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Drittes Buch.

Arthur und Edmund, Ihr beiden Wendekreise, durch welche meine Jugendsonne geschritten, ich sah Euch wieder! Ich erblickte Dich Arthur mit Deinem stürmenden Drange, Hohes zu denken und zu thun, Dich, Edmund, Du weiches zartes Gebild, schöner als Arthur aber kein Granit, wie der! Wir standen uns stumm gegenüber, unsre gesenkten Augenwimpern beschatteten zwei Geheimnisse, die doch ach! in Euern Seelen noch nicht ganz verklungen sind? So zu stehen in einer Gegenwart, die ihre Pflichten, ihre Wirklichkeit hat, der wir mit Theilnahme angehören, und so plötzlich in die Vergangenheit zurückversetzt in Etwas, das nicht blos Erinnerung ist, sondern lebendige Täuschung mit sausender Wahrheit, mit sprechenden Pflichten und uns wohlbekannten weinenden Schmerzen – Es ist ein Gefühl, klar genug aber nicht klar zu machen. Und nun Beide, die Ihr von einander nichts wisset und ich dazwischen stehend. Jedem von Euch ein Ganzes, mir selbst aber zersplittert, vielleicht so wie Kieselsteine sich zerschlagen lassen, daß alle Theile die Form des Ganzen tragen. Oder habt Ihr Ahnung von einander?

Ich umschlang Euch Beide mit so inniger Liebe, daß Ihr mir nur ein Name waret, ein Ziel, ein Höchstes! Ich habe nie aufhören können, in Edmund Arthur zu lieben, und in dem Bilde wo es Arthurs Erscheinung nicht bedurfte, um es in meiner Seele wieder aufzufrischen, fehlt nicht einer der sanften Züge die Edmund gehören. Eure Namen sind nur veränderte Zeiten, veränderte Entschlüsse, sind nur eines Mannes Bezeichnung, während der Zwiespalt und die Zweiheit nur in mir liegen. Ich war die doppelte Person die heute Arthur, morgen Edmund hieß, die eine einzige hohe Gottheit durch zwei entgegengesetzte Opfer ehren wollte!

Schmerzliche Täuschung! Ich hatte geglaubt, daß wie Arthur und Edmund in der Liebe für mich nur Eines waren, sie auch die Natur als Zwillingsbrüder geschaffen, und mit gleichen Gaben und Ansprüchen ausgestattet hätte. Was ich aber sahe, war, daß sie sich alle gleichen in dem Maaße von Theilnahme, deren ihr Herz bedarf, daß aber die Mittel und Formen ihnen das einzuflößen, was der Durst nach ihnen ist, die Liebe der Geliebten, die verschiedensten sind. Zu weich gegen Arthur, glaubte ich gegen Edmund hart seyn zu müssen; und dessen Arthur bedurfte war dasjenige, was Edmund bei mir am liebsten preisgegeben hätte. Wodurch ich sie beglücken wollte, dadurch verdarb ich sie. Wer ist unglücklicher, als ein Weib das liebt und nicht weiß, ob sie es gern hell oder dunkel, lieber blau als roth, lieber süß als salzig haben?

Ich will die wenigen Augenblicke, die ich vom Umgange mit meinen Zöglingen sparen kann, ich will die stille Stunde der Nacht der Erinnerung widmen und mir die Welt, die mir durch Personen wie Arthur und Edmund nicht versinnlicht werden kann, mit liebendem Andenken auf das Papier zeichnen. Es war nur stilles Leben das mich seither umgab, aber es pulsete mächtiger als wär' ich im Strudel des großen Lebens geschwommen, wo man über dem Eifer kleine Sandbänke und Zielpunkte zu erreichen, die Abwechselungen der schwimmenden Fahrt selbst vergißt und nur dumpfes brausendes Wasser im Ohre fühlt. Die unvergeßlichsten Momente sind die kleinen und unscheinbaren des Genusses, sind jene stillen Träumereien auf einer Bank, die sich an ein Weingeländer lehnt, sind jene Augenblicke wo uns zuweilen ist, als dränge nur eine Note, kaum ein halber Takt einer göttlichen Sphärenmusik, welche durch das Weltall tönt, an unser betroffenes Ohr. Wenn ich an einem See stehe und blicke den schwarzen Spiegel entlang, so zuckt dort unten ein silberner Strahl. War's ein Sonnenblick, oder ein Fisch, der die glänzenden Flossen schüttelte? – Der leuchtende Punkt ist unvergeßlich, und so blitzen durch die Nacht der Vergangenheit erinnerungsfrische Punkte, spielende Floßfedern, aber bleibende! So weiß ich, wie ich als Kind vor unserm Hause stand und eines Abends die Wolken anstaunte, die sich in verworrenen Schichten an dem dunkeln Himmel thürmten. Also dort hinten wohnt Gott? Ein heiliger Abend, den ich nicht beschreiben kann, den ich nur unvergeßlich fühle. Oder jener Regenbogen, der noch immer mit seinen Farben vor meinen Augen prangt, als man mir sagte, an den beiden Enden wo er die Erde berührte, läge ein Haufen Goldes! Ich glaubte der Sage, doch fiel es mir nicht ein ihren Werth zu prüfen, indem ich drüben in des Nachbars Garten gestiegen wäre, wo sich die leuchtende Wölbung mit dem einen Flügel zur Erde niederzulassen schien. Und so zahllose, stille Momente! Ein Weihnachtsmorgen, wo ich nur mit meinen Zehen auf eine schwache Eisdecke drückte, die sich in der heiligen Nacht über einen kleinen Pfuhl vor dem Hause gezogen hatte: Was ist dies nun? Eine unbedeutende Erfahrung, eine Fußzehe, ein wenig Eis und ich vergess' es nicht; ich muß immer darauf zurückkommen, wenn man mich fragt, ob ich aus meiner Kindheit mich wohl noch irgend eines Momentes entsinnen könnte.

Als ich mich von Edmund trennte, war es auch ein solcher Ruhepunkt, wo ich Nichts erlebte und doch Alles auf einmal zusammenkam, so daß ich öfter an diese denken werde als an jene, wo mir der Athem und das Bewußtseyn ausging, an die Zeiten Arthur's und Edmund's. Es ist eine Periode der Besinnung und des Nachdenkens, die ich mir redlich aufzeichnen will. Euch ruf ich an, ihr stillen Schauer der Nacht, zu wachen über mir, und mein Herz zu durchzittern, daß ich Wahrheit rede vor Gott!

Als ich Edmund oben auf der Warte des Jägerhauses sahe, wurde dicht in der Nähe mein Name gerufen. Ich wende mich um und erblicke Philipp, der sich mit kaltblütiger Entschlossenheit auf den vordern Sitz des Wagens schwingt, die Zügel ergreift und mit mir davonfährt. Die plötzliche Erscheinung hatte meinen Willen so gelähmt, daß ich nicht wagte mich umzusehen, ja es war mir als zwänge mich eine dämonische Macht vorwärts zu blicken, und Edmund und die ganze Welt, die hinter mir lag, auf ewig zu vergessen. Die Eile, mit der Philipp durch den Wald jagte, ließ mich zu keiner Besinnung kommen; ich erschöpfte meine Kraft, und durch Nichts so sehr, als durch das Erstaunen, daß ich so fügsam seyn konnte, schwieg und die Oberherrschaft des Mannes vor mir, wie durch einen Instinkt, anerkennen mußte. Ich hielt dies wechselseitige Stillschweigen nicht aus. Philipp war schon mehre Stunden gefahren, und noch immer wandt' er sich nicht nach mir zurück, und gab mir eine Erklärung über sein Vorhaben. Sie von ihm zu fordern, war ich unfähig. Eine unerklärliche Gewalt zwang mich, ihm Gehorsam zu leisten. Statt zu zürnen, oder nur um Aufklärung zu bitten, wandt' ich mich zuerst an ihn, legte meine Hand auf seine Schulter und stieg, da er auf Nichts achtete, vorn auf seinen Sitz und sagte, als wär' es meine Pflicht ihm entgegenzukommen und ihn zu besänftigen: »Hier gehör' ich her!« Da er noch schwieg und mich nur mit einem prüfenden Blicke betrachtete, so konnt' ich nicht anders, als zärtlich gegen ihn seyn und ihn, nur um ein Wort zu erobern, mit Versicherungen meiner Anhänglichkeit überhäufen. »Was ist Dir Philipp? Du sprichst Nichts, ich habe wahrlich Unrecht gegen Dich.«

Seine Antwort fing mit den Pferden an. Er sagte, daß sie nicht weiter könnten, wir es aber müßten. In einem kleinen Dorfe, das ganz nahe gelegen sei, woll' er das Fuhrwerk an den Eigenthümer zurückstellen, wir selbst aber müßten noch eine Strecke zu Fuß gehen, bis wir übernachten könnten.

Dies Alles sprach Philipp mit einer Zartheit und Zurückhaltung, die mir an ihm wohlbekannt war, und die mich immer zu ihm gezogen hatte, weil sie eine mangelhafte Bildung leicht vergessen machen konnte.

Als wir darauf Arm in Arm, durch den schon finstern Wald gingen, sprach er nicht ein Wort von der Untreue, die ich an ihm mit so leichtem Herzen begangen hätte, sondern sagte: »Du weißt Seraphine, daß wir durch ein höheres Band verknüpft sind, als Menschen und Priester es weben können. Ich bin durch Dich in eine zweifelhafte Stellung zur Ewigkeit gekommen; Du selbst hast ein viel zu reines Gewissen, als daß Du Dich jemals in Deinem Leben auf die Dauer wirst mir entziehen können: Ich lasse Dich in den Kreisen, wohin Dich der Zufall oder der Trieb meiner los zu werden, führen mag, aber ich bin gewiß, daß wenn Du auch keine Sehnsucht hast zu mir zurückzukehren, Du doch niemals widerstreben wirst, wenn ich Dich hole. Du kannst in jene Welt nicht zurück, aus der ich Dich eben genommen habe, und um es mit einem Worte zu sagen, ich bedarf Deiner.«

Er eröffnete mir hierauf, daß ihn seine Seele um Alles bekümmere. Wir wollten freundschaftlich mit einander wohnen, er würde Alles achten, was ich ihm nicht freiwillig bieten würde, und von mir nur ermunternden Zuspruches gewärtig seyn. Ich vergaß schnell die Vergleichung meiner jetzigen und früheren Lage, und ging mit Vorliebe auf religiöse Gespräche ein, welche ihm die liebsten waren. So gelangten wir im tiefsten Dunkel, nur vom Wilde zuweilen aufgeschreckt, das sich aus dem Gebüsch vernehmlich machte, zuweilen von einem fallenden Schusse, wo Philipp immer stillstand und etwas vor sich hin sprach, in eine dicht von Bäumen umschlossene einsame Wohnung, die sich durch ein einziges Licht schon aus weiter Ferne den Wanderern angekündigt hatte. Ein paar Hunde fuhren auf, schwiegen aber, da sie Philipps Stimme hörten. Wir traten in das kleine Haus ein und begaben uns in das Zimmer, von wo das Licht durch die Fenster gefallen war. In einem Lehnsessel schnarchte eine alte Frau, die noch den Faden des Spinnrockens der vor ihr stand, in der Hand hielt und durch eine ihr von der Nase gefallene Brille verrieth, daß sie in einem auf dem Tische liegenden Buche gelesen hatte, oder lesen wollte. Philipp rüttelte sie wach, und brauchte dabei ziemlich derbe Ausdrücke, die seinem feinen Wesen sonst fremd waren, verlangte eine Lagerstatt für mich, Nachtessen für uns Beide, und schien mir so ziemlich zu Hause zu seyn, da man selbst wenn man bezahlt, schwerlich so entschieden fordern konnte. Die Alte setzte sich in Bewegung, ließ uns allein und kam erst nach einer langen Weile mit klappernden Tellern und Gläsern zurück. Auch Philipp ließ mich einigemal allein während wir aßen; er stand mit vollem Munde auf und ging zur Alten hinaus, mit der er bald sehr laut über die geringfügige Mahlzeit tobte, bald wieder flüsterte, was mir recht unheimlich vorkam. Ich fragte ihn, was dies für ein Haus wäre, und er sagte mir, wie verwundert über Etwas das sich von selbst verstünde: Ein Wirthshaus. Ich dachte an keine böse Absicht, und folgte ruhig in den ersten Stock, wo mir die Alte in einem Kämmerchen ein nothdürftiges Lager hergerichtet hatte. Da Alles um mich her ganz still war, so schlief ich vor Ermüdung bald ein.

