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»Elmire, um Gotteswillen!« – rief ich aus, »wie kommst Du hieher? bist Du es wirklich? – bist Du mein himmlisches, mein von den Todten auferstandenes Weib?« –
»Ja, Karlos, ich bin es!« –
»Ach, wie kann ich es glauben, daß ich Dich wieder in meinen Armen halte! wie kann ich Dich fest genug halten, daß Du sie nicht wieder zum drittenmal verläßt, daß Du in ihnen nicht wieder zum drittenmal stirbst! – holdes, unvergeßliches Weib! – Siehe, dies ist noch der Schnupftuch, womit ich Dein Blut im Wagen neben mir auffieng, und den ich seit der Zeit nie wieder von mir gelegt habe. Erkennst Du nicht Dein Blut wieder, wovon er noch geröthet ist.«
Elmire sah das Tuch erstaunt an, und dann wieder mich.
»Was sagst Du da, Karlos? – Ich? blutig? im Wagen neben Dir! – Wahrlich, ich verstehe Dich nicht!« –
»Wie? Du hast das alles so ganz, so ganz vergessen? – Wie wir beyde dem Geiste noch glücklich entronnen? wie ich Dich auf diesen Armen in den Wagen trug, um mit Dir auf ewig das Schloß zu verlassen? – wie ein Pistolenschuß Dich dem Anscheine nach, tödlich verwundete, und wie Du auf so lange Zeit Dein Bewußtseyn verlohrest? – alles das hast Du so ganz, und selbst bis auf die leiseste Erinnerung vergessen?« –
Sie sah mich mit bitterer Wehmuth im Lächeln an.
»Armer Junge!« setzte sie hinzu, »Erhole Dich nur erst. Die Freude hat Dich Deiner Sinne beraubt! – besinnst Du Dich wirklich noch, was Du eben gesprochen hast?« –
»Wie? sollte es möglich seyn können? – ha, es fällt mir, wie ein Schleyer von den Augen herab! – Sollte es wirklich möglich seyn können? sollte man mich wieder betrogen haben? Nein! sage mir aufrichtig, Elmire, kannst Du Dich von allem dem, was ich Dir sage, nichts wieder erinnern?« –
»Nichts, mein Gemahl.« –
»Nun, so ist dies auch einer Betrügerin Blut.« – Hierbey warf ich den Schnupftuch von mir.
»Wenn Du nicht schwärmst, so ist es das gewiß.« –
Welche Szenen der reinsten Freude folgten nun unserm Wiedersehen. Wir hatten uns so viel zu sagen, und sagten uns daher gar nichts. Niemals schien mir die Sprache so arm, als damals und itzt. Selbst die Augen waren nur unvollkommene und verwirrte Dollmetscher unserer Gedanken. Der Morgen brach an, und wir wußten noch nicht, daß Mitternacht vorüber sey.
