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Erstes Kapitel

.Die Sonne hatte sich daran gewöhnt, alljährlich gegen Ende Oktober, ehe sie hinter den Türmen von St. Florin zur Rüste ging, noch einen Blick in das einzige, aber desto geräumigere Mansardenzimmer des Hauses »Zum englischen Gruß« an der Kornpforte zu tun und die kahlen, getünchten Wände für einen Augenblick in eitel Abendröte zu verwandeln.

Sie wußte, weshalb sie das tat, denn die schönen goldgelben Borsdorfer Renetten, die langen grünen Schlotteräpfel und die wachsfarbnen Kalvillen mit den roten Bäckchen, die jahraus jahrein dort oben in dem stillen Gemach auf ihrer Strohschütte lagen, hatte sie von Jugend auf gekannt und ihr Wachsen und Gedeihen draußen im Garten vor dem Löhrtore mit besonders liebevoller Teilnahme verfolgt. So köstliche Äpfel wie Mutter Haßlacher, der das Haus »Zum englischen Gruß« und der Garten hinter den Wällen gehörten, hatte in Koblenz aber auch kein andrer Mensch, und wenn der Kurfürst einmal Gäste bei sich sah, bei denen er mit den Erzeugnissen seines Landes Ehre einlegen wollte, etwa die Durchlauchten von Köln und von Mainz oder die hochfürstlichen Verwandten aus Sachsen, dann schickte er seinen Obertafeldecker zu der rundlichen freundlichen Wittib an der Kornpforte, um sich gegen seinen gnädigen landesväterlichen Dank und ein Douceur von zwei neuen Gulden ein Körbchen der schönsten Renetten auszubitten. Kein Wunder also, daß die Besitzer der Nachbargärten mit einem aus Neid und Ehrfurcht gemischten Gefühl über ihre Hecken und Zäune weg zu den sorgfältig gepflegten und kunstgerecht beschnittnen Bäumen und Spalieren hinübersahen und in jedem Januar die Frau Nachbarin um etliche Pfropfreiser angingen, in der stillen Hoffnung, sich auch ihrerseits so wertvolle Fürsprecher bei Hofe heranziehn zu können. Diese Hoffnung ging freilich nie in Erfüllung, Mutter Haßlacher blieb wie die Hesperiden im alleinigen und unbestrittnen Besitz ihrer Wunderäpfel und segnete ihren Seligen dafür, daß er bei seinen Lebzeiten weder Mühe noch Kosten gescheut hatte, so edle Sorten zu beschaffen.

Pietätvoll sorgte sie dafür, daß auch die blechernen Namenschildchen, der Stolz ihres Gatten, genau so erhalten blieben, wie er sie selbst an jedem Baume befestigt hatte, obgleich sie sich schon etlichemal genötigt gesehen hatte, die Orthographie der Aufschriften gegen kritische Einwendungen junger Besucher in Schutz zu nehmen. Er habe so lange in den Niederlanden gelebt, pflegte sie zu sagen, daß ihm sein Deutsch ein wenig abhanden gekommen gewesen sei. Übrigens sei ihr Seliger ein Künstler gewesen, und solche hätten es von alters her mit dem Schriftlichen nie so genau genommen. Bei diesem Argument schwiegen die jungen Kritiker gewöhnlich, denn seit man unter dem Krummstabe des milden Clemens Wenzeslaus lebte und das neue Residenzschloß hatte entstehn sehen, empfanden sogar die Stiftsschüler vor allem, was mit der Kunst zusammenhing, eine gewaltige Hochachtung. Wer freilich nachträglich noch mehr über Herrn Haßlachers Künstlerlaufbahn erfahren wollte und sich bei Erwachsenen, die ihn persönlich gekannt hatten, nach den nähern Umständen erkundigte, wurde meist gehörig enttäuscht, denn man sagte ihm, daß der Eheherr der freundlichen Wittib ein ganz gewöhnlicher Schildermaler gewesen sei, der auf der Wanderschaft allerdings bis Nimwegen vorgedrungen wäre, sich in dieser Stadt aber im besten Falle einen halben Sommer lang aufgehalten habe.

