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Heute sollte ich Jerusalem schauen! Ich hatte viel ertragen in der Hoffnung dieses Anblicks: Gefahren des Meeres und Gefahren des Landes; seit drei Monaten war ein Teppich und der nackte Boden meine einzige Lagerstätte, und die Gegend, durch welche wir zogen, bot weder Sicherheit, noch Aussicht auf körperliche Ruhe. Durch Ibrahim Paschas Vertreibung hatten sich die Verhältnisse für die Reisenden weit unangenehmer gestaltet. Die ägyptische Verwaltung war stark genug gewesen, Ordnung im Lande zu erhalten, und die Europäer, denen sie sich geneigt zeigte, zu schützen. Jetzt schwärmten, unter türkischer Herrschaft, wieder Araber umher und die Stämme des Libanon waren in Bewegung. Doch nichts konnte meinen Vorsatz schwächen! – Die Strahlen der Sonne, welche im Januar schon Frühlingswärme verbreitete, stärkten mich wunderbar, und mein Herz erweiterte sich, als ich über die fruchtbare, leider unangebaute Ebene des alten Arimathia hintrabte. Nach ein paar Stunden gelangten wir an den Fuß einer Kette kegelförmiger Hügel, zu »Judäas gebirgigem Lande.« Wir ritten den ganzen Tag über die vielen einzelnen Höhen des schroffen Gebirges hinweg, und so oft wir wieder eine Spitze erstiegen hatten, hofften wir, Jerusalem sehen zu können; aber es schien vor uns zu fliehen, wie der Schatten eines Glückes, und immer trennte uns eine neue Schlucht von dem nun gegenüber liegenden Abhange, der uns abermals den Anblick der »Seelenstadt« versprach. Die Gegend liegt öde; man trifft auf dem ganzen Weg kein bewohntes Dorf, und kaum einige Oel- und Maulbeerbäume, unter deren Schatten man Ruhe und Kühlung schöpfen konnte. Sparsame Reben bekränzen die Anhöhen. Keine Züge von Pilgern, wie die meisten Reisenden erwähnen, kamen uns buntfarbig und malerisch in langer Reihe entgegen; wir begegneten, obgleich die Jahreszeit das Reisen bei Tage wohl gestattete, nur wenigen Menschen. Ich versenkte mich in Betrachtungen über die Vergänglichkeit alles Irdischen und die eitlen Mühen der Menschen, – Betrachtungen, welche durch die Spuren großer Verödung ringsum von ihrer Melancholie so wenig verloren, als durch die Erinnerung an die Klaglieder des Propheten Jeremias, dessen Geburtsort Amathoth, heute Kariet-el-Aaneb, an einem eben von uns überstiegenen Abhange liegt. Hier in der Nähe pflegte sonst der Scheik von Abu Gosch die Reisenden mit einigen Reitern anzuhalten und ihnen eine Art Tribut abzunehmen. Wir blieben zwar verschont mit dieser rauhen Probe mangelnder Civilisation und barbarischen Faustrechts; aber eine rührende Scene sollte uns doch überzeugen, wie verlassen hier, in der Nähe seiner Wurzel, die Kinder des Kreuzes sind. Unten an dem Bergesgipfel, worauf der Scheik von Abu Gosch seinen Räubersitz aufgeschlagen hat, liegen die Ruinen eines christlichen Klosters aus der Zeit der Kreuzzüge, dessen Bewohner die »Väter des heiligen Landes,« vor einem Jahrhundert von den Arabern niedergemetzelt wurden. Dort trafen wir eine griechische Familie, welche der Krieg im Innern des Landes vertrieben hatte. Die Trümmer ihrer eigenen Behausung hatte sie verlassen und lagerte nun an den Trümmern eines Tempels ihres Gottes. Sie verrichtete eben in gläubiger Andacht ihr Abendgebet, als wir daselbst anlangten und unwillkürlich den himmlischen Frieden dieser frommen Menschen störten. O wie rührend ist doch der Anblick des Unglücks, der Ergebung und der Schönheit! Noch weilt mein Auge mit Wohlgefallen und Bewunderung auf jener lieblichen Griechenjungfrau, welche inmitten der betenden Gruppe an eine Säule gelehnt stand, sie mit einem Arme umrankend, wie die Rebe den Palmbaum. Welcher Adel in ihrem schlanken Wuchse, welches Ebenmaaß in diesen sanft gerundeten Gliedern, welcher Stolz in diesem erhabenen, vollen Nacken, über welchen eine Fülle dunkler Locken herabwallte! Die herrliche Erscheinung war gehüllt in die bunte malerische Tracht ihres Volkes. Die letzen Strahlen der Sonne fielen glänzend auf die rothe Mütze, den lasurblauen Gürtel und die rothe Robe, das charakteristische Costüm der griechischen Frauen. Das schöne blaue Augenpaar der reizenden Beterin verlor sich, gleich zwei unergründlichen Sternen, im blauen Himmel und hob sich empor zu dem Allmächtigen, in dessen Händen das Schicksal der Ihrigen lag, und zu der holden Fürsprecherin der Jungfrauen, zu der ewigen Jungfrau. Ueberrascht, in Anschauung und Erinnerung versunken, faltete auch ich schweigend meine Hände, und durchdrungen von dem Wunsche, daß ihr Gebet erhört werde, betete auch ich mein Ave Maria! Lange nachdem wir die Umgebung der Ruinen verlassen hatten, weilte mein Geist noch bei der betenden Griechin, welche mich durch den Reiz ihrer Schönheit und die Poesie ihrer Erscheinung doppelt anzog.
Es war schon spät und der Tag neigte sich, als wir nach mühevoller Reise immer noch an den steilen Bergen emporkletterten, welche Jerusalem von allen Seiten umgeben. Mit jedem Schritte wurde meine Ungeduld größer, lebendiger meine Sehnsucht, den Ort zu sehen, der mich hauptsächlich in diese Oede gezogen hatte; so sehr brannte ich vor Verlangen, daß ich die letzte Viertelstunde beinahe in vollem Lauf meines Pferdes zurücklegte, denn ich wollte die weltberühmte, ewig merkwürdige Stadt noch von der untergehenden Sonne beleuchtet erblicken.
Plötzlich, nachdem ich den Gipfel eines steilen, kahlen Hügels erreicht hatte, stellte sich meinen gierigen Augen eine Mauerlinie mit hohen Zinnen dar, über welche einige Kuppeln und Minarets emporragten. Es war eine Stadt, obwohl größtentheils verborgen hinter den Abhängen des Berges: es war Jerusalem! Ich durfte nicht fragen: ich fühlte es.
Mit bebender Hand hielt ich mein Pferd an, und versenkte mich in Anschauung, in Gedanken, in Empfindungen, ich weiß es nicht; der Griffel kann das Unaussprechliche nicht schildern. Das Auge glühte, das Herz pochte, meine Pulse schlugen in fieberischer Aufregung, ich konnte nicht unterscheiden, ob Befriedigung am Ziele, ob Andacht und Erhebung, ob Neugierde und Verwunderung in diesem feierlichen Momente vorherrschten. Alles das zumal stürmte auf mich ein; ich war ein Anderer in diesem Augenblick der Weihe; ich war aus mir selbst herausgetreten und in andächtige Beschauung verloren. Es durchzuckte mich wie Gottes Nähe. Mancher Kampf nach innen und nach außen lag nun hinter mir; eine Epoche meines Daseins war geschlossen, und hier erschien mir die Vergangenheit in höherem, edlerem Lichte; ein heiligender Strahl war darüber hingefahren. Wie ich jetzt empfand und dachte, hatte ich nie empfunden, nie gedacht.
Die Sonne sank immer tiefer und schon warfen die Schatten des Abends sich über die Hügel der Stadt. Da legte sich mir unwillkürlich auf die Linke, in welcher ich nachläßig den Zügel hielt, um sich zu einem stillen Gebet zu falten, dieselbe rechte Hand, welche ein paar Tage darauf, als ein Araber Wasser aus dem Jordan zu schöpfen mir verwehren wollte, sich ausstreckte zu raschem Blutvergießen. Auch schäme ich mich nicht, es zu gestehen, – als ich den letzten trunkenen Blick, warf auf die Stadt, um mich nun loszureißen von dem Schauspiel und einzuziehen in die Thore, sank mir eine stille Thräne in das Auge, und ich dachte an die Lieben, die ich im Vaterland zurückgelassen, und mich abwendend gab ich dem Pferde zu raschem Lauf die Sporen, damit nicht von fremden Gedanken mir überfüllt werde die des Heiligen volle Seele, und damit ich dem Schmerze der mich überraschenden Erinnerung enteile.
Der gewöhnliche Einkehrort der Fremdlinge, die aus den Abendländern kommen, ist das Franziskanerkloster. Da wir jedoch gewichtige Empfehlungen an den Patriarchen des griechischen Klosters vorzuweisen hatten, wählten wir das letztere zur Wohnung während unseres Aufenthaltes in Jerusalem. Wir hatten uns der sorgfältigsten und freundlichsten Aufnahme zu erfreuen. Der Metropolitan Archiepiskopus Petrus Meletius, der Procurator von Jerusalem, wies uns die besten Zimmer des Klosters an, und suchte mit der edelsten Gastfreundschaft in allen Dingen uns gefällig zu sein. Er ist ein würdiger Alter von dem stattlichsten Aussehen; der große Bart, der ihm vom Kinne niederwallt, flößt unwillkürlich Ehrfurcht vor ihm ein, und das, trotz des vorgerückten Alters, immer noch schön zu nennende Antlitz gewinnt den Fremden durch die zuvorkommende Freundlichkeit. Es war gerade Fastenzeit, weßwegen der Archiepiskopus des Fleisches sich enthielt. Doch war dies kein Grund für ihn, auch uns, die wir täglich an seinem Tische saßen, dieselbe Enthaltsamkeit aufzulegen; vielmehr wurden uns täglich verschiedene Fleischspeisen vorgesetzt.
Es war ein feierliches Erwachen am ersten Morgen, der mich in Jerusalem begrüßte. Kaum graute der Tag, so zitterte meine Seele schon vor Erwartung dessen, was ich sehen sollte. Nur ein paar Schritte noch, und das Ziel der Reise war erreicht; das heilige Grab hatte zum Anblick mich empfangen. Langsam ging uns die erste Stunde des Morgens vorüber; wir drangen in unsern Führer, nicht zu säumen, und uns einzulassen in das Heiligthum. Aber wie bitter traf mich die Antwort, die mir auf mein Drängen zu Theil wurde, daß die Grabeskirche nur zu gewissen Stunden sichtbar und daß die Erlaubniß zum Eintritt erst von den Türken einzuholen sei. Da erwachte in meiner Seele der Grimm und ich verstand in diesem Einen Augenblicke das Geheimniß, worüber die Geschichtsschreiber aller Zeiten sich verwunderten, das Geheimniß des heiligen Triebes, der Millionen hieher ins ferne Land geführt, um auf dem fremden Boden ihr Herzblut zu verspritzen.
Endlich traten wir in die Grabeskirche; mir bangte fast festen Fußes aufzutreten, und ich wußte, warum der Prophet, als sein großer Beruf ihn in die Nähe Gottes riß, die Füße entblößte, ehe er sich dem Heiligsten näherte. Ich schweige von den Formen der Kirche, welche schon von so vielen Reisenden beschrieben wurden; auch waren meine Augen wie getrübt und meine Seele so voll in diesen Stunden, daß mir das steinerne Schnitzwerk und alle kolossale Pracht des heiligen Hauses nur etwa so zum Bewußtsein kam, wie die Zinne einer Burg, welche der Wanderer erschaut, wenn sie an den fernen Bergen aus dem Nebel steigt.
Ohne daß ich wußte, wie mir geschah, war ich aus dem Grabesmysterium herausgetreten und hatte die Terrasse der Kirche erstiegen, von welcher man ganz Jerusalem übersieht. Betäubend wie Opferdampf stiegen mir da Gedanken aus der Seele auf, und dem Griechen gleich, der in Delphi in stummem Sinnen auf die verhängnißvolle Antwort des befragten Gottes harrt, lehnte ich mich an die Kuppel des Doms zurück. Da lag sie vor mir die Stadt der Jahrtausende, und erschien mir, wie die Wittwe in ihrer Trauer; denn die Jahrhunderte, welche auf ihr liegen, die vor Alter sinkenden Oelbäume, die Grabmale mit den weißen Steinen, die durchlöcherten Felsen, das zerstreute Gemäuer, und alle Schwere der Erinnerungen mahnen genugsam an die Last von Begebnissen und Verlusten, die sie schon in Zeiten, wohin das Denken der Geschichte kaum reicht, getragen. Der Fremdling vermeint darum, es sollte still sein in ihrer Mitte, wie in einem Trauerhause, und die Menschen auf ihren Gassen mit verhüllten Häuptern gehen. Aber auch dieses Trauerhaus von Jahrhunderten ist vom Getümmel der Erde nicht verschont, und wo man nur stille Klage erwartet und frommes Sehnen, drängen sich Käufer und Verkäufer, zudringliche Führer und gieriges Gesindel.
