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In derselben Nacht saß die Familie Redlich in höchster Beängstigung in einem Hinterstübchen ihrer Wohnung, im dritten Stock des dem Landschaftsrath Hochherz gehörigen Hauses auf der Brüderstraße.
Während Emma in patriotischer Begeisterung sich den größten Gefahren aussetzte, indem sie mit ihren kleinen Brüdern Steine aufhäufte vor den Fenstern ihrer Wohnung, dann wieder Kaffee kochte und die Erfrischung furchtlos unter Kugelregen den Vertheidigern der nächsten Barricade zutrug, machte Madame Redlich ihrem Gatten lebhafte Vorwürfe, daß er so schwach gewesen sei, Edmund zu erlauben sich in Gefahr zu begeben.
»Ach Jotte doch,« seufzte die gute Frau in ächt Berlinschem Volksdialekt, indem Thränen ihre alten Augen füllten, »höre Einer das Brummen der Kanonen und dieses Knittern und Knallen der Gewehrsalven; wenn nun der arme Junge getroffen würde! jede Kugel kann ihm in den Gedärmen sitzen, ehe wir es wissen, ich hätte den Tod davon, und dann wärest Du, Vater, der Mörder Deines Kindes.«
Diese Worte zog sich der alte Mann zu Gemüthe; er sagte nichts; aber er stöhnte, daß es wie Schmerzlaute klang, die tief aus einem bewegten Herzen herauf quollen.
Er stand auf, zog seinen gelben Flausrock an, und den Kragen desselben über die Ohren und setzte eine alte Pelzmütze auf.
»Was willst Du beginnen, Alter, was fällt Dir ein?«
»Laß mich, Mutter, ich habe den armen Jungen ins Feuer geschickt, meine Schuldigkeit ist es, ihn wieder heraus zu holen.«
»Aber wo und wie willst Du ihn finden unter den vielen Tausenden von Menschen im Kampf und Getümmel, das auf allen Straßen wüthet?«
»Wer auf Gottes Wegen geht, den leitet Gott, daß er richtig gehe.«
»Und wenn Du selbst nicht zurückkehrtest, wenn Dich eine Kugel träfe.«
»Wenn Gott meinem Leben ein Ziel gesetzt hat, so trifft mich die Kugel so gut im Bett, wie auf der Straße. Ueberall, Mutter, steht ein frommer Mann in Gottes Hand. Darum laß mich gehen, es ist ja der Vater, der seinen Sohn sucht.«
Dasselbe Gottvertrauen gewann auch die Mutter; jedoch steckte sie in die weiten Taschen seines Rocks noch Aderlaßbinden, englisches Pflaster, ein ganzes Töpfchen voll Heilbalsam, ein Päckchen Kamillenthee, Charpie und was sie sonst an Hausmitteln hatte für allerhand Verwundungen und Kranksein, wie es im häuslichen Leben wohl vorkommt. In die andre Tasche schob sie ein paar Milchbrödchen und eine halbe Flasche Rothwein für den Fall, daß der arme Junge etwa verschmachtet sein sollte.
So ging der zwei und siebenzigjährige alte Mann fort, ohne daß Emma, die eben den Barricadenbauern Kaffee hintrug, davon etwas wußte; die würde auf keinen Fall den Vater allein habe gehen lassen.
So schlich sich denn der alte Herr an den Häusern hinauf nach der Roßstraße zu, und kam endlich, vielfach gehemmt durch Gedränge und Getümmel, durch die ziemlich enge Straße vor die allen Fremden bekannte Conditorei von d'Heureuse, die bekanntlich dem Schlosse gegenüber quer vor der Breitenstraße Front bildet.
Das Schießen und Krachen der Gewehr- und Kanonensalven vom Schloßplatz her hatte er schon lange gehört; plötzlich aber ein seltsames Pfeifen und Zischen um sich her. Gegen die Fronte der erwähnten Conditorei schlugen Kanonenkugeln und Kartätschen und tödteten noch mehrere Personen unmittelbar in seiner Nähe. Da ergriff ihn ein panischer Schrecken. Er drängte sich ins Haus. Aber die Kugeln folgten; sie zerschlugen die Thüren und Fenster der Conditorei und im Innern gab es Todte. Entsetzlicher Anblick! der alte Redlich stieg in die oberen Etagen hinauf. Aber auch dort schlugen Kugeln durch die Fenster. Selbst Frauenzimmer wurden getödtet; der Vater rief in steigender Angst den Namen seines Sohnes. Da fiel ein junges Mädchen, von einer Kugel getroffen sterbend zu seinen Füßen nieder. Wehklagend kniete er nieder an ihrer Seite und hülferufend zog er das Verbandzeug hervor, um ihre tiefe Wunde zu verbinden, aber bald darauf wurde er still.
Unter den Todten dieses Hauses wurde am folgenden Tage auch ein alter Mann gefunden, im hellgrauen Flausrocke, den Niemand kannte. Wir aber kennen den braven Mann, es war der Vater, der seinen Sohn gesucht und dabei den Tod gefunden hatte.