*
»Hier ist denn also das Ziel meiner Wanderungen, meiner Schicksaale und meiner Tage,« rief ich erwachend aus; wie ganz, ganz anders leitet die Vorsicht den Fluß der kommenden Zeit, wie ganz anders als wir ahnden und voraussehen. Mir hat sie ihn mit den schönsten Blumen bekränzt, die sie für mich in den Händen hatte; ich drücke mein Weib mit unfaßbarer Glückseeligkeit an meinen erweiterten Busen, und fühle nun mit entzückter Inbrunst, daß sie ihr Vermögen erschöpft habe.«
»Erschöpft, Karlos?« antwortete Elmire lächelnd, wann wirst Du aufhören zu schwärmen? mahnt Dich nichts an die zwey glücklichen Stunden meines Brautstandes, nichts an St. Jago?« –
»Elmire, welche Erinnerung, o! – und wenn nun auch die Vorsicht zu meinem Glücke – mich Dir erhalten will, so vollende sie nun auch ihr Werk, und erhalte Dich mir.« –
»Wie meinst Du das? liegt der zweite Wunsch nicht im ersten zugleich?«
»Nein, mein Gemahl, der erste deutet auf Trennung durch Tod; der zweite, ach! auf eine noch weit schrecklichere, – auf Trennung durch Untreue.« –
»Wäre es möglich, daß Elmire dies glaubte?« – –
Sie hielt mir mit einem milden Engelslächeln den Mund zu. »Ach!« rief sie von einem Seufzer beklemmt, »Karlos, Karlos! ich fürchte, wir feyern heute das Fest eines doppelten Wiedersehens.« –
Wie? Du weißt. – –
– »Ja, ich weiß Deine Geschichte, Karlos. Armer Junge, Du wurdest so heimtückisch verführt, und man hatte seine sehr sichtbaren Ursachen, mir keinen kränkenden Umstand jener Begebenheiten zu ersparen. Aber, ich war glücklicher als Du, ich schlüpfte ihnen aus den Händen, gerade im gefährlichsten Augenblicke, und gerade als man mich am festesten zu halten vermeynte. Ich rettete mich kümmerlich mit nichts als Deinem Gemälde, einigen Ringen und Kostbarkeiten in dies fremde Land; dies reichte hin mir diese Hütte zu kaufen, mir eine Art von kleiner Wirthschaft anzurichten, und der ganze Reichthum Deiner Gemahlin, Karlos, jenes verzogenen und verzärtelten Weibes bestand, diese ganze Zeit über, in nichts als in zwey Kühen, einem kleinen Fleck Gartenlandes, und in diesen beyden Händen, deren Weisse und Weichheit Du nun wol nicht mehr bewundern wirst.« –
»Ehedem waren diese Hände Zeugen Deiner Schönheit, Elmire; sie sind mir noch werther als Zeugen Deiner Tugend geworden. Selbst am Altare habe ich sie nicht mit einer so glühenden Inbrunst geküßt als itzt. Süße, süße Hand, Du fiengest meine Glückseligkeit an, willst Du sie nun auch gerne vollenden helfen?«
Alfonso, mein guter, treuer Bedienter trat bey diesen Worten zu uns ins Zimmer. Er hatte uns die ganze Nacht ungestört gelassen. Itzt fiel er zu seiner Gebieterin Füßen, sie reichte ihm diese immer noch entzückende schöne Hand, die sie aus der meinigen zog, er benetzte sie mit heißen, aufrichtigen Trähnen, sprachloß und nur gebrochene Töne stammelnd. Selbst Elmire freuete sich sehr ihn wieder zu sehen, und sie sah in seiner Betriebsamkeit sowol eine nicht verächtliche Unterstützung unseres häuslichen Lebens, als auch in seiner Treue und Wachsamkeit einen Gewährsmann für die Dauer unserer Liebe und Wiedervereinigung.
Der Morgen war hell und klar angebrochen, und sie fieng an uns in ihrem Hause herumzuführen, und uns alle kleinen Anstalten zu zeigen. Niemals habe ich eine niedlichere Wirthschaft gesehen. Alles war mit Einfalt bezeichnet, und diese Einfachheit hatte doch allenthalben eine kleine Schattirung von Eleganz. Sie hatte sich nachgerade mit Hülfe ihrer Nachbaren eine kleine Büchersammlung verschafft, und eine schöne Laute war weder bestäubt, noch verstimmt. Ihre Küche, der Schauplatz ihrer kleinen Arbeiten, hatte eine blendende Nettigkeit, das Geräth ihrer Milchkammer eine einladende selbst gesuchte Sauberkeit; sie zeigte uns endlich ihre Nähereyen und Stickereyen, die meisten ihrer Kleider hatte sie sich selbst gesponnen, und doch sah man allenthalben, niemals habe sie ihre Geburt gänzlich vergessen, und der Gräfin von S*** und der Marquise von G** schien nur eine kleine Laune angewandelt zu haben, die sie vermocht hatte, ihr Schloß gegen eine Hütte zu vertauschen, und auf eine Zeitlang zur Abwechselung die reizende Bäurin zu spielen. Nicht mehr als ein einziges weibliches Geschöpf war in allem ihre Beyhülfe gewesen; ein Mädchen, die durch das Beyspiel und die Unterhaltungen ihrer Gebieterin einen so hohen Grad von Kultur gewonnen hatte, daß sie Elmiren oft aufzuheitern, und auch ausserhalb dem Kreise ihrer häuslichen Geschäfte manche ihrer Stunden angenehm zu verkürzen vermochte.