– »Sehen Sie,« sagte mein Führer zu mir, »dieser Weg, der zur Grabeskirche führt, ist die Via dolorosa.« Und auch auf dem Schmerzenswege dasselbe Getriebe! Hier ist kein Stein und keine Platte, die nicht Zeugen einer großen Begebenheit wären. Dieser Raum hat den Heiligsten gesehen in aller seiner Schmach, ihn, den Verurtheilten und Leidenden, den Dorngekrönten und unter der Last des Kreuzes zum Tode Geführten! Welch heilige Erinnerungen sind in diese Steine eingebaut, wie viel tausend Herzen seit Constantins und Helena's Zeiten haben über diesen Anblick geblutet, sind von diesem Anblick getröstet wieder von dannen gezogen! »Was willst du klagen, kleine Seele?« so sprach ich zu mir, »was ist doch all dein Leid, das du groß nennst über Vermögen, gegen den Jammer, der auf dieser Bahn der Leiden und Erniedrigungen von dem Edelsten Aller freiwillig ist getragen worden! So sind wir armseliges Geschlecht! dachte ich und athmete freier bei dem Gedanken: Jeder mit seinem kleinen Leide wähne in seiner Blindheit, er leide das Höchste, und zuletzt ist es mit all den großen Schmerzen Täuschung nur gewesen. Doch sei es, wie es will: die Via dolorosa endigt am gewissen Ziel.«
Da wollte der Gedanke mich eben in die Heimath führen, als mein Begleiter mich aus den Träumereien mit den Worten weckte: »Dort im Süden liegt Bethlehem.« – Bethlehem, die anmuthigste unter den Städten! Sie liegt so gottgeliebt und friedlich auf dem Berge, und die hohe Sonne schaut so ruhig auf sie, daß ich mich nicht erinnere, irgendwo einen Ort gesehen zu haben, der mit solcher Anmuth solche Majestät verbände. Zur Linken zwischen den Hügeln dehnt sich das Thal der Hirten; eng und stille liegt es zwischen den Bergen, und nur wenige Bäume bekränzen seinen Saum. Dort haben in der heiligen Nacht die Heerschaaren des Himmels zuerst den Aermsten unter dem Volke das neue Heil verkündet. Viele Klöster erheben sich über die Häuser von Bethlehem, und die Kuppel, welche am höchsten hervorragt, gehört der durch die Kaiserin Helena erbauten Kirche an, welche über der heiligen Grotte steht, da Christus geboren ist. Vom unscheinbarsten Anfang liebt das Größte aufzuwachsen, und auf den kleinsten Schauplatz mag das umfassendste Leben sich zusammendrängen. Aber nicht allein durch die Geburt Christi ist das kleine Bethlehem zur größten unter den Städten geworden; auch durch die Geschichte der späteren Zeit ist es geadelt. Denn auf dem bei Bethlehem liegenden Frankenberg haben die Helden unter den Christen gegen die Uebermacht der Sarazenen sich auf's Aeußerste gehalten, und in der Tapferkeit ihres felsenfesten Glaubens den letzten Blutstropfen verspritzt.
Der Himmel war ohne Wolke und das schönste Wetter begünstigte die Fernsicht. Erscheint mir Jerusalem wie eine Wittwe in ihrer Trauer, so liegt Bethlehem auf seinen Bergen, still und schicksallos, wie ein jungfräuliches Kind und in ruhigem Stolze wie eine Prophetentochter.
– »Welches Namens ist dort die Burg,« fragte ich den Begleiter, »welche nur einige hundert Schritte von hier auf dem Gipfel jenes Hügels steht? Jene Gruppe von Gebäuden gemahnt mich heimathlich an die Bauart in dem Welttheil, in welchem mein Vaterland sich findet.«
– »Das ist die Davidsburg auf Zion,« sagte eintönig der Führer, nur bestätigend, was ich zuvor schon selbst gedacht. Also hier hat der Mann gehaust, der größte seiner Zeit, der ein Prophet war, ein Dichter und ein König! Der Himmel ist zu karg geworden in unserer Zeit: solch große Spenden theilt er nimmer aus, daß er demselben Manne, dem er die Worte der göttlichen Offenbarung in das Herz gibt und von den Lippen rauschen läßt, eine Leier in die Hand drückte, deren Saiten weit hin, ja durch Jahrtausende hallen, und ihm zugleich ein Diadem um das Haupt windet! Von Zion aus konnte der König Jerusalem beschauen, seine Stadt; der Dichter ungestört des Flusses strömende Welle, und das stille grünende Thal, die Terebinten und Olivenbäume betrachten, wie sie die Häupter der Hügel schmücken; der Prophet aber von der Höhe der Burg den Willen des Himmels erlauschen, und in ihren stillen Räumen die Geheimnisse der göttlichen Weisheit nachforschen.
– »Dort außerhalb der Stadt,« sagte mein Begleiter weiter, »sehen Sie das Haus, wo Christus das Abendmahl stiftete.« Gegen Südost dehnt die Aussicht sich weiter. Vor dem Auge des Betrachters liegt das Thal Josaphat, die Moschee auf Morija und weiterhin der Kessel des todten Meeres.
Es gibt wohl keinen andern Anblick, der die Seele mit so trüben Gedanken zu füllen vermag, wie das Thal Josaphat. Ein enges Thal zwischen zwei Hügeln, deren einer den Oelberg, der andere die Stadt Jerusalem auf seiner Höhe trägt, von dem fast wasserlosen Kidron durchschlichen; und was es an Zierde hat, sind die Grabmäler, die in seinem Schooße liegen. Niemals scheint die Sonne in diese düstre Tiefe; Morgens verbirgt sie sich dem Thale hinter dem Oelberg, und Nachmittags hinter Morija. Es ist das Thal der Schatten und der Gräber, und wer über die Brücke geht, die dort den Kidron überbaut, wird unwillkürlich von allen Schauern des Orkus beschlichen. Was der italienische Dichter an die Pforte seines Hades schrieb: »Hier laß die Hoffnung hinter dir zurück!« wendet er unwillkürlich auf das »Todesthal« an.
Rechts von der Kidronbrücke befinden sich die Gräber Absalon's, Josaphat's und Sacharja's. Betende liegen in der Nähe dieser Gräber auf den Boden hingestreckt, und eine Masse aufgeschichteter Steine, namentlich vor Absalons Grab, vermehrt noch das Traurige dieser Stätte. Der Zorn der Türken hat diese Steine vor das Grabmal Absalon's geworfen. Indem sie die Steine hinwerfen vor seine Gruft, sprechen sie einen Fluch aus wider den gottlosen Sohn und wider Jeden, der seinen Eltern nicht gehorcht. Ein hoher, sittlicher Ernst liegt in diesem Gebrauche, und der Orientale, der mit dem durch das Thal hallenden Fluch einen Stein vor dieses Mausoleum wirft, gemahnt auf's Lebhafteste an den Ernst des Gottes, der mit dem Arme seiner Stärke die böse That des Menschen rächt. In der Nähe von dem Grabmal Sacharja´s befindet sich eine Grotte, in welche sich Jakobus mit einigen andern Jüngern während der Gefangennehmung Jesu geflüchtet und verborgen haben soll. Jeder Fels, jede Grotte, jede Höhle, jeder Stein birgt eine bedeutsame Erinnerung, und die größte und weiteste Kirche, welche zur brünstigen Andacht ruft, ist sicherlich Jerusalem selbst und seine Umgebung. Wer hier die Nähe Gottes nicht fühlt und die Hand des Allerhöchsten, welche das Salz ihres Zornes auf diese Gegend gestreut, dem muß das gottverwandte Menschenherz aus dem harten Busen gerissen sein. Wer das Thal Josaphat nur mit einem Blicke gesehen, der hat auch gefühlt, woher die trübe Wolke kommt, welche über dem Judaismus lagert; der muß die Klagelieder Jeremiä und die Trauerlieder der Psalmisten und die Verzweiflungsworte Hiobs verstehen, der weiß die Tiefe des Sündenbewußtseins eines Paulus zu erklären, und erkennt die Seufzer und das lange Geschrei nach Erlösung, welches aus diesen Städten einst erschollen ist. Keinen Tag vermöchte ich zu weilen in diesem Thale; hier werden die Gefühle, die bangen Ahnungen centnerschwer, hier lastet die Luft wie eine eiserne Kette, und die Seele schrickt in sich zusammen, wie ein im Walde vom Schusse des Jägers verwundetes Reh. Drum hinweg von diesen Gräbern, hinweg von dieser Schlucht! Wer in dieser Atmosphäre des Unheils, in dieser Melancholie des Orients an das sanftere Abendland, an die Heiterkeit griechischer Lüste sich erinnern will, der rette sich hinüber zum Teiche Bethesda, hinauf zur Quelle Siloah. Der Teich Bethesda erinnert doch an die heilende Kraft der Natur und läßt im Anblick seiner von Mauern überbauten Tiefe die von Schrecknissen erfüllte Seele sich in etwas wieder beruhigen. Am Ende des Thales Josaphat liegt die Quelle Siloah. Könige und Propheten haben auf das Rieseln dieses Quells gehorcht: wenn sie Trost suchen wollten in der Bekümmerniß, setzten sich die Edlen in seine Kühle. Nirgends in der ganzen Umgegend Jerusalems kann der Wanderer mit einem Trunke Wassers sich erfrischen, nirgends findet er Schatten, um auszuruhen von der Mühseligkeit der Reise; nur hier am Quell Siloah ist ihm vergönnt, die lechzende Zunge zu erfrischen, den vertrockneten Gaumen zu netzen und das ermattete Haupt im Schatten niederzulegen. Wenn die Frauen aus dem Dorfe Siloah kommen, um sich Wasser zu schöpfen, und sie hinabsteigen die Stufen, welche in den Fels gehauen sind, und in stillem Sinnen die Krüge füllen von dem Quell: dann meint der Reisende in die Zeit des grauesten Alterthums sich zurück versetzt; und lebendig vor seinen Augen steigen jene schönen Bilder auf, welche die Dichter uns malen von den Töchtern der Patriarchen und dem Werben der Hirten, welche Stamm- und Erzväter wurden.
Auf Morija, dem Tempelberge, auf derselben Stätte, wo einst der alte jüdische Tempel gestanden, steht mit hoch empor gewölbter glänzender Kuppel die Moschee Omar, nächst der Moschee in Mekka der Muhamedaner größtes Heiligthum. Denn in ihr soll die Stelle sein, wo Muhamed gen Himmel fuhr. Bei Todesstrafe ist der Zutritt in diesem Heiligthum jedem andern Menschenkinde, als dem Bekenner des Islams, versagt. So heilig halten die Muhamedaner ihre Monumente; zu dem Allerheiligsten der Christen aber führen die Verehrer des Propheten den Schlüssel.
Durch den Kessel des todten Meeres ist die Aussicht gegen Südost hin begrenzt. Ich schweige von all dem Schauerlichen, das man von dem todten Meere sich erzählt; es ist wie besonders geschaffen für diese Gegend des düstersten Schweigens und der Trauer. Die biblische Erzählung aber von der dereinstigen Lieblichkeit dieses Thalparadieses, von der Verdorbenheit seiner Bewohner und dem Untergange Sodom's und Gomorrha's ist voll sittlichen Ernstes und beweist abermals, wie nothwendig es war, daß gerade aus diesen Gegenden, welche die Spuren der Sünde und ihrer Strafe so sichtbar an sich tragen, die Religion hervorgehen mußte, welche das Bewußtsein und die Angst der Sündenschuld in ihrer Versöhnungslehre aufgehen läßt. Von der Terrasse auf der Grabeskirche erscheint bisweilen das todte Meer wie ein spiegelglatter See, und gerne läßt man in der dürren Gegend das Auge über dasselbe hinschweifen.
