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In dem Hôtel Reichmann zu Mailand unter den geöffneten Thüren des Speisesaals, welche in den kleinen zierlichen Garten hinausführen, saß eine Gesellschaft junger Offiziere – es waren ihrer sechs – gerade die Zahl, welche für ein kleines feines Diner die richtige ist, und hatten dies angenehme und wichtige Geschäft so eben beendigt. Der reich servirte Tisch prangte in jener malerischen Unordnung des Silbers und Krystalls, zerstörter Frucht-Pyramiden, entkorkter Champagnerflaschen in Eiskübeln, jener Unordnung, über welche das befriedigte Auge so gern hinschweift, den duftigen Kaffee vor sich und die wohlriechende Havannah im Munde.
Es war ein Nachmittag im Mai, die warme Sonne hatte sich aus dem engen Gärtchen emporgehoben, einer erfrischenden Kühle Platz machend, die durch Saalthüren und Korridore aus dem hoch umbauten Hofe hineinströmte. Der goldene Schein des scheidenden Lichtes zeichnete an den Mauern und Häusern, welche den Garten umgaben, in dunklen Schatten die zackigen Giebel der benachbarten Gebäude, küßte wollüstig die Spitzen einiger hochstämmigen Lorbeer- und Granatbäume und schien ungern dies trauliche Plätzchen zu verlassen; doch Zoll um Zoll erhob sich der helle Schein rings umher, gefolgt von Tausenden von Insekten, welche sich summend auf dem scheidenden Strahl der Abendsonne emporschwangen und dem kühlen, dunklen Schatten entflohen.
Die lebhafte Conversation während des Diners war jetzt bei Kaffee und Cigarren verstummt, und jeder der sechs jungen Leute wiegte sich so bequem wie möglich auf seinem Stuhle und alle blickten der scheidenden Sonne gedankenvoll nach.
Es war eine kurze behagliche Siesta, ein angenehmes Ausruhen von der gehabten Anstrengung und dazu läutete vom Dome her die große Glocke und viele kleine der benachbarten Kirchen accompagnirten melodisch den tiefen Ton.
Die sechs jungen Offiziere waren von vier verschiedenen Regimentern: zwei davon von einem ungarischen Husaren-Regiment mit der blauen knappen Atilla waren die Gastgeber, und die anderen, ein Dragoner in weiß mit blau, ein Chevauxlegers in dunkelgrün und roth und ein Infanterieoffizier in ganz weißer Uniform die Eingeladenen. Wem aber das Fest eigentlich galt, war ein dritter Husaren-Offizier, der heute Abend im Begriff war, eine Reise über Florenz, Rom, an den entzückenden Meerbusen von Neapel zu machen, der junge Graf S., einer der liebenswürdigsten und elegantesten Offiziere seines Regiments, ein guter Kamerad, tüchtiger Reiter, von unerschöpflich guter Laune, jeden Augenblick bereit, tausend lustige Einfälle Preis zu geben, und durch diese guten Eigenschaften l'enfant gaté des ganzen Regiments.
»Wenn ich mißgünstig wäre,« sagte einer der Husaren, »so würde ich dich ungeheuer beneiden« Alfons, im Besitz eines zweimonatlichen Urlaubs, die gepackte Calesche vor dem Hause, gute Wechsel in der Brieftasche und nun nach diesem wirklich famosen Diner sich einzuschwingen und beschauend und verdauend bei dem herrlichen Frühlingsabend dahin zu rollen – es ist ein beneidenswerthes Loos.«
»Allerdings!« lachte Graf S., indem er ein gefülltes Glas Champagner so hoch emporhielt, daß der letzte Sonnen-Reflex es vergoldete, »allerdings, aber ihr hättet ja mit von der Partie sein können, es war das ja eigentlich seit längerer Zeit schon abgesprochen.«
»Ja wohl, ja wohl!« seufzte der Andere, »aber: Was ist das Leben ohn' Liebesglanz?« –
»Und dieser Liebesglanz,« meinte der dritte Husar, »hat deine Wechsel vollkommen aufgezehrt.«
» Unsere Wechsel, wolltest du sagen!« entgegnete der Andere, »denn dir, lieber Bruder, ist es nicht besser gegangen; aber gibt es denn auch ein liebenswürdigeres, kleineres, tolleres Geschöpf als Julietta? und so graziös, und eine so große Künstlerin? Ach, daß sie nicht Prima Ballerina ist, daran ist bei Gott nur ihre Bescheidenheit Schuld. Und wie mich das kleine Ding liebt! Kam sie nicht, als von der gemeinschaftlichen Reise die Rede war, ungeschminkt auf die Bühne, bleich wie der personifizirte Jammer, so daß sogar der alte Oberst, der ihr so lange vergeblich nachgestiegen, zu mir sagte: Aber können Sie bei dem Anblick ans Reisen denken?«
»Und du dachtest auch ferner nicht mehr daran,« sagte der Dragoneroffizier lachend und ließ eine blaue Wolke kerzengerade in die Höhe steigen: »du opfertest fort und fort auf dem Altar deiner Göttin, bis –«
»Du ihr die famose Reise geopfert hattest,« unterbrach ihn Graf S., worauf im Gespräch eine kleine Pause eintrat, während welcher die Kaffeetassen und Sporen klirrten, wenn einer trank oder die Füße in eine andere Lage brachte.
»Die Zeiten sind aber auch gar zu langweilig,« sprach nach einiger Zeit der Infanterieoffizier, »ein ewiges Friedens- und Garnisonsleben, Rekruten exerciren und mit der Wache aufziehen. Man ist wahrhaftig gezwungen, sich eine andere Unterhaltung zu verschaffen, wenn man nicht geistig zu Grunde gehen will. Ich habe nun einmal für Tänzerinnen keine Leidenschaft, und kein Geld, und muß mich schon mit einer anderen Dame behelfen, die weniger kostbar und doch auch belohnend ist – die Wissenschaft.«
»Du willst zum Generalstab.« sagte der Dragoner und legte seine Beine auf einen Stuhl, der vor ihm stand; »hast Recht, steigst dann zu Pferd, wie unsereins und bist,« fuhr er seufzend fort, »bei einer einstigen vielleichtigen Schlacht, mit an den interessantesten Punkten, ein selbständiger Mensch, brauchst nicht in der staubigen Colonne zu marschiren.«
»Ja zu Pferd, zu Pferd,« meinte der Chevauxleger, der bis jetzt schweigend geraucht, »wenn ich das noch erlebe, eine tüchtige Schlacht – im Blut, Schweiß und Staub, vor meinem Zuge hineinzustürzen in die feindliche Kavallerie, um einen Leopoldi oder gar ein Theresienkreuz herauszuhauen – Gott, wenn ich das noch erlebe!«
»Dazu ist leider wenig Aussicht vorhanden,« seufzte der Anbeter der Tänzerin, »ein Feldzug könnte mich auch arrangiren, das bricht alle Verbindungen ab, wie man sich in den Sattel schwingt und ausmarschirt, ist man ein freier, unabhängiger Mensch.«
»Aber der Kummer der kleinen Julietta?« lachte Graf S.; »sie wird sich nicht mehr schminken wollen, und in Folge davon ihren Contract verlieren.«
Der Andere zuckte die Achseln und sagte seufzend: »Und doch wollte ich, es gäbe einen Feldzug.«
»Wozu aber durchaus keine Aussicht vorhanden ist,« meinte der Infanterieoffizier. »Der politische Himmel ist klar und ohne Wolken, wie der des herrlichen Neapel, dem du entgegenziehst.«
»Das wär' schon recht,« sagte der Chevauxleger, »dann hätten wir einige Hoffnung, denn am neapolitanischen Horizont hängt immer eine tüchtige drohende Wolke, die des Vesuvs nämlich, und da kann es alle Tage losgehen.«
»Ja, auf diese Art,« versetzte der Infanterieoffizier lächelnd, »ist mein Vergleich freilich nicht ganz richtig.«
»Grüß' mir den Vesuv,« sagte der andere Husarenoffizier, »und nimm dir Lacrimae von Resina mit, der des Eremiten ist gar zu schlecht.«
»Krieg, Krieg!« phantasirte der Dragoner, »eine tüchtige Schlacht, ein Königreich, wenn ich eins hätte, für eine Schlacht!«
»So was kommt plötzlich,« sagte Graf S., »gebt nur Acht, an einem schönen Morgen hat man sich irgendwo bei den Haaren, wie sollt' es mich freuen, wenn eine solche Nachricht mich schon nach wenigen Tagen von meiner Reise zurückriefe; doch, Freunde, es wird spät, ihr wißt, ich habe einen langen Weg zu machen, und möchte gar zu gern bei guter Zeit in Bologna sein.«
»Welchen Weg wirst du dahin nehmen?« fragte der Infanterieoffizier.
»Nun natürlicher Weise über Lodi und Piazenza,« antwortete der Graf, indem er langsam aufstand und nach seiner Feldmütze und dem Säbel langte, der neben ihm an einem Tischchen lehnte.
»So muß es denn geschieden sein,« sprach der Dragoneroffizier, indem er seinen Pallasch ebenfalls umschnallte, und die Andern folgten seinem Beispiele. Stühle wurden gerückt, Säbel klirrten und die sechs Freunde begaben sich aus dem Speisesaal in den Hof des Hôtels, wo die leichte Reisecalesche des Grafen S. bepackt und eingespannt bereits seiner harrte. Sein Husar stand daneben, mit dem Mantel über dem Arm und der Postillon ordnete die Zügel des Sattelgaules, um sich augenblicklich aufschwingen zu können.
Der Abschied war kurz und herzlich, nachdem der Graf seine Calesche bestiegen hatte.
»Leb' wohl, Alfons! – glückliche Reise! – Auf gutes und gesundes Wiedersehen!« – »Danke schön! – Haltet euch Alle in der Ordnung und sollte irgend etwas vorfallen, so schreibt mir bald! – Grüße mir Julietta, edler Romeo, und du, mach' dein Examen glänzend, daß du die grünen Federn auf dem Hut hast, wenn ich zurückschaue. – Avanti – T'schau – grüß Gott!«
Der Postillon, wie alle italienischen, hatte wartend den linken Fuß in den Bügel gesetzt, gab mit dem Knie dem Sattelgaul einen Stoß, dem Handgaul einen Hieb mit der Peitsche und schwang sich in den Sattel, während die Pferde wie toll zum Thore hinausstürmten; – ein ächter Renommist bog er im Galopp in den Corso der Porta Romana links ab, glücklich, daß die Leute auf der Straße seine Verwegenheit anstaunten, und gleichgültig ob der Anfang der Reise bei dieser Gelegenheit schon durch ein zerschmettertes Rad unterbrochen würde. Doch lief Alles gut ab. Die fünf Freunde standen noch am Thor und winkten herzlich zum Abschied, um sich alsdann nach allen Theilen der Stadt zu zerstreuen, der eine auf den Domplatz, der andere auf den Corso, jener nach Haus, dieser in die Scala.
Unterdessen hatte der Graf die Porta Romana hinter sich und lehnte sich behaglich in die Ecke des Wagens. Der Husar, der auf dem Bocke saß, hatte ihm den Mantel um die Füße geschlungen und legte jetzt den brennenden Schwamm auf die Meerschaumpfeife. Wie schmeckte der ungarische Tabak so gut, wie war die Luft so würzig und angenehm! mit welchem Entzücken dachte der Reisende an Rom und Neapel und gestand sich, daß er einer der glücklichsten, beneidenswerthesten Sterblichen sei.
So rollte der Wagen auf der schönen breiten Chaussee dahin. Um die Fahrt ganz angenehm zu machen, hatte es den Tag vorher etwas geregnet, weßhalb unter den Hufen der Pferde und den davon eilenden Rädern kein Staub aufflog. Der mailändische Postillon, der ans der Station in Lodi mit einem sehr guten Trinkgeld entlassen worden war, hatte den Grafen seinem Nachfolger bestens recommandirt und die Pferde griffen aus, daß es eine Freude war. Der Rosselenker klatschte mit seiner Peitsche, rauchte lange Rattenschwänze und versuchte es jeden Augenblick, mit dem Husaren auf dem Bock eine Conversation anzuknüpfen. Doch war dieser, ein Ungar, der italienischen Sprache kaum mächtig genug, um einige wenige Lebensbedürfnisse zu verlangen, oder um den Postillon unter Verheißung eines bonne mane zum schnelleren Fahren anzutreiben, was er denn auch nicht unterließ.