Seit Herr Haßlacher das Zeitliche gesegnet hatte – er war in einer schwülen Sommernacht, da er nach den Anstrengungen des großen Vogelschießens auf der Moselbrücke Erfrischung suchte, in den Fluß gefallen und eines schnellen und unbußfertigen Todes verblichen –, stand seine Werkstatt leer. Die Wittib konnte sich, wie sie sagte, nicht entschließen, das »Atelier« und die beiden damit verbundnen Kammern zu Wohnzwecken zu benutzen, es würde ihr, meinte sie, wie die Entweihung eines Heiligtums vorkommen, wenn sie mit ihrer Kaffeekanne und ihrem Klöppelkissen in die Räume zöge, wo ihr Seliger mit Pinsel und Palette hantiert habe. In Wirklichkeit stieß sie sich daran, daß das Gemach, wenn es einigermaßen behaglich werden sollte, die nachdrücklichste Heizung verlangte, und daß man von seinen Fenstern aus nur die Aussicht auf die benachbarten Dächer genoß, von der Straße und ihrem Verkehr aber nicht das Geringste wahrnahm. So wurde denn das »Atelier« teils aus Pietät teils aus praktischen Erwägungen den Äpfeln eingeräumt, die sich freilich keinen trocknern und luftigern Lagerplatz hätten wünschen können. An jedem jungen Morgen stieg die Alte, so lange der Vorrat reichte, zu dem Mansardengelaß empor, musterte ihre duftenden Lieblinge, legte die reifgewordnen in ihre Schürze und schleuderte etwaige faule aus dem Fenster ins Ungewisse hinaus, unbekümmert darum, ob sie in den Höfen der Nachbarschaft zerplatzten oder in den Dachrinnen liegen blieben, bis sie bei plötzlich eintretendem Regen das blecherne Drachenmaul eines Wasserspeiers zur Verwunderung der vorübereilenden Passanten nicht ohne einiges Würgen wieder von sich gab.

Auch heute, am 19. Oktober des Jahres 1789 schaute die Sonne, gerade als die Rathausuhr die fünfte Stunde verkündete, in das Mansardengemach des »Englischen Grußes,« um sich zu vergewissern, ob ihre Pfleglinge aus dem Baumgarten, die am Morgen abgetan worden waren, auch wohlgebettet auf ihrem Stroh ruhten. Aber – sie traute ihren Augen nicht! – dort oben war eine unglaubliche Veränderung vor sich gegangen. Von den Äpfeln war nichts zu sehen, dafür war der Raum vollgestopft mit Tischen und Stühlen, Schränken und Kommoden. Au den sonst so kahlen Wänden prangten neben einem Pfeilerspiegel Bilder und Armleuchter; Truhen, Koffer und Mantelsäcke waren in den Ecken übereinander getürmt, und mitten auf dem mit geblümtem Zitz überzognen Kanapee stand ein vergoldeter Glockenkäfig, worin sich ein Kakadu auf seinem Reife schaukelte. Kleidungsstücke jeglicher Art, betreßte und bestickte Staatsröcke, Regentücher, Pudermäntel und scharlachne Westen, Reitröcke und Jagdhabits, Dominos aus schwarzem Taffet, Hemden mit Spitzenmanschetten, Haarbeutel und Galanteriedegen lagen zu Bergen aufeinander geschichtet, Fläschchen mit eau de lavande und Blütenextrakten, Dosen und Büchschen mit Salben und wohlriechenden Pasten, Kästchen mit Schmucksachen, Futterale mit Schermessern und Handspiegeln bedeckten die Platte eines Toilettetischs. Da lag ein Damensattel am Boden, und daneben stand eine Teemaschine aus Rotkupfer, und über beide hatte eine mächtige Ledermappe ihren Inhalt an Dokumenten und Briefen ausgegossen. Spanische Rohre mit goldnen und silbernen Knöpfen, Birschbüchsen und Sonnenschirme standen umher; Bücher und Fächer, Weinflaschen und silberne Bratenschüsseln, Nippesfigürchen und Handschuhe, Hüte und Terzerole, Hirschfänger und Kräuselscheren vermehrten den Wirrwarr. Das Gemach glich der Bude eines Trödlers, oder einem Raume, der die wertlosen und wertvollen Habseligkeiten beherbergt, die man beim Ausbruch eines Brandes im ersten Schrecken wahllos zusammengerafft und in Sicherheit gebracht hat.

Und in der Tat war es wirklich eine Art von Feuersbrunst gewesen, die eine solche Anhäufung nützlicher und unnützer Gegenstände im »Atelier« des seligen Herrn Haßlacher veranlaßt hatte; freilich keine Feuersbrunst, der man mit dem Löscheimer hätte beikommen können, sondern eine politische, die um so schneller und furchtbarer um sich griff, je eifriger die berufsmäßigen und freiwilligen Pompiers die mächtig emporlodernden Flammen der allgemeinen Erregung mit den Wassergüssen loyaler Maßregeln, zweifelhafter Versprechungen und hochmütiger Drohungen zu bekämpfen suchten.

