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Alle Völker, alle Zeiten träumten von einer Erfüllung der Unmöglichkeit, von einem großen Geheimnisse, dessen Entdeckung sie zu Herrschern der Natur machen würde. Eine dunkle Scheidewand des Sichtbaren und Unsichtbaren, des Bekannten und Geahnten stand, im Alterthume, im Mittelalter, und steht noch jetzt vor dem Individuum und reizt es, sie entweder mit seiner Phantasie zu erklettern oder mit mystischem Auge zu durchschauen (Mystiker sehen durch ein eichen Brett) oder mit heimlich berechnetem gut und besonnen angelegtem Verstande, wie heute, zu untergraben. Der Stein der Weisheit des Alterthums war das äußerste Thule, war die Abdachung des Homerischen Länderhorizontes, hinter welchem man sich die schwarzen Aethiopier und hinter ihnen noch die Pygmäen dachte, diese kleinen Geschöpfe, welche mit Kranichen kämpften und von den Alterthumsforschern dahin bestimmt worden sind, daß Homer hier Affen für Menschen gehalten hat. Die Philosophen, die Alchymisten jener Urzeit, die das Meer nur an den Küsten zu beschiffen wagten und auf der Höhe desselben sich nur Grauenwunder vorstellen konnten, waren die Phönizier. Diese schifften über die Säulen des Hercules, d. h. über die Grenzen des natürlichen Menschenverstandes ( auch eines Schlangen- und Ungeziefertödters) hinaus, entdeckten ein Land nach dem andern, die Zinninseln, die Bernsteinufer, und mögen vielleicht England für den Stein der Weisen gehalten haben, welches jedoch sich ihnen bald als ein großer Irrthum würde bewährt haben müssen, da man Englands Felsenküste wohl zu allen Zeiten eher für den Stein der Thoren halten sollte.
Wie man in der spätern Entwickelung der alten Geschichte den Erdkreis hyperbolisch das zu nennen anfing, was an Ländern Rom gehörte, verlor sich die kindliche naive Anschauung der damaligen Geographie. Nicht in Ausdehnung mehr, sondern in Mittelpunkten suchte man den Stein der Weisen. Auch das Alterthum hatte seine Mystik. Es wandte sich ab von dem todten Marmor, und wenn ihn die Kunst noch so täuschend dem Leben nachgeformt hatte, es verlor den Sinn für den blauen wolkenlosen Himmel, unter welchem Homer seine Gesänge für die Ewigkeit improvisirte, und wandte sich der Nacht und den Sternen zu, flüchtete mit unbefriedigtem Gemüth in dunkle Grotten und lauschte auf Uroffenbarungen, auf die Umkehr natürlicher Ordnungen, auf die Sprache des Steines, auf das Klingen der Memnonssäule, auf prophetische Zauberwirkungen in den gebundenen unfreien Naturmassen. Die Eleusinischen Geheimnisse suchten den Stein der Weisen in ihrer Art oder waren selbst dieser letzte Grund der Dinge, den die antiken Freimaurer, wie die modernen, wenigstens zu besitzen durch ihre Geheimnißkrämerei sich den Anstrich geben.
Dennoch erst der neuern Welt konnte es vorbehalten seyn, in dem höchsten Gut den Urgrund des Geldes und zugleich den der Medizin zu träumen. Dieser Stein der Weisen mit seiner Goldhaltigkeit und absoluten den Tod sogar vertreibenden Heilkraft ist unsre Zeit in ihrer gierigen egoistischen und siechen Tendenz selbst. Das Geld heilt unsre Armuth und das Spezificum das Siechthum, welches unmittelbar der flotten Anwendung des Geldes folgen würde. Es ist dieß die Schlaraffenphantasie eines Zeitalters, wo man sich allmählich so überaß und den Magen verdarb, daß Toms von seinem Bruder wünschen konnte: Ach, hätt' ich doch noch deinen Magen! Der Stein der Weisen ist die Vorstellung einer möglich gewordenen höchsten Potenz irdischer Glückseligkeit; er ist das Prinzip der satanischen Weisheit, der Weisheit des Stein reich- und Stein altwerdens. Die Teufelsbrut der Zwerge und Kobolde bewahrt den wunderthätigen Schatz, der vielleicht nur so groß ist, wie eine Linse, und, bei einem Mikroskope gut angebracht, vielleicht noch die Eigenschaft hat, allsehend und allwissend zu machen.
Der Stein der Weisen, an dessen Auffindung mancher deutscher Fürst mit seinem Alchymisten (den er hängen ließ, wenn die Dukaten nicht endlich hecken wollten) die Zuthat der Dukaten verschwendete, dieser Stein der Weisen, den der brave Landmann am besten kennt, wenn er seinen Acker reinigt und singend und wohlgemuth in Gott sein Tagwerk fördert, wurde allmählich ein Erfahrungsbegriff und verlor seine Wunderbarkeit. Wie Adam Smith mit der Zeit das große Geheimniß entdeckte, daß das Geld nur Tauschmittel und keine Waare ist, und daß sein Werth nur in der Circulation läge, so fing man auch an, vom Steine der Weisen den materiellen Begriff aufzugeben und ihn nicht mehr in der Mineralogie und Alchymie zu suchen, sondern in Entdeckungen, Erfindungen, in der Mechanik, in der rationellen Landwirthschaft und den zahllosen Aufklärungen, welche dem rastlosen Erfindungsgeiste der neuern Zeit so glücklich über alle Gebiete der Natur und des Menschenlebens gelungen sind. Der Stein der Weisen unsrer Zeit ist die Vereinfachung und Benutzung der Natur. Die Alchymisten der neuen Zeit sind die Watt, die Fulton, die Lavoisier, die Wollaston. Das mineralische Reagens, wodurch man sonst den Stein zu erzeugen suchte, ist in unserm Jahrhunderte der Dampf.
Der Phantasiemensch wandert aus und will neue Welttheile entdecken. Der Verstandesmensch erfindet. Das Neue, das Außerordentliche bricht sich allein Bahn in der Literatur wie in der Technologie. Sollte man nicht einen neuen Welttheil entdecken können? Sollte man nicht Steine in Brod verwandeln können und aus dem Meersand Kuchen backen? Am Ural bäckt man schon Brod aus Gypserde. Sollte man aus der Kartoffel, außer Zucker und Mehl, welches schon daraus gemacht ist, nicht noch Fleisch machen können? Kurz, unsre Zeitgenossen hören nicht auf, von dem Stein der Weisen zu träumen, wenn sie ihn auch zunächst nicht für Gold halten, sondern für eine Waare, welche sie schon gegen Gold umzusetzen werden im Stande seyn.