Equipagen waren sie bisher keiner auf der Straße begegnet, aber häufig an langen Zügen leerer Wagen mit Maulthieren bespannt, die von Mailand zurückkamen, vorbeigeeilt, sie weit hinter sich lassend. Die Eigenthümer lagen faul auf die leeren Säcke gestreckt, wahrscheinlich den heutigen Gewinnst berechnend, und erhoben kaum den Kopf, um der vorüberrasselnden Equipage nachzusehen. Die Maulthiere, zu drei und vier vor einander gespannt, waren nun schon neugieriger und bogen mit ihrem klingenden Geschirr häufig von der Mitte des Weges auf die Postpferde ein, um sie schnuffelnd zu begrüßen, welche Freundschaftsbezeugung aber meistens durch einen Peitschenhieb des Postillons erwidert wurde, worauf die Maulthiere ihren Kopf plötzlich zur Seite wandten, die Glocken an denselben stärker klingelten und der Karren einen gelinden Stoß erlitt, der Fuhrmann fluchte, und der Postillon, sich umsehend, lachte.
»Avanti! avanti!« schrie der Husar auf dem Bocke und weiter und weiter rollte der Wagen. Die Bäume an den Wegen schienen vorbei zu fliegen, einzelne Häuser sah man vor sich, dann an der Seite, dann blieben sie weit zurück. In den Reisfeldern rauschte es geheimnißvoll, die scharfen Blätter an dem schlanken Stengel schliff der Abendwind gegen einander, daß es eigenthümlich flüsterte, und dazwischen summten und surrten Tausende von Insekten, die sich auf dem jungen Reis wiegten, oder den nassen Grund, aus welchem er emporwuchs, umschwärmten.
Als der Reisende Lodi passirt hatte, senkte sich der Abend auf die Erde, thauig und frisch, er umfing Häuser und Felder und die brennende Erde, liebeglühend, litt geduldig den süßen befruchtenden Kuß des heimlich Geliebten, der sich schweigend an ihren Busen schmiegte, als sich das strenge wachsame Sonnenauge geschlossen; und heute feierten die beiden Liebenden eine herrliche duftige Brautnacht, aus vielen, vielen Kirchlein und Kapellen läuteten die Glocken das Ave Maria, im Grase glänzte der Nachtthau wie Tausende von Brillanten und warf zurück das zitternde schimmernde Licht unzähliger Sterne. Dazu dufteten die Blumen und das frische Heu auf den Feldern; ein wollüstiger Hauch ging durch die ganze Natur und Niemand fühlte das besser, als die zahlreichen Nachtigallen in den Gebüschen am Wege, welche die entzückendsten zartesten Brautlieder sangen.
Um diesen herrlichen Gesang zu hören, muß man in einer warmen Frühlingsnacht durch die gesegneten Fluren der Lombardei fahren. Die Felder, mit Bächen durchschnitten, die Straße mit Wasser eingefaßt, über welches sich frisches Gesträuch wiegt, ist der Lieblingsaufenthalt dieser kleinen gefiederten Sänger.
Der Graf lehnte in seiner Wagenecke und sein offenes empfängliches Gemüth erfaßte all' das Schöne, was er sah und hörte. Ein solches Nachtigallen-Concert, wie heute Abend, hatte auch er nie vernommen; dazu flog der Wagen auf der geraden flachen Chaussee im wahren Sinn des Wortes. Der Postillon von Lodi hatte ein paar kräftige Schimmel eingespannt und meinte lachend, als er sich in den Sattel schwang, »er müsse schon für die nächste Station ein Uebriges thun; dort,« fuhr er fort, »in Casal Pusterlengo gibt es gewöhnlich einen längeren Aufenthalt, und wenn zufällig vor uns schon eine Extrapost da war, so muß der Herr lange warten, der Posthalter dort hat wenig Pferde.« Obgleich die Aussicht, auf einer einsamen Station mitten in der Nacht längere Zeit warten zu müssen, gerade nicht sehr angenehm war, so hielt der Graf diese ausgesprochene Befürchtung für leeres Geschwätz des Postillons, und ermahnte ihn, seine Schuldigkeit zu thun, das Uebrige werde sich finden. Diese, seine Schuldigkeit that denn auch der Postillon von Lodi auf eine wirklich überraschende Art, und obgleich der Graf S., der die Trinkgelder nie zu sparen pflegte, auf allen Stationen außerordentlich gut geführt wurde, so hatte er doch ein solches Dahinrasen noch nicht erlebt. Kaum saß der Postillon im Sattel, so trieb er die Pferde mit lautem Hurrah! und Peitschenschlag zu vollem Galopp an. Wie ein finsterer Geist hing er auf den weisen Pferden, sein schwarzer Mantel flatterte um ihn, sein langes Haar flog zurück und die leichte Calesche beschrieb auf der Landstraße immerfort eine Schlangenlinie; bald rechts, bald links flog der Hinterwagen, der Husar auf dem Bock hielt sich erstaunt an der Seitenlehne, und Häuser, Bäume, Brückengeländer und Wegsteine schienen eilfertig und entsetzt vorbei zu huschen. In weniger als einer Stunde hatten sie die Station zurückgelegt und vor ihnen durch die Nacht glänzte ein einsames Licht aus dem ersten Hause von Casal Pusterlengo.
Das Posthaus lag jenseits des Dorfes an einer Anhöhe, welche mit Maulbeerbäumen und Reben bedeckt, sich dicht an die hintere Seite des kleinen Wohnhauses schmiegte. Die Posthalterei selbst und die Stallgebäude lagen etwas abseits und obgleich der Postillon von Lodi, während er durch den stillen Ort fuhr, ein Uebermögliches gethan mit Peitschenknallen und lauten Hallohs, so sah man doch, nachdem die Calesche schon eine ziemliche Zeit vor den Stallungen hielt, auch noch nicht das geringste Zeichen von Leben in denselben. Erst nachdem der Postillon und der Husar, jener mit der Peitsche, dieser mit dem Säbel, die Stallthüre eine Zeitlang angelegentlich bearbeitet hatten, bemerkte man, daß in einer Dachkammer Feuer angeschlagen wurde. Bald darauf wurde ein Kopf mit zerzausten Haaren oben sichtbar und nachdem sich der Hinauslugende überzeugt, da unten halte eine Extrapost, polterte er die Treppen herunter, öffnete die Stallthüre und kratzte sich verlegen in dem schwarzen Haarwald, als der Graf so schnell wie möglich frische Pferde verlangte.
»Gott soll mir gnädig sein und die Madonna!« sagte der Stallknecht, »aber Euer Gnaden werden wahrhaftig eine Zeitlang warten müssen. Seit drei Stunden ist die Post von hier weg, die Post mit einer Beichaise und die Pferde können in einer halben Stunde zurückkommen.«
»Und sonst habt Ihr nichts im Stalle?« fragte der Graf ärgerlich, während der Postillon von Lodi verschmitzt lachend ein Zeichen machte, welches ausdrücken sollte: »Habe ich es Euch nicht gesagt?« –
»Wo sind denn Eure Extrapostpferde? Ihr müßt doch nach dem Reglement deren wenigstens vier haben.«
»Haben auch vier,« entgegnete der Stallknecht; »sind aber leider vor einer Stunde mit einem englischen Reisewagen fortgefahren.«
»Das ist ja aber ganz verflucht!« sagte heftig der junge Offizier; »wenn ich dir aber ein gutes Trinkgeld gebe, ich glaube, daß du mir alsdann Pferde anschaffen wirst, nicht wahr, Spitzbube?«
»Unmöglich!« antwortete der Stallierie, »glauben Eure Gnaden ja nicht, daß wir bösen Willen haben, aber die Posthalterei ist unbedeutend, es kommen wenig Posten durch und der Postmeister ...«
»Wo ist der Postmeister? ich will ihn sprechen!«
»Ist nach Lodi geritten, Eure Gnaden, ich bin ... ganz allein zu Hause,« setzte er stockend hinzu.
Da war nichts zu machen, als in Ruhe zu warten, bis die Pferde der kaiserlichen Post zurückkommen würden. Wenn nur die Post mitten im Dorf gewesen wäre, da hätte man vielleicht in dem Caffé eine alte Zeitung und etwas Kaffee gefunden, aber hier in den einsamen Gebäuden, die so schwarz und ohne Leben in der Nacht dalagen! Es war in der That langweilig. Der Postillon von Lodi zog seine Pferde in den Stall, worauf er so wie der Husar und der Stallierie sich plaudernd auf eine Bank vor dem Stallgebäude niederließen.
Selbst die herrliche Nacht vermochte nicht die Ungeduld des Reisenden über dies unangenehme Warten zu beschwichtigen. Vergeblich schlugen die Nachtigallen schmelzender als den ganzen Abend in den dichten Gebüschen, welche Posthalterei und Wohnhaus umgaben, vergeblich funkelten die Sterne so freundlich und beruhigend von dem dunklen Himmel, vergeblich athmete die ganze Natur eine so wohlthuende Stille, summten Insekten aller Art behaglich und glückselig in den Freuden ihres kurzen Sommerdaseins, der junge Reisende war ungeduldig und verstimmt, gelangweilt und hätte in diesem Augenblicke viel um eine Conversation mit irgend Jemand gegeben, den er sonst gewiß nicht beachtet. Schon mehrere Mal hatte er die Stallgebäude umschritten, und näherte sich jetzt dem einsamen Wohnhause, indem er die dahinter liegende Anhöhe erstieg, in der Hoffnung, vielleicht das Flußbeet des Po zu erblicken oder sonst etwas, was ihn momentan unterhalten würde.
Da lag die lange weite Ebene vor ihm, vom Sternenlicht sanft beglänzt, hie und da mit hellen Linien durchzogen, Wassergräben und kleine Seen, die hervorleuchteten zwischen den dunklen Farben des dichten Rebengewindes und der Maulbeerculturen. Auch glaubte er das Rauschen des Flusses zu vernehmen, und einige Mal den entfernten Klang eines Posthorns auf der Straße, doch war es das Seufzen und Flüstern des Nachtwindes in dem Wasserröhricht, das ihn getäuscht. Mißmuthig wandte er sich um, um zur Chaussee und zum Stallgebäude niederzusteigen und bemerkte, als er auf diese Art die hintere Seite des einsamen Wohnhauses vor sich sah, ein kleines erleuchtetes Fenster und die Lichtstrahlen, die von demselben in die Nacht hinaus drangen, glänzten auf dem dichten Rebenlaub an dem Hause und zeigten üppige Schlinggewächse, die die Mauern desselben umspannen in einer wahrhaft malerischen Weise.
Der junge Offizier, erfreut von dem Gedanken, vielleicht doch Jemand zu finden, mit dem er die Zeit des Wartens verplaudern könnte, näherte sich dem Hause so weit, bis es ihm möglich war, in das offen stehende Fenster hinein zu schauen. Dann blieb er überrascht stehen. Er sah in ein Zimmer, in welchem auf einem alten Stuhl mit hoher Lehne ein junges und, wie er zu bemerken glaubte, sehr schönes Mädchen saß, welches auf seinen Knieen ein kleines Kind wiegte, das es mit allerhand Schmeichelworten und Bruchstücken von Liedern einzuschläfern versuchte. Es trieb den jungen Offizier, näher zu gehen; um aber die Kleine da unten durch das Rasseln des Gesträuchs nicht plötzlich zu erschrecken, erhob er seine Stimme und sang den Anfang einer bekannten italienischen Arie so sanft und leise als möglich.