Der Sturz der Bastille hatte die seit Jahren im Volke schwelende Glut zu hellem Feuer angefacht. Foulons und Berthiers grauenvolle Ermordung hatte das Gefühl der persönlichen Sicherheit auch denen geraubt, die sich eines bessern Gewissens zu erfreuen glaubten als die beiden; Männer in einflußreichen Stellungen und von hohem Stande verließen bei Nacht und Nebel und unter dem Schutze seltsamer Verkleidungen den heißen Boden von Paris und erreichten damit nur, daß die Führer der Revolution ihre Standesgenossen um so mißtrauischer bewachten und Maßnahmen gegen landesverräterische Umtriebe der Flüchtlinge und die Einmischung des Auslandes ergriffen. Eingeschüchterte Aristokraten drängten sich zu den Fahnen der Revolution und überboten sich in Zugeständnissen an das Volk, dessen Wohl ihnen jetzt plötzlich am Herzen lag, weil sie seine Leidenschaften kennen gelernt hatten. Sie schürten die Flammen, die sie nicht zu löschen vermochten. Und von dem Brande flogen Funken über das ganze Land und entzündeten allerorten neue Feuer. Das Landvolk, berauscht von den Ideen der Freiheit, die man in der Nationalversammlung verkündete, stürmte die Schlösser der Feudalherren und rottete sich zusammen, um sengend und raubend von Edelsitz zu Edelsitz zu ziehen und überall Gewalttätigkeiten zu begehen.

Der Hof, blind für die Ereignisse der Zeit, ihre wahren Ursachen und ihre Bedeutung, schwankte zwischen schwächlicher Nachgiebigkeit und herausforderndem Trotze. Das Fest der Garden im Schauspielsaale des Versailler Schlosses, bei dem die dreifarbige Kokarde mit Füßen getreten worden sein sollte, hatte auch bei den Bessergesinnten unter den Anhängern der neuen Ordnung der Dinge heftigen Haß gegen die königliche Familie und ihre Berater geweckt und den Gegensatz zwischen Royalisten und Demokraten verschärft. Die Möglichkeit eines gütlichen Ausgleichs war damit in immer weitere Ferne gerückt worden. Und sie wurde völlig beseitigt, als am 6. Oktober bewaffnete Volkshaufen trotz heldenmütiger Gegenwehr der Garden ins Schloß drangen und unter ungestümen Drohungen die Übersiedlung des Hofes nach Paris erzwangen. Von diesem Augenblick an war der König in der Hand seiner Feinde.

Ein panischer Schreck bemächtigte sich der Aristokratie, die jetzt allen Zwist vergaß, worin sie selbst seit Menschengedenken mit der Hofpartei gelebt hatte. Am meisten zitterten jedoch die zahlreichen Mitglieder des alten und des jungen Adels, die Hofämter bekleideten oder der persönlichen Gunst des Königs Auszeichnungen und Ehrenstellen verdankten. Die Auswanderung derer, die sich gefährdet glaubten, wuchs, und viele von ihnen wandten sich nach Koblenz, das als Residenz eines geistlichen Fürsten den Flüchtlingen hinreichende Sicherheit zu bieten schien und sich seiner günstigen Lage wegen wie keine andre Stadt des Auslandes zum Aufenthalte für Franzosen eignete, die den Gang der Ereignisse in ihrer Heimat genau verfolgen und den Umschlag der Dinge, der nach aller Meinung ja über kurz oder lang eintreten mußte, in Ruhe abwarten wollten. Daß dieser Umschlag zugunsten der monarchischen Sache geschehn, und zwar bald geschehn würde, davon war niemand fester überzeugt als der wackre Marquis von Marigny, Kammerherr Seiner Allerchristlichsten Majestät, Eigentümer des Schlosses und der Herrschaft Aigremont und Besitzer all der seltsamen Dinge, die wir zu einem so bunten Chaos in dem Mansardengemach des »Englischen Grußes« aufgehäuft gesehen haben.