– »Dort im Osten,« sagte der Führer zu mir, »sehen Sie Bethanien und den Oelberg.« Nächst Bethlehem ist Bethanien gewiß das lieblichste Dörflein, das weit und breit der Reisende findet. Und welch theure Erinnerungen knüpfen sich an diese Stätte! Hier hat Lazarus gewohnt und Maria und Martha; in ihrem Kreise hat Jesus ausgeruht von der heiligen Arbeit, um neue Kräfte sich zu sammeln zur Ausführung des schweren Berufs, den er über sich genommen; hier hat der aus Jerusalem Verstoßene ein Obdach, der Heimathlose eine Heimath, der von seinem Volke einem Missethäter gleich Verachtete Liebe und Ehre gefunden, Bethanien möcht' ich den Ort der stillen Liebe nennen; es ist so einsam, so traulich an den Berg gebaut, rings von schattigen Bäumen, von grünenden Feldern umgeben, daß man, wenn man's auch nur anschaut aus der Ferne, Wohnung darin machen möchte, umgeben von geliebten Herzen. Noch heute wallen alle Pilger besonders gerne dorthin, und viele Christen verweilen daselbst, um sich der Erinnerung an die Stunden zu erfreuen, da Jesus in Lazarus Haus ausstrahlte allen Glanz seiner Liebe, und wo der Geliebte Liebe um Liebe genoß. Wäre der Orient zur neuen Heimath mir beschieden, so möcht' ich mit jenen Christen in Bethanien wohnen, und oft vorübergehen an Lazarus Haus und der Martha gedenken und ihrer Schwester Maria. Lange ruhte mein Blick auf Bethanien, der Heimath der Seelen, welche der Herr lieb hatte; und die Seele war mir bewegt von unbeschreiblicher Wallung.
Mit Bethanien übersieht das Auge den Oelberg. Der Oelberg – jede Spanne des Berges eine Geschichte! Nahe am Oelberg liegt Gethsemane; unten an seinem Fuße der Olivengarten; und oben auf dem Gipfel die Himmelfahrtskirche. Steht der Sinai in der Wüste, wie ein Berg des Zorns, so ist der Oelberg mit seinen Bäumen wie ein Berg des Friedens anzuschauen. Ich konnte mein Auge fast nicht wenden von den heiligen Hügeln; nur unvermerkt schweifte es mir hin und wieder nach Bethanien hinüber. Auch in dem Oelgarten haben die Türken einen Beweis ihrer Tiefe gegeben. Wie durch ihre Hand vor Absalon's Grab die unter Fluchworten hingeworfenen Steine liegen, so haben sie auch die Stätte im Oelgarten, wo Judas seinen Meister und Herrn verrieth, zum Zeichen ihres Abscheu's, mit Felsblöcken umgeben, damit zur ewigen Schande das Gedächtniß des Verräthers nicht erlösche.
Immer noch stand ich auf der Terrasse der Grabeskirche, an die Kuppel des Doms gelehnt, wo rings umher die Zellen der gläubigen Beter sind, und mein Auge war in dem großen Schauen fast wie eingewurzelt. Kein Wort ging mir über die Lippe; ich mußte schweigen, weil die Bedeutung dieses Augenblickes mich verstummen machte. Jahrtausende sind über dich hingegangen, du bedeutungsvollste unter den Städten, und heute noch, die Religionen säugtest du als treue Mutter an deinem Busen, und jeder Stein deiner Mauern ist ein Zeuge von Heldenthaten. Zwar gebrochen ist deine äußere Macht, und du sitzest nicht mehr in dem Rath der Völker: aber groß und gewaltig bist du noch heute durch die Erinnerungen, die du in deinem Schooße beherbergst, und der kleinste Raum deines Bodens mit seinen Begebnissen wiegt die Geschichte manches Landes auf; und heilig wirst du den Völkern bleiben, auch wenn eine zweite noch fürchterlichere Zerstörung dich treffen und abermals kein Stein auf dem andern bleiben sollte, wie in jenen Schauertagen, wo der nächtliche Engel dreimal deine Mauer umkreiste und sein Wehe über dich ausrief, wo die Thränen Jesu über dich zu Blut- und Feuerströmen wurden, die der siegende Römer mit den Ruinen deines Tempels und den Leichnamen deiner Kinder dämpfte! Daß alle Völker nach dir sich sehnen und deinen Heiligthümern, ist reicher Trost für dich und Ersatz für die Trauer deiner Wittwentage, da die eigenen Söhne dir vom Herzen gerissen und hinausgejagt sind in die heimathlose Irre, wo sie nur noch in den Träumen ihrer Sehnsucht deiner sich erinnern. Die Pilgrime wandern nach deinen Stätten, um aus deiner heiligen Einsamkeit Ruhe und Trost sich zu erholen. Ich weiß nicht wie gemuthet und wie gestimmt die Andern wieder hinweg ziehen in die Heimath von deinen Felsen, deinen Höhlen, deinen Grotten, deinen Burgen und deinen Gräbern: ob vom innern Schmerz, den sie zu heilen suchten, das Herz ihnen wirklich auch getröstet ist, oder ob nur der fromme Wahn sie in deine Mauern geführt hat. Mir, das fühl' ich, wird die Seele bleiben wechsellos, – nur ergebener, nur geweihter, weil erfüllt von der Heiligkeit deiner Erinnerungen! Und was ich an der heiligsten Stätte gelobt und inbrünstig gebetet, hoffe ich als Wahrheit hier und dort zu schauen. Und noch einmal sah ich über den Oelberg nach dem lieben Bethanien hinüber. Noch einmal trank ich mit vollstem Zuge das heilige Schauspiel und wandte mich dann mit dem Wunsche des heimathlichen Dichters ab:
»Bleibt mir nah mit eurem heil'gen Walten,
Hohe Bilder, himmlische Gestalten.«
Acht Tage verweilten wir in dem griechischen Kloster, dem schönsten und reichsten der Stadt, welchem auch die vor nicht langer Zeit neu aufgebaute Grabeskirche zum größern Theile angehört. Mein Zweck war, zu betrachten und die Eindrücke in mich aufzunehmen. Nicht gelehrte Forschungen beschäftigten mich und Vermuthungen, ob Dieses da oder dort, Jenes so oder anders gewesen; auch die Masse todter und künstlicher Reliquien ließen mich kalt und gleichgültig. Mir genügte es, zu wissen und zu empfinden, daß in diesen Räumen der Stifter meiner Religion gewandelt, daß hier mein Heiland gelebt und gelitten hatte. Von dem Boden, den sein Fuß betreten, pflückte ich Blumen und brachte sie, geweiht im Gebet, auf den Altar seines Grabes zurück; heilige Erde nahm ich vom Oelberge und grüne Zweige von seinen Oelbäumen und Wasser aus dem Jordan, und wem ich dieser Gaben Eine spende, an dem möge sich die Kraft dieser Reliquien im reichsten Segen bewähren.
Nachdem wir die Ueberbleibsel der ehemaligen Pracht und Herrlichkeit Jerusalems so viel wie möglich genossen, wurden eines Abends Anstalten getroffen, um am folgenden Morgen nach Bethlehem, dem Geburtsort des Heilandes, zu ziehen. Wir nahmen die Pferde, die wir mitgebracht, und da seit dem Abzug Ibrahim Pascha's die Gegend hinter Bethlehem nach dem todten Meere sehr unsicher geworden ist, ließen wir einen der Beduinenschechs kommen, die sich ein Geschäft daraus machen, die Pilger nach jenen Orten zu geleiten. Er hieß Suleyman und wurde uns von den Vätern des Klosters als ein zuverläßiger Mann empfohlen. Auch war die Summe, die er für seine Schaar forderte, wenn gleich groß, doch nicht übermäßig. Er versprach zehn Reiter und sechs Beduinen zu Fuß zu unserer Begleitung mitzunehmen.
Am folgenden Morgen brachen wir mit dem schönsten Wetter auf, ritten durch das Thor von Jaffa, an welchem uns Suleyman gleich auf eine Merkwürdigkeit aufmerksam machte, die uns bisher entgangen. An den Quadern des Thurmes waren nämlich drei runde Platten ausgehauen, wovon jede einen Fuß im Durchmesser hatte, und von denen uns der Beduine erzählte, es sei die Form von Broden, die zum Andenken an die ungemeine Wohlfeilheit vor vielen Jahren, wo ein Brod von dieser Größe nur einen Para gekostet (sieben Para sind ein Kreuzer) hier abgebildet worden seien. Längs dem Hügel, auf welchem vormals die Burg Zion stand, stiegen wir hinab, ritten an dem untern Teich Gihon vorbei eine Strecke durch das Thal Ghinnon und stiegen neben dem Berg des bösen Rathes die Höhe hinan, über welche der Weg nach Bethlehem geht. Wie jeder Fuß breit Landes um Jerusalem eine schöne Sage oder Erinnerung an große Thaten trägt, so besonders die Berge und Thäler zwischen Bethlehem und Jerusalem, die, nur zwei Stunden von einander entfernt, doch aus diesem Raume eine ganze Weltgeschichte entstehen sahen.
Ungefähr in der Mitte des Weges zwischen beiden Städten sahen wir das Kloster Elias, auf der Stelle, wo der Prophet, der Geschichte nach, gen Himmel fuhr. Eine kurze Strecke davon lag ein kleines Gebäude vom Wege ab, welches die Türken Rahels Grab nennen. Hier sind die Felder, wo Ruth, die Moabitin, Aehren auflas. Dort etwas entfernt erblickt man über die Hochebene, auf welcher Sanheribs Heer von der Macht des Engels geschlagen wurde. Vor uns in dem Thale, das uns noch von Bethlehem trennt, erschlug David den Goliath. Jetzt lag Bethlehem vor uns auf der Höhe und seine äußere Ansicht ließ nicht mehr erkennen, warum diese Stadt einst ein Ort der Fülle geheißen. Das ganze jetzige Bethlehem besteht aus kleinen armseligen Hütten, aus denen sich nur drei Klöster, das griechische, lateinische und armenische, die in schönen imposanten Formen über der heiligen Grotte gebaut sind, erheben. Wir besuchten das erstere und wurden mit unserer Begleitung von den Mönchen recht freundlich aufgenommen und in ihre Kirche geführt. Diese ist auf der heiligen Felsengrotte, in der sich die Krippe befindet, erbaut, und man steigt zu dieser an beiden Seiten des Altars auf fünfzehn Stufen hinab. Unten gelangt man in eine größere Höhle, die gegen fünfzehn Schritte lang und etwa fünf breit ist. Ihre Höhe beträgt an zwölf Fuß. Rechts an der Treppe, wo wir hinabstiegen, ist eine Vertiefung in dem Felsen mit Marmor bekleidet, auf dem ein silberner Stein eingelegt ist, bei welchem man die Inschrift liest: Hic de Virgine Maria Jesus Christus natus est. Links steht diese Hauptgrotte mit zwei kleineren in Verbindung, in deren einer sich die Krippe aus Stein gehauen befindet, in welche Maria das neugeborene Kind legte; die andere ist die Grotte der Anbetung der Könige. Von der Decke der Hauptgrotte hängen zwei und dreißig Lampen, ähnlich denen in der Hauptkirche zu Jerusalem, welche immer brennend die Gewölbe mit einem sanften Schimmer erfüllen. Die Wände dieser Grotten mit Ausnahme derer, in welcher sich die Krippe befindet, sind mit geglättetem Marmor und Porphyr bekleidet. Nur in dieser sieht man das natürliche Gestein. Um diese drei Höhlen herum liegen mehrere andere, welche von heiligen Männern und Frauen bewohnt wurden. In einer derselben übersetzte der Kirchenvater Hieronymus das alte Testament; eine andere wählte sich der heilige Eusebius von Cremona zu seinem Grabe, und die heilige Paula und ihre Tochter Eustochium sind in einer dritten beigesetzt. Aus der heiligen Grotte gingen wir über einige Stufen in eine andere Höhlenkammer und Kapelle, wo der Sage nach die unter Herodes gemordeten Kinder begraben sein sollen.
In diesen unterirdischen Gängen begegneten wir einem Mönche aus dem lateinischen Kloster, der vor Freuden fast außer sich kam, als er uns deutsch sprechen hörte, – es war ein Landsmann, – und wir mußten ihm in sein Kloster folgen. Das Schönste in diesen drei Klöstern ist das Kirchenschiff, welches die Griechen und Armenier inne haben. Die Form desselben ist die des alten griechischen Kreuzes; acht und vierzig Marmorsäulen in vier Reihen tragen das Dach. Wir kehrten mit unserm Führer in's griechische Kloster zurück, wo ein Mahl für uns aufgetragen wurde. Auch hatte sich in dem Zimmer, das uns eingeräumt worden war, sowie in den Gängen vor demselben, ein Markt mit den Gegenständen, die hier in Bethlehem gemacht und von den Pilgern häufig gekauft werden, etablirt. Da waren Kreuze und Rosenkränze aus Perlmutter und aus den schwarzen weichen Steinen, die man am todten Meere findet, aus letzterem Stoffe auch kleine Tassen und Becher, und wir kauften von diesen Stoffen Mehreres, um es mit in die Heimath zu nehmen.