Schnell brach das Mädchen in ihrem Lied ab, deckte mit der Hand den Schein der neben ihr stehenden Lampe und starrte in das Dunkel hinaus, um den Sänger, der jetzt raschelnd durch das Gras und Gesträuch näher schritt, zu entdecken. Zu ihren Füßen lag wahrscheinlich ein großer Hund, denn man vernahm in demselben Augenblicke ein paar tiefe knurrende Töne, ein kurz abgebrochenes Gebell; doch schien ihm das Mädchen zu wehren, sie beugte sich unerschrocken etwas aus dem Fenster und rief hinaus: »Wer ist da?«
»Es ist ein Fremder,« gab der junge Offizier zur Antwort, »der so eben mit Extrapost hier ankam, und auf frische Pferde warten muß. Es war mir,« setzte er galant hinzu, indem er näher trat, »wirklich recht unangenehm, hier ein paar Stunden bleiben zu müssen; doch wenn die Signora mir erlaubt, eine Weile mit ihr zu plaudern, so danke ich dem Zufall, der mich hier festhielt.«
Während der Graf so parlamentirte, ging er als tapferer und umsichtiger Soldat Schritt vor Schritt vorwärts und zeigte sich bei den letzten Worten dicht am Fenster in dem hellen Lichtschein. Das war aber auch, um dem Mädchen allen Schrecken zu nehmen, das beste aller Mittel, denn ein Blick in dieses schöne, offene, jugendlich-frische Gesicht, dem der kleine blonde Husarenbart so wohl stand, zeigte der jungen Italienerin, mit wem sie es zu thun habe, und ehe sie noch die Husarenuniform erkennen konnte, sagte sie lachend:
»Aha! der Herr ist ein österreichischer Offizier.«
Wie war jetzt die stille Nacht dem jungen Reisenden wieder so interessant geworden, und erst das Wohnhaus, das er vorhin ingrimmig angeschaut! Gab es aber auch etwas Reizenderes, als der Anblick, den er hier vor sich hatte? War es das Plötzliche und Unerwartete der Erscheinung, war es der dunkle Rahmen der Nacht, der das Mädchen so wunderbar hervorhob, genug, er gestand sich, nie etwas Schöneres gesehen zu haben. Da lehnte die Kleine an ihrem hohen Stuhl, nothdürftig, bekleidet, ein rother Rock umspannte ihren schlanken Leib, die nackten Füße drückten sich tief in das schwarze zottige Fell des großen Hundes, den wir vorhin erwähnten und der fragend aufblickte, als wolle er sagen: »Befiehlst du, daß ich hinausspringe, und den Fremden ein bischen au der Kehle fasse?« Auch schien sie ihren Wächter vollkommen zu verstehen, denn sie drückte ihm mit dem einen Fuß den erhobenen Kopf sanft nieder, worauf er die Augen schloß und mit dem Schweif wedelte.
Das Alles konnte der Reisende vor dem Fenster freilich nicht sehen, senkte auch seine Blicke nicht dort hinab, sondern heftete sie fest auf den schönen Kopf des Mädchens, auf ihren schlanken Hals und die weißen Schultern, welche zwischen den aufgelösten Flechten des schwarzen Haares hervorglänzten. Das Bübchen in ihrem Schooß, welches überhaupt keine große Neigung zum Schlafen zu verspüren schien, wachte bei dem Anblick des Fremden wieder hell auf und blickte so treuherzig, ja freundlich mit den großen, glänzenden Augen auf die goldverzierte Feldmütze und die Schnüre des Atilla.
»Also der Herr hat keine Pferde bekommen können,« sagte das Mädchen, »und muß deßhalb warten, bis die von der kaiserlichen Post zurückkommen. Ja es kommt dies leider oft vor, mein Vater hat nicht viele Pferde und will auch keine weiter anschaffen, da das Geschäft überhaupt so wenig einträgt, denn es ist hier eine kleine Zwischenstation, Lodi und Piazenza nehmen uns das Beste weg, wir hatten auch früher, als die Mutter noch lebte, ein kleines Wirthshaus, aber das hat Alles jetzt aufgehört; Vater sagt, er wolle nichts mehr vergrößern, das könne einmal der kleine Cecco hier in meinem Schooß thun, oder,« setzte sie lachend hinzu, »der Schwiegersohn.«
»Der Schwiegersohn?« fragte der Offizier, »wer ist denn der Schwiegersohn?«
»Nun,« lachte das Mädchen fröhlich auf, »wer wird der Schwiegersohn sein? Der Mann der Teresina.«
»Und wer ist die Teresina?«
»Die Teresina bin ich,« sagte sie lustig, schlug aber die Augen nieder, als sie sah, wie die brennenden Blicke des jungen Offiziers auf ihr hafteten. »Ja,« fuhr sie nachlässiger und mit leiserer Stimme fort, »der Cecco,« dabei fuhr sie dem Bübchen durch die schwarzen Locken, »oder der Schwiegersohn,« dabei hob sie den Kopf kokett in die Höhe, »soll, wenn er mag, die Wirthschaft wieder anfangen und die Posthalterei vergrößern.«
»So, so,« sagte der Graf lächelnd, »der Schwiegersohn? – So bist du also schon verheirathet?«
»Wer? – Ich?« lachte das Mädchen, »Madonna, das ist zum Lachen, geht mir weg, ich geheirathet? Ehe man heirathet, muß man zuerst Jemand lieben, herzlich lieben, so ungefähr, wie ich das Bübchen liebe; aber mit Liebe lieben, und das habe ich noch nicht gethan.«
»Hat dir denn noch nie Jemand gefallen, Teresina? Ich meine, so recht gefallen, um ihn mit Liebe lieben zu können?« fragte der junge Mann.
»Nein, Herr!« entgegnete das Mädchen und lehnte den Arm auf die Fensterbrüstung, wodurch dem Bübchen die Aussicht auf Feldmütze und Schnüre verdeckt wurde, weßhalb es laut aufschrie, auch nicht eher beruhigt werden konnte, bis ihm die Feldmütze förmlich zum Spielzeug überantwortet wurde, zu welchem Ende der Offizier gezwungen war, sich ins Fenster hineinzulehnen. Ihr Arm aber blieb auf der Fensterbrüstung und der Kopf neigte sich vor, und ebenso die weißen Schultern und der Oberleib.
»Wen meinen Sie denn eigentlich,« fuhr der Graf S. fort, »den sich der Vater zum Schwiegersohn aussuchen wird, etwa einen aus Pusterlengo oder einen jungen Kaufherrn aus Lodi?«
»Nein, nein!« sagte das Mädchen plötzlich ernst werdend, »eher den Sohn des Posthalters aus Piazenza, der ist schon mehrere Male ohne allen Grund dagewesen und er scheint dem Vater nicht übel zu gefallen; mir aber ganz und gar nicht,« setzte sie ganz leise hinzu.
»Ist er nicht schön, nicht jung?« fragte der Offizier lächelnd, und die Kleine antwortete leise und sich scheu umsehend:
»Nein, gewiß nicht! aber er ist bösartig und falsch und den könnte ich nicht lieben und wenn ich ihn heirathen müßte, so wär' mein ganzes junges Leben verdorben, denn Sie sagen, es sei schrecklich, heirathen zu müssen, ohne geliebt zu haben.«
»Da wäre es also noch viel besser oder wenigstens viel schöner geliebt zu haben ohne zu heirathen,« sagte der Offizier.
»Schöner vielleicht,« entgegnete das Mädchen, und hob die Augen empor, um ihn anzusehen, »schöner vielleicht wohl, aber nicht besser.«
Jetzt trat in diesem seltsamen Gespräche eine Pause ein, in welcher die Nachtigallen stärker und freudiger schmetterten und in welcher der junge Offizier die Höhe der Fensterbrüstung maß und bei sich überlegte, ob es nicht möglich sei, dort ohne viel Geräusch hinein zu voltigiren. Doch schien die Italienerin seine Absicht zu errathen, denn sie deutete mit der Hand auf das Stallgebäude und sagte: »Macht kein Geräusch, der alte Pietro hört Alles. Es ist eigentlich nicht recht, daß ich mit Euch so lang am offenen Fenster plaudere, aber ich weiß nicht,« fuhr sie fort und blickte ihn mit ihren glänzenden Augen voll an, »ich plauder' wahrhaftig gern mit Euch.«
»Lieber als mit dem Posthalterssohn von Piazenza?«
»Viel lieber.«
»Dann würdet Ihr mich vielleicht auch lieber heirathen oder lieben?« sagte der Offizier und legte seine Hand auf ihren feinen weißen Arm.
»Das Erste geht nicht,« sagte das Mädchen lächelnd, »weil Ihr ein Cavalier seid, und das Andere, wenn es ohne das Erste ginge, geht doch nicht, weil ihr ja Morgen früh schon so viele, viele Miglien von hier entfernt seid.«
»Wenn ich aber dabliebe?«
»Wie könnt Ihr dableiben? sagt so etwas nicht, was Euch kein Ernst ist, und hier könntet Ihr auf keinen Fall bleiben,« setzte sie stockend hinzu, »der Vater, der in zwei Stunden zurück sein kann, würde Euch nach Lodi oder Piazenza weisen.« Bei diesen Worten zog sie ihren Arm zurück, bis ihre warme Hand in der des Offiziers lag. Dann gab sie nach, als er dieselbe festhielt. Ihr war es seltsam zu Muthe. Es geschah, was schon oft geschehen ist, daß zwei junge unverdorbene Wesen mit heißem Blut, die sich zuvor nie sahen, sich plötzlich in einem Gefühl der Liebe zu einander befinden, daß ein Blick, ein leichtes Gespräch zwei Herzen fesselte, von denen vor einer Stunde noch keins gewußt, daß in der weiten Welt das andere schlage.
Durch den Körper des jungen achtzehnjährigen Offiziers strömte es glühend und entzückend, und auch das Mädchen ließ ihm ihre zitternde Hand, die er heftig an seine Lippen drückte. Auch die Nacht mochte daran Schuld sein, die stille, heilige, trauliche Nacht, der Duft der Blumen und vor Allem auch die Liebeslieder der Nachtigallen. – O diese Nachtigallen! – –
»Wie glücklich bin ich,« sagte der Offizier, »daß ich hieher kam, daß ich hier warten muß und daß ich dich sah, Teresina.«
»Mir ist es auch lieb,« entgegnete das Mädchen, »ach so lieb, ich weiß nicht wie? Nur möcht' ich viel lieber weinen, als lachen.« Dabei legte sie den Kopf vorwärts auf ihren Arm und ihre Stirne auf seine Hand und er beugte sich zu ihr nieder und drückte einen Kuß auf ihren schlanken Hals. Die drei jungen Leute waren in diesem Augenblick so glücklich, der junge Reisende, das junge Mädchen und der Bambino in ihrem Schooß; denn letzterem war es nach einigen verzweifelten Anstrengungen endlich glücklich gelungen, die schwarzgelbe Schnur von der Feldmütze herunterzureißen, eine That, die er mit vergnügtem Lachen ankündigte. Doch war dieser Freudenausbruch nicht im Stande, die beiden Liebenden aufzustören. Er wandte sanft ihren Kopf auf die Seite und drückte einen glühenden Kuß auf die brennende Stirn – da tönte durch die Nacht der lustige Klang eines Posthorns. – –
Es ist etwas Eigenthümliches um solch einen Ton, wenn Alles ringsum in tiefer Stille begraben liegt.
Das Mädchen fuhr in die Höhe und horchte. »Der Vater!« rief sie erschreckt, »oder die Pferde von der kaiserlichen Post. Adieu, mein Lieber, mein Liebster! Man darf uns hier nicht beisammen sehen.« Sie legte das Bübchen neben den großen Hund auf den Boden, erhob sich eilfertig und schlang, während sie sich mit dem Oberkörper zum Fenster hinausbeugte, ihre beiden Arme um den Hals des Offiziers. »Verzeiht mir, was ich thue,« sagte sie mit leiser Stimme, »verzeih' es mir die Madonna, aber es ist gewiß nichts Unrechtes, ich sehe Euch ja in diesem Leben gewiß nicht wieder, ich darf, ich kann, ich will dich nicht wiedersehen! denn wenn ich dich morgen wieder sähe, so wäre ich tief, ach so sehr unglücklich! ich müßte mich schämen, aber so, da wir uns hier zum ersten Mal sehen, und uns gleich wieder verlieren, darf ich sagen, daß ich dich unendlich liebe, und darf dich küssen, so – und noch einmal – und zum letztenmal. – Madonna hilf! Jetzt fort! um Gotteswillen fort!«
Der Offizier fühlte drei heftige innige Küsse auf seinem Munde, dann drückte das Mädchen ihn sanft von sich ab, schloß eilfertig die Fensterflügel und löschte das Licht aus. –
Das Posthorn tönte näher und näher, man vernahm Pferdegetrappel auf der Chaussee und dann das Schnauben und Schütteln der Thiere, die vor dem Stallgebäude hielten. Neben dem Wohnhause wurde jetzt eine dunkle Gestalt sichtbar – es war der Husar, der seinen Herrn suchte. Gedankenvoll folgte Graf S. seinem Diener, nicht ohne oftmals stehen zu bleiben und die Hand vor die Stirn zu pressen, wobei er dachte, ob das nicht vielleicht Alles ein Traum gewesen sei. Aber nein, die drei Küsse hatte er in Wirklichkeit erhalten, so innig, so glühend, so heiß! Die drei Küsse konnte er nicht vergessen, und nicht das Bild des Mädchens.
