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siehe Bildunterschrift

Die Goldene Pforte am Dome zu Freiberg i/S.

Vom Restaurieren

D Die Ansicht, dass die alten Kirchen und Schlösser »restauriert« werden müssen, ist ein Ergebnis der Kunstauffassung des 19. Jahrhunderts. Die vorhergehenden Zeiten kannten das Restaurieren nicht, vielleicht mit Ausnahme der römischen Kultur des ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhunderts. Es ist also jedenfalls nicht ein Beweis hoher Kunstblüte, wenn viel restauriert wird, es sei denn, dass man das 19. Jahrhundert als künstlerisch sehr hochstehend betrachte. Alle wahrhaft grossen Zeiten haben nicht restauriert.

Unter Restaurieren versteht man das Wiederherstellen eines beschädigten oder verstümmelten Bauwerkes in seinen ursprünglichen Zustand. Der Grund, aus dem restauriert wird, kann sein, dass der Bau seinem Zwecke durch spätere Umbauten oder Zerstörung entfremdet ward, oder dass nachträgliche Veränderungen ihn nach der schönheitlichen Seite beeinträchtigten. Der Zweck des Restaurierens ist daher, den Bau zu seinem ursprünglichen Zweck oder zu seiner ursprünglichen Form zurückzuführen.

Die Stellung, welche die Restauratoren zu ihrem Werke einnahmen, hat mancherlei Wandel erfahren. Es würde von hohem Werte sein, wenn jemand die Geschichte der Restaurierung danach darstellen wollte, was die jeweilige Absicht des Restaurierens gewesen sei. Ein Versuch, dies in allgemeinen Zügen zu geben, sei hier gemacht.

Die Anregung verdankt das Restaurieren der Romantik, jener schwärmerischen Versetzung in das Mittelalter als die Zeit der Frömmigkeit und des Biedersinnes. Der Kloster- und Ritterroman entstand aus gleichem geistigen Zuge wie die ersten Restaurierungen. Zweck war vor allem, die Stimmung wieder zu erzeugen, die man in alten, unbeschädigten mittelalterlichen Bauten empfand und die dem romantischen Beschauer durch Zeugnisse einer neueren Zeit gestört wurden. Die Folge war, dass man alles aus den Bauten entfernte, was als nicht mittelalterlich empfunden wurde.

Gleichzeitig herrschte die klassicistische Ästhetik. Die Künste waren durch diese auf das Vorbild der Antike hingewiesen worden, und zwar die Baukunst mehr und mehr auf einige als besonders vollendet erkannte Beispiele. Man hatte erkannt, dass die höchsten Schöpfungen der Griechen auf der Akropolis zu Athen stehen, und wies nun, in dem Wunsche nach Vollendetem, die Bauleute darauf hin, diese Beispiele nachzuahmen. Denn es sei Thorheit, Minderwertiges zu schaffen, da doch das Vollkommene uns vor Augen stehe. Dem unermüdlich wirkenden Eifer, Athens Blütezeit noch einmal entstehen zu lassen, widersprach aber die Kraft, mit der sich die eigene Zeit mit ihren Ansprüchen und Bedingungen im Bauen geltend machte. Die Stimmung der Künstler und Kunstfreunde war ein Bedauern, dass sie in ihrer und nicht in einer der für »ideal« gehaltenen Zeiten lebten, dass sie mithin nicht so schaffen konnten, wie sie es als höchste Kunst vor Augen sahen. Ja sie kamen sich in jenen Bauten selbst fremd vor, die ihnen besonders geglückt waren: denn sie bauten für Athener oder doch für Römer, nicht für Deutsche, Franzosen oder Engländer.

Die Zugespitztheit im Vorbilde führte bald zu einer grossen Einseitigkeit. Je mehr Hellas als einziges Vorbild, der Parthenon als das unbedingte Ziel des Bauwesens galt, desto weniger Abwechslung im Schaffen war möglich. Die Madeleine in Paris kann ihrer Aussenarchitektur nach kein Mensch von der dortigen Börse unterscheiden, beides sind klassische Tempel!

Die romantische Strömung war nach ihrer ästhetischen Seite ein Widerspruch gegen diese Einseitigkeit des antiken Ideales. Sie setzte der Reinheit der Form, deren Wert sie nicht bestritt, besondere Empfindungswerte entgegen: vor allem die Christlichkeit und die Volkstümlichkeit. Die Antike, von den Klassicisten als geistige Heimat jedes Gebildeten gefeiert, wurde als das Fremde, das Mittelalter, als das nach Glaube und Volk Eigene bezeichnet. Wagte man auch nicht, die Überlegenheit der Antike zu bezweifeln, so wies man doch die Künstler dahin, auf das vergebliche Bemühen der Rückversetzung in die Seele des Phidias oder Iktinos zu verzichten, dafür aber die mögliche Rückversetzung in den Geist der eigenen Vorfahren zu versuchen. Erwin und Dürer wurden den Deutschen die leuchtenden Vorbilder, oder richtiger: man versuchte in schwärmerischer Hingabe die alten Künstler romantisch zu vergeistigen und das Ergebnis dichterischer Verklärung, den geschichtlich noch sehr ungenau erkannten mittelalterlichen Geist, wieder zu beleben.

Der romantisch wie der klassisch Empfindende war sehr fein gestimmt. Sein Ziel war nicht ein schlichtes Behagen und eine einfache Freude am Schönen, sondern er war sich bewusst, das Schöne dürfe nicht ihm, seinem Tagesdasein entsprechen; sondern der in ihm angeregten höheren, weil geschichtlichen Erkenntnis. Was ohne weiteres gefiel, galt als »banal«, zum mindesten als »modern«. Und was modern war, entsprach nicht der rückwärts liegenden Quelle aller künstlerischen Begeisterung. Man schuf – und schafft noch heute – mit dem Gedanken, die Vollendung werde man nur dann erreichen, wenn man die Schande verschleiert, das Werk selbst gemacht zu haben; wenn man es vielmehr so gestaltet, dass selbst der Fachmann es als alt, als »echt« erkenne. Unter echt versteht man also in diesem Sinne das Unechte, dem die Täuschung so gelang, dass der Getäuschte es für echt zu nehmen veranlasst wird.

