F. W. Hackländer
Das Geheimniß der Stadt
F. W. Hackländer

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Siebzehntes Kapitel.

Der Hauptkassirer der Bank verließ mit einer tiefen Verbeugung das Zimmer, nachdem der Polizeirath eingetreten, und Herr von Rivola wollte es eben so machen; doch hielt ihn Herr Schwemmer mit der einen Hand, während er dem Eintretenden die andere darreichte, wobei er sagte:

»Sie finden uns hier gerade in einer wichtigen Conferenz, werther Herr Polizeirath, zu welcher Sie vielleicht im Stande sind, ein ergiebiges Scherflein beizutragen. Ist's vielleicht so? Sie würden mich überglücklich machen. Vor allen Dingen danke ich Ihnen, daß Sie Seine Excellenz den Herrn Finanzminister und mich in der guten Idee bestärkten, den Herrn Baron von Rivola in dieser höchst wichtigen Angelegenheit um seinen Rath zu bitten, denn er hat uns jetzt schon erstaunenswerthe Aufschlüsse gegeben.«

»Sie übertreiben, verehrter Freund; ich habe Ihnen nur meine Ansichten mitgetheilt, in denen Sie so gütig waren, einige Wahrscheinlichkeit zu finden – doch nun habe ich die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen!«

»Nicht doch, nicht doch, Herr Baron, ich bitte Sie dringend, noch ein paar Augenblicke zu bleiben, um zu hören, was unser guter Polizeirath mitzutheilen hat, die gewisse Angelegenheit betreffend, denn ich bin überzeugt, daß unser verehrter Freund nur deßhalb zu uns kam.«

»Darauf muß ich mit Ja und Nein antworten,« versetzte Herr Merkel, »und ich glaube fast, das Nein wird überwiegend sein.«

»Sehen Sie,« sagte Herr von Rivola, »also gebietet mir schon die Discretion, mich zu entfernen.«

»Und doch möchte ich Sie selbst bitten, noch ein paar Augenblicke zu bleiben,« sagte der Polizeirath. »Wir sind ja ganz unter uns, und was ich Ihnen zu sagen habe, könnte möglicherweise doch jene Angelegenheit berühren – ich sage: möglicherweise, obgleich ich weit entfernt davon bin, eine solche Möglichkeit vorauszusetzen. Jedenfalls aber wäre es mir wichtig, die Ansicht des Herrn Barons darüber zu hören.«

»Setzen wir uns, meine Herren, setzen wir uns!«

Nachdem alle Drei Platz genommen, sprach der Polizeirath in seiner heiteren, wohlwollenden Art und Weise: »Es war mir schon längst bekannt, daß in einem unserer hiesigen ersten Gasthofe von jungen Leuten der besseren Stände sehr hoch gespielt würde, und ich hatte Gelegenheit, mich davon zu überzeugen; es wurden da Summen gesetzt, die weit über die Vermögensverhältnisse der meisten Spieler gingen.«

»Da könnte man froh sein, keinen Sohn zu haben,« warf Herr von Rivola lächelnd ein.

»Es ging da hoch her bei Makao und Champagner, ja, der letztere spielte eine so bedeutende Rolle, daß einer dieser jungen Leute, nachdem er schließlich alles verlor, was er noch bei sich hatte, den Rest seiner Baarschaft, eine Fünfhundertgulden-Note, am Lichte verbrennen wollte.«

»Dieser Leichtsinn!« rief der Bankdirektor. »Und wer war das, wenn man fragen darf?«

»Das vielleicht später,« erwiederte der Polizeirath, verbindlich lächelnd. »Doch als ich hörte, daß von den jungen Leuten mit Banknoten hohen Werthes wie mit werthlosen Papieren umgegangen wurde, kam mir plötzlich die Idee: wie, wenn einer jener jungen Leute wüßte, daß er es hier mit werthlosem Papier zu thun habe?«

»Bei Gott, das ist wahr – ein Lichtstrahl!«

»Aber vor der Hand nur ein sehr geringer,« fuhr Herr Merkel fort. »Mir gelang es, die eben erwähnte, angebrannte Fünfhundertgulden-Note in meinen Besitz zu bringen; hier ist sie, meine Herren, und es handelt sich vor allen Dingen darum, festzustellen, ob wir es mit einem echten Papier zu thun haben oder mit einem Falsum, und hierin ist es mir sehr wichtig, die Ansicht des Herrn Barons zu vernehmen.«

»Mir schwindelt,« rief der Bankdirektor – »was, nach all dem Jammer, den uns die falschen Tausendgulden-Noten machen, auch noch die Möglichkeit, daß es gefälschte Fünfhunderter gebe? – nein, das wäre zu viel!«