Ich weiß nicht, kennt ihr jenen public character, den halb London unter dem Namen des neuen Columbus kennt? Dieser Columbus II. ist ein entfernter Verwandter von Kapitän Roß und war selbst einst Schiffskadett. Von Jugend auf that er Verkehrtes, in der eingebildeten Meinung, immer etwas Außerordentliches zu thun. In fortwährender Thätigkeit begriffen, schuf er nichts. In ewiger Bewegung blieb er auf seinem Platze stehen. Er verschwendete Geist, Witz und Verstand und richtete, weil er immer konfus war, nichts damit aus. Er kam mit seiner Genialität immer entweder zu früh oder zu spät. Man konnte ihn bei der Marine nicht mehr lassen, weil er im Stande war, ein Schiff, statt nach Asien, nach Amerika zu richten. Dennoch hängt er mit ganzer Seele an den Wagnissen des Meeres. Er möchte ein Schiff kommandiren, um damit einen neuen Welttheil aufzufinden. Ein Kaufmann in Hull, der ein Schiff auf der See hat und es regelmäßig des Jahrs zwei Fahrten nach dem persischen Meerbusen machen läßt, verlor seinen alten bewährten Kapitän. Er kündigte in der Naval Gazette an, daß er einen andern suche. Columbus meldet sich bei ihm und gefällt anfangs seines kühnen und entschlossenen Wesens wegen. Aber schon bei Stipulation der Bedingungen faßte der Kaufmann Mißtrauen. Columbus II. sprach immer nur von dem sechsten Welttheile und sollte von Gewürznelken sprechen. Nehmen Sie sich in Acht, warnten vorsichtige Freunde den Kaufmann; Sie sind an einen Abenteurer gekommen. Sie können mit Ihrem Buzentaurus (so hieß der Dreimaster) das Glück haben, eine kleine Insel der Südsee zu entdecken, werden aber darüber bankerutt werden, weil dieser Mann nicht darnach aussieht, als könnt' er verständig die Linie halten bis nach Ihren Gewürzkonnexionen hin. Der Kaufmann wollte anfangs nicht glauben. Columbus schien ihm ein zu großer Seeheld zu seyn. Als aber plötzlich sich das Gerücht verbreitete, ein entlassener Schiffslieutenant wolle den sechsten Welttheil entdecken, und dem Ursprunge desselben nachspürte, erschrak er doch so sehr, daß er dem Contrakte mit Columbus die Ratification verweigerte. Es kam heraus, daß der Vetter des Kapitän Roß erst die Gewürznelken nach Hull bringen wollte, nachdem er den Punkt in der Südsee erreicht hatte, wo der Frost den Schiffern das Blut aus den Augen treibt. Er wollte ehrlich seyn, aber zu gleicher Zeit auch die günstige Gelegenheit, ein Schiff zu haben, benutzen. Er war untröstlich über das Fehlschlagen seiner Hoffnung. Er kehrte nach London zurück, ist in seiner Idee über die Gestalt der Erde, über den Aequator und das wunderbare Jenseits des Südpols fix geworden und wird wahrscheinlich damit enden, daß eines Morgens am Strand der Themse ein Kahn vermißt und drei Tage später statt des Kahnes ein Leichnam an der Stelle zu treffen seyn wird.
Wichtiger, als die sechsten und siebenten Erdtheile, die unser zweiter Columbus entdecken wollte, sind die Erweiterungen und Ausdehnungen der Kenntnisse, welche man von den alten schon besitzt. Man eroberte neue Welttheile nicht über das Land hinaus, sondern in das Land hinein. Das fabelhafte Dunkel der Wälder, die Undurchdringlichkeit schroffer Gebirgszüge lichteten sich. Man verfolgte jene ungeheuren Flüsse, deren Lauf man erst da kannte, wo sie sich ins Weltmeer ergießen. Ermüdet von den gleichmäßigen Windungen dieser Ströme hatte man in alten Zeiten ihre Quelle preisgegeben; jetzt fuhr man unerschrocken in die Wildnisse hinein, aus welchen man heraus den gewaltigen Strom murmeln und rauschen hörte. Man bahnte sich an den Ufern den Weg durch mannshohe Schilfwälder, unerschrocken vor dem schuppigen Krokodil und dem schwerfälligen Tapir, die flohen, weil sie Menschen noch nicht gesehen hatten. Doch fand man auf diesen kühnen Zügen auch Striche, wo eine gewisse Kultur vereinzelter Indianerstämme sichtbar war. In älterer Zeit hatten gerade die Expeditionen, welche sich auf Entdeckung der Flußquellen eingeschifft hatten, die abenteuerlichsten Sagen über die Vielfältigkeit und Wunderlichkeit der Menschenrasse verbreitet. Natürlich; im Flug vorüberfahrend an den zweideutigen Ufern haftete der Blick an keiner Situation, an keiner Erscheinung, die in sich wäre gerundet und abgeschlossen gewesen. Aus einer Frau, die ihrem Manne Waffen zutrug und nur allein am Ufer erblickt wurde, gestaltete sich ein ganzes Amazonenvolk. Aus einem Kranich, der mit verwundertem Auge und neugierigem Schnabel den Vorübergehenden nachsah, bildeten sich Pygmäen, Vögelkriege und die geographischen Anschauungen des Homer. Der Mensch, sich noch selbst weit räthselhafter als die Natur, erblickte in Allem, was ihn erschreckte, oder das er nicht sogleich begreifen konnte, die Wunder einer dämonischen Welt. Weil man sonst die Seefahrten nur unternahm, um das Abenteuerliche zu finden, so fand man es auch nur. Jetzt ist der der Mährchen entwöhnte nüchterne Verstand die Bussole des Entdeckers. Er reißt von dem Unbekannten das Gewand der Phantasie, Dichtung und Furcht ab; er verflacht sogar das Außerordentliche und bringt das Neue mit dem Alten nach dem Satze, daß es unter der Sonne nichts gebe, was nicht schon da gewesen, in eine Harmonie, wo manche Merkwürdigkeit, manches eigenthümliche Phänomen unberücksichtigt bleibt. Wir sind alle einer wie der andere, heißt es. O nein, Meilen- und Jahrtausende liegen zwischen uns und schufen sich jene bunte Mannigfaltigkeit der Völkerunterschiede vom Feuerländer bis zum Europäer, für welche der Franzose ein besserer Beobachter als der Engländer ist, da dieser in seinem Egoismus nur gewohnt ist, sich selbst gegen die ganze Menschheit exklusiv zu betrachten und nur zwei Menschenklassen, das Ich und das Nicht-ich zu gestatten, abweichend von dem ehrgeizigen Franzosen, der die Menschheit gern in Völker zerstückelt, weil er wohl weiß, daß es ruhmvoller ist zu sagen: »wir haben hundert Nationen besiegt,« als »wir haben die Menschheit überwunden.«
Dieser innere Entdeckungsgeist wurde vorzüglich von der noch immer fabelhaften Geographie Afrika's angelockt. Das Innere von Afrika ist in der Geographie von Herodot, bis sogar in die neuesten Zeiten, in die Zeiten der Lander und Clapperton der geographische Stein der Weisen gewesen. Homer und Herodot sahen in Afrika nur eine unbestimmte, vage Ausdehnung, von schwarzen Aethiopen bewohnte Grenze des in ihrer geographischen Vorstellung lebenden Erdtellers. Die Neger waren ihnen die Söhne jener Nacht, welche rings den Erdkreis umgibt. Spätere Geographen, freilich noch aus der Kindheit der Wissenschaft, wollten wenigstens ein Ende dieser Nacht sehen und umrandeten Afrika mit einer großen Mauer, um welche Sonne und Mond ihren Kreislauf halte. Erst später ahnte man, daß Afrika die Form jenes pythagoräischen Satzes hat, daß das Quadrat der Katheten gleich sey dem Quadrat der Hypotenuse. Allmählich lernte man die Küste des Landes kennen; aber Alles, was man von dem Innern des Landes spricht, ist noch unentdeckt, ist nur Ahnung und so gut wie fabelhafte Ueberlieferung. Doch soll es ungeheure Seen geben, Flüsse, in welchen sich fruchtbare Wälder spiegeln, Sprachen und Religionen der wunderbarsten Zusammensetzung. Schon arabische Schriftsteller nannten, um ihre Achtung vor dem innern Afrika auszusprechen, dasselbe die Wiese der Vergoldung, die Grube der Edelsteine. Die Jesuiten und Portugiesen, welche späterhin das Innere Afrikas untersuchten, haben bei aller Entschlossenheit, die sie in ihren Entdeckungszügen an den Tag legten, doch immer den Eindruck hinterlassen, daß ihre Entdeckungen, bis man ihnen vollen Glauben schenken dürfte, erst von dem nüchternen Verstand der Neuern revidirt werden müßten. Alle Entdeckungen, die man in neurer Zeit in dieser Hinsicht mit so großer Aufopferung gemacht hat, lehnten sich immer noch mehr an die östliche Küste Afrika's an. Die Bekanntwerdung Timbuktus und der Nigermündung gelang dem Franzosen Caillé und dem Märtyrer-Brüderpaar Lander. Vor ihnen hatte schon der Engländer Laing sein Leben dem afrikanischen Stein der Weisen geopfert. Caillé wurde durch einen von der Pariser geographischen Gesellschaft ausgestellten Preis zu seiner Entdeckungsreise angespornt. Er zog als Araber von Geburt, und nur von den Franzosen nach der egyptischen Expedition mit fortgenommen, in das Dunkel einer unbekannten Welt hinein. Er gebrauchte die Vorsicht, sich für einen Kaufmann auszugeben. Er verkaufte in Timbuktu seine Waaren, verzehrte aber das dafür eingelöste Geld und sah sich genöthigt zu betteln. Er pflegte sich an Karawanen als ein bescheidner, armer Hilfsbedürftiger anzuschließen. Auf diese Weise durchzog er durch glühende Sandwüsten das mittlere Afrika so weit, bis er endlich in den marokkanischen Raubstaaten wieder herauskam. Caillé's Abenteuer sind um so interessanter, da es ihm an allen Vorkenntnissen, die zu einer Entdeckungsreise gehören würden, fehlte. Ein Wollaston würde wesentlichere Resultate aus Timbuktu zurückgebracht haben, aber auch Gefahr gelaufen seyn, von den mißtrauischen Einheimischen bei dem ersten Experiment, das er gemacht hätte, für einen Zauberer angesehen und darnach behandelt worden zu seyn. Im Allgemeinen ist das Bild, welches wir durch Caillé vom innern Afrika erhalten haben, ein wüstes und ödes. Die Städte sind in den tiefen Sand nur leise und mit Vorsicht eingesenkt. Die Hitze des Aequators treibt den Keim jeder nach Leben ringenden Vegetation in die allgemeine Asche des Erdreichs zurück. Selten, daß sich eine Pflanze einige Fuß über die mütterliche Erde hinauswagt. Nirgends der Gesang eines Vogels, Todtenstille auf den Straßen, die Grabesgedanken der egyptischen Welt in förmliche Verwesungsbegriffe gesteigert. Verläßt man die Stätte, so kann man wohl kennen lernen, wodurch im Menschen das religiöse Gefühl geweckt wird. Es ist die Dankbarkeit, mit welcher der Bewohner des Aequators gleich dicht an dem einzigen Palmenbaum, den er nach meilenlangem Suchen findet, einen Tempel, ein Minaret baut, so daß Hospitalität, Erquickung, Schlaf, Schatten, ein Trunk Wassers und die Religion hier ganz ein und dasselbe sind.