Dem Künstler wurde also gelehrt, er solle auf keinen Fall in den Fehler fallen, modern zu werden. Bei Umbauten alter Kirchen stellte man die Anforderung an ihn, er solle aus diesen alles entfernen, was modern sei. Und man verstand bis in die siebziger Jahre alles das unter dem Begriffe modern, was nicht mittelalterlich war. Man wollte an die späteren »willkürlichen« Zeiten nicht erinnert werden, in denen die christliche und nationale Tradition verlassen wurde und das »heidnische« und »welsche« Wesen aufkam. Auf katholischer Seite stellte sich die Sache so dar, dass man alles das in den Kirchen als störend empfand, was in und nach der Reformationszeit entstand. Man kam daraus zu der Ansicht, katholische Kunst sei gleich mit mittelalterlicher Kunst. Die Protestanten nahmen denselben Gedanken auf, obgleich sie sich selbst damit aus der Reihe der schöpferischen Gewalten ausstrichen. Sie erklärten, das Mittelalter sei christlich, nicht bloss katholisch gewesen – eine Geschichtsklitterung, mit der sie noch heute umgehen. Alle aber waren der Ansicht: das neunzehnte Jahrhundert habe keinen eigenen Stil, es sei daher nicht erlaubt, »unhistorisch« zu bauen. Frühere Zeiten hätten das Recht, in ihrem Stil zu schaffen, unsere Zeit habe dies Recht nicht. Alle Versuche, wieder modern zu werden, seien Thorheit und müssten unbedingt zur Unform und Tagesnarrheit führen.

Die erste Folge der Begeisterung für das Mittelalterliche war das, was man jetzt »Purismus« nennt. Man warf alles aus den Kirchen heraus, was nicht mittelalterlich war; und ersetzte die entfernten notwendigen Bauteile durch solche im Stile des alten Baues. Das Programm lautete etwa so: Der Bau ist in den Zustand zu versetzen, den er bei seiner Fertigstellung durch den ersten Baumeister besass; oder, wenn diese Fertigstellung sich thatsächlich verzögerte, den er durch diesen ersten Baumeister erhalten hätte. Man wollte kurzweg die ganze alte Zeit wieder herstellen, so dass die junge Zeit mit Staunen mitten in die vergangene, nun wieder zur Wirklichkeit gewordene Pracht hintreten könne. War es mit der modernen Auffassung von Kirchlichkeit auch nicht vereinbar, dass man die Kirchen in der Tracht des zwölften oder dreizehnten Jahrhunderts besuchte, also den Kirchgang zum »Kostümfest« machte, so haben wenigstens die Maler nie versäumt, die alten Bauten in Bildern auch mit Gläubigen in alter Tracht gefüllt darzustellen. Man hatte den Eindruck, dass wohl der Klerus in seinem geschichtlichen Kleide, nicht aber der moderne Laie in die stilvolle Kirche passe; man fühlte sich als an der Schönheit dieser nur aufnehmend beteiligter Zuschauer.

Mit Schmerz empfand man namentlich, dass die »stilvollen« Ergänzungen alter Bauten künstlerisch nur zu oft ungenügend seien. Erst nach und nach änderte man die grundsätzliche Stellung in dieser Frage. Die ältere Zeit legte das Hauptgewicht auf die Empfindung. Sie erzeugte diese bei Gleichgestimmten schon durch das Anschlagen weniger Accorde. Man empfand romantisch auch bei künstlerisch bescheidenen Gebilden. Diese waren ja nicht Ausdruck eigenen, sondern sollten solcher fremden, älteren Empfindens sein. Der Restaurator forderte romantisch vorgebildete Seelen, um auf sie wirken zu können. Später erkannte man mehr und mehr die Unzulänglichkeit des romantischen Schaffens. Man sah ein, dass es mit der Anwendung von ein paar hier und da aufgerafften Motiven nicht gethan sei. Das Restaurieren wurde aus dem Schaffen einer geschichtlichen Stimmung zu einem Schaffen nach wissenschaftlichem System. Man suchte jetzt nicht mehr im mittelalterlichen Bau die »ideale« Kunst, sondern das Eigenartige nach Land, Zeit und Zweck, und forderte vom Architekten, dass der restaurierte Bau nicht ein Abbild der Ziele des ersten Baumeisters sei, sondern ein Werk, das in allen Teilen sich als Ergebnis verschiedener Zeiten darstelle; und zwar jeder solcher Zeit mit ihren Eigenschaften.

Das Restaurieren war eine Sache des Gemütes gewesen – nun wurde es eine Sache der Wissenschaft!

 

D Die modernen Restauratoren lächeln über ihre Vorgänger und deren Empfindungsseligkeiten. Sie bauen auf ganz anderer Grundlage: die Wissenschaft ist ihr Panier! Eine gewaltige Menge von Büchern, Photographien, Abformungen unterstützt den Restaurator bei dieser modernen Aufgabe. Ich schildere diese an der Hand der Grundsätze, die Dombaumeister Tornow in Metz auf dem ersten Tag für Denkmalpflege in Dresden 1900 aufstellte. (Abgedruckt im »Metzer Dombaublatt« No. 14 und 15, Juni 1902.)

Danach erstreckt sich die Pflicht der Erhaltung bei Restaurierung der Baudenkmäler »auf alle geschichtlichen Stile bis zum Abschlusse des baugeschichtlichen Entwicklungsganges zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts«. Also während früher die Renaissance, später das Rokoko und Barock, dann als Zopf der Klassicismus des achtzehnten Jahrhunderts als die Grenze der vogelfrei zu erklärenden Stile bezeichnet wurden, ist es jetzt die Zeit Schinkels, Gärtners, Violet-le-Ducs, Sempers, Hases, Schmidts und Hansens, die ausdrücklich als nicht des Schützens wert erklärt wird. Das scheint mir recht undankbar von den Schülern dieser Meister! Ausdrücklich wird also von Tornow die ältere Romantik als nicht mit dem »Zopf« gleichwertig bezeichnet; als eine solche, zu der man nicht von der sonst geforderten »tief wurzelnden Pietät« beseelt zu sein braucht. Also blieb der Hass gegen das Moderne selbst dort, wo es als das Ergebnis der Selbstentäusserung entstand; er wendet sich gegen Meister, die auch schon in der Absicht schufen, so »echt« wie möglich zu sein.

