Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wenn ein jugendliches Gemüth natürlichen Muth besitzt, eine etwas lebhafte Phantasie und einigen Leichtsinn, und viele edle Bücher gelesen hat, als da sind Spieß und Kramer und andere, so kann es unmöglich glauben, daß jenes großartige, geharnischte Zeitalter mit dem blanken Rüstzeug, mit den wallenden Federbüschen und den schönen Damen auf lichtbraunen Rossen so gänzlich vom Erdboden verschwunden seyn solle. Hat einen das Schicksal, wie mich, hinter den Ladentisch in ein kleines Städtchen geworfen, wo es kein Militär gibt, so kann es ihm gar leicht ergehen wie mir.
Der Soldatenstand war für mich derjenige, in welchem die alte Ritterzeit fortlebte, in dem noch der kriegerische Geist, das frische, lebendige Leben der Herren und reisigen Knechte des Mittelalters zu finden war. Nur das Thal, in dem unsere Stadt lag, schien mir entgeistert und öde; hinter den Bergen, die es begrenzten, da mußte es anders seyn. Unfehlbar gab es dort noch dichte Wälder, wo böse Drachen auf den vorüberziehenden Wanderer lauerten, und stille Seen, an denen weißgekleidete Jungfrauen, die Hände ringend, auf Erlösung aus den Klauen des furchtbaren Riesen harren, welcher sie an langer goldener Kette gefesselt hält.
Einmal in meinem Leben hatte ich zwei Offiziere gesehen. In diesen beiden Personen concentrirten sich nun alle meine Begriffe von der jetzigen Ritterschaft. Ich war Augenzeuge, wie einer derselben mit wallendem Federbusch, klirrendem Säbel, mächtigen Sporen und gewaltiger Reitpeitsche, eine junge Dame mit der graziösesten Handbewegung und den kühnen Worten: »Verlassen Sie sich ganz auf mich,« durch eine Schaar klaffender Hunde führte. Diesen setzte meine Einbildungskraft an die Ufer jenes Sees; ich sah, wie der Riese vor seinem gewaltigen Schnurrbarte und wüthenden Blick die Flucht nahm, und er die Dame befreite mit den Worten! »Vertrauen Sie mir Ihre Ehre und verlassen Sie sich ganz auf mich.«
Nun hatte meine Phantasie unglücklicherweise einen Anhaltspunkt. Ja, sie lebte noch fort, jene edle Zeit, noch gab es einen Stand, dessen Bestimmung es war, die Unschuld zu schützen, das Recht zu vertheidigen und mit flammendem Schwerte drein zu schlagen. In meinem kaufmännischen Herzen keimten verderbliche Saaten. Warum gab mir das Schicksal das farbige Band der Elle statt der schwarzen Zügel eines muthigen Rosses in die Faust! warum mußte ich anstatt Riesen mit der Länge des Schwertes, Band und Zeug mit jenem unpoetischen Werkzeuge messen! Zur Speisung solcher gefährlichen Gedanken las ich alle Ritterromane und Kriegsgeschichten, die mir in die Hände fielen. Rellstabs 1812 hat viel an mir verschuldet.