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Wie anders war es in Redlich's Wohnung. Als Emma von ihrer Mutter hörte, daß ihr Vater fortgegangen war und daß ihre Mutter ihn veranlaßt hatte sich in die Gefahr zu begeben, war sie außer sich. Wie auch auf der Straße die Schüsse krachten und der Kampf wüthete, so wollte sie doch sich nicht abhalten lassen, sich hinaus zu stürzen, um ihren Vater zu suchen.
Zum Glück trat Hochherz in diesem Augenblick aus seiner Wohnung auf den Vorflur, als das aufgeregte Mädchen ohne Hut und Umschlagetuch eiligst von der obern Treppe herab kam und ihm zurief: »Meinen Vater muß ich suchen, er hat sich ins Getümmel begeben.«
»Um Gott, Emma, wagen Sie es nicht!« – rief Hochherz, indem er die Eilende auffing.
»Aber ich will und muß meinen Vater retten.«
»Sie finden ihn nicht, theure Emma, zudem ist es zu spät. Die Soldaten haben die Barricaden erstürmt, dringen schon vor in der Straße und in die Häuser. Sicher hat sich Ihr Vater in eins der Häuser geflüchtet, aber in welches? das weiß nur Gott allein.«
Er hatte sie dabei umfaßt und das junge Mädchen war so aufgeregt, daß sie fast bewußtlos in die Arme ihres Freundes sank; er hielt sie schwebend aufrecht und redete ihr mit Wärme zu, in diesem schrecklichen Augenblick besonnen zu sein, um nicht Alles zu verlieren. »Sie würden nur sich selbst opfern, ohne den Vater zu retten. Sorgen Sie nicht für ihn; ein redlicher Mann steht immer unter Gottes Schutz und die Hand dieses Vaters im Himmel ist mächtiger als die der Menschen.«
»Sie haben recht, ich will mich zusammennehmen. Hören Sie den Tumult auf der Straße, das Krachen der Schüsse, das Heulen der Sturmglocken, das Geschrei der Menschen. Ja, wir haben jetzt Krieg. Jedes Haus sei eine Festung. Wir haben die Verpflichtung, sie zu vertheidigen. Kommen Sie herauf, das Leben ist wohlfeil geworden; aber das unsrige wollen wir ihnen theuer verkaufen.«
Hochherz postirte seine Jäger und seine Bedienten mit Gewehren an die Fenster seiner Wohnung, und befahl ihnen, auf die anrückenden Soldaten zu feuern und wenn diese ins Haus dringen sollten, die Treppe zu vertheidigen. Er folgte darauf dem jungen Mädchen in die obere Etage. Dort in dem nach hinten hinaus belegenen Schlafzimmer brachte Emma eilends die Kinder angekleidet zu Bette, und that dann das Licht aus, um vom dunklen Fenster herab den Tumult auf der Straße übersehen zu können. Das schwere Geschütz hatte aufgehört zu donnern, denn die ganze lange Straße blitzte von Helmen mit ihren glänzenden Spitzen und Adlern und Bajonnetten. Ueberall hörte man das Krachen der Hausthüren, die mit Kolbenstößen eingeschlagen wurden. Aus den Fenstern der obern Etagen knallten von allen Seiten Gewehrschüsse. Man sah wohl, daß es theils Bewohner, theils Barricadenkämpfer aus dem Volke waren, die von ihren zerstörten Verschanzungen vertrieben, jetzt von oben herab auf das Militair unten in den Straßen schossen; aber auch Soldaten waren es, die in die Häuser gedrungen aus den Fenstern auf die Steinschützen, welche oben am Rande der abgedeckten Dächer die Dachsteine in Massen auf das Militair niederschleuderten, oder Schützen hinter den Fenstern waren das Ziel ihrer Kernschüsse, die Manchen trafen, so daß er von der Höhe der Dächer herabstürzte und von den Bajonnetten der Soldaten aufgefangen wurde.
Es war eine grausige Zeit! in der weichsten Menschenseele verschwand alles Gefühl für Schonung des Menschenlebens.
Emma warf schwere Pflastersteine hinab ohne Mitgefühl, ob sie Menschen in der Blüthe ihrer Jahre schwer verwunde oder tödte – es waren ja Soldaten, Feinde des Volks, Soldaten, die vielleicht ihren Bruder, oder ihren Vater getödtet hatten, es waren Soldaten, die man längst gewohnt war, als Maschinen, welche von höherer Hand gelenkt wurden, um Menschen zu tödten, zu betrachten.
Der Landschaftsrath handelte weniger in Leidenschaft. Er kannte die entmenschte Wuth, womit die aufs Höchste gereizte Soldateska überall auch gegen Unschuldige und Wehrlose kämpfte, wo sie in die Häuser gedrungen waren; um diese zu schützen mußte das Volk Sieger sein im Straßenkampfe und um dieses zu erreichen, galt es vorzüglich die Soldatencolonnen ihrer Führer zu berauben. Als guter Schütze zielte er stets auf die Offiziere, die er an dem Degen in der Hand erkannte. Jede seiner Kugeln traf und legte vielleicht einen frühern Bekannten zu den Todten.