Die Entdeckungen im südlichen Afrika tragen einen andern Charakter; sie sind weniger moralisch, wie die erstern, und mehr physikalisch. Das Kaffernland, die Insel Madagaskar haben den Systemen der Botanik und der Zoologie viele Bereicherungen verschafft. Die Interessen der verschiedenen europäischen Niederlassungen an den südafrikanischen Küsten machten eine geographisch genaue Bestimmung derselben nothwendig. Ueberdieß ist die Sternwarte am Kap für die Betrachtung des Himmels, weil er nirgends so durchsichtig und klar ist, am günstigsten gelegen. Noch ist Herschel dort. Er wird viel Neues bringen, aber schwerlich die Mondwunder, welche man in England und auf dem Kontinente auf die Rechnung seines Fernrohrs gesetzt hat, bestätigen.
Ein dritter Gesichtspunkt der afrikanischen Entdeckungen sind die egyptischen Pyramiden. Hier gab es Sphinxräthsel zu lösen. Wenn der Stein der Weisen eine mineralische Beschaffenheit hat, so müßte sie derjenigen gleichkommen, welche das Material der Memnonssäule auszeichnete. Belzoni ist es, der von den Riesengräbern der alten Pharaone und Psammetiche das Siegel des Geheimnisses nahm. Er eröffnete das Grab des Psamniuthes und ließ von der schon früher besuchten Pyramide von Dschischeh den Sand der Wüste wegfegen, der den Eingang verschüttet hatte. Freilich war der Lohn der Anstrengung kein anderer, als der, daß man sie überwunden hatte. Man hatte geglaubt, in den Pyramiden das Archiv der Urgeschichte zu entdecken und fand nur Staub, Verwesung, fand nur die vermoderten Grabschriften vermoderter Königsmumien. Welche Räthsel hatte man geglaubt, würden hinter der Keilschrift verborgen seyn? Sie enthielten nicht mehr, als die Inschriften, welche unsre Philologen aus dem klassischen Alterthum gerettet haben: Küchenzettel des athenischen Staatshaushalts, Aus- und Einnahme-Budget's der eleusinischen Tempelverwaltung. Gerade das, was man durch seine Inschrift auf Stein für das Ewige in der klassischen Literatur hätte halten sollen, war das Vergänglichste in ihr, war die Makulatur des Alterthums.
Die Entdeckungen in Asien waren weniger geographisch als physikalisch. Asien hat zu lange im Wechselverkehre mit Europa gestanden; wir selbst sind die Enkel asiatischer Väter; die ganze Kraft Europa's hat sich auf Asien geworfen und ihm von allen Seiten scharf zugesetzt. Wir kennen es genauer als Afrika. -- Alexanders Zug nach Indien mußte aufgeklärte Geographie im Gefolge haben. Arrhian ist eben so sehr Quelle für die Geschichte wie für die Erdbeschreibung. Andrerseits trug Asien aus seinem Schooße selbst heraus die Bekanntschaft seiner selbst. Die asiatische Ethnographie fluthete in wilden Horden über das zertretne und verwüstete Europa. Asien hat weit weniger materielle als moralische Geheimnisse. In Afrika kann uns das Wunderland Maravi locken. In Asien locken uns die Sitten und Einrichtungen, die Sprachen und Ideen. Gerade, weil man fühlte, daß das Christenthum eine Blüthe war, deren Stamm und Keim tief in die asiatische Religionsphilosophie seine Wurzel schlug, ruhte das Christenthum nicht, diesen Ursprung zu tilgen, zu bekehren, die Wurzel mit der Frucht zu versöhnen. Die blinden Heiden hatten für das Christenthum weit weniger Anziehungskraft, als die tauben Heiden. Die Neger, die Hottentotten genirten das Gewissen der christlichen Hierarchie weniger, als die Hindus, die Tibetaner. Man bekehrte lieber die Völker, welche das Christenthum verachteten, als die, welche gar nichts davon wußten. Der Asiate hat eine positive Religion, er konnte opponiren, er konnte Dogma durch Dogma widerlegen. Dieß reizte die christliche Kirche und veranlaßte sie zu asiatischen Missionen, welche, wenn auch sehr wenig für die Kenntniß des Himmels, doch desto mehr für die Kenntniß der Erde nützten. Erst waren es Minoriten und Dominikaner, welche aus Asien geographische Bereicherungen brachten, später Jesuiten, welche namentlich China und Japan beschrieben. Ihnen folgte später eine Reihe ausgezeichneterer Entdecker, welche theils durch Absicht, theils durch Geschäfte, welche sie aus England oder Rußland nach Asien führten, Entdecker und Bereicherer der Wissenschaft wurden.
Und Amerika! Wie hat sich dieser Welttheil aus den Nebeln der Geschichte die erst blutige Morgenrothbahn, dann eine immer sonnigere hervorgebrochen! Nachdem man versucht hatte, aus der Mischung von Alkalien jene Kraft zu finden, welche alle Schmerzen des Beutels und des Körpers heilte, warf man den Tiegel fort und schiffte sich nach Amerika ein, wo die Natur selbst die Hochöfen des höchsten Metalles aufgepflanzt hat. Die Amerikaner waren keine Goldhüter im Sinne der alten Mythologie. Schüchtern und weiblich in ihrem Wesen, ließen sie sich der Goldsucht der Europäer zum Opfer bringen. So ungeheuer gestiegen war schon der Luxus und das Verderben Europa's, daß man bei der Entdeckung Amerika's nicht im entferntesten von jenem wissenschaftlichen Enthusiasmus, der die Entdeckungen liebt, ohne an ihren Gewinn zu denken, etwas verspürte. Nur das Interesse schürte hier Bestrebungen an, die später der Wissenschaft, der Menschenkenntniß, der Geschichte und Moral zu Gute kamen. Wie verschieden von unsrer Zeit, wo wir Reisende durch die sterilsten Gegenden haben ziehen sehen, nur getrieben von dem Wunsche, zu wissen, wie viel Seen, wie viel Flüsse, wie viel Stein- und Pflanzenarten ihnen neu begegnen würden. Sie bringen ausgestopfte Vögel, skelettirte Fische, sie bringen in Kästchen, die mit Baumwolle gefüttert sind, seltene Mineralien zurück. Was würden Ferdinand und Isabelle Columbus geantwortet haben, wenn er auf diese Weise nur das naturhistorische Museum von Salamanka und nicht die Geldtruhen vom Eskurial hätte bereichern wollen?