Kaum mocht' ich jedoch eine Stunde geschlafen haben, als ich aufwachte. Ich fuhr auf, als hätte mich etwas erweckt, das sich erhorchen ließe. Aber ich hörte lange Nichts. Erst als ich wieder einzuschlafen versuchte, vernahm ich ein nicht weit entferntes Gespräch, an welchem bald mehr bald weniger Personen Theil nahmen. Wie von brennenden Fackeln fielen in meinen engen Schlafraum zuweilen vom Hofe her helle Lichtstreifen, die mir an der Wand bald den kleinen Spiegel bald ein Muttergottesbildchen zeigten. Die Neugier trieb mich aus dem Bette, ich sah in den Hof, wo mehre Männer bei Laternenschein von Gegenständen, die sie sich wechselseitig von den Schultern nahmen, einen kleinen Haufen thürmten, den sie dann wieder in Keller und Speicher abtrugen. Ich sahe bald, daß es todte Rehe und andere Waldthiere waren. Für ein Haus in dieser Lage, schien mir dies nichts Neues; selbst daß Philipp dabei beschäftigt war, fiel mir nicht auf; ich kehrte in mein Bett zurück, und schlief bis zum frühen Morgen.

Wie ich erwachte, konnt' ich von meinem Bett aus in den Hof sehen, wo Philipp unten mein Fenster fixirte, und mein Herunterkommen zu erwarten schien. Ich kleidete mich schnell an, bekam im Hausflur sehr freundliche Morgengrüße von ihm und der Alten, und setzte mich in ein kleines wunderliches Fuhrwerk, das nur aus einem Kasten über zwei Rädern bestand, und von drei großen Hunden gezogen wurde. Philipp selbst ging nebenher und sagte: »So lange wir im Walde sind Seraphine, geht das recht gut, die Thiere halten schon ein paar Stunden aus, kehren dann auf ihre eigene Gefahr wieder nach Haus zurück, und wir sehen dann schon zu, wie wir weiter fortkommen.«

Arthur hat immer gesagt, ich wäre leichtsinnig; und jetzt sahe ich wohl, daß er Recht hatte; denn ich war seelenvergnügt über unsern Aufzug, und scherzte mit der besten Laune über meine Lage, von der ich keine Vorstellung hatte. Am Ende des Waldes sagte Philipp den Hunden Etwas in's Ohr, worauf die Thiere wie toll den Weg zurückliefen. Als ich darüber lachte, sagte Philipp, dies hätte er von einem alten Norwegischen Jäger gelernt, der 1814 mit Carl Johann in Deutschland gewesen wäre. Die Lappländer machten es so mit ihren Rennthieren; und überhaupt fügte Philipp mit seinem gewöhnlichen Aberglauben hinzu: »Es gibt wunderbare Dinge in der Welt.« Ich griff dies sogleich auf und begann unsere geistlichen Gespräche fortzusetzen. Es war ein feierlicher Sonntagsmorgen der uns umwehte, indem wir so traulich durch die schwellenden, überreifen Saatfelder wandelten. Die Lerche wirbelte in der Luft; Philipp holte mir Kornblumen, die ich zu einem Kranze wand, die Glocken läuteten aus den Dörfern, die etwas tiefer im Thalgrunde lagen, geputzte Kirchgänger grüßten uns, indem sie eilfertig schritten, um in die Messe zu kommen. Dieß anmuthige Wandeln dauerte bis Mittag. Dann miethete Philipp in dem Dorfe wo wir aßen, einen Leiterwagen, den sie ungern hergaben, weil es morgen in die Erndte ging. Das Exemplar, das wir bekamen, war kläglich genug. Ein Brett wurde in die Quere gelegt und an den beiden Seiten angebunden; ein Kissen von geschnittenem Stroh war in Ansehung des ganzen Gestells schon ein ausschweifender Luxus. Wir lachten jedoch mit Zufriedenheit über Alles was uns begegnete; Philipp rauchte sein Pfeife und ich sang, seit langer Zeit zum Erstenmale, der fröhlichen Menschen mich freuend, die in den Wirthshäusern wo wir hinkamen, bei Musik und Tanz, die kurze Blüthe feierten, welche zuweilen auch von den Disteln ihres Daseyns getrieben wird. Gegen Sonnenuntergang kamen wir endlich in dem Städtchen an, wo Philipp seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, und ich die heilige Verpflichtung zu haben glaubte, hinfort ruhig und mit Ergebung in mein Schicksal zu bleiben. Man fährt über ein kleines Wasser, ehe man in die Stadt kömmt, d. h. es war eine Brücke da, aber die Hitze hatte den Bach ausgetrocknet. So dacht' ich von mir selbst. »Sei nur immer eine Passage für die Menschheit,« sagt' ich still in mich hinein; »ein Uebergang, eine Hilfs- und Rettungsbrücke für die Deinen. Jetzt hast Du keinen Strom, Philipp ist nur ein schmaler Streifen Wassers, und unvergleichbar jenen stürmenden Bergkatarakten Arthur, und jenem murmelnden mit Blumen besetzten Wiesenbache, Edmund! Und wenn du Nichts wirkest, Seraphine, denke nur immer, daß du es wolltest, daß du dastehest mit ausgebreiteten Armen, strebend und anbietend, eine Mühle, die immer im vollem rauschenden Gange ist, wenn für die Menschheit auch nicht einmal so viel Körner, als auf eine Aehre gehen, zwischen die umrollenden Steine fallen!«

Das Häuschen, in welchem ich hinfort wohnen sollte, gehörte Philipps Mutter und war zugleich auch von seinem Bruder bewohnt. Wir waren so schnell vor demselben angekommen, daß mich Philipp kaum noch bedeuten konnte, man wüßte hier Nichts von seinem Religionswechsel; man glaubte auch von mir nur, daß ich durch irgend eine herrschaftliche Veranlassung seiner Obhut anvertraut wäre. Die alte Mutter steckte ihr Köpfchen aus dem Fenster, lachte und nickte ohne aber auch nur einen Schritt uns entgegen zu thun. Ich sah bald, daß sie vor Alter etwas beschränkt war und daß man sie dahin treiben mußte, wohin man sie haben wollte. Sie sagte immer, sie wolle Alles thun, und daß es gleich fertig seyn würde; wenn man aber nachsahe, so hatte sie noch gar nicht angefangen. Sie stand mir minutenlang gegenüber, die Hände über den obern Leib gefaltet, und betrachtete mich mit wohlgefälligem Beifallnicken, ohne daß sie wahrscheinlich wußte, worüber sie bei mir denn eigentlich zufrieden seyn durfte. Ich sagte ihr: »Mutterchen, Sie sind wohl schon in den Sechziger?« Und Beifall nickend antwortete sie: »Ja, sie wird gleich da seyn.« Sie meinte nämlich eine Suppe, die übrigens noch nicht einmal auf dem Heerde stand. Als ich ihr dies bemerkte, lachte sie übermäßig und schickte sich an, auf Philipps dringendes Verlangen einen Abendimbiß zuzubereiten. Er gab seine Befehle so laut, daß ich auf die Taubheit der alten Frau schließen mußte.

Die Lage des Häuschens war mitten in einer Straße, welche aus lauter kleinen Wohnungen mit runden und mit Blei befestigten Fensterscheiben bestand; aber sie hatte sich im Innern so gut geschmückt als es ging. Die Wand nach dem Hofe zu war mit einem üppigen Weinwuchs besetzt. Hof und Garten liefen in eins. Vorn waren Beete angelegt, die reichliche Küchengewächse trugen, dann kam ein Brunnen, ein paar Obstbäume, ein kleiner Pfuhl für Gänse und Enten und zuletzt eine Laube, welche sehr dicht bewachsen war, in welcher aber nicht die Liebe, sondern die Wirthschaft ihre Zuflucht gefunden hatte. Zuber und Eimer, der ganze Waschapparat stand an diesem anmuthigen Orte aufgeschichtet. Gränzen gegen das Gebiet der Nachbarn waren nirgends gezogen; das Augenmerk und die Ehrlichkeit waren der Zaun, der das eine Gebiet vom andern trennte. Ich nahm das Alles noch am halben Tage in Augenschein, und dachte sehr eifrig darüber nach, wie man wohl aus der herrlichen, mit sogenanntem wilden Wein überzogenen Waschküche wieder eine Laube, wenn auch nicht für die Liebe, doch für die Einsamkeit machen könne.

Als ich in das Haus wieder zurückkam, war die Alte schon zu Bette gegangen, hatte den Feuerheerd, die Suppe und die Kartoffeln dem Zufall und dem Anbrande überlassen, und schien die neuen Ankömmlinge plötzlich wieder vergessen zu haben. Das Feuer loderte flackernd in den Schornstein empor, es zischte aus allen Töpfen; Philipp und ich wir laufen Beide hin und sind um die Hälfte unserer Labung betrogen. Philipp lärmte im Hause, richtete aber Nichts aus, sondern mußte froh seyn, das Zimmer unverschlossen zu finden, welches künftig von mir sollte bewohnt werden. Es hatte die Aussicht in den Hof und Garten, und war gar anmuthig ausgestattet. Sehr viel Embleme des Katholicismus, ein kleiner porzellanener Kalvarienberg standen unter dem Spiegel auf der weißen Decke, welche auf einem Pfeilerschränkchen ausgebreitet war. Eine Menge wahrscheinlich im Würfelspiel auf Jahrmärkten gewonnener Gläser, standen rings um die heilige Passion, ja es fehlte sogar nicht an einer Katze aus Gyps, die mit dem Kopfe hin und herwackelte. Es war eine herrliche Nacht, die Sonne ohne Wolkengefolge untergegangen, die Sterne sich tief in den nächtlich blauen Himmel versenkend. Die Menge von Gärten, die sich hier alle übersehen ließen, lagen in ödem Schweigen da; zuweilen nur schrie eine Gans, die aus einem Traume auffuhr, oder ein Hahn, der sich in der Zeit verrechnet hatte, krähte vorzeitig laut. Was ich schon Alles gewesen war, und wie nun dies Alles noch werden sollte – Ich blickte mit einem erstaunten Lächeln in den dunkeln Nachthimmel, und flüsterte zu Gott, daß hienieden Alles auf sich beruhe und gleichgültig wäre, wenn man sich mit ihm nur unter vier Augen beisammen fühlen könnte. Wer könnte sich zwischen mich und den Himmel drängen?

Ich mochte kaum eine Stunde geschlafen haben, als ich von einem im Hause erhobenen Lärmen erwachte. Eine fluchende Stimme polterte die Treppe hinauf, und benahm sich dabei so schwerfällig, daß ich auf einen Berauschten schließen mußte, der erst so spät aus dem Wirthshause heim kam. Er mochte schon oben seyn, als man einen starken Fall hörte. Ich wollte hinzuspringen, hörte aber bald jenes zufriedene Lachen, welches Menschen in dem vermutheten Zustande eigen ist. Eine Hand tastete an der Wand. Der Ankommende suchte fluchend seine Thür und schien endlich in sie hineinzustürzen, ohne daß ich hörte, daß sie wieder angelehnt wurde. Endlich war Alles still, und von der Müdigkeit überwältigt, schlief ich wieder ein.

