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C. Junius Brutus wünscht seiner Schwester Lucretia Heil!
Trifft Dich dieser Brief vielleicht opfernd an den Altären der Götter, so umarme sie, nicht um meine glückliche Heimkehr flehend, sondern dankend für diese: denn schon bin ich nahe den Thoren der Stadt.
Der weise Spruch des delphischen Gottes hat mich zu Roms künftigem Könige bestimmt. Wer zuerst die Mutter küsse – sagte die Priesterin, – würde die Krone tragen. Ich küßte den Boden der geliebten Heimath, die Brüste meiner ewigen Mutter. Aber ich werde klüger sein als der Rath der Himmlischen. Ich achte die Krone nicht höher, als einen Stein am Wege, oder am Kleide des Bettlers einen Lumpen.
Schmerzlich fühl' ich, daß ich meine Klugheit unter dem Gewande der Thorheit verbergen muß, schmerzlicher, daß wohl gar Deine liebende Seele, Schwester, bei der allgemeinen Kunde von der Schwäche und Zerrüttung meines Geistes, zu zweifeln anfängt, und an sich selbst irr wird, da sie doch besser von dem unseligen Verhältnisse unterrichtet ist. Kann doch der Glaube einer ganzen Welt selbst einen Blinden bewegen, sich für sehend zu halten.
Um Dich an die unerschütterliche Ausdauer und Kraft meines Willens zu erinnern, eil' ich nun in Deine freundliche Nähe. Ich will Dich lehren, wie in dem Nebellande, das mich scheinbar umdämmert, noch immer die feurigste Glut der Liebe und des Hasses lodert. Je länger ich der Weisheit dieser Welt eine Torheit scheine, desto schärfer wetz' ich mein Schwert. Ich will ihr schon die neue Lehre eines Thoren einst predigen. Mit Sehnsucht erwart' ich jenen Augenblick, da ich endlich die täuschende Hülle abwerfen, und in richtenden Thaten die Größe meiner Einsicht zeigen werde.
Woher aber dies, daß mich oft eine so schmerzliche Ahnung bewegt, als müßte jener Augenblick doch auch durch meine Seele wie ein Dolch fahren? als müßt' ich betäubt, entsetzt vor irgend einem Anblick, mein Gesicht abwenden, und das Schwert nicht aus meiner Scheide ziehen, sondern erst aus den Händen rachefordernder Manen empfangen? Schwester, solltest Du das Opfer des Tyrannenfrevels werden? Bei jenen Tempelhöhen des capitolinischen Jupiter! ich schwöre Dir unerhörte Sühne.
Solche ahnungstrübe Gedanken engen oft hart die Straße, die ich wandle. Dann fahr' ich entsetzt wie vor Gespenstern zurück. Und über Schwäger und Vettern, die mich nur im duldenden Blödsinne zu sehen gewohnt sind, kommt ein Schauder und Schrecken, daß sie das starre Weiß in meinen Augen nicht ertragen können. Wie sehn' ich mich nach der Stunde der Erlösung!
Wer weise sein will, der werde ein Narr in dieser Welt! Ist dies die Art unseres Jahrhunderts, daß, wer sein Vaterland retten will, sich für verrückt ausgeben muß? Wie ein toller Sänger zieh' ich durchs Land, und singe Lieder mit entsetzlicher Stimme, und schlage dazu Töne, lachend bald, bald weinend. Hier lärm' und donnr' ich, rede wie in Aprilschauern dort, und dann wieder wie Frühlingsglanz und Sonnenwärme. Das Volk gafft den Gaukler an, schlägt aber immer ein Kreuz, wenn er sich naht. Oft liegt er im Staube oder Grase, und die Kinder spielen mit seinem weißen Barte; dann stürmt er aber plötzlich auf, und Alles flieht vor den Flammen seiner Blicke.
Und das Alles – fragst Du zweifelnd – um der Freiheit willen?
An den Höfen der Fürsten hab' ich mich in ein buntes Kleid gesteckt, trage eine lange, klirrende Schellenkappe und ein hölzernes Schwert. Die Prinzessinnen muß ich ins Theater führen, in den Zwischenacten ihnen Spaße vormachen, die Volte schlagen, auskundschaften, wer bei ihrem Eintritt den tiefsten Bückling gemacht, und zuletzt noch das Spiel und den Dichter recensieren. Geht es zu Tische, so bin ich eine lebendige Tafelmusik, muß die Unterhaltung beleben, Dummes in kluger, Kluges in dummer Manier vortragen, die Hohen Zwerchfelle in Bewegung setzen, und darf überhaupt die Talglichter und den Lachstoff nicht ausgehen lassen. Ja, selbst dann noch, wenn die Majestäten vom Regieren ermüdet sind, wenn sie den Tag über die Last des Volkes getragen, und ihm den Schweiß von der Stirne gewischt haben, wollten sie in das Kaleidoskop meiner Gedankenwelt sehen. Nur in den wenigen Stunden des Schlafes erlaubt man mir vernünftig, meinem leidenden Volk frei zu sein.
Man rechnet mich zu den bessern Schriftstellern der Nation, dankt mir für die Unterhaltung, die ich auf Augenblicke gewähre. Der Laune des Publicums, einer verzogenen, verbildeten Dame, muß ich mich hingeben, und auf dem Sopha neben Schooßhündchen und Stickmustern prangen. Wenn die Leute schläfrig sind, muß ich ihnen die Augenwimpern aufrecht stützen: und statt daß mir eine müde Schöne erlauben sollte, ihr die Seidendecke des Auges zu küssen, wirft sie mich unwillig zur Seite, nimmt ihr Licht und geht zu Bett.
