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»Wollt ihr vielleicht Corysande klar machen, daß sie zum Rennen gehen muß?«
Mit diesen Worten stürzte die Marquise in die Bücherei, wo ihr Mann und sein Bruder friedlich rauchend bei einander saßen.
»Ich sehe gar nicht ein,« ertönte des Flederwischs Stimme im Rücken der Mutter, »weshalb ich dieses Jahr zum Rennen geschleppt werden soll? Man hat mich doch sonst immer zu Haus gelassen –«
»Sonst warst du noch ein Kind – das war etwas andres!«
Nun entschloß sich der Marquis, die Vermittlung zu übernehmen.
»Aber, Flederwisch, so geh' doch hin! Du hast ja die Pferde so gern!«
»Gerade, weil ich die Pferde gern habe, lieb' ich die Rennen nicht! Ich mag nicht wieder so ein armes Tier mit gebrochenem Bein daherhumpeln sehen wie vor zwei Jahren in Auteuil –«
»Ein solcher Unfall kommt doch nicht jedesmal vor!«
»Dann kommt ein andrer vor! Und dann – das ist auch nicht der einzige Grund, weshalb ich nicht hingehen mag.«
»Man sagt nicht: ›Ich mag nicht,‹« bemerkte der Vater.
»Gut also – weshalb ich lieber nicht hinginge,« verbesserte sich Corysa.
»Und was sind deine sonstigen Gründe?«
»Daß ich mich in dem Gewühl mopse, daß ich lieber still und ruhig daheim sitze bei meinen Tieren oder –« sie sah Vater und Onkel zärtlich an – »bei euch bleibe. Das ist der wahre Grund. Heute früh – in die Messe – jetzt, zum Rennen, und heute abend auf den Ball – das ist etwas viel für einen Tag!«
»Die Messe!« kreischte die Marquise, ihre Augen verdrehend. »Sie nennt die Messe in einem Atem mit einem Rennen und einem Ball!«
»Eine Messe, wie die von heute früh, ganz gewiß!« sagte der Flederwisch schaudernd. »Man hat mich ja nicht in meine Kirche gehen lassen – es hieß, der alte Johann könne nicht abkommen – und du hast mich zu den Jesuiten geschleppt, wo die Messe nichts andres ist als ein verfrühter Fünfuhrthee! Man begrüßt sich, man wartet im Garten aufeinander – du hast wenigstens mit fünfzig Personen gesprochen!«
»Und du auch – folglich hast du kein Recht, dich zu beklagen.«
»Darüber beklag' ich mich ja gerade, daß ich's thun mußte!«
»Ich begreife nicht, wie es dir unangenehm sein kann, mit Leuten aus der besten Gesellschaft zusammenzutreffen –«
»Das kommt auf den Geschmack an. Und wenn ich die ›beste Gesellschaft‹ heute früh in der Messe und heute abend aus dem Ball treffen muß, dann hab' ich sie satt. Zwingt man mich auch noch, zum Rennen zu gehen und mich bei der Hitze den ganzen Tag zu mopsen, so werde ich heute abend mitten im Saal vor Schlaf umfallen.«
»Das Mädchen ist eigensinnig wie ein Maultier – kein Mensch wird so mit ihr fertig werden,« erklärte die Marquise, den Kampf aufgebend, das Zimmer verlassend und die Thüre schmetternd ins Schloß werfend.
»Durchgesetzt hätten wir's!« sagte der Flederwisch, sich mit Genugtuung der Länge noch auf dem Sofa ausstreckend.
»Ich begreife wirklich nicht,« begann der Marquis, »wie du dich so dagegen sträuben kannst, deine Mutter zu begleiten –«
»Das begreifst du nicht? Ach bitte schön, geh' doch selbst zum Rennen, dann wird's dir klar werden!«
»Das ist ganz etwas andres – ich bin nicht wohl –«
»Und mir steht von meiner gestrigen Gesellschaft noch der Verstand still!«
»Wie war's übrigens gestern?« fragte der Vicomte.
»Bombenmäßig öde! Zum Glück war wenigstens der Herzog Aubières da, sonst –«
»Ach! Ist er wieder hier?« fragte der Marquis.