Am frühen Morgen wurd' ich wieder durch Geräusch geweckt; aber auf eine weit angenehmere Art. Ein recht gut klingendes und wohlgestimmtes Klavier wurde kräftig angeschlagen, und ich traute meinem Ohre kaum, da die Akkorde aus jenem Zimmer zu kommen schienen, welches in der Nacht mit so vieler Ungewißheit gesucht wurde. Ich warf mich in ein Morgenkleid, öffnete das Fenster, in welches eben der erste Frühstrahl der aufgehenden Sonne fiel, lehnte mich hinaus, und sog mit der freien frischen Luft der Natur eine Fülle von schmelzenden Tönen ein, welche aus einem nach dem Hofe zu geöffneten Fenster kamen. Es waren die reizendsten und schwierigsten Compositionen der klassischen Meister, welche hier von einer geübten Hand gespielt wurden. Eigene Phantasien lösten die Noten ab; im Anschlag erkannt' ich den fertigen Techniker, im Ausdruck aber, in der Modulation, in den Tempis eine mit dem tiefsten Wesen der Musik vertraute Meisterschaft. Der Spielende mußte ein Mann seyn, was ich aus seinem häufigen Räuspern erkannte. Endlich schien er die Kehle rein zu haben, und begann mit einer tiefen und sonoren Baßstimme einige Arien zu singen, welche von dem routinirtesten Sänger in der Residenz nicht besser vorgetragen werden konnten. Einige komische Stücke von Mozart, von Cimarosa und älteren Italiänern, waren durch ächt theatralischen Humor ausgezeichnet. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, das ich bei diesen unscheinbaren Umgebungen über die Entdeckung eines musikalischen Genie's empfand.

Eine Magd, die erst diesen Morgen zugezogen war, wollte mir im Ankleiden behülflich seyn. Philipp rief mich in das Wohnzimmer hinunter, wo die Alte schon mit vieler Behaglichkeit ihr Frühstück schlürfte. Sie nickte mir sehr freundlich zu, und gab mir, als ich mich schon gesetzt und mit Philipp gesprochen hatte, noch wie nachträglich, als etwas Vergessenes die Hand. Alles was sie sprach, waren nur die Worte: »Ja, ja.« Aber sie verstand diese beiden Sylben so eigenthümlich im Tone zu variiren, daß mir, was sie sagte immer wie eine sehr lange und ausführliche Rede vorkam. Ich fragte Philipp nach dem Virtuosen neben mir. Er sagte: »Das ist mein Bruder. Er versteht Musik, das muß man ihm lassen; er ist Organist in der Kirche!« Nach dem Störenfried von gestern Nacht fragt' ich nicht, denn ich war überzeugt, er wäre im Hause nur eingemiethet und hätte mit Philipp und seinem Bruder nichts weiter zu schaffen. Als ich darauf in den Garten ging, hört' ich den jungen Organisten noch immer mitten in seinen Studien. Er hörte auch die Hälfte des Vormittags nicht auf, kam nie an das Fenster, sondern spielte und sang abwechselnd mit einem unermüdlichen Eifer. Philipp holte mich darauf ab, einen Spaziergang um die Stadt zu machen. Um der gaffenden Neugier zu entgehen, nahmen wir den kürzesten Weg. Wir waren bald draußen im Felde, und schlugen unsern Weg rings um die offene Stadt ein. Hier gab es viel über kleine Gräben zu springen, und durch tief gelegenes feuchtes Gras zu schreiten. Da rings um die Stadt schon geerntet war, so hatte man eine weite Uebersicht der Ebene. Durch die Kartoffeln verkürzten wir uns die Umwege, zuweilen sehr scharf darob von einem Bürger angesehen, der mit Hut und Stock auf seinem Grundstück postirte, und erst nach einigem Besinnen unser Grüßen erwiederte. Ich wurde müde genug, daß wir uns auf eine Wiese mit rothen und weißen Kleeblumen niedersetzten. Ich suchte nach einem viergespaltenen Kleeblatt. Philipp half mir; aber es traf sich Nichts.

»Ich sehe wohl,« begann jetzt Philipp, »daß ich recht thörigt gehandelt habe, Dich in diese abgeschiedene Welt zu versetzen. Du kannst vielleicht Freude an der Einsamkeit finden; das war auch mein Gedanke; aber jetzt seh' ich erst, daß Du gar nicht einsam bist, sondern durch meine taube und schwache Mutter und manches Andere recht geplagt seyn wirst. Sage mir nur, wie ich es nun mit Dir machen soll? Ob Du wieder in Dienst gehen willst, oder zu Deinen Eltern?«

Ich antwortete ihm, daß es mir in der Lage recht wohl gefiele, und daß ich, wenn sie nicht so sonderbar wäre, sie wohl immer theilen möchte. Inzwischen aber blieb' ich noch gern hier, und wollte die Zeit benutzen, mich zu sammeln und nebenbei recht verständig zu werden.

Das schien Philipp zu erfreuen und er sagte, indem er die Luft in seinem Pfeifenrohr probirte, und den Schwamm zurecht legte, um sich Feuer zu schlagen, mit leiser Stimme: »Wenn Du mir nur ein wenig gut seyn könntest!« Ich wußte darauf vor Verlegenheit Nichts zu antworten, und fragte ihn blos, ob er denn noch immer hübsch kräftig an Luther glaubte?

»Ei,« sagte er, indem er sich seine Pfeife anrauchte: »das ist ja Alles Schnickschnack! Ich mache mir keine Scrupel mehr; denn der Mensch ist immer besser, wenn er das zu übertreffen sucht, was er eigentlich durch die Natur schon ist! Wenn ich immer höre, daß so die Juden von ihrer Ehre sprechen, und daß sie sich darum nicht können taufen lassen, so möcht' ich doch wissen, ob es nicht eine größere Schande ist, wenn man keinen freien Willen hat? Was sie mir gespritzt haben bei meiner Taufe, oder fortgeschnitten bei meiner Beschneidung, das kann wohl so ziemlich meine Ehre nicht seyn, weil man mich wenig darnach gefragt hat. Was man ist, soll man durch sich selber seyn; und ich gestehe Dir, ich komme mir groß vor unter diesem Volk, wo ich früher das Paternoster artig mitgemacht habe.«

Als er dies sagte, zog eben ein Priester an uns vorüber, vor welchem das Hochheilige getragen wurde. Philipp war so sehr an die Reverenz gewöhnt, daß er aufsprang, seine Pfeife in's Gras warf und die Mütze zog. Er war über diese Inkonsequenz so beschämt, daß ich ihn nicht erst auszulachen brauchte, sondern auf das dürre Gras verwies, welches von dem heißen Porzellankopfe ringsum versengte.

Nach Hause zurückgekehrt, ging ich erst um meinen Hut abzulegen auf mein Zimmer, und hörte, als ich darauf die Treppe wieder herunterstieg, einen so gräßlichen Lärm in dem Wohnzimmer, daß ich nicht hineinzugehen wagte. Auf den Tisch wurde mit entsetzlichen Flüchen gedonnert; Messer wurden unter das aufgesetzte Speisegeschirr geworfen. Endlich flog die Thür auf, und Philipp warf einen jungen Mann aus dem Zimmer hinaus. Wie mich dieser jähzornige Mensch erblickte, fragte er: »Was wollen Sie hier?« Ich konnte vor Schreck keine Antwort geben, und suchte hinein zu Philipp zu kommen. Er schleuderte mich zurück, fiel aber selbst über die falschberechnete Anwendung seiner Kräfte zu Boden, und blieb einen Augenblick wie betäubt liegen. Philipp kam heraus und sagte: »Das ist mein Bruder, er wird vernünftig seyn. Komm Ferdinand und setz' Dich zu Tisch'.«

Der junge Mann that es schweigend, die Mutter saß schon und aß mit Heißhunger. Philipp sah zum Fenster hinaus, um seine Aufregung zu verbergen. Zu ihm zu gehen, hinderten mich in der That nur die stieren Blicke seines Bruders, dessen Verstand mit Riesenanstrengung zu kämpfen schien, um sich klar und nüchtern zu werden. Mit sehr hochtrabenden Worten tastete er allmählig nach Besinnung. Es war eine gräßliche Erscheinung für mich, die ich nicht unbedingt verachten konnte, da ich die musikalischen Genüsse vom heutigen Morgen nicht vergessen hatte. Endlich fand ich das richtige Bett, in welchem der Strom meiner Empfindung fort konnte. Die Wehmuth über einen so unglücklichen Kontrast des Genie's und des Charakters, ergriff mich zu heftig; ich eilte auf mein Zimmer hinauf, und badete mich in Thränen über einen so unerklärlichen Widerspruch.

Kurz nachher kam Philipp zu mir und suchte mir Aufklärung zu geben. »An diesen Menschen,« sagte er mit der heftigsten Erbitterung, »haben Eltern und Verwandte die Blutstropfen ihrer Anstrengungen gewandt. Sie haben ihm Unterricht und Kenntnisse beigebracht, die weit über die Bildung seines innern Menschen hinüberragen. Sie hungerten, damit er bei den größten Meistern in der Musik zu Tische ging. Er kommt zurück als ein Matador auf allen Instrumenten. Er hat beim –ten Linieninfanterieregiment drei Jahre lang die erste Clarinette geblasen, hat alle Opern, wie sie nur in Berlin gegeben werden, auf Militairmusik übergeschrieben und alle Donnerstage in seiner frühern Garnisonsstadt öffentliche Konzerte gegeben, und nun ist ein solcher Teufelsgeist in ihn gefahren, daß er den ganzen Tag flucht und wirklich in allen Dingen ein rechter Uebelthäter ist. Hier hat er die Organistenstelle; die hat er wohl nehmen müssen, da er von den Soldaten fort mußte wegen schlechter Streiche; es ist eine Schande für eine ganze Gemeinde eigentlich, daß sie, um Gott zu loben, sich gleichsam vom Satan selbst dazu aufspielen läßt; aber die Menschen sind hier in ihn vernarrt, in seine großen Redensarten, in seine musikalischen Kunststücke. Nur der Pfarrer durchschaut ihn, und hat ihm heut angekündigt, daß in acht Tagen sein Gottesdienst zu Ende geht, und er Register und Blasebalg dann an einen jungen, frommen und gesitteten Menschen abzutreten hat, der aus dem katholischen Landschullehrerseminar bis dahin eintreffen wird. Jetzt wüthet der Taugenichts, und will den Pfarrer sammt dem Seminaristen umbringen. Er will die Orgel verderben, kurz man kann nicht sicher seyn, was für Spitzbübereien von ihm ausgehen. Aber ich pass' ihm auf die Schliche, und sollt' ich ihn über den Haufen schießen, ich will ihn schon in Raison halten.«

Philipp brannte im Gesicht, als er dies sagte und ging mit einer drohenden Gebärde, als wenn ich Schuld daran trüge, zur Thür hinaus. Ich zitterte vor Furcht, als der Lärm schon wieder begann, und damit endete, daß Philipp seinen Bruder zum Hause hinauswarf. Ich sah darauf den ganzen Tag und den Abend keinen von Beiden mehr, zerstreute mich durch die Abfassung einiger Briefe, und ging zu Bett mit der Absicht, am nächsten Tage auf meine Abreise zu dringen.