»Warum sollte diese Möglichkeit nicht vorhanden sein?« fragte ruhig Herr von Rivola, worauf er sich erhob, seine Loupe nahm und, an's Fenster tretend, das Papier einer genauen Untersuchung unterwarf. Endlich sagte er: »Beruhigen Sie sich, Herr Bankdirektor, meiner Ansicht nach ist diese Note echt und unverdächtig.«

»Gott sei Dank!«

»So möchte ich ebenfalls ausrufen,« sprach der Polizeirath, »denn wenn wir auch hiedurch einen Faden verlieren, so muß ich anderentheils sagen, daß ich wieder sehr zufrieden bin, meinen Verdacht nicht bestätigt zu sehen und dem betreffenden jungen Menschen nur das Prädicat ›leichtsinnig‹ ertheilen zu müssen, denn es betrifft den Sohn eines unserer gemeinschaftlichen Freunde.«

Der Bankdirektor blickte fragend auf und Herr von Rivola nahm discreter Weise den Hut, um sich zu entfernen; doch bat ihn Herr Merkel wiederholt, noch einen Augenblick zu bleiben, indem er hinzusetzte, daß ja alles, was hier gesprochen würde, selbstverständlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit stehe, daß es ihm aber wünschenswerth sei, wenn Herr von Rivola, als in das Amtsgeheimniß der Bank eingeweiht, auch den Namen jenes jungen Mannes erführe. – »Es ist leider der Sohn unseres verehrten Freundes, des Stadtschultheißen.«

»Ei, ei, ei, ei,« rief Herr Schwemmer, indem er sich in größtem Unmuthe hin und her bewegte, »dieser junge, leichtsinnige Strick – leichtsinnig, leichtsinnig, aber kein Bösewicht, dafür möchte ich haftbar werden – was meinen Sie, Herr von Rivola?«

»Wenn Sie das Wort ›Bösewicht‹ auf ihn als Banknotenfälscher anwenden,« erwiederte der alte Baron lächelnd, »so bin ich ganz Ihrer Ansicht, denn dieser junge Herr, den ich auch zu kennen das Glück habe, hätte weder Geduld noch Fleiß, um sich mit einem so wichtigen Geschäfte abzugeben.«

»Aber als Mithelfer, als Verbreiter zu diesem,« meinte der Polizeirath nachdenkend.

Der Bankdirektor schüttelte mit dem Kopfe und Herr von Rivola sagte: »Gerade weil er als unbesonnener junger Mensch bekannt ist, wird eine große Keckheit dazu gehören, sich ihm anzuvertrauen – nein, nein, Leute, die so vortreffliche Banknoten machen, sind gewöhnlich klüger.«

»Darin muß ich Ihnen allerdings beistimmen,« sagte der Polizeirath, und der Bankdirektor setzte hinzu:

»Ganz meine Ansicht.«

»Also, meine verehrten Freunde,« sagte Herr Schwemmer nach einer längeren Pause, während welcher jeder der drei Herren mit ganz verschiedenen Gedanken beschäftigt war, »so viel steht fest, daß wir vor einem Staatsbetruge in kolossalem Maßstabe stehen, und zwar ziemlich rathlos, da wir keine Ahnung haben, von wo aus die Streiche gegen uns geführt werden. Ehe Sie kamen,« wandte er sich direkt an den Polizeirath, »sprach Herr von Rivola seine Ansicht aus, »diese Sache mit der größten Heimlichkeit zu behandeln, was gewiß auch Ihre Ansicht ist.«

»Jedenfalls – ich möchte noch ganz besonders darum gebeten haben; machen wir Lärm, so haben wir keinen weiteren Nutzen davon, als die Verbrecher aufmerksam zu machen. Also um Gotteswillen die strengste Verschwiegenheit, und dabei hoffe ich auch, Herr Bankdirektor, Sie sind meiner Ansicht, daß es besser ist, den jungen Welkermann zu beobachten, statt mit ihm über den gestrigen Vorfall zu reden. Meinen Sie nicht auch, Herr von Rivola?«

»Ganz gewiß.«

»Leider gelang es mir bis jetzt nicht, in den Besitz einer Tausendgulden-Note zu kommen, von denen ebenfalls in den Händen des jungen Welkermann gesehen wurden; aber daß er, obgleich von sehr reichen Eltern, bei dem Spiele so toll in's Zeug ging, bleibt meinem Polizeiverstande immer etwas verdächtig. Deßhalb ist es nothwendig, ihn, ohne daß er es weiß, im Auge zu behalten, und das soll meine eifrigste Sorge sein.«