Die Absicht ist bei Tornow noch die gleiche, wie der seiner jetzt als ausser der Pietät stehenden Lehrer: denn er fordert, »dass jede Herstellungsarbeit so ausgeführt werden müsse, dass die ursprüngliche Erscheinung des alten Werkes und dessen eigenartiges Gepräge in seinem ganzen Umfange erhalten bleibt«. »Der Ersatz einzelner schadhafter Teile durch neue muss … in genauem Anschluss an das Alte und nach dessen Vorbild geschehen.« »Wenn es sich als unabwendbare Notwendigkeit herausstellt, das Baudenkmal zu erweitern oder zu vergrössern und ihm Anbauten hinzuzufügen, so sind solche Bauten genau im Sinne und Geist des ursprünglichen Erbauers auszuführen. Sie haben sich an den Baustil des alten Werkes, als die besondere Richtung, die sich in dessen Stil ausprägt, und jede sonstige Eigenart des Baudenkmals auf das engste anzuschliessen. Ein jedes, auch nur leisestes Hervortreten der künstlerischen Individualität des herstellenden Architekten über den den Baustil und die Eigenart des Denkmals umfassenden Rahmen hinaus ist bei solchen Neuschöpfungen auf das peinlichste zu vermeiden.«

Die Richtung dieser Restaurierungsart ist also noch dieselbe, wie sie durch den »Abschluss des baugeschichtlichen Entwickelungsganges zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts« geschaffen wurde. Tornow wählt die schärfsten Ausdrücke, um zu erklären, dass er als entwerfender Restaurator auch nicht mit einer Linie verraten möchte, dass seit dem Entstehen des zu erneuernden Baues ein halbes Jahrtausend oder mehr vergangen ist. Ziel ist die Leugnung des Zeitunterschiedes zwischen dem vom zwölften und dem vom zwanzigsten Jahrhundert Geschaffenen. Der Beschauer soll nach wie vor getäuscht werden, wenn er ein umgebautes oder erweitertes altes Denkmal sieht! Er soll glauben, es sei in allen seinen Teilen alt. Also schafft diese Kunst etwas, was sie selbst als des Schutzes nicht würdig betrachtet: den der Restaurator ist nach diesem Gesetze der beste, dessen Wirken ganz unsichtbar wird, der geschichtlich vollständig aus dem Gebiete des sinnlich Erkennbaren verschwindet: so dass Alles, was er gemacht hat, für das Werk eines andern gilt.

I In allen sonstigen Gebieten menschlichen Thuns nennt man dies eine Fälschung. Die Historiker der Römer und des sechzehnten Jahrhunderts hielten es für ihre Pflicht, dort, wo sichere Nachrichten im Gang der Geschichte fehlten, also eine Lücke entstand, diese zu füllen. Sie thaten dies, indem sie alle Umstände erwogen und das Hinzugedichtete so ausstatteten, dass ein Hervortreten der »künstlerischen Individualität des herstellenden Geschichtschreibers« auf das peinlichste vermieden wurde. Es ist selbst der strengsten Wissenschaft oft nicht möglich, zu unterscheiden, wo bei einem Livius oder einem der vielen Chronisten des sechzehnten Jahrhunderts die Geschichte endet und wo die »Arbeit aus dem Sinn und Geist«, also die restaurierte Geschichte beginnt. Wir Modernen beschimpfen mit Unrecht solche Männer als Fälscher. Denn ihnen fehlt die im § 267 des Reichsstrafgesetzbuches in erste Linie gestellte »rechtswidrige Absicht« und die in § 268 betonte Absicht, »einem anderen Schaden zuzufügen«. Sie haben zwar der Welt grossen Schaden zugefügt, aber ihre Absicht war dabei eine lautere: Ihre Auffassung von der Aufgabe der Geschichtschreibung war eben falsch; sie wollten ein abgerundetes Bild geben, ein künstlerisches Ganzes, und sahen es daher als eine ästhetische Pflicht an, Fehlendes einzufügen. Tornow sagt: »Lässt sich aus Urkunden oder alten Zeichnungen oder aus dem Organismus der Bau-Anlage oder aus am Bauwerke selbst noch erkennbaren Spuren, Ansätzen oder dergleichen der Nachweis führen, dass die Ausführung einzelner Teile des Bauwerkes ursprünglich beabsichtigt war, aus gleichviel welchen Gründen jedoch unterblieben oder nicht zu Ende geführt worden ist, und hat sich inzwischen das praktische oder ästhetische Bedürfnis der Fertigstellung solcher Teile und Arbeiten herausgestellt, so besteht gegen deren Ausführung kein Bedenken.« Diese Ausführung im Stil der Alten deckt sich also vollständig mit jener ergänzenden, aus erkennbaren historischen Spuren und Ansätzen heraus entwickelten Geschichtsabrundung, wie sie heute noch unter allgemeiner Anerkennung im historischen Romane ausgeübt wird; und zwar hier mit gutem Recht, da der Roman sich nicht als geschichtliche Wahrheit, sondern als ein deutlich als solches ersichtliches dichterisches Nachbild bekennt.

Das Betrübende beim Restaurieren eines Bauwerkes nach den Grundsätzen des historischen Romanes ist nur, dass es sich als echt giebt, und dass die alte Urkunde dadurch angegriffen wird. Heute schon ist es eine der schwierigsten Aufgaben der Bauhistoriker, Altes von durch Restauratoren hinzugefügtem Stilvollem zu unterscheiden. In der Wissenschaft wird der verhöhnt, der nach den Grundsätzen des Restaurators Geschichte schreibt; derjenige aber, der sich an den historischen Urkunden in einer Weise vergreift, dass er die Grenze zwischen dem Alten und seiner Ergänzung nicht deutlich erkennbar macht, wird seit einigen Jahrhunderten thatsächlich als Fälscher bezeichnet und verachtet, gleichviel ob er damit eine selbstsüchtige, rechtswidrige Absicht verbindet oder nicht; denn er verschleiert das was das höchste Ziel aller Wissenschaft ist und sein soll: die klare Erkenntnis der Wahrheit!

Nach alledem ist wohl kein Zweifel, dass spätere Zeiten unsere Restaurierungsthätigkeit, soweit sie künstlerisch ist und nicht bloss Erhaltungsarbeit, als eine der traurigsten Verfehlungen der Baukunst bezeichnen werden. Diese Verfehlung wächst mit der Vollendung, die sie nach und nach erhielt, und durch die mechanische Sicherheit, mit der sie sich vollzieht. Seit wir in der Photographie, dem Gipsabguss, der Genauigkeit der Aufmessungen und durch allerlei technische Hilfsmittel es leichter haben, das Alte in einer Weise genau nachzuahmen, wurde das Unterscheiden nahezu zur Unmöglichkeit. Die Geschichtsdichter vergangener Zeiten haben ein weit weniger verderbliches Gewerbe betrieben, als die Meister der architektonischen Stilnachahmung.