Es war unterdessen drei Uhr geworden und da wir noch heute das Kloster St. Saba erreichen wollten, so trieb Suleyman, der Schech, zum Aufbruch. Unsere Begleitung, die von Jerusalem hieher nur aus einigen Reitern bestanden hatte, vermehrte sich hier auf die bestimmte Zahl, und wir waren schon eine ziemliche Schaar, so daß wir einem guten Trupp Räuber, von deren Unwesen man sich hier viel erzählte, die Spitze bieten konnten.
Wir ritten nordöstlich von Bethlehem anfänglich durch angebaute Felder; doch bald führte unser Pfad wieder über Felsen und durch ganz unwirthbares Terrain. Es ist nicht möglich, von solchen Wegen eine geordnete Beschreibung zu machen, denn wenn sich auch mit jedem Schritte die Landschaft ändert, so bleibt doch im Ganzen ihr rauher, wilder Charakter immer derselbe. Die Sonne war längst gesunken und die Dämmerung mächtig hereingebrochen, und wir zogen noch immer, ohne das gastliche Dach des Klosters zu erblicken, auf den einsamen Bergen von Judäa umher. Zuweilen jagten unsere Beduinen ein wenig im Trab oder Galopp voraus und wir folgten ihnen, mußten aber immer wieder abwarten, bis unsere Begleitung zu Fuß herangekommen war. Endlich hatten wir die letzte Höhe erreicht, hinter der, wie uns Suleyman versicherte, St. Saba, aber tief im Grunde liegen sollte. Bald gelangten wir auch an den Rand einer großen Schlucht, wo wir einige Augenblicke rasteten. Mit den Augen folgte ich der Richtung, nach welcher das Kloster liegen sollte, und ich muß gestehen, trotz dem, daß uns die Wege auf dem Balkan und Libanon nicht verwöhnt hatten, war es mir doch im ersten Augenblicke nicht klar, wie da hinab zu gelangen sei. Das Gebirge, auf dem wir uns befanden, schien sich in seiner ganzen Länge, wenn auch ziemlich steil, doch wenigstens allmälig an die Ufer des todten Meeres hinabzuziehen, was mir in der Richtung vor uns nicht der Fall war. Da schien einstens eine gewaltige Erdrevolution aus dem Bergrücken ein großes Stück herausgerissen und eine Schlucht gebildet zu haben, die uns bei dem schon weit vorgerückten Abend ohne Weg und Steg pechschwarz entgegen gähnte. Also da hinab? In Gottes Namen. Obgleich einer der Beduinen mir versicherte: es sei weit sicherer, wenn er mein Pferd führe, so dankte ich ihm doch dafür und wollte mich lieber auf mein Gesicht und meine eigene Kraft verlassen.
Anfangs umkreiste der Weg, wenn man die Felszacken, über die wir wegschreiten mußten, und die man bei den schlimmsten Stellen nur einigermaßen mit großen Steinen ausgefüllt hatte, so nennen kann, die Hälfte der Schlucht und wandte sich dann zurück auf dieselbe Art, wie die Zickzackwege in der Schweiz den Wanderer langsam hinabführend. Nach Verlauf einer halben Stunde jedoch hörte auch dieser Pfad auf, und ich fand mich veranlaßt, von meinem Pferde zu steigen, um es den Felsbach, dessen Bett nun unsere Straße bildete, und wo das Thier auf dem nassen lockern Grund jeden Augenblick ausglitt, glücklich hinabzubringen. Dabei war es so dunkel geworden, daß ich, obgleich scharf um mich spähend, nur langsam Schritt für Schritt vordringen konnte, um nicht in einen der vielen Abgründe zu stürzen, die sich meinem Auge nur durch größere Dunkelheit gegen das übrige Gestein und meinen Weg, sowie durch kleine Sträucher, womit ihr Rand meistens eingefaßt war, bemerkbar machten. Da ich trotz allem dem ziemlich große Schritte machte, so war ich in kurzer Zeit meinen Gefährten weit voraus, nur gefolgt von einem Beduinen, der ebenfalls sein Pferd führte und mit der langen Lanze stets um sich focht, um auf dem rechten Weg zu bleiben, wobei manches Maschallah seinem Munde entfuhr, besonders wenn die stählerne Spitze der Lanze das Gestein traf, daß die Funken umhersprühten. Plötzlich mußte ich halten, denn mein Pferd, das dicht hinter mir ging, und zuweilen über meine Schultern sah, blieb auf einmal stehen und war nicht von der Stelle zu bringen. Ich tappte, meinen Säbel zwischen das Gestein klemmend, langsam noch einige Schritte allein abwärts, und sah bald, daß wir fehl gegangen waren; denn der Bach, der uns bisher geleitet, stürzte kaum drei Fuß vor mir rauschend in eine Gott weiß wie tiefe Schlucht hinab, wohin wir ihm doch bei allem guten Willen nicht folgen konnten. Ich rief dem Beduinen, der auch gleich herbei kam, jedoch im ersten Augenblick die Hände sinken ließ, gleich einem Menschen, der nicht mehr weiß, was er beginnen soll. Was war zu thun? Umkehren und den Weg zurückmachen, den wir gekommen, um oben wieder von vorne anzufangen, auf's Neue hinabzusteigen, um vielleicht nicht weiter zu kommen? Ich muß gestehen, bei mir reifte schon der Entschluß, mich in meinen Mantel zu wickeln, und hinter einem Stein gelagert die Nacht zu verbringen, als der Beduine, der auf dem Bauch bald rechts, bald links herumkroch, ein freudiges Geschrei ausstieß. Er kam schnell zu mir zurück, faßte meine Hand; wobei er mir einige arabische Worte zurief und gab mir durch Zeichen zu verstehen, mich zu bücken und dorthin zu schauen. Ich folgte ihm, und sah, als ich mich fast auf den Boden legte, vor mir in der Tiefe eine Felsmasse, die ich sogleich, als sie sich nun gegen den etwas helleren Nachthimmel in scharfen geraden Umrissen abzeichnete, für einen großen Thurm erkannte. Jetzt glaubte der Beduine den Weg wieder gefunden zu haben, wandte sein Pferd, und ich folgte ihm eine Strecke zurück, wo er das Bett des Baches verließ und einen kleinen Seitenpfad einschlug, den wir vorhin bei der großen Dunkelheit übersehen hatten. Noch einige Minuten, und wir waren neben dem Thurm angelangt, der schon zum Kloster St. Saba gehörte, dessen Hauptgebäude jedoch, wie mir der Beduine bedeutete, noch viel tiefer da unten in der Schlucht liege, wohin aber von hier der Weg gefahrlos und nicht zu verfehlen sei. Darauf band er sein Pferd an einen Strauch fest und bat mich, einen Augenblick allein zu bleiben, indem er dem Wächter im Thurm unsere Ankunft anzeigen wolle. Mir war das ganz recht, denn ich wollte ohnehin die Gefährten erwarten, die noch hinter uns zurück waren.
Ich stützte mich auf den Sattel meines Pferdes und blickte in die Schlucht vor mir hinab, die mir finster und unheimlich entgegensah, und uns doch, wenn wir es mit gutem Glauben gewagt hinabzusteigen, einen Ort finden ließ, wo wir einer freundlichen, liebevollen Aufnahme gewiß waren, ein Bild des Grabes, sowie ein Bild manches verlorenen Lebens, das hinter sich ließ die Höhen des Glücks und träumend und sinnend einen unbekannten finstern Pfad hinabfließt, weil dort oben seine Sonne untergegangen, und ihm kein neuer fröhlicher Tag anbrechen wird.
Horch! neben mir in dem Thurme wird es lebendig. Der helle Schall einer Glocke schlägt an mein Ohr. Es ist so eigen, hier in der Oede, wo die wilden Felsmassen fast kein menschliches Wesen ahnen lassen, plötzlich den Ton einer Glocke zu hören. Er dringt tief in's Herz und alle finstere Gestalten verjagend, stiegen neue freundliche Bilder in mir auf; kaum hatte das Läuten einige Secunden gedauert, so begann eine andere Glocke unten in der Schlucht, wo man nichts unterscheiden konnte, in tieferem Tone, und antwortete der ersten, und eine dritte, die sehr entfernt sein mußte, denn man hörte sie nur dumpf einstimmen, schlug fast zugleich an. Ich stand überrascht und das Alles kam mir wie Zauber vor. Ich hätte geglaubt zu träumen, wenn nicht die Glocken ihren melodischen Dreiklang eifrig fortgesetzt hätten und sich nicht ein anderes viel ergreifenderes Schauspiel meinen Augen darbot. Unten in der Schlucht blitzte ein Licht auf, das sich langsam fortbewegte, dann ein zweites, ein drittes, bis eine große Anzahl zum Vorschein gekommen war, und munter durch einander flimmerten. Ich drückte meine Hände zusammen, denn mir war, als müßte ich einen Zauberstab halten, der mit seiner Kraft meine Untergebenen, die Berggeister und Kobolde, aus ihren Höhlen gerufen und da unten versammelte. Doch hinweg mit allen Träumen! Für heute war der Ritt in finsterer Nacht beendigt, da unten öffneten sich die freundlichen Zellen des Klosters St. Saba zu unserem Empfang. Mein Beduine kam zurück und zeigte freundlich lächelnd auf die Lichter, die sich dort bewegten. Hinter mir hörte ich Pferde schnauben und Waffen klirren. Es waren meine Gefährten, die, ebenso überrascht von dem Schauspiel, das sich unsern Blicken entfaltete, an meiner Seite hielten. Bald unterschieden wir lange schwarze Gestalten, die, jeder eine Kerze in der Hand tragend, auf uns zukamen. Wir gingen ihnen entgegen und nun begrüßte uns der Abt des Klosters, ein alter griechischer Priester mit lang herabwallendem Bart, mit einem Segensspruch, der unserer Ankunft galt, und die Brüder reichten uns freundlich ihre Rechte.
Unsere Pferde und das Gepäck ließen wir in dem Thurm, auf welchem die zweite Glocke, die ich gehört, läutete, und uns führte der Abt bei vierhundert Stufen hinab auf den Grund der Schlucht, wo die Kirche stand, die geöffnet und erleuchtet war.
Es war ein eigenes sonderbares Gefühl, so tief zwischen diesen Felswänden, zwischen denen das Kloster, oder vielmehr die Kette von Gebäuden liegt, hinabzusteigen und überall an Treppen und Häusern den größten menschlichen Fleiß zu bewundern, der diese Gegend aufgesucht zu haben schien, um zu zeigen, was Ausdauer selbst den unwirthbarsten Schluchten abzugewinnen vermag. Die Gebäude lagen auf ausgehauenen Terrassen, die durch gleichfalls in den Fels gehauene Treppen verbunden wurden und auf welchen man hie und da kleine Gärtchen angelegt hatte. Den ersten Anfang zu dem Kloster des heiligen Saba gab die Höhle eines Löwen in der Felswand fast auf dem Grunde der Schlucht. Sie befindet sich auf dem untersten Hofe des Klosters, und einer der Mönche führte uns hin. Der Fels, in dem sie sich befindet, ist wie ein Haus mit Gängen, Treppen und kleinen Höhlen versehen, in denen sich die christlichen Einsiedler um den heiligen Saba versammelten, der anfänglich in der Höhle des Löwen lange allein wohnte. Auch die umliegenden Schluchten und Felshöhlen wurden von diesen Einsiedlern bewohnt, deren Zahl auf zehn bis eilftausend gestiegen sein soll. Die immerwährenden Verfolgungen und Ueberfälle der Araber zwangen endlich die Christen, um den größten Theil ihrer Höhle sowie ihrer Kirche Mauern zu ziehen, was den ersten Anfang des jetzigen Klosters gab. Auf dem Hofe sieht man noch die Ueberbleibsel der alten Kirche, die ganz mit Schädeln und Gebeinen der von den Arabern erschlagenen Mönche und Einsiedler angefüllt ist.