»Und auch die meinige,« sagte Herr Schwemmer; »doch würde es allem Furchtbaren die Krone aufsetzen, wenn ein Bankbeamter selbst – doch nein, nein, das ist nicht möglich – ganz unmöglich!«

Herr von Rivola reichte dem tief erschütterten Bankdirektor lächelnd seine Hand, indem er sagte: »Zählen Sie ganz auf mich und lassen Sie mich ohne Bedenken wissen, wann, wie und wo ich Ihnen nützlich sein kann.«

Er machte eine Verbeugung gegen die beiden Herren und wollte sich entfernen; doch sagte ihm der Polizeirath:

»Bester Herr Baron, ich sah da unten Ihren Wagen halten; würden Sie nicht so gütig sein, mich eine kurze Strecke mitzunehmen, das heißt, wenn mein Ziel, das Rathhaus, nicht zu sehr aus Ihrem Wege liegt?«

»Im Gegentheil, ich fahre denselben Weg, da ich nach meinem kleinen Hause neben dem alten Thurme will.«

»Nun denn, auf Wiedersehen, Herr Bankdirektor!«

Die beiden Herren verließen das Zimmer und stiegen unten in den Wagen, nachdem Herr von Rivola dem Kutscher befohlen, nach dem Rathhause zu fahren. Unterwegs sagte der Polizeirath:

»Ich muß zum Stadtschultheißen in einer städtischen Angelegenheit, die auch Sie gewissermaßen mitbetrifft; man will nämlich in verschiedenen Häusern der Glockenstraße neue Einsenkungen bemerkt haben, die von dem alten Gange herrühren könnten, dessen Gewölbe auf der Strecke von Ihrem Thurme nach der Hauptwache sehr schadhaft ist – apropos,« fuhr er, sich selbst unterbrechend, fort, »hat man Ihnen neuerdings keine Anträge über den Ankauf Ihres Hauses gemacht?«

»Nein; doch, unter uns gesagt, warte ich sehnlich darauf, um mich des für mich jetzt gänzlich nutzlosen Anwesens um jeden Preis zu entledigen.«

»Um jeden Preis?« sprach Herr Merkel mit einem schalkhaften Lächeln.

»Um jeden Preis; Sie wissen, es wohnt dort ein alter Diener von mir, dessen Frau, die lange Jahre krank war, vor Kurzem starb, worauf es dem alten Manne unheimlich in dem verlassenen Hause geworden ist; er möchte nach Belgien, in seine Heimath, zurückkehren.«

»Wollen Sie mir Vollmacht geben, den Verkauf Ihres Hauses zu vermitteln?«

»Unbeschränkte Vollmacht.«

»Das trifft sich vortrefflich; ich finde beim Stadtschultheißen die städtische Baukommission unter dem Vorsitze meines Schwagers – ich werde über die Sache reden, wobei ich Ihre Uneigennützigkeit in so helles Licht setze, daß Ihnen das Ehrenbürgerrecht der Stadt nicht entgehen kann – also ernstlich, darf ich für Sie unterhandeln?«

»Ernstlich, um jeden Preis,« sagte Herr von Rivola, wobei er, anscheinend mit sehr gleichgültiger Miene, zum Fenster hinausblickte, sich aber jetzt rasch an die andere Seite wandte, als der Polizeirath sagte:

»Sehen Sie dort unseren jungen Herrn, über den wir beim Bankdirektor sprachen?«

»Ferdinand Welkermann?«

»Ja, dort unter dem Thorbogen – Ihre Pferde sind furchtbar flüchtig, Herr Baron, das fliegt alles nur so an uns vorüber; als Polizeimann ist es eigentlich von mir pflichtwidrig, so schnell zu fahren – sahen Sie den jungen Welkermann nicht?«

»Nicht deutlich, aber ich glaube, er war es.«

»Gewiß, ich habe ein scharfes Auge – er stand da im Gespräche mit einem gewissen Herrn Steffler, der uns bekannt ist.«

»Wer ist das?«

»Unter uns gesagt, ein etwas anrüchiges Subjekt, und daß er gerade mit Herrn Welkermann verkehrt, will mir nicht gefallen.«

»Vielleicht einer seiner Spielgenossen?«

»O nein, er gehört einer weit tieferen Gesellschaftsklasse an – dieser Mensch war bis vor ganz Kurzem Gehülfe des Marktmeisters, früher Lithograph, Kupferstecher, alles Mögliche, und ich weiß, daß er sich in letzter Zeit viel in der Nähe des Hauses des Stadtschultheißen sehen ließ – ich muß seinem Namen in meiner Brieftasche einen tüchtigen Strich anfügen.«