Wie der Marquis jetzt behäbig, wohlfrisiert und gepudert mitten unter seinen Siebensachen stand, aus einer silbernen Tasse seine Nachmittagsschokolade löffelte und schmunzelnd zu einem zierlichen jungen Mädchen hinüberblickte, das über einen Stickrahmen gebeugt am Fenster saß, glich er mehr einem Vergnügungsreisenden, der in irgend ein primitives Quartier verschlagen den Reiz des Ungewohnten mit Humor durchkostet, als einem Flüchtling. Und um die Wahrheit zu gestehn, er kam sich auch schon längst nicht mehr als ein solcher vor. Die allgemeine Aufregung hatte auch ihn erfaßt gehabt, seine Nachbarn hatten ihn mit ihrer Furcht angesteckt, er hatte sich eingeredet, er sei es seiner Tochter schuldig, sie und sich in Sicherheit zu bringen, und so waren denn auf Aigremont die Vorbereitungen zur Abreise getroffen worden, ehe der Schloßherr eigentlich selbst wußte, weshalb er diesen Schritt unternehme.

Für seine Person hätte er kaum etwas zu befürchten gehabt. Politischer Ehrgeiz war ihm immer fremd gewesen, er hatte nicht den geringsten Einfluß auf die royalistischen Kreise und war selbst dem Hofe seit Jahren ferngeblieben, teils aus Bequemlichkeit, teils aus einer leichten Verstimmung darüber, daß man einen jungen Verwandten von ihm, der in das Pagenkorps einzutreten wünschte, trotz seiner Fürsprache unter einem nichtigen Vorwand abgelehnt hatte. Überdies war der Marquis nur mäßig begütert, und sein Grundbesitz, auf dem er als ein milder Herr gewaltet hatte, galt keineswegs als völlig schuldenfrei. Es konnte also keinem Zweifel unterliegen, daß sich der Neid der Besitzlosen eher am Leben und Eigentum seiner reichen Nachbarn vergriffen haben würde als an dem seinigen.

Alles das war Marigny schon auf der Reise nach Koblenz zum Bewußtsein gekommen, nicht plötzlich und mit elementarer Gewalt, sondern nach und nach, wie es sich für einen Mann mit mäßigen Geistesgaben auch schickt. In St. Germain hatte er sich noch ängstlich hinter den Gardinen seiner Reisekalesche versteckt, in Argenteuil schon einen Blick aus dem Fenster gewagt, in St. Denis während des Pferdewechsels sogar ein Gespräch mit dem Posthalter angeknüpft und ihm vorgelogen, daß er zur Weinlese nach Raincy fahre, in Brou war er eine Strecke neben der Kutsche einherspaziert und hatte bei dieser Gelegenheit den dortigen Gutspächter zu sich beschieden, um ihn zu fragen, ob es nicht möglich sei, die Kastanien, die massenhaft im Straßengraben lagen und noch bei jedem leichten Windstoße von den alten Bäumen herabprasselten, zusammenlesen und als Futter für die Hirsche nach Aigremont schaffen zu lassen.

Je weiter sich die Reisenden von der Hauptstadt entfernt hatten, desto größer war bei dem alten Herrn das Gefühl der Sicherheit und des Behagens geworden, und seiner Tochter, die klüger und weniger zuversichtlich war als er selbst, wurde es durchaus nicht leicht, ihn davon zu überzeugen, daß man die notwendigsten Vorsichtsmaßregeln um so weniger vernachlässigen dürfe, je mehr man sich der Landesgrenze nähere. In der Tat zeigte in Diedenhofen der Maire die größte Lust, den Flüchtlingen Schwierigkeiten in den Weg zu legen, da die nach diesem Städtchen verlegten Abteilungen der Nationalgarden ihn durch ihre ausgesprochen revolutionäre Haltung zum strengsten Vorgehn gegen die Emigranten zwangen. Allein das zuversichtliche Auftreten des Aristokraten und die mit dem ehrlichsten Gesichte der Welt vorgebrachte Behauptung, daß die Verhältnisse in Paris langsam in ihr altes Geleise zurückkehrten, und daß er – Marigny –, wenn er in etwa vier Wochen von seiner Reise ins Luxemburgische wieder zu Hause eintreffen werde, alles in bester Ordnung vorzufinden hoffe, bestimmten die hohe Obrigkeit der kleinen Landstadt, die Herrschaften, deren Reisepässe übrigens keinen Anlaß zu ernstlichem Verdachte boten, ohne weitere Scherereien ihres Weges ziehn zu lassen.