Ja, Schwester, die römischen Classiker müssen als erste Opfer fallen!
Wenn die Völker dieser Zeit nur auf Trümmern und zersprengten Felsen wohnen, so sind die Schriftsteller meist nur das niedrige ärmliche Gestrüpp, das ihnen noch einigen Reiz und Lebensaussehen gibt. So grünt das modernde Moos, wenn es sich über verwitterte Steine, zwischen Tod und Leben kämpfend, zieht. Sollen wir nicht rathend, belebend, schaffend durch die Räume der Erde walten? Wir besitzen die Klarheit des Geistes, und nicht die Sitte und Gewohnheit soll herrschen, sondern der Geist, der sie prüfend verwirft oder annimmt. Gibt es unter dem Volke Unmündige, so ist das ein Zeugnis gegen uns. Die Vorurtheile sind stark, aber sie sterben aus mit denen, die sie hegen. Die Wahrheit des Geistes soll ein ewiges Erbe sein.
Die deutschen Schriftsteller Tadeln, theure Lucretia, ist nur die halbe Seite ihrer Würdigung. Noch öfter müssen wir sie bemitleiden. Ich kenne keine Literatur, die durch mildes Urteil so sehr Alles, durch strengsten Angriff so sehr Nichts ist. Fast alle großen Geister unserer Nation verschwanden, wenn man neben der Gerechtigkeit nicht mehr die Billigkeit wollte gelten lassen. Auf die leichterregte Menge haben sie gewirkt, aber keinen Stein um einen Schritt fortgerückt. Wenn sie vorgeben, zu schaffen, so bildeten sie verschüttete Dome mit neuen Steinen nach, und bauten in der Meinung, Palläste zu zaubern, Ruinen. Deren haben wir genug.
Diese Abenddämmerung verspricht aber den Anbruch eines neuen Morgens. Die Zierde des kommenden Geschlechts wird eine Fülle lebensfroher Kräfte sein. Man hat oft in der Geschichte die Erscheinung erlebt, daß ein neues, thatenkräftiges Herrscherhaus eine sieche, geschwächte Nation wieder neu beleben konnte. So wird die wahre Aristokratie künftiger Geister wie neue Keine und grüne Schößlinge aus der alternden Welt emporwachsen. Die Schuppen werden von den blöden Augen fallen, und ein lichter Tag den Sehenden entgegenscheinen.
Jetzt, meine Schwester, sind wir noch Deinem Geschlecht in das zarte Werk seiner Hände gefallen. Wie wir heute z.B. zur Ostermesse 1832 schreiben, weben wir an einem großen Vorhange, der aber einst unter den Zeichen des Himmels zerreißen wird, wenn der neue Bund mit seinem Blut den Untergang des alten besiegelt. Weil dies Weben nur eine vorübergehende Beschäftigung ist, so ist es uns auch ungewohnt: denn mit den spitzen Nadeln fahren wir und oft gar unsanft in die Hände. Aber ist der Vorhang zu Stande, so werfen wir die Nadeln weg, die neue Zeit wird uns anders beschäftigen.
Noch sind uns alle Wege zum Ziele mit schwarzen Trauerflor behangen. So viele junge Herzen, die sich entschlossen haben, auf ihr ganzes Leben den Belohnungen der Machthaber zu entsagen, wandeln diese Thränenstraße. Ueberall müssen sie sich an spitzen Dornen blutig ritzen. Kaum aus den Kreisen des häuslichen Lebens herausgetreten, mit kindlicher Hoffnung aus Liebe und Treue erwartend, werden sie schon von den rohen Schergen der Gewalt ergriffen. Ihre Hoffnung wird Mißtrauen, und dies bis zum Haß gesteigert. Wenn in die Köpfe der Deutschen während der Restauration eine wahrhafte Oede und Leere eingezogen war, so ist dies die versteckte, nur die traurigsten Erinnerungen weckende Ursach. Wenn man ein Land in Bann legt, so läuten darin keine Glocken mehr.
Der Sand auf der Uhr ist bald verronnen. Ich rufe die Römer zum Streite, zur Befreiung ihres Vaterlandes. Wer ein Schwert zu zücken versteht, wird nicht ausbleiben.
Wer hat sie gelehrt, daß ich ein Narr bin? Ich selbst werde unsterbliche Beweise für meinen Verstand führen. Wirst Du mir den Lorbeerkranz um meinen Scheitel winden? Wenn ich auf goldenen Triumphwagen durch die heilige Straße zu dem Tempel des größten und besten Jupiter ziehe, die befreiten Scharen palmengeschmückter Sieger mir zur Seite, wirst Du mir dann an den Stufen des Heiligthums aus dem Kreise der versammelten Priester entgegen treten? Werden die Jungfrauen Roms zum Danke, daß ich sie in die Brautkammer freier Männer führte, mein Gedächtniß ewig mit Lobgesängen und festlichem Umzug feiern?
Der nächste Augenblick kann der Schöpfer großer Leiden und Freuden werden. Freuden? wir werden sie genießen! Leiden? Auch aus dem Gewitter spricht ein Gott, auch finstere Wolken lieben sich, denn Blitze und Donner sind nur ihre Seufzer und Küsse.
Krieg oder Frieden! Leben oder Tod! Schüttle die Loose, ich erbleiche vor keinem!
Wenn in günstiger Richtung ein Adler an Deinem Hause vorüberfliegt, so freue Dich meiner Ankunft. Lebe wohl!