Wenn später durch die lange Reise das kleine Abenteuer in seiner Erinnerung an zu bleichen fing, so brauchte er sich blos dieser drei Küsse zu erinnern und es fuhr brennend durch seinen Körper und er gedachte jener Nacht und des Posthauses und er glaubte wieder vor dem Fenster zu stehen, ans dem jetzt kein Lichtstrahl mehr drang, von wo er nicht das geringste Geräusch mehr hörte. »Euer Gnaden,« sagte der Husar, als sie das Stallgebäude erreichten, wo die eben angekommenen Pferde abgerieben, gefüttert und wieder eingespannt wurden, »Euer Gnaden haben, scheint mir, die Feldmütze im Wagen liegen lassen oder verloren.«
Der junge Offizier lächelte und sagte, er habe vor der Station im Wagen geschlafen, »und da muß sie mir vom Kopf herunter gefallen sein, gib mir eine andere.«
So sehr auch der Graf daran dachte, in Piazenza liegen zu bleiben, um vielleicht von da aus das Abenteuer der heutigen Nacht weiter verfolgen zu können, so brachte ihn doch der strenge Blick des Mädchens, als sie ihm sagte: sie müsse sich schämen, wenn sie ihn morgen wieder sehe, von diesem Gedanken ab und er entschloß sich, obgleich widerstrebend, seine Reise fortzusetzen. Ja einige Mal war er im Begriffe nach Lodi oder Mailand wieder zurückzukehren, und das Terrain genau zu recognosciren, doch fühlte er für das Mädchen eben so viel Achtung als Liebe, und war vernünftig genug, alle Folgen zu überlegen, und sich mit den drei Küssen zu begnügen, die das gute, unschuldige Geschöpf ihm so liebevoll gegeben.
Der Postillon von Lodi ermahnte seinen neuen Collegen, etwas von der verlorenen Zeit wieder einzubringen. Der junge Offizier warf sich in seinen Wagen, der Husar nahm seinen Platz auf dem Bocke wieder ein und die Pferde liefen auf der dunklen Chaussee dahin, so gut sie konnten. Der neue Postillon blies auf seinem Horne und es war derselbe Ton und dasselbe Liedchen, das der Graf vor einer halben Stunde am Fenster drüben gehört. Ob auch sie die Töne wieder vernahm, zitternd auf ihrem Lager, vielleicht die Kissen mit ihren Thränen benetzend? – Ja, sie vernahm sie gewiß heute Nacht, und morgen wieder, an dem offenen Fenster wie heute sitzend, und blickte gewiß sehnsüchtig nach dem Hügel hinauf, von dem er nicht wieder herniederstieg, und sie sah dasselbe alle Tage, immer in derselben Umgebung und das Bübchen spielte gewiß noch wochenlang mit der Feldmütze und der Vater brachte wieder und immer wieder den Posthalterssohn von Piazenza ins Haus.
Das war Alles erschrecklich quälend für ihr Herz; viel besser und angenehmer hatte es der junge Offizier. Als der Tag anbrach, war er in Bologna, dann sah er Florenz, kam nach Rom und Neapel, später nach Paris; aber in allen Zerstreuungen der großen Welt, in der herrlichsten Natur, bei den glänzendsten Festen vergaß er nicht das einsame Posthaus und die arme Teresina.
Die stillen Fluthen der Adda, nicht beunruhigt durch Dampfboote oder viele Handelsschiffe, dafür aber der Aufenthalt zahlreicher Fische, dies klare, freundliche Wasser, das bald im tiefen Sand, bald zwischen Felsen, bald zwischen grün bewachsenen, mit Gesträuch besetzten Ufern durch die lombardische Ebene fließt, sah am ersten August ein wunderbares und prachtvolles Schauspiel an seinen einsamen Ufern sich entfalten.
Es war bei Formigara, wo der sieggekrönte Heldenmarschall, Vater Radetzky an diesem Tage eine Brücke schlagen ließ, um das erste und zweite Armeekorps über den Fluß zu werfen, dem fliehenden Feinde nach, dessen Colonnen von panischem Schrecken ergriffen, den siegestrunkenen Oestreichern nirgends mehr Stand halten wollten. Kaum besetzten die piemontesischen Generale eine Position, kaum hatten sie ihre starken Batterien gegen den nachsetzenden Feind gewandt, so brachte der Anblick dieses Feindes die größte Verwirrung in die Reihen der Italiener. Truppen, die sich früher tapfer und gut geschlagen, wandten sich beim Anblick der weißen Linien und wichen vor den Fängen des Adlers, der ihnen unaufhaltsam nachsetzte. Kavallerie verließ ihre Stellungen, Artillerie rasselte davon, Infanterie-Colonnen lösten sich auf, ja es kam bei einzelnen Compagnien der Fall vor, daß Soldaten, welche querfeldein liefen, sich vor ihren Offizieren, die ihnen nachsetzten, auf den Boden warfen und erklärten, sich lieber hier von den eigenen Pferden zertreten zu lassen, als wieder gegen den Feind zu marschiren.
Die sanft ansteigenden Ufer der Adda boten an diesem Punkte eines der reichsten, lebendigsten militärischen Bilder, die man nur sehen konnte. Alles war bedeckt mit Soldaten der verschiedensten Waffengattungen und die Sonne, welche zuweilen heiß durch das zerrissene Gewölk schien, schimmerte auf den unzähligen Waffen, auf den Geschützröhren und auf dem Gold und Silber der Uniformen. Es wogte und summte vergnügt durcheinander, die Artillerie stand neben ihren Wagen und Geschützen, Husaren, Dragoner, Uhlanen hatten die Pferde am Zügel und große Massen Infanterie lagerten hie und da auf dem weißen Sande, theilweise mit abgelegtem Tornister und mit zusammengestellten Gewehren.
Dazwischen zogen lange Züge Brückengeräthe dem Ufer zu und Ordonnanzen aller Waffengattungen bahnten sich mühsam ihren Weg durch das fröhliche Getümmel, Befehle nach dem Flusse bringend, wo die Pontoniere in voller Thätigkeit waren. Mit wunderbarer Schnelligkeit wurden die Pontons abgeladen, in das Wasser geschoben, geankert und verbunden. Man sah die Brücken zusehends wachsen und sich in den Fluß hinausdehnen, jedes neu befestigte Ponton wurde mit lautem Hurrah begrüßt, das sich rückwärts fortpflanzte den Uferrand hinauf, und von den lagernden Truppen freudig vernommen und begrüßt wurde.
Woher aber diese ungemeine Geschäftigkeit kam, und weßhalb die Pontoniere auf dem Flusse so übermäßig arbeiteten, war deutlich zu sehen, wenn man den Blicken der ruhenden Soldaten folgte, die weniger an der Geschäftigkeit auf der Adda hingen, als an einem Hügel auf der Höhe des Uferrandes. Dort sah man Offiziere aller Regimenter, von dorther kamen die Ordonnanzen, welche Befehle an das Ufer brachten, und dorthin gingen die Meldungen von den Offizieren des Genie-Corps drunten, sowie von den Commandeuren der nachrückenden Truppen. Die Offiziere auf dem Hügel, meistens beritten, umgaben in einem großen Halbkreis einen kleinen Mann in der grauen Feldmarschalls-Uniform, welcher den rechten Arm in die Seite gestemmt hatte, während die Linke Säbel und Federhut hielt. Der kleine Mann, der vom Pferde abgestiegen war, blickte mit herrlichem, freundlichem Auge auf das Gewühl am Ufer und auf der Brücke bald einem Offizier einige Worte sagend, bald mit der Hand den Soldaten winkend, die jeden Blick des klaren, treuen Auges mit lautem Hurrah, Evviva und Eljen begrüßten. Der kleine Mann aber mit dem schneeweißen Haar und dem lieben Blick war Vater Radetzky, der die Piemontesen von Position zu Position verjagt und jetzt in die Ebene der Lombardei zurückkam, gewaltig und strafend, und bei dessen Annäherung Mailand zitterte, daß es ihn in einer fürchterlichen Nacht dieses Jahres schwach gesehen.
Die Offiziere in der Suite des Feldmarschalls gruppirten sich auf verschiedene Art; einige blickten mit Fernröhren über den Fluß hinüber, andere lehnten an ihren Pferden und unterhielten sich von den vergangenen Tagen, und dem Willkommen, das man ihnen in Mailand bereiten werde.
Es mochte vier Uhr Nachmittags geworden sein, da war die Brücke beendigt, und ein Hurrah, lauter und freudiger als alle früheren, verkündigte es den Truppen. Der Feldmarschall bestieg sein Pferd, Alles erhob sich aus seiner Ruhe. Züge, Compagnien, Bataillone ordneten sich schnell, die Ordonnanzen sprengten nach allen Richtungen, und jeder Truppenkörper, sowie er den Befehl erhielt, setzte sich nach der Brücke zu in Bewegung. Es war ein großartiger, feierlicher Moment; alle Regimentsmusiken spielten die Nationalhymne, und das Ufer, bis jetzt ein Chaos von Farben und Uniformen, begann lange, geregelte Linien zu zeigen; Infanterie, Kavallerie und Artillerie, die sich nach und nach langsam in Bewegung setzten.
Es war ein bunter phantastischer Knäuel, eine wirre Masse aller Farben: Eisen, Bronze, Gold und Silber, die sich jetzt geordnet abwickelte, in einem langen Faden die Brücke bedeckte und weit über das jenseitige Ufer der Adda hinaus sich ins Land hinein ergoß; singend und klingend, rasselnd, murmelnd, rauschend, kurz ein Getöse, daß man es weithin hörte. Endlich wurde der Knäuel diesseits kleiner und einfarbiger, und löste sich zuletzt in eine unabsehbare Reihe von Wagen auf, die jetzt auch über die Brücke rollten. Ihnen folgte der Feldmarschall mit seinem Hauptquartier und es blieben auf dem diesseitigen Ufer nur einige Bataillone zurück, welche die Nachhut bildeten, einige Schwadronen Kavallerie und etwas Artillerie.
Am Ufer, ganz in der Nähe dieser zurückbleibenden Truppen erhob sich ein kleines Haus, die Wohnung des Fährmanns, der mit diesem Geschäft eine kleine Wirtschaft verband. Um den Fluthen der Adda zu entgehen, die zuweilen stark anschwillt, war das Häuschen auf einer Terrasse erbaut, sehr klein und einfach: eine Wohnstube für den Wirth, eine Schenkstube nach der Terrasse und dem Flusse offen, und diese Terrasse bedeckt mit einer Veranda aus Bäumen und Lattenstücken bestehend, die wie alle dergleichen in Italien, um so malerischer aussah, je leichtsinniger und willkürlicher man in der Errichtung derselben verfahren. Dichtes Rebenlaub bedeckte die Veranda, alles Holzwerk umrankend, um die geschlängelten Spitzen der Rebe hingen an den äußersten Holzstücken herab und wiegten sich, in der Luft schwebend, leicht hin und her.
