine Brüder?«

Diese Frage schien sie in Verlegenheit zu setzen, denn sie sangen den Gesang wieder und wieder. Endlich trat ein Herold vor, ein großer Mann, dessen Arme mit Elfenbeinringen geschmückt waren, und indem er seine Hände an den Mund hielt, rief er uns zu und fragte, wo unser Vieh wäre.

Hans Botha kletterte auf die Spitze eines Wagens und brüllte ihm zu, sie möchten sich die Frage selbst beantworten.

Dann rief der Herold wieder, er sähe, daß das Vieh fortgebracht worden wäre.

»Wir werden gehen und das Vieh finden«, sagte er, »und dann werden wir kommen und euch töten, denn ohne Tiere müßt ihr bleiben, wo ihr seid, aber wenn wir uns damit aufhalten, euch zu töten, ehe wir die Tiere fangen, dann mögen sie für uns zu unerreichbar weit gezogen sein. Aber wenn ihr versucht fortzulaufen, dann werden wir euch leicht fangen, weiße Männer!«

Mir schien das eine sehr seltsame Rede, denn die Sulus greifen gewöhnlich erst den Feind an und nehmen nachher sein Vieh; aber trotzdem lag ein gewisser Grad von Glaubwürdigkeit darin.

Während ich noch darüber nachgrübelte, was das alles zu bedeuten haben möchte, liefen die Sulus in Kompanien an uns vorbei nach dem Flusse zu. Plötzlich verkündete ein heller Schrei, daß sie die Spur des Viehs gefunden hatten, und das ganze Impi folgte im schnellen Laufe, bis es ungefähr eine Viertelmeile (engl.) entfernt hinter einem Hügel verschwand.

Wir warteten eine halbe Stunde oder etwas länger, konnten aber nichts von ihnen gewahren.

»Nun möchte ich nur wissen, ob die Teufel wirklich gegangen sind«, sagte Hans Botha zu mir.

»Es ist sehr seltsam.«

»Ich will gehen und nachsehen«, sagte Indaba-Zimbi, »wenn du mitkommen willst, Macumazahn. Wir können bis auf die Spitze des Hügels klettern und hinüberspähen.«

Erst zögerte ich, aber die Neugierde überwog meine Bedenken. Ich war zu jener Zeit noch jung und von dem qualvollen Warten abgespannt.

»Mir ist's recht«, sagte ich, »wir wollen gehen.«

So brachen wir auf. Ich hatte meine Elefantenflinte und Munition. Indaba-Zimbi hatte seinen Medizinbeutel und einen Assagai. Wir krochen bis zur Spitze des Hügels wie Jäger, die einen Bock verfolgen. Der Abhang auf der andern Seite war mit Felsstücken bestreut, zwischen denen Strauchwerk und hohes Gras wuchs.

»Sie müssen den Donga hinuntergegangen sein«, sagte ich zu Indaba-Zimbi, »ich kann keinen einzigen entdecken.«

Während ich sprach, erhob sich ein Gebrüll von Menschenstimmen rings um mich her. Hinter jedem Felsen, von jedem Grashaufen erhob sich ein Sulukrieger. Ehe ich mich umwenden, ehe ich die Flinte erheben konnte, war ich zu Boden geworfen und ergriffen.

»Haltet ihn! Haltet den weißen Geist fest!« rief eine Stimme. »Haltet ihn fest, oder er wird euch wie eine Schlange entgleiten. Verletzt ihn nicht, aber haltet ihn fest. Laßt Indaba-Zimbi neben ihm gehen.«

Ich wandte mich nach Indaba-Zimbi um. »Du schwarzer Teufel, du hast mich verraten!« rief ich.

»Warte es ab und sieh, Macumazahn«, antwortete er kühl. »Nun wird der Kampf anfangen.«


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