Aber das Herz wußte davon nichts. Es war der Geist einer neuen Zeit, das Freiheitsgefühl des Volks, das gegen Absolutismus und sein Gefolge von Camarilla, Aristokratie, Büreaukratie, Polizei- und Militairherrschaft den Vernichtungskrieg führte.
So hatte die höhere Idee auch diesen Mann zu Thaten begeistert, bei denen in Tagen der Ruhe sein Herz geblutet haben würde.
Da plötzlich krachten Kolbenstöße gegen die verschlossene Hausthür seines Hauses. Soldaten drangen durch die zertrümmerte Thür, und unten im Hausflur krachten Gewehr-Schüsse, die von oben von der Treppe her von Seiten des Jägers und der Bedienten des Landschaftsraths erwidert wurden.
»Jetzt,« sprach der Landschaftsrath, »müssen wir uns zurückziehen. Es wäre Thorheit, sich der Uebermacht widersetzen zu wollen. Kommen Sie, Emma.«
Auf dem Treppenflur standen die Diener und schossen hinunter auf den Hausflur, der ganz mit Soldaten gefüllt war. Auch diese schossen hinauf und begannen mit dem Bajonnet in der Hand die Treppe zu erstürmen.
»Rettet Euch,« rief ihnen Hochherz zu, »werft ihnen die Gewehre an den Kopf und dann fort!« –
Ehe er seine Wohnung verließ, hatte er noch ein Paar geladene Pistolen zu sich genommen und während seine Diener noch eine kurze Zeit sich den eindringenden Soldaten widersetzten, dann sich aus dem Küchenfenster auf das niedrige Dach einer Hofwohnung herabließen und auf diese Weise der wüthenden Soldateska entkamen, hatten Hochherz und Emma die Familien-Wohnung der letztern erreicht.
»Wo ist die Mutter?« – rief Emma, indem sie alle Zimmer und Schlafgemächer durcheilte.
»Die Mutter ist hinuntergegangen,« sprach Fritzchen, indem er sich in seinem Bette aufrichtete, »um den Vater zu holen.«
»Herr Gott, dann ist sie unter die Soldaten gerathen, dann ist sie verloren!«
»Beruhigen Sie sich, der alten Frau wird nichts zu Leide geschehen!«
»Nichts soll mich abhalten, ihr zu folgen.«
»Wollen Sie denn auch in den Tod gehen, wer soll dann für ihre kleinen Geschwister sorgen?«
»Ich vermache sie Ihnen, mein hoher Freund, mein Leben ist der Rettung Derer gewährt, denen ich mein Dasein zu verdanken habe.«
Ehe es Hochherz hindern konnte, war sie schon auf der Treppe, die in den zweiten Stock führte.
Von dorther aber schrien mehrere Soldaten: »Der Hausherr, wo ist der Hausherr! aus den Fenstern seiner Wohnung und von der Treppe herab ist geschossen.«
»Hier wohnt Herr von Hochherz,« sprach ein junger blonder Offizier, von bleicher Gesichtsfarbe, »ein ehrloser Edelmann, denn er hat ein Duell refüsirt, auf Ehre, die abtrünnige Canaille soll unter meinen Händen verbluten.«
»Herr,« rief Hochherz von der Treppe herunter, »wagen Sie es nicht mich anzugreifen, oder Sie sind des Todes!«
»Da ist er! drauf, drauf!« rief der Offizier, und da er für den Augenblick keine Waffen in der Hand des Angegriffenen sah, so stürzte er sich mit dem blanken Degen in der Faust die Treppe hinauf, um ihn niederzustoßen, und zwei Mann mit gefälltem Bajonnet folgten ihm; doch der Freiherr zog blitzesschnell ein Pistol aus der Brusttasche seines Ueberziehers und von der Kugel eines krachenden Schusses getroffen, sank der Lieutenant hintenüber in die Arme seiner Grenadire.
Emma war dadurch in dem Versuch die Treppe herabzusteigen, um ihre Mutter zu finden, aufgehalten worden.
»Jetzt, liebe Emma«, rief er ihr zu, indem er sie fortzog, »lassen Sie uns den Augenblick des Schrecks und der Verwirrung benutzen, um ein Versteck aufzusuchen. Wenn wir einen Augenblick zögern, so sind wir Beide ohne Rettung verloren.«
»Auch Sie, mein edler Freund?« rief sie erschüttert, »ich will Sie retten, folgen Sie mir!«
Und mit eben so viel Eile als Besonnenheit holte sie aus einem Schranke in der Familienwohnstube einige Schlüssel, führte dann den Freiherrn auf den Hausboden, dessen Thür sie hinter sich zuschloß und von da in eine dunkle Wäschkammer. – Der Vollmond schien hell genug durch eine offenstehende Bodenluke, um sich dort sicher orientiren zu können und Emma verbarg ihn hinter einer Waschleine an der Wand, worauf Betttücher und Tischtücher bis zum Boden niederhingen.