Amerika lichtete sich vor den lüsternen Augen der goldgierigen Europäer schnell in allen seinen Theilen. Es wurde eine Anlockung für die Abenteuerlichkeit aller Nationen. Spanien, England, Portugal und Frankreich gewannen allmählich Besitzungen in dem neuen Welttheil, welche da, wo sie Gewinn versprachen, bald auch mit ordnender Hand kultivirt waren. Die Indianer, die karaibische Verwilderung ausgenommen, sind ein weicher, eindrucksfähiger Menschenschlag; sie haben ganz die Natur ihres Lieblingshausthieres, des Lama's; tragen willig, obgleich mit schwachen Schultern, murren nicht und gewöhnen sich sogar mit Zärtlichkeit an den, der sie unterdrückt. Wäre dieß nicht der Fall, so würde man nicht begreifen können, wie das europäische Element so schnell über das Einheimische in Amerika das Uebergewicht hätte erlangen können. Nirgends trifft man eine Reaktion des Urgeistes gegen die spätere Einwanderung an. Selbst die Indianerstämme Nordamerika's würden, wenn sie nicht von der entschiedenen grausamen Absicht verfolgt gewesen wären und noch wären, daß man sie ausrottet, niemals die Waffen von der Jagd auf den Krieg übertragen haben. Während wir im südlichen Asien, in Afrika immer annehmen müssen, daß sich die Eingebornen gegen die fremden Unterdrücker jede Gelegenheit der Rache herausnehmen und sogar mit Entschiedenheit auf eine das europäische Element zuletzt doch überwältigende Revolution rechnen dürfen, ist in Amerika alles ursprüngliche und eingeborne Kolorit verwischt. Nirgends behauptet sich das Blut und die Farbe, als etwa in den bereits mit Europäischem versetzten Mischungen der Mulatten, Mestizen und Quarteronen. In diesen Mischungen ist es der europäische Uebermuth und klügelnde Verstand, welcher die thierischen, ungezügelten Leidenschaften des Negers und Indianers aufwiegelt. Der reine Indianer folgt mit nachgiebiger Entsagung dem kräftigeren Willen des Europäers, der auch Scheiterhaufen genug angezündet hat, um dem Armen das Maal seiner Tyrannei einzubrennen.
Die Entdeckungen in Südamerika treffen nur noch das Innere desselben. Jene beiden Flächen, welche sich von dem Gürtel der Andes nach Osten und Westen abplatten, sind in neuerer Zeit von naturkundigen Reisenden untersucht worden. Ein großer Theil derselben kam in derselben Absicht, wie Ferdinand Kortez und Pizarro nach Amerika, um die Bergwerke zu untersuchen. Ein Dutzend Aktiengesellschaften waren in Europa zusammengetreten, um die Goldminen von Potosi aufs neue anzustechen und aus den Flüssen den Goldsand auszuschwemmen. Ihre Delegirte überzeugten sich aber bald, daß der Mythus von Peru und Chili größer war, als die kleine Basis von Wirklichkeit, auf welche man ihn gebaut hatte. Ja, sie mußten eingestehen, daß sie erst jetzt die Grausamkeit der Spanier begreifen lernten, diese Grausamkeit, welche durch das Gefühl getäuschter Erwartungen über die Schätze der Indianer gegen die vermeintlichen Besitzer derselben gesteigert wurde. Weil man weniger fand, als man erwartet hatte, so rächte man sich an denen, von welchen man bald einsah, daß sie eines Betruges nicht fähig waren. Die neuern Reisenden brachten wenig Eldorado zurück, aber dafür desto mehr Naturgeschichte. Besonders ist Brasilien in der außerordentlichen Ueppigkeit seiner Vegetation und der bunten Mannigfaltigkeit jener Thierwelt, welche in der blühenden Botanik jenes Landes schwelgt, gründlich ausgekundschaftet worden. Welch' eine Welt! Alles lacht der Sonne mit den schönsten Irisfarben entgegen! Auf den mit den buntesten Blüthen geschmückten Bäumen wiegen sich Affen und Papageien; unter den Palmen und Kaktus, umschwirrt von wunderbar gemalten Schmetterlingen, glaubt man fortwährend in den Gärten eines Sardanapals zu seyn. Ein Land bedarf solcher Schönheitswunder, um einigermaßen für die in diesen Wonnen schwelgende, sinnlich wuchernde, üppige und gefährliche Thierwelt entschädigt zu werden.
Bei Nordamerika ist es weniger das Innere, als die Grenze, die man sucht. Man kennt noch nicht die Konturen des Nordpols; man hat die nordwestliche Durchfahrt noch nicht mit Gewißheit auf die Karte bringen können. Eisgebirge und eine Kälte, die alle Vegetation, selbst auch die animalische Existenz des Menschen aufhören macht, werfen den Unternehmungsgeist immer wieder von der nördlichen Abplattung der Erde zurück; man wird so leicht nicht eine größere Aufopferung finden, als sie Parry und Roß bewiesen haben, doch haben auch diese kaum etwas Größeres durchgesetzt, als daß sie sich in der Fähigkeit, Kälte auszuhalten, einer den andern übertrafen.
Europa liegt klar vor unserm Blicke. Hier wissen wir Alles, was wir besitzen; hier ist kein Wald, kein Fluß, kein Gebirg, dessen Inhalt nicht ausgemessen, gewogen und beschrieben ist. Ueberall hin ist die Civilisation gedrungen. An Europa kann man kein Cook mehr werden.
Die Entdeckungen, welche es bei uns nur noch geben kann, sind moralische, physikalische, mechanische. Bei uns sind an die Stelle der Entdeckungen die Erfindungen getreten. Die Schiffe, die man ausrüstet, legen Anker in der Luft. Man rüstet Expeditionen aus, um die Elemente zu befahren, und in die Stoffe zieht eine Karawane witziger und scharfsinniger Kombinationen ein. Die moralischen Entdeckungen mögen vielleicht noch den meisten geographischen Beigeschmack haben; o ja, man kann mitten in Paris, mitten in dem Gewühl, welches an der Themse wogt und braust, in dem, was Alle kennen, doch noch immer etwas Neues entdecken. Die vorzugsweise moderne Gestaltung der Literatur hat diese Seefahrten in das Innere der Menschenbrust übernommen. Die Existenz unseres Geschlechtes, selbst in der Hyperkultur, mit welcher sie wider Willen gesäugt und genährt ist, hat so viele dunkle Schattenpartien, daß in den Werken eines gediegenen, gefühlvollen und mit scharfen Augen begabten Sittenmalers der Lesewelt oft ganz neue Regionen unserer Gesellschaft aufgehen. Wie schwer ist es z. B. zu entdecken, wovon Sir Thomas Kugler lebt? Man sieht ihn voll und genährt und sieht nicht, daß er arbeitet. Man weiß, daß er mit dem Bankrutt seines Vaters auf die Welt kam, und daß seine Mutter im Schuldgefängnisse gestorben wäre, wäre sie nicht zu den Methodisten übergegangen und hätte sich von den Almosen einer kleinen ekstatischen Gemeinde zu Tode nähren lassen. Wovon lebt Sir Thomas? Er trägt die schlechteste Garderobe, die man tragen kann, ohne für einen Bettler angesehen zu werden; er hat nichts, alle Welt weiß es; er würde längst den Armengesetzen verfallen seyn, wenn ihn der Adel seines Namens nicht zurückhielte, um Unterstützung einzukommen. Aber sein rundes Aussehen, seine genährten, blühenden Wangen, diese lächelnde Physiognomie eines Mannes, der das Bewußtseyn hat, gut zu verdauen? Ja, dieß ist das Räthsel, hier ist der Hafen, hier schiffe man sich ein und entdecke auf der Erd- und Glückskugel unserer moralischen Existenz ein neues Amerika!