Wir betraten die neue, sehr schöne, fast reich ausgeschmückte Kirche, wo der griechische Bischof, der dem Kloster vorstand, zu unserem Empfang eine Messe lesen ließ, die äußerst feierlich war. Mir fielen hier in der Kirche zwei Gemälde auf, die mich sehr interessirten: es war ein Christuskopf und die Jungfrau Maria. Obgleich unser Maler versicherte, daß diese Bilder nicht viel künstlerischen Werth hätten, fanden wir doch Alle den Ausdruck dieser beiden Köpfe so voll sanfter und himmlischer Schönheit, daß wir lange davor stehen blieben, sie mit innigem Wohlgefallen betrachtend.
Unterdessen hatte man in dem untern Hofe ein Gemach für uns eingerichtet, den Boden mit Kissen und Teppichen belegt und einen soliden Pillau aufgetragen, der nach dem langen Ritte auch nicht zu verachten war. Unsern Beduinen wurde das gleiche Gerücht auf dem Hofe servirt, und das stille friedliche Kloster des heiligen Saba hatte gewiß lange nicht solchen Lärm wie heute gehört; denn es ist den Arabern selbst nicht einmal möglich, während dem Essen stille zu sein, und ihr Geschrei ist so laut und wild, daß man immer glauben muß, sie seien in einem heftigen Streit begriffen.
Das Gemach, in welchem wir uns befanden, hatte ein plattes Dach, wohin wir uns nach der Abendmahlzeit begaben und noch eine Stunde lang dem Mondscheine zusahen, der sich allmälig an den glatten Felswänden hinabsenkte und die Schlucht bis zu uns mit weißem Lichte erfüllte. Der unterste Hof des Klosters, wo wir uns befanden, war jedoch noch nicht der Grund der ganzen Schlucht, sondern diese zog sich noch wenigstens hundert Fuß tiefer hinab. Große Fledermäuse flatterten zuweilen von dort zu uns, herauf und das Geheul der Schakals, die wir deutlich unten herum laufen sahen, unterbrach nicht sehr angenehm die feierliche Stille, die über dem ganzen Kloster lag. Unser guter Fürst Aslan fühlte sich hier besonders recht heimisch, denn er traf hier mehrere Landsleute an. Wegen eines derselben hätte ich beinahe einen kleinen Streit mit ihm gehabt. Der Fürst erzählte uns nämlich mit wahrer Begeisterung: dieser, jetzt hier ein armer Mönch, sei früher in P. einer der reichsten Kaufleute gewesen, habe jedoch von einem Theil seines großen Vermögens eine Kirche erbaut und sei mit dem andern nach St. Saba gezogen, um hier sein Leben zu verbringen. Ich konnte mich nicht enthalten, über diese Geschichte den Kopf zu schütteln und dem Fürsten zu bemerken: mir würde es weit mehr gefallen, wenn der Kaufmann mit seinem Vermögen andere Stiftungen, die für das Wohl der Menschheit besser sorgten, bedacht hätte, als Kirchen zu erbauen und Klöster zu bereichern. Doch that es mir leid, ihn erzürnt zu haben, und als er in der Vertheidigung jenes Mannes den triftigen Grund einflocht, wer uns, wenn alle Leute so dächten, hier wohl heute Abend mit einem guten Pillau und mit Kissen und Decken zum Schlafen regalirt hätte, reichte ich ihm lachend die Hand und leerte ein Glas des ziemlich guten Rothweins, den man uns vorgesetzt, auf das Wohl jenes freigebigen Russen.
Nach einer ruhigen Nacht, in der wir sanft geschlafen und nur einmal von dem harmonischen Läuten der Glocken geweckt worden waren, welche die Mönche zum nächtlichen Gottesdienst rief, brach der Tag an, und beim hellen Lichte, wo wir die riesenhafte Schlucht noch deutlicher, als gestern beim Mondscheine, betrachten konnten, war es uns zwischen den hohen steilen Felsmauern des Klosters, als seien wir in einem ungeheuern Verließ gefangen. Unten bei uns herrschte noch das Dunkel der Nacht, während oben am Rande der Schlucht das Dunkelblau des Himmels sich immer heller färbte. Wir nahmen unten, vor unserem Gemach sitzend, noch ein kleines Frühstück ein und stiegen dann wieder die Treppen hinauf bis zum ersten Thurm, wo unsere Beduinen und Pferde schon bereit standen. Hier drückten wir den gastfreundlichen Mönchen noch einmal herzlich die Hand, saßen auf und ritten durch die wilden Schluchten auf Pfaden, wo allenfalls Ziegen mit Bequemlichkeit wandeln konnten, gegen Osten nach dem todten Meere zu. Schon bei Jerusalem, an den Abhängen des Oelberges, sieht man deutlich den schwarzen Spiegel dieses Salzsees und hinter Bethlehem erscheint er dem Auge so nahe, daß man glaubt, ihn in wenigen Stunden erreichen zu können. Doch windet sich der Weg die Gebirge hinab so vielfach und beschwerlich zwischen Schluchten längs Abgründen und Felsen hin, daß man nur sehr langsam reiten kann, und wir brauchten vom Kloster St. Saba noch volle fünf Stunden, ehe wir den letzten Abhang hinabritten, der an das Ufer des todten Meeres führt. Der Weg hieher war über alle Beschreibung mühsam und gefährlich und oftmals stiegen wir ab, um unsere Pferde Abhänge hinauf oder hinabzuführen. Im Allgemeinen aber hat dies Terrain viel Aehnlichkeit mit den wildesten Partien des Libanon, die ich glaube ausführlich genug beschrieben zu haben. Wenn man sich gewöhnlich von Gegenden, weil man viel darüber gelesen hat, eine weit größere Vorstellung macht, sei es in Betreff der Lieblichkeit oder der Oede dieser Orte, so ist dies bei dem Thale, in welchem Jericho, der Jordan und das todte Meer liegt, nicht der Fall. Ich habe nie eine schauerlichere, ödere Fläche gesehen, als diese. Rechts das todte Meer mit wild gezackten Felswänden, zwischen denen das schwarzgefärbte Wasser fast ohne Bewegung liegt; vor uns eine nackte sandige Ebene, in welcher weit zur Linken die grüne Linie einiger Gebüsche die Richtung des Jordans angibt. Doch hört dies Grün weit vorher auf, ehe der Fluß das Gebiet des todten Meeres erreicht, denn dort in dem ausgebrannten salzigen Boden finden die Wurzeln jener Bäume keine Nahrung mehr. Was hier wächst sind niedrige Sträucher, deren Aeste und Blätter mit einer weißlichen Salzrinde überzogen sind. Die Oede, die über dem ganzen Thale lag, mochte auch vielleicht theilweise von der schrecklichen Hitze herkommen, die jetzt in der Mittagsstunde auf Allem mit einer unerträglichen Schwere lastete. Da flog kein Vogel, und keine Schnecke oder sonst ein kriechendes Thier war auf dem Boden zu sehen. Wir näherten uns langsam und schweigend den Ufern des todten Meeres und stiegen von unsern Pferden, um einige Augenblicke hier zu rasten. Das Wasser, das wir aus Neugierde versuchten, hatte einen unerträglich scharfen Geschmack. Schon das gewöhnliche Seewasser verursacht ein Brennen im Halse, aber gegen die Schärfe und Bitterkeit dieses Wassers ist es gar nicht zu vergleichen. Wir hatten anfänglich die Idee gehabt, im todten Meere zu baden; doch rieth unser Schech Suleyman auf's Bestimmteste davon ab, indem es in dieser Gegend zu gefährlich sei, sich der Waffen zu entledigen und sich in einen wehrlosen Zustand zu versetzen. Ueberhaupt hatten wir diesen Morgen schon sehr viel von der Unsicherheit dieses Thales hören müssen, und wie es gar nicht unwahrscheinlich wäre, wenn wir von dem Raubgesindel, das allein diese Gegend bewohne, und das hinzugekommene ägyptische Deserteure täglich vermehrten, angegriffen würden. Schon an den Abhängen des Gebirges, ehe wir zu den Ufern des Salzmeeres hinabstiegen, trafen unsere Beduinen allerlei verdächtige Vorsichtsmaßregeln. Sie luden ihre Gewehre, versuchten ihre Säbel und zogen ihre Gürtel fester um den Leib. Während wir am Rande des Sees kleine schwarze Steine sammelten, die wir zum Andenken mitnehmen wollten, schaute Suleyman aufmerksam mit einer gewissen Unruhe in die Gegend, ob sich nichts Verdächtiges dort sehen ließe, und trieb stark zum Weiterreiten.
Das todte Meer, dessen nördlichstes Ufer wir besuchten, erstreckte sich an sechs Stunden gegen Süden und seine Breite beträgt an zwei Stunden. Merkwürdig ist es, daß sein Wasserspiegel sechshundert Fuß unter dem des Mittelmeeres liegt. Wir bestiegen unsere Pferde wieder und ritten nördlich über die mit tiefem Sand bedeckte baum- und strauchlose Ebene. Die Sonne brannte hier fürchterlich und wir sowohl wie die Thiere zogen niedergedrückt und schweigend dahin. Jeder ritt abgesondert von dem Andern und die Strahlen der Sonne lagen so schwer auf mir, daß ich mich, am Knopfe des Sattels festhaltend, in schwere, unklare Träume versenkte. Unsere Beduinen hatten nach ihrem Grundsatz, was die Kälte abhalte, auch Schutz gegen die Hitze gewähre, ihren dickwollenen Burnus über den Kopf geschlagen und saßen so, seltsam vermummt, auf ihren Pferden. Die armen Thiere hatten heute harte Arbeit, denn der Sand war so weich und locker, daß sie bei jedem Tritte tief hineinsanken, und jedes Thier ließ so eine lange Furche hinter sich zurück. So ritten wir eine starke Stunde, als unsere Beduinen zu Fuß, die voran waren, plötzlich mit dem lauten Ruf: »Arab'! Arab'!« stehen blieben und ihre Gewehre erhoben. Die Reiter warfen ihren Burnus vom Kopfe und Suleyman sprengte auf einen kleinen Sandhügel in der Nähe, um sich umzusehen. Wirklich erblickten wir auch weit vor uns in der Ebene drei bis vier Gestalten, die jedoch in wenig Augenblicken zwischen den Gebüschen am Jordan verschwunden waren. Wenn sonst der Anblick von Menschen dem Reisenden angenehm ist, und der Klang der menschlichen Stimme das Ohr des einsamen Wandelnden wohlthuend berührt, so ist dies hier nicht der Fall; man weiß, daß sich hier nur Raubgesindel aufhält, das, wenn es sich zu schwach hält, die Reisenden anzugreifen, sich vor ihnen flüchtet und entfernt hält und sich im andern Fall nur nähert, um zu rauben und nicht selten zu morden.
Dies kleine Intermezzo hatte übrigens das Gute, daß es uns aus dumpfen Träumereien emporriß und für das Aeußere wieder empfänglich machte. Vor uns fing die Ebene an etwas hügelig zu werden und wir waren den grünen Bäumen und somit den Ufern des Jordans, nach dessen Wasser wir uns alle sehnten, bedeutend näher gerückt. Nordwestlich zeigte Suleyman auf einen Punkt, den ein scharfes Auge für verfallene Häuser halten konnte, das Dorf Richa, welches auf einem Theil der Trümmer des alten Jericho steht. Der Baron mit seinem scharfen Auge glaubte sogar die Wasserleitung des Herodes unterscheiden zu können. Wir mußten uns mit dem Anblick der alten Stadt begnügen, denn wir mochten nicht noch einen Tag zusetzen, um auf jener Stelle zu wandeln, die nichts weiter bietet, als einige wenige Steine und Trümmerhaufen. Endlich erreichten wir das Ufer des Jordans, welcher so dicht mit Schilf und Bäumen bewachsen ist, daß man nur an wenigen Punkten zum Wasser gelangen kann. Suleyman führte uns an eine Stelle des Flusses, das Pilgerbad genannt, das zu Ostern von ganzen Schaaren christlicher Pilger besucht wird. Hier stiegen wir müd und matt von unsern Pferden und legten uns in den Schatten der Gebüsche, unter denen wir manchen guten Bekannten aus der Heimath sahen, denn Weiden, Pappeln und Tamarisken stehen hier neben und zwischen den Bäumen der wärmeren Zone. Wir nahmen die Lebensmittel, die wir von den guten Mönchen in St. Saba erhalten, als Brod, Fleisch und eine große Korbflasche mit Wein, von unsern Pferden herunter und ließen uns das Mittagsmahl trefflich schmecken. Vier andere junge Pilger, es waren Griechen, die unter Anderem auch den Sinai besucht hatten, und heute Morgen in unserem Schutz und unserer Begleitung St. Saba verließen, um das todte Meer und den Jordan zu besuchen, lagerten sich neben uns und machten gern gemeinschaftliche Sache. Suleyman hatte einen Theil der Beduinen längs dem Gebüsch, unter welchem wir lagerten, vertheilt und es für nöthig befunden, einzelne Vorposten bis auf die Ebene hinauszustellen. Anfänglich hatten wir geglaubt, daß seine Furcht vor den Arabern dieser Gegend mehr erkünstelt sei, um uns die Wichtigkeit seines Postens recht ans Herz zu legen. Doch war er hier, anstatt sich ebenfalls unter die Bäume zu lagern mit seinem Pferde, von dem er nicht herabstieg, in beständiger Bewegung, schärfte die Steine an seinen Pistolen und hatte den gezogenen Säbel an einer geflochtenen Schnur neben sich am Sattel hängen; bald ritt er gegen die Ebene, bald durchkreuzte er das Gebüsch und wollte unserer Einladung, sich neben uns zu setzen, keine Folge leisten. Kaum nahm er etwas Brod und Fleisch an, das er, auf seinem Pferde sitzend, verzehrte.