Den kommenden Morgen verschönte wieder eine himmlische Musik, die aus dem Fenster des Organisten kam. Es war jetzt nicht mehr die Fertigkeit welche mich anzog, sondern die göttliche Empfindung, welche das Spiel beseelte. Jedes einzelne Musikstück war zu gleicher Zeit ein durchdachtes Kunstwerk und zugleich Naturlaut der bald jubelte bald weinte, bald hoffte, bald verzweifelte und fast möchte man sagen, die Gedanken des Componisten selbst zu überflügeln schien. Ich eilte hinunter in den Garten, wo zwar nur sehr wenig Schatten war, ich aber die Töne, die von oben kamen, voller und reiner vernehmen konnte. Ich setzte mich in der Laube auf einem umgekehrten Eimer nieder, und richtete unverwandt meine Augen dem bezaubernden Fenster zu. Wie ich so eine Weile geschaut, und über das Finale einer Beethoven'schen Sonate alle irdische Sehkraft verloren hatte, trat Ferdinand an das offene Fenster und grüßte mich mit einem Lächeln, dessen Vertraulichkeit ich übersah, da ich Nichts sah. Erst als er sprach, besann ich mich. Die Entfernung war nicht so groß, daß ich ihn nicht hätte verstehen sollen. Er fragte mich: »Von wem war dies?« Ich rief: »Von Beethoven.« Er nickte mit begeistertem Lächeln. »Verstehen Sie Beethoven'sche Musik?« fuhr er fort.

«Ich verstehe sie wohl,« sagte ich, »aber ich kann sie nicht erklären.«

»Sie müssen nur immer auf den Baß sehen,« rief er von Oben herunter. »Bei der neuern Musik, besonders der französischen, können die Componisten nicht hoch genug hinaufkommen; die Violinisten tasten da immer hinter dem Brette hinauf, als wenn da bei den quitschenden Tönen die Herrlichkeit läge; und bei Beethoven werden Sie finden, er kann nie tief genug hinunter. All' seine Gedanken reißt er in den Baß hinab, und möchte gern noch einen Ton finden, der da unten ganz im tiefsten Abgrunde, wie das tausendjährige Greisenwort des alten Saturn brummte.«

Als ich schwieg, fuhr er, sich behaglich zum Fenster hinauslehnend, fort: »Ja, ich versichere Sie, Beethoven'sche Musik will studirt seyn. Man vergleicht Beethoven mit Jean Paul. Allein das will Nichts sagen; denn wie herrlich auch die Bilder dieses Dichters und seine humoristischen Abwechslungen sind, so läuft bei ihm doch Alles ziemlich bunt durch einander, so daß man nie recht weiß wo man ist. Auch sind Töne etwas Anderes als Worte, und klappern nicht, wenn sie Uebergänge machen, so hölzern neben her wie diese. Man muß bei Beethoven immer davon ergriffen seyn, daß seine Musik ein Ganzes ist, eine organische Selbstschöpfung, die trotz aller Freiheit des Gemüths und der Empfindung, doch in ihrem Anfange schon die Nothwendigkeit ihres Endes besitzt. Das Herrliche dabei ist der Schein der Anarchie, ist jene Verwirrung, und beinah möchte man sagen Geistesabwesenheit, welche zuweilen über Beethovens musikalische Gedanken zu kommen scheinen. Aber das sind jene magnetischen somnambulen Traumphantasien, welche sich wie unbewußt auf das Auge des göttlichen Sehers legen, und durch welche sich das Thema zuerst leise und darauf mit aller Macht der Instrumentation hindurcharbeitet. Beethovens Musik ist nicht plastisch. Fidelio begeistert durch den Werth der Musik; aber es fehlt ihm die dramatische Angemessenheit. Beethovens Musikstücke sind keine malerischen Repräsentationen, oder stellen sich in musikalischen Thatsachen zu gleicher Zeit dem Auge wie dem Ohre dar; sondern Beethovens Musik ist träumerisches Ausspinnen einer einmal aufgezogenen Gedankenreihe, eine Gebirgswanderung, mit all ihren erhabenen und anmuthigen Abwechslungen. Wir beginnen ohne viel Pomp und auf den Effekt berechnetes Raffinement, ganz einfach und eben, treten dann mitten in die Alpenpracht hinein, und klimmen auf und ab; jagen bald nach einem Vogel, bald verweilen wir an einem grünen Ranft, der mit Blumen besetzt ist, bald läutet monoton von der Matte herab das Glöckchen der weidenden Kuh; dann verengt sich das Thal, wir müssen steigen, und drängen uns durch die engsten Passagen hindurch. Wie wir so mühselig wandern und die innere Dialektik der Noten erschöpfen, spottet unserer ein Vogel der über uns wegfliegt, ruft uns ein Echo, oder läutet es weit, weit hinter den Bergen aus einer unsichtbaren Klosterkirche zur sonntägigen Frühmette. Endlich spalten sich die Felsen, und lachender Sonnenschein gießt sich über ein wunderbares neuentdecktes Thal. Bemerken Sie wohl, daß man Beethoven nicht zu der vorzugsweise sentimentalen Manier rechnen kann. Er läßt alle Töne des Gemüthes walten, am liebsten die klagenden, und wie oft Gefühle die vor Schmerz zum Himmel schreien! Allein er wird sich nie in der Wehmuth begraben. Sein Gedanke ist immer männlich und vertrauensvoll. Er entwindet sich mit Sanftmuth, nicht selten mit einem Scherze dem dämmernden Brüten und der Reflexion auf sich selbst. Er steigt wieder jubelnd wie die Lerche empor, und schließt die meisten Compositionen mit einer Heiterkeit, die versöhnt, mit einem Blicke der lächeln kann, weil er überwunden hat.«

Indem Ferdinand diese Worte sprach, hob sich seine Gestalt. Ich selbst stand wie festgebannt von dem Zauber eines Widerspruches, von dem ich in dem Momente kaum noch wußte, und sah den jungen Musiker mit großen Augen an. Plötzlich nahm er eine Lorgnette, und rief: »Da ist eine Spinne, die hat gemerkt daß wir von Musik sprechen. Spinnen sind die einzigen Musikkenner unter den Thieren; ich glaube die durch die Luft vibrirenden Töne machen ihren Nerven ein galvanisches Wohlbehagen. Dort, dort, auf Ihrem Kleide!«

Ich schrie vor dem garstigen Thiere; er aber schlug lachend das Fenster zu, und das unerwartete Gespräch war beendigt.

Als Philipp später neue Schmähungen über seinen Bruder häufte, mußt' ich mich ganz still verhalten, weil mir zur Bestätigung oder zum Widerspruche Muth und Ueberzeugung fehlten. Ich verzweifelte, mir die Möglichkeit zu erklären, wie in einem und demselben Herzen zwei so verschiedene Prinzipien walten konnten, denn die Musik war bei Ferdinand nicht etwas Erlerntes, sondern wirklich etwas aus dem Herzen Gebornes. Wie konnte man in den zartesten Saiten des Gemüthes so leicht berührt seyn, und zu gleicher Zeit in sich eine so unermeßliche Rohheit aufkommen lassen! Ich dachte an Shakspeare's »gute Leute und schlechte Musikanten,« und wandte diese Bezeichnung umgekehrt auf Ferdinand an, wo freilich der Scherz ein bitterer Ernst wurde.

Es war immer nur gegen Abend daß die Crisis ausbrach. In einem Wirthshause dominirte Ferdinand alle Gespräche. Er erzählte von allen möglichen Dingen in der Welt, und die Leute liebten ihn, weil er ein Tausendkünstler war, und dabei das große Wort führte. Seit einiger Zeit war der Pfarrer der Gegenstand seiner heftigsten Anklage. »Ich soll Ruhe geben; er will mich exkommuniziren,« schrie er, wie ich es aus dem Wirthshause hören konnte, und verdrehte dabei das letzte Wort auf eine sehr komische Weise, da ihm schon der Gebrauch der Zunge schwierig geworden war. Ich kam mit Philipp von einem Abendspaziergange heim, und hatte vergebens gesucht seine Entschlossenheit gegen Ferdinand zu mildern. Er sagte: »Er ist gescheidter als sie alle hier in dem Nest. Er giebt mir auch Räthsel auf, aber ich werde mich nicht einschüchtern lassen. Ich wundere mich nur, woher der Pfarrer den Muth genommen hat, ihn von der Orgel zu treiben. Denn das bleibt schon richtig, nachmachen kann's ihm keiner.«

In Ferdinand schien dieselbe Ueberzeugung, aber mit fanatischer Glut zu lodern. Um seines Zornes ledig zu werden und vielleicht an die Ursache gar nicht zu denken, ergriff er das Mittel sich mit wahnsinnigem Getöse zu umgeben. Er zog gegen Mitternacht mit einer Rotte gegen das Haus seiner Mutter, und warf als ihn Niemand einlassen wollte, die Fenster ein. Philipp, kaum angekleidet stürzte hinaus, ergriff den Taumelnden, und richtete ihn im Jähzorn so grausam zu, daß er am Morgen verwundet auf der Straße gefunden wurde. Furcht vor einer Untersuchung zwang Philipp wohl, sich schnell seiner anzunehmen. Er trug Ferdinand auf sein Zimmer, und ich kann wohl sagen, daß diese Summe von Brutalität und Gemeinheit an dem einen Bruder wie an dem Andern, mich mit so heftigem Abscheu erfüllte, daß ich gesonnen war mein Heil in der Flucht zu suchen. Doch was mich fesselte war, als sich Ferdinand bald erholt hatte, sein erneuertes Spiel. Mich zog jedoch dießmal nicht die Klarheit und die Seele desselben an, sie tauchte auch nirgend auf; sondern in wilden phantastischen Fugen stürmte seine Hand in den Tasten und brachte Notenanakoluthien zusammen, wo das Gräßliche bald komisch, das Komische wieder grauenerregend war. So ging dies den ganzen Vormittag in einer Weise fort, wo alle kräftigen aber bösen Geister aus Ferdinands Seele herauszuwüthen schienen; wo sich die Töne mit jenen Alpenmassen vergleichen ließen, auf welchen die verwegenen Titanen den Sitz der Götter stürmen wollten. Die klagenden Akkorde, welche zuweilen durch das satanische Gewühl hindurchdrangen, machten den entsetzlichsten Eindruck. Es schienen verdammte Seelen zu seyn, die in der siedenden Höllenglut stöhnten und ächzten; oder jene Schmerzenslaute, die wie man sagt mit der höchsten Raserei des Sinnengenusses verbunden seyn sollen. Das währte bis gegen Mittag, wo sich Ferdinand in dem nachlässigsten Anzuge aus dem Hause fortschlich. »Wenn er etwas Böses thut,« sagte Philipp, »so thut er es gegen den Pfarrer; der ist aber glücklicher Weise verreist.«

Als die Dämmerung einbrach, und die Bewohner der Stadt durch die engen Straßen schlenderten, und sich zuweilen unter Lindenbäumen niederließen, von welchen hier und da ein Haus beschattet war; da waren zuletzt alle an der Pfarrkirche festgebannt, in welcher so tief nach Sonnenuntergang noch die Orgel gespielt wurde. Die verschlossene Thür verhinderte den Eintritt; der Küster sagte, daß der Organist und der Balgetreter hinter sich zugeschlossen hätten. Man horchte den Tönen, die aus dem stattlich gewölbten Gebäude kamen. Die Orgel wurde angeschlagen, aber wahrlich nicht zu Ehren Gottes! Eine feindselige Macht schien in das Heiligthum des Herrn gedrungen; der Teufel selbst war es, welcher den Himmel verhöhnte. Diese Melodien waren ein Ausfluß der unheiligsten Gesinnung. Sie waren riesig und genial gedacht, aber sie hatten Bestimmungen, welche nach Unten, nicht nach Oben zeigten. Die höchsten Register an dem heiligen Instrumente, nur angeschlagen, wenn man die Freudigkeit des Gottvertrauens in ihren höchsten Jubel ausbrechen lassen wollte, diese Register waren stets in zitternder lockender Bewegung, tändelten, scherzten und lachten in die Wölbung der Kirche hinein. Die heiligsten Gesänge, die noch aus des heiligen Ambrosius Zeiten herstammten, wurden karrikirt, in's Lächerliche gezogen, und mit weltlichen aus Opern gerissenen Tönen verunreinigt. Das mächtige brausende Instrument mußte allen Einfällen und Kapriolen dieses ruchlosen Talentes nachspringen, mußte tanzen und pfeifen, mußte trillern und cadenziren; die heilige Orgel, die sonst nur betet, und mit den rauschenden Fittigen ihrer gewaltigen Töne die gläubige verklärte Seele zum Himmel hebt!