Ich erfuhr, daß es außer Fußvolk und Reiterei auch Artillerie gebe. »Kanonen!« das Wort schlug kühn an mein Ohr; ich sah sie dahinfliegen, mit muthigen Pferden bespannt, ich belagerte ein Schloß und sandte meiner Geliebten, welche dort in einem Thurm gefangen war, einen rosenfarbenen Liebesbrief vermittelst einer Bombe, in welche ich ihn vorsichtig gesteckt hatte. Ich sang beständig:
Burgen mit hohen, Dräuenden Zinnen,
und als eines Tages Straßenjungen an unserm Laden ein Fenster eingeworfen hatten, entgegnete ich meinem Prinzipal auf seine Frage in der größten Zerstreuung: » Den Schuß that die große Feldschlange hinten am Saum des Waldes.« – Ich fing allen Ernstes an, Plane zu machen, wie ich mich dem verhaßten Stand nach beendigter Lehrzeit entziehen und frei, d. h. königlicher Kriegsknecht werden möchte. Dazu kam noch, daß eines Tags eine Abtheilung Artillerie durch unsere Stadt zog, und dies brachte mich vollends von Sinnen. Die muthig schmetternde Musik, das fröhliche Aussehen der Reiter, welche das Geschütz wie eine geheiligte Person umgaben, das dumpfe Dröhnen desselben auf dem Pflaster, alles das regte mich unbeschreiblich ans. Einer der Unteroffiziere erkannte unser Ladenmädchen, das vor der Thüre stand; es war seine Cousine. Er warf sein Pferd aus der Reihe und sprengte kühn und stolz an uns heran, um dem Mädchen die Hand zu drücken; sie wechselten einige Worte und er jagte wieder vor sein Geschütz, daß das Pflaster Funken sprühte. Das Mädchen war den ganzen Tag stolz gehoben, und wir standen dabei »in unsers Nichts durchbohrendem Gefühle.« Einige Meilen von meinem Wohnort war die nächste Garnisonsstadt, wo mir ein alter Vetter, ein Obristlieutenant außer Dienst lebte, mit welchem ich beschloß, Rücksprache zu nehmen. Ich bat um Urlaub und reiste eines Sonntag Morgens dahin ab. Mein Verwandter nahm mich sehr freundlich auf, ein kleines Männchen mit einem scharf markirten Gesicht, welchem die hoch empor gezogenen Augenbraunen etwas sehr Gebietendes gaben. In der Schlacht bei Pirmasens kommandirte er ein Infanterieregiment, und da versperrte ihm eine neidische Kartätschenkugel den Weg zum fernern Avancement. Er trug meistens einen grünen Ueberrock, graue Beinkleider mit breiten rothen Streifen, um den Hals den russischen St. Annenorden erster Classe und in der Hand eine große silberne Tabaksdose, auf welcher sein Familienwappen gravirt war. Es war ein gemüthlicher alter Herr, besonders wenn er in seinem Zimmer saß und von seinen Feldzügen erzählte. Um ihn lagen auf allen Tischen und Stühlen kriegswissenschaftliche Werke und Schlachtplane: an den Wänden hing eine Masse Säbel und Pistolen, auf welche er bei seinen Erzählungen beständig hinwieß; den Säbel hatte er bei jenem Scharmützel, diese Pistole anderswo hauptsächlich in Thätigkeit gesetzt; in der Ecke stand das Modell einer kleinen Schanze, mit Kanonen garnirt, in deren Original er sich ein paar Tage tapfer gehalten; auch zeigte er gern jene Kartätschenkugel, die er in einem Maroquinkästchen verwahrte. Ihm eröffnete ich nun meinen Wunsch, die kaufmännische Laufbahn zu verlassen und den edeln Stand eines Vaterlandsvertheidigers zu ergreifen.
Obgleich ihm dieser Entschluß sehr gefiel, denn in seinen Augen galt nur der Soldat etwas, setzte er mir doch wohlmeinend die Schwierigkeiten auseinander, im jetzigen Zeitpunkte zu avanciren. Aber was vermögen Vernunftgründe über ein jugendliches Herz, welches einen Vorsatz mit heißer Liebe empfangen und mit glühender Phantasie ausgebildet hat! Ich beschwor den Vetter, mir die Einwilligung meines Vormunds und die nöthigen Papiere zu verschaffen. Der alte Herr versprach mir endlich, das Seinige zu thun, und ich kehrte in meinen Laden zurück.
Eine Woche später empfing ich von meinem Vormund einen nichts weniger als freundschaftlichen Brief, worin er mir mit kurzen, aber kräftigen Worten auseinander setzte, ich sey ein Taugenichts, ihm sey es einerlei, ich möge immerhin zum Kalbsfell schwören. Zugleich übersandte er mir die nöthigen Papiere, um in der Artillerie auf Avancement zu dienen, als: seine schriftliche Einwilligung, eine Erklärung, wie viel ich monatlich zusetzen könne, meinen Taufschein und ein Attestat, daß ich in meinem frühern Leben mit der wohllöblichen Polizei nie in Conflikt gerathen. Diese Dokumentensammlung vervollständigte ich durch ein Zeugniß des Kreisarztes, welches mich körperlich gesund und zum Kriegsdienste tüchtig erklärte, und mit einem Schein vom Gymnasium, daß ich Secunda absolvirt habe. Darauf packte ich meine Habseligkeiten zusammen, nahm von dem Prinzipal und meinen Kollegen Abschied, welch letztere mir neidisch nachsahen, und drückte dem Ladenmädchen die Hand, indem ich ihr die inhaltsschweren Worte zuflüsterte: »es wird eine Zeit kommen, wo – –« Dann fuhr ich nach D., der Garnisonsstadt, wo mein Vetter wohnte, unter dessen Aegide ich zum Tempel des Ruhms aufzufliegen gedachte. Ich war sechzehn Jahre alt.