Es ist zweifellos ein »gross Ergötzen, sich in den Geist der Zeiten zu versetzen«. Goethe lässt Wagner diesen Spruch thun. Faust aber lässt er antworten:

Was Ihr den Geist der Zeiten heisst,
Das ist im Grund der Herren eig'ner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's dann wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft auch bei dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer …

Und Faust sagt hier, was Goethe selbst dachte. Das grosse Ergötzen besteht darin, zu schauen, was vor uns ein weiser Mann gedacht und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht! Gewiss wird jeden frisch Empfindenden eine innere Sehnsucht packen, ein beschädigtes, teilweise zerstörtes Kunstwerk im Geiste wieder aufzubauen, zu ergänzen und sich in die Möglichkeiten seiner Ausgestaltung zu vertiefen. Jede dichterische Thätigkeit – und auch Baukunst ist ja in erster Linie Formendichtung – besteht zunächst darin, in sich Vorstellungen zu schaffen: so hier die Vorstellung des ursprünglichen Werkes. Daher die unzähligen Ergänzungen antiker Statuen, die Umdichtungen bestehender Dichtwerke. Es ist dies ein Fortspinnen von anderen angeregter Gedanken. Aber das Restaurieren eines Kunstwerkes führt herbei, dass anderen die Möglichkeit zu gleicher Anregung genommen wird. Es ist sehr viel schwerer, diese zu gewinnen, wenn man sich erst die Zudichtung des Fremden hinwegdenken muss. Man beginnt daher mit Recht, den antiken Statuen in den Museen die später angesetzten Glieder wieder abzunehmen, um festzustellen, was an ihnen wirklich alt ist; und weil man erkannt hat, dass der »Torso« künstlerisch anregender wirkt als das ergänzte Werk. Denn ganz genau trifft ein Späterer nie die innerste Absicht des ursprünglichen Meisters. Wir danken es Goethe, dass er die »Iphigenie«, den »Faust« und den »Reineke Fuchs« schuf. Aber wir würden es ihm viel weniger, vielleicht gar nicht danken, wenn dadurch der Zustand des Dramas des Euripides oder der deutschen Volksbücher so verändert worden wäre, dass man nicht mehr genau erkennen könne, wie diese einst beschaffen waren. Diejenige Umdichtung, die das Original angreift, ist eben eine Versündigung am Geist der Zeiten! Anderen die Quellen geschichtlicher Erkenntnis rein zu erhalten, das sei das Ziel »tiefwurzelnder Pietät«.

Daher scheint mir die Aufgabe einer sorgsamen und wahrhaft künstlerischen Pflege der öffentlichen Verwaltung, die »stilvolle« Restauration vom Bau fernzuhalten; Aufgabe des Architekten aber, sich jener Selbstständigkeit im Erfassen ihres hohen Berufes zu erinnern, welche die von ihnen so hoch geschätzten älteren Zeiten hatten, und sich vom Jammer der Kunstarchäologie frei zu machen. Auch beim Restaurieren, wie bei jeder anderen Kunstthätigkeit, sollen sie ganz dem eigenen Geiste folgen. Nach meiner Ansicht soll jeder Stein, den sie berührten, ebenso deutlich von seiner Entstehungszeit Kunde geben, wie derjenige, der aus der Hand eines Meisters des Mittelalters oder der Renaissance hervorging. Nirgends ist der Stilkram verwerflicher als beim Restaurieren. Kunstwissenschaft und Kunst sind zwei Dinge, die nebeneinander stehen. Es wird gut sein, wenn der Kunstgelehrte etwas Künstler ist und wenn der Architekt kunstgeschichtlich gebildet ist. Es ist sehr löblich, wenn die Bauten genau ausgemessen und zeichnerisch rekonstruiert werden, damit andere lernen wie ein gelehrter Künstler sich den ursprünglichen Zustand des Baues denkt: Aber man soll diese Entwürfe nicht ausführen! Die Kunst kann so wenig wissenschaftlich, die wie Wissenschaft künstlerisch wirken: Jedes hat seine Zeit und seine Art.

 

D Die Erhaltungsarbeiten an einem alten Bauwerke sollen sich nach Ansicht der Restauratoren nicht nur auf dieses selbst und seinen ursprünglichen Zustand erstrecken, sondern auch auf alles das, was spätere Geschlechter hinzufügten, auf An- und Einbauten, Denkmäler und Geräte, auf den Gesamtbestand des Baues.

Dem widerspricht, dass die späteren Zufügungen anderen Stiles zu sein pflegen als der Urbau. Die »Puristen« erkannten in der »Stilreinheit« die entscheidende künstlerische Forderung: Die Einheit der künstlerischen Absicht sollte alle Teile des Bauwerkes umfassen. Sie forderten daher, dass jedes wohlgepflegte Bauwerk so erscheine, als sei es eben aus der Hand des Schöpfers fertig hervorgegangen. All das, was dieser Forderung widerspricht, sollte entfernt oder stilgerecht verändert werden. Der restaurierte Bau sollte also wieder so aussehen, wie er im Jahrhundert seiner Entstehung aussah, alle späteren Wandlungen des Geschmackes – so berechtigt sie an sich seien – sollen am alten Bauwerk sich nicht bemerkbar machen, da gerade in der Einheitlichkeit der ästhetische Wert liege.

Der Gedanke ist zweifellos logisch und klar. Man fühlte geschichtlich, indem man den Bau in seine Entstehungszeit zurückzuversetzen bestrebt war. In jener Zeit beklagten die Liberalen, wenn eine Schule gotisch gebaut wurde, weil man in diesem Stil das Unwissenschaftliche des »finsteren« Mittelalters erkannte. Man hielt es für einen Unsinn, einen Bahnhof gotisch zu bauen; man kämpfte gegen die mittelalterliche Kunst als Erneuerung des mittelalterlichen Geistes ebenso wie man von kirchlicher Seite für diesen Geist und für diese Kunst kämpfte. Man stritt, welche Stilart für einen Bau angemessen sei: die Antike für eine Akademie, ein Theater; die Renaissance für ein Stadtschloss, ein Rathaus; die Gotik für ein Landschloss, eine Kirche: denn man glaubte durch den Stil den Geist des Sokrates, der Medici oder der mittelalterlichen Heiligen zu neuem Wirken zu erwecken.