»Es wäre wohl interessant,« sagte Herr von Rivola heiter, »Ihre Brieftasche in dieser Richtung durchsehen zu können; da mag eine eigenthümliche Gesellschaft beisammen sein und Mancher einen oder mehrere Striche haben, der sich dieser Ehre nicht versieht.«

»Allerdings, und Striche verschiedener Bedeutung, die ich nur allein kenne – es ist das mein Hauptbuch, und wenn ich es aufschlage, sehe ich sogleich, was für die Betreffenden in's Soll eingetragen ist – aber da sind wir schon; ich danke Ihnen, Herr Baron, daß Sie mich mitgenommen haben, und werde den Verkauf Ihres Hauses mit einer Schnelligkeit besorgen, welche Sie in Erstaunen setzen soll – bleiben Sie heute noch länger in der Stadt?«

»Wohl noch für eine Stunde, während welcher ich in meinem kleinen Hause anzutreffen bin.«

»Schön, vielleicht kann ich Sie hier noch ein Resultat wissen lassen.«

Auch Herr von Rivola hatte nach dem Polizeirathe den Wagen verlassen und befahl dem Kutscher, ihn im Hofe von Holland zu erwarten, worauf er den Weg nach seinem kleinen Hause mit raschen, festen Schritten einschlug, den Kopf erhoben, ehrfurchtsvolle Grüße der ihm Begegnenden freundlich erwiedernd.

Der alte Friedrich, welcher am Fenster stand und den Baron kommen sah, öffnete die Thür und sah zu seinem Erstaunen, daß, sobald sich dieselbe wieder hinter dem alten Herrn geschlossen hatte, dieser völlig verwandelt erschien; seine eben noch so energisch angespannten Gesichtszüge sanken schlaff zusammen, eben so die rüstige Haltung seines Körpers, ja, er faßte mit der rechten Hand die Mauer des engen Ganges, als müßte er sich halten, um nur in's Zimmer zu gelangen. Dort sank er denn auch wie kraftlos auf den alten Lehnstuhl nieder, so daß Friedrich, der ihm kopfschüttelnd gefolgt war, mit allen Zeichen des Schreckens fragte, ob und was ihm Fürchterliches zugestoßen sei.

Statt diese Frage sogleich zu beantworten, ließ sich Herr von Rivola ein Glas frischen Wassers geben, um, sobald der Diener das Zimmer verlassen hatte, es zu holen, vor den kleinen Spiegel zu treten, der im Gemache befindlich war, und dort mit einem traurigen Lächeln seine allerdings sehr verstörten Gesichtszüge zu betrachten.

Friedrich, welcher sogleich mit dem verlangten Wasser zurückkam, wagte keine zweite Frage, doch sagte Herr von Rivola, als er getrunken und sich dann wieder in den Sessel niedergelassen hatte:

»Ich weiß in der That nicht, was mich so plötzlich überfallen, eine Körperschwäche, wie ich nie Ähnliches empfunden, auf dem kurzen Wege vom Rathhause hieher – bis dorthin fuhr ich in meinem Wagen. Du siehst mich erstaunt an, deine bestürzten Mienen fragen nach einem Grunde meiner plötzlichen Schwäche, und doch ist eigentlich keiner vorhanden, der mich so dazu veranlassen konnte – ich war einer Ohnmacht nahe, als ich eintrat, jetzt geht es mir besser.«

»Dem Himmel sei gedankt, ich fürchtete schon . ..!«

»Ich weiß schon, was du fürchtetest,« rief der Andere rasch, aber mit leiser Stimme: »ja, ja, es ist entsetzlich, daß man so etwas fürchten muß, und trotzdem ich häufig ähnliche Gespenster am hellen Tage sehe, so kannst du dir kaum denken, wie eine an sich vielleicht unbedeutende Mittheilung mich zu erschüttern vermag.«

»Also doch eine Mittheilung?«

»Ja, ich komme soeben von der Direktion der königlichen Bank; man wollte meinen Rath in einer Angelegenheit.«

»A–a–ah so!«

»Ja, der Teufel hat es so gefügt, daß zwei Tausendguldennoten von der gleichen Nummer bei der Bank eingelaufen sind.«

»Ein fürchterlicher Zufall!«

»Allerdings, aber beide sind von so vortrefflicher Arbeit, daß die weisen Herren dort oben nicht wissen, welche echt und welche falsch ist.«

»Und Sie, Herr Baron?«

»Ich erkannte sie augenblicklich und bezeichnete ihnen die echte als falsch. Das aber würde mich an sich weniger erschreckt haben, doch hat dieser junge Welkermann, dem ich freundlicher Weise mit kleinen Anlehen ausgeholfen, durch unverantwortlich hohes Spiel die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gezogen und dabei die Dummheit gehabt, in einem Anfalle nichtssagender Prahlerei vor einer Gesellschaft junger Leute eine meiner Fünfhundertguldennoten anzuzünden.«