Ich hörte dies mit Schrecken, als ich vorüberging und floh von der Kirchenmauer fort, an welcher es mir wurde als glühte der Boden unter mir, als fielen die Chöre der Unterirdischen in jenen lächerlichen Spott ein, der drinnen den Altar, das Cruzifix, die heilige Monstranz und die Bilder der Apostel und Märtyrer mit Gottlosigkeit besprühte. Aber von den Bürgern, ihren Frauen und Töchtern ahnte Niemand diese Entheiligung. Der Teufel kitzelte ihnen die Füße, so daß sie zu springen und zu tanzen anfingen, und so laut jauchzten, wie auf der Kirchweihe, wenn sie beim Walzen die Absätze an einander schlagen. Das währte bis tief in die Nacht hinein. Das Orgelspiel drinnen wurde plötzlich matter und matter, erhob sich dann noch einmal, und ahmte ein höllisches erschütterndes Gelächter nach; worauf Alles schwieg. Die ganze Stadt war in Jubel gekommen. Niemand verfolgte einen kleinen Lampenschimmer, der durch die Fenster der Kirche fiel, Niemand kümmerte sich darum, wie der Organist mit seinem gewiß schuldlosen Balgetreter die Kirche verließ. Ach, und dieser Spott des Heiligsten, währte vier volle Tage und wiederholte sich jeden Abend bei Untergang der Sonne und sann auf Mittel und Wege, das Bizarrste und Gemeinste aus den Registern der Orgel hervorzuziehen. »Ich will die Orgel verderben,« hatte Ferdinand gesagt; Philipp fürchtete dies, ahnte aber nicht was sein Bruder damit gemeint hatte; und jetzt war er auf einige Tage verreist, so daß ich ihm keinen Aufschluß geben konnte. Ferdinand ging darauf aus, die Stadt zu verzaubern und seinem Nachfolger ein so entheiligtes Instrument zu hinterlassen, daß von nun an kein Ton mehr zum Herzen dringen, sondern sich der Gesang des Gottesdienstes in eitel Sinnenlust und Narrethei verwandeln sollte. Man sah ihn den ganzen Tag nicht. Wenn der Balgetreter in die Kirche kam, und hinter sich zuschloß, wie ihm befohlen war, so fand er Ferdinand schon immer auf dem Platze, mit Noten-Papier und Bleistift, und die tollsten Notensprünge punktirend. Dann begann das Toben drinnen und draußen; der spielte, diese jubelten, und was man höchstens sagte war: »Ein närrischer Kerl! Schade um ihn! Den hätten sie auch recht gut dran lassen können!« Ein wilder, beleibter Metzger rief aus: »Hurrah, Geistlich und Weltlich!« Ein Anderer rief: »Daß dich, Klingelbeutel und Granaten!«

Diese Höhe hatte das Treiben an einem Samstag Abend erreicht. Am nächsten Morgen, ganz in der Frühe fuhr der Pfarrer mit seinem neuen Cantor und Organisten, den er selbst aus dem Seminar abgeholt hatte, den kleinen Hügel hinauf, auf welchem die Stadt lag. Es war ein frischer, herrlicher Herbstmorgen. Die Luft roch nach lauter reifen rothwangigen Aepfeln. Der Pfarrer war im Ornat, weil er sogleich in die Kirche gehen wollte um die Messe zu lesen und zu predigen. Ich konnte das kleine Bauernfuhrwerk von meinem Fenster aus wohl unterscheiden; zog mich auch schnell an, und ging obgleich mit Eifer an meinem Luther hängend, doch in die Messe, weil ich glaube, Jude, Katholik und Lutheraner, es ist denn doch immer derselbe Gott!

Wie ich auf der Straße bin, da seh' ich keinen Menschen der mit Andacht auf sein Gesangbuch blickte. Der Pfarrer kommt die Straße herauf; sie betrachten ihn Alle mit zweideutigen Mienen und wissen nicht mehr, wo ihnen der Schirm an der Mütze sitzt. Der Mann seufzt da ich, die Ketzerin, ihn allein begrüße. Er segnet mich als er vorübergeht, und Niemand ist da der mich zu beneiden scheint. Das heilige Amt beginnt, man schwatzt und lacht über die Sitzstühle hinaus, winkt sich und reicht sich nicht einmal in ein Sacktuch eingehüllt die Tabaksdosen von einem Orte zum andern. Der heilige Orgelton scheint Alle lustig zu stimmen. Die Männer kratzen sich ganz wohlgemuth im Kopf und keine einzige Frau läßt ihre sonst so krähende Stimme ertönen. Ich weinte, als ich dies Alles sah, und fing sogar an für mich selbst zu zittern, da der Ton der Orgel etwas eigenthümlich Fremdes und Spöttisches zu haben schien. Ich war beklommen, daß man mir meine Angst ansehen möchte, eilte aus der Kirche und flüchtete mich so weit, daß ich das Instrument nicht mehr hören konnte. Als es schwieg, kehrte ich zur Predigt zurück. Die ganze Gemeinde war zerstreut; Niemand blieb zum Abendmahl, und wie im Tumult leerte sich das Gotteshaus. Am Nachmittag ging Niemand hinein, die Leute zerstreuten sich auf die Dörfer, wo viel getanzt und geflucht wurde. Am Abend kam mitten in der Stadt Feuer aus. Die Leute sagten als sie herbeieilten, das hätte der Eigenthümer selbst angelegt, weil er sich nicht nur in Berlin, sondern auch in Paris versichert hätte. Man lachte und sagte: »Ei, nun wollen wir's bald Alle so machen!«

So begann und vermehrte sich die Verwilderung der Stadt. Die Arbeitsstunden wurden verkürzt und die Ausfälle in den dadurch verminderten Einnahmen mußten einige Juden decken, denen die Bürgerschaft bald mit Leib und Seele sich verpfändete. Wohin man blickte, wurden Possen getrieben. Ja es gab sogar alte Leute, welche auf dem Brummeisen spielten, oder Nürnberger Mundharmoniken von vier Tönen, die einen Akkord machten, beim Holzspalten, beim Heueinfahren und beim Seifensieden, den ganzen Tag anhauchten. Der Leichtsinn wuchs und trug sich bald von den Sitten auf die Verhältnisse über. Die ehelichen Bande wurden locker; es wurde üblich, sich mehr um seine Schwägerin als um seine Frau zu bekümmern. Die Vettern besuchten ihre Basen, wenn sie wußten daß deren Männer im Felde waren, und Kartoffeln gruben. Dem geistlichen Stande vollends wurde allmählig alle Achtung entzogen. Den Pfarrer grüßte Niemand; oder wer es that, doch nur mit scheuem Blick. Die Kirche war leer. Oder man verglich des Pfarrers Predigten mit seinem wahrlich untadelhaften Lebenswandel. Ja, es gab sogar Leute, welche das Abendmahl als ein Recht verlangten, weil der Pfarrer vom Staate besoldet wäre, und er es sich einmal unterstehen solle, einem Einzigen in der Gemeinde den Leib Christi zu entziehen! Wenn er an Feiertagen seine Zuhörer des Morgens gebeten hatte, daß sie heilige Augenblicke würdig begehen, und an die Andachtsfeier nicht sogleich tobsüchtige Gelage reihen möchten, so verstanden sie dies nicht mehr, sondern jubelten in der Stadt, als wär' es wie sie sagten bei Christi Kindtauf eben so hergegangen. Namentlich richteten sie es so ein, daß der Pfarrer aus seinem Gärtchen die Verhöhnung seiner Bitten recht deutlich sehen konnte. Wurden nicht selbst Raketen geworfen? Das Schmerzlichste für ihn war, daß es sogar die Kinder unmittelbar nach der Firmelung nicht besser thaten, sondern Truppweise schaarten sich Knaben und Mädchen zusammen, rückten auf irgend ein Wirthshaus und zechten mit um so größerer Befriedigung, da die Alten rings herum standen, und sich die Seiten halten mußten, um sich nicht vor Lachen auszuschütten.

Und Ferdinand war es, der durch seine Zauberei diese Verblendung in die Gemüther geworfen hatte. Sein Nachfolger mühte sich vergebens ab, durch den Gesang auf sie zu wirken; denn selbst das Feierlichste klang ihnen auf der Orgel wie eine Clarinette, die in recht bei Bauern beliebter Weise einen Steyermarker Dudelwalzer heruntertrödelte. Giebt es etwas Fataleres als ein Bäuerlein, das vom Bock des Uebermuthes gestoßen wird? So albern sich zu nehmen, fingen sie in dem Städtchen Alle an. Einige, die vornehmer seyn wollten, legten sich ein sogenanntes Schützenhaus an und vereinigten sich ordentlich mit Statuten zu einer Tabaksgesellschaft. Hier sah ich recht, wie komisch der deutsche Philister ist. Man trank fast nichts als Würzburger Wein; ein so entsetzliches Getränk, daß es nur in Naumburg geboren seyn konnte. Ja sogar Champagner aus Grüneberger sogenanntem Vaterländischen Weine, wurde auf den Würzburger als noch etwas Vorzüglicheres gesetzt. Die Bäuche dieser Herren nahmen immer zu; eine gewisse Tollheit quoll ihnen aus den Augen. Sie schnitten sich ihre langen Röcke kürzer, und schienen in Miene und Haltung sagen zu wollen: »Ja, da komme nur Einer zu uns, wir sind die rechten Kerle!« Sogar an Journallektüre fehlte es nicht, denn ganze Stöße von Abendzeitungen und Morgenblättern kamen von einem Buchbinder in der Nähe, der fünfzehn Meilen in der Runde einen Lesezirkel etablirte. Doch hatte unsere kleine Stadt das Unglück, daß sie die Hefte immer erst ein Viertel-Jahr nach ihrem Erscheinen erhielt, so daß sie sich lächerlich machte, wenn sie eine längst veraltete Erscheinung für eine so eben mit der Botenfrau angekommene expresse Neuigkeit ausgab. Ein Tuchmacher war der geniale Rädelsführer des Schützenhauses. Er war der Mann der die Literatur vertrat, und es wird mir unvergeßlich bleiben, wie mir derselbe in Gegenwart seines Gevatters, eines Gensdarmen, einen Enthusiasmus für Rotteck zu erkennen gab, der fast an das Verbotene streifte.