Heute hat man die Stile nach ihrer technischen Seite würdigen gelernt. Man steht ihnen mit einer von Semper abhängigen Auffassung gegenüber: Sie sind in erster Linie Erfüllung einer baulichen Aufgabe nach bestimmten, aus der Werkform sich ergebenden Gesetzen. Die ausserordentliche Wertschätzung der mittelalterlichen Formen geht hervor aus der Erkenntnis, dass sie technisch höher stehen; dass in ihnen verwickeltere bauliche Aufgaben zu folgerichtigem Ausdruck gebracht sind. Sie sind biegsamer, schmiegsamer und daher modernen Aufgaben angemessener als die griechische Antike mit ihrem Steinbalkenwerk.

So hat man es aufgegeben, im Stil gewissermassen das Symbol einer geschichtsphilosophisch erfassten Zeit zu betrachten. Die modernen Stilbauten haben diese Empfindung zerstört: Kein Mensch fühlt mehr den Geist des 15. Jahrhunderts in einem Hause, das die italienische Frührenaissance zum Stil hat, oder den Geist Ludwigs XIV. in einer Barockkirche. Beide Bauten wirken auf uns nur ihrer künstlerischen Formen nach. Sie sind in ihrer Stilreinheit Ausdruck der Wissenschaftlichkeit der modernen Baukunst, und uns ist ohne weiters sicher, dass der Entwerfende ein durchaus moderner Mann war, wenn er sich auch in seiner Kunst noch so altertümelnd gab. Denn das Altertümeln ist eben – leider – ein Zeichen moderner Art. Eine stilgerecht restaurierte alte Kirche sieht aber nicht minder modern aus wie eine ganz neue. Wenn man z. B. vor einem Bau, wie die Garnisonskirche in Hannover, steht, so ist man völlig im Zweifel darüber, ob dies ein gründlich erneuerter alter Bau oder ein neuer sei. Steht man vor einem gründlich erneuerten stilistisch einheitlichen Werke, wie etwa dem Friedrichsbau des Heidelberger Schlosses, so ist man nicht minder im Zweifel darüber, ob dies nicht der neue Entwurf eines geschickt altertümelnden Architekten sei. In beiden Fällen wird man nicht geschichtlich angeregt, wirkt nicht das Wesen der Vergangenheit auf uns, sondern wirken moderne künstlerische Anregungen, die das Geschichtliche völlig erdrücken. Wie Schillers »Jungfrau von Orleans« oder »Tell« moderne Dramen sind und nicht mittelalterliche – trotz ihres geschichtlichen Hintergrundes – so sind jene Bauten trotz ihrer Stilechtheit und sachlichen Echtheit modern altertümelnd.

Somit zerstört die Restaurierung den geschichtlichen Zug der Bauten. So lange es aus Mangel an genauer Kenntnis der alten Kunstformen nicht möglich war, stilistisch getreu zu bauen, vollzog sich diese Zerstörung nicht: Durch die Erreichung des Zieles ist das Ziel wertlos geworden!

Man erkennt heute die Geschichte eines Baues aus seiner Erscheinung nur dann, wenn die Spuren seiner im Lauf der Zeiten vollzogenen Umgestaltungen erhalten blieben. Die menschlichen Dinge sind dem Wandel unterworfen: auch die menschlichen Beziehungen zum Ewigen. Das Christentum blieb das alte, der Gottesdienst aber wechselte, die Form der Anbetung und damit die Geräte, die bei dieser benützt werden. Die Zeiten opferten das Beste, was sie leisten konnten. Aber dieses Beste wurde in jeder Zeit ein anderes. Das Haus des Gottesdienstes wurde so schön als möglich erbaut, aber auch nach dem Wechsel des Geschmackes diesem und seinen Zielen gemäss umgestaltet. Dem Bau liest man nun die Geschichte ab, die diesen Wandel offenbart. Das Gefühl der Ehrwürdigkeit geht von jenem Werke aus, das verkündet, wie die Geschlechter nach einander in ihm und an ihm wirkten. An einem solchen Werke empfinden wir bei verschiedenem Stil erst recht die Einheit: nämlich die des gleichen Grundgedankens, der sich in verschiedener Form äussert, der gleichen Melodie in verschiedenartiger Vertonung bei symphonischem Einklang. Das Kunstwerk entsteht so aus einem Nacheinander des Schaffens; die Einheit ist die des Inhalts, nicht der Form; die Geschichtlichkeit liegt nicht in der Stilform einer möglichst alten Zeit, sondern im Vorhandensein und in der erkennbaren Folge der Zeugnisse möglichst vieler und langer Zeitabschnitte. Der Bau wird uns nicht ehrwürdig, weil er genau so aussieht, wie man einst vor Jahrhunderten schuf – das vermag ein Neubau zumeist ebensogut zu zeigen – sondern weil die Geschichte ihre Merkmale in ihr hineintrug.

Darum spricht die Ruine so mächtig zu uns. Die Ruine ist nicht mehr so wie vor hundert Jahren ein Ort romantischer Schwärmerei: Sie ist nicht für uns ein Bau, der im Mondscheine am stärksten auf die Seelen einwirkt. Sie ist ein Bau, den wir am hellen Tage mit scharfem Auge betrachten wollen. Sie wirkt wie ein Naturerzeugnis, weil vieles an ihr eben nicht nach menschlichem Willen beschaffen ist; sondern Ausdruck einer höheren Gewalt, der gegenüber der Mensch machtlos ist. Die Grösse des Künstlers erkennen wir aus der alles Menschentum überragenden Gewalt der Zeit heraus, durch deren Grösse hindurch: das ist der Reiz der Ruine. Und diesen Reiz zerstört der, der die Ruine ausbaut; er nimmt ihr die Geschichte und schiebt ein falsches Echtes oder ein echtes Falsches an Stelle des wahrhaft Echten; er rückt an Stelle eines ehrwürdigen Muttergesichtes das einer geschminkten Alten! Das Alter hat eben auch seinen hohen Reiz. Und dieser Reiz ist nur durch die Sinne wahrnehmbar. Man soll also das Alter eines Baues sehen lassen, sichtbar werden lassen. Der Bau ist seines altertümlichen Reizes beraubt, dem man nur auf stilkritischem Wege sein Alter ansieht. Auch der in der Stilgeschichte Unkundige muss ihn erkennen. Und das wird nur dann möglich sein, wenn der Bau die in der Natur menschlicher Dinge beruhenden Merkmale des Alters zeigt, also die Spuren der Zeit: seien es nun Umgestaltungen oder sei es Verfall. Nicht die Kirche wirkt ehrwürdig, die romanisch ist, also den Stil etwa des Jahres 1100 hat; sondern die, welcher man ansieht, dass sie seit achthundert Jahren dem Dienste Gottes geweiht ist. Nicht das frühe Ursprungsjahr, sondern die lange Dauer des Bestehens erhebt sie in der Achtung des Unbefangenen.