»Aber Emma, Sie verbergen sich doch auch dort hinter dem Schornstein!« –
»Würde mir wenig helfen; denn gerade in solchen Schlupfwinkeln wird am ersten gesucht. – Ich werde hinunter gehen, um bei den Andern zu bleiben oder meine Mutter zu suchen. Verhalten Sie sich indeß ruhig, Herr Landschaftsrath.«
»Emma, bei Gott,« rief dieser leidenschaftlich, »wenn Sie sich in Gefahr begeben, so folge ich Ihnen und sollte ich auf dem Fleck meinen Tod finden.«
»Aber was wollen Sie denn? – Soll ich meine Pflichten verletzen?«
»Sie verletzen keine Pflicht, wenn Sie mich und sich selbst tödten ohne damit irgend Jemand retten zu können.«
»Gut, um Sie zu retten bleibe ich hier. – Verhalten Sie sich ruhig!«
»Ja, so weit es nöthig ist. Uebrigens wenn man mich findet, so beschwöre ich Sie, sich nicht zu rühren. Ich habe als Frauenzimmer nichts zu besorgen, als vielleicht etwas Gefangenschaft. Sie aber würden augenblicklich getödtet werden.«
Jetzt hörten Beide, daß mit Gewehrkolben die Bodenthür eingestoßen wurde. Schwere Tritte und Waffenklirren nahten sich ihrem Verstecke. Beide waren still geworden und horchten. Der Freiherr konnte Emma nicht sehen und diese sorgte in geschäftiger Eile dafür, daß jeder Theil seines Körpers oder seine Kleidung unsichtbar wurde. Sie selbst aber verbarg sich nicht in dieser Kammer. Das muthige Mädchen dachte so: wenn sie mich hier finden, werden sie glauben, ich sei die einzige Versteckte hier und dann werden sie nicht weiter nachsuchen und wenigstens mein edler theurer Freund wird gerettet sein, wenn ich auch dabei getödtet werden sollte.
Kaum hatte sie mit hochherziger Resignation diesen Gedanken gefaßt, so nahten sich die schweren Tritte und das Waffenklirren der Soldaten; ihre Flüche und das Stoßen der Gewehrkolben gegen den Boden deutete auf ihre Wuth.
»Aufgemacht!« schrien sie und stießen mit den Kolben gegen die schwache Breterthür, die krachend zusammenbrach.
Es waren nur zwei Soldaten, die auf den Boden detaschirt waren, und Fritzchen selbst, den sie aus den Betten gerissen hatten, trug weinend ein brennendes Licht. Durch Drohungen und Schläge gezwungen hatte er den Soldaten als Führer dienen müssen und wurde damit, ohne es zu wollen und zu wissen der Verräther seiner Schwester, die im inbrünstigen Gebet zu Gott gewendet auf ihren Knien lag.
Die mit gefälltem Bajonnet eindringenden Soldaten machten Miene die Knieende zu durchstoßen; aber ihre betende Stellung, ihre jungfräuliche Schönheit und das fromme schöne Auge, dieser Blick voll Resignation und höherem Gottvertrauen entwaffnete für einen Augenblick die Wuth der rohen Männer. – Sie setzten Gewehr beim Fuß, starrten die wunderbare Erscheinung eine Secunde an und dann sagte der Eine:
»Sie sind unsere Gefangene!«
Der Andere fragte: »Sind noch mehr Gefangene hier?«
»Würde ich mich nicht besser verborgen gehabt haben,« fragte Emma, »wenn es hier Verstecke gegeben hätte?«
»Dort hinter dem Schornsteine«...
»Da würden Sie mich bald gefunden haben, sehen Sie selbst nach. Es ist Niemand da.«
Die Soldaten leuchteten hinter den Schornstein. Begreiflich fanden Sie Niemanden.
»Alles richtig Kamerad,« sprach der Eine, der zunächst die Untersuchung vorgenommen hatte. »Ich denke, wir ziehen ab mit unserer sakrements-hübschen Gefangenen, das ist so eine ächte Berliner Pflanze, die wird unsere Herren Lieutenants amüsiren.«
»Halt, noch einen Augenblick, untersuchen wir erst die Wäsche, da war es, als regte sich etwas darunter.«
»Werden die Ratten gewesen sein,« sprach Emma mit erstarrendem Herzen, »das Ungeziefer hat sich hier so eingenistet.«
»Nun, dann werden wir Euch einen Gefallen thun, diese Ratten zu spießen.«
»Und,« setzte der Zweite mit grausamem Spott hinzu, »wenn die guten Kahlschwänzchen doch einmal Löcher in die Wäsche gefressen haben, so sehe ich nicht ein, was es schaden kann, wenn unsere Bajonnette diese noch vermehren.«
Dabei stießen sie mit den Bajonnetten in die am Boden liegenden Haufen Wäsche.
Und dabei waren diese Haufen zerstreut und weggeräumt. Plötzlich wurde da, wo die Bett- und Tischtücher vor der Wand hingen, ein Paar bestiefelte Mannsfüße sichtbar.
»Da haben wir den Delinquenten,« rief Einer lachend aus, »wo es Füße giebt, da giebt es auch Menschen.«
»Drauf, Kamerad!« schrie der Andere, der noch weiter zurückstand.