»Man sollte ihn dafür . . .«

»Ja, ja, einen ähnlichen Wunsch, wie du da unausgesprochen läßt, habe ich auch; doch ist mit reden nichts gethan, wir müssen handeln. Hast du Steffler bestellt?«

»Wie Sie befohlen; er war schon einmal da und wird wieder kommen.«

»Er treibt sich hier in den Straßen herum – ich sah ihn vorhin unter einem Thorbogen mit dem jungen Welkermann plaudern – woher kennen sich die Beiden?«

Der alte Friedrich lächelte auf eine eigenthümliche Art, ehe er zur Antwort gab: »Sie haben irgend ein gemeinschaftliches Interesse; es ist das ein kleines Verhältniß des jungen Herrn Welkermann, dessen Erbschaft mit allen Folgen Herr Steffler angetreten hat.«

»Ah, ich verstehe, das Stubenmädchen aus dem Hause des Stadtschultheißen. Und ist sie entschlossen, ihn zu begleiten?«

»Sie ist mehr dazu entschlossen, als er selbst; dieser Kerl macht Seitensprünge, wie ein Fuchs, der nicht weiß, ob er das Huhn oder die Ente nehmen soll.«

»Der sich aber wohl hüten wird, in's Fangeisen seiner Schulden zu springen.«

»Ich habe ihm den letzteren Gesichtspunkt recht klar gemacht, und da ich weiß, daß es in diesem Falle auf tausend Gulden weiter nicht ankommt, so hatte er sich denn auch zur Auswanderung entschlossen.«

»Das alles ist schön und gut, aber wer weiß, ob er nicht anderen Sinnes wird, wenn er die wogende See vor sich sieht.«

»Daran habe ich auch gedacht, und da Sie mir erlaubt haben, nach Belgien zurückzukehren – es ist mir unerträglich hier in der Einsamkeit dieses öden Hauses,« unterbrach er sich, indem er mit der Hand über die Augen fuhr, – »so würde ich mir ein Vergnügen daraus machen, Herrn Steffler und das junge Mädchen bis auf das Schiff zu begleiten – im Falle Sie mich hier nicht besser gebrauchen können.«

»Nein, nein, ich wünsche dich weg von hier,« sagte Herr von Rivola hastig, »so bald als möglich – in Sicherheit,« murmelte er, für den Anderen unverständlich, um gleich darauf mit lauter Stimme fortzufahren: »Dort kannst du mir vielleicht besser nützen, als hier, mein guter alter Friedrich!«

Er reichte dem Diener seine Hand.

»Es ist eigenthümlich,« fuhr dieser zur Erde blickend fort, »wie ich die arme Frau vermisse, seit sie todt ist; sie und dieses Haus waren mein Alles, und jetzt ist mir gerade so, als sei nicht nur ein altes, kränkliches Wesen von der Erde verschwunden, sondern als sei für mich die ganze Welt ausgestorben – ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, gnädiger Herr?«

»Ob ich dich verstehe – ich mag mich in einen ähnlichen Fall nicht hineindenken, ich glaube, es würde mir alsdann an einer Reise nach Ostende nicht genügen!« –

Herr von Rivola sagte das in einem dumpfen Tone, um alsdann nach einem tiefen Seufzer mit gewöhnlicher Stimme fortzufahren: »Doch mußt du nicht so schwarz sehen, Friedrich, du hast Verwandte dort unten, während ich in dem Falle – und dann hoffe ich auch immer noch, daß du meiner in gleicher Anhänglichkeit und Liebe gedenkst.«

»O gewiß, mein lieber, gnädiger Herr, ich schäme mich, daß ich so eben gesagt, die Welt sei ausgestorben für mich! Und doch – und doch, o, wenn auch Sie diese Stadt verlassen könnten, ich glaube, wir könnten da drunten noch einmal ein neues und vielleicht ein glücklicheres Leben beginnen!«

»Möglich, aber doch unmöglich – mein alter Lebensbaum würde selbst in meiner Heimath keine Wurzel mehr schlagen – ich muß hier stehen bleiben und allen Wettern trotzen – wann willst du reisen?«

»Sobald Sie eine endgültige Entscheidung über dieses Haus getroffen haben.«

»Hoffentlich wird das bald geschehen sein, vielleicht noch in dieser Stunde; ich habe es durch einen Freund der Stadt unter jeder ihr beliebigen Bedingung angeboten.«