Obschon es nicht in meinen Gegenstand dießmal gehört, so hab ich mir doch den Vorwurf zu machen, daß ich die Neugier meiner Leser erweckte. Sir Thomas Kugler lebt, wie ich authentisch versichern kann, nur von Näschereien, in dem Sinne, daß er von hundert verschiedenen Viktualien des Tages ein kleines Stück, und zwar nur zur Probe, ißt. Man gehe nur an den Strand und sehe, welche Rolle unser Industrieritter in den Docks spielt. Er ist ein Waarenmakler, er hat Aufträge zu besorgen für hundert Firmen, welche in Kaviar, Austern, Butter, Käse, Portwein, kurz in den nährendsten und kräftigendsten Gegenständen des Groß- und Kleinhandels Geschäfte machen. Sir Thomas gibt sich für einen Agenten dieser Häuser aus. Sein ärmliches Aeußere, in Verbindung mit der strotzenden Wohlgenährtheit, gibt ihm das Ansehen einer gewissen soliden Bürgerlichkeit, die aufs Aeußere nicht viel hält, aber ihre Rippen gut zu kräftigen weiß. So geht er von einem Faß zum andern und probirt. Wenn es ihm am herrlichsten schmeckt, verzieht er den Mund, als sey ein Fehler an dem Kaviar; hat er den Rücken eines Härings rein heruntergegessen, so erklärt er mit bedenklichem Kopfschütteln: »er empfinde einen thranigen Geschmack;« niemals winkt er mit dem Auge zu und läßt sein inneres Wohlbehagen über die frischen Leckerbissen laut werden, weil er sonst in die Verlegenheit käme, einen Preis akkordiren zu müssen. Wenn eine Auktion angekündigt ist mit der Bemerkung: Proben werden gratis verabreicht, so wird man ihn immer mit affektirt mürrischem Gesicht dorthin wandeln sehen. Er kömmt so eben vom Strande, wo er sich an einer Mosaik der herrlichsten Einzelgenüsse im Ganzen sattgegessen hat; er wischt sich den Schweiß von der Stirne, klagt über die Beschwerlichkeit seiner Verrichtungen und spült sich mit dem herrlichsten Weine den Nachgeschmack seiner Gratismahlzeiten hinunter. So lebt Sir Thomas, so kann er leben, ohne Furcht, entdeckt zu werden, bei der ungeheuren Menge von aufgestapelten, zum Verkauf und zur Auktion kommenden Waaren, bei der entsprechenden großen Anzahl von Maklern, unter denen er trotz seiner Beleibtheit spurlos verschwindet.
Höher aber als diese Erfindungen einer überfeinerten Industrieritterschaft stehen jene Entdeckungen, welche die Künste und Wissenschaften bereichert haben; ja man wird es lächerlich finden, wie ich Sir Thomas mit Männern wie Davy und Dollond in Verbindung bringen kann. Im Allgemeinen ist die gegenwärtige Zeit nicht so reich an Erfindungen, wie die des ganzen vorigen und beginnenden laufenden Jahrhunderts. Es ist dieß gerade wie mit der Kunst und Wissenschaft selbst, wo man gestehen muß, daß unsre Zeit nur die Früchte jener Saaten erntet, welche im achtzehnten Jahrhundert gesäet wurden. Das achtzehnte Jahrhundert war groß in der Anspannung seiner geistigen Kräfte. Das achtzehnte Jahrhundert hat alle jene Theorien erfunden, mit deren praktischer Anwendung wir uns gegenwärtig bereichern. Wir sind die kräftigen Söhne einer Mutter, deren Geist und Schönheit von Allen gerühmt wird, die sie in ihrer Jugend und höchsten Blüthe sahen. Alles, was wir haben und gegenwärtig sind, verdanken wir dem Aufschwunge, welchen die Ideen zur Zeit unserer Väter genommen hatten. Das achtzehnte Jahrhundert hatte weniger Ausdehnung, Manier und Haltung als das unsrige, aber es war tiefer und gründlicher. So haben wir zwar in gegenwärtiger Zeit Alles, was sich von physikalischen, chemischen und mechanischen Entdeckungen auffinden läßt, praktischer verarbeitet und für die Benutzung im gemeinen Leben eingerichtet; allein das achtzehnte Jahrhundert hat jene Faktoren erfunden, aus denen wir erst den Schluß machen. Die Resultate sind die unsrigen, der Ruhm der Prämissen gebührt dem außerordentlichen Genie und der Denkkraft vergangener Zeiten.
Im achtzehnten Jahrhundert waren schon längst die Dampfmaschinen, Dampfschiffe, Telegraphen und Eisenbahnen erfunden; nur dachte man noch nicht daran, diese Erfindungen so in die gemeine Wirklichkeit einzuführen, wie es jetzt geschehen ist. Die Blitzableiter, Chronometer, Luftballons und Spinnmaschinen gehören dem achtzehnten Jahrhundert an, wie außerdem eine Menge von Nebenentdeckungen, welche die Industrie erleichterten und ihre Handgriffe vereinfachten. Dahin gehören neue Heizmethoden, die Cylindergebläse, die Maschinen für schnellere Zeugbereitung, der Gußstahl, das Gußeisen, Bohrmaschinen, die Rettungsboote und eine Menge von Apparaten, mit welchen man neue Gesetze in dem mehr theoretischen Bereich der Wissenschaften entdeckte und noch andre zu entdecken erleichterte. Die darauf folgenden Erfindungen des neunzehnten Jahrhunderts haben alle einen mehr praktischen Charakter. Mit dem Sinn für die Kunst steigerte sich das Bedürfniß einer mehr wohlfeilen Vervielfältigung ihrer Leistungen; man erfand die Lithographie. Mit dem politischen Umschwung der Zeitgenossen, den großen welterschütternden Begebenheiten und dem verworrenen Antheil, welchen alle Welt an der Politik des Tages nahm, erfand man die Schnellpresse für die Buchdruckerei, man erfand zu demselben Zweck das endlose Papier, man erfand in Folge der kriegerischen Stimmung der Zeit die Dampfkanonen, die Perkussionsschlösser an den Feuergewehren; kurz, der menschliche Geist arbeitete und rang in allen Gebieten nach Ueberwältigung der wie Proteus sich sträubenden und in ihren Gesetzen ungemessenen und gestaltenreichen Natur. Man dachte nicht mehr einseitig nur an den Reichthum und die Gesundheit oder ein langes Leben, sondern wurde von einem bis zur Andacht gesteigerten Drange getrieben, von der Natur Alles möglich zu halten, jede Wirkung, jede Verbindung, die der menschliche Geist ihr nur zu geben im Stande wäre. Bei einzelnen Köpfen, die sich vorzüglich auf das Erfinden gelegt hatten, und denen einmal ein glücklicher Wurf gelungen war, steigerte sich der Scharfsinn zur Spitzfindigkeit und die Originalität zu einer an Narrheit grenzenden Monomanie. So erzählte mir jüngst ein Gentleman, welcher zerrütteter Vermögensumstände halber gezwungen war, eine Zeit lang auf dem Kontinente zu leben, und das Städtchen Mannheim am Rheine, angelockt von mehreren dort angesiedelten englischen Familien, zu seinem Aufenthalt gewählt hatte, von einem wunderlichen Adeligen, dem Sproß einer in dortigen Landen achtbaren Familie. Dieser Herr von D .... hatte das Glück gehabt, mit Hülfe eines ihm wirklich von der Natur gestatteten erfinderischen Geistes ein Fuhrwerk zusammenzusetzen, welches, auf zwei Rädern ruhend, fast die Gestalt einer Spinnmaschine hat. Die ganze Einrichtung ist so getroffen, daß man mit einigen geschickt angebrachten Bewegungen sich selbst auf diesen zwei Rädern fortspinnen kann. Die Maschine gibt einen schnurrenden Ton von sich und erlaubt Jedem, der sie gut zu führen im Stande ist, sich mit einer Schnelligkeit fortzubewegen, die etwa an einen kleinen Pferde- oder, besser gesagt, Hundetrab erinnert. Die ganze Maschine ist auf Lächerlichkeit angelegt, denn nur Kinder können sich derselben, der komischen Gestikulationen wegen, die man dabei machen muß, bedienen. Es sieht fast so aus, wenn man auf der Maschine sitzt, als wollte man auf dem Straßenpflaster Schlittschuh laufen. Genug, seit Erfindung dieses ganz zwecklosen Kinderspielzeugs hat Hr. von D., so zu sagen, seinen Verstand verloren. Die Zwecklosigkeit seines Fuhrwerks wohl fühlend, strebte er nach höherer Anwendung der Gesetze, auf deren Grund es konstruirt war; aber nicht ein einziges Projekt ist ihm mehr gelungen. Bald hat er eine neue Flugmaschine fertig, bei deren Benutzung man sich unfehlbar den Hals brechen würde, bald will er die Kunst entdeckt haben, beim Luftballon ein Steuerruder anzubringen. Er hat wirklich ein Projekt durch die Zeitungen bekannt machen lassen, nach welchem man künftig, um bei Fuhrwerken eine größere Schnelligkeit zu erreichen, besser thäte, die Pferde hinter den Wagen anzuspannen. Alle Erfindungen des Herrn von D. sind mechanische Hirngespinnste; von Kenntniß der Physik hat er keine Vorstellung. Hier einen Druck, dort eine Feder, hier eine Spindel, die um sich selbst läuft, dort ein wellenförmiges Rad; aus solchen kindisch-winzigen Hülfsmitteln will er Hülfswerkzeuge für die außerordentlichsten Naturerscheinungen herstellen. Genug, Herr von D. ist ein Narr.