»Ja, der Hund soll sterben.« Damit fällte er das Bajonnet und stieß auf den Haufen Wäsche zu, so daß er unvermeidlich den dahinter verborgenen Mann durchbohrt haben würde, wäre nicht Emma mit Blitzesschnelligkeit zugesprungen, und hätte, im Augenblick des Stoßens zugreifend, dem Gewehr und der Bajonnetmündung eine andere Richtung gegeben. Gleichzeitig krachte der Schuß und Kugel wie Bajonnetstich fuhren dicht am Leibe des Freiherrn vorbei in die Wand.
In demselben Augenblick schoß auch der andere Grenadier; aber im engen Raum blieb sein Gewehr im Moment des Schusses an einer Zugleine hängen und Emma fühlte erst einige Minuten später am herabrieselnden Blut und beginnenden Schmerz, daß sie von der Kugel in die Seite getroffen war, hoffentlich nur von einem Streifschuß.
Noch waren die beiden Schüsse nicht verhallt, da sprang Hochherz aus seinem Versteck hervor und mit dem gezückten Pistol schoß er den ersten Angreifer durch die Brust, daß derselbe todt niederfiel; dann ging er mit dem ihm entrissenen Bajonnet dem Anderen zu Leibe, den er an die Wand spießte.
Gleichzeitig aber hatte Fritzchen, sobald die Schüsse krachten, das Licht, das er trug, fallen lassen und war schreiend nach Hülfe davon gelaufen. So geschah denn die ganze grausige Mordscene im dämmernden Streiflicht des durch die Bodenluke blitzenden Mondes, bis das fallende Licht einen Theil der Wäsche entzündet hatte und davon am Boden einige Flammen aufloderten.
»Löschen,« rief Emma, »ersticken wir die Flammen, sonst greifen sie weiter!« damit warf sie einen Arm voll Wäsche auf eine der brennenden Stellen und trat darauf. Aber was dort erlosch, brannte an anderen Stellen um so lustiger empor.
»Nein, löschen wir nicht,« mahnte Hochherz dringend, »eilen wir zu fliehen. Die Schüsse werden schon im nächsten Augenblick neue Soldatenmassen heraufgelockt haben, und finden sie die Todten, so werden wir massacrirt.«
»Fliehen, ja fliehen, aber die Treppen sind besetzt.«
»Giebt es denn keinen andern Fluchtweg?«
»Ueber die Dächer! Diese Ziegeldächer sind flach, aber glatt; ziehen wir die Schuhe aus, um nicht zu gleiten.«
Für Emma war das leicht; etwas schwieriger für den Landschaftsrath, der indeß zum Glück nur kurze Stiefelchen trug. Emma half ihm; es gelang.
»Nehmen wir eine Zugleine mit,« sprach Emma, »um uns fest zu binden, wo es Noth thut.« Mit einem Säbel, den sie einem der todten Soldaten abgenommen hatte, versuchte sie die starke Hanfleine schnell von ihrem Nagel zu trennen.
»Zu spät!« rief Hochherz, »der Brand nimmt überhand und könnte Ihre Kleider ergreifen; und schon höre ich die Soldaten die Treppe herauf kommen. Wir müssen Alles wagen, oder verlieren Alles.«
Damit zog er sie rasch aus der brennenden entsetzlichen Mordkammer. Auf dem größern Bodenraum hinter dem Hauptschornsteine des Hauses angekommen, sah er mit Entsetzen, daß ihre Röcke glimmten und Funken sprühten. Hochherz warf sich auf den Boden und es gelang ihm endlich, die Gluth zu ersticken durch Zusammendrücken mit den Händen, die er sich freilich dabei verbrannte; aber was war der kleine Schmerz gegen die große Gefahr?
Schon waren Soldatenhaufen die Bodentreppe heraufgekommen, als beide Flüchtlinge sich noch auf einem entferntern, dunklen Theile desselben befanden.
Gräßlich leuchtete die Flamme aus der Wäschkammer, die weiter um sich gegriffen hatte; aber eben dieser Brand lenkte die Aufmerksamkeit der Soldaten von ihrem Fluchtweg ab.
Dieser zeigte sich denn auch bald geöffnet. Es war im hintersten Raume des Daches nach der Straße zu ein Theil des Daches aufgerissen. Durch diese Oeffnung stiegen sie hinaus, Emma voran und Hochherz, der ihr folgte, ohne sie, wenn sie fallen sollte, retten zu können, folgte ihr mit den fruchtbarsten Qualen der Todesangst in seinem Herzen, denn jetzt erst wurde er sich klar bewußt, wie sehr er das edle muthvolle Mädchen liebte. Sie kamen bald auf das Dach des Nachbarhauses; doch war daselbst nach der Straße zu keine Luke zu finden, und sie mußten noch weiter steigen.
Das war eine entsetzliche Reise. Das Dach von schuppenartig gelegten Ziegeln erbaut, war zwar flach genug, um nicht so leicht gleiten zu können; aber zur Seite die gräßliche Tiefe voll wogender Menschen, blitzender Pickelhauben und starrender Bajonnette, und dazu dieses entsetzliche Krachen und Knattern der Gewehrsalven und einzelner Schüsse von unten nach oben und von oben nach unten. Wen in solcher Lage nicht ein rettungsloser Schwindel ergriff, mußte die Natur einer Gemse auf den Alpen haben. Doch Emma rieth mit Besonnenheit, keinen Blick in die Tiefe zu werfen; denn alsdann wären sie dem Schwindel ohne Hülfe verfallen.