»Jawohl,« versetzte sein Bruder. »Er war heute früh bei mir und hätte dich auch gern gesehen, um sich zu entschuldigen, daß er deiner Frau und dir damals nicht gute Nacht sagte nach dem Spaziergang im Garten mit Corysa – er war nämlich nicht in der Verfassung, sich zu zeigen, der Aermste! Weißt du,« fügte er lachend bei, »was ihm der Flederwisch im Sternenschein unter anderm gesagt hat? Verlege dich lieber nicht aufs Raten – du kämst doch nie darauf! ›Sie sollen wissen, weshalb ich Sie nicht heiraten will,‹ hat sie ihm ganz sänftiglich auseinandergesetzt, ›Ich will es nicht, weil ich überzeugt bin, daß ich Sie als Frau hintergehen würde.‹«
»Oho!« rief der Marquis, ebenfalls lachend.
»Das findet ihr komisch?« sagte Corysa, die Achseln zuckend. »Ich hätte ihm wohl etwas vorflunkern, ihn auf dem Glauben lassen sollen –«
»Nun, Schlimmeres hätte er wohl kaum von dir glauben können,« warf Mark ein.
»Trägt er mir's nach?« fragte sie etwas beunruhigt.
»Aubières? Ach großer Gott, der arme Bursche! So etwas kommt ihm gar nicht in den Sinn!«
»Dacht ich mir's doch! Er war auch gestern bei Tisch viel zu nett mit mir, als daß er mir bös sein könnte – ich hab's nämlich gut erwischt, er war mein Tischnachbar.«
»Demnach ist alles gut abgelaufen?«
»Ja, hat dir denn meine Mutter nichts erzählt?«
»Nein. Ich habe sie nur beim Frühstück gesehen, und da war, wie du weißt, nicht von gestern die Rede.«
»Nun, ein paar Dummheiten hat's doch abgesetzt, einmal wegen Heinrichs des Vierten –«
»Wegen Heinrichs des Vierten?« fragte der Marquis verwundert.
»Ja, man sah nämlich sein Bild an, und da ich bemerkte, der hätte kein protestantisches Leichenbittergesicht – nun weißt du ja, die Lirons sind Protestanten, und da war's ein wenig ungeschickt.«
»Wenn du nichts Schlimmeres angestellt hast, geht's noch,« bemerkte der Onkel tröstend.
»Doch, ich hab' noch etwas angestellt, aber daran war meine Mutter schuldig. Sie rief mich nämlich zu sich und sagte mir, ich müsse reden, nur reden, was, sei einerlei, und sobald also etwas vorkam, worüber ich mitreden konnte, stürzte ich mich kopfüber ins Gespräch.«
»Dummheit Numero zwei – heraus damit!« rief Mark.
»Eine Dummheit hab' ich nicht gesagt, aber heftig bin ich geworden, und klüger wär's gewesen, ich hätte meinen Mund gehalten. Es handelte sich um Napoleon –«
»O weh!« warf der Marquis beunruhigt ein. »Wenn man ihn angegriffen hat –«
»Ja, das weißt du ja, daß ich dann die Krallen zeige.«
»Du hast dich also unpassend benommen?«
»Wenn man so will – ja,« bekannte sie freimütig, um nach kurzer Ueberlegung hinzuzusetzen: »Jedenfalls lange nicht so unpassend, als der Hausherr; das ist mein Trost.«
»Wieso? Barfleur ist ja ein Mustermensch, der feine Gesellschafter, wie er im Buch steht.«
»Mir gegenüber jedenfalls nicht!«
»Was hat er dir denn zuleid gethan?«
Die Erinnerung trieb dem Flederwisch das Blut ins Gesicht.
»Geduzt hat er mich,« rief sie schaudernd. »Paßt sich das etwa für den feinen Gesellschafter, wie er im Buch steht?«
»Geduzt?« wiederholte Mark peinlich berührt. »Dich hat er du genannt? Ja aber wie denn?«
»Wie man eben ›du‹ sagt! Wir tanzten Walzer, wobei er mich in eine Galerie hinauswirbelte, wo wir ganz allein waren – da sei mehr Platz, behauptete er – und dann – dann? Ja, so kam's! Zuerst sagte er mir, er finde die Frau von Liron zu rundlich – nein, ich verwechsle es – das hab' ja ich gesagt – und er hat mir vorgeschmatzt, wie hübsch ich sei, und daß ich allein hübsch sei – «
Sie stockte, und der Onkel fragte erregt: »Und dann?«
»Und dann – dann neigte er sich mir nichts dir nichts vor, ganz nah an mein Ohr, und flüsterte mir zu –« sie ahmte die gepreßte, vor Leidenschaft beben wollende Stimme des kleinen Barfleur nach: »Ich liebe dich!«
Es klang so drollig, daß Mark trotz seines gelinden Entsetzens lachen mußte, doch da kam er beim Flederwisch schön an.