Aber man käme schön an, wenn man Herrn von D. nur die bedenklichste Miene und das leiseste Kopfschütteln über seine Tollheiten verriethe. Mein Freund kam gerade nach Mannheim, wo die Stadt von einer gräßlichen Geschichte über Herrn von D. erfüllt war. Er hatte sich nämlich anheischig gemacht, Todte durch Einblasen seines Odems frisch nach ausgehauchter Seele wieder ins Leben zurückzurufen. Er hatte den Moment abgepaßt, wo einer armen Frau in der Vorstadt eben ihr krankes Kind gestorben war. Herr von D. stürzt in das Haus hinein, über die kalte Leiche her und beginnt aus Leibeskräften ihrem krampfhaft offenstehenden Munde seinen Athem einzublasen; die Mutter schreit, die Bewohner und Nachbarn des Hauses kommen zusammen; Herr von D. läßt sich nicht stören, sondern schrie, während man ihn von hinten wegziehen wollte, einmal über das andere: »Es lebt schon, es lebt schon.« Als ihn endlich die Polizeibehörde ergriff und von der Leiche fortriß, bewegte sie sich in der That; allein es war dies nur das allmähliche Einfallen des von Herrn von D. wie ein Schlauch aufgeblähten Leibes; er mußte sein blasphemisches Blasen eine Zeit lang mit dem Gefängnisse büßen.
Seither hat sich Herr von D. wieder ganz auf die Mechanik geworfen. In Folge jener mißlungenen Todtenerweckung hat er gesagt, die Physiologie gäbe keine genügenden Resultate. Das vielfache Gespräch über Eisenbahnen, der Luftballon des Herrn Green haben ihn um die letzte Dosis von Verstand gebracht. Sieht man ihn an öffentlichen Orten, in der Stadt oder auf der Straße, so kann man ihm ohne Weiteres in den Weg treten und ihn anreden: »Herr von D., ich habe gehört, daß Sie sich gegenwärtig mit der Untersuchung beschäftigen, Vögel so abzurichten, daß sich die bisherige Luftschifffahrt in Luftfuhrwerk verwandeln lasse?« Herr von D. wird stolz, mit einem etwas mißtrauischen, übrigens boshaften Blicke antworten: »Ja, Sir« -- und sogleich anfragen: »wollen Sie eine Aktie nehmen?« Diese Zudringlichkeit verleidet jeden Scherz, den man sich mit ihm machen möchte; man wird ihn nicht los, er verfolgt uns sogar in unsere Wohnung und setzt uns das Messer an die Kehle oder, was ihm noch lieber wäre, an unsern Geldbeutel. Er hat hundert Ideen zu gleicher Zeit und ist im Stande, uns seine Vogelflugfahrluftmaschine durch die Tauben, welche vor den Wagen der Venus gespannt waren, oder durch die Greife der Tausend und Einen Nacht zu beweisen.
Dieß ein Extrem.
Die Entdeckungen, welche zuvörderst in das Gebiet der Physik und Chemie gehören, haben in neuerer Zeit beiden Wissenschaften eine ganz veränderte Gestalt gegeben. Es ist besonders die Lehre vom Elektromagnetismus, welche in der bisherigen Physik und Chemie allen früheren Gesetzen ganz neue Nuancen gab. Die elektrischen Strömungen riefen den Magnetismus hervor; jetzt hat man auch umgekehrt versucht, durch Magnete elektrische Strömungen hervorzurufen. Die von dem Franzosen Ampère darüber gemachten Andeutungen hat Faraday bis zur Evidenz erhoben. Man wird von mir eine Darstellung der hier einschlagenden Versuche mit ausgehöhlten Holzcylindern und spiralförmigen, mit Seide ausgesponnenen Metalldrähten nicht verlangen; allein das neueste Resultat des Elektromagnetismus kann ich nicht übergehen, nämlich die Aussicht, durch diese Entdeckung eine Kraft zu gewinnen, welche die des Dampfes noch bei Weitem übertrifft und in ihrer Anwendung auf die Mechanik weit wohlfeiler ist, als die Hülfsapparate von Eisenbahnen, welche man braucht, um dem Dampfe die freie Entwicklung seiner freilich ausgezeichneten Kraft zu geben. Wie man hört, soll, um die elektromagnetische Friktion auf die beschleunigte Fortschaffung von Lasten anzuwenden, es nur noch an einem äußeren Gestell, an einem passenden mechanischen Träger jener Kraft fehlen. Erfindet man diesen, so werden alle unsere Eisenbahnen überflüssig, so haben unsere Aktionäre derselben keine Steigerung ihrer Dividenden mehr zu erwarten.
Die Physiker und Chemiker haben in neuerer Zeit durch Mischung von Sauerstoff und Wasserstoff sogar der Natur ins Handwerk fallen können. Sie haben Glimmer, Hyazinthen, Hornblenden durch jene Mischungen niederschlagen können und dadurch auf die Theorie der Erdbildung ein aufklärendes Licht geworfen. Freilich sind diese Resultate nur theoretischer Natur und gehören in die Vorhallen der Systeme. Doch mancher andere Fortschritt, z. B. der erst neuerdings erfundene Chlorkalk, lassen sich schon mit vielem Erfolge auf manche Fabrikationszweige anwenden. Die Laien sind mit dem Chlorkalk bekannt genug geworden, als die Cholera heranrückte, und man ihre Natur für eben so ansteckend hielt wie die asiatische Pest. -- Endlich haben im Bereiche der Optik die Naturforscher dieser und der kaum vergangenen Zeit außerordentliche Fortschritte gemacht. Brewsters und Wollastons Entdeckungen sind in die Werkstätten der Techniker übergegangen. Die Kunst, das Glas achromatisch zu schleifen, stieg in England und Deutschland bis zu einer außerordentlichen Vollkommenheit. Ja, ist die Blüthe der Naturlehre nicht die Farbe, des Regenbogens bunte Mannigfaltigkeit? Wie schön und wahr, daß ein deutscher Dichter, der seine Beobachtungen und Empfindungen gern an das Maß gegebener Zustände anknüpfte, in den Tempel der praktischen und technischen Natur nur durch jene krystallinische Prismapforte trat, durch welche die Sonne ihre sieben Farben bricht? Über die Farbe und das Licht kann der am chemischen Laboratorium gebräunte Praktiker nicht urtheilen; wie es in jeder Wissenschaft einen Seitenweg gibt, z. B. in der Theologie, in der Rechtsgelehrsamkeit, ja sogar in der Medizin, wo Theorie und Experiment nicht mehr ausreichen, sondern der Laie und Dilettant oft tiefer und wahrer blickt, als der Mann vom Fach.