Ihr Garten hatte die nehmliche Bezeichnung, und ob jedes Plätzgen gleich haushälterisch angewandt war, so sah man es ihm doch an, daß sie zuweilen hier auch zu ihrem Vergnügen verweile. Eine große Laube von Lilak hatte sich zu einem reizenden Dunkel gewölbt, um sie gegen des Tages Hitze und gegen die Kühle des Abends in Schutz zu nehmen, und alle ihre Lieblingsblumen hatte sie um diesen geheiligten Ort in mannigfaltige Gruppen versammelt. Sie verjüngte durch ihre Erzählungen noch einmal ihre ganze Vergangenheit in meiner Seele; sie wußte die Geschichte jeder Blume und jedes Baumes, großmüthig theilte sie nun ihre Schöpferfreude mit mir, und ich laß in ihrem grossen, glücklichen Auge lebendig die schöne Wahrheit: kein Zustand sey so schrecklich, daß er sich nicht durch irgend etwas erheitern lassen könne, und es gebe selbst in ihm Augenblicke, die ihn, ohne Hofnung, ohne irgend eine tröstende Aussicht in eine hellere Zukunft, erträglicher machen.
»Dies alles,« rief sie endlich in einer Art von Enthusiasmus aus,« dies alles, Karlos, gehört nunmehr auch Dir mit an. Aber siehe hier diesen Rosenstock kann ich nicht mit Dir theilen.«
»Und warum nicht, mein theures Weib?« –
»Weil er mir selbst nicht mehr angehört.«
»Und wer ist denn der Glückliche, dem Du in Deinem Eigenthume noch ein geheiligtes Plätzchen verstattest?« –
»Wenn Du mir im Voraus versprichst, mein Gemahl, ihn nur halb so zärtlich zu lieben, als ich ihn liebe, so will ich Dir seine Bekanntschaft verschaffen.«
»Welche Gluht in Deinem Auge! welche Röthe auf der schönen Wange! Elmire, theuerstes Weib! Giebt es noch ausser mir einen andern Theilhaber an Deinem Herzen?« –
»Keinen, für den Karlos nicht selbst einen Theil seines Herzens seiner Elmire entziehen wird. Versprichst Du es mir im Voraus, ihm nicht minder wohl zu wollen, als Dein Weib?«
– »Ich habe ein unbegrenztes Vertrauen auf Dich. Hier hast Du meine Hand. Niemandem kannst Du Deine Zärtlichkeit geschenkt haben, der nicht auch mir theuer seyn wird.« –
Zitternd vor Freude und Ungeduld führte sie mich hierauf in das Haus zurück. Die Treppe war schnell hinaufgehüpft. Sie machte sich von meiner Hand los, lief mir voraus, eröfnete ein Kabinet, das ich vorher nicht bemerkt hatte, schlich auf den Zehen hinein, und als ich in die Thüre trat, rief sie mir leise zu: »Sachte, sachte, Karlos, Er schläft noch!«
»Wer schläft noch?« – antwortete ich ganz erstaunt.
Sie nahm meine Hand, führte mich auf ein Bette zu, zog die Vorhänge auf – o ewige Vorsicht! welcher Anblick! der schönste Knabe, wie aus Rosen zusammengewebt, sanft wie auf Blumen schlummernd, in einem süßen Traume erglühend, lag darauf halbnackend ausgestreckt. Mein Weib schlang den schönen Arm um mich, erröthend barg sie ihr Gesicht in meinem Busen, und lispelte zu mir herauf: »da ist Dein Sohn, Karlos! soll er Dein Herz mit mir theilen?«
*
Ich erkannte meinen Sohn in ihm. Seine jungen Züge trugen das Entzücken jenes schwelgerischen Abends. Seine Stirne war mein, sein Mund war mein. Der schuldlose Reiz der Gesundheit lag noch erröthend auf seinen milchweissen Gliedern; die zufriedene Miene, das himmelreine Lächeln, die klare Stirn verriethen nur die Frucht der höchsten Gluht aller Gefühle, nicht den Zögling des Kummers.