Unter diesem schönen natürlichen Dache saßen an einem grobgezimmerten Tische zwei junge Offiziere auf derben Strohstühlen und schenkten sich abwechselnd aus der mit Stroh umwundenen Foglietta die Gläser voll. Ihre Pferde befanden sich unter Obhut von Soldaten am Fuß der Terrasse, die mit malerischen Kriegsbildern umgeben war. Hier saß ein Husar auf den Stufen der Treppe, mehrere Rosse am Zügel, dort schnallte ein Dragoner an seinem Sattel herum, während ein Chevauxleger, beide Arme auf den Rücken seines Pferdes gelehnt, mit der einen Hand ein Glas hielt, enthaltend einen Rest Wein, den er dem Kameraden resevirte. Auf der andern Seite gingen Infanterie- und Kavallerieoffiziere auf und ab und tauschten ihre Meinungen aus, ob sie heute noch ihren vorausgegangenen Kameraden folgen oder hier einen Bivouak beziehen würden. Infanteristen saßen am Boden, das Gewehr auf den Knieen, und zwischen ihnen Grenadiere, die schwere Bärenmütze neben sich, dort eine Gruppe von Jägern auf dem Bauch ausgestreckt, den Kopf auf den Arm gestützt, die Büchse neben sich. Ein Tambour, der wahrscheinlich von den letzten Affairen träumte und auf einem alten Fasse saß, schlug pianissimo einen Marsch zum Angriff. Nicht weit von dem kleinen Hause befanden sich Gruppen gefangener Piemontesen, von Grenadieren bewacht, die Soldaten lagen ermüdet am Boden, die Offiziere standen in Gruppen und blickten finster dem dahinziehenden Heere nach. Dies ganze lebendige Bild wurde vervollständigt durch zahlreiche Viehheerden, die den Bataillonen nachgetrieben wurden und durch schwere Karren mit Ochsen bespannt, auf welchen Weinfässer lagen. Die Pferde der Kavallerie schüttelten sich und schnaubten, von dem andern Flußufer drüben schallte zuweilen leiser Trommelschlag und einzelne Klänge der Feldmusik herüber. Zuweilen hörte man rückwärts ein Hornsignal, ein lustiges Soldatenlied und lautes Lachen, und dann und wann tiefes, kräftiges Gebrüll aus den Viehheerden.
Die Offiziere, die unter der Veranda saßen, waren zwei junge Männer, ein Rittmeister von den Husaren, ein Oberlieutenant von den Chevauxlegers. Letzterer war eben im Begriff, eine kleine lederne Tasche aufzuschnallen, die er am Sattel zu tragen pflegte, und worin er seine Cigarren aufbewahrte. Die Kleidung der Beiden war mit Staub bedeckt, sie trugen schwere Säbel, die Cartouche und Tschako, Helm und Handschuhe lagen neben ihnen auf dem Tische.
»So weit wären wir also,« sagte der Husar und ließ einen zufriedenen Blick über den Fluß schweifen, »an der Schwelle unseres Hauses glücklich angekommen und ich bin fest überzeugt, daß der alte Herr noch heute Abend kräftig anklopfen wird.«
»Wie ich höre,« versetzte der Chevauxleger, indem er sich seine Cigarre anbrannte, »wird sich Karl Albert nach Mailand zurückziehen und es sollte mich wahrhaftig ungeheuer freuen, wenn es da noch zu einem soliden Schlage käme.«
»Pah!« meinte der Husarenoffizier, »die schlagen sich nimmer, was wird's da unten geben? Ein paar Geschützaufstellungen, Proklamationen, einige wüthende Volks-Demonstrationen, voila-tout. Ich bin fest überzeugt, in zwei bis drei Tagen marschiren wir über den Domplatz, ich freue mich schon auf die Gesichter, wenn da die Bande spielt: »Gott erhalte unsern Kaiser.«
»Das ist alles schön und gut,« seufzte der andere Offizier, »aber wenn sie nur in unsern Quartieren zu Mailand nicht so jammervoll gehaust hätten; ach, meine schönen Waffen, das ist Alles verloren, und mein ganzes Silbergeschirr.«
»Nun, was das Letztere anbelangt,« lachte der Husar, »das wird noch zu ersetzen sein; aber mir ist's nur leid um das Bild der kleinen Julietta, das über meinem Divan hing. Wenn sie nur das Original nicht erwischt haben, ich fürchte sehr, es ist den armen Geschöpfen für ihre Anhänglichkeit an die östreichische Monarchie schlecht genug gegangen.«
»Ich glaube nicht,« warf der andere Offizier leicht hin, »die Meisten sollen sich in den fürchterlichen fünf Tagen gerettet haben; mir erzählte das ein Kamerad von den Jägern, sie seien in einem langen Zuge ausgewandert, Wagen von allen Kalibern, heulende Mädels und Koffer und Schachteln die Menge.«
Hier wurde das Gespräch unterbrochen durch einen lauten Anruf vom Fuß der Terrasse. Die Beiden sprangen von ihren Stühlen auf und bemerkten einen jungen Offizier mit niederem Hut und grünen Federn, der sich zu Pferd durch die Soldatengruppen langsam dem Hause näherte.
»Grüß dich Gott, Generalstäbler!« rief der Husar, nachdem er den Anreitenden erkannt; »woher des Weges? Du willst zum Hauptquartier? Na, komm' einen Augenblick herauf und mach' hier eine Haltstation.«
Der Generalstabsoffizier schwang sich vom Pferde, gab die Zügel einem Dragoner, der unten stand und stieg die Treppen hinauf.
»Wir haben uns lange nicht gesehen,« rief er lustig, »ich glaub' seit Verona nicht. Wie schaut's, was treibt ihr?«
»Wir warten hier geduldig,« entgegnete der Chevauxlegeroffizier, »bis wir den verdammten Fluß passiren dürfen. – Hast du vielleicht einen Befehl deßhalb mitgebracht, Generalstäbler?«
»Etwas der Art wohl,« lachte dieser, »aber von Passiren ist für heute keine Rede. Ihr werdet hier wahrscheinlich ruhig liegen bleiben; eine herrliche Nacht wird's geben, euer Wein ist auch nicht schlecht, wie ich merke, und so könnt ihr's schon aushalten.«
»Verdammt!« murrte der Husar, »seit vier Tagen sind wir beständig rückwärts und bekommen nicht einen feindlichen Pferdeschweif zu sehen; vom Einhauen ist schon seit langer Zeit keine Rede mehr.«
»Die da vorn,« sagte der vom Generalstab lachend, »haben es auch nicht besser, Pferdeschweife sehen wir freilich, auch Kanonenmündungen genug, aber alles das in der allerweitesten Entfernung.«
»Und bleiben wir wirklich heute hier?« fragte der Chevauxleger.
»Wahrscheinlich, doch erwarte ich noch einen Ordonnanzoffizier aus dem Hauptquartier. Kommt dort nicht etwas über die Brücke?« Bei diesen Worten richtete der Offizier vom Generalstab sein Fernrohr auf den Fluß und fuhr dann fort: »Richtig, es ist ein Husarenoffizier, der wird einen Befehl bringen, und wenn mich nicht alles täuscht, ist es unser lieber Graf S. Seht wie er seinen Gaul zurückhält, um ordonnanzmäßig im Schritt über die Brücke zu kommen. Ja, ja, er ist's! Jetzt hat er das Ufer erreicht, und läßt den Hügel herauf das Pferd ausziehen.«
Der also Angemeldete – es war wirklich Graf S. – flog den Uferrand hinauf und jagte an das Haus hin. »T'schau!« rief er freudig, als er die drei auf der Terrasse stehen sah, »grüß' euch Gott, freut mich sehr, euch zu sehen. Wo find' ich den Feldmarschall-Lieutenant? – Gleich hoff' ich zu euch zu kommen, hebt mir ein Glas Wein auf.«
»Reite nur ein paar tausend Schritte rechts hinüber,« antwortete der Husarenoffizier, nachdem er die Grüße herzlich und freundlich erwidert, »da wirst du auf der Anhöhe einen Bauernhof finden, dort ist er, wenn er nicht schon nach San Basano hineingeritten ist. Sieh' aber zu, daß du dich nicht lange aufzuhalten brauchst; – müssen wir hier bleiben?« rief er dem Davonreitenden nach, und dieser winkte ein Ja und war bald zwischen dem hügeligen Terrain verschwunden.
Die drei setzten sich an den Tisch, ließen eine neue Foglietta kommen und theilten sich ihre kleinen und großen Ereignisse mit. Es dauerte nicht eine Viertelstunde, da kam Graf S. wieder daher gesprengt, hielt an dem Hause, sprang behende vom Pferde und eilig die Treppe hinauf.
»Na, grüß' euch Gott nochmals!« rief er lustig, seine beiden Hände ausstreckend, die von den Andern herzlich erfaßt und gedrückt wurden.
»Jetzt habe ich erst einen Augenblick Zeit, mich zu freuen, daß ich euch wiedersehe, nur kurze Zeit leider, denn ich muß bald in's Hauptquartier zurück. – Wie ist's euch ergangen? – Keine Verwundung? Heil und gesund?«
»Alles wieder in Ordnung!« lachte der andere Husarenoffizier, »ich habe bei Curtatone einen kleinen Streifschuß erhalten, aber nicht von Bedeutung, war bald wieder zusammengeflickt; – und du? – dich hat man ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Weißt du noch, wo wir zuletzt und recht vergnügt beisammen waren?«
»Ob ich's weiß?« entgegnete Graf S., »das war zu Mailand bei dem Abschiedsdiner, das ihr mir gegeben, als ich nach Rom und Neapel ging, 's ist merkwürdig,« setzte er hinzu, »da sind wir jetzt wieder hier beisammen, beinahe all' die nämlichen Leute und mitten im Kriege, den wir damals so sehnlich gewünscht.«
»Ja, wahrhaftig!« sagte der Chevauxleger und erhob sein Glas, »es fehlen nur zwei, unser armer M. von eurem Regiment, der jetzt zu Mantua liegt, und unser lustiger Dragoner.«
»Letzterer,« bemerkte der Generalstabsoffizier, »ist Galoppin bei d'Aspre. Aber wie geht's dem armen M.? – Ist er schwer verwundet?«
»Er hat einen Stich in die Seite,« sagte der Husarenrittmeister, »aber sie hoffen ihn durchzubringen; trinken wir auf sein Wohl.« Alle erhoben die Gläser und tranken mit herzlichem Wunsch auf die baldige Genesung des verwundeten Kameraden.
»Damals und jetzt!« sprach Graf S., indem er sich ein anderes Glas eingoß, »seitdem sind nur vier Jahre verstrichen und hat sich Manches geändert, Manches zugetragen. Damals hatte ich eine schöne Zeit vor mir, eine herrliche, angenehme Zeit. Obgleich euer Wein hier nicht schlecht und die Salami zu genießen ist, so wäre mir doch ein Diner wie damals lieber. Wir haben in den letzten Tagen sehr wenig gehabt. Und damals meine bequeme Calesche vor der Thür, eine ruhige Nacht, angenehm dahingestreckt zu durchfahren und heute der Sattel meines müden Pferdes, und die Aussicht, während der Nacht mehrmals herausgetrommelt zu werden, denn was in der letzten Zeit für Depeschen versandt worden sind, habt ihr gar keine Idee, und immer des Nachts. Es ist gerade, als sei es zum Besten der Ordonnanzoffiziere so eingerichtet, daß die Anfragen ans Hauptquartier immer in der Dämmerung kommen und während der Nacht beantwortet werden.« »Und doch habt ihr's bei dem Hauptquartier am Besten,« sagte der andere Husarenoffizier lachend, »wo ihr einfallt, findet sich immer etwas, oder vielmehr, ihr fallt nur da ein, wo sich etwas findet, und dann bekommt ihr doch meistens ein Obdach, könnt euch im Trockenen ausstrecken und euch behaglich niederlegen, sei's auch nur auf Stroh oder Heu.«
»Allerdings,« entgegnete der Ordonnanzoffizier, »sind aber dafür auch, wie schon bemerkt, fast Tag und Nacht im angestrengtesten Dienst. Melde ich mich nachher im Hauptquartier, so heißt's unfehlbar: Sie haben den zweiten oder dritten Ritt heute Nacht; dann kann irgend eine Zufälligkeit kommen, die meine Vordermänner wegruft, und ich habe vielleicht einen nächtlichen Spazierritt von sechs bis acht Stunden. Aber,« setzte er lustig lachend hinzu und hob sein Glas gegen die Sonne, »um Alles in der Welt möchte ich nicht vertauschen jenen Abend mit heute und gebe nur der Herr der Schlachten, daß diese angenehme Zeit noch lange fortdauern möge!«
»Wozu indeß wenig Hoffnung ist,« sagte der Generalstäbler, »die Komödie ist aus oder wird morgen, übermorgen ausgespielt, Mailand ist eine brillante Schlußdekoration, dann fällt hinter Karl Albert und seinem Heere der Vorhang.«
»Aber, theuerste Freunde,« bemerkte jetzt Graf S., »es muß geschieden sein; ich muß ins Hauptquartier und möchte mich beeilen, denn ich sehe dort am Horizont verdächtige schwarze Wolken aufsteigen.«
»Verdammt!« sagten die beiden Kavallerieoffiziere, welche die Aussicht hatten, die Nacht über im Freien zu bleiben und schauten den finsteren Wolken zu, welche sich am Horizont drohend emporwälzten; »das wird eine nasse Nacht werden.«
»Und vielleicht eine blutige,« sagte der Generalstäbler; »General Bara hat sich mit einigen Truppen nach Pizzeghettone geworfen, er wird die kleine Festung gegen einen Handstreich sicher stellen wollen, um sein Fuhrwesen glücklich durch das dortige Defilée zu bringen. Kommt aber unsere Vorhut, die fortmarschirt, noch frühzeitig genug hin, so kann es einen ziemlichen Kampf geben.«
»Ei was!« sagte unmuthig der Rittmeister, »Regen und Blut ist ein großer Unterschied; ich würde mir nichts daraus machen, mich die ganze Nacht herumzuhauen, aber hier zu liegen und sich so langsam durchnässen zu lassen, das hole der Teufel. Nun, wie Gott und Vater Radetzky will.«
»Amen!« sprach der Generalstabsoffizier und setzte seinen Federhut auf; »aber jetzt wollen wir reiten, es ist mir immer, als hörte ich gegen Pizzeghettone zu Kanonendonner, es sollte mich auch gar nicht wundern, wenn die Piemontesen dort irgendwo eine schöne Masse Geschütz aufführten, um das rechte Addaufer zu decken.«
»Ich glaube, was dahinten rollt, ist himmlischer Donner,« sagte der Chevauxleger und blickte nachdenklich an den Himmel, dessen vorhin noch so klare blaue Farbe in außerordentlicher Geschwindigkeit mit leichten grauen, einem Gewitter vorausjagenden Wolken bedeckt wurde.