Meine Aufnahme hing vom Ermessen des Brigadeobrists ab. Dieser lag nicht hier in Garnison, sondern besuchte D. nur von Zeit zu Zeit, um die hier stationirte Artillerie zu inspiciren, und zu diesem Zwecke wurde er glücklicherweise Morgen erwartet.
Ueber den Obrist v. T. erzählte man sich eine Masse von Anekdoten. Er hatte von der Pike auf gedient, war in den letzten Kriegen avancirt und ein tüchtiger Soldat, aber seine Grobheit kannte keine Gränzen. Sein bloßer Anblick jagte den untergeordneten Offizieren und Gemeinen Schrecken ein, und wenn es hieß, der Obrist v. T. ist in der Stadt, so sah man am Benehmen und Anzug der Militärs gewiß nicht das geringste Dienstwidrige. Er war sehr groß, breit geschultert, und besaß eine ungeheure Körperkraft; so hatte er einst, als vier Kanoniere auf einer schlammigen Wiese ihr Geschütz zum Aufprotzen nicht rasch genug herumdrehten, dieselben weggeschleudert und es, mit Einer Hand den Protzring fassend, allein emporgehoben und herumgewendet. Sein rothes Gesicht sah beständig zornig drein, obgleich er es so böse nicht meinte; er war im Ganzen sehr gutmüthig, quälte die Soldaten nicht aus Laune, sondern forderte nur die größte Ordnung, genaues Richten und die möglichste Schnelligkeit in den Bewegungen. Der größte Theil der Soldaten sah das Vernünftige dieser Forderungen ein und liebte ihn, trotz der Unmasse von Donnerwettern, die seinem Munde entströmten. Während des Manövrirens diktirte er für den kleinsten Fehler dem drei, jenem acht und vierzehn Tage Arrest, und auch auf sechs Wochen kam es ihm im Zorn nicht an. War jedoch nach dem Exercitium zum Appell geblasen und sein Adjutant las ihm die Liste der Strafen vor, die er am Morgen diktirt, so stieg er mit einem gewaltigen Fluche vom Pferde, lief unter den Kanonieren herum, die ermüdet um ihre Geschütze lagerten, und wenn keine zu groben Fehler vorgefallen waren, schrie er mit seiner Donnerstimme! »Na, ik will euch Millionen Hunden noch eenmal eene vollkommene Amnestie angedeihen lassen.« Nun wären aber auch alle Kanoniere für ihn durch's Feuer gelaufen; sie drängten sich in solchen Augenblicken um ihn herum und hörten vergnügt die Strafpredigt an, die er ihnen hielt, während er frühstückte. Behufs letztern Geschäfts ritt ihm gewöhnlich ein Bedienter nach, der eine Flasche Rum, Geflügel, oder sonst kaltes Fleisch in einer großen Jagdtasche trug. Eines Morgens forderte der Obrist von seinem Burschen das Frühstück; dieser reichte ihm die Flasche, war aber so unglücklich, ein gebratenes Feldhuhn, nachdem er es aus dem Papier gewickelt, in den Sand fallen zu lassen. Darüber gerieth der Mann in eine unbeschreibliche Wuth, ein Strom von Donnerwettern ward von einem Schlag auf des Burschen Tschako begleitet, welcher ihm denselben bis über die Ohren herabdrückte; dann endigte er seine lange Tirade mit den Worten: »Nun det Fleisch voll Sand is, kannst du's selbst fressen.« Nach einigen Minuten, während welcher der Soldat in Folge der gewaltigen Ohrfeige regungslos dagestanden, wagte er es, seinen Tschako langsam empor zu rücken. Der Obrist stand eine Strecke von ihm, trank aus seiner Flasche und aß ein Stück Brod dazu, warf aber dabei dem Burschen von Zeit zu Zeit verstohlen einen Blick zu. Dieser, aufgemuntert durch die Stichelreden seiner Kameraden, welche um ihn standen, hob das Hühnchen auf, blies den Sand weg und wollte eben damit zum Munde, als es ihm der Obrist mit den Worten aus der Hand riß: »Wenn et wirklich im genießbaren Zustande is, so kann ich et selbst zu mir nehmen.« Zur Entschädigung des Burschen aber beorderte er eine Marketenderin, demselben ein Frühstück zu reichen. – Die feinen und geschniegelten Offiziere nannten dergleichen Scenen, wenn sie unter sich waren, gemein und unpassend. Die meisten waren überhaupt gegen den Obrist sehr eingenommen; dies kam aber vorzüglich daher, daß er den Soldaten vor den Plackereien der jungen Herrn schützte, welche, meistens in aristokratischen Sphären aufgewachsen, den gemeinen Mann wie eine Sache behandelten.