Nur die goldenen Fäden, welche Religion und Geschichte an die Ufer des Jordans knüpfen, geben dem Flusse seinen Reiz. Er selbst fließt ärmlich und unscheinbar durch die sandige Ebene und verliert sich ebenso in die Tiefe des todten Meeres. Er ist wie eine alte einfache Melodie, die in dem Herzen tausend glänzende Erinnerungen und herrliche Thaten anregt und lebendig hervortreten läßt, wie eine staubige Pergamentrolle, deren Charaktere verblichen sind, aber die das Herrliche, was sie uns früher erzählten, noch immer umschwebt, und dem innern Auge bei eifrigem Nachsinnen wieder in sichtbaren Gestalten erscheint. – Das Wasser des Flusses, der nirgends über hundert Fuß breit ist, ist von gelber, sandiger Farbe und wie schon gesagt, durch die verdeckenden Gebüsche nur an wenigen Punkten sichtbar. Die Ufer, die ziemlich steil hinab gehen, sind lehmigt und die Tiefe des Wassers beträgt kaum zehn Fuß.
Nachdem wir uns durch Speise und Trank etwas erquickt und unter dem Schatten der Bäume abgekühlt, zogen sich, trotz dem Abrathen Suleymans, mehrere von uns aus, um ein Bad in dem Flusse zu nehmen, doch das Wasser war sehr kalt und trieb uns bald wieder in die Kleider. Auch hatten uns die Vorposten auf der Ebene schon einige Mal durch lautes Geschrei beunruhigt, ohne daß sich etwas Verdächtiges hätte blicken lassen. Doch hatten wir uns kaum aufs Neue gelagert und suchten unsere Feldflaschen hervor, in denen wir zum Andenken an den heiligen Fluß Wasser schöpfen wollten, als wir plötzlich von allen Seiten den Ruf: »Arab'! Arab!« vernahmen. Suleyman sprengte mit verstörter Miene, den Säbel in der Hand, durch das Gebüsch auf uns zu und bedeutete uns ebenfalls unter dem Ausrufe: »Arab'! Arab'!« daß wir unsere Pferde und Waffen zur Hand nehmen sollten. Alles sprang in wilder Verwirrung empor. Ich, da ich heute Morgen den Aussagen unseres Suleyman über die Räubereien der Araber keinen Glauben schenkte, hatte meinen Säbel einem unserer Beduinen geliehen, der den Stein an seiner Flinte verloren hatte. Der Doktor B. hatte seinen Säbel abgeschnallt und da derselbe zwischen uns lag, griffen wir Beide darnach, er an den Griff, ich an die Scheide, und liefen so mit der getheilten Waffe nach unsern Pferden. Der Maler F. war der erste, der zu Pferde saß und sein Doppelgewehr fertig machte. Ich war am schlechtesten bewaffnet, und da ich wohl einsah, daß ich mit meiner Scheide nicht viel ausrichten könne, so riß ich dem Fürsten Aslan, der außer seinen Pistolen einen langen krummen Säbel führte, als er bei mir vorbei nach seinem Pferde stürzte, den kurzen breiten Handschar von der Seite und warf die Scheide weg. Der Baron, statt sich aufs Pferd zu schwingen, lief mit dem Säbel in der einen, mit seiner Feldflasche in der andern Hand an das Ufer des Flusses, um sich wenigstens vor Anfang des Gefechts, das nun kommen konnte, mit Jordanwasser zu versehen. Ich nahm sein Pferd beim Zügel und ritt ihm nach, um ihn wenigstens für den Augenblick zu decken. Zwischen den Gebüschen, die uns umgaben, ging nun ein fürchterlicher Spektakel los; es wurde geschossen und man vernahm Schläge, als wenn mit den Säbel gegen Holz gefochten würde; dabei schrieen unser Beduinen, als wenn sie alle am Spieße steckten. Bald wurden auch rings um uns Gestalten sichtbar, und wir sahen nun klar ein, daß uns eine Schaar von wenigstens dreißig bis vierzig halbnackter Kerle, die nur mit großen Stöcken bewaffnet waren, überfallen hatte. Man konnte eigentlich nicht sagen, wer vor oder wer zurückdrang; denn unsere Beduinen waren mit jenen Arabern ganz untermischt. Zuweilen stürzte einer der letzteren auf den Platz, wo wir standen, sprang aber beim Anblick unserer Pferde und Waffen gleich wieder zurück. Jetzt schwang sich auch der Baron aufs Pferd und im gleichen Augenblick stürzten drei etwas besser gekleidete Araber uns gegenüber aus dem Gebüsch, von denen der eine eine Pistole, der andere einen Säbel und der dritte eine Luntenflinte trug. Den mit dem Säbel nahm sich unser kleiner Doktor auf's Korn und ritt auf ihn zu. Anfänglich schien der Kerl Stand halten zu wollen, doch als der Fürst von der andern Seite kam, wandte er sich eilig um und floh ins Gebüsch zurück. Der mit der Pistole schoß gegen den Baron und mich und wir hörten seine Kugel den Zweig eines Baumes neben uns zerreißen. Der andere hatte seine Luntenflinte auf eine Art Gabel gelegt, doch ließen wir ihm keine Zeit, uns diese Ladung zuzuschicken, sondern wir gaben unsern Pferden die Sporen und ritten ihn nieder. Der die Pistole auf uns abgefeuert hatte, wandte sich nach dieser Heldenthat ebenfalls ins Gebüsch zurück und wollte entfliehen. Doch schoß ihm der Maler nach und streifte ihn leicht am Bein; zu gleicher Zeit fiel einer der jungen griechischen Pilger mit seinem Stock über ihn her und zerbläute ihn ganz gewaltig. Der Baron hatte seinen Säbel ebenfalls gezogen und gab dem, den wir überritten, mit der flachen Klinge einige kräftige Hiebe. Das ganze Gefecht war glücklicher Weise nur eine große Prügelei zu nennen, und Suleyman mit seinen Beduinen endigte es bald, indem sie den Säbel zwischen den Zähnen und in den Händen die Pistolen, die Araber truppenweise vor sich her gegen uns jagten. Bald war die ganze liebenswürdige Gesellschaft um uns versammelt und flehte sehr erbärmlich um Gnade. Suleyman hielt ihnen eine, donnernde Rede und hieß sie alle im Kreis niedersitzen. Der mit der Luntenflinte, den wir niedergeritten, war der Schech und trat an das Pferd unsers Suleymans, dessen Kaftan er ergriff und dreimal an seine Stirn drückte, das Zeichen der Unterwerfung.
Nach einigem Hin- und Herreden, in das zuweilen die ganze Truppe der Araber mit lautem Geheul einstimmte, ließ Suleyman den Baron fragen, was er mit diesen Kerls machen wolle; es seien arme Teufel, die nur etwas Brod für ihren Hunger haben nehmen wollen. Wir wußten das freilich besser, aber was war zu thun? Jagten wir sie mit einigen Prügeln fort, so war zu erwarten, daß sie uns am Abend in den Gebirgen noch einmal in größerer Anzahl überfielen. Das Klügste war demnach der Rath unseres Suleyman, ihnen von unserem Brod und Salz zu geben und sie bis zum andern Morgen, wo wir nahe an Jerusalem waren, bei uns zu behalten. So geschah es auch. Wir schüttelten unsere Säcke aus und gaben ihnen, was wir hatten. Darauf rauchten unsere Beduinen mit den ältesten der Truppe eine Pfeife und der Friede war hergestellt. Giovanni versicherte uns, so wie er dieses Volk kenne, dürfen wir jetzt ganz sicher bei ihnen sein; sie würden eher ihr Leben zu unserer Vertheidigung wagen, als uns im Geringsten feindselig behandeln. Der Kerl, der mit der Pistole auf uns geschossen, ging zum Baron hin, legte ihm, wie der Schech dem Suleyman, die Stirne dreimal an den Rockschoß und ließ uns sagen, er habe absichtlich fehl geschossen. Das konnte übrigens glauben, wer Lust dazu hatte.
Wir brachen nun auf, und der ganze Trupp zog mit uns. Der Himmel hatte sich stellenweise mit Wolken bezogen und hinderte den Strahl der Sonne, wieder mit solcher Heftigkeit uns wie heute Morgen zu versengen, was Menschen und Thieren recht wohl that, und unsere Beduinen fingen sogleich an mit einander zu spielen und sich zu necken. So ernst und selbst faul der Araber zu Fuß herumschleicht, so lustig und ausgelassen ist er zu Pferde. Selbst die ältesten Leute machen die Kindereien der jüngeren mit. So war bei unserem Trupp ein alter Mann mit schneeweißem Bart – er ritt eine sehr gute Schimmelstute – von Allen der Ausgelassenste. Ihr Spiel bestand hauptsächlich im Werfen des Dscherid, in dessen Ermangelung sich die meisten unserer Beduinen Von den Fußgängern einen Stock geben ließen. Einer sprengt voraus, nimmt das Gewehr und thut als ob er auf den Andern schösse. Ein Anderer folgt ihm, was das Pferd laufen kann, faßt den Dscherid an einem Ende und sucht, wenn er den ersten erreicht, ihm über den Rücken zu hauen. Jener parirt den Schlag entweder mit seiner Waffe, oder, und dies ist am Schwierigsten, er wirft sich in dem Augenblick auf die Seite des Pferdes, so daß der Schlag fehl geht und faßt dann, wenn der Angreifer hierdurch das Gleichgewicht etwas verloren, plötzlich den Arm desselben und sucht ihn vom Pferde zu reißen. Es war für uns höchst ergötzlich, diesem Manöver zuzusehen und wir folgten den Beiden, die gerade rauften, im Galopp nach, die Fußgänger weit zurücklassend. Fürst Aslan hatte lange dem Spiel zugesehen, ohne Theil daran zu nehmen und forderte endlich den alten Beduinen, der durch die Geschwindigkeit seines Pferdes, sowie durch eigene Gelenkigkeit gewöhnlich den Sieg davon trug, auf, mit ihm einen Ritt zu machen. Der Fürst gab seinem Tscherkessen die Sporen und nahm einen Vorsprung von ein paar hundert Schritten, drehte sich dann mit solcher Gewandtheit im Sattel, daß man glaubte, er sitze rückwärts zu Pferde, nahm sein Gewehr, lud es, natürlich ohne Blei, und schoß in unglaublicher Geschwindigkeit dreimal gegen uns. Jetzt jagte ihm der Beduine nach, führte mit dem Dscherid einen Hieb gegen ihn; doch bog sich der Fürst so auf die Seite, daß der Sattel wie leer aussah. Der Schlag ging fehl; doch der Beduine, der wohl wußte, was jetzt kam, ließ seine Stute einen gewaltigen Seitensatz machen, und der Fürst konnte ihn nicht erreichen. Jetzt nahm dieser einen Stock und jagte dem Alten nach, das Spiel von oben wiederholend. Der Beduine bog sich auch auf die Seite, doch der Fürst ließ seine Steigbügel los, sprang mit den Knieen auf seinen Sattel und versetzte dem Alten so von oben herunter einen tüchtigen Hieb, worüber die Andern in ein bewunderndes Maschallah ausbrachen und die Geschicklichkeit des Fürsten bis in den Himmel erhoben. Selbst der Baron gestand, nie eine solche Gewandtheit gesehen zu haben und man muß dabei bedenken, daß der Fürst Aslan ein gewöhnliches Pferd ritt, mit dem er schon Monate lang die größten Touren gemacht, die Pferde der Beduinen dagegen ganz frisch waren. Auch Suleyman versuchte sein Heil mit dem Fürsten, konnte aber ebenfalls keinen Vortheil gegen ihn erringen. Nur hatte dieser einen Unfall, der ihn beinahe auf den Boden gebracht hätte, doch half er sich mit einer Geschicklichkeit, die ans Wunderbare grenzt. Als er sich nämlich wieder auf die Seite bog, um dem Hieb unseres Schechs auszuweichen, rutschte ihm der losgewordene Sattel herum, so daß die Bauchgurte nach oben kam, und wir glaubten schon alle, jetzt müsse er herabstürzen; aber nein, er schwang sich wieder hinauf, saß mit Blitzesschnelle oben auf dem Gurt und erst nachdem er den ihm zugedachten Hieb tüchtig wieder erstattet, sprang er vom Pferde, um den Sattel wieder zu befestigen.