Hier auf dem Schützenhause hatte Ferdinand sein Hauptquartier aufgeschlagen. Er wohnte hier, zechte, gab Conzerte, und einen Tag um den andern Tanzmusik. Sein bewunderungswürdiges Spiel auf der Violine fand hier mitten in dem Dampf eines kleinen Tanzsaales nur wenig Anerkennung. Die Leute waren immer einverstanden, die Trompete für die Hauptsache zu erklären; doch kümmerte sich Ferdinand wenig darum, war doch das ganze aus fünf Mann bestehende Orchester sein Werk. Zuweilen kündigte er große musikalische Quodlibets an, Bauernhochzeiten, Schlachten bei Leipzig und Bellealliance, unzusammenhängende Zusammenhänge, Eisenbahnenrutscher, Runkelrübenwalzer und ähnliche Tollheiten, wie sie von Strauß in Wien aufgeführt werden. Es war an einem Sonntage, wo ich ihm über die Vergeudung seines Talentes die ernstlichsten Vorwürfe machte. Er hatte nämlich angefangen, mich mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln, war oft in meine Wohnung gekommen, wozu ihm die Abwesenheit Philipps Raum ließ. Ich entsetzte mich erst vor ihm, da mich seine teuflische Verführung der Stadt mit zu tiefem Abscheu erfüllt hatte, aber er kannte die Seite an welcher er mich überlisten konnte, die Musik. In der That veränderte sich wenn er in meiner Nähe war, sein Wesen so sichtbar, daß ich Wunderliche schon daran dachte, ihn durch den Einsatz meiner selbst, in die moralische Welt wieder zurückzuführen. Ich schlug ihm schon nicht mehr ab, mich an seinen Arm zu hängen und in irgend ein Dorf oder das Schützenhaus mit ihm zu gehen. Ich trug ihm dann gewöhnlich einen Theil seiner Noten und tauschte Ansichten und Ideen mit ihm aus, die nicht kenntnißreicher und scharfblickender angeregt werden konnten. Er brachte mich mit großer Besorglichkeit in die besondere Obhut der Wirthin, und benutzte jede mögliche Pause, um sich nach mir umzusehen. Nur darüber ward er zornig, daß ich niemals das Ende seiner Tanzorgien abwarten und mit ihm, dem Erhitzten, und Berauschten, heimkehren wollte. Noch immer vor Sonnenuntergang, schickt' ich mich selbst zur Rückkehr an, ganz allein mit Erstaunen und Wehmuth den wechselnden Contrasten meines unscheinbaren und doch so bewegten Lebens nachdenkend.

An jenem Sonntage nun hatte sich Ferdinand schon früh über das Maaß hinaus in Worten und Begierden gesteigert. Er kam, als eben der staubige Saal gekehrt und mit Wasser gespritzt wurde, zu mir hinunter, wo ich ihm vorwarf, daß er sein Pfund schlecht vergrübe, und wahrlich ein wenig mehr seyn könnte, als ein bloßer Dorfsiedler. Ruhig antwortete er mir: »Das wissen Sie nicht Seraphine! Eines Musikers Herz ist schwer zu ergründen. Jeder Künstler sehnt sich nach zwei Dingen, Auditorium und Schauspiel. Ich muß Handlanger, ein Orchester, ich muß Zuhörer haben. Ich kann meine Kollegen für ihre Bereitwilligkeit, meine bessern Compositionen des Vormittags mit mir durchzuspielen, nicht anders belohnen, als wenn ich des Nachmittags mit ihnen spiele. Zuletzt vergessen Sie auch nicht, daß in der Musik Alles auf den Charakter ankommt. Musikalische Phantasien sind recht gut; allein Alles was spricht in der Musik ist noch besser. Sprechende Musik ist Tanzmusik, Opernmusik. Jemehr sich die Musik dem Worte nähert, und doch selbst so unendlich verschieden vom Worte ist, desto belebender ist ihre Wirkung, während doch auch an der himmlischen Unendlichkeit ihres Wesens nichts verloren geht. Das Volk muß für gute Musik erzogen werden, und ich versichere Sie, der Zehnte weiß nicht was er will, wenn er sagt: »Mir gefällt diese oder jene Composition.«

Ich gestand ihm, daß es mir so ginge, und ich darum auch so oft gegen die Musik Zweifel gehegt hätte, weil man ein Eingeweihter seyn müßte um sie zu verstehen.

»Glauben Sie das nicht,« widersprach Ferdinand. »Für den Laien ist einmal die Berechnung der Musik, auf den Laien muß es ankommen. Das Gedicht wird erst Gedicht, wenn es der Hörer mit der Prosa des Lebens vergleicht. Für den Poeten selbst gibt es keine Poesie, weil er von der Poesie zehrt und sich nährt, weil die Poesie sein tägliches Brod ist. So ist es auch mit der Musik, von welcher es lächerlich wäre zu behaupten, daß sie bloßes Gefühl, und nicht eben auch Produkt des Gefühls wäre. Wie jedes Tonstück seine innere Regelung hat, eben so muß es etwas Fertiges und Objektives seyn, und muß dem Laien mit eben soviel Anregung gegenüber treten, wie ein Gedicht oder ein Marmorbild. Dasjenige aber woran es uns eigentlich mangelt, ist die Erziehung zur Musik. Man putzt den Leuten nicht die Ohren rein. Sie haben über dem Trommelfell noch manche andere dicke Felle, welche ihnen in frühester Jugend aufgestochen werden sollten. Wäre ich Erzieher, so würd' ich bei den vorgetragenen Musikstücken immer darauf sehen, daß sie entweder Entschlüsse oder Gedankenreihen weckten. Jede Tonart ist auf eine eigene Saite des menschlichen Gemüthes berechnet. Durch eine kleine Verschiebung der Vorzeichnung wird aus dem Schmerze wilde Begier, aus der Begier Grausamkeit, aus der Grausamkeit Wahnsinn, aus dem Wahnsinne Weinen, u. s. f. Auf das Errathen dieser Empfindungen käm' es an, um den Sinn für die Musik zu beleben. Ich würde eine Sonate vorspielen und dann fragen: Woran hast Du gedacht? Woran Du? Woran Du? Ich würde meine Schüler veranlassen, einer ihnen vorgespielten Composition Worte unterzulegen. Sie würden da bald lernen, wie toll es ist, wenn Rossini einen Walzer aufspielt, und dies die Begleitung zu dem Röcheln eines Sterbenden seyn soll. Ginge das mit Gewissenhaftigkeit so fort, wäre dies System, nämlich Volksunterricht, und nicht etwa eine einzelne Logier'sche Methode, so würde sich die ungeheure Notensaat, mit welcher die Welt seit 40 Jahren überwuchert ist, verlieren und es bald noch unmöglich seyn soviel Sachen zu componiren, die, um es kurz zu sagen, auf gar Nichts hinauskommen.«

Ich fragte, ob der Musiker auch einen Prüfstein hätte, eine Musik, die er nicht spielt, sogleich richtig beim bloßen Lesen der Noten zu prüfen? »Natürlich, Seraphine!« antwortete er recht treuherzig. »Sie nehmen ein Gedicht, einen Aufsatz, einen gedruckten oder geschriebenen Aufsatz zur Hand, und sehen augenblicklich, daß da ein orthographischer Fehler ist, hier eine Interpunktion fehlt, hier ein schlechter Reim ist; Sie sehen auch bald ob das Ganze wässrig oder feurig ist. Eben so in der Musik. Quinten und Octaven sind leicht erkannt, dummes Kindergeschnörkel von einer sichern Handschrift bald unterschieden. Manches ist auch sehr korrekt geschrieben, hat aber keinen Inhalt; Manches hat sogar einen guten Styl, aber die Gedanken fehlen. Manches Notenstück ist voll von genialen Einfällen, aber sie liegen dicht neben einander ohne Verbindung, ohne Klarheit; sie haben keinen Styl. Selten ist es, daß die Idee groß ist, das Wort angemessen, die Periode rund gebaut, und der Duft, der auf dem Ganzen liegt, frisch und recht aus der unmittelbaren Anschauung dessen, was man sagen will, hergenommen. Zeigen Sie mir irgend ein Notenstück; ich sage Ihnen gleich ob es von Schiller oder Göthe, von Wieland oder Clauren geschrieben ist.«

Oben im Saale hatte es schon geklingelt. Er hatte kaum noch Zeit die letzten Worte auszusprechen, und ließ mich während des nächsten Tanzes allein. Der Garten, in dem ich saß, war voller Gäste, die sich um schwarze vom Regen halb verfaulte Tische herumgesetzt hatten, und aus ungeheuren Kannen den Kaffee tranken, den sie sich selbst gegen Bezahlung der Milch und des Holzes hier gekocht hatten. Obgleich mich oben der Tanz, hinten die fallenden Kegel störten, so fiel mir doch schmerzlich eine Zeit auf's Herz, wo ich jünger und lebensfroher als jetzt in ähnlicher Lage gewaltet hatte. Mich überwältigte die Wehmuth der Erinnerung. Ich legte still mein Tuch zusammen und schickte mich zur Rückkehr an. Da stürmte Ferdinand von Oben herunter, umschlang und zog mich in das Gebüsch hinein. Ich wehrte ihn zurück, mußte es mit der größten Anstrengung thun, und weiß nicht, ob ich erschrak oder froh war, als in demselben Augenblicke Philipp über einen Graben sprang, der den Garten des Schützenhauses vom Felde trennte. Als mich Ferdinand los ließ, und seines Bruders ansichtig wurde, war sein Lachen aus Verlegenheit und Trotz so eigenthümlich gemischt, daß es komisch und schrecklich zu gleicher Zeit klang. Doch Philipp schien es nicht so nehmen zu wollen. Mein Sträuben hatte ihm Muth gegeben, und seine ganze Entrüstung niederkämpfend, drückte er seine geballte Faust an Ferdinands Stirn und sagte kaum hörbar: »Kerl, ich bring' Dich um!« Als Ferdinand darüber lachte, konnt' ich im Nu alle Finger von Philipps weit ausgeholter Hand auf seiner Wange sehen, Philipp gab sich einer Rohheit hin, die tief plebejisch war. Alle die im Garten waren, kamen herbei, der Wirth, der Tuchmacher, alle Mitglieder der Journalklubbs, der Gensd'arme und Niemand wagte der fürchterlichen Mishandlung Einhalt zu thun, welcher hier der Liebling der Stadt ausgesetzt war. Ferdinand schäumte vor Wuth und stöhnte aus seiner blutrünstigen Lage auf: »Nehmt ihn, nehmt ihn!« und raunte knirschend dem Gensd'armen zu ohne Sinn und Zusammenhang: »Wilddieb, Wilddieb!« Philipp, dies hörend, sprang auf's Neue gegen ihn ein, doch der Gensd'arme hielt ihn fest, und bemächtigte sich seiner mit Hülfe der Uebrigen. Der Diener der Gerechtigkeit führte jetzt das große Wort, weil die Scene durch Ferdinands Entdeckung eine andere geworden war, und rief einmal über das andere aus: »Was wird der Graf sagen, was wird der sagen!« Alle Forsten in der Umgegend nämlich gehörten diesem, und da man Anzeigen genug hatte, daß der Wilddiebstahl in ihnen völlig organisirt war, so standen auf die Entdeckung eines Waldfrevlers so große Summen, daß der Gensd'arme wahrscheinlich bei sich dachte: »Erstens zahlst du jetzt dein Pferd ab, was dir nur vorgeschossen ist, und für's Zweite kommen deine Zulagegelder in die Remontekasse, so daß du in einem Jahre nicht nur dein altes Pferd verkaufen kannst, sondern auch schon wieder ein neues hast!«

Ich habe Philipp, wie seinen Bruder nie wiedergesehen als auf kurze Augenblicke. Von dem Erstem erfuhr ich, daß ihn der Graf, der keine Patrimonialgerichtsbarkeit mehr besaß, der Landesbehörde ausgeliefert hatte. Ich erfuhr später sein trauriges Schicksal, daß er zu mehrjähriger Gefängnißstrafe verurtheilt war. Was hinter Philipps Kommen und Gehen, hinter seinem langen Ausbleiben und nächtlichen Verkehren im Hofe gewesen war, sah ich nun wohl ein. Ob man gleich in seiner Behausung selbst kein Wild antraf, so wurde er doch überführt, daß er dessen genug im Walde geschossen und durch den Handel damit sein Leben gefristet hatte. So eigenthümlich aber ist das Urtheil des Volkes, daß Niemand in Philipps Handlungen ein Verbrechen, sondern nur darin daß es entdeckt wurde, ein Unglück finden wollte. Der alte Gerichtshalter in der Stadt, den ich oft über diese Sache sprach, sagte: »Nur das schlechte deutsche Recht setzt den Armen einer Strafe aus. Nach römischem Rechte, wär' er frei, denn da heißt es: Alles Gethier auf dem Felde, in der Luft und dem Wasser ist Gemeingut und kann erlegt werden von Jedem der will. So waren die Alten, die unsterblichen Alten! Das nannten sie ihr Völkerrecht.«

Von der tiefsten Reue aber war Ferdinand ergriffen. Er wagte nicht mehr, sich meinem Anblicke auszusetzen. Er wurde der eifrigste Vertheidiger seines Bruders und bemühte sich seinen schlechten Streich dadurch zu verwischen, daß er vor Philipps Schicksal gar keine Furcht zeigte, sondern behauptete, die ganze Sache würde auf einen kleinen Denkzettel hinauslaufen. Doch innerlich sah ich wohl, wie ihn Angst und Gewissen quälte. Es war mir rührend zu sehen, wie gierig er zuweilen einen Blick von mir zu erhaschen suchte, einen Blick, durch welchen er wünschen durfte, in den Bund treuer Seelen aufgenommen zu werden. Seither bewohnte er wieder sein kleines Kämmerchen im Hause der Mutter, und musicirte mit seinem gewohnten Eifer. War ich im Garten, so sah ich ihn wohl oft durch die kleinen Gardinen seines Fensters blicken, oder stieg ich hinauf in mein Zimmer, so mußte er irgend eine Bewegung vornehmen, die ich hören sollte; er mußte die Thür aufklinken, oder drinnen etwas fallen lassen, weil es ihn peinigte, in meiner Nähe stumm zu seyn, oder weil er hoffte in sich selbst damit Etwas übertäuben zu können.