Morgen also sollte ich diesem Manne vorgestellt werden, und in der bangen Erwartung schloß ich die Nacht fast kein Auge. Kaum ließen sich die ersten Strahlen der Sonne blicken, so stand ich auf und spazierte einige Stunden umher, den Kopf voll großer, herrlicher Plane für die Zukunft. Um neun Uhr holte ich meinen alten Obristlieutenant ab, welcher mit dem Obrist bekannt war und mich demselben vorstellen wollte. Wir trafen im Vorsaal des Gasthofs zwei junge Leute, welche sich ebenfalls dem Kriegsdienste widmen wollten; der eine war eine große dürre Gestalt mit unangenehmer Fistelstimme, der andere eine kurze, gedrungene Figur. Letzterer ward durch einen Adjutanten zuerst in das Zimmer des Obristen gerufen und kam bald mit freudestrahlendem Gesicht zurück; man hatte ihn angenommen und einer sechspfündigen Batterie zugetheilt. Nun kam der Lange an die Reihe, und dieser trat nach kurzer Frist als zwölfpfündiger Kanonier aus dem Kabinette: Mir schlug gewaltig das Herz, als nun der Adjutant meinen Namen rief.
Der Obrist saß auf einer Tischecke und rauchte gewaltig; er trug die Uniform, auf dem Kopfe einen Federhut, und neben sich hatte er eine große Masse Papiere liegen, worauf er das linke Bein legte. Er war bei guter Laune, lachte, als ich hereintrat, und sagte zu meinem Vetter und dem Abtheilungschef, die neben ihm standen: »Wenn det so fort geht, meine Herrn, so kann ich bald meine ganze Brigade aus lauter so Windbeuteln completiren.« – Ich hatte mich bestmöglichst herausgeputzt; im Frack, mit hoher Halsbinde und noch höherem Kragen ging ich mit zierlichen Schritten auf ihn zu. Nachdem er mich einige Minuten von oben bis unten betrachtet, sagte er: »Sie sind mir freilich gut empfohlen, haben auch ihre Papiere in bester Ordnung beigebracht, aber ich muß Ihnen doch gestehen, daß Sie zur Artillerie, besonders zur reitenden, verdammt schwach sind, auch haben Sie noch nicht das erforderliche Alter. Sechzehn Jahre!« Ich entgegnete ihm freimüthig; »Herr Obrist, dies sind zwei Fehler, welche sich mit jedem Tage bessern. Ich habe Lust und guten Willen, und die werden, hoff' ich, meinen Mangel an Körperkraft in der ersten Zeit ersetzen.« Er lachte und erwiederte: »Ja, aber ich fürchte nur, wenn ich Sie nicht mit Stricken an das Geschütz festbinden lasse, wird sie der Wind umpusten.« Darauf nahm er nochmals meine Papiere vor und blätterte darin, während ich ihn bat, gefälligst einmal den Versuch zu machen. »Nun,« sagte er endlich, »wir wollen es denn zusammen probiren. Merken Sie sich aber vor Allem drei Dinge, welche ich in meiner Brigade will gehandhabt wissen: dat is erstens Ordnung, zweetens Ordnung und drittens Ordnung; nur dies kann den Dienst aufrecht erhalten und begreift alles andere in sich. Gehen Sie mit Gott in die Artilleriekaserne zum Wachtmeister Löffel und sagen ihm, sein Obrist mache ihm ein Kompliment und schicke ihm eine Kleinigkeit. Adieu, Herr reitender Artillerist.« – Berauscht von meinem Glück, machte ich eine Verbeugung und wandte mich nach der Thür, aber der Obrist rief mir nach: »Wenn ich später die Ehre habe, Sie wieder zu sehen, möchte ich gern die hohe Halsbinde und die Vatermörder vermissen.«
Ich ging in die Kaserne und stellte mich dem Wachtmeister vor. Er besah meine geringe Figur mit nicht sehr zufriedenem Blicke, murmelte etwas von zu vielen Freiwilligen, schwerem Dienst, zu schwachem Körperbau, dann rief er einem jungen Manne, welcher am Tische saß und schrieb: »Bombardier, bringen Sie den jungen Mann zum Quartiermeister, er soll ihm die Montirungsstücke anpassen.«
Der Bombardier ging mit mir durch einen langen Korridor; endlich betraten wir Nr. 66, ein großes Gemach, einen geheiligten Raum, deßwegen auch, als der erste seines Geschlechts, kurzweg »die Kammer« genannt, wie das erste Buch der Welt auch nur Bibel heißt. – An diesem Orte werden sämmtliche besseren Waffen und Kleider verwahrt. Hier hing nummerweise geordnet die ganze felddienstmäßige Ausrüstung, vom Hufnagel der Trainpferde bis zum neuen Borstwischer der Haubitze, vom Sprungriemen an der Hose bis zum warmen Tuchmantel. Bricht Krieg aus, so können sich alle Kanoniere und Pferde der alten Lumpen und Geschirre, welche sie im gewöhnlichen Leben tragen, entledigen, können nackt zur Kammer hineinmarschiren und wohlgerüstet wieder herausgehen.
Mich ergriff eine heilige Scheu, ein erhebendes Gefühl, als ich in diesen Tempel trat; ich hätte die blanken Waffen und strahlenden Uniformen an mein volles Herz drücken mögen; da tauchte der Quartiermeister hinter einem großen Haufen von Mänteln hervor. Mein Bombardier sprach: »Herr Quartiermeister, das Dutzend (nämlich Freiwilliger) ist voll;« worauf der andere erwiderte: »Nun, so haben wir zu eilf Stockfischen einen Pickling.« – Vor der Einkleidung ward ich gemessen; man kennt das Instrument hiezu, wie es auf jedem Paßbureau steht. Ich stellte mich auf den Tritt, der Quartiermeister nahm den beweglichen Schuh und ließ ihn so unsanft auf mein Haupt fallen, daß ich mich erschrocken etwas zusammenkrümmte. Er lachte und erklärte mir sehr ruhig, er thue dies, um das richtige Maß zu bekommen, weil die jungen Herrn sich gewöhnlich länger streckten, als sie wirklich wären; praktisch, aber nicht angenehm, denn mir that der Kopf weh. Nun ward ich angezogen, aber Alles war mir zu groß und weit, und wie ich vollständig ausgerüstet dastand, sah ich aus wie die Kinder auf dem bekannten Kupferstich, welche mit den Waffen ihres Vaters Soldaten spielen. Außer Tschako, Uniform, Reithose, Säbel, Stiefeln mit Sporen, belud er mich noch mit Mantelsack, Pistolen, Putztasche, Mantel, und führte mich in diesem Aufzuge lachend zum Wachtmeister zurück, welcher sich nicht weniger an mir ergötzte. Ich ward sofort auf die Stube Nr. 6 gebracht, welche ich mit einem Unteroffizier und zehn Kanonieren, bewohnen sollte, aber sogleich von da in die Schneiderstube geführt, wo mir meine Kleider angepaßt werden sollten.
Als ich auf mein Zimmer zurückkehrte, fand ich meine neuen Kollegen, welche sich meiner sämmtlichen Waffen bemächtigt hatten, in voller Arbeit, dieselben zu putzen. Das ganze Rüstzeug sah aber auch abscheulich aus; man glaube ja nicht, daß einem Rekruten blanke Armaturstücke von der Kammer geliefert werden, zumal einem Freiwilligen; einem solchen wird das Rostigste und Unsauberste gegeben, was zu finden ist; er kann da gleich sein Meisterstück machen. Ich, der nicht wenig in Verlegenheit gewesen wäre, hätte ich zum erstenmal meine Waffen selbst putzen sollen, war höchlich erfreut, sie in so guten Händen zu finden. Ich bezeugte den Herren Kameraden meinen Dank für ihre Gefälligkeit und wollte mich über meine Sporen hermachen, welche noch roth an den schmutzigen Stiefeln saßen; doch der Kanonier mit dem größten Barte sagte zu mir: »Lassen Sie nur stehen, wir reinigen das in wenig Augenblicken. Doch,« setzte er mit sehr ernster Miene hinzu, »man hat Ihnen da verdammt schmutziges Zeug hingehängt, und ich fürchte, ohne Branntwein wird's schwerlich ganz blank; auch könnte etwas Butter nicht schaden, um später die Säbelklinge und die Pistolen einzuschmieren; doch wäre ein Stück Wurst eben so gut.« Ich erklärte mich bereit, für Schnapps, Butter und Wurst zu sorgen, und zog einen Thaler heraus. Sogleich schickte er damit einen fort und sagte freundlich: »Wenn Sie sich ein wenig in der Stadt umsehen wollen, so finden Sie bei Ihrer Zurückkunft die Sachen im besten Zustande.« Ich befolgte diesen angenehmen Rath, und als ich nach einigen Stunden zurückkam, fand ich meine Waffen blank und sauber auf dem Gerüste. Meine Kameraden saßen um den Tisch in lauter Fröhlichkeit, alle in einem Zustande, der deutlich verkündete, daß sie nicht allen Schnapps zum Putzen verbraucht. Vor dem Bette, das man mir angewiesen, hing, wie an den übrigen, ein zierliches Täfelchen, auf welchem mit großen Buchstaben zu lesen war: »H. Kanonier,« und dies entzückte mich. Eine gute Weile betrachtete ich es und sprach oft meinen Namen und nunmehrigen Titel »Kanonier« halblaut vor mich hin; ich fühlte, ich war etwas in der Welt geworden.
Am folgenden Morgen sollte ich dem Kapitän vorgestellt werden. Ich kann seinen wahren Namen nicht hersetzen, und so mag er Feind heißen, denn er ist, weiß Gott, nie mein Freund gewesen. Die Freiwilligen konnte er überhaupt nicht leiden, denn es waren meistens junge lustige Leute, welche außer dem Dienst nicht gerade immer thaten, was recht war. So gingen wir selten in der groben Dienstuniform, sondern hatten eigene feine Kleider; wir trugen nicht immer die vorschriftsmäßige schwere Säbelgurte; eine zierliche von weißem Glanzleder dünkte uns zum Spazierengehen zweckmäßiger. Auch war es dem Kapitän Feind sehr fatal, wenn wir in dem Kaffeehause, wo er ein Glas Zuckerwasser trank, eine Flasche Wein ausstachen, was wir sehr häufig thaten, um ihn zu ärgern.
Eine gute Stunde mußte ich in dem Zimmer des Wachtmeisters warten, eh der Hauptmann erschien. Der steife Halskragen des Kollets, der meinen Hals zum ersten Male, und sehr fest umschloß, trieb mir das Blut in den Kopf, und ein Spiegel, in welchen ich zufällig blickte, zeigte mir, daß ich ein sehr rothes Gesicht hatte. Dies schien dem Kapitän aufzufallen, welcher mittlerweile eingetreten; denn seine erste Frage war, nachdem er mich eine Zeitlang mit verschränkten Armen betrachtet: »Wir scheinen diesen Morgen bedeutend stark gefrühstückt zu haben.« Diese Phrase führte er beständig im Munde; er wollte damit sagen, er glaube, man habe stark Branntwein getrunken. Ich erwiderte der Wahrheit gemäß, ich habe noch gar nichts zu mir genommen; er warf mir einen bösen Blick zu und sagte: »Wir wissen das besser.« Ich verbeugte mich und schwieg, er fuhr fort: »Sechzehn Jahr alt?« – »Ja wohl, Herr Hauptmann.« – »Man sagt: zu befehlen, Herr Hauptmann.« – »Zu befehlen, Herr Hauptmann.« – »Sie scheinen mir sehr schwach zu seyn.« – »Zu befehlen, nein, Herr Hauptmann.« – »Ich weiß das besser.« Darauf wandte er sich zum Wachtmeister: »Der Unteroffizier Dose soll ihn zu seinem Beritt nehmen und exerciren.«
So lautete die erste Unterredung mit meinem Chef, von der ich eben nicht sehr erbaut war. Ich hatte gehofft, er werde theilnehmend nach meinen früheren Verhältnissen fragen, mir seine Freude ausdrücken über meine Liebe zum Militärstande und dergleichen. Von alle dem nichts. Am sonnenhellen Horizont meiner Phantasie stiegen einige dunkle Wölkchen auf. Ach! wie bald sollte sich mein Himmel nächtig schwarz überziehen!