Für die Erneuerungen der Kirchen ist diese Erkenntnis von höchster Bedeutung: Der Althändler bessert Kleider so aus, dass man sie für neue nehmen soll; der verständige Mann aber sorgt dafür, dass sein Kleid sauber und ordentlich bleibt, wenn es gleich alt ist. Grundregel aller Erneuerung sollte sein, dass sie keine Täuschung über das Alter erneuerter Teile herbeiführt, dass aber alles das, was neu gemacht werden muss, um das übrige Alte zu erhalten, auch als neu erscheine. Das war ein unausgesprochenes, weil selbstverständlich erscheinendes Gesetz für alle künstlerisch hervorragenden Zeiten. Die moderne Stilkenntnis befähigt uns daher, die in früheren Jahrhunderten erfolgten Umbauten alter Dome fast bis auf die einzelnen Quadern sicher nachzuweisen: denn jede Zeit sah es als ihr nie bestrittenes Recht an, in allem, was sie that, modern zu sein. Das ist aber auch der vollste Gegensatz zur modernen Restaurierung, die sich müht, bis in die letzte Einzelheit, bis zur Art der Meisselführung am unverzierten Quader das Alte nachzuahmen; also: so unmodern zu sein, dass womöglich nicht einmal der gelehrteste Archäologe die Ergänzung als solche erkennt.

 

W Wer für die bauliche Erhaltung eines Denkmales verantwortlich ist, wird freilich bald erkennen, dass es ein Verbrechen an diesem ist, wenn man die Zeit und ihr Kind, den Verfall, am Baue einfach ihr Werk thun lässt. Unsere Liebe für das Altertum, der geschichtliche Sinn sind stark erblüht, und wir sind dieses Blühens froh. Das giebt uns die Pflicht, dem Verfalle womöglich Einhalt zu thun. Aber die Regel sollte dabei gelten, dass so wenig als möglich dabei am alten Bestande der Bauwerke geändert werde.

Ein Unterschied sei gleich hier gemacht zwischen Ausbessern, Erneuern und Verschönern. Ausbessern nenne ich das Beseitigen äusserer Schäden ohne tieferes Eingreifen in den Gegenstand. So Wiederherstellen eines Anstriches, Entfernen von Flecken oder Beulen, Moos oder Schmutz, Ausflicken von Putz u. s. w. Man soll dies mit Vorsicht thun und niemals ungeeignete Leute dabei verwenden. An Kunstwerke sollte nie die Hand eines nicht Vorgebildeten rühren.

Unter Verschönern verstehe ich das Umgestalten eines älteren Bauteiles lediglich deshalb, weil er nicht gefällt. Die Anweisung wäre ja leicht zu geben, dass das Verschönern einfach verboten sei. »Bei keiner Art von Herstellungsarbeiten,« sagt Tornow, »darf unter dem Vorwande der Verbesserung eines vermeintlichen Verstosses gegen den guten Geschmack die alte Form irgendwie geändert werden.« Dieser gute Geschmack ist nur zu oft ein schlechter Geschmack: Alles Leid aufstrebender Künstler entsteht aus dem Kampfe gegen das, was die Mehrzahl den guten Geschmack nennt; alle ästhetische Weisheit und alles künstlerische Urteil giebt kein Schutzmittel im Irregehen des Geschmackes. Mir scheint, dass wir ganz und gar ohne ein Hilfsmittel sind, auch nur mit einiger Sicherheit festzustellen, welcher Geschmack der gute sei.

Also kann und soll der gute Geschmack, namentlich auch nicht der des Sachverständigen, über die Erzeugnisse vergangener Zeiten urteilen. Nachdem Tausende der edelsten Werke von Sachverständigen zerstört wurden, weil sie eben die Sache nicht verstanden, habe ich nicht mehr die Hoffnung, dass irgend wer ein »richtiges« Urteil in Kunstdingen abgeben könne. Natürlich auch ich nicht.

Aber jeder kann ein Urteil abgeben, das insofern richtig ist, als es seinem Wesen und seinem Geschmacke entspricht. Namentlich kann jeder Besitzer über seinen Besitz ein solches Urteil abgeben und hat Anspruch darauf, dass dieses beachtet werde. Wenn also einer Gemeinde ihre Kirche, einem Fürsten sein Schloss oder ein Teil in ihm missfällt, so kann man beiden nicht wohl mit ästhetischen Gründen kommen als mit Machtmitteln, um sie zu zwingen, das Haus oder den Bauteil so zu lassen, wie er ist. Es wird vielleicht gelingen, sie dazu zu überreden oder die höher stehende Behörde zu überzeugen, dass sie einen Druck ausüben solle. Aber man wird zumeist Behörden nicht sehr geneigt hierzu finden. Und zwar mit gutem Recht.

Meist ist freilich das Missfallen eines Bauteiles zunächst nur bei wenigen: Der neue Pfarrer stösst sich vielleicht an der oder jener Form. Er weist daraufhin: Man beginnt auf einmal das Altgewohnte mit kritischem Auge zu betrachten; die Gegnerschaft wächst; Opferbereite erbieten sich, die Verschönerung zu fördern. Soll die Kirchenbehörde dem entgegentreten?

Es ist wohl das richtigste, wenn der Architekt solchen Strömungen nachgiebt, die er doch nicht aufhalten kann. Oft lässt sich mit geschickter Hand viel erhalten, oft kann man das Anstössige so entfernen, dass es bei Besserung oder Änderung des Geschmackes wieder eingefügt werden kann; oft ist durch Ausbessern des Beschädigten die Abneigung zu beseitigen. Viele »entstellende« Kunstwerke sind dadurch, dass sie ein bisschen blank gemacht wurden, den Gemeinden wieder lieb geworden. Es war nur der Verfall, der sie störte. Mit Wenigem kann dem oft abgeholfen werden!