In diesem Augenblick erwachte er. Er schlug Elmirens dunkle Augen auf. Anfänglich stutzte er ein wenig über den Anblick des Fremden, wie er aber seine Mutter neben sich kniend bemerkte, streckte er die kleinen Arme lächelnd nach ihr aus, hieng sich an ihren Nacken, und schmiegte sein glückliches Gesicht in ihren Busen hinein; mit der einen Hand hielt sie ihn fest, die andere schlang sie um meinen Hals und zog mich zwischen sich. »Liebe Mutter,« stammelte er unter meinen Küssen hervor; »ist das der Vater? Du sagtest ja immer, so würde er uns lieb haben, wenn er wieder zurückkäme.«
*
Bester Graf, Sie haben viel gesehen, viel erlebt. Das Glück hat Sie nicht sparsam beschenkt. Sie wurden von mehr als einem Weibe geliebt und von einem wurden Sie angebetet. Ihre Schwester starb aus Kummer für Sie. Aber in diesem einzigen lassen Sie mir den Vorzug. Sie kennen das schwärmerische Entzücken nicht, womit ein Vater das Kind seiner Liebe umfängt, womit er in seinem Gesichte die Momente der Freude, die es erzeugten, wiederließt; wie er sich nun in ihm mit seinem Weibe noch einmal so stark verknüpft, und mit ihrem Herzen das seinige von neuem und noch fester zusammengeschmolzen fühlt, wie bis zur Bezauberung der Genuß der Liebkosungen steigt, die er empfängt, und die Befriedigung derer, die er nun sorgfältig unter Beyde vertheilt; wie eifersüchtig er über jeden Blick des Kindes wacht, wie er seine Aufmerksamkeit beobachtet und jede Regung belauscht. Die arme Sprache verstummt; man hat aber eine andere gefunden, die man vollkommen versteht, und womit man vollkommen befriedigt. Die Harmonie der Seelen drückt sich in einzelnen Tönen aus, und ihre zarten Wallungen vermischen sich in den Gefühlen, die ein jeder aus des andern Mienen entziffert. Dann fühlt man es zuerst, daß man mit seinem Weibe nur Ein einziges Wesen ausmache, wenn es einen Mittelpunkt giebt, in dem die Zärtlichkeit beyder sich uneigennützig zusammenfindet.
*
Der Tag verstrich unter den Einrichtungen zu unserer künftigen Wirthschaft. Ich gab mir und Elmiren das feyerliche Versprechen, diesen reizenden Aufenthalt nie zu verlassen. Wie wohl kamen mir in diesem Augenblick des Einsiedlers Beyspiel und Lehren zu statten. Sein glückliches Leben war das Ideal, das ich vor Augen nahm, sein Wechsel der Arbeit und Ruhe, und seine tiefe Kunst der Zeiteintheilung. Ihm hatte ich es abgelernt, Mühe mit irgend einer Annehmlichkeit zu würzen und selbst mitten in der beschwerlichsten, anhaltendsten Arbeit aufheiternde Ruhepunkte zu finden. Ihm hatte ich es abgelernt, daß in jedem Stande Glückseligkeit sey. Die Scheidewand des Ranges und der Geburt zwischen mir und andern Menschen fiel nieder; ich verachtete sie nicht, indem ich sie zerbrach; sie war mir nur gleichgültig geworden.