»Und haben gewiß Recht daran gethan, Herr Baron – ich muß Ihnen schon gestehen, daß ich mit geheimem Grauen daran dachte, wenn jemand Anderes, als ich, die Räume des alten Thurmes leeren sollte – ich glaube doch, es wäre am Ende besser gewesen, wenn wir das schon vor Jahren gethan hätten.«

Herr von Rivola hatte sich mühsam erhoben, um nach einem langsamen Gange durch das Zimmer an das Fenster zu treten, wobei ihm der Andere mit einem kummervollen Blicke nachschaute. Hier hinaussehend, sagte er: »Daran ist nun nichts mehr zu ändern, und ich glaube immer noch, daß ich Recht hatte, mein ehemaliges Atelier nicht heimlich zu zerstören – warum soll ich es läugnen, daß ich mich vor Jahren mit all diesen Künsten beschäftigte? Gerade die Öffentlichkeit, mit der ich arbeitete, mußte bis jetzt jedweden Verdacht beseitigen. Doch kämen auch die Betrachtungen jetzt zu spät,« setzte er, sich rasch umwendend, hinzu, »denn dort sehe ich ein paar Herren kommen, was mir anzeigt, daß die Stadt mein Anerbieten annahm. Öffne die Hausthür, Friedrich, du wirst rascher abreisen können, als du erwartest.«

Wenige Augenblicke nachher trat der Stadtschultheiß in die kleine Stube, nach ihm der Oberbaurath Lievens sowie der Polizeirath Merkel, gefolgt von Sprandel, dem Amtsdiener des Raths, welch' letzterer aber mit Friedrich in dem Hausgange stehen blieb.

Der Stadtschultheiß hatte sein Kinn würdevoll in die weiße Halsbinde vergraben, und während er beide Hände dem Baron Rivola entgegenstreckte, sagte er mit einem herzlichen, fast gerührtem Ausdrucke der Stimme: »Hochverehrter, theurer Freund, würdiger Mitbürger unserer Stadt, Sie haben uns durch Ihren großmüthigen Antrag eine eben so unverhoffte als außerordentliche Freude bereitet; wären die Mittel unserer Gemeinde nicht so gering, so würde ich unter keiner Bedingung von Ihrer Großmuth Gebrauch machen . . .«

»Welche aber der Herr Stadtschultheiß und das ganze Collegium nun ohne Weiteres anzunehmen sich beeilt,« fiel ihm der Polizeirath, heiter lächelnd, in die Rede, worauf er hinter der vorgehaltenen Hand halblaut hinzusetzte: »Und Ihr Ehrenbürgerrecht, auf Pergament mit Golddruck, braucht nur noch ausgefertigt zu werden.«

»Darf ich die Herren nicht bitten, Platz zu nehmen?« fragte Herr von Rivola.

»Doch,« meinte der Oberbaurath Lievens, »es wäre vielleicht besser, dem verehrten Besitzer des Hauses keinen unnöthigen Zeitverlust zu bereiten und, wenn auch nur pro forma, eine rasche Besichtigung der Lokalitäten vorzunehmen.«

Damit waren Alle einverstanden, und nachdem man flüchtig die paar Zimmer durchschritten, welche der alte Friedrich bewohnte, öffnete dieser die uns wohl bekannten Räume des alten Thurmes.

Hier fand sich Alles noch im selben Zustande, wie wir es vor Kurzem gesehen, in allen Stockwerken Möbel, Geräthschaften, Fenster mit so dickem Staube und Spinngeweben bedeckt, daß Jeder deutlich sah, wie einsam man diese Gemächer lange, lange Jahre hindurch gelassen hatte.

»Ich ließ sie unwillkürlich in diesen Zustand kommen,« sagte der Hausbesitzer, wie sich entschuldigend, »denn als ich bei meinem verschlimmerten Augenleiden nicht mehr zum Atelier kam, dachte ich nicht im entferntesten daran, daß es mir nie mehr vergönnt sein werde, Bleistift oder Grabstichel in die Hand zu nehmen; ich hoffte von einem Tage zum anderen, von einer Woche zur anderen, und Sie sehen, meine Herren,« setzte er mit einem traurigen Lächeln hinzu, »wie sich hier meine Hoffnungen erfüllt haben – wie unsere Hoffnungen so oft erfüllt werden, indem das Schicksal unsere liebste Erinnerung mit Staub und Moder bedeckt, und deßhalb brauchen Sie mir auch kein Verdienst daraus zu machen, daß ich Thurm und Haus unter jeder Bedingung an die Stadt übergebe, denn ich werde froh sein, wenn das alles einmal vollständig aus meinem Gedächtnisse erloschen ist.«