Zum Glück war hier die Dachrinne nicht unter der äußersten Dachtraufe der letzten Ziegel angebracht und so diente diese doch im Fall des Ausgleitens einigermaßen, wenn auch zum schwachen und gebrechlichen Stützpunkt. Doch schon dieser Umstand gab einige Beruhigung.
So stiegen sie weiter nach dem nächstgelegenen, zweiten Nachbarhause zu, den Körper mehr nach oben zu gelehnt, als nach der Straßenseite zu, indem sie Einer dem Andern Muth einsprachen und Vorsicht empfahlen.
Aber von unten, von der Straße her hatte man im hellen Mondscheine die Flüchtlinge auf dem Dachforst des hohen Hauses bemerkt. Ein wirres Geschrei unter den Soldaten: »Schießt die Sperlinge vom Dache herunter!« war im allgemeinen Krachen und Toben da auf der Höhe nicht verständlich. Aber ein sonderbaren Zischen und Pfeifen dicht an ihren Ohren machte ihnen bald klar, daß sie auf ihrer ohnehin schon gefahrvollen Wanderung das Ziel von vielen hunderten gegen sie gerichteter Kugeln waren.
»Jetzt stehen wir allein in Gottes Hand,« sprach Emma, indem sie sich gegen ihren Begleiter zurückwendete. »Vertrauen wir auf Gott; es ist auch die einzige Hoffnung, die unser Leben erhalten kann.«
»Wenn uns nicht,« sprach Hochherz dumpf, »ein unglücklicher Zufall eine dieser Kugeln ins Herz treibt.«
»Was ist Zufall,« entgegnete Emma, »auf dieser Welt ist nichts Zufall. Wo wir den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung uns nicht erklären können, da ist es Gottes Schickung. Ohne dessen Willen fällt kein Sperling vom Dache. Auch wir stehen unter seiner Obhut.«
Damit waren sie bis an das Ende dieses zweiten Daches gekommen.
»Aber mein Gott,« rief Emma, indem sie dort hart am Rande vor Schreck niedersank und zu ihrem Freund zurückblickte; »das Nachbarhaus ist ja niedriger als dieses Dach, und noch dazu ist es ein steileres Dach; wie hinunterkommen, wie uns dort erhalten.«
»Ich eile zurück, eine Leine vom Boden zu holen.«
»Um von den Soldaten ergriffen und erschossen zu werden, die dann auch mich entdecken und tödten würden.«
Die letztere Gefahr entschied. »Aber wie hier uns retten, von Kugeln umsauset, wie leicht werden wir getroffen und dort hinter uns dringt schon der Rauch durch die gesprengten Dachsteine und der Rauch zieht in schwarzen Wolken über's Dach.«
»Schrecklich! Hier keine Rettung und dort der gewisse Tod! wir müssen das Aeußerste wagen, wir müssen hinunter.«
»Gut, ich löse mein Umschlagetuch, und Sie lassen mich daran herab, dann knüpfen Sie es an die Dachsparren und folgen selbst.«
Mit diesen Worten nahm sie ihr um die Schultern und Taille geknüpftes Umschlagetuch ab, drehte es zusammen und gab ihm das eine Ende in die Hand.
»O, nicht dieses fremde: Sie,« sprach Hochherz mit Wärme, ergriff dabei mit dem Tuche ihre Hand, die er küßte und fuhr fort, »ja, theure Emma, die Gefahr hat uns vereinigt, ich hoffe auf immer, wenn uns hier nicht noch ein feindliches Geschick trennt.«
»Doch auf jeden Fall,« entgegnete sie, »nicht länger bis in die Ewigkeit, wo gute Menschen wieder, so Gott will, zusammen kommen.«
»Emma,« fuhr er mit steigender Wärme fort, »wir stehen hier am Rande des Abgrundes, am Scheidewege zwischen Leben und Tod. Es drängt mich, Ihnen hier, in diesem gefahrvollen Augenblick, zu sagen...«
»Schweigen Sie jetzt, ich beschwöre Sie darum. Die höchste Aufgabe des Lebens sollte man mit klarer Ruhe und Besonnenheit lösen. Kein Band für das Leben, das in Aufregung und Leidenschaftlichkeit geschlossen wird, gewährt Bürgschaft für dessen Dauer. Darum beschwöre ich Dich, und dieses Du sei Zeuge meiner Gefühle, in diesem großen Moment laß uns jetzt an nichts als an unsere Rettung denken.«
»O Du Engel!« rief Hochherz in einem Hochgefühl der Liebe, das ihn für den Moment alle Gefahren übersehen ließ, »schon dieses eine Wörtchen des Vertrauens giebt mir Kraft und Muth, das Aeußerste zu wagen.«
Nach dieser Erklärung sprachen Beide kein Wort weiter und Emma wickelte das eine Ende ihres wollenen Umschlagetuchs um die eine Hand, während sie mit der andern darüber hinausgreifend anfing, vom Dache herabzusteigen.
Hochherz hatte Kraft genug, das Tuch zu halten, und indem er sich erst auf ein Knie ließ, dann auf die Brust legte und mit beiden Armen den Dachforst überragte, ließ er das in der Luft schwebende Mädchen nieder auf das Dach des nächsten Hauses. Dieses aber war so steil, daß sie sich nicht auf den glatten Ziegeln hätte erhalten können, und sie wäre auch hier verloren gewesen, hätte nicht ihr gütiges Geschick, ohne welches auch nicht das Leichteste gedeihet, gefügt, daß gerade unter der Stelle, wo sie sich herabgelassen hatte, im Dache eine jener Oeffnungen gemacht war, welche zur Vertheidigung gegen die Soldaten bestimmt waren. Bewaffnete Männer, die von dort aus auf die Straße herabgeschossen und Steine geworfen hatten, nahmen sie in Empfang.
Auf demselben Fluchtwege folgte Hochherz, indem er vermittelst eines starken Knotens das feine Wolltuch an den Dachsparren des obern Hauses geknüpft hatte.
Dort blieb es hängen. Es war der letzte Dienst, den des Grafen Banco feiner Ternowashawl dem betrogenen Mädchen geleistet hatte.
Nun waren Beide auf dem Boden eines fremden Hauses von Patrioten und geängstigten Bewohnern umgeben; aber ihre Lage hatte sich dadurch wenig gebessert; denn auch aus diesem Hause war geschossen und mit Steinen geworfen, und mit Sicherheit ließ sich daher darauf rechnen, daß auch dieses Haus bald von den in der Straße vorgedrungenen Soldaten besetzt werden würde. Das war umso mehr zu erwarten, als man von unten die Flüchtlinge durch das Dach dieses Hauses hatte hineinsteigen sehen.
In der That vergingen kaum wenige Minuten, als ein durch das ganze Haus dringendes Pochen verrieth, daß das Militair die Thür dieses Hauses zu erbrechen suchte.
Bald war dieses gelungen. Geschrei und Schüsse, die von unten herauftönten und das Fliehen einzelner Bewohner die Bodentreppe hinauf, verriethen, daß Militair im Hause war. Alles rannte wie sinnlos durcheinander; doch Hochherz behielt Besonnenheit. Er empfahl zugleich das Verbarricadiren der Bodenthür, welches keine gar zu schwierige Aufgabe war, da die Bodentreppe gleichsam einen engen Paß bildete, welcher sehr bald mit altem Geräth und Geröll aller Art gefüllt war, und dann ordnete Hochherz das Einschlagen einer Oeffnung in die Brandmauer des Nachbarhauses. Das gelang ebenfalls. Menschenhände waren genug da; darunter selbst einige Maurergesellen, die von den Barricaden vertrieben hier eine Zuflucht gesucht und vom Dache herab neuen Kampf eröffnet hatten. Auch Spitzhacken und Brecheisen fehlten nicht im Hause, da dieses einem Maurermeister gehörte.
So drangen denn Emma und Hochherz und Andere in das dritte Nachbarhaus. Dort war Sicherheit, denn von hier aus war noch kein Angriff auf die Soldaten geschehen. Eine befreundete Familie im dritten Stock nahm beide Flüchtlinge auf.
Man bemerkte bald darauf, daß in Folge irgend einer strategischen Bewegung die Soldaten aus der Brüderstraße, deren Barricaden sie genommen hatten, sich zurückzogen. Viel Volk drängte ihnen nach. Von keiner Seite wurde geschossen. Man sah von Seiten der Offiziere mit weißen Tüchern wehen. Die Barricadenkämpfer, die jetzt wieder sichtbar wurden, erwiderten dieses Friedenszeichen.
»Es scheint ein Waffenstillstand eingetreten zu sein,« sprach Hochherz, »wenn es auch nur ein trügerischer ist; ich fürchte, die Soldaten bieten die Hand zum Frieden, nur weil sie ihre Munition verschossen haben; sobald diese wieder ersetzt ist, wird der Kampf um so wüthender wieder entbrennen.«
Jetzt wollte Emma in ihr Haus zurückkehren, löschen, wo es brannte, nach ihren kleinen Brüdern sehen, ihre Eltern aufsuchen.
»Thun Sie das noch nicht, in dem Menschengewühl könnten Sie mit fortgerissen werden und ihre Absicht verfehlen. Ich selbst werde gehen, diese Liebespflicht für Sie zu erfüllen. Ich bringe Ihnen Ihre Brüder hierher.«
Das Du, welches Beide in der Stunde gemeinschaftlicher Todesgefahr enger verbunden hatte, war jetzt wieder dem fremdern Sie gewichen. Hochherz wollte der Ueberraschung eines leidenschaftlichen Moments keinen Sieg über ihr Herz verdanken.
Und er ging, nachdem ihm Emma feierlich das Versprechen gegeben hatte, daß sie nicht eher dorthin zurückkehren werde, als bis er selbst sie dort wieder einführen werde.
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Hochherz hatte schon erfahren, was sich ereignet hatte. So lange als möglich wollte er Emma den Schmerz über den Verlust ihrer Eltern ersparen. Er ging also zunächst nach dem Hause des Conditor d'Heureuse und fand dort unter den Todten den guten alten Redlich liegen.
Die Kugel hatte ihn in die Brust getroffen und seinem stillen, vielfach verkümmerten Leben schnell ein Ende gemacht. Der Frieden Gottes lag auf seinen milden, bleichen Zügen.
Schon wollten Patrioten die Leiche aufheben, und mit blosgelegter Wunde in die dichtesten Volkshaufen tragen, um aufs Neue zum Kampf aufzuregen. Aber Hochherz widersetzte sich diesem Beginnen und sagte: »Der Mann hat stets den Frieden geliebt; er soll nun auch im Tode nicht mitwirken, den Krieg aufzuregen.«
Und so ließ er denn den Todten verhüllt in sein Haus tragen, und zwar oben in eins seiner Zimmer, wo er ihm ein würdiges Ruhebett bereiten ließ.
Unten auf der Hausflur, unbemerkt in eine Ecke gekauert, lag die arme redselige Frau Redlich. Sie war schnell und ohne Kampf durch einen Bajonnetstoß durchs Herz getödtet worden, und Soldaten hatten sie aus dem Wege geräumt und in jene Ecke geschleppt.
Mit bewegtem Gefühle ließ Hochherz auch diese Leiche auf sein Zimmer tragen, und neben ihren Gatten betten.
»Nun sind die armen Kinder verwaist,« sprach er zu sich selbst. »Sie sollen die Meinigen sein.« Damit stieg er wehmuthsvoll hinauf in die Redlich'sche Wohnung. Da fand er die Kleinen, bekleidet in ihren Betten liegen und in süßen Schlummer versunken.
Ein rührender Anblick des freundlichen Stilllebens, eine Unschuldswelt nach so schrecklichen, bewegten Scenen.
Die Kinder verlangten weinend, nach Vater und Mutter gebracht zu werden. Sie kannten ihren Verlust noch nicht, die Armen, und Hochherz wollte es ihnen auch nicht sagen. Er versprach, sie nach ihrer Schwester zu führen, und die Kinder wurden ruhig.
Hochherz ließ sie aufstehen, trug den kleinsten Knaben selbst und nahm die andern an die Hand; so führte er sie in das dritte Nachbarhaus von dort.
Seinen Leuten hatte er streng verboten, die Kinder Redlichs von ihrem Verlust in Kenntnis zu setzen.
Er hatte den Schlüssel aus ihrer Wohnung gezogen und mitgenommen.
Das Feuer oben auf der Bodenkammer war theils durch die eindringenden Soldaten, theils durch die nach ihrem Abzuge wieder aus ihren Verstecken hervorkommenden Bewohner des Hauses wieder gelöscht worden, ehe es völlig zum Ausbruch kam.
Indem er die Schlüssel an Emma überreichte und ihr die Kinder zuführte, übergoß ein Strahl von Freude das durch vielfache Schrecken gebleichte Antlitz des schönen, jungen Mädchens. Sie umarmte ihre kleinen Brüder und fragte sogleich nach ihren Eltern und nach Edmund.
Die Kinder konnten darüber nicht Auskunft geben. Da nahm Hochherz das Wort und sprach mit einer ganz eigenen Weichheit des Tons: »Beruhigen Sie sich, liebe Emma, Ihr Vater und Ihre Mutter sind wohl aufgehoben.«
Zum Glück verstand Emma nicht die wahre Bedeutung dieser doppelsinnigen Antwort.
»Wo sind sie?« fragte sie lebhaft, »ich muß hin zu ihnen. Sie bedürfen vielleicht meiner Pflege.«
»Jetzt nicht,« entgegnete der Freiherr, »dagegen diese Kinder bedürfen der Fürsorge einer lieben Schwester, die Mutterstelle bei ihnen vertritt. Ueberhaupt ist diese sturmbewegte Nacht nicht geeignet, um ein sicheres Asyl zu verlassen; darum bleiben Sie hier, liebe Emma, diese treffliche Familie, die Sie aufgenommen hat, wird Sie sicher nicht verstoßen.«
»O nein, gewiß nicht!« entgegneten die beiden erwachsenen Töchter des Hauses, und küßten Emma, der sie überhaupt viel Liebes erwiesen, als hätten sie vorahnend schon gefühlt, daß es eine Waise war, die sie schwesterlich an ihr Herz drückten.
Nachdem es auf diese Weise dem Freiherrn gelungen war, die Wellen eines herben Kummers für den Augenblick noch abzuleiten, versprach er ihr, daß sie heute nach Tages Anbruch, denn Mitternacht war längst vorüber, ihre Eltern sehen sollte; jetzt aber müsse er fort, um Edmund aufzusuchen, wo möglich auch für die Herstellung des Friedens mitzuwirken.
Emma entließ ihren Freund mit einem unwillkürlichen Druck der Hand und einem Blick der innigsten Liebe, von dessen glühendem, stummem Spiel sie selbst noch keine Ahnung hatte.
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