Mit welcher erheiternden Frischheit kam nicht der Abend heran! unter welchen Planen, unter welchen himmlischen Aussichten! das Ideal des Eremiten hatte ich mir noch verfeinert; ein holdes Weib galt mir mehr als ein Freund, und ich erzog mir noch selbst einen andern, indem ich meinem kleinen Karlos für meine Freuden und Leiden Empfänglichkeit einflößte. Elmirens leiser Sinn, der in ihm lebte, lehrte ihm bald seine süßeste Pflicht, die, seinen Vater zu lieben. In kurzer Zeit hieng er an mir unzertrennbar fest, und seine junge Seele fieng da an in reizenden Liebkosungen zu reden, wo seine Sprache noch zum vollen Ausdruck zu arm war.
Die erste Betäubung am Morgen hatte es nicht zugelassen, daß ich mit meinem neuen Wohnorte eine genaue Bekanntschaft hätte machen können. Der Abend, die Zeit der Ruhe, verstattete mir mehr Freiheit der Gedanken, und ihnen selbst mehr Muße, sich mit Aufmerksamkeit an einzelne Gegenstände zu heften. Elmire hatte noch häusliche Geschäfte; ihr Mädchen stand ihr bey; Alfonso, der sich mit Freuden dieser neuen Lage aneignete, tränkte unsere Pferde und Kühe; ich allein war mit der Einrichtung unseres Zimmers und mit einigen Gartenarbeiten, die ich mir vorgesetzt hatte, fertig geworden; ich nahm daher meinen süßen Jungen auf den Arm, und stieg einen schmalen Hügel hinan, welcher sich am einen Ende des Gartens befand, und von dem man eine freyere Aussicht zu haben schien. Das Graß war daselbst hoch, und der Rasen beblümt, ich setzte den kleinen Karlos hinein, und hieß ihn für seine Mutter Blumen pflücken. Er nickte mir mit einem holden Lächeln zu, daß er mich verstanden habe, und machte sich mit einem Eifer an die Arbeit, der mich bis zu Trähnen rührte.
Die Sonne sank indeß, wie noch von einem heißen Tage glühend, vor meinem Angesicht nieder, gerade so wie am ersten Abend, in meines Einsiedlers Wohnung. Leichte Schaumwölkchen schwebten vor ihr herab, ihr ein weiches Bette zu bilden; ein langer Silberstreif schwankte in gebrochenem Lichte über dem ganzen Horizont wie hin und her, und an seinem Ende stand der Abendstern, einzeln und erfreulich. Die Kühlung schauerte schon zwischen dem Gebüsche, und der ferne Strom senkte sich tiefer in sein eigenes Dunkel. Die Schöpfung nahm Abschied von ihrer erwärmenden Freundin, und hüllte sich schauernd in ihren neblichten Mantel. Die Vögel grüßten sich noch einmal mit erhobener Stimme, alles ward leerer und leerer, alles erlosch in sich selbst.
Fühlte ich mich nun in diesem Augenblicke glücklich? – Nein, ich fühlte nichts davon; ich war es, ohne es zu wissen. Der verstrichene Moment, der mich zum Bewußtseyn des gegenwärtigen hätte erheben können, war ja nicht mehr da, war ja in seinen kleinsten Spuren erloschen. Mit meiner neuen Kleidung, mit meinen neuen Beschäftigungen, hatte ich auch andere Ideen, andere Gesichtspunkte und selbst andere Wünsche erhalten. Meine Art zu fühlen blieb zwar allenthalben dieselbe, aber, der sittlichen Bedürfnisse entkleidet, hatte sie sich bis zur reinsten Natur vereinfacht. Ich war, wie vom Himmel, wie aus einer andern Welt auf die Erde niedergeworfen; ich hatte auf dieser Reise alles aus dem vorhergehenden Leben vergessen, und brachte nichts mit, als eine durch die Begebenheiten desselben geläuterte Einbildungskraft und empfindlicher gemachte Empfänglichkeit.