»Adieu! – lebt wohl! – Auf glückliches Wiedersehen in Mailand! – T'schau!«
Graf S. und der Offizier vom Generalstab schwangen sich auf ihre Pferde und ritten in scharfem Trabe der Brücke zu, dann im Schritt über die knarrenden Pontons und auf dem rechten Ufer des Flusses trennten sie sich, denn der Generalstäbler eilte zum ersten Armeekorps, der Husarenoffizier aber nach Formigara, wo der Feldmarschall Radetzky sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte.
Vier Jahre waren vergangen, seit der junge Husarenoffizier nicht mehr in diese Gegend gekommen war. Nachdem er seine große Tour nach Rom, Neapel, Paris und Wien beendigt, war er dorten als Oberlieutenant zu einem andern Husarenregiment versetzt worden und da verblieben, bis in der Lombardei der Krieg ausbrach, worauf er sich zur Armee nach Italien meldete, und als guter Offizier und gewandter Reiter gern zum Ordonnanzoffizier ernannt wurde.
Der Abend war bereits hereingebrochen, als er Formigara, ein kleines Dörfchen, erreichte. Auf der Straße bewegten sich dichte Colonnen Artillerie und Fuhrwerk und ließen ihn nur im Schritt vorwärts kommen. In der Nähe des Orts mehrte sich das militärische Getümmel. Auf den Feldern rechts und links lagerte Infanterie und Kavallerie; Holz wurde herbeigeschleppt und hie und da stieg dichter Dampf auf von den Lagerfeuern, die man im Begriff war, anzuzünden. Auf der Straße in Formigara drängte und wogte es durcheinander. Dort hielten lange Reihen Ochsenkarren mit Weinfässern beladen, und in großen hölzernen Kannen wurden die Portionen für die Soldaten ausgetheilt.
Das Haus, in welchem der Feldmarschall wohnte, ein kleines unscheinbares Gebäude, bot ganz ein bewegtes Bild des Hauptquartiers. An allen Fenstern lehnten Offiziere in den verschiedensten Uniformen, im Hofe standen Equipagen und Packwagen, an deren Deichseln abgesattelte Pferde befestigt waren. Unter dem Thorbogen hielten Ordonnanzen und die jungen Offiziere des Hauptquartiers, welche wohlgemuth dem Lärm und dem Jubel der vorbeiziehenden siegestrunkenen Soldatenhaufen zuschauten.
In dieses Gewühl hinein lenkte Graf S. sein Pferd und wurde von den Kameraden freundlich bewillkommt. Er mußte erzählen, wie es drüben ausschaue, und überbrachte Grüße von Bekannten und Freunden, die man lange nicht gesehen.
»Dein Schimmel wird müde sein,« sagte ein junger Uhlanenoffizier lachend, und der Graf entgegnete lustig:
»Wie sein Herr. Ich bin jetzt heute schon vierzehn Stunden im Sattel gewesen; habt ihr irgendwo ein Obdach, wo man sich ein wenig ausstrecken kann?«
»Obdach genug,« antwortete der Andere, »auch sogar ein schönes breites Bett. Aber du freust mich, wenn du jetzt schon an's Ausruhen denkst, da droben schreiben sie, daß die Federn davon fliegen; Major E. siegelt eine Depesche nm die andere. Ich und F. und M., wir haben schon unsere Bestimmung, und der nächste Befehl, der hinaus muß, ist für dich. Geh' nur gleich drüben in das Haus neben der Kirche, du wirst da deinen Burschen mit den Pferden finden.«
Der Graf zuckte lachend die Achseln, nahm einen tüchtigen Zug aus einer dargebotenen Feldflasche und zog seinen müden Schimmel dem bezeichneten Hause zu. Dort fand er richtig seine übrigen Pferde, befahl, daß man ihm seinen Rappen, ein starkes Pferd von englischer Abkunft, fertig mache und kehrte darauf in's Hauptquartier zurück, um für den Dienst bereit zu sein. Hier fand er denn auch schon beide Kameraden eben im Begriff, zu Pferde zu steigen, um in den dunkelnden Abend hinauszureiten. Der Eine ging zurück über die Adda, der Andere zum ersten Armeekorps gegen Maleo.
»Jetzt sind wir beide allein noch übrig,« sagte der junge M., ein lustiger Dragoneroffizier, »ich habe ein schweres Paket an d'Aspre zu überbringen und mich soll der Teufel holen, wenn ich nur eine Idee davon habe, wo ich ihn eigentlich finden solle. Das Nachreiten ist überhaupt nicht meine Passion, man rennt da zwischen Wagen und Geschütz hinein, wenn man auf der Straße bleibt, und fällt in schmutzige Wassergräben, wenn man querfeldein galoppirt. Aber was hilft's? geritten muß sein, dort wackelt schon eine Ordonnanz die Treppen herunter und bringt meine Depesche. Addio Caro, bis morgen zum Kaffee oder zum Mittagessen, der Teufel weiß wo?« Mit diesen Worten warf der Dragoneroffizier die goldene Schärpe über die Schulter, zog die Quasten auf der rechten Seite herab und schwang sich auf seinen Braunen. Das Pferd war frisch und muthig, der Reiter ebenso, und nach einem Händedruck, ein paar Courbetten auf dem Pflaster, laß die Funken sprühten, verschwand er in der Nacht. Noch eine Zeit lang sah man seinen weißen Waffenrock glänzen, dann verlor er sich in der allgemeinen Finsterniß.
Graf S. ging in das Haus hinauf, suchte und fand ein paar bekannte Offiziere, mit denen er ein äußerst frugales Souper verzehrte, eine Cigarre rauchte und sich darauf, ermüdet wie er war, mit Atila und Säbel auf einen Strohsack warf, den er im Vorzimmer fand, wo er baldigst in einen tiefen Schlaf fiel.
Er hatte so einige Stunden ruhig geschlafen, da wurde er erweckt und sah den Major E. vor sich stehen, der es unendlich bedauerte, gezwungen zu sein, ihn aus dem Schlafe wecken zu müssen. »Es ist Niemand da, Theuerster,« sagte der Major, »und obgleich ich weiß, wie stark Sie schon im Dienst waren, so kann ich doch nicht umhin, Sie wieder in die Nacht hinaus zu schicken.«
Augenblicklich war der junge Husarenoffizier munter und auf den Beinen, rückte Säbel und Cartouche zurecht, und vernahm den Befehl, vorsichtig gegen Pizzeghettone zu reiten, um im Fall die Oesterreicher dort schon eingerückt seien, dem General S. einen wichtigen Befehl zu überbringen. Der Major als freundlicher und guter Kamerad gab dem jungen Ordonnanzoffizier die Hälfte eines starken schwarzen Kaffee's, den er für sich selber hatte machen lassen, dann erhielt dieser seine Depeschen und eilte die Treppen hinunter in das andere Haus zu seinen Pferden. Der Rappe war im Augenblick fertig gemacht, Graf S. warf seinen weißen Mantel über, bestieg das Pferd und ritt langsam zum Dorfe hinaus.
Das Wetter hatte sich unangenehm verändert. Ringsum herrschte eine Finsterniß, daß man im wahren Sinne des Wortes keine Hand vor den Augen sehen konnte; am Himmel glänzte nicht ein Stern und es fegte zuweilen jener scharfe trockene Wind, das schwere Athmen eines heftigen Gewitters, bevor es seinen Mund öffnet, um Feuer und Verwüstung auszuspeien. Die Lagerfeuer auf den Feldern waren kaum zu erhalten und die gestörte Flamme flackerte ängstlich hin und her. Die Pferde in den Bivouaks schüttelten sich und streckten die geöffneten Nüstern in die Luft hinauf. Man bemerkte fast keinen Soldaten, der sich hingestreckt hatte, um zu schlafen, fast alle waren munter, saßen in den Gräben oder standen auf der Chaussee in Gruppen an den schwarzen Nachthimmel deutend, der zuweilen am Horizont durch einen jähen Blitz erhellt wurde.
Wo Graf S. bei einem Trupp Offiziere vorbei kam, da wurde er mit freundlichem Wort begrüßt, nicht ohne daß man hinzusetzte: »Geben's Achtung, wir werden was Gehöriges abkriegen.« Bald ließ der junge Ordonnanzoffizier die Lagerplätze und Bivouaks hinter sich und ritt auf der einsamen Straße dahin. Seine Gedanken übersprangen einen Zeitraum von vier Jahren, und er gedachte jener Nacht, wo er von Mailand ausfuhr fast denselben Weg, jener Nacht voll Blumenduft, Nachtigallenlied und Liebeszauber, die von der heutigen so himmelweit verschieden war. Auch jenes Mädchens gedachte er, und der drei Küsse, und wenn er auch seit jener Zeit manche warme Lippen berührt, so konnte er doch jene heiße, süße Stunde nicht vergessen. Heute aber hörte er nicht Nachtigallenlied, wohl aber das Heulen des Windes, das Rollen des Donners, der über seinem Haupte immer näher und näher tönte. Bäume und Büsche an der Straße bogen sich tief vor dem Grimme des Sturmes und sein Rappe schauerte zusammen vor den heftigen Blitzen, die sich zwischen den schwarzen Wolken kreuzten.
Jetzt begegnete er einer Kavalleriepatrouille, die ihm entgegen kam, und der Führer derselben, ein alter Wachtmeister, meldete, daß, soviel er am Fluß bemerkt habe, die Piemontesen so eben im Begriff seien, Pizzeghettone zu verlassen, und daß sich der Offizier nicht zu sehr zu beeilen brauche, um mit der österreichischen Vorhut dort einzutreffen.
Es mochte ein Uhr in der Nacht sein, und das Unwetter fing an sehr heftig zu werden. Der Wind war so stark, daß sich der Rappe kaum in seiner Richtung erhalten konnte. Heulend umsauste er den Reiter, warf ihm Sand und Steine in's Gesicht, und riß starke Aeste von den Bäumen, die er rechts und links neben dem Pferde niederschmetterte. Der Regen strömte herab, Hagelkörner in außerordentlicher Dicke schlugen mit fürchterlicher Gewalt auf Roß und Reiter, so daß das geängstigte Thier von dem kräftigen Offizier kaum in Ruhe erhalten werden konnte. Es war ein fürchterlicher, unheimlicher Ritt. Eine Stunde mochte der Gewittersturm so mit ungeminderter Heftigkeit gedauert haben, als der Regen und das Sausen des Windes etwas nachließ und sich auf Augenblicke in leichtes Wehen verwandelte.