Für mich selbst war aber mein Entschluß bald gefaßt. Ich wollte um jeden Preis versuchen, ob man Philipps Schicksal durch einen die Treue seines Charakters schildernden Einspruch nicht mildern könnte. Ich wollte überhaupt versuchen mich aus meiner ungeschickten Lage zu befreien, da wahrlich in der Welt nichts so ungeschickt seyn kann, als eine Anordnung die von niedrig gestellten Menschen ausgeht und mit der sie eine Lage wiedergeben zu können glauben, welche nur den in der Gesellschaft Begünstigten zu blühen pflegt. Ich trug all mein Gepäck zusammen, miethete mir ein kleines Fuhrwerk, und entschloß mich, auf den Schauplatz meiner früheren Leiden und Freuden zurückzukehren. Ein Gesuch beim Minister war dasjenige, was ich schon ganz dramatisch in meinem Vorsatz ausführte. Von der alten Frau war es schwer Abschied zu nehmen. Sie lachte als ich kam und lachte als ich ging. Sie war so sehr von allen Begriffen verlassen, daß sie ohne Falsch mir sagen konnte, wie angenehm es ihr wäre, daß ich jetzt ihr Haus verließ. Sie that dabei, als erwiese sie mir einen rechten Freundschaftsdienst. Ferdinand stand oben am Fenster und grüßte mit leisem Kopfnicken, als ich eben meinen Wagen bestieg. Hier mein kleiner Koffer, dort eine zusammengedrückte Hutschachtel, nur einige leichte Silbermünze in der Tasche, hinter mir ein Bund Heu für das magere Pferd, ich selbst schwankend auf einem kleinen Brett, das nur über die beiden Lehnen der Kalesche übergelegt war, so fuhr ich früh Morgens einer Zukunft entgegen, die unerklärlicher und räthselhafter war als jemals. Am Ende der Stadt hatte der Kutscher seine Peitsche in das Geschirr des Pferdes verhauen und mußte absteigen, um sie wieder loszubinden. Wir waren am Schulhause der Stadt, wo die liebe Jugend eben das Lied sang: Wir Kinder, wir schmecken der Freude recht viel. Sie hatten zu tief angefangen und erhoben nun, da sie keine Brust mehr hatten, um die tiefen Noten hervorzubringen, ihren Gesang um die Oktave höher, welches in Elementarschulen eine recht oft vorkommende komische Erscheinung ist. Mir trieb aber diese Erinnerung an das Haus meines Vaters heiße Thränen aus. Ich hüllte mich in ein altes graues Umschlagetuch, welches ich auf der Reise ungesehen von Arthur wohl tragen durfte. Der Pfarrer lustwandelte durch das Feld und grüßte mich mit einem herzlichen Blicke. Später sahe ich auch noch den jungen Seminaristen, der Philipps Bruder vertreten hatte und sehr kränklich war. Er saß auf einem Steine, einen Krug Mineralwasser vor sich, den er zuweilen an den Mund setzte. Gerechter Gott! Ist dies deine Welt? Lernt man so das Menschenleben kennen? Hier Schmerz, dort Reue; hier Furcht, dort Siechthum! Tausend kranke Empfindungen und noch kränkere Ideen! Und dazwischen bellt ein Hund, schüttelt sich das Laub einer Pappel; dazwischen drängt sich die zinnerne, eiserne steingutne, hölzerne, heilige Alltäglichkeit!

In der Residenz angekommen, besaß ich gerade noch soviel, um den Träger bezahlen zu können, der mir meine Sachen in eine finstere abgelegene Kammer eines Hinterhauses schaffte; denn Vater und Mutter aufzusuchen, die Geschwister anzusprechen, dessen war ich in meinem Elende nicht fähig. Ich suchte mir weibliche Arbeiten zu verschaffen und gewann damit soviel als ich zu meinem Unterhalte brauchte. Weißt Du, Arthur, daß ich ein kleines verlorenes Stübchen in dem Hofe des Hauses bewohnte, wo Du nach vorn hinaus Deine glänzenden Zimmer aufgeschlagen hattest? Ich erfuhr dies, als mich ein Mädchen an der Hausthür bat, ihr die Adresse eines sauber geschriebenen Briefes, den sie in der Hand hielt, vorzulesen; sie war an Dich gerichtet und lautete auf die Wohnung die wir zusammen hatten. Wie geizte ich danach, Dich einmal zu erblicken! Aber Du schwärmtest Tag und Nacht. Licht hab' ich an Deinem Fenster nie gesehen, aber es wohl noch gewagt wie ehemals wenn es offen stand, Dir eine todte herbstliche Aster hineinzuwerfen.

Von meiner Absicht den Minister zu besuchen, kam ich nicht ab. Ich ließ mich eines Morgens bei ihm melden und wurde sehr eingeschüchtert als ich sah, daß er einen Besuch von mir annahm, ohne die Thür zu schließen. Ich fand nämlich im Vorzimmer einen jungen Mann, dessen stark ausgeprägte jüdische Physiognomie mir besonders auffiel. Er schien, indem er auf den Abgang eines noch im Zimmer des Ministers befindlichen Besuches wartete, sehr in Gedanken vertieft, musterte mechanisch die rings ausgehängten Gemälde und schien auf mich kein besonderes Augenmerk zu haben. Er hatte einen ganz gelben Teint, entweder schwarze oder tiefbraune Augen, und war bis in's Wilde mit pechdunkelm Haar und Backenbarte bewachsen.

Seine Kleidung verrieth zu gleicher Zeit geniale Nachlässigkeit, und nicht weniger beabsichtigte Eleganz. Seine Haltung war gebückt, indem aber gleichsam seine Augen dem Kopfe um einige Fuß voraus waren, so thätig lugten sie in die Weite hinaus. Weiße Glacéhandschuhe streifte er, um die Falten zu vertilgen, über die Finger und riß sie dabei entzwei, worüber ich lachen mußte. Er sah mich an und schien mich fragen zu wollen: was ich lachen könnte? Sogar durch den Blick war es mir als schimmerte die jüdische Gebärde hindurch. In dem Augenblicke aber öffnete sich die Thür, der junge Mann schlüpfte hinein, wollte sie wieder zumachen, wurde aber daran verhindert durch Jemand, der sagte: »Ich weiß bereits, was Sie mir zu sagen haben, und fürchte, daß Sie es für ein Geheimniß halten; erlauben Sie also, daß ich die Thür offen lasse!«

Hiedurch konnt' ich ein Gespräch mit anhören, das ohngefähr folgendermaaßen geführt wurde.

»Woher kommen Sie jetzt?«

»Aus H . . ., Ew. Excellenz.«

»Und Sie wünschen?«

»Vergessenheit für Etwas, das mich selber reut.«

»Sie bereuen, weil Sie sich die Folgen nicht gedacht hatten?«

»Gewiß nicht. Ich bereue, weil ich einige Parthien von der Welt noch nicht kannte.«

»Statt daß Sie die Welt kennen müßten, um Autor zu seyn, scheinen Sie Autor seyn zu wollen, um die Welt kennen zu lernen?«

»Erfahrungen werden auf verschiedenem Wege gesammelt, es kommt nur darauf an, ob sie ernsthaft sind.«

»Ich zweifle an Ihrem Ernste. In Ihrer Schrift wenigstens springen Sie vom Pathetischen zum Komischen sehr leicht über. Es sind nicht die Grundsätze, die uns daran mißfielen, sondern die wunderlichen Lichter, die Sie darauf gesetzt hatten. Solche Grundsätze wie die Ihrigen zerplatzen bald. Sie, mein Lieber, sind nichts als ein Mann des Styles, und schreiben deshalb gegen uns, weil der Angriff immer angenehmer zu lesen ist, als die Vertheidigung.«

»Sie beurtheilen eine Zeitrichtung, und indem Sie mich ihr einverleiben, haben Sie Recht, ich aber auch nicht gänzlich Unrecht. Ich bin aus jener neuern Schule hervorgegangen, welche man mit dem Namen der Heine'schen bezeichnet. Glauben mir Ew. Excellenz, daß ich die Hohlheit derselben erkannt habe!«

»Sie wollen sagen, daß Sie jetzt die schlimmen Folgen derselben kennen.«

»Ich will Beweise liefern, daß es nicht Furcht, sondern Ueberzeugung ist, die aus mir spricht.«

»Sie wollen für uns schreiben?«

»Ist Ihnen das so neu; ist das so wenig?«

»Wir haben unter den Männern, welche sich mit Aufopferung und einem der menschlichen Natur angemessenen Ehrgeize in eine solide Staatscarrière warfen, Köpfe genug, welche eine Maaßregel der Regierung oder ihr System, wenn sie ein solches hat, geschickt vertheidigen können. Ich glaube nicht, daß Vertheidigungen beim Publikum Anklang finden, wenn sie von einer Seite kommen, von welcher früher die Anklagen kamen. Dennoch setzen Sie sich, mein Lieber!«

»Ich kann nichts thun, als Ew. Excellenz auf die Lage der Dinge in Deutschland aufmerksam machen. Was die Regierung bedarf, ist kein einzelner Aufsatz, sondern eine ihr unausgesetzt gewidmete literarische Thätigkeit. Man hatte Männer dieser Art, welche sich den Kampf gegen die Revolution zur Lebensaufgabe machten. Wir hatten Gentz, Adam Müller, Pfeilschifter, wir haben noch Einige, welche Ihnen bekannt seyn werden. Glauben Sie, daß Männer dieser Art unter den jetzigen Umständen noch wirken können?«

»Gewiß nur wenig; denn der beste Kampf gegen die Revolution, der beste Ersatz der Garantien welche die Revolution verlangt, sind weise berechnete Maaßregeln, sind die begünstigten Fortschritte der Industrie und des Handels, sind die Beförderungen der Wissenschaft. Diese Thatsachen sprechen für sich selbst, und lassen uns jeder offiziellen Polemik, die immer etwas Mißliches ist, entbehren.«

»Vollkommen wahr; aber selbst das Gute das man thut, darf in unserer Zeit nicht mehr nackt hingestellt werden. Sie können die Gesinnung des humansten Regenten vertreten, und werden dennoch, wenn Sie unsre Zeit in dem Sinne nämlich verstehen wollen, darauf bedacht seyn müssen, dieser Gesinnung die richtigen Anknüpfungspunkte zu geben. Ihre weisen Maaßregeln müssen nicht blos beglücken wollen, sondern auch sprechen können. Sie müssen sagen: Dazu sind wir da, dies oder jenes wollen wir setzen! Die Regierung bedarf keiner Apologie, aber sie bedarf einer Dialektik, die ihr vorarbeitet und dasjenige verknüpft, was sie von ihrem Systeme nur Vereinzeltes ausführen kann. Und dennoch möchten schwerlich die genannten Publizisten diese Dialektik besessen haben.«

»Ich habe immer geglaubt, daß es in der Politik darauf ankommen muß, sich nicht blos der Theilnahme, sondern des Enthusiasmus zu versichern. Die Regierung hat eine Zeitlang mit dem Enthusiasmus gemeinsam gehandelt. Allein wohin wäre sie gerathen, wäre sie ihm gefolgt? Sie können sich wohl erklären, daß seither alle Exaltation ihr widerwärtig gewesen ist, und sie keine Verbindung so sehr von sich wies, als die mit der Literatur.«

»Das ist ein Unglück, Excellenz! Sie müssen die Literatur wieder zu erobern suchen. Sie müssen es möglich machen, daß auch für das System des Widerstandes eine Begeisterung sich regt, und ich versichere Sie, daß im Lager der Opposition selbst eine Meuterei ausbrechen kann, welche die feindlichen Fahnen zu Ihren Füßen legt.