Gleichsam so ganz hineingesunken in den Abend, hatte ich noch keinen vorher genossen. Alle meine Wünsche waren befriedigt, alle Begierden waren verstummt. Es war noch stiller in mir, als um mich herum. Kaum fühlte ich mein Herz schlagen. So wie der Glanz der Abendröthe abbleichte, indem er mehr Ausbreitung gewann, so wurden auch meine Empfindungen sanfter, indem sie sich über so viele Gegenstände der Freude ausdehnen konnten.
Bald sah ich, daß ich nicht der einzige Beobachter sey. Meinem Kleinen, der diese ganze Zeit über keinen Laut hatte hören lassen, waren seine Blumen auf die Erde gefallen, er hatte die Händchen gefaltet, und sah starr in den hellen Fleck über den Untergang der Sonne. Als er bemerkte, daß ich ihn erblickte, ergriff er seinen kleinen Strauß wieder, theilte ihn in zwey Hälften, und bot mir davon die eine mit seinem holden unschuldigen Lächeln an, er kroch hierauf näher heran zu mir, und legte zärtlich seinen Kopf in meinen Schoos; ich zog ihn an mich herauf, der Liebling meiner Seele lag mit allen ihren unaussprechlichen Reizen verjüngt in meinem Arm, Elmire sah aus der dunkelblauen Sanftheit seiner hellen Augen, und sprach aus dem beredten Zuge seines Mundes.
Wir wurden in unsern Liebkosungen unterbrochen. Es war noch ein holdes Gesichtgen, das sich zwischen uns eindrängte. Elmire umschlang uns mit ihren Armen, dann zog sie ihren kleinen Abgott schäkernd von meinem Schooße, um ihn, wie sie sagte, einige Augenblicke lang auch einmal ganz allein zu besitzen, aber er ließ mir einige freundliche Blicke zurück, und theilte seine zärtlichen Bewegungen noch in der Ferne mit mir. Er steckte ihr die andere Hälfte des Straußes ins Haar, und spielte mit ihren Locken. Bald schien er sich nicht satt an ihren Augen sehen zu können, bald verbarg er sein Gesicht schelmisch in ihrem Busentuche. Das Gesicht seiner Mutter ruhte mit einem Lächeln, mit einem Ausdrucke auf ihn, den die Engel selbst beneiden mußten.
So wie die Nacht schattigter und kühler wurde, schlichen wir gemachsam zum Hause zurück, einer auf den andern gelehnt und den kleinen Karlos zwischen uns tragend. Ein jeder von uns Beyden wetteiferte gleichsam, wer stolzer auf ihn wäre. Es war ein Triumph, in dem wir ihn trugen. Es war der Schatz, den wir aus allen leidenvollen Begebenheiten der Zeit doch noch glücklich gerettet hatten; er war unser Gewährsmann einer freudenvolleren Zukunft; auf ihm ruhten unsere letzten und besten Wünsche, und ein jeder von uns hatte sich insgeheim das Gelübde gethan, alles zu wagen und auf alles gefaßt zu seyn, sobald es auf seine Erhaltung ankommen würde.
Als wir in unser Wohnzimmer traten, bemerkte ich bald, daß mir Elmire hatte zeigen wollen, sie verstehe auch etwas von der Hauswirthschaft. Sie hatte ihre ganze Kochkunst erschöpft, und es war auch aus ihren Händen eine kleine Abendmalzeit hervorgegangen, die sich selbst in einer Stadt hätte immer sehen lassen können. Schüsseln und Teller waren zwar irden, und zuweilen kam auch wol ein hölzerner zum Vorschein, aber niemals hatte es mir aus silbernen so treflich geschmeckt. Aller Unterschied des Standes war aus unserem Hause verbannt. Unser Tisch hatte fünf Gedecke, und neben dem Marquis und der Marquise von G**, die ihren Erbprinzen in der Mitte hatten, saßen in der traulichsten Eintracht Bedienter und Mädchen. Beyde waren auch in der That keine ganz üble Gesellschaft. Alfonso hatte in dem herumziehenden Leben mit mir alle Vorurtheile seines Standes abgelegt; meine Unfälle, die er größtentheils mit empfunden hatte und mittragen half, hatten ihm Bescheidenheit gelehrt, und die Liebe zu mir, mit der er von der frühesten Jugend an über mich wachte und Theil an mir nahm, hatte ihm eine gewisse Feinheit im Denken beygebracht, die sich selbst auch seinen Ausdrücken mittheilte. Klärchen, das Mädchen meiner Gemahlin, hieng an ihr noch weit inniger; sie hatte sie in ihrem Kindbette und der darauf folgenden Kränklichkeit mit aller nur ersinnlichen Sorgfalt gepflegt, und diese hatte zur Belohnung dafür ihrem natürlichen Verstande eine sehr ausgedehnte Bildung gegeben.