Nun waren die Reisenden glücklich in Koblenz angelangt, hatten die erste Nacht in den »Drei Reichskronen« zugebracht und gleich am nächsten Morgen das bescheidne Quartier an der Kornpforte bezogen, das vor dem überfüllten Gasthofe den Vorzug größerer Ruhe und Wohlfeilheit aufwies.

Sie hatten, ermüdet wie sie von den Anstrengungen der Reise waren, noch nicht daran gedacht, ihre Habseligkeiten zweckmäßig unterzubringen, bedurften hierzu auch der Hilfe eines dienstbaren Geistes, über den sie vorderhand noch nicht verfügten. Sie genossen vorläufig das beruhigende Gefühl, unter Dach und Fach zu sein, etwa wie ein Wandrer, der von einem Platzregen überrascht zur rechten Zeit eine Höhle findet, in der er gegen die Unbilden des Wetters geschützt behaglich abwarten kann, daß sich der Himmel wieder aufkläre.

Was meinst du, Marguerite, sagte der Marquis, während er die Tasse auf den Toilettentisch stellte, ob wir es in diesem Salon wohl ein paar Wochen aushalten werden?

Was mich betrifft, lieber Vater, so dürfen Sie überzeugt sein, daß ich mich hier wohl fühlen werde, so lange ich sehe, daß die Bescheidenheit unsers Quartiers Ihr Wohlbefinden nicht beeinträchtigt und Ihrer Bequemlichkeit keine allzu große Einschränkung auferlegt, gab das Mädchen in einem Tone zurück, der ein wenig an die redselig-devoten Ausdrucksformen erinnerte, wie man sie hinter den Klostermauern von Sainte-Madeleine den jungen Zöglingen beibrachte und als das herrlichste Ergebnis einer auf die Gewöhnung an kindlichen Gehorsam abzielenden Erziehung pries.

Sie hatte, während sie sprach, den Blick nicht von ihrer Stickerei erhoben und stichelte so eifrig drauf los, als ob sie sich und den Vater mit ihrer Hände Arbeit ernähren müßte, was ihr freilich bei dem gesegneten Appetit und den kulinarischen Ansprüchen des Marquis nicht ganz leicht geworden wäre. Aber die mechanisch übertriebne Tätigkeit war ihr zur andern Natur geworden, so sehr der Vater auch über dieses zweite Resultat der Klostererziehung spötteln mochte. Er hätte es am liebsten gesehen, wenn sie den ganzen Tag die Hände im Schoße dagesessen und ihn mit ihrem hellen Lachen für die, wie er glaubte, höchst witzigen Bemerkungen belohnt hätte, mit denen er die Unterhaltung zu würzen pflegte.

Marguerite tat ihm diesen Gefallen jedoch selten. Sie war von Haus aus still und ernst und unter der Einwirkung ihrer geistlichen Lehrerinnen keineswegs lebensfroher geworden. Der Vater liebte sie schwärmerisch und hielt sie, weil sie sich allen seinen Anordnungen ohne Widerspruch fügte oder doch zu fügen schien, für das Muster einer gehorsamen Tochter. Zudem gab er sich der Hoffnung hin, daß sie ihm einst einen Schwiegersohn aus den allerersten Kreisen des Landes ins Haus bringen werde; als die einzige, durch Schönheit und Liebenswürdigkeit ausgezeichnete Tochter des Marquis von Marigny durfte sie ja zum mindesten auf einen Herzog Anspruch erheben.

Und schön war sie wirklich, wenn auch bei weitem nicht so vollkommen, wie ihr Vater sich in seinem Stolz und seiner Liebe einredete. Ihre Gestalt war, den höchsten Anforderungen zu genügen, zu klein, ihr Antlitz durchaus nicht von der Regelmäßigkeit, wie sie der künstlerische Kanon vorschreibt. Aber dafür hatte sie das schönste, weichste und vollste Haar von einem Goldblond, das namentlich bei geeigneter Beleuchtung einen geradezu verblüffenden Eindruck hervorrief, und ein Paar grauer Augen, von denen der Prinz Condé, gewiß ein berufner Kenner solcher Dinge, behauptet hatte, sie seien dreihundertmal schöner als die der Herzogin von Clarency, die sonst allgemein für die Besitzerin der schönsten Augen galt.