»Ihr findet das wohl reizend, ihr beide?« herrschte sie Vater und Onkel an.
Immer bestrebt, alles zum Guten zu wenden, bemerkte der Marquis: »Die Engländer reden niemand mit ›Du‹ an als Gott.«
»Weil sie Schafsköpfe sind!« erklärte der Flederwisch rundweg.
»Es sei!« erwiderte der Marquis, von der Wirkungslosigkeit seines Einwurfs betroffen. »Du hast aber wirklich eine Redeweise –«
»So ist mit eben der Schnabel gewachsen – ich kann nichts dafür!«
»Soll der Witz noch lange dauern?« fragte sie dann plötzlich.
»Was für ein Witz?«
»Der Witz mit dem kleinen Barfleur. Kein Mensch wird mir nachsagen, daß ich eingebildet sei, aber schließlich, das kränkt mich doch, daß man voraussetzt, ich könnte den Dreikäsehoch heiraten.«
»Er ist ein ganz netter Mensch –«
»Ein ganz netter Mensch!« rief der kleine Feuerteufel. »Ein Fatzke ist er! Kränklich! Abgeschmackt angezogen! Parfümiert! Jawohl, er parfümiert sich, und zwar mit weißem Heliotrop – das schlägt dem Faß den Boden aus!«
»Mein Gott! Unter Umständen kann ein Mann ganz wohl ein leichtes Parfüm –«
»Nein! Ein Mann darf nur nach Tabak riechen! Jetzt lachst du wieder, Onkel Mark? Was findest du denn komisch? Ach geh', du bist wie alle andern, du hast kein Herz mehr für mich! Jawohl, schon seit längerer Zeit hat's angefangen, aber seit einigen Tagen wird's immer schlimmer – du behandelst mich schlecht seit – ja seit dem Abend, wo dieser greuliche Dreikäsehoch hier zu Tisch war –«
Mark wollte sich verteidigen, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Ich sag' ja nicht, daß du mich in allen Stücken schlecht behandelst,« rief sie außer sich. »Du hast mir ein Kleid geschenkt, ein reizendes sogar – ich werd's auch heute abend anziehen, weil's viel mehr Schick hat, als das vom Papa – jawohl, du bist gut, du willst mir Freude machen, aber mit dem Liebhaben ist's nicht mehr wie sonst.«
»Aber, Kind –«
»Streite nur nicht – ich fühl's ja! Wenn du mich lieb hättest, könntest du dann wünschen, daß ich die Karikatur heirate?«
»Aber ich rede dir doch gewiß nicht zu!«
»Du redest mir nicht zu, aber warum redest du nicht ab – sag'? Ich will ihn nicht, den Gigerl – weder den, noch einen andern! Und dabei ist's deine Schuld allein, daß man mich heiraten will!« erklärte sie, wie ein kleiner Kampfhahn auf den Onkel losfahrend. »Nur dein schmutziges Geld ist schuld daran! Wenn das nicht wäre, ließe man mich ungeschoren, und ich dürfte wie vorher still in meiner Ecke sitzen!«
Das Gesicht in den Händen verbergend, fing sie bitterlich zu schluchzen an. Der Marquis wollte zu ihr treten und sie trösten, aber Mark hielt ihn ab.
»Laß sie! Ihre Nerven sind überreizt – wir wollen gehen, und sie soll sich ausweinen, das wird ihr wohl thun.«
Unter der Thüre drehte sich der Marquis noch einmal um und beobachtete den weinenden Flederwisch.
»Das Kind hatte doch bisher keine Nerven,« sagte er halblaut. »Dieser Zustand ist unnatürlich! Es sollte mich gar nicht wundernehmen, wenn sie verliebt wäre.«
»Bist du verrückt?« rief Mark im Hinausgehen. »Wen sollte sie denn lieben?«
Er war sichtlich betroffen und setzte mit Besorgnis hinzu: »Du meinst doch nicht den Trêne? Diesen Gecken, der einmal seine Frau mißhandeln und ihr Vermögen verjubeln wird! Oder den Bernay? Sie haßt ja die Scheinheiligen! Oder den Liron, dieses Kamel?«
Da sein Bruder keine Antwort gab, herrschte er ihn an: »Heraus damit! Wen liebt sie – wen – wen?«
»Ja, wie soll denn ich das wissen?« gab der Marquis gelassen zurück.