In solchen Momenten kam es dem Reiter vor, als vernehme er vor sich das Rasseln von Fuhrwerken und kaum hörbar, das Getümmel von Infanterie- und Kavalleriecolonnen, die in ziemlicher Entfernung vor ihm vorüberzogen. Der Wind führte diese Klänge bald schwächer bald stärker an sein Ohr; er hielt sein Pferd an und beugte sich vor, um sich möglicher Weise zu orientiren, ob da vor ihm Freund oder Feind zöge, und zu überlegen, ob er zur Seite oder vorwärts reiten solle. Etwas zur linken Hand mußte Pizzeghettone liegen, von dort aus gegen rechts zu zog das Getöse, das er vernahm. Also konnten es nur die Piemontesen sein, welche so eben die Festung verließen. Er wandte sein Pferd etwas links, und begann nach der Richtung hin zu reiten, wo er die Stadt und den Fluß vermuthete, er mußte sich nah bei letzterem befinden, doch es war so dunkel, daß die Fluth nicht leuchtete. – –
Auf einmal prallte der Rapp zurück und der entsetzte Reiter zog die Zügel fest an und griff willenlos nach dem Säbel an seiner Seite. – – Vor ihm spaltete sich die dunkle Nacht, es war als berste die Erde bis tief in ihre Eingeweide, bis zu dem ungeheuren Feuerpfuhl, der sich dort befinden soll, eine fürchterliche Lohe schlug aus dem Boden; rothe und gelbe Flammen, die in Myriaden von glühenden Funken ausliefen und den ganzen Himmel mit einer feurigen Lohe bezogen – es war eine Pulverexplosion von entsetzlichem, einige Bekunden andauerndem Krachen begleitet. – Nur einen Augenblick dauerte dieses furchtbare Feuer, aber im Scheine desselben sah der junge Offizier, daß er vielleicht eine Viertelstunde von der Festung entfernt war und bemerkte nach dem ersten Moment der Ueberraschung, daß man dort die Brücke über die Adda gesprengt habe. – Bald war Alles gegen den furchtbaren Schein von so eben wieder in tiefe Nacht versunken. und die Flammen, die jetzt noch an dem zersprengten Werk leckten, waren wie kleine unbedeutende Lichter dagegen. Die Erde hatte gezittert ob dem furchtbaren Krachen und der Rappe bäumte sich hoch auf und strengte sich an, rechts oder links ins Feld hinaus zu fliehen, um dem schrecklichen Phantom vor seinen Augen zu entgehen.
Nachdem der Reiter sein Pferd beruhigt und eine kurze Weile überlegt, was zu thun sei, entschloß er sich, näher an die Festung zu reiten. Daß die Piemontesen dieselbe verlassen, dessen war er jetzt gewiß, denn es waren ihre Kolonnen, die er vorhin gehört und sie hatten die Brücke gesprengt, um den Oesterreichern den Uebergang zu verwehren. Doch horch! – Was vernahm er jetzt durch die Nacht?
Ein befreundetes Signal, das lustige Klingen eines Jägerhorns. Aha! dachte er freudig, die Unsrigen sind hart dabei, da kann sich Ende und Anfang noch zusammen verbeißen! Doch ging letztere Vermuthung und guter Wunsch nicht in Erfüllung. Die Piemontesen hatten Pizzeghettone verlassen, hatten bei ihrem Abmarsch die Brücke und einen Pulverthurm in die Luft gesprengt, welche Explosion entsetzliches Unheil verursachte und sehr vielen von den eigenen Leuten das Leben kostete. Ueberhaupt war der heutige Tag und die Nacht für die Feinde unheilvoll gewesen und der furchtbare Gewittersturm, der den Grafen S. im Felde überraschte, hatte schwer unter den piemontesischen Marschcolonnen gehaust und Menschen und Pferde waren von umgerissenen Bäumen und sogar von Hagelkörnern nach Angabe ihres eigenen Generals Bara erschlagen worden.
Nachdem Graf S. in Pizzeghettone seine Depesche glücklich abgegeben und sich einen Augenblick unter den Gräueln der Verwüstung umgeschaut, verließ er die Stadt wieder und setzte über die Adda, um nach Nasal Pustellengo zu gelangen, wo er das Hauptquartier des vierten Armeekorps zu finden hoffte. Durchnäßt wie er war, und ergriffen von all' dem Schrecklichen, das er geschaut, ritt er seine einsame Straße, sich eingestehend, daß der Krieg etwas Schreckliches sei. Neben ihm lauschte der Fluß und da das Sausen des Windes gänzlich aufgehört hatte, so hörte er vor und neben sich nichts als das Murmeln des Wassers oder das Schnauben seines Rosses, das bei jedem Schritte in den aufgeweichten Boden einsank. Sein durchnäßter Mantel hing schwer an seinem Körper und von seinem Haar und Bart rollten dichte Wassertropfen herab. Es regnete immerfort, nicht mehr heftig, wie bei Anfang des Gewitters, aber fein und durchdringlich. So mochte er eine Stunde fortgeritten sein, als er vor sich Pferdegetrappel hörte und eine Uhlanenpatrouille einholte, von welcher er erfuhr, daß sich das vierte Armeekorps in Casal Pusterlengo befinde. »Wenn Sie etwas scharf reiten,« sagte ihm der Führer der Patrouille, »so werden Sie in Kurzem auf eine Schwadron Chevauzlegers stoßen, welche die Nachhut bildet.« Der Rappe flog gehorsam dem Schenkeldruck davon und bald erblickte der junge Ordonnanzoffizier vor sich eine Masse Kavallerie, sah matt leuchtende Helme und weiße Mäntel durch das Dunkel der Nacht schimmern. In Kurzem hatte er die Schwadron erreicht und fand seinen Freund, den er Nachmittags unter der Veranda an der Adda gelassen. Beim Anblick desselben, durchnäßt, beschmutzt, den Mantel schwer herabhängend, das Pferd mit eingezogenem Schweife gehend, konnte er sich eine Idee machen, wie er selbst aussehen müsse. Die Leute ritten still und mißmuthig ihres Weges, denn keiner von ihnen hatte einen trockenen Faden am Leibe. Der Chevauzlegeroffizier bemühte sich, eine sehr durchfeuchtete Cigarre brennend zu erhalten. »Verdammtes Wetter!« rief er dem Ordonnanzoffizier zu, »wir haben eine brillante Nacht gehabt. Hat bei euch drüben auch der Gewittersturm so gehaust?« Jetzt ritten auch die anderen Offiziere der Schwadron, nachdem sie einen Kameraden bemerkt, der nicht zu ihnen gehörte, heran und erkundigten sich wie es in Pizzegbettone und Formigara ausschaue.
»Habt ihr auch bemerkt,« sagte der Rittmeister, »wie die Brücke in die Luft flog? Ein merkwürdig schöner Anblick, und hat's nicht gekracht, als wenn zehntausend Geschütze gelöst würden. Gratulire den armen Teufeln, die da um den Weg waren.«
»Es sieht schauerlich da drinnen aus,« entgegnete Graf S., »doch glaube ich nicht, daß einem der Unseren etwas passirt ist. Aber von ihren eigenen Leuten haben sie genug mit in die Luft hinauf gesprengt. Doch nehmt mir's nicht übel, ihr reitet mir zu langsam, ich will sehen, daß ich durchkomme. Ich versichere euch, an meinen Steigbügeln läuft so viel Wasser herunter, um ein Pferd zu schwemmen.«
»Meinst du vielleicht wir seien trockner?« sagte lachend der Chevauxlegeroffizier; »aber du hast Recht, reit' nur zu und mach' uns in Pusterlengo ein ordentliches Quartier. Addio!«
Wir wollen nur gestehen, daß eine süße, angenehme Erinnerung den jungen Offizier nach dem benannten Orte hinzog. »Ei!« dachte er, »das Kriegsspiel wirft dich dort hinein, in denselben Ort, den du freiwillig nicht aufgesucht hättest; vielleicht sogar in ihr Haus, unter ihr schützendes Dach.« Und nun malte er sich mitten in dem herabrieselnden Regen ein angenehmes behagliches Bild aus, wie er vor das Posthaus in Pusterlengo reiten, absitzen, eintreten wolle, und zu dem erstaunten Mädchen sagen: »Siehst du, Terefina, da bin ich wieder, nach vier Jahre langer Abwesenheit und ich hätte dich auch heute nicht wieder gesehen, denn du hattest es mir verboten; doch bin ich hieher befehligt, wir leben im Kriege und im Kriege kann man es nicht so genau nehmen.« Dann wird sie lachen, dachte er ferner, und da schon in ihrem Hause viele Offiziere wohnen, wegen den Stallungen vielleicht sogar das Hauptquartier dort liegt, so wird sie für den Bekannten so ein kleines hübsches Hinterstübchen aufschließen, das in den Garten hinausgeht, und ihn da heimlicher Weise einquartieren. Wie mag die Kleine heute ausschauen! etwas stärker, vielleicht der Blick des Auges, etwas schmachtender und wenn sie lacht, zeigt sie ihre schönen weißen Zähne noch mehr als damals.
Unter diesen Gedanken war er scharf zugeritten, hatte Fuhrwerk und Artillerie passirt und war mit Mühe unverletzt zwischen den Rädern durchgekommen. Verdrossen lenkten die Gemeinen vom Fuhrwesen ihre Pferde, die Corporale und Offiziere, in ihre Mäntel gewickelt, schauten sich kaum um nach dem vorbeireitenden Husaren; man hörte kein Wort, kein Lachen, nichts als das Schnauben der Pferde und das Klirren der Aufhaltketten.
Der Graf S. mußte seine ganze Aufmerksamkeit seinem Rosse widmen, um zwischen den bösartigen Fuhrwesenspferden ungeschlagen und zwischen den Rädern ungequetscht durchzukommen. Jetzt passirte er einen langen Brückentrain, derselbe, der heute an der Adda gebraucht worden war, und dann kam Infanterie in langen und dichten Colonnen. Aber Alles schlich trübselig unter dem dichten Regen weiter und die Bataillone nahmen fast die ganze Straße ein, so daß es hier noch schwerer war, durchzukommen. Endlich erreichte er die Tête der Colonne, wechselte mit den Offizieren, die vorne ritten, ein paar Worte und hatte jetzt wieder ein Stück freie Straße vor sich.
Im Osten begann das schmutzig graue Gewölk eine kleine lichtere Färbung anzunehmen, und ganz tief am Horizont wand sich mühsam ein kleiner gelber Streifen in die Höhe. Pusterlengo konnte nicht weit mehr entfernt sein und der junge Offizier, der, neben einem guten Feuer, um seine Kleider zu trocknen, auch von einem angenehmen schwarzen Kaffee träumte, freute sich der Morgenluft, die ihn frostig anblies, und dachte bei sich selber: »Der Cecco muß auch herangewachsen sein, ich will doch sehen, ob der kleine Schlingel meine Feldmütze nicht in tausend Stücke zerrissen hat. Es wäre doch außerordentlich komisch, wenn ich sie nach vier Jahren wiederfände.« – Ein lustiger Zungenschlag und der Rappe trabte durch den unergründlichen Schmutz weiter. Doch dauerte das schnelle Reiten nicht lange, bald wimmelte es wieder von Gestalten auf der Straße und bei der nebelhaften Dämmerung des anbrechenden Morgens bemerkte er ein Bataillon Jäger, die ebenfalls des Weges zogen. Selbst diese sonst so lustigen Bursche hatte die scheußliche Nacht einigermaßen herabgestimmt, und wenn man hier auch schon mehr sprechen hörte, als bei den Infanterie- und Kavalleriecolonnen, so bezog sich doch Alles, was gesagt wurde, auf eifrige Wünsche nach einem bald erscheinenden trockenen Morgen und nach einem guten Feuer.
An der Spitze des Bataillons bemerkte der Husarenoffizier eine Patrouille Uhlanen, zwischen denen ein Mann zu Fuß ging, in der Tracht der wohlhabenden Bauern der Umgegend, dessen Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt waren. Doch war seine Kleidung zerrissen und mit Schmutz bedeckt, er hatte keine Kopfbedeckung, sein schwarzes Haar hing über die Stirne und er ging in dem tiefen Schmutz anscheinend gleichmüthig dahin, den Blick auf den Boden gesenkt.