Ich denke, fuhr Marigny fort, nachdem er sich eine Weile an dem Effekt geweidet hatte, den die letzten Strahlen der Sonne auf dem Haare seiner Tochter hervorbrachten, ich denke, wir werden die paar Wochen des freiwilligen Exils schon überleben, wenn wir in diesem Appartement auch kein Menuett tanzen können. Das Einzige, was mir ernstliche Sorgen macht, ist die Verpflegung. Ich vermute, diese deutschen Kleinstädter wissen nicht zu essen und folglich auch nicht zu kochen. Es wird so weit kommen, fürchte ich, daß ich mich selbst um unsre Mahlzeiten bekümmern muß.

Der gute Marquis wich, wenn er dies sagte, ein ganz klein wenig von der Wahrheit ab. Er fürchtete nämlich nicht, sondern hoffte vielmehr, sich um die Küche bekümmern zu müssen, denn wie alle wahren Feinschmecker war er auch ein Freund der Kochkunst. Er hatte sich im Schlosse zu Aigremont eine kleine Privatküche eingerichtet, wo er wie ein Adept mit Tiegeln und Mörsern zu hantieren pflegte, nur daß das Ergebnis solcher geheimnisvoll betriebnen Arbeit nicht eine problematische Tinktur, sondern irgend eine neue Sauce oder ein noch nie gesehenes Ragout war. Und was er auf diesem Gebiete leistete, war nicht ohne Anerkennung geblieben; der Marschall von Richelieu, die erste Autorität in allen Tafelangelegenheiten, hatte ihn sogar einmal, nachdem er eine von Marigny erfundne Geflügelpastete gekostet hatte, unter Tränen der Rührung umarmt.

Marguerite kannte diese Schwäche ihres Vaters und nicht weniger dessen Gewohnheit, die Betätigung seiner gastronomischen Talente als ein einzig und allein von ihm dem Wohlbefinden seiner Tochter gebrachtes Opfer hinzustellen.

Wenn Sie sich der Mühe unterziehn würden, dafür zu sorgen, daß wir hier nicht Hungers sterben, so wäre das außerordentlich gütig von Ihnen, mein Vater, entgegnete sie.

Ich kenne meine Pflichten, sagte der Marquis, der sich plötzlich wieder in seinem Elemente fühlte und in diesem Augenblick mit niemand auf der ganzen Welt hätte tauschen mögen; und ich werde sehen, was sich tun läßt. Ich nehme an, setzte er gut gelaunt hinzu, daß die Eingebornen hierzulande den Gebrauch des Feuers zu Kochzwecken kennen.

Er trat dreimal stark mit dem Fuße auf und wartete dann mit Gelassenheit die Wirkung dieses mit Mutter Haßlacher verabredeten Signals ab.

Es währte nicht lange, so erschien die Alte denn auch, und zwar, den Fremden zu Ehren, im Schmucke ihrer schönsten Haube. Sie wußte, was sich schickte, denn sie war in ihren jungen Jahren nicht umsonst Kammerjungfer bei der Baronin von Duminique gewesen. Daß sie in dieser Stellung ganz leidlich französisch hatte parlieren lernen, kam ihr gerade jetzt trefflich zustatten.

Nun, haben sich die Herrschaften unter meinem armen Dache schon ein wenig eingerichtet? fragte sie, indem sie knicksend dicht an der Tür stehn blieb.

Wie Sie sehen, Madame, erwiderte der Marquis und beförderte, um sich Raum zu einiger Bewegung zu schaffen, den Damensattel mit einem Fußtritt unter das Kanapee.

Darf ich mir die ganz gehorsame Frage erlauben, fuhr die Alte, ohne von dem Widerspruch zwischen Antwort und Tatsachen Notiz zu nehmen, fort, wer dem gnädigen Herrn Marquis mein bescheidnes Haus als Logis empfohlen hat?

Der Wirt des Gasthofs.

Der Kronenwirt? O das sieht diesem edeln Menschenfreunde ähnlich! Er war schon meinem seligen Manne wohlgesinnt und einer der wenigen, die Haßlachers Kunst zu würdigen wußten. Bis zuletzt noch hat mein Mann für ihn gearbeitet. Er wäre der einzige in ganz Koblenz gewesen, sagte mir der Kronenwirt erst vor vierzehn Tagen, der wirklich feinen Geschmack gehabt hätte.

Ihr Gatte verstand also zu kochen? fragte der Marquis mit einem Interesse, das sogar der Alten außergewöhnlich erschien.

Zu kochen? – mein Mann war Künstler! gab sie zurück, während sie sich langsam aus ihrer devoten Stellung aufrichtete.

Um so besser, Madame! Wenn jeder Koch ein Künstler wäre, so stünde es besser um Gesundheit und Wohlergehn der Menschheit, fuhr Marigny mit Wärme fort. Hat er keine Rezepte hinterlassen?