So zogen wir, beständig dem Spiel der Beduinen zuschauend, durch das Thal Richa. Die Sonne war schon längst hinter den Gebirgen von Judäa hinabgesunken und der herandämmernde Abend warf einen dunklen Schleier über das öde Thal, das wir soeben verlassen, als wir den Fuß jener Gebirgskette, welche Jerusalem vom todten Meere trennt, erreichten und an ihren sehr steilen Abhängen hinaufzuklettern begannen. Wir konnten in den Schluchten nur einer hinter dem andern gehen und mußten wohl auf unsere Pferde achten, die in den schmalen Felsenrinnen kaum ihre Füße setzen konnten. So gewährte einmal unser Maler einen komischen Anblick. Er ritt ein sehr kleines Pferd, das auf einem dieser Wege mit der Hufe zwischen das Gestein trat, sich festklemmte und stürzte. Der Maler, der augenblicklich ohne Bügel ritt, brauchte nur seine Beine auszubreiten, um sich so auf den Rändern der Felsenrinne festzustellen. Das Thier wurde mit Mühe aufgerichtet und wieder festgemacht. Man kann sich nicht leicht eine ödere, traurigere Gegend denken, als den Weg, den wir nun machten. Hier sind wild zerklüftete Felsen übereinander gethürmt und nur spärliches halbvertrocknetes Grün unterbricht das verbrannte Gelb der Steinmassen, ohne sie zu schmücken. Unsere Beduinen, die seit dem Vorfall am Jordan beständig neue Räuber zu sehen und zu hören glaubten, ritten scharf spähend umher und riefen einander beständig zu. Einmal geriethen sie in eine gewaltige Bewegung und schrieen von allen Seiten wieder: »Arab'! Arab'!« Einige unserer Fußgänger waren voraus und hielten oben auf der Höhe, nach dem Hohlweg vor uns zeigend, wohin wir unsere Pferde alsbald wandten und so schnell es in dem Terrain möglich war, ritten. Was war die Ursache des Lärmens gewesen? Wir fanden an dem Weg drei Pilger sitzen; es waren Russen, die gehört hatten, daß wir unter Begleitung an den Jordan gezogen seien, und uns nachfolgten, um unsern Schutz zu genießen; doch kamen sie zu spät und mußten unverrichteter Sache wieder zurückgehen.
Die Nacht brach jetzt mächtig herein und es wurde bald so finster, daß wir ohne Gefahr nicht weiter vordringen konnten. Unser Schech Suleyman sah sich nach einem Platz um, wo wir einige Stunden bis zum Aufgange des Monds verweilen könnten. Der Ort, wo wir uns gerade befanden, war seiner alten und neueren Geschichte wegen nicht sehr einladend, um in seiner Nähe zu bleiben. Es war das sogenannte Mordthal, wohin schon die ältere Geschichte die Erzählung vom barmherzigen Samariter verlegt, und wo bis auf die neuere Zeit häufige Beraubungen und Mordthaten an Pilgern verübt wurden. Doch mußten wir diese Bedenklichkeit bei Seite setzen, und da es nicht rathsam war, in der Dunkelheit weiter zu ziehen, unserem Suleyman folgen, der auf einer Höhe in der Nähe des Thales uns zu alten Ruinen fühlte. Es waren wahrscheinlich die Ueberbleibsel eines christlichen Klosters, doch konnten wir aus den Trümmern und Mauerstücken, die sich hier befanden, nichts erkennen.
Ein ähnliches Nachtlager, wie das heutige, werde ich wohl in meinem Leben nicht wieder haben. Unter den Trümmern eines wahrscheinlich von den Beduinen zerstörten christlichen Klosters, vor uns Jericho, der Jordan und das todte Meer, auf der einen Seite die Mordschlucht, auf der andern eine kahle baumlose Höhe, der Berg der Versuchung genannt. So heiß es den Tag über gewesen war, so empfindlich kalt wurde es, wie immer in diesen Ländern, während der Nacht. Wir hatten unsere Mäntel in Jerusalem zurückgelassen und unsere dünnen Kleider schützten uns gar nicht vor dem Nachtfrost. Auch vermehrte unser leerer Magen dies Uebel, und Giovanni fand in unsern Säcken kaum so viel Kaffee, um jedem von uns eine Kleinigkeit reichen zu können. Ein Feuer anzumachen, widerrieth Suleyman, indem er sagte, es würde uns zu nichts nützen, da der Mond in kurzer Zeit hervorkomme und wir dann weiter reisen können. Ich kroch mich wie ein Igel zusammen und drückte mich fest an ein Mauerstück, um wenigstens vor dem kalten Winde, der über die Höhe zog, geschützt zu sein, und versuchte zu schlafen, was mir auch, Dank der Ermüdung, bald gelang. Doch hatte ich noch nicht lange geschlummert, als mich Giovanni weckte und mir sagte, ich solle mit ihm kommen, er wolle mir etwas zeigen. Ich folgte ihm, und wir gingen durch den größten Haufen der Ruinen auf die andere Seite derselben, von woher ich das Geschrei und Lachen der Beduinen hörte. Einer von ihnen hatte nämlich einen Keller entdeckt, dessen Gewölbe oben eingestürzt war, und in welchem sich eine Menge wilder Tauben aufhalten sollten. Sie hatten nun berathschlagt, wie sie dieser Thiere habhaft werden konnten, und ihre Anstalten hiezu so unsinnig wie möglich getroffen. Die ganze Gesellschaft saß in großem Kreis um den Keller herum und von Zeit zu Zeit warfen sie große Steine hinab, wodurch dann wirklich die Tauben aufgeschreckt wurden und den Versuch machten, durch die Oeffnung oben zu entkommen. Sobald aber ein Schwarm aufstieg, schlugen die Beduinen mit ihren Mänteln zu und glaubten auf diese Art die Thiere zu fangen. Am Ende sahen sie jedoch selbst ein, daß sie so schlechte Geschäfte machen würden und griffen die Sache anders an. Es wurde einer durch's Loos bestimmt, der sich in den Keller hinablassen sollte, und es traf einen ganz jungen Menschen, der auch gleich dazu bereitwillig war. Die andern knüpften ihre Gürtel zusammen, banden ihn unten daran fest und er wurde so hinabgelassen. Das Gewölbe mußte ziemlich tief sein, denn die langen Gürtel von sechs dieser Leute reichten kaum aus. Sobald der junge Bursche unten angekommen war, schrie er herauf: er könne ja nichts sehen, worauf die oben unter vielem Geschrei den Entschluß faßten, ihm einen Feuerbrand hinabzuwerfen. Einige suchten Gesträuche zusammen, Andere machten Feuer und bald flog ein großer Haufen des brennenden Zeuges in den Keller hinab, was einen unbeschreiblich schönen Anblick gewährte. Es war gerade, als sei die Erdoberfläche von einem ungeheuren Feuer geborsten, das in ihrem Schooß brenne, um welches die halbnackten kräftigen Gestalten der Beduinen saßen, und mit den glänzenden Augen neugierig hinabschauten. Jetzt suchte der unten mit seinen Feuerbränden die Tauben emporzujagen und es kam auch eine ganze Wolke dieser Thiere bis an die Oeffnung, tauchten aber mehrere Male wieder hinab, wenn die Beduinen mit ihren Mänteln dreinschlagen wollten. Endlich aber wußten die geängstigten Thiere keinen Ausweg, flogen wieder empor und zwischen den Beduinen durch, die ihnen lachend und schreiend nachsahen. Jetzt war der Spaß zu Ende. Nachdem sie den jungen Burschen unten noch lang geneckt, wurde er wieder heraufgezogen. Bald stieg auch im Osten hinter den Gebirgen, die das todte Meer begrenzen, der Vollmond hell und klar empor und beleuchtete fast taghell den Weg, den wir vor uns hatten. Sogleich wurde aufgebrochen und wir zogen weiter.
Es war gegen ein Uhr in der Nacht und wir mochten noch fünf Stunden bis Jerusalem haben. Wir ritten so schnell vorwärts, als es der Weg erlaubte, mußten aber wegen Ermüdung der Pferde und Menschen nach drei Stunden beständigem Aufwärtssteigens noch einen kleinen Halt machen, zu welchem Suleyman eine kleine Schlucht erkor, die vom Winde hinlänglich geschützt war und wo sich ziemlich viel dürres Gesträuch befand, um ein Feuer anmachen zu können. Unsern Beduinen wurde jetzt ein kleines Trinkgeld versprochen und in kurzer Zeit hatten sie ganze Haufen kleiner abgerissener Sträucher zusammengescharrt. Einer von uns machte Feuer und bald schlug unter großem Geschrei der Beduinen eine haushohe Flamme empor. Alles lagerte sich an das Feuer, um sich zu erwärmen, und nur von Zeit zu Zeit gingen einige der Leute fort, um für die Flamme neue Nahrung zu suchen. Doch auch die andern Araber hielten es bei ihrem unruhigen Temperamente trotz der großen Ermüdung nicht lange aus, so ruhig da zu sitzen. Bald neckten sie einander, balgten sich auf der Erde herum, bald jauchzten sie laut auf und als ihnen Suleyman sagte, wenn sie einen Tanz aufführten, würden wir ihnen gewiß ein Trinkgeld dafür geben, waren Alle gleich dazu bereit. Wir bestätigten gern das Versprechen Suleyman's und bereuten es nicht; denn obgleich an dem versprochenen Tanz nichts Graziöses war, so hatte doch die Gruppe der Beduinen bei dem flackernden Feuer in der wilden Schlucht etwas außerordentlich Malerisches und Phantastisches. Etliche dreißig dieser Leute, denn auch mehrere unserer berittenen Beduinen nahmen Antheil an dem Tanze, stellten sich in einem großen Halbzirkel um das Feuer, hinter welchem wir lagen und begannen einen eigenthümlichen Gesang. Von den Worten, die sich stets gleich blieben, verstanden wir nichts, auch war die Melodie ganz eintönig und nur der Takt brachte einiges Leben in den Gesang. Mir scheint er sich ungefähr durch diese Bezeichnung ausdrücken zu lassen: al – lah – allahla – al – lah – – allahla. Zuerst war die ganze Reihe der Männer ohne Bewegung, dann begann sie mit dem Kopf zu nicken und sich zu verbeugen, eine Bewegung, die allmälig der Hals, der Oberleib und der ganze Körper annahm, wobei der Gesang immer wilder und toller wurde. Sie bückten sich immer tiefer und tiefer, bis sie zuletzt fast mit dem Gesichte den Boden berührten, dann stiegen sie ebenso allmälig wieder aufwärts, wobei der Gesang in derselben Weise wieder schwächer wurde. Wieder gerade aufgerichtet, ließen sie sich plötzlich los, klatschten in die Hände, sprangen einige Mal wie toll im Kreise umher und das Ballet war zu Ende.
Unser Feuer hatte indessen durch den Tanz Schaden gelitten und war allmälig verglimmt. Die Beduinen sammelten sich ihr Trinkgeld ein und legten sich noch einige Minuten auf den Boden, um sich von dem ermüdenden Tanze zu erholen. Suleyman streckte die Hand nach Morgen aus und rief zum Aufbruch, denn dort färbte sich der Himmel heller und verkündigte, daß der neue Tag heraufsteige. Wir bestiegen die Pferde wieder und erreichten in kurzer Zeit Bethanien. Noch lag die dunkle Nacht über dem kleinen Ort, aber er erschien uns um so schöner, indem die Stille, welche die alten Häuser umgab, besser zu diesem Grabe einer gewaltigen Vorzeit paßte, als das geräuschvolle Treiben des Tages. Hier wohnte Lazarus mit seinen Schwestern Maria und Martha. Unter einem verfallenen Hause, nicht weit von der kleinen Moschee, hielten wir, und Suleyman holte ein paar Männer aus ihren Hütten, die mit Fackeln herbeikamen und uns in einen schachtähnlichen Keller begleiteten, der sich unter jenem Hause befindet – das Grab Lazarus.