Noch bei Weitem großartiger entfaltete sich der Erfindungsgeist der neueren Zeit in Zusammensetzung mechanischer Hülfsmittel für die Industrie. Die Kraft des Dampfes kam hinzu und konnte als Herr und Meister über die neuen Schöpfungen des Scharfsinnes gesetzt werden. Das Maschinenwesen hat, weil es natürlich eine Menge von Handarbeitern außer Brod setzte, viel Widerspruch gefunden. Allen diesen Gegnern stellte Lord Brougham in seinen Resultaten des Maschinenwesens eine lichtvolle, jedermann verständliche Vertheidigung entgegen. Es ist in dieser Schrift von der Stecknadel an bis zur komplizirtesten Produktion der höhern Industrie der Beweis geführt worden, daß durch den Satz von der Theilung der Arbeit die Arbeit selbst leichter, wohlfeiler und besser geliefert werden könne. Die roheste Widerlegung einer solchen Schrift ist die der Tumultuanten von Spitalfield. Die Maschinen zertrümmern, heißt allerdings in einem gewissen Sinne ihre Unbrauchbarkeit beweisen. Uebrigens legt sich allmählich diese Feindschaft gegen das Maschinenwesen. Daß die Frage einen moralischen Gesichtspunkt hat, berührten wir schon im vorigen Kapitel, wo wir die Staatsmänner aufforderten, auf eine weitere Ausgleichung der Interessen des forschenden Verstandes und der zurückbleibenden, darauf abgelernten technischen Unbeholfenheit bedacht zu seyn.
Eine Erfindung in der Maschinenkunde, an der man recht sehen kann, daß, wo einmal ein Bedürfniß vorhanden ist, auch die Natur oder der menschliche Verstand die Mittel aufzufinden weiß, es zu befriedigen, ist die Schnellpresse der Buchdrucker. Welch ein Kontrast zwischen der alten Guttenbergischen Holzpresse und dem durch die politischen Begebenheiten bis in das unterste Volk geweckten Sinn für Oeffentlichkeit! Schon ein Werk, wie die Bibel, in jener alten, die Bogen Papier wie in Windeln einwickelnden Methode zu drucken, welch' eine Weitläufigkeit! Und nun diese tägliche Volkschronik, welche durch das Bedürfniß, sich belehren zu wollen, durch die Neugier nach Staats- und Gelehrtensachen, durch die Nothwendigkeit, von seinem Geschäfte und dessen Leistungen die Bekanntschaft zu verbreiten, sich zusammensetzt; nicht nur diese Fluth von Zeitungen, sondern noch mehr die ungeheure Zahl von Abnehmern, die sich für den Werth einer Einzigen unter ihnen entscheiden; hier konnte die alte Methode nicht mehr bleiben; die neue war so thatsächlich nothwendig, daß sie sich gleichsam von selbst schuf. Ehe man noch den rechten Gedanken fort hatte und ihn später auch durch die Dampfheizung vervollkommnete, war man genöthigt, eine Zeitung, die unter Napoleon zwanzig bis dreißigtausend Abonnenten hatte, zwei- dreimal zu setzen, weil man sonst den Tag und die Minute, wo der Abonnent seine Zeitung haben will, und die Konkurrenz sie auszugeben gebietet, nicht einhalten konnte. Warum hat die Gelehrsamkeit noch nie anerkannt, daß der wahre Stein der Weisen, ein Metall, und zwar das Blei, ist? Die beweglichen Lettern gaben der Wissenschaft erst die Garantie ihrer Dauer, und das Dunkel eines neuen Mittelalters könnte erst dann wieder über Europa hereinbrechen, wenn sich vielleicht die Masse des gedruckten Papiers, was zu befürchten steht, zu einer solchen Ueberfluthung steigern sollte, daß das menschliche Auge überall nichts als Bücher und Papier erblickend, sich bis zur Unempfindlichkeit abstumpfte gegen etwas, das ihm massenweise geboten wird. Ich fürchte immer, daß die Zeit, wo am meisten gedruckt, immer auch die ist, wo man das Wenigste lesen wird. Ist erst die Wissenschaft und die Aufklärung, ist erst die Literatur, selbst in ihren schönen und graziösen Bewegungen, etwas, das den Reiz der Neuheit und des Außerordentlichen verloren hat, dann sind wir auf jenem Punkte, der mir die traurigste Periode von allen zu verkündigen scheint, in der Barbarei der Ueberkultur. Ich höre demnach mit Freuden von Buchhändlern und Buchdruckern, daß es noch immer Werke gibt, welche ihre Bestimmung nicht verfehlen, und doch nicht nöthig haben, mit Dampf gedruckt zu werden.
Im Alterthum war die Wirkung des Dampfes die der Begeisterung. Pythia, umnebelt von den aus einem unsichtbaren Ofen heraufströmenden Weihrauchwolken, sprach über Griechenland hin ihre räthselhaften Distichen, wo hölzerne Mauern Schiffe bedeuteten, und die Ungewißheit des Schicksals in der ungewissen Stellung einer negativen Partikel lag. Im Mittelalter wüßte ich nicht, daß man vom Dampfe Nutzen oder Aufklärung gezogen hätte. Erst die neue Zeit brachte es heraus, daß Dämpfe die Aetherisirung der Flüssigkeiten und eben so viel Expansivkraft, wie diese selbst, haben. Der Gedanke, Lasten durch die konzentrirte Kraft des Dampfes fortzutreiben, gehört, wie andere großartige Gedanken, der Mitte des vorigen Jahrhunderts an. Bis zur Vollkommenheit wurden jedoch Dampfwagen erst in neuerer Zeit gebracht. Dampfpferde sind jetzt Maschinen, die kein Heu oder Hafer fressen, sondern Steinkohlen, und denen man sogar die Kraft nahm, in ihrer Art auszuschlagen oder durchzugehen, durch die Erfindung der Sicherheitsventile. Mit den Dampfwagen verbanden sich die Eisenbahnen, welche gleichfalls, ihrer Idee nach, schon älter als ein Jahrhundert sind. Man wußte längst, daß, je ebener die Bahn, desto größer die Zugkraft der Pferde ist. Die Kunststraßen aus Quadersteinen gingen den Eisenbahnen voran. England baute zuerst gußeiserne Schienenwege, und hat dadurch nicht nur der Industrie und dem Handel der Heimath einen außerordentlichen Schwung gegeben, sondern auch auf dem Kontinente Nachahmungen, Prüfungen, ja sogar Chimären über die neue Idee veranlaßt. Die Franzosen sind in der Prüfung stecken geblieben, die Deutschen in der Chimäre. Wenn man den Mittheilungen Reisender glauben kann, so soll dort der Eisenbahnschwindel die Stelle der daselbst so vielfach von der Regierung befürchteten Revolution eingenommen haben. Die Deutschen, von jeher gewöhnt, Alles, auch das Ungesetzliche, auf eine gesetzmäßige Weise zu betreiben, haben die Eisenbahnen wie Emeuten betrieben, es war für sie eine Revolution, die kein Blut kostete, und die in dem Augenblick, wo wir dieß schreiben, sogar schon beschwichtigt ist und ihren achtzehnten Fructidor gefunden haben wird. Der Franzose hat in der Eisenbahnenfrage wohl gefühlt, wie außerordentlich groß deren Wichtigkeit für das Zeitalter ist. Der Franzose hat sich sogar nicht verschweigen dürfen, daß, wenn irgend etwas, so die Eisenbahnen sein Centralisationssystem begünstigen. Dennoch haben sich die Franzosen gegen die Einführung derselben gesträubt und dabei, meines Erachtens, einen besondern Zug ihres Nationalcharakters verrathen. Man kann nicht sagen, daß der Franzose sehr geschickt ist, er hat Esprit, aber kein großes technisches Talent. Er erfindet leicht, er begreift auch leicht, aber nur in dem Fall, daß sein eigenes Verständniß und seine flackernde Kombination der Darstellung eines Experimentes, welches man ihm vormacht, entgegen kömmt. Der Gedanke, eine Civilisationsfrage nur nicht blos nachahmend anzugreifen, sondern sie vielleicht gänzlich zu verfehlen, hat die Franzosen zweideutig gegen die Eisenbahnen gestimmt und dadurch Veranlassung gegeben, daß man den Lichtseiten des Eisenbahnsystems auch eine Schattenseite gegenüber stellte. Frankreich gibt vor, durch Eisenbahnen aller finanziellen Kontrole beraubt zu werden. Eine Eisenbahn zwischen Brüssel und Paris würde ohne eine Handelsverbindung mit Belgien und eine Aufhebung des höchst einseitigen, auf den Vortheil einiger privilegirter Kasten berechneten Prohibitivsystems gar nicht denkbar seyn. Ein französischer Schriftsteller, der sonst nur für einen entschiedenen Anhänger aller akademischen Einseitigkeit Frankreichs bekannt ist, Herr Nisard, hat mit viel witziger Laune die Verlegenheiten dargestellt, in welche der französische Handelsegoismus durch die Brüsseler Eisenbahn gerathen würde. Kontrole auf der Grenze wäre nicht mehr möglich, da durch einen solchen Aufenthalt der Zweck der Eisenbahnen, die Schnelligkeit, ganz verfehlt wäre. Eine Kontrole kurz vor Paris würde eben so schwierig und unfruchtbar seyn, da es eine ganze Karavane von Wägen, einige hundert Koffer und Mantelsäcke und eben so viel Passagiere zu untersuchen geben würde.