»Das ist mir nicht auffallend; denn was sahen wir denn? Junge Leute, die noch nicht in die Jahre gekommen sind, sich an regelmäßige Verhältnisse zu gewöhnen, deren Feder so lange von der Leidenschaft die Farben borgte, bis sie wieder hingehen müssen und auf's Neue studiren. Ich bin so sehr von der ächten Wissenschaftlichkeit eingenommen, daß sie auch dieser widerspenstigen Literatur, welcher Sie mein Lieber bisher angehört haben, einen neuen Stoß geben könnte, einen Stoß der sie zur Besinnung brächte, falls man nämlich die Herren für die Wissenschaft gewönne!«

»Um Vergebung; wer diese Dinge näher in Augenschein genommen hat, kommt darauf hinaus, daß man sich selbst auf einer Affektation ertappt. Ich habe als Student« – »Sie sind Jude?«

»Allerdings. Ich habe als Student allerlei Studien die Kreuz und Quere getrieben. Ich disputirte über die neuste Philosophie, und kam leider durch die Eitelkeit mich gedruckt sehen zu wollen, in die Sphäre einiger Lokaljournalisten hinein, welche gleichfalls meines Glaubens, sich besonders mit der Theaterpolemik beschäftigten. Von da ging ich in eine durch ihre literarische Industrie berühmte Handelsstadt, und arbeitete für die Ideen, welche kurz nach der Julirevolution sich über Süddeutschland verbreitet hatten. Der buchhändlerische Spekulationsgeist machte meine liberalisirende Feder flott. Ich schrieb ein Politisches Büchlein für die Deutschen, und gab darauf jene Bilder und Zustände heraus, deren Schicksal mich veranlaßt hat, mich zu besinnen und einen andern Weg einzuschlagen. Was man, um für die Regierung schreiben zu können, erfahren haben muß, das ist die Gedankenlosigkeit, mit der man als moderner Autor Niedriges und Hohes verknüpft, das ist die Affektation, in welche man sich hinaufschraubt, um so originell zu seyn, als das Publikum von der Originalität einer neuen Schule verlangt.«

»Sie können jetzt in der Mitte der zwanziger Jahre seyn, mein Lieber, und sollten doch bisher zuweilen erröthet seyn, wenn Sie für Etwas schrieben, wofür Sie nicht lebten.«

»Sie urtheilen zu streng! In den Jahren wo ich mich befinde, überwiegt die Form. Der Inhalt ist gleichgültig und wird es um so mehr, je weniger er die Form begünstigt.«

»Sie sind der Form mächtig. Ich kenne Ihre abspringende dem Zeitgeiste so zusagende Schreibart. Sie brauchen die rechten Bilder, sind süß und sauer wo es grade am rechten Orte ist. Wenn an Ihnen Etwas Verbrechen ist, so sind es weniger die durch Ihre Excentrizität unschädlichen Ansichten, als Ihr Styl.«

»Das ist es. Diesen müssen Sie erobern. Mit denselben Bildern, mit demselben Heinianismus humoristischer Sentimentalität müssen Sie das System vertheidigen lassen, welches früher mit jenen Mitteln angegriffen wurde. Wenn ich auch für die Andern dieses Genre's nicht gutsagen kann, so bin ich bereit, das Meinige zu thun.«

»Sie kommen mir wie ein Soldat vor, der einen blauen Rock mit rothem Unterfutter bei dem einen Fürsten trägt, und wenn er bei dem Andern dienen will, nichts zu thun hat, als seinen Rock umzukehren; dann hat er einen rothen Rock mit blauem Unterfutter. Sie stimmen mich zum Scherze, da Sie zu glauben scheinen, in Ihrer Feder läge das Schicksal der Welt.«

»Ich weiß nicht, ob Sie als Vertreter gewisser Regierungsmaximen einen Mann so beiläufig betrachten dürfen, der sich anheischig macht, diese zu vertheidigen.«

»Ja mein Gott, ich hindere Sie ja nicht. Sprechen Sie Ihre Ueberzeugungen aus!«

»Ich werde noch mehr thun als mich aussprechen. Ich werde danach streben eine Stellung zu gewinnen, wo ich einen unausgesetzten Kampf zu führen habe. Ich will vom Liberalismus beweisen, daß er die Menschheit in eine Rechnungsmaschine todter Begriffe verwandelt. Ich will versuchen ob man nicht das historische Recht mit ein wenig mehr Poesie vertheidigen kann, als bisher das Vernunftrecht vertheidigt wurde. Es gibt in der Geschichte Nichts, was aus dürrem Sande hervorgewachsen wäre; sondern Alles was gedeihen will, muß seinen fetten historischen Boden haben. Man muß aber über diese Vertheidigung des Vernunftrechts noch hinausgehen auf die sogenannte neue Schule selbst, und muß deren Widersprüche aufdecken. Ich wenigstens will nachweisen, daß die neue Schule sogar den Liberalismus haßt, weil dieser in der That doch immer einige Dinge hat, die er der Kirche und dem Staate lassen will. Weit verwandter ist diese moderne Destruktion aller Verhältnisse mit einigen über der politischen und moralischen Versumpfung Frankreichs aufgeschossenen Wasserblumen sogenannter socialer Theorien, mit St. Simon mit Fourier. Ja ich kann sogar nachweisen, daß es darunter einige Köpfe gibt, welche recht gern zu einer Theokratie im Sinne Lamennais ihre Stimme gäben. Dieses Chaos von Meinungen ist da; eine weiche knetbare Masse, die man bald spitz bald rund, bald eckig formen muß, um ihr zu beweisen wie unhaltbar sie ist. Ich will dies thun. Ich will da ich gewohnt bin, mich der Gedanken und Redeformen der neuen Schule zu bedienen, mein innerstes Eingeweide herauskehren und dasjenige was ich selbst nur denken kann, immer so hinstellen als dasjenige was man bekämpfen muß. Jede Parthei hat etwas von Affektation, aber ich werde sie nur meinem Gegner zuschreiben; ich werde beweisen daß er anders denkt als er schreibt, daß er sich von einer Ideenverbindung tyrannisiren läßt, die er gern abwürfe, wenn er den Muth dazu hätte, nämlich den Muth vor der Parthei. Und dies Alles werd' ich in keinem größeren Werke thun, sondern in anonymen Zeitungsartikeln; werde mir wie ein Maulwurf bald hier bald dort Luft graben, und nicht in der Form des Angriffs, sondern in der des Ueberfalls und Hinterhalts. Vor allen Dingen gehört, um hier etwas Gediegenes zu erreichen, eine offizielle Maske dazu. Ich muß sagen können: Man geht damit um, man hat sich entschlossen, es ist im Werke! Wenn es auch nur heißen soll: Es ist wünschenswerth, es ist leicht möglich, es ist mein guter Rath! Besonders kommt es darauf an, einen festen Standpunkt über die auswärtige Politik zu behaupten. Man muß immer mit Schlachten bei Roßbach drohen; man muß sich nicht fürchten, eine förmliche Revolte aller auswärtigen Journale auszuhalten. Zuletzt muß man sich an die Ausdrücke gewöhnen, welche in den neueren Censuredicten vorkommen. Man muß von einem Buche, das etwas frei, etwas subjectiv, kurz etwas modern geschrieben ist, sogleich sagen: Dies Buch ist in einem schlechten Geiste geschrieben! Es muß gar nicht darauf ankommen, diesen Geist zu analysiren, zu beweisen, warum der Geist eigentlich nicht schlecht, sondern nur unbrauchbar ist; sondern man muß aus einer Sache der Politik sogleich eine Sache der Moral machen. Eben so muß man sich an den Ausdruck falsche Lehren gewöhnen. Denn es ist zu weitläuftig, nachzuweisen, daß sich diese oder jene Idee da oder dorthin verzweige. Man muß durchaus nicht thun als wenn irgend Etwas in Frage gestellt werden könne. Man muß das herrschende System: die Wahrheit nennen und ihre Widersprüche, nicht mehr für Irrthümer, sondern geradezu für falsche Lehren ausgeben. Falsche Lehren, schlechter Geist, sind kategorische Ausdrücke, die Alles umfassen, was man an den Erscheinungen der Zeit in ihren einzelnen Mißlichkeiten und Bedenklichkeiten fest anatomiren müßte.«

Nach einer Pause, während welcher ich nur das Kritzeln einer Feder hörte, hieß es: »geben Sie dies Billet bei der Kasse des Ministeriums ab.«

Der gelbe Israelit mit dem schwarzen Haar und dem krummen Rücken schoß an mir vorüber, und ängstlich folgt' ich dem Winke des Ministers in sein Zimmer. Der Mann war sehr erschöpft; seine lange hagere Gestalt streckte sich auf dem Sopha neben mir. Er schien abwesend und sagte ohne meine Bitte vielleicht gehört zu haben: »Es wird sich schon machen lassen.« Als ich darauf fortfuhr, unterbrach er mich und sagte: »Meine Liebe, drücken Sie das Alles schriftlich in einer Bittschrift an den Fürsten aus, und wollen Sie sie mir dann anvertrauen, so denk' ich wohl, daß sich etwas wird machen lassen.« Dabei erhob er sich; ich verließ das Zimmer so still als ich hineingekommen war. Er lächelte mich wie ein Glückwünschender an, und dennoch mußt' ich auf der Treppe stehen bleiben, weil mir eine Ohnmacht über die Augen zog. Ein ausbrechender Thränenstrom half mir, und selbst die kalte Herbstluft draußen hatte nicht Kraft und Gewalt genug die Nässe auf meinen Wangen zu trocknen. Als ich nach Haus kam, warf ich mich erschöpft auf meinen einzigen hölzernen Stuhl, der in meinem Zimmer stand. Später that ich Alles was mir der Minister gerathen hatte. Es half aber nicht viel, da ich meine Bitte für Philipp weder als Gattin noch als Schwester, noch als verlobte Braut motiviren konnte. Es war unwiderruflich, daß er ein ganzes Jahr in Verhaft bleiben sollte. Ich kann wohl sagen, daß die Theilnahme für ihn nur eine eingeredete, keine empfundene war; doch soviel sah ich wohl, daß ich mir Hülfe schaffen mußte um nicht unterzugehen. Alle meine Empfindungen waren in einer gereizten Stimmung. Die Verwandten hatten mich aufgegeben. Die Schwester war auswärts verheirathet, der Bruder studirte auf einer fremden Universität, der Vater rang schon seit längerer Zeit mit dem Tode. Ich entschloß mich endlich ein Anerbieten anzunehmen, das auf meine Fähigkeiten berechnet schien. Ich wurde Erzieherin.


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