 

D Der Verfall wirkt auf viele abstossend. Jeder Bau verfällt von dem Tage an, in dem er fertig aus des Meisters Händen hervorging. Er stirbt langsam. Für den Moralisten ist ja auch unser Leben eine Vorbereitung zum Tode. Damit muss man sich abfinden. Gelingt es, sich mit einiger Würde mit dem Unvermeidlichen abzufinden – dann um so besser!

Beim Verfall eines Bauwerkes sind zwei Formen zu unterscheiden: ob dieser die Aussenseite des Baues oder ob er den Kern betrifft. Wenn der Kern angegriffen ist, also die Standsicherheit, und wenn der Bau noch dazu bestimmt ist, einem Zwecke zu dienen, so soll man rasch und entschieden eingreifen. Denn das Bestehen des ganzen Werkes ist in Frage. An der Aussenseite soll man so langsam und so einsichtig vorgehen als nur immer möglich. Eine Mauer ist Mauer, ob sie nun alt oder neu sei. Wertvoll ist nur ihre Haut, der Teil, der gesehen wird. Man soll alles daran wenden, wenn nötig, den ganzen Kern beseitigen, um die Haut zu erhalten; denn in diesem Teil liegt das künstlerische Wesen des Baues. Leider beruht unsere »Konservierung« zumeist darin, dass man den Mauerkern erhält und die Haut beseitigt; das Gleichgültige bleibt und das Wertvolle wird entfernt und durch Neues ersetzt.

Verwitternde, kunstvoll bearbeitete Bauteile soll man abformen und die Gipsabgüsse wohl verwahren, womöglich an verschiedenen sicheren Stellen. Grössere Teile sind genau auszumessen, zu photographieren und womöglich zu publizieren. Kein Archiv ersetzt an Sicherheit das in vielen Bibliotheken bewahrte Buch. Ist dies geschehen, so lasse man den Bauteil bis zur Formlosigkeit verfallen. Das Ersetzen durch ein neues Stück kann bis zu diesem Zeitpunkt aufgeschoben werden: denn wenn nun einmal die Kopie an Stelle des Urwerkes treten muss, so sollte dies doch so spät als möglich geschehen.

Man berichtet uns vom Heidelberger Otto Heinrichbau, er sei nicht mehr haltbar. Man müsse ihn ausbessern, sonst falle er über kurz oder lang ein. Man müsse das ganze Schloss wieder aufbauen, um die Ruine zu erhalten. Innerlich kranke Steine stecken die Nachbarn an. Sie müssen daher »ausgemittelt« werden. Und wenn man den Schaden genauer besehen wird, wird man wohl dahin kommen, die grosse Mehrzahl der Steine ausmitteln zu müssen: ein Mittel nach Art Dr. Eisenbarths. Man wird also Stein für Stein aus der Ruine herausnehmen und an Stelle der alten Steine Kopien nach diesen einsetzen. Vielleicht wird man auch dahin kommen, die Façade ganz niederzulegen und neu aufzubauen.

Ist das sehr weise? Ich meine, gescheiter wäre es, den Neubau der Façade, die Kopie, mit aller erdenklichen Sorgfalt vorzubereiten; so dass man jeden Tag beginnen kann, sie so getreu als möglich herzustellen; aber auch so lange als möglich die Ruine in ihrer gerade vom Verfall bedingten Schönheit und Ehrwürdigkeit zu erhalten; sie zu stützen, so gut man kann; – und sie endlich einfallen zu lassen. Man muss den Mut haben, zu erkennen, dass irdische Dinge sterben, und dass sie gebrechlich sind, ehe sie sterben. Man soll aber ehrwürdige Greise nicht totschlagen, weil man sieht, dass sie doch bald sterben werden! Ist der alte Bau aber tot, dann ist es Zeit sein Denkmal aufzuführen, so ähnlich als möglich!

Wenn man aber wirklich ein neues Stück in einen alten Bau einfügen will, so gebe man dem Neuen jene Form, die es einst hatte und verschleiere die Sachlage nicht durch vorzeitige Ergänzung auch der anstossenden Bauteile. Das wird zunächst vielen nicht gefallen; sie werden auf Ordnung, Sauberkeit und Übereinstimmung dringen; der Architekt wird aber wissen, dass er sich mit seinem künstlerischen Beirat nicht auf die Seite der Pedanten stellen darf.

Der Schaden unseres Restaurierens beruht eben auf dieser Pedanterie, der Ordnungsliebe, die dem Bau seine Altersrunzeln zu nehmen sich verpflichtet fühlt. Verständige Pflege eines Baues besteht eben nicht darin, dass man ihn alle fünfzig Jahre restauriert, sondern dass man alle Jahre dafür sorgt, den Verfall aufzuhalten und das meist wenige Notwendige zu tun.

Sehr oft sind Umbauten nötig, weil die praktischen Bedürfnisse sich änderten. Es entsteht damit zwischen dem Gebrauchszwecke und der Altertumsliebe ein heftiger Zwiespalt. Diesen nicht einseitig zu Gunsten einer Ansicht zu entscheiden, sondern eine geeignete Vermittlung zu suchen, ist hier die Aufgabe des Architekten.

Gewiss ist eine Kirche zunächst ein Gotteshaus und hat als solches Zwecken zu dienen; der Zweck aber steht über dem Mittel, der Gottesdienst über dem Bauwerk. Man kann den für die Seelsorge Verantwortlichen nicht zumuten, diese aus Kunstsinn zu vernachlässigen. Nach ihrer Auffassung hat die Kunst der Kirche zu dienen. Sie ist berechtigt, den ungeeigneten oder unbrauchbar gewordenen Diener zu entlassen, die unpassende Kirche umzuändern oder abzubrechen.

Gewiss ist es eine Äusserung der Rohheit, ein altes Kunstwerk oder überhaupt ein Kunstwerk zu zerstören. Auch um des erhabensten Zweckes willen sollte dies nicht geschehen; denn der Zweck heiligt nicht die Mittel. Ein Edelgesinnter entlässt den im Dienste unbrauchbar Gewordenen nicht, sondern erhält ihn in seiner Treue.