Wer kann sich aber überhaupt nur eine Art von Vorstellung von unserer Glückseeligkeit machen, ohne sie selbst so einfach genossen zu haben, von unsern täglichen Beschäftigungen, ohne dazu durch ähnliche Umstände veranlasset, von der ganzen Wendung unserer abendlichen Unterhaltungen, ohne durch jene ganz dazu vorbereitet gewesen zu seyn. Es müßte für Sie, lieber Graf, eine Wiederholung desselben Genusses geben, um Ihnen den nähern Umfang deutlich zu machen. Denn niemals reicht die Einbildungskraft ohne Erfahrung so weit, eine Idee vollkommen natürlich aus der andern herzuleiten, und sie durch alle vorhergehenden modifiziert, sich anschaulich zu machen.
Elmire war die Oberaufseherin unserer Tagesgeschäfte. Sie ordnete einem jeden von uns seinen Theil davon zu. Das Geld, das ich zu meiner Reise bestimmt hatte, und wovon nur sehr wenig aufgezehrt war, kam uns vortreflich zu statten, unserem Haushalt mehr Ordnung, Wohlhabenheit und Bequemlichkeit zu verschaffen, ohne seine Einfalt im geringsten zu stören. Was sich am beträchtlichsten dadurch vermehrte, war unser Viehstand, dessen Besorgung mein Hauptgeschäft war. Alfonso stand mir hierin bey, und ich betrieb auch unsern kleinen Gartenbau mit ihm gemeinschaftlich. Von beyden floß der Eintrag in Elmirens Hände; sie füllte die Vorrathskammer mit einer Menge eingemachter oder getrockneter Gemüßarten, und verfertigte vortrefliche Butter und Käse. Unsere Mahlzeiten waren klein und sehr einfach, aber für uns alle hatten sie ein dreyfaches Gewürz: der Hunger fand mehr an ihnen, als was satt macht; wir hatten sie selbst gezogen, und sie kamen endlich aus Elmirens Händen.
Gewöhnlich traf die Morgensonne uns alle schon bey der Arbeit an, und wir verbrauchten gleichsam den Tag recht schnell, um nur bald zum Abend zu kommen. Wir beflügelten durch einen rastlosen Eifer die Stunden, und sie schwanden uns unter den Händen hinweg, indem wir uns in ihnen vertieften. Eilig sank die Sonne nieder, und sobald sie den Rand des Horizontes berührte, so legten wir alle Arbeit bey Seite; Elmire und ich strichen hierauf mit unserem Karlos an der Hand im Garten umher, wünschten fröhlich und mit uns selbst zufrieden der Sonne eine gute Nacht, freueten uns über die herrliche Farbenmischung an den Wolken, über den Gesang der heimziehenden Vögel, über die ersten Töne der Nachtigall, über den Blühtenduft, und über jedes leise Wehen in der Luft und im Laube. Wir brachen Blumen ab, wir flochten uns Kränze, wir setzten sie uns einander auf. Gesang hob jeden Schritt melodisch, wir giengen nicht mehr; wir flogen.
War der Abend sehr schön, so ward unter dem großen Nußbaum vor der Hausthüre eine Bank gerückt. Dies war ein Zeichen für unsere Nachbaren. Es dauerte dann gewöhnlich keine Viertelstunde, so waren sie darunter alle mit ihrer ganzen Familