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Hinter den grauen Gardinen in Pantegans Haus brannte ein Licht, dessen Strahlen sich unsichtbar im Dunkel fortspannen bis zu ihm, dem Tröster des feistesten aller Philosophen, hinter die Fensterläden des toten Lebzelters Ferdinand, bis zu ihm und zu irgendwelchen vom Diesseits und vom Jenseits. Es schien eine Kraft in jedem Strahl zu sein, der die Gegenstände fortschob, die er traf, und weiter ins Dunkel hinein fortrückte.
Und hinter dem Licht stand der Eine und lachte freundlich – sah den Lemmingen nach, die sich vor ihm verkrochen, und ersann drollige Wortgespinste.
»Du hast Dich gelangweilt, Julia, und mit der Barmherzigkeit herumgespielt – – na, sag's doch – – – Zettelzeug zusammengeschrieben.«
Er schlug mit der Faust auf einen Pack Zeitungen, die neben ihm auf dem Tisch lagen. »Da – da, lauter Zettel, dumme infame Lausezettel, altes Geschmiere. Hol uns jetzt Bier und mach die Betten.«
Sie flüchtete mit ihren Händen unter das spanische Tuch und faßte nach dem Krug. Ihre kleinen Füße in den engen Festtagsschuhen mußten sorgfältig Stufe neben Stufe suchen. Aber die Muskeln des Gesichtes, die Wangen und die Schläfen waren fest. Sie fühlte es. Nur unter den Haarlocken der Stirne sammelten sich zitternde Tropfen, beweglich wie halbgeronnenes Blut. – – – –
Dieser Abend Pantegans war zu feucht und zu kalt für den Gedanken eines Triumphes. Ihm waren klügere, freigebigere Tage vorangegangen. Wie in den Niederungen des Fiebers dunstete die Gasse, ein dampfender Mantel lag über den Häusern. Und durch die Türen taumelte der betrunkene Tod mit den Pfauenfüßen mitten unter zerrissenen Kirchengesängen. Der Gott der Gasse hatte seinen Priester wieder, und welcher Gott freut sich nicht über seinen Geweihten. Die Wände sogen wieder eifrig das Gelächter des Propheten, und jeder geringfügige Tanz stürmte ein Herz in den Abgrund. Man sprach nicht mehr von den Toten. Die Gedanken klebten an der Erscheinung des Einigen, die Sorgen gehörten ihm, alles Mütterliche der Seelen war ihm zugedacht, alle Hände lagen bereit, ihn zu tragen, für ihn abzuwehren. So beging man das Fest seiner Wiederkehr und empfand es wie eine Reinigung von dem dumpfen Schmutzgeruch der letzten furchtsamen Wochen.
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Drüben, wo jetzt ein Teil der Stadt an den Hügel hinaufwächst wie der weiße, widerspenstige Keim eines schwarzen Gewächses, dort, wo früher Reben standen, wohnte in irgendeinem Hause der Kandidat hoch oben über dem Gewirr der Giebel. Er wohnte so, wie Kandidaten wohnen, ein wenig zu gefährlich für ein besorgtes Herz, etwas zu vorsichtig für einen Scholar, eigentlich so recht mitten zwischen den Sternen. Hier wühlten seine Gedanken unter den Paketen alter Manuskripte der eigenen Hand, die ihn immer wie Merkwürdigkeiten berührten, wenn er sie vor einer Tat oder nach einem Erlebnis betrachtete. Wurde es Nacht, ging er gern ans Fenster und las im Mondlicht über Eigenes – Vergangenes. Dann pflegte er befriedigt in der Hütte seiner Bedürfnisse auf und ab zu pendeln, um sein Herz an den ruhigen Takt regelmäßiger Gefühlsäußerung und behaglichen Denkens zu gewöhnen. »Es wäre Sünde, dem Vater eine solche Episode in das Grab nachwerfen zu müssen, ohne sie vorerst abzurunden,« hatte er früher so oft gesagt, wenn er Erlebnisse sortierte und lächelnd zwischen den Sternen auf- und abging oder gedankenvoll-einsam den Teekessel wusch. In dem Maße, wie ihn das Geheimnis der brodelnden Flüssigkeit zu Gedanken der Innerlichkeit anregte, war er damals ein Mann des klaren Gehorsams gewesen.
Aber der Kandidat Erich Friese aus Pommern war jetzt kein ganzer Kandidat mehr. Die Memoiren hatten den Gehorsam verdorben, und er spielte die Guitarre in den Mondnächten, während die wahren Gerechten schliefen. Er fing jetzt an, die Menschen auszulachen, erst einzeln und dann in Massen. Und er ging sogar unter die, die das Brot der Liebe aßen mit so gutem Appetit, wie andere einen warmen Auflauf schlingen. Die Schubladen im Schreibtisch des Kandidaten hatten sich rasch mit Souveniers gefüllt, und von Tag zu Tag wurden seine Hände flinker im Aufzeichnen von Erlebnissen. Von jenem Sommertag ab legte er über jede Stunde Rechnung. Zwischen dem roten Rausch der Pelargonien und seinem Damaskus lag eine Fülle engbeschriebener Tagebuchblätter, jedes mit der zierlich-säuberlichen Unterschrift »Erich Friese, Kandidat« versehen. Erst das letzte Blatt schloß mit einem siegreich kräftigen Anführungszeichen »Paulus«.
Mitten in diese überquellenden Stimmungen der stolzen Seele warf die Post ein zerknittertes Briefchen von Julia. Es war am Spätnachmittag, da der Kandidat eben seinen Rock säuberte und sich zu neuen Zärtlichkeiten rüstete.
»Es steht einer zwischen uns. Aber fürchte Dich nicht. Ich bin ganz Dein, und der wird wieder fortgehen. Warte auf mich.« Das Zettelchen schloß mit ängstlichen Trostworten und Kosenamen.
Der Kandidat war bleich geworden, warf den Rock über das Bett und suchte in seiner Vorratsecke nach einem Päckchen Tee.
Dann trank er nervös von dem brühenden Gebräu und zerdrückte ein in Rum getauchtes Stück Zucker auf der Zunge. In seinem Feldstuhl erwartete er den Abend, der eine klare Nacht prophezeite. Zwischen den Giebeln zitterten noch die verwehten Akkorde der Aveglocken. – –
Erst spät verlockte es ihn hinunterzugehen in die Straßen. Er lief durch die leuchtende Mittelstadt bis an die Quais hinunter. Es war ein verwegener Gang, der ihn an Pantegans Haus vorüberführte. Julias Lampe brannte noch wie ein kleines Licht in der Waldkapelle. Der Kandidat flocht die Hände auf dem Rücken und hatte den Hut tief in die Stirn gedrückt. – Kaum daß ein Pfiff oder ein Ruf aus den Durchgängen und Sackgassen seine Gedanken aufschreckte, die sich in Verwirrungen zusammendrängten, während er die schlichte Pose der Verwahrlosten heuchelte.
»Die Menschen sind wie Mönche hier, die Straßen wie Klostergänge, kalt und alt. Es betet hier etwas vergiftete Gebete. Hinter den Fenstern sind Altäre versteckt, ich höre die Sänger und die Beter. Es kann doch niemand ohne Religion sein.«
– – – – Hinter einem Türvorhang rief ihn eine dünne Stimme. Er sah einen mageren Knaben im Lichte zweier verschmutzter Laternen. Übele Gerüche wehten durch die Öffnung, und der Kandidat konnte einen langen schwachbeleuchteten Gang entlang blicken, der wie ein feuchter Stollen in die Tiefe des Hauses mündete. Ein lilafarbenes Schild mit weißen Buchstaben und dem Bild einer kauernden Meerkatze hing über dem Eingang.
Der magere Knabe streckte ihm eine bittende Hand entgegen, die seine eigene streifte. Das Gesicht des Kandidaten guckte erschrocken, wie bei der Berührung eines unreinen Tieres. Er drückte den Hut noch tiefer ins Gesicht und lief denselben Weg zurück, den er hergekommen. Ein gleichgültiges Gelächter erwachte in irgendwelchem Winkel. Ein paar verlorene Frauen schäkerten vielleicht irgendwo. Aber dem Kandidaten war es, als gälte alles Gelächter der Welt nur ihm und bisse ihn in seine flüchtige Ferse.
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Am nächsten Morgen erwachte der Kandidat im Fieber. Große Tropfen standen über seiner Stirn, und seine Stimme war matt und heiser. »Ich bin krank, Frau Pepitschka«, sagte er zu einer dicken Frau, die sich um sein Bett bemühte, »bringen Sie mir Papier und Tinte, ich werde vielleicht morgen sterben.«
Er schrieb dann an Julia. Es war nichts von Fieber und Sterben in diesem Brief, nur von der einsamen Religion und der ganz besonderen Liebe war etwas darin gesagt, wie in einem dunkeln Gedicht, und auch vom Unerfaßlichen und von der Sehnsucht war etwas verworren eingeschoben. Der Blumen des ersten Tages ward wieder gedacht und der stillen Weide und des Rausches der Erlösung. Und allem ward am Ende eine Hoffnung hinzugefügt. Immer heftiger fiel das Fieber den Kandidaten an, während er auf Antwort wartete. Ein behäbiger Arzt verordnete Pillen. Aber der Kandidat warf sie über die Dächer und lachte die Mediziner aus. Stundenlang saß er des Nachts trotzig am Fenster und suchte sich Antworten und Heilmittel aus den Sternbildern, oder erjagte seine Augen durch die Zeilen der Bücher, blätterte im Galenus und suchte unter den Mystikern.
»Die alte Medizin hat mehr Heilkraft, Herr Doktor, ich lache stundenlang über den Galenus.«
Der Arzt griff beleidigt nach seinem Stock und schimpfte über die nervösen Naseweise, welche die Medizin glossieren wollen mit ihrer Geschwätzigkeit. – – – »Es hilft nur die Reitpeitsche, die dem Mulus die Zeit vertreiben hilft.«
Der Arzt kam nicht wieder, und der Kandidat gesundete allmählich.
– – – – – – – – – – – – – – –
Die Nächte dreier Wochen hatte der Pantegan indessen in die Ewigkeit hinuntergetanzt. Das Tote und das Lebendige schoben seine tanzenden Füße ins Vergessen, und sein Gelächter war der Choral ihrer Begräbnisse. Nur zu den Getreuen sprach er ab und zu ein halblautes Wort, wenn es Aufklärungen galt oder Befehle.
Und kam er dann früher in sein Haus als das Tageslicht, so waren seine Laune und sein Lachen noch mehr Pein als damals seine Düsterheit. Die Lippen trug er jetzt geschoren, und man sah, daß sein Kinn doch zur Fülle neigte. Julia empfand ihn noch häßlicher als früher, aber ihre Furcht hielt die Abneigung im Zaum. Geräuschvoll trat er in ihre Morgen hinein und schüttete die Atmosphäre der öffentlichen Häuser über sie aus, tätschelte sie wie ein Tier. Er wühlte mit seinen Blicken in ihrem Gesicht und frug sie nach allen den Dingen, die sie früher mit einem Guß frostiger Reden abgewehrt hatte. Die Lampe mußte dann vor ihrem Gesicht stehen, so lange, bis Pantegan einschlief. Jetzt fand sie die Stimme nicht mehr, deren sonderbarer Unterton ihn immer geknebelt und fortgestoßen hatte. War er jetzt trunken und lallte, so strich sie ihm mit den verängstigten Fingern über das Haar, so daß sie ihm nahe kam und er sie an sich reißen und mit seiner Berührung entwaffnen konnte. Ja sie mußte seine Liebkosung schon während des Tages geschehen lassen. Ihre Stimme begann heiser zu werden wie die der ewig Geängstigten, ihre Stirn und ihre Hände waren immer feucht.
Einmal sagte er: »Es wird noch Hochzeit werden, denn Du bist jetzt immer so warm-feucht. Du fängst jetzt endlich an, Dein Muß kennenzulernen. Wie aus dem Treibhaus bist Du. Ich weiß es, daß Du morgen in der Nacht zu mir kommen und Dich neben mich legen wirst. Dann stellen wir Deinen Sarg dort in den Keller hinunter.«
Pantegan lachte laut auf, und Julia bückte sich, wie um etwas Herabgefallenes aufzunehmen. Sie wollte ihm nicht ins Gesicht sehen in diesem Augenblick und den Greueln seines Lachens ausweichen. Da glitt ein graues, sorgfältig gefaltetes Blatt, das in einer Falte verborgen war, auf den Teppich. Mit seiner schnellen, geübten Greifhand riß der Pantegan den Zettel an sich, zog schweigend den kurzen Fiakermantel über und ging.
Julia folgte ihm ein Stück durch den Hinterraum. Im Augenblick zuckte ein Entschluß in ihrer Seele auf, ein Gedanke, ihm rasch nachzuspringen, durch ein Liebeswort ihn und den Zettel zu gewinnen. Aber in den Knieen war die Kraft nicht mehr, irgend welchen Weg zu tun, der dem Schicksal sein Recht beschnitt.
Tags zuvor hatte Julia in ihr Buch geschrieben: »Wenn jemand Engel hat, der führe sie gegen Den. Aber es sind wohl nirgendwo mehr Engel, in der Stadt nicht und nicht über der Stadt. Wir müssen uns fürchten, daß auch im Himmel eine Fülle seiner Häßlichkeit und seines Geräusches ist. Dieser ist selbst das Schicksal, man kann nicht gegen ihn und nicht über ihn hinaus, er nimmt uns und wirft uns hin.« – Jetzt hatte sich alle ihre Furcht erfüllt und mit blutendem Kopf lag sie neben ihrem Bett, die Schreie der Seele erstickend mit der dunkeln geduldigen Decke ihrer Jungfrauenschaft, hingeworfen, vor etwas Furchtbarem zitternd und abgeschnitten von der Zukunft, die mit so vielen Palmen gewinkt hatte.
Unterdessen sollte dem Genesenen sein Gericht werden. Immer wieder las der Pantegan mit dem Behagen des unerbittlichen Anklägers den Brief und lachte grausam. Dann warf er die Wehmut des Kandidaten den Dirnen hin. Die rissen die Augen weit auf und schütteten ihr Mitleid über die weinerlichen Geständnisse des Rekonvaleszenten. Diese aufgerissenen Augen hätten ihn am liebsten ganz nackt gesehen, den Plauderer so vieler Geständnisse und Geheimnisse. Die Fragen nach den Werten seines Leibes überstolperten einander, und Vermutungen füllten die Gespräche der Paare. Wie eine Richtstätte war der Saal mit seiner drängenden Neugierde und Erwartung. Immer lauter kreischten die verdorbenen Bräute der Gasse im Vorgeschmack eines neuen Schauspiels. Und die Scherze ihres Mitleids richteten willfährig einen gewissen Kandidaten Erich Friese, den das Gesetz der dunkeln Gasse zum Tode bestimmt hatte.
»Du bist meine ganze Liebe, und deshalb hasse ich den schwarzen Unbekannten und wünsche ihn zu verderben. Der Mond kommt an mein Bett und nickt...«
Der Pantegan schrie es in den Saal hinein. Jeder Silbe gehörte ein Scheffel unsäglicher Verachtung. Sein krampfhaftes Lachen brauchte nicht um Genossen zu werben.
Aber schließlich löste doch alles ein wilder Walzer ab, und sie tanzten wieder.
Die ganze Schuld des Kandidaten kannte keiner von ihnen, und nur halb verstand man die vielen Zärtlichkeiten, die in einer schmucken sparsamen Schrift einen breiten Bogen füllten.
Nur weil der Pantegan zum Gericht lachte, gaben die Geschworenen der Gasse ihr »Schuldig« ab. Schlupfwinkel wurden verteilt und Losungen ausgegeben. Wie um ein Gottesbild standen sie um den herum, dessen Gedanken mit feuchten Fieberhänden aufgeregt nach irgend etwas ganz »Schönem« zu greifen schienen.
Bis in den Aufgang hinein tanzten sie, bald wilde, bald schwermütige Tänze, wie sie ihnen der Gott gerade eingab. Der nächste Tag öffnet sich den Triumphen einer blutigen Jagd. Das Land ist noch ein Tempel in der aufgehenden Sonne, und der Park mit seinen letzten Blüten liegt noch unberührt hinter den Nebelgehängen, wie ein Allerheiligstes, das seinen Priester erwartet. Zwischen den vergilbten Halmen der Wiese suchen die frühen Raubenten Gewürm, und zwei Eisvögel zanken in den Weiden. Von drüben her schreckt ein wieherndes Pferd die Amseln. Der Mond hängt noch satten Lichtes voll zwischen schüchternen Morgenwolken. – – – – – – – –
Zwei Rappen sausen über den Reitweg, kaum daß die Räderreifen der zierlichen Chaise den Sand berühren. Ernestos knochige Gestalt umschlottert der Überzieher Pantegans, seine trunkene Peitsche ärgert die verschlafenen Amseln, aber doch ist Ernesto scheinbar ein liebenswürdiger, der allerliebenswürdigste der Rosseliebhaber und ein erkorener Lenker. Hinter ihm auf den Samtpolstern dehnt sich behaglich Pantegan im kurzen Jakett. Wie ein halbnackter Spötter sitzt er da, wie ein frivoler Fink im Winde. Er schiebt die ausgebrannte Zigarette zwischen den Lippen hin und her und wirft die Augen rechts und links, als zählte er die Seitenwege. Der Tanz glüht noch in seinem Gesicht. – – –
Drüben der Teich schweigt noch schläfrig, versteckt in Schilf und Nebel, nur manchmal ruft ein Rohrhuhn.
Ernesto lallt zu seinen Pferden hinunter und wippt mit der Peitsche.
»Quäl mir die Ungarischen nicht«, mahnt Pantegan herablassend mit gutgelauntem Lächeln, »Pferde klettern nicht auf die Bäume.«
Ernesto aber hat schon sein schlankes Gefährt längst in Gefahr gebracht und seine Rappen seitab in eine feuchte Wiese verführt. Er muß anhalten und die Stuten zurückführen, während sie ärgerlich in das Gezäum knirschen.
Pantegan steigt aus dem Wagen. Er hält eine Reitpeitsche in der Hand und tätschelt übermütig bald die Rosse und bald ihren improvisierten Pfleger. Die Tiere haben wieder festen Boden und wittern den bekannten Weg, wo sich die Allee in das östliche Gelände öffnet.
»Ich weiß alles, Ernesto, ich bin klug wie ein edles Pferd, drum laß einmal unsere Zügel ganz los, wir brauchen keinen Kutscher mehr. Aber wir wollen jeder einen großen Schluck trinken, damit es keine Pferde und keine Menschen mehr gibt, nur lauter edle Tiere.«
Dann trinken sie. Ernesto nickt gerührt und fällt schläfrig zurück auf den Breitsitz. Auch den Pferden hält Pantegan lachend die Flasche hin und gießt ihnen den Kognak hinter das Gebiß.
Dann rast das Gefährt durch den Morgen die Allee hinunter und verschwindet in eine Pappelperspektive lautlos und wie fortgeweht.
Die erschreckten Amseln hüpfen über das betaute Gras, und ein Gesang erwacht in allen Kronen. Die Wipfel haben wieder Grenzen und der Horizont seine bewegte Linie. Über dem Moor der Teichwiese bewegt sich noch ein Schleier, unter dem die Nachtgeschöpfe in ihr Tagesversteck hinüberschleichen. Alles will sich rascher gestalten in diesem aufgepeitschten Morgen, alles rüstet den Tag. Durch die offenen Gassenfenster kam der Morgen und streckte einen langen grauen Arm in die Gemächer. Julias Körper lag rückwärtsgebogen über der Bettkante, die Augen streuten fiebrige Lichter in das Halbdunkel, die Sinne duckten sich in den Schatten ihrer Angst. Aus der Stirnwunde, die sich nun zu schließen begann, rannen kleine Blutstropfen. So erwartete sie das Gericht Pantegans.
»Er hat alle gebunden und gepeitscht, die ihn haßten. Es muß ein neuer Haß kommen, der noch härter trifft als Pantegans Peitsche.« Ihr Mund, der starr geschlossen war, begann leise zu zittern unter der Macht dieses Gedankens. Sie versuchte wieder aufzustehen. Aber die Arme weigerten sich, den unsichtbaren Fesseln zu widerstehen. Vorstellungen unendlicher Qualen, von Peinigern erfunden, die kein Schmerz, kein Wort und keine Geißel noch gebeugt, erwachten wieder. Zwei große Tränen tropften aus den starren Augen.
Das Gespenst eines weißen nickenden Kopfes erschien in einer Ecke. Es war seiner, des Kandidaten Kopf. Rote zerfetzte Blüten lagen wie ein Hohn über dem blonden Scheitel, und die starren Stirnhaare zitterten mit der nickenden Bewegung des wahnsinnigen Kopfes.
»Bist Du schon tot, Erich? Nick mir nicht so zu, ich kann Dich jetzt nicht mehr küssen, armer Kopf, weil das Märchen aus ist. Aber ich will das Fleisch von den Händen abnagen, die Dich geschlagen haben, nur nick mich nicht so an. – – Geh weg, lieber Kopf.«
Die beiden Tränen standen noch auf den Wangen wie flüssiges Glas. Einen Augenblick lang war alles Glut, Licht und Bewegung in diesem Gesicht der denkenden Verzweiflung.
Mit der Sonne kam auch Pantegan nach Hause. Julia hörte ihn die Treppe langsam hinansteigen. Er pfiff ein freches Lied und probte seine Reitgerte.
Lächelnd trat er vor das durch Blut und Verwirrung entstellte Gesicht und forderte Julia auf, sich Stirn und Augen zu reinigen. Er schien kühl und gleichgültig.
»Ich muß Dich erst wieder erkennen. Mit solchen Augen kriegt man kein Liebeszettelchen geflüstert. Erst die Nase putzen, Kind.« – –
Und er legte schweigend Tinte und Papier zurecht. Dann faßte er sie am Arm und zog sie, die nervöse Gerte in der andern Hand, auf den Stuhl nieder.
»Da, meine Puppe, das ist eine Gelegenheit für die pikfeinsten Magdalenen, da schreib mal auf.« Und er diktierte aus einem kleinen schwarzen Büchlein:
»Mein Geliebter! Es ist alles aus, es muß alles aus sein. Ich hab es ihm gestanden, ich hab ihm auf den Knieen alles gestanden, Erich. Komm nur noch einmal in den Park – – – wir müssen Abschied nehmen.«
Die Glossen zu diesen unterstrichenen Sätzen bemühten sich um den Stil Julias, den er aus ihren Blättern kannte. Julia folgte mit der Feder den Worten ruhig und gefaßt, beinahe war ihre Hand noch sorgfältiger als sonst. Der Rest des Diktats enthielt eine lange Epistel tastender Andeutungen, ein Register von Fragen der Sehnsucht, wie sie in den Geständnissen des Kindes Julia zu finden waren. Pantegans Hände lagen auf beiden Schultern Julias, während sie schrieb, und doch trieben ihre Gedanken weit ab, einen andern Weg, einem Entschlusse zu.
»Amen, mein liebes Huhn! Wie sagst Du eigentlich zu ihm, und wie nennst Du Dich? – – – Ach was, heute ausnahmsweise nennst Du Dich meinetwegen einfach Julia. Also unterschreib: Julia! Machst Du kein Schnörkel drunter? Gut, also kein Schnörkel, Datum!«
Kaum hatte Julia den letzten Strich getan, als seine eisernen Finger über ihren Gelenken zusammenschnappten. – – –
Dann band er sie ohne ein Wort an das Bett. »Da, mein Zuckerschaf, wenn Alles fertig ist, sind wir wieder ganz gut und lustig«, und er winkte mit der Peitsche zu einem häßlich geflüsterten »Addio«.
Der Kandidat starb auf der Flucht vor den Gehülfen seines Henkers Cesare Pantegan im Teich des Parkes in dieser Nacht, die seinem Gericht bestimmt war.
Die früh aufgeschreckten Vögel hatte ein langer schweigsamer Nachmittag wieder ruhiger gemacht und der laue Abend ließ sie einen schweren traumlosen Schlaf beginnen. – – – –
Geräuschlos lockte man den Kandidaten in das Genetz des Nebels, in ein gehorsames Dunkel, das die Nacht über das ganze Gelände hingeworfen hatte. Da war kein Gott, der führte und half, nur eine aufgeschreckte Kröte begleitete den Kandidaten in den Tod.
Durch die Allee sausten wieder die Rappenstuten, von Pantegans eigener Peitsche gereizt. Ein trunkener Siegeszug des Augenblicks, eine Wollust war die Fahrt, und schweigende Pappeln beugten sich über das gleitende Gefährt. Jede Ader quoll an Roß und Lenker, ein Gedanke einsamer Kunst zuckte in dem raschen Bilde auf. Der Tod raunte seinen Scherz den Platanen zu. So fiel der Vorhang über dem Spiel.
Das Gesicht des Kandidaten lachte zwischen den runden Blättern der Teichrosen in den Herbsthimmel hinein ohne die Verzerrung irgend eines Schmerzes. Kleine Wellen hoben die schütteren Flachslocken der Kandidatenstirne, die Augen waren geschlossen, wie ein träumender Verliebter lächelte Erich Friese im Tode. Den Prsteck erquickte das Leben mit Gedächtnissen, mochte sein Körper auch verfallen sein in einer so langwierigen, schlafscheuen Nacht. An seiner in der Finsternis tastenden Kindheit erhielt sich ein seelischer Glanz und alles Elend der Mißhandlung vergaß er über einer kleinen Sehnsucht nach Besitz. In dem Maße, wie er einsam war, wuchs sein Verständnis für das äußere Gut. Seit den Tagen, da ihm Pantegan jenes Batisthöschen als einen verirrten Scherz zugedacht hatte, gipfelten seine Sinne in der Vorstellung eines farbigeren, geschmückteren Daseins. Und was ihm noch übrig blieb neben diesem Gedanken, gehörte alles Benjamin, alle die Besorgnis, die sich von Fütterung zu Fütterung hinschleppte. Ab und zu nur träumte er auch von den Lampen, die früher ein langes Register stolzer Pflichten waren.
Und deshalb wurden die Tage jetzt noch länger, noch ausgedehnter waren sie als damals, es war fast immer Tag im »Violetten Affen«. Manchmal durfte man vielleicht auf einem Sessel sitzen, und dann nickte man ein mit seinem häßlichen Gesicht. Aber das Gaslicht tanzte in die Träume hinein durch das Gitter der Wimpern, und man fand keine Ruhe. Auch roch man so stark nach seinen Leiden, daß man jederzeit durch einen Witz der Gäste aufgestochert werden konnte aus seinem bißchen Schlaf. Nur Benjamin war immer freundlich und gesetzt, der verstand noch etwas vom Frieden und von der Freundschaft.
Zwischen solcher Art Gefühle und Reminiszenzen drängte sich eines Morgens Pferdegetrappel. Die Dochte der farbigen Laternen Zuckten noch, und ein verwelktes Gelächter kämpfte mit der Müdigkeit des Hauses. Da sauste Ernestos Gespann über die Katzenköpfe am »Violetten« vorbei.
Prstecks Kopf schnellte ans Fenster. Ein schmutziger Fetzen Laternenlicht flatterte über das Pflaster hin und erschreckte die Pferde.
In Prsteck weitete sich das Leben. Ein Staunen oder eine Lust dehnte sein verwirrtes Ich. Er hatte ihn erkannt im Vorübersausen, seinen Einzigen. Den ganzen langen Rest dieser Stunde saß er noch auf dem alten klebrigen Küchensessel, und seine Gedanken suchten das Gefährt in den Gassen. Aber sie waren nicht rasch genug, dem Bilde ganz weit hinaus zu folgen. Die Rappen trappelten rascher als die Sehnsucht Prstecks. Sein gespanntes, leuchtendes Gesicht begann wieder Falten zu haben, sein Ausdruck verlor alles Helle und Offne, und ein häßlicher Schlaf folgte dem Augenblick vorübertrabenden Glücks. Und Prsteck schlief ein, wiederum von einer Enttäuschung niedergedrückt, wie ein frierender Vogel saß er da zusammengekauert.
Die Tür in den Hofstand offen. Benjamin schnupperte durch sein Trogfenster und grunzte sein wehmütiges Guten Morgen. »Wenn sie mir ihn füttern sollten«, dachte Benjamin, »zehre ich ihn nicht auf. Ich lasse ihn so liegen, wie er liegt. Ich habe ihn so sehr geschätzt.«
Das waren aber sehr voreilige Vermutungen Benjamins, denn Prsteck starb viel später, sagt der Chronist. Er soll an vergiftetem Fleisch gestorben sein. Damals war Benjamin längst geschlachtet. Die Schinken Benjamins sind sicherlich sehr zart gewesen und schmeckten wohl ein wenig süßlich, denn dieses Schwein hatte keinen Gerechten verschmäht. Es soll mit Würde geendet haben, und sein letzter Laut soll jenes begrüßende Grunzen gewesen sein, das ihm früher schon die Liebe seiner Pfleger gewonnen hatte. Der Morgen ist klar und kühl. Zwischen den Ufererlen hinter der Stadt, wo der Fluß ins Tiefland geht und den sumpfigen Grund zwischen mageren Stämmen bespült, wartet ein Kahn. Julias Gesicht ist verhängt mit schwarzen seidenen Schleiern. Aber Pantegans Kopf ist gehoben, und seine scharfe Nase und die knochigen Backen erkennt man über den leuchtenden grünen Reflexen. Er erscheint lebhaft, hilft seiner Dame galant in den Kahn. Seine Gebärden sind sehr gekünstelt, den Rock trägt er wie eine Maske.
Ganz in der Ferne ist noch ein Echo lebendig, das ihn vielleicht sogar besorgt macht. Zwischen seinen galanten Bemühungen zuckt der Kopf immer wieder auf wie der eines witternden Tieres. Seine freundliche lässige Miene, die er sich mühsam ausgeklügelt hat als Akteur der Situation, scheint ihm in diesem Augenblick wie eine schlecht befestigte Larve entgleiten zu wollen. Er sieht verlegen in die Wellen am Kiel hinunter, der mißgelaunte Fischer ist ihm nicht flink genug, fast möchte er seine mageren Hände verbergen.
Dann verblaßte das Echo. Die trabenden Rappen müssen schon sehr weit sein. – – –
Endlich knirscht der Kahn über die Kiesel und kriecht wie ein schläfriges Tier über die breite Fläche zu den herbstlichen Erlen hinüber.
Kaum ein Halstuch ist Pantegans Gepäck. Die Finger wippen und tanzen aufgeregt über die Borde, als hätten sie noch die Glut des letzten Festes in sich. Selbst der sonst so starre Nacken scheint beweglich.
Es ist ein anderer Pantegan, der über den Fluß fährt, einer, dessen Augen belastet sind mit zu vielen Erscheinungen. – Und gar wenn diese Augen zu Julias gebeugter Gestalt hinuntergehen wollen, drückt sie etwas in die Höhlen zurück. Sie wehren sich gegen schwere Hände irgend einer Seele und unterliegen.
Zwischen Erlen und Binsen landet endlich der Kahn, dann führt ein feuchter Weg durch enge Täler zwischen zierlichen Hügeln. Das versteckte Häuschen der Wildhüter ganz allein gehört den Menschen, sonst ist alles Revier der Rehe und Raben. Die Augen der Rehe staunen auf den Weg hinunter, wenn irgend einer einmal vorübergeht. In diesem langen Frieden haben sie die Furcht vergessen. »Julia, dieser Weg ist schmal und unbequem.« Und er will Julia führen. Seine Hand ist heiß und unsicher. Julias kleine Faust verschwindet in der Umklammerung der glühenden Finger, aber ihr Gesicht hinter dem Schleier öffnet sich nicht. Auch den Mund gibt sie nicht her, den er verlangt. Dieser Mund ist so verändert wie ein Mund, der an einem bitteren Geschmack leidet. Die Lippen konnten sich früher so leise und sehnsüchtig bewegen, wenn sie Geschriebenes zu sprechen wagten.
Eine plötzlich entschleierte Sonne steigt rasch den steilen Abhang der Hügelkette empor. Das Tal wird wieder weit, man sieht ein Feld Herbstzeitlosen, zwischen denen ein Arm des Flusses wühlt.
Drüben wuchert das Schilf weit in die Wiesengründe hinein, dort, wo ich einst einen Reiher schoß. Die Stimme eines Mönches gellt im Dom. Er hetzt seine Gemeinde gegen die Teufel der Lieblichen. Erbärmlich und elend sind diese Menschen, die sein gellender Geiz zwischen die Säulen des Ewigen hinstellt; gerichtet, armselig stehen sie da vor den Gerechten. Und obwohl sie zittern, ist ihr Mönch doch lächerlich und häßlich, der das Wort der Liebe zerfleischt mit den abgehetzten Sinnen.
Drüben an den Wänden sitzen viel Stärkere als dieser Mönch. Mit ihrer steinernen Gewissen sitzen sie da, diese verdorbenen Bischöfe, unter ihren Sarkophagen neben den Gedenkzeichen der Kraft. Ein gebückter Schatten schleicht an ihnen vorbei die Mauern der Santa Maria del Fiore entlang. Neben den großen Gräbern, neben den Ereignissen unendlicher Kunst. Das Gesicht des schleichenden Schattens ist hart und kantig wie das der verdorbenen Bischöfe, der Nacken breit und starr, wie der Nacken der unerbittlichen Streiter des geheimsten Lasters. – – –
Alle Türen des frostigen Baues sind weit aufgerissen, überall drängen sich die trüben neugierigen Lichter der verregneten Straßen in das heilige Dunkel und greifen nach den häßlichen Röcken der Beter. –
Da erwachen Glocken und Choräle und jagen die Stimme des Mönches in irgend einen der hundert Winkel zurück. Aus den Grabdenkmälern steigt das granitene Gelächter toter Kardinäle und der schmutzige Schein der Straße lockt die Heiligen aus ihren Goldrahmen.
Julias Gesicht ist unter der Menge der Bittenden. Wenn der bewegte Schatten sich nähert und an den Reuigen vorüberhuscht, sucht und horcht es. Julias Finger sind in einem wirren, beweglichen Knäuel verflochten.
Spät erst entläßt das dumpfe Gemurmel der Ministranten Mönch, Volk und Schatten. Nur das granitene Lächeln der Verewigten ist noch da. Die Orgel spricht einen großen Akkord zu den letzten Zerknirschten. Viele heilige Hände scheinen hineinzuragen in die Stille des ebbenden Gebets. Auch Licht findet sich noch ein, immer noch stehen Türen offen.
»Wo ist dein marmornes Pferd und deine lieben Augen? Weißt du nicht mehr, wie wir zwischen den Lilien standen und uns ansahen?!
– – – – Hör ich nicht mehr den Huf deines Schimmels und dein tönendes Wehrgehänge?!
– – – – – Sieh, da liegt es in meine Gebete hineingeknebelt, du Jesus, da liegt es, das Tier. – – – – Aber du sollst ihn nicht niederschlagen mit deiner silbernen Macht. Über die Mähne deines Pferdes soll deine Güte zu mir kommen und mir Freude geben zu langsam andächtiger Tat, mit der Andacht, die du selbst forderst, sollst du mich segnen. Jeden Traum, der mir ihn bringt, in den er sein geschorenes Kinn hineinreckt, mach mir länger zur Andacht, in jeder Pfütze zeig mir sein Spiegelbild. Komm zu mir, wie die Reiter vom flachen Land auf ihren Füllen kommen und ihre Fruchtkörbe hinreichen. Und ich will alles herausnehmen aus der Fülle deiner Körbe und ihn füttern mit meinen erfinderischen Fingern. Sein Gaumen wird heiß werden in der Gier und die Backen feist, und eine Fäulnis muß ihm geboren werden, wenn du mir hilfst. Reite nicht vorbei, o Jesus, damit wir ihm den siebenfachen Tod erfinden.
Mit einer langwierigen Segnung laß mich zu ihm hingehen. Tritt ihn nicht selbst, er soll nicht von Gott sterben. Über den Hals deines weißen Pferdes lächle zu uns hinüber und laß mich ihn zertreten, wenn er feige und feist genug ist, langsam, ganz langsam unter dem Gesang deiner Glocken.
Die matten Ampeln der Sakristei lockten das Geschwätz der Priester in die kühle weite Halle. Ihre gedankenlosen Kniebeugen schänden die kleinen andächtigen Altäre, ihre platten Sohlen nehmen Besitz von den Marmorwegen zwischen der Ewigkeit.
Julia geht hinaus in den Regen. Ihr Gesicht glüht noch von den letzten Gedanken. Das Amen des Gebets zittert auf den kranken, bewegten Lippen. Nie hatte sie noch so viel Worte gefunden, nie so viel fortgeworfen von sich.
»Wir sind alle nur Kostgänger des Lebens, wir wollen unsere Kost, und man kann uns verderben mit falschen Süßigkeiten.« Sie war voll Glück in diesem Gedanken, und ihr Gehirn schrieb noch einmal die ganze Wollust des wirren Hasses an die Wände des Hauses.
So ging sie denn hinaus über die berühmte Brücke in die Straßen hinunter, neben denen der Fluß die Fieber ausbrütet. Die Glockengeräusche des Campanile folgten ihr durch die verwelkten großen Gärten zu Ihm. Das Wetter trieb die Müden südwärts. Zwischen den Weinbergen und nackten Feigenbäumen führte der Weg über schmale Hügelgassen ins flache Land. Unter den Ansiedlern der Ebene rüstet man schon zu den ersten Festen.
Der Schatten, der im Dom die Gebete der Büßer umkreiste, ist blasses, bewegliches Fleisch geworden. Die aufgejagte Seele Pantegans ringt in diesem blassen Fleisch mit den Gedanken einer langen Flucht. Auch sie sucht Ebenen, auf denen müde Körper ausruhen dürfen in der Sonne. Immer wieder versucht Pantegan Gedanken fortzuschleudern, die ihn belastet haben, aber das Lächeln des Mörders und der ganzen überlegenen Kälte will ihm nicht mehr gelingen. Darum geizen alle seine Sinne um Julias Gesicht, das sich ihm noch immer so selten öffnet und unter Schleiern begraben fast ganz der einsamen Hoffnung gehört.
Es ist rasch Frühling geworden in den Ebenen, die sie durchwandern, und die milde Luft des Meeres bringt ihnen herrliche Märztage.
– – – – Pantegan ist meist stumm. Wohl hätte er manchmal ein Wort bereit, aber es ist nicht Mut genug in ihm, so ein Wort bis in Julias Herz hineinzutragen. – – – –
Schweigend warten sie beide weit über glühende Mai- und Junitage hinaus auf Geständnisse.
Nur das Meer redet zu Julia, es hilft ihr, sich selbst entdecken. Ihre Wünsche und Sehnsüchte gedeihen an den Ufern. Die Abende lösen die Schleier von ihrem erwartenden Gesicht. Oft ist sie entzückt und fühlt eine Art Wehmut keimen, vor der sie sich zuweilen fürchtet. Auch als man bereits landeinwärts zieht, dem Gebirge zu, hört sie noch das Meer. Man sucht ein Haus, das ganz verloren zwischen Blüten und Laub kein Schicksal haben darf. Ganz oben auf irgend einer Insel soll es liegen, nahe den Menschen und ihren Fruchtkörben, und doch weit weg von ihnen.
Sie sitzen auf der Terrasse vor einem Fischgericht. Pantegan genießt gedankenvoll diese Art, die ein verstecktes Berggewässer so wunderbar gedeihen läßt. Und ein kühler Wein wird eingeschenkt. Nebenan redet einer von den Wundern des Lebens, von der Kraft und den Genüssen, die sehende Augen machen. Pantegans Blick weilt ausruhend auf den Wiesen, die sich unterhalb der Terrasse bis an die Küste hinbreiten. Er teilt mit Julia die Gedanken, die Sehnsucht nach diesem aus auf der Insel, er teilt sie wie die frische Frucht, über die man plaudert. Sie sind angeregt von der Zukunft.
Mitten unter diesen Gesprächen findet er Julias Hand. Alles beginnt ihn zu freuen, er genießt alles, während er die Hand liebkost. Sein übriges Denken gehört ganz den Erwartungen bevorstehender Nächte.
Die Eilande drüben, aus denen Palmen wachsen, erscheinen wie große Schüsseln, die das Meer herüberreicht. Und hundert Schüsseln sind die Felder und die Tiere, die über den Wiesen grasen, sind Hostien der Erlösung. In diese vielen Schüsseln ist Pantegans Mund getaucht. Mitten unter den Genüssen sitzt er aufrecht, und seine Lippen, beschmutzt von Lust, bewegen sich wie berauschte Kinderlippen. Aber immer ist noch eine Erfindung übrig in Julias Herz, die seine ermattete Zunge wieder hebt.
Cesare Pantegans Verstand starb zuletzt, als seine Glieder bereits lahm aus dem Netz der Matte hingen unter den blühenden Syringen. Er starb an den Unerschöpflichkeiten eines immer blühenden Geländes, die ihm als ein langsames, fettes Gift zubereitet wurden.
Sieben stille Jahre lang wehrte sich die Ratte in ihm gegen diesen Tod.
Es war ein Gesang in Julias Seele, als sie sein letztes Kapitel niederschrieb.
Der junge Conte Beppo Rigaglia führte Julia zur Barke. Sie spielte mit dem Steuer und hatte hundert Fragen über das Meer. Der blonde Kleine aus Piemont lachte angeregt und schmückte sich mit der Weisheit seiner wachen Jugend. In der warmen Sprache des Landes erzählte er von schönen Städten und lobte das Paradies drüben auf dem Festlande, das ihn, wie er sagte, doch nicht missen wollte, ihn, der manchmal auch die Inseln beglückte. »Ich bin eigentlich ein Abenteurer, ich nähere mich gerne den Klippen«, bemerkte er mit seiner graziösen Bedächtigkeit, »ich liebe die Klippen, sie sind so schön gefährlich.«
Julia blickte noch einmal zu der Insel hinüber, auf deren schönstem Hügel wie ein Tempel verwegener Erinnerung die weiße Villa stand. Ein zahmer Morgenwind schlüpfte durch die offenen Fenster und löschte zwei kümmerliche Kerzen über dem Sarge Pantegans aus. Aber bald legte sich die Sonne zwischen Julias Augen und das Bild, und die Insel ward ausgelöscht wie jene Flamme, die der Wind getötet.
Der junge Conte belustigte sich mit Julias Händen. Er will diese Hände zeichnen lassen von dem Allergrößten der allereinzigsten, allerschönsten Stadt. Julia lacht und legt sie ihm in den Schoß.
»Herr Graf«, meint sie launig, »die Hände, die sind früher viel schöner gewesen. Sie sind jetzt verdorben durch das viele Kochen. Aber man muß doch kochen, wenn man sich so ganz durchsetzen will.«
Sie hob einen Arm in die Sonne hinauf und spreizte die Finger. Der Wind schlug an die feinen, dünnen Glieder und bewegte sie durch seine lüsterne Berührung wie die Hämmerchen eines zarten Instrumentes.