Zuletzt hat aber doch der Lebende recht! Eine dem Zwecke nicht mehr entsprechende Kirche soll man umbauen. Man soll sie nicht als »Rarität« stehen lassen, wenn man keinen Zweck für sie hat. Denn ein zweckloser Bau ist dem Verfall erst recht preisgegeben; und die Benützung eines Baues zu einer unter seinem ursprünglichen Zweck liegenden Aufgabe, – also bei der Kirche die Profanation – wirkt immer schmerzlich. Also ist's oft besser, das alte Gotteshaus wird umgebaut, als dass ein anderes an seine Stelle trete.

Aufgabe des Architekten wird es dann sein, vom alten Bau zu retten, was zu retten möglich ist. Dabei wird ihn nicht ein Grundsatz, sondern lediglich die künstlerische Geschicklichkeit leiden können. Es wird ihm vielleicht gelingen, der Gemeinde gewisse Unbequemlichkeiten zuzumuten, indem er die Erhaltung mancher Einzelheiten dabei durchsetzt. Die am Studium des Alten erwärmte Liebe zu seiner Kunst wird ihm die Begeisterung geben, sein Werk so zu gestalten, dass dem Vorhandenen sein Recht tunlichst gewahrt bleibt.

Tausend alte Ergänzungen lehren, dass ein echter Künstler sich in ein fremdes Werk hineindenken und es in bestimmter Absicht ändern kann, ohne genötigt zu sein, Störendes in den Bau einzuführen. Wir haben längst erkennen gelernt, dass es nicht Barbaren waren, die in ältere Bauten nach dem jeweiligen neuen Geschmack Neues einfügten; auch nicht, wenn sie sich gezwungen sahen, Altes teilweise zu beseitigen. Sie wirkten mit dem Recht der Natur, die ja auch Teile eines Organismus abstösst, um sie durch neue, anderen Ansprüchen gemässe zu ersetzen. So wird denn auch ein moderner Architekt nicht genötigt sein, einen Bau zu entstellen, wenn er in neuem Geschmack in dessen Gesamtbild eingreift. Er wird gut tun, sich durch sorgfältigstes Studium davon zu unterrichten, was der alte Meister gewollt hat, und zu versuchen, diesen Willen nachträglich in eigener Weise zu erfüllen. Die alten Meister haben aber nie einen bestimmten Stil gewollt. Sie kannten diesen Begriff ja gar nicht. Sie haben künstlerischen, nicht gelehrten Zielen gelebt. Der also arbeitet im Geiste der Alten, der nicht ihre Formen, sondern ihr Ziel aufnimmt. Und das ist im Kirchenbau die vollendetste Erfüllung des erhabenen Bauzweckes, nicht aber die erneute Aufnahme eines alten Baustils.

 

D Dem Wunsche, dass auch wir bei den sich notwendig machenden Neuerungen unseren Stil zeigen, steht entgegen, dass nach vieler Ansicht ein solcher Stil nicht vorhanden ist. Stile entstehen aber durch künstlerische Taten, nicht durch theoretische Erörterungen. Dieselben Leute, die unserer Zeit Mangel an eigenem Stil vorwerfen, sind es auch, die das grösste Geschrei erheben, wenn Versuche auftauchen, eine neue Kunst zu schaffen. Statt alles zu begrüssen, was befreiend wirken könnte, halten sie es zumeist für die erste Pflicht konservativer Gesinnung, alles Neue von sich fernzuhalten.

Unter neuer Kunst verstehe ich nicht neuen Stil, nicht die an sich so wichtigen Versuche, sich von den historischen Stilen völlig abzuwenden. So sehr jeder solche Versuch fördersam wirkt, so liegt doch in der Neuheit selbst kein Grund für die Bewunderung oder zur Annahme des Stiles. Die Dinge in der Kunst sind nicht schön, weil sie neu sind. Aber für eine neue Zeit muss der neue Ausdruck gesucht werden: das wirklich Schöne und Grosse war regelmässig in der Zeit seines Entstehens neu. Also werden die schönen Dinge in unserer Kunst notwendigerweise neu sein müssen. Denn das alte Schöne gehört eben nicht unserer Kunst, sondern der alten Kunst an.

Die alten Meister plagten sich nicht um das Neusein: Es kam ihnen von selbst aus ihrer Schulung heraus. Die Baukunst von heute leidet nur darunter, dass man ihr das vom Alten Abweichende als Fehler oder Verdienst anrechnet; dass es der Künstler sich selbst zum Vorwurf macht, nicht »echt« oder nicht »neu« zu sein. Bezeichnend für unsere Zeit ist die gewaltig erweiterte Kenntnis verschiedener Kunstarten und der Fortschritt in der Bautechnik. Moderne Kunst wird daher nur entstehen können durch Verwendung aller erlernten Anregungen, und das führt unbedingt zur Stilmischung und diese zur Stillosigkeit, die also gleichbedeutend ist mit der endlichen Erlangung eines wirklichen Stiles, nämlich der zeitgemässen und zeitartigen Ausdrucksform.

Anbauten, Umbauten und ähnliche Veränderungen an alten Bauten sollten daher immer in Formen entworfen und ausgeführt werden, die nicht den am Bau schon verwendeten Stilen gemäss sind, die vielmehr tunlichst deutlich die Merkmale ihrer Entstehungszeit tragen. Diese Formen sollen so gewählt werden, dass sie trotz der stilistischen Verschiedenheit sich dem alten Bau künstlerisch einordnen. Das Herstellen künstlerischer Kontraste ist ebenso erwünscht, wie die Auflösung dieser im Gesamtbilde. Unter Umständen ruft ja die Kontrastwirkung einen der stärksten künstlerischen Eindrücke in der Architektur, das Malerische, hervor. Malerische Wirkung wird oft erzielt werden können, wo die auf Stileinheit hinzielenden Bestrebungen nur unter den schwersten künstlerischen Opfern und unter Hingabe der historischen Zeugnisse des Baues erreicht werden können.

Nur wenn wir auch im Umbauen alter Werke die Stilleidenschaften aufgeben und so frei werden, wie das achtzehnte Jahrhundert und die ihm vorausgehenden Zeiten, werden wir vor dem Urteil einer späteren Geschichte bestehen können, Wenn wir dazu noch Freiheit und Eigenart mit echter, sorgender Liebe für das Alte verbinden, erlangen wir Anspruch auf Dank. Die Fälscher aber, so brav sie's meinen, wird der Hass der Zukunft treffen!


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