Eine andere Besorgniß gegen Einführung der Eisenbahnen ist noch thörichter, die nämlich, daß der Zeitgeist mit allzugroßer Schnelligkeit sich würde zu verbreiten anfangen können. Man hat dagegen geltend gemacht, daß ja dann auch wieder die Regierungen den Vortheil haben würden, Reaktionsmaßregeln mit desto größerem Nachdruck zu ergreifen. Vermittelst einer Eisenbahn kann leicht ein ganzes Armeekorps im Fluge von Ungarn nach Italien und von Rußland an die Grenzen der Schweiz versetzt werden. Rechnet man hinzu, daß dasjenige, was sich für die Revolution durch die Eisenbahnen beschleunigen würde, doch immer nur das Gerücht einer irgendwo ausgebrochenen Explosion seyn kann, so stehen die Regierungen, über ihre materiellen Kräfte gebietend, auch hier nur im Vorsprunge.
Melancholischer sind die Besorgnisse derjenigen poetischen Gemüther, welche sich überhaupt vor der Verbreitung des Dampfes und der industriellen Aufklärung fürchten. Diese phantastischen Seelen werden bei Einführung der Eisenbahnen jenes dämmernde Helldunkel vermissen, welches auf dem Begriffe der lokalen Entfernung liegt. Es geht ihnen durch den Gedanken, hier zu frühstücken und 20 Meilen weiter schon zu Abend essen zu können, eine Illusion verloren. Die Schönheit der Gegenden verschwindet; poetische Wanderschaften durch Gebirgsgegenden mit Hemmschuhen und allenfalls zerbrochner Axe werden undenkbarer. Diese poetischen Gemüther haben demnach die kindische Vorstellung, die ganze Welt werde sich hinfort nur auf Eisenbahnen bewegen und kaum noch einen schattenreichen Platz im nah gelegenen Wäldchen suchen oder des Sonntags über Land gehen. Sträubt euch nicht, ihr romantischen Herzen! England hat der Eisenbahnen bereits so viele, daß Handel und Industrie dadurch in den blühendsten Aufschwung versetzt sind, und dennoch werdet ihr Gentlemen und Ladies sehen in Italien und der Schweiz, welche des Morgens um 2 Uhr aufstehen und mit erfrorener Nase unter dem Schutz einer Laterne die Berge besteigen, um die Sonne aufgehen zu sehen. Blickt nur umher auf dem Continente! Die Engländer sind vom Dampfe so überwältigt, daß er ihre Städte und Wohnungen mit dichten Wolken bedeckt, und doch werdet ihr selten einen Palast in Italien, einen Thurm in Deutschland, eine Kuh in der Schweiz finden, wo sich nicht in einiger Entfernung eine englische Dame mit ihrem Crayon hingepflanzt hat, um den poetischen Moment in ihrem Album zu verewigen. Wer weiß es zuletzt, ob der Zucker, der in unserm Thee schmilzt, von indischem Rohre oder von der Runkelrübe kam? So lange die moderne Aufklärung uns noch nicht Nachtigallen gebraten auf den Tisch setzt, wollen wir ihre Fortschritte nicht verdächtigen, wenn ich auch aufrichtig gestehe, daß es mir in manchen Gegenden schon unmöglich wird, durch das Feld zu streichen und mich des Gesangs der Lerche zu erfreuen, des unausstehlichen Gestankes wegen, welchen die Natur seit der leidenschaftlichen Verbreitung des landwirthschaftlichen Dungprinzipes ausathmet.
Nein, nicht Alles kann Maschine werden! Aus Genfer Taschenuhren lassen sich keine menschlichen Herzen machen; Automaten werden niemals, wenn wir sie auch auf den Markt schicken können, an unsern Versammlungen und Bestrebungen Theil nehmen. Man lasse dem erfindenden Menschengeiste den freisten Spielraum. Gibt es eine größre Aufgabe, als der Natur ihre geschickten Handgriffe abzulauschen und sie, die launische, gedankenlose und bald ermüdete, durch menschlichen Eifer, Rath und die Ausdauer seines Geistes, welche die Ausdauer der schwachen Hände stärkt, noch in ihren Gebilden zu übertreffen? Die Natur besitzt so außerordentliche Reichthümer, so große Gesetze und Erfahrungsthatsachen und achtet sie ihrer angebornen Trägheit und Unbeholfenheit wegen so wenig. Sie ist einer Trödlerin zu vergleichen, welche unter ihren alten Schildereien Gemälde von Tizian besitzt, ohne sie zu kennen. Die Natur verschleudert Alles; sie gibt Alles um denselben Preis her, ja das Kleine schlägt sie oft höher an, als das Große. Die Menschheit geht auf das, was größre Anstrengung kostet; sie arbeitet aus Ehrgeiz Zwecken nach, an welche die Natur viel Gefahr geknüpft hat, und die doch von weit geringerm Werthe sind, als andre, die offen auf der Hand daliegen, und bei denen man nur zugreifen sollte, um bei jedem Griffe Gold zu entdecken. Glaubt ihr denn, daß alle jene scharfsinnigen Gesetze und Combinationen, welche der moderne Erfindungsgeist der Natur zu entbeuten weiß, die Menschheit von der sinnigen Betrachtung göttlicher Fügungen entfernen müsse? Freilich, wenn man sich gewöhnt hat, seine Begriffe über Gott und den Weltzweck gänzlich an die Natur anzuknüpfen, da muß wohl die Furcht vor dem Ewigen schwinden, wenn man die Natur in ihren Geheimnissen überrascht und sie zwingt, der kecken Neugier des Menschen Rede zu stehen. Aber die Natur ist nichts Ewiges, sie ist zwar das Abbild göttlicher Begriffe, aber nicht die äußere, dem Innern gänzlich entsprechende Form derselben. So sollten auch alle Fortschritte der neuen Erfindungskunst dahin benutzt werden, in den mathematischen, harmonischen Kräften der Natur, in ihren jetzt erst aufgelösten Entwicklungen der Materie diese Anknüpfungspunkte nachzuweisen, wo man durch die Ritzen der Natur hindurch in den göttlichen Ursitz ihrer Schöpfung blicken kann. Alles, was in der Natur Gesetz und Regel ist, ist Nachklang und stärker oder stiller hallendes Echo heimlicher in der Ferne rufender Gottestöne. Und so kann die Natur, weit entfernt, in ihrer Ausbeutung nur zur Verbreitung eines gottfeindlichen Materialismus zu dienen, weit mehr die Begründung einer innigern und darum um so stärkern Religion werden, als sie mit den Fortschritten unsres rastlos strebenden Verstandes einen und denselben Schritt hält. Jetzt triumphirt man noch über die Natur, indem man sie durch unsre großen Entdeckungen und Erfindungen zu demüthigen glaubt; allein wenn wir erst auf den Punkt gekommen sind, nach welchem sich alle philosophische Betrachter unserer Zeit sehnen, daß das Christenthum, daß unsre positive Religion und Kirche sich mit den Bedürfnissen des Augenblicks und dem jetzt im Schwange gehenden Geiste der Zeiten verständigt, dann wird gerade die Natur, gerade unser Materialismus, gerade unser aufklärerischer Verstand wieder die Pforte seyn, durch welche wir in das innere Heiligthum der Gottheit dringen.