»Dazu wird gründlich Rath werden, nicht wahr, Lievens?« sagte der Polizeirath zu seinem Schwager; »ich meine schon, ich sehe es, wie ihr diese heilige Halle der Kunst mit Akten und Rümpelwerk vollstopft.«

»Mit Rümpelwerk weniger,« meinte der Stadtschultheiß mit einer wichtigen Miene; »das gibt hier einen wunderbaren Ort zur Beherbergung der Stadtarchive – dazu der unvergleichlich solide Gang, der in's Rathhaus führt.«

»Und den wir jetzt nicht mehr zumauern wollen,« sagte der Oberbaurath, wobei sich seine dürren Züge in viereckige Linien zusammenzogen, welches ein Lächeln vorstellen sollte.

»Gewiß nicht, aber dort unten an dem Fundamente des Thurmes wollen wir ihn mit einem soliden Mauerwerke verschließen, wodurch alsdann die verschiedensten Zwecke erfüllt sind: Sicherheit für unsere Archive und Abhaltung der übeln Gerüche, die aus dem ferner liegenden Theile des unterirdischen Ganges bis in's Rathhaus drangen und sich notorisch in unserem Sitzungssaale bemerkbar machten.«

»Und in welchem guten Geruche werden alsdann die gemeinderäthlichen Verhandlungen erscheinen!« pflichtete der Polizeirath heiter bei; dann sagte er, den Finger in die Staubmasse, welche auf dem Tische lag, drückend: »Hier könnte ein Statistiker wichtige Notizen sammeln, welche Staubmasse sich in einem gewissen Zeitraume ablagert – wie lange ist es wohl, Herr Baron, daß dieser Raum nicht benutzt wurde?«

»Das können wohl acht Jahre sein – ich erstaune selbst darüber, wie bei verschlossenen Fenstern dieser Staub sich so massenhaft ansammeln konnte.«

»Wohl bei verschlossenen, aber nicht ganz dichten Fenstern,« gab Herr Merkel zur Antwort, »denn dort oben bemerke ich kleine Öffnungen an denselben, welche der Luft und also auch allen Staubatomen willig den Eingang lassen.«

Der Stadtschultheiß, welcher die Räume auf's genaueste betrachtet hatte, auch den Fußboden eines derselben messend durchschritt, schien mit allem, was er hier gefunden, wohl zufrieden zu sein, und sagte: »Ich denke, wir könnten jetzt zu weiteren Verhandlungen wieder nach unten gehen« – worauf sämmtliche Herren, seiner Aufforderung Folge leistend, das Gemach verließen, mit Ausnahme des Polizeiraths, welcher, hin- und hergehend, etwas auf dem Boden zu suchen schien.

»Komm doch, Merkel,« sagte der Oberbaurath, worauf der Stadtschultheiß, zurückblickend, lächelnd bemerkte:

»Mir scheint, der Polizeirath wittert hier irgend ein schönes Verbrechen, das vielleicht vor langen Jahren in diesem Thurme vollbracht wurde – ist es so?«

»Oder sammelst du vielleicht genaue Notizen für den Staubstatistiker?« fragte Lievens.

»Keines von beiden – ich sehe soeben, daß ich ein Glas aus meiner Lorgnette verloren habe, und wahrscheinlich hier oben, denn vorhin, als ich, neben dem Arbeitstische des Herrn von Rivola stehend, die Dachfenster betrachtete, hatte ich noch beide Gläser; doch bitte ich, voranzugehen, ich folge gleich nach – auch Sie, mein werther Herr und Freund,« wandte er sich an den Hausbesitzer, »was soll ich Ihnen Mühe machen, das verlorene Glas suchen zu helfen? Ich glaube fast, es ist hinter den Arbeitstisch gerollt, und wenn Sie erlauben, rücke ich denselben ein wenig auf die Seite.«

»Wer mit dieser Polizei zu schaffen hat, verliert seine Zeit,« meinte der Oberbaurath, wobei er mit dem Stadtschultheißen unter der Thür stehen blieb, da der Freiherr von Rivola selbst mit Hand anlegte, um den schweren Arbeitstisch etwas auf die Seite zu rücken.

»Ich bin nur zufrieden,« sagte der Polizeirath, sich rasch bückend, »daß ich Ihnen keine unnöthige Mühe gemacht, dort liegt das verlorene Glas, und die Staubschicht ist so dicht, daß man es nicht einmal fallen hörte; jetzt will ich aber auch keinen ferneren Aufenthalt verursachen.«

»Kommen Sie, Herr Baron,« sagte der Oberbaurath, draußen im Gange stehend, »der Herr Stadtschultheiß ist schon hinabgegangen; lassen Sie diesen langweiliges Polizisten, sonst rauben wir Ihnen zu viel von Ihrer kostbaren Zeit – kommen Sie.«

Herr von Rivola wollte als höflicher Mann der Letzte sein, der das Zimmer verließ, doch gab er dem Drängen des Herrn Lievens nach und stieg mit diesem langsam die Treppe hinab.