Rezepte? Die hatte er nicht nötig. Was er brauchte, das bekam er fertig beim Kaufmann. Und wenn einmal was gemischt werden mußte, so besann er sich nicht lange, wieviel er hiervon und davon zu nehmen hatte. Das kam bei ihm alles aus dem Handgelenk.

Der Marquis schüttelte den Kopf.

Sie haben nichts Schriftliches von ihm? fragte er weiter, da er die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, doch noch hinter die Geheimnisse des Mannes zu kommen, der in diesem barbarischen Lande allein einen feinen Geschmack gehabt haben sollte.

O ja, erwiderte die Wittib, während sie die Augen senkte und den Saum ihrer Schürze mit den Fingern zu glätten begann, ich habe noch alle die Briefe, die er mir während unsrer Brautzeit geschrieben hat.

Der Marquis winkte mit beiden Händen energisch ab.

Wir haben uns mißverstanden, meine Gute, sagte er. Ihre Briefe interessieren mich nicht. Ich glaubte nur, daß Ihr Gatte ein paar Aufzeichnungen hinterlassen habe, aus denen man ersehen könnte, nach welchen Grundsätzen er seine Gerichte zusammenzustellen pflegte. Sie wissen jedenfalls, daß es auch in der Kochkunst verschiedne Richtungen gibt, und daß dieser Meister auf die Lehren des Herrn von Béchamel schwört, während jener sich zu den Dogmen Montiers bekennt –

Aber mein seliger Mann war doch gar kein Koch, er war Maler! fiel die Alte ein.

Maler? Marigny betrachtete sie mit dem Ausdruck der Überraschung und Enttäuschung.

Ja, und was für einer, Herr Marquis! Einer von der alten niederländischen Schule!

Aber Sie sagten doch, er habe in dem Gasthofe gearbeitet? Wie soll ich das verstehn?

Nun, er hat die Plafonds gemalt und die schönen Guirlanden im Korridor, von dem großen Tafelbilde ganz zu schweigen.

Was sie mit dem vielversprechenden Ausdruck »Tafelbild« bezeichnete, war das Gasthofsschild: drei goldne Kronen auf rotem Grunde. Herr Haßlacher hatte von diesem Gemälde immer als von der Haupt- und Meisterleistung seiner ganzen künstlerischen Laufbahn gesprochen und jedem, der es hören wollte, erzählt, daß er zu diesem Werke für vier Gulden Zinnober und für zweiundzwanzig Gulden Blattgold verbraucht habe.

Ja, was denken Sie, fuhr Mutter Haßlacher redselig fort, auch für unsers gnädigsten Kurfürsten Durchlaucht hat mein Seliger gearbeitet. Wenn Sie einmal ins neue Residenzschloß kommen, dann sehen Sie sich doch nur einmal den Plafond im großen Audienzsaal an. Den hat mein Mann gemalt. Natürlich hat er eine so große Arbeit nicht allein fertig bringen können; da hat ihm denn auf des Herrn Kurfürsten ausdrücklichen Wunsch der berühmte Herr Januarius Zick helfen müssen, wenn Sie von dem schon einmal was gehört haben. Aber der hat bloß die Figuren gemalt und die Wolken, wo die – mit Erlaubnis – nackten Damen und die Engelchen darauf sitzen; wer aber zu allererst dran kam, und wer sechs Eimer vom feinsten Kremserweiß verbraucht hat, das war mein Seliger.

Respekt vor der Kunst und den Künstlern und insbesondre vor einem Meister von den Qualitäten Ihres verstorbnen Gatten! sagte Marigny mit erhabner Stimme und fest entschlossen, die Alte um jeden Preis von ihrem Lieblingsthema abzubringen: aber Sie werden zugeben, Madame, daß wir, das heißt meine Tochter und ich, weder von Künstlerruhm noch von Kremserweiß satt werden können, und daß wir zunächst darauf sinnen müssen, die Stimme in unserm Innern – ich meine damit nicht etwa die des Gewissens, sondern die des Magens – zum Schweigen zu bringen. Er zog eine goldne, mit Edelsteinen besetzte Sackuhr und ließ sie repetieren, da es bei der vorgerückten Dämmerung nicht mehr möglich war, die Ziffern und Zeiger zu erkennen.

Sechs Uhr, sagte er, als die schnell aufeinander folgenden, silberhellen Schläge verklungen waren, und wir sind gewohnt, um sieben zu dinieren. Viel Zeit ist also nicht mehr zu verlieren. Was können Sie uns vorsetzen?

Mutter Haßlacher redete von frischem Brot und Mainzer Handkäse, von Milchreis, Hafersuppe und Heringen, fand aber mit ihren Vorschlägen wenig Beifall.

Das mögen ganz gute Dinge sein, meinte der Marquis, aber für uns wären sie zu außergewöhnlich. Man soll sich, zumal auf der Reise und in der Fremde, an Gerichte halten, die man kennt, und das Einfachste ist dann das beste. Marguerite, wandte er sich an seine Tochter, die ihren Stickrahmen längst zur Seite gestellt hatte und in Gedanken versunken den Blick zu den düstern Türmen von St. Florin schweifen ließ, was würdest du zu einem Filet à la Pompadour oder zu einem Hammelrippchen à la Soubise sagen?

Ich würde ein Filet vorziehn, vorausgesetzt, daß Sie derselben Meinung sind, lieber Vater, erwiderte das Mädchen mit müder Stimme, obgleich es ihr gänzlich gleichgiltig war, was man zum Mahle anrichtete; ich bin überzeugt, daß Sie das Richtige treffen werden.

Gut, meine Liebe, sagte der Marquis, so wollen wir uns also für Filets entscheiden! Und zu der Alten gewandt bemerkte er: Ich nehme an, daß Sie alles zur Hand haben, was zu diesem Gerichte gehört, oder daß Sie es doch schnell beschaffen können.

Mutter Haßlacher mußte eingestehn, mit ihrer Vorratskammer sei es nicht gerade zum besten bestellt. Aber Marigny gab ihr die beruhigende Versicherung, daß Filets à la Pompadour das Allereinfachste wäre, was man überhaupt bereiten könne.

Ein Stückchen guter Rindslende, eine oder zwei Hühnerlebern, eine Hand voll Perigordtrüffeln oder zur Not ein paar Champignons werden Sie doch wohl im Hause haben? fragte er. Und als die Alte dies verneinte, sagte er, halb ärgerlich, halb belustigt: Nun denn, Madame, so ersuche ich Sie, führen Sie mich in Ihre Speisekammer und zeigen Sie mir Ihre Vorräte! Es kann doch nicht Ihre Absicht sein, uns hier einfach verhungern zu lassen.

Die Wittib wollte gegen diese schnöde Verdächtigung Protest erheben, als das Sturmgeläute der Haustürklingel sie der Mühe einer Entgegnung überhob. Sie bat um die Erlaubnis, sich für einen Augenblick empfehlen zu dürfen, und eilte, so schnell es ihre Körperfülle erlaubte, die Stiegen hinab.

Hättest du so etwas für möglich gehalten? wandte sich der Marquis an seine Tochter. Diese Frau hat weder Rindslende noch Hühnerlebern, weder Trüffeln noch Champignons im Hause! Ich glaube, wenn wir zu den Wilden von Isle-de-France oder Florida gekommen wären, so würden wir mehr Zivilisation angetroffen haben, als diesen guten Deutschen eigen ist.

Nach einigen Minuten kehrte Mutter Haßlacher zurück, stellte einen Leuchter mit brennendem Talglicht auf den Tisch und überreichte Marguerite ein Briefchen. Der Hausknecht aus den Drei Reichskronen hat es gebracht, bemerkte sie dazu; soll er ein Douceur bekommen?

Marigny griff in die Tasche und händigte der Alten eine Münze ein. Er sah nicht, wie seine Tochter mit einer ihr sonst fremden Hast das Siegel erbrach, das Papier auseinanderfaltete und die Schrift überflog. Er sah auch nicht, wie sich ihre Wangen röteten.

Von wem? fragte er, als die Wittib das Gemach wieder verlassen hatte.

Von Villeroi.

Und was schreibt er?

Hier, Vater, lesen Sie selbst! Sie gab ihm den Brief und trat an das Fenster. Es war, als habe sie eine innere Erregung vor dem Vater verbergen wollen.

Dieser ließ sich auf einem Stuhle nieder, putzte erst sorgfältig das Licht und las dann:

 

Meine Freundin! Soeben bin ich hier angekommen und war so glücklich, im Gasthofe Ihre Adresse zu erfahren. Morgen früh werde ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen und Ihrem Herrn Vater meine Aufwartung zu machen.

Henri von Villeroi.

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