Von Bethanien hatten wir nur noch eine kurze Strecke bis Jerusalem, die wir bald zurückgelegt hatten und am Fuße des Oelbergs anlangten in dem Augenblick, wo die heilige Zion von den ersten Strahlen der Morgensonne geküßt wurde. Es war ein schöner großer Anblick, ich möchte ihn für keine andere Erinnerung meines Lebens hingeben. Rechts hatten wir den Oelberg, links das Kidronthal, vor uns das Thal Josaphat mit dem Garten von Gethsemane und der Grabeskirche Maria und Josephs. Wie prächtig erschien die trauernde Wittwe noch immer auf ihrem Felsenthrone. Zu ihren Füßen wallte in den Schluchten der zerrissene Schleier der Nacht, den die Sonne des neuen Tages überwältigt und hinabgedrückt hat, und auf der Kuppel der Grabeskirche glänzte dasselbe Licht, das hier die gewaltigste Geschichte der Erde erblühen und wachsen sah, und das auch uns freundlich begrüßte.
Jener Morgen bleibt mir neben dem unvergeßlichen schönen Anblick der Stadt noch durch eine andere Erinnerung im Gedächtnis. Wir mußten hier warten, bis drinnen die Thore aufgeschlossen wurden, stiegen deßhalb von den Pferden und setzten uns auf einen Trümmerhaufen. Fürst Aslan, unser lieber Freund und Begleiter, dem, sowie uns, Jerusalem das Hauptziel der Reise war, hatte uns schon lange versprochen, eine Episode aus seinem Leben, sowie die Ursache seiner Pilgerfahrt nach Jerusalem zu erzählen und hielt jetzt sein Versprechen.
»Ich war,« erzählte er uns, »noch vor wenigen Jahren der glücklichste Mensch auf der Welt. Jung und mit ziemlichem Vermögen hatte ich, wie es bei uns üblich ist, den Militärstand erwählt und war Offizier bei einem Garderegiment in der Hauptstadt. Als ich nach kurzem Aufenthalte dort ein Mädchen kennen lernte, das ich aufs Glühendste liebte und von der ich ebenso wieder geliebt zu sein glaubte, fehlte meinem Glücke nichts, als die Verbindung mit ihr fürs ganze Leben. Viele Schwierigkeiten, die sich mir in den Weg warfen, wurden glücklich beseitigt und obgleich ich eines Tages im Geheimen benachrichtigt wurde, daß meine Geliebte mit einem Manne, der an Geburt und Rang über mir stand, ein inniges Verhältniß habe, warf ich alle Schwierigkeiten, die sich mir in den Weg stellten, bei Seite und erhielt von meiner Geliebten, unter Zusicherung der herzlichsten Liebe, die Erlaubniß, sie meine Braut nennen zu dürfen. Ihre Eltern waren längst todt und da sie mündig war, hatte sie nach dem Willen ihres Bruders, der mir eben die größten Schwierigkeiten in den Weg legte, nichts zu fragen.
»In dieser Zeit befanden wir uns eines Abends auf einem Balle in einem der ersten Häuser der Hauptstadt und ich sah meiner Braut zu, wie sie mit jener Person, vor der man mich früher gewarnt hatte, tanzte. Nur an sie denkend, beachtete ich gar nicht die Umstehenden, bis ich hinter mir einige Worte sprechen hörte, die mein Blut zum Kochen brachten. Ich drehe mich rasch um und ein junger Offizier wiederholte die Worte: »»Es ist doch Schade, daß die Fürstin ** in einem solchen Verhältniß steht.«« Außer mir vor Zorn, trete ich nahe zu dem Offizier hin und sage ihm so leise als mir die Wuth erlaubte: »»Ein Schurke, der das gesagt hat!.«« Was die Folge hievon war, können Sie sich denken. Es wurde auf den nächsten Morgen ein Duell auf Pistolen ausgemacht und da sich das Gerücht hievon bald im Saal verbreitete, waren wir gezwungen, ihn Beide zu verlassen. Da ich mit meiner Braut noch nicht öffentlich erklärt war, mußte ich sie unter der Obhut ihres Bruders lassen und sah sie den Abend nicht wieder. Kaum bricht nach einer unruhig durchwachten Nacht, indem mich die Eifersucht, die ich mit allen Vernunftgründen zu unterdrücken suchte, gräßlich plagte, der Morgen an, als ein Adjutant meines Obersten in mein Zimmer tritt, der mir unter Androhung der härtesten Strafe den Befehl ertheilen ließ, sogleich nach **, der zweiten Stadt des Landes, zu reisen und mich bei dem dortigen Kommandanten bis auf Weiteres als Arrestant zu melden – – »»das Alles,«« wie es in dem Befehle hieß, »»um das eingegangene, durch die Gesetze streng verbotene Duell zu hindern.«« Der Adjutant bleibt bei mir, bis ich meine nöthigsten Sachen zusammengepackt und in den Wagen steige, der vor der Thüre hält. Sie können sich denken, daß es meine Absicht war, gleich auf der ersten Station nach der Stadt zurückzukehren. Doch das war unmöglich, mir wurden nur Pferde zu meiner Weiterreise nach meinem Bestimmungsort gegeben; alle andern wurden mir mit dem Bemerken verweigert, daß man Befehl habe, gleich nach meiner Weiterreise zu melden, daß ich durchpassirt sei. Ich schrieb in der Eile einige Zeilen an meine Braut und übergab sie der rückkehrenden Post mit dem Versprechen einer glänzenden Belohnung, wenn sie richtig abgeliefert würden. Der Postbeamte nahm den Brief, zuckte aber die Achseln; – ich verstand ihn damals noch nicht. Auf jeder Station erging es mir so, und ich erreichte endlich die mir angewiesene Stadt, wo ich mich meldete und mir der Befehl ertheilt wurde, die Stadt ohne besonderen Urlaub nicht zu verlassen. Sogleich schrieb ich mehrere Briefe an meine Braut, welche ich auf den verschiedensten Wegen nach * sandte, erhielt aber keine Antwort, weder von ihr, noch von einem meiner Freunde. So verging denn ein Vierteljahr, und wie, können Sie sich leicht denken. Da konnte ich die Ungewißheit, in der ich schwebte, länger nicht ertragen und versuchte insgeheim alle Mittel und Wege, um nach der Hauptstadt zurückkehren zu können. Es gelang mir lange nicht, da ich zu scharf bewacht wurde. Endlich gelingt es mir, mit einem Franzosen, der mich als Bedienter mitnahm, die Stadt verlassen zu können. Ich komme nach *. Es ist Abend, und da ich alle Welt im Theater vermuthe, wo auch ich am besten unerkannt bleiben und meine Beobachtungen anstellen kann, eile ich dorthin, suche ängstlich und hoffend umher und sehe endlich in einer Loge meine Braut neben einem Manne sitzen, der noch vor Kurzem mit mir in gleichem Dienstrange war, jetzt aber die Auszeichnung des Obersten trug. Ich eilte dorthin, treffe vor der Thür einen alten Diener, der mich erkennt und der mir leise zuruft: »»Um Gottes Willen, was machen Sie hier?«« Ich fragte hastig nach seiner Herrin. »»Sie ist verheirathet und die Frau des neben ihr sitzenden Offiziers.«« Ich will in die Loge, der alte Diener hält mich fast mit Gewalt zurück und beschwört mich, ruhig zu bleiben. Ich verlange, er soll mir eine Zusammenkunft mit seiner Herrin verschaffen. Lange versicherte er mich, so gerne er wolle, wisse er keinen Weg hiezu, sagte mir aber endlich, ich solle mich nach beendigter Vorstellung vor dem Theater aufhalten, um zu sehen, ob die Fürstin Vielleicht allein nach Haus fahre. So thu' ich. Nach einer ewig langen Stunde ist die Oper zu Ende, die Carossen rasseln daher, ich hörte den Namen jenes Offiziers rufen, der neben meiner Braut saß, eine Equipage fährt vor, Graf**, ihr jetziger Gemahl, begleitet die Fürstin an den Wagen, welche allein einsteigt, und der Wagen fährt davon. Ich eilte hinter her, die Nacht ist finster, es gelingt mir, den Schlag zu öffnen und ich springe in den Wagen. Ein Schrei des Entsetzens entfährt der Fürstin und ich habe eben noch so viel Zeit, ihre Hand zu ergreifen, mit der sie dem Kutscher schellen will. Ich nenne meinen Namen. Verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen die Scene ausmale, die nun folgte. Ich erfahre viel Entsetzliches, ich erfahre, daß der Bruder der Fürstin, der mich nicht leiden konnte, alles Mögliche gethan, um meine Verbindung zu hintertreiben. Er war es, der die eigene Schwester jener Person, die ihr lange nachgestellt, fast mit Gewalt in die Arme lieferte; er war es, der meine Verbannung bewirkt und alle Briefe an mich unterschlagen hatte; ja er hatte noch mehr gethan, er hatte der Schwester einen Brief von mir übergeben, in welchem ich ihr schrieb, mir sei ein gewisses Verhältniß bekannt geworden und sie könne leicht denken, daß meine Ehre es mir nicht mehr erlaubte, mein gegebenes Wort zu halten und ich entbände sie auch hiermit des ihrigen. Darauf war ihr der Graf ** so kräftig und nachdrücklich empfohlen worden, daß sie, um nicht gänzlich compromittirt zu werden, einwilligen mußte. Wie viel Schuld an ihr selbst lag, habe ich mir bis jetzt noch nicht klar auseinanderstellen mögen, am allerwenigsten in jener Nacht; da war es mir genug, daß ich doch wenigstens Jemand wußte, auf den ich mit Recht meine ganze Rache ausschütten konnte. Ich gab der Fürstin meinen Ring zurück, sie beschwor mich unter Thränen, ihr den meinigen zu lassen. Was lag daran? Sie war gewiß eben so unglücklich, wie ich. Ich eilte davon, um ihren Bruder aufzusuchen. Ich erfahre seine Wohnung, eile hinein und trete ohne Weiteres in sein Zimmer, wo er sich auf's Angenehmste mit einigen andern Offizieren unterhält. Auch einige meiner früheren Freunde sind gegenwärtig und sind überrascht, mich hereintreten zu sehen. Man ahnt, was ich will. Ich fasse mich auch kurz und erzähle den Hergang der ganzen Geschichte. Natürlich ist eine Herausforderung das Ende, und der Fürst ** nimmt sie an. Wir bleiben in seiner Wohnung, bis der Tag graut, fahren dann hinaus und schießen uns vor der Stadt. Er streift mich an der Schulter und ich schieße ihn durch die Brust, daß er in wenig Augenblicken den Geist aufgibt. Meine Freunde beschützen mich so viel wie möglich, einer gibt mir seinen Wagen, der andere sein vorräthiges Geld, und ich rette mich in ein Kloster, wo ich meine Schuld beichte, und mir zur Büßung derselben eine Pilgerfahrt nach Jerusalem auferlegt wird. Ich lasse meinen Bart wachsen, mache mich so unkenntlich wie möglich und entkomme nach ** zu meinen Brüdern, die dort auf unsern Gütern leben. Einer derselben verschaffte sich einen Paß, was, wie Sie wissen, bei uns mit vielen Schwierigkeiten verknüpft ist, und der für ihn und seinen Bedienten ausgestellt ist. So kommen wir über die Grenze, und als wir in Sicherheit sind, will mein Bruder, der aus seinen Bergen nie herausgekommen und wenig gereist ist, die Rolle mit mir wechseln und die Pilgerfahrt nach Jerusalem mit mir zusammen machen. – Dort, Skandar, ist mein Bruder.«
So erzählte uns Fürst Aslan im Angesicht von Jerusalem und besonders der Schluß frappirte uns Alle sehr. Obgleich es uns aufgefallen war, daß der Fürst mit seinem Kammerdiener stets sehr vertraut that, so hatte doch keiner von uns eine Ahnung gehabt, daß es Brüder sein könnten; ja, eine gewisse Aehnlichkeit, die ich mehrmals zwischen Beiden entdeckte, erschien mir nicht auffallend, da für unser Auge die Gesichtsform aller Südländer sich ziemlich gleicht.
Die Thore von Jerusalem öffneten sich und wir kehrten ins griechische Kloster zurück, um es, sowie die heilige Stadt den andern Morgen für immer zu verlassen.