Der Polizeirath hatte das wiedergefundene Glas vom Boden aufgenommen und an seinem Taschentuche vom Staube gereinigt; dann nahm er ein kleines Stückchen alten, vergilbten Papiers, welches zu Boden gefallen war, als man den Arbeitstisch abrückte, wickelte das Glas sorgfältig hinein und steckte es in die Tasche, worauf er ebenfalls das Gemach verließ, die Treppe hinabstieg und die anderen Herren in dem unteren Zimmer fand, gerade in dem Augenblicke, als Herr von Rivola sprach:

»Ich bleibe bei dem, was ich unserem werthen Freunde, dem Herrn Polizeirathe, vorhin gesagt; schlagen Sie mir für Haus und Thurm eine beliebige Summe vor, und ich werde dieselbe annehmen.«

»Aber über die Größe dieser Summe könnten Sie doch vielleicht so gütig sein, annähernd irgend eine Andeutung zu geben,« bemerkte der Stadtschultheiß, welcher sich offenbar in einer Verlegenheit befand. »Meinen Sie nicht auch,« wandte er sich an den Oberbaurath, »daß der Herr Baron irgend eine Forderung stellen solle?«

Da Herr Lievens kopfschüttelnd schwieg, so sagte der Polizeirath: »Ich glaube, es wurde noch nie einem braven Manne so sauer gemacht, der Stadt etwas zu schenken, denn daß es im Grunde darauf hinauskommt, kann ein Kind verstehen; da unser verehrter Freund nicht als Schenker da stehen möchte, so verlangt er eine kleine Summe – gut denn, und ich, als unparteiisch, will eine kleine, runde Zahl nennen – wie wäre es mit zweitausend Gulden?«

»Ah,« sagte der Stadtschultheiß beinahe unwillig, »ein solches Gebot grenzt doch ein wenig . . .«

»An Unverschämtheit, wollen Sie sagen,« lachte der Polizeirath, »allerdings . . .«

»Doch nehme ich es an,« sagte rasch Herr von Rivola; »lassen Sie einen Kaufbrief ausfertigen – dieses Haus mit dem alten Thurme um zweitausend Gulden.«

»Aber Herr Baron, das ist eine Großmuth, welche die Stadt kaum annehmen kann, und ich werde mir erlauben müssen, bei den bürgerlichen Collegien einen ehrenden Ausdruck des Dankes zu beantragen.«

»Den ich mit großer Freude annehmen werde.«

»Also abgemacht,« sagte Herr Merkel: »morgen außerordentliche Gemeinderathssitzung, Vortrag des eben Geschehenen, große Rührung mit erhebenden Reden, ein prächtiges Archiv erworben, nichts mehr von Zumauern der besagten Gitterthür – seid umschlungen, Millionen! Und nun, meine Herren, lasse ich Sie im Stich, denn ich habe heute noch Wichtiges zu besorgen.«

Aber auch die beiden anderen Herren blieben nicht mehr lange. Der Stadtschultheiß that das Klügste, was er in diesem schönen, großen Augenblicke thun konnte, seine Gesichtszüge drückten tiefe Bewegung aus, er ergriff auch jetzt wieder, wie bei seinem Erscheinen vor einer Stunde, beide Hände des Freiherrn von Rivola, doch war die Art, wie er dieselben jetzt drückte und schüttelte, von Rührung übermannt, so Dank ausdrückend, daß es begreiflich war, er vermöge kein Wort dazu zu sprechen, und daß man es natürlich finden mußte, als er sich hierauf nach einem raschen Kopfnicken mit zwinkernden Augen abwandte und Zimmer und Haus eiligst verließ.

Herr von Rivola stützte seine rechte Hand auf die Fensterbrüstung, blickte den Davongehenden stumm und finster nach und sagte erst nach einiger Zeit, ohne sein Gesicht dem wieder eingetretenen alten Diener zuzuwenden: »Auch dieses Geschäft wäre abgethan; sie werden sich beeilen, den Kaufvertrag auszufertigen, und nachdem wir noch eine schwierige Arbeit vollbracht: die Vernichtung von Gegenständen, die mir eigenthümlicher Weise jetzt, wo sie verschwinden sollen, wieder anfangen, theurer zu werden, kannst du, mein alter Friedrich, in Frieden von dannen ziehen.«


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