Graf S. wollte vorbeireiten, doch hörte er neben sich ein lautes lachendes Halt! und als er aufblickte, bemerkte er zur Seite einen Offizier zu Pferde, den er erst dann erkannte, nachdem sich derselbe aus dem großen grauen Mantel herausgeschält, und den Hut mit den grünen Federn etwas in die Höhe gerückt hatte. Es war der Generalstäbler.
»Grüß dich Gott!« rief er lustig dem Husarenoffizier zu, »nicht wahr, da finden wir uns bei einem schönen Wetter abermals zusammen? Und ich habe mir obendrein einen wahnsinnigen Schnupfen geholt. Hast du nicht zufällig ein trockenes Taschentuch bei dir? das meinige ist durch und durch naß.«
»Vielleicht kann ich dir helfen,« entgegnete der Husar; »wenn meine undurchdringliche Tasche am Sattel ihren Dienst gethan hat so bekommst du nicht nur ein trockenes Schnupftuch, sondern noch obendrein eine ordentliche Cigarre.«
»Husaren sind gar wackere Truppen!« sang der Generalstäbler; »und dafür sollst du auch einen Schluck ächten Kirschwassers bekommen.«
Die undurchdringliche Tasche hatte ihren Namen gerechtfertigt und Cigarren, Schnupftuch und Kirschwasser wurden ausgetauscht.
»Wo reitest denn du eigentlich hin?« fragte der Generalstabsoffizier. »Du bist doch nicht seit gestern Abend auf dem Pferde?«
»Beinahe so,« entgegnete der Andere, »ich habe nur den Schimmel mit dem Rappen vertauscht und eine Stunde geschlafen, aber beruhige dich, dafür auch das ganze Unwetter von heute Nacht ausgehalten.«
Die beiden Offiziere blieben einen Augenblick halten, um sich ihre Cigarren anzuzünden, während welcher Zeit die Uhlanen mit dem Gefangenen vorbeizogen.
»Wen habt ihr da?« fragte der Husarenoffizier.
»Es ist ein Spion,« entgegnete der Andere, »ein verfluchter Kerl, der uns genug zu schaffen gemacht hätte, wenn die Piemontesen mehr Lust zum Schlagen gehabt. Er wird nach Casal Pusterlengo ins Hauptquartier gebracht.«
»Und hat man Verdächtiges bei ihm gefunden?«
»Mehr als genug, um ihn zu erschießen. Er soll ein wohlhabender Mensch sein, der es nicht wegen Lohn gethan, sondern aus Haß gegen uns. Gestern fand man einen Postillon, einen treuen Kerl, der mit Depeschen verschickt war, erschossen in der Nähe des Flusses und während der Nacht wurde der da aufgegriffen und trug einen Theil jener Depeschen bei sich.«
Der Husarenoffizier zuckte mitleidig die Achseln und blickte den Gefangenen einen Augenblick an. Es ist immer traurig, einen Menschen zum Tode führen zu sehen, selbst wenn es ein Spion ist; und den da konnte Niemand retten. Es war vor Aufbruch der Colonne über ihn abgeurtheilt worden. Man führte ihn nun nach Casal Pusterlengo, wo er wohnte, um die Ortsbehörde über ihn zu vernehmen. Vielleicht war es ja doch noch möglich, etwas zu seinen Gunsten zu erfahren.
Bald hatten die beiden Offiziere die Kolonnen hinter sich gelassen und näherten sich dem Dorfe. Der gelbe Streifen am Horizont hatte sich mittlerweile vergrößert und die grauen Wolken, die bisher nur eine Masse bildeten, trennten sich nun von einander, das Tageslicht drang durch die einzelnen Schichten und breitete sich über den ganzen Himmel aus; aber es war ein graues trübes Licht, ein unangenehmer Morgen, die Wolken hingen tief herab und schwebten schwerfällig über die weite Ebene dahin. Die Bäume und Gesträuche an der Straße beugten sich unter dem scharfen Morgenwind und sprühten das angesammelte Regenwasser auf die Erde. Die Wassergräben rechts und links am Wege waren angeschwollen und bis an die Ränder gefüllt mit einer braunen lehmigten Brühe. Die Halme der Reisfelder erschienen umgeweht und vor Wind und Kälte zu zitter».
Die Offiziere lachten, als sie sich gegenseitig anblickten und nun bemerkten, wie der Ritt der vergangenen Nacht ihre Uniformen zugerichtet. Die Pferde waren bis an den Sattel mit Koth bespritzt, die weißen Mantel hatten eine breite braune Bordüre und Stiefel, Sporen, Säbel waren mit dickem Straßenschmutze bedeckt.
In der Nähe des Orts erreichten sie eine neue Colonne, alle Straßen waren mit Militär bedeckt, das Hauptquartier befand sich in einem großen Gebäude im Städtchen selbst und dahin lenkten die beiden Reiter ihre Pferde, stiegen ab und traten in das Haus. Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis der Ordonnanzoffizier abgefertigt war und sein Pferd wieder besteigen konnte, worauf er augenblicklich davon ritt, um dem Posthaus draußen einen Besuch zu machen.
Der Regen hatte aufgehört, ganze Reihen Infanterie standen in den Straßen und die Einwohner brachten den ermüdeten und durchnäßten Soldaten an Speise und Trank, was sie besaßen. Wurden doch die österreichischen Soldaten auf dem Wege nach Mailand fast allenthalben als »unsere Befreier« begrüßt, eine Aeußerung, die freilich eben so sehr der Sehnsucht nach dem Aufhören der Kriegsdrangsale, als der Anhänglichkeit an das Kaiserhaus beizumessen war.
Jetzt lag das Postgebäude vor den Blicken des jungen Offiziers, hier der Stall, dort das Wohnhaus. Vor ersterem befanden sich ein Trupp Chevauxlegers, welche beschäftigt waren, ihre Pferde in die warmen Räume zu ziehen. Einzelne Postillone halfen ihnen dabei und einer hielt dem Husarenoffizier sein Pferd, worauf er abstieg, und nach der Familie des Posthalters fragte.
Der Postillon blickte sich schüchtern nach dem Hause um und zuckte die Achseln. »Da ist das Haus,« sagte er, »die Thür steht offen. Geht hinein, Herr, ich weiß nicht, ob Ihr Jemand findet. Doch ist Platz genug da, um Euren nassen Mantel aufzuhängen. Ich will nur das Pferd besorgen, dann komme ich nach und mache Ihnen ein Feuer.«
»Ist denn Niemand in dem Hause? Niemand von der Familie des Posthalters?« fragte der Offizier dringend und dieselbe Antwort war: »Ich weiß nicht, Herr, geht nur hinein.«
Kopfschüttelnd ging der Offizier dem Hause zu. Da lag auf der Schwelle der große zottige Hund, dessen er sich wohl noch erinnerte; das Thier sah ihn an, und wedelte mit dem Schweife, als er über die Schwelle durch die geöffnete Hausthüre trat. Dann folgte er ihm langsam. Der Offizier schritt durch den Hausgang und es zog ihn zu dem Zimmer am Ende des Gebäudes hin, vor dessen Fenster er damals in der Nacht gestanden. Er öffnete die Thür und trat hinein. Das Fenster nach der kleinen Anhöhe stand offen, und wie damals wiegte sich das Rebenlaub vor demselben, doch nicht vom milden Glanz des Mondes bestrahlt, sondern von dem grauen Licht eines nebeligten Morgens, und von den feuchten Blättern rieselten schwere Regentropfen herab. In dem Zimmer befanden sich zwei Kinder, eines von ungefähr sechs Jahren, welches beschäftigt war, verglimmende Kohlen auf dem Heerde anzublasen. Das andere von vielleicht zwei Jahren saß daneben auf dem Boden in einem dünnen Kleidchen und hatte die kleinen Hände unter dasselbe gesteckt, um sie zu erwärmen. Das größere Kind war ein Knabe, das kleinere schien ein Mädchen zu sein – ihr Mädchen. Es waren ganz ihre Züge, ganz ihre großen glänzenden Augen. »Teresina,« sagte der junge Offizier, und das Kind am Boden drehte den Kopf herum und schaute ihn lächelnd an.
Die Sachen, die im Zimmer umher standen, sahen nicht ärmlich aus, doch lag Alles in großer Unordnung durcheinander. Es durchschauerte den jungen Offizier, er wußte selbst nicht weßhalb. Der Knabe, – es mußte der Cecco sein, den das Mädchen damals auf dem Schooße hatte, – versicherte ihn keck und ohne Furcht, das Feuer werde im Augenblick brennen. Schon wollte sich Graf S. zurückziehen, um den alten Postillon, der ihm das Pferd abgenommen, um Auskunft zu bitten, als dieser mit einem Arm voll Reisig hereintrat.
»Ist denn Niemand im Hause?« fragte Graf S., »als diese Kinder? Wo ist denn der Posthalter? Und –«
Der Postillon warf das Holz auf den Kamin, zuckte abermals mit den Achseln und fragte: »Waren Sie schon früher in dem Hause?«
»Vor ungefähr vier Jahren.«
»Ja so.«
»Damals sah ich – ich war nur einen Augenblick hier, während des Umspannens in der Nacht – damals sah ich zufällig ein sehr schönes Mädchen hier.«
»Die Teresina!« sagte ernst der Postillon, »dort am Boden sitzt ihr Kind.«
»Und sie?«
»Nun sie – ist glücklicher Weise vor einem Jahr gestorben. Er hat's ihr gar zu schlecht gemacht.«
»Wer? – Ihr Vater?«
»O nein, der starb schon früher, – ihr Mann, unser jetziger Herr.« Bei diesen Worten schauerte er zusammen.
»So, so! der Posthalterssohn aus Piazenza?« forschte der Offizier mit gepreßter Stimme weiter.
»Sie haben ihn gekannt, Herr?«
»Das nicht, aber von ihm gehört,« entgegnete der Graf.
»Das glaub' ich,« sagte der alte Postillon finster, »der hat sein Schicksal verdient. Ein so braves Weib, ein so gutes und schönes Weib! Der Vater hat sie gezwungen, ihn zu heirathen, den aus Piazenza, er war immer ein böser Kerl, und doch hat sie an ihm gehangen, treu und ehrlich, aber ihm geschieht sein Recht, es ist hart für die armen Kinder; aber ihm geschieht sein Recht.«
»Aber was geschieht ihm denn, oder was ist ihm geschehen?« fragte der Offizier und stützte sich auf das Kamingesims, denn ihm ahnte etwas Schreckliches.
»Nun, er hat es so lang getrieben, bis sie ihn endlich gekriegt,« entgegnete der Postillon mit leiser Stimme, »so eben haben sie ihn als überwiesenen Spion eingebracht. Sie müssen das wissen, Herr, denn Sie ritten ja vor ihm ins Dorf, und dem kann Niemand mehr helfen, nicht einmal der Feldmarschall selbst, wenn er hier wäre.«
»Ja so, ja so!« sagte der Offizier ganz leise und blickte auf das kleine Mädchen am Boden, das herangerutscht war und nach seinem Säbel griff, um damit zu spielen.
Er wandte tief erschüttert einen Augenblick das Gesicht ab, holte seine Börse heraus, die voll Gold war, und legte sie in die Hand des alten Postillons. »Ihr scheint mir ein braver Mann,« sagte er, »bewahrt das dem Kinde auf und gebt es ihm später.« Dann hob er das kleine Mädchen zu sich in die Höhe, drückte drei innige Küsse auf den warmen lieblichen Mund des Kindes und ging schweigend zur Thür hinaus.
»Jetzt wird das Feuer gleich brennen,« rief der Cecco, »Ihr könnt Euch wärmen, Herr Offizier!«
Doch dieser hatte schon eilenden Schrittes das Haus hinter sich, zog sein Pferd aus dem Stalle, schwang sich auf und warf einen letzten Blick auf das Postgebäude.– – Da hörte er zu seiner Linken draußen von den Feldern her einen kurzen Trommelwirbel und einige Flintenschüsse. Er ließ dem Rappen die Zügel, drückte ihm hastig die Sporen ein und jagte hinaus auf die Straße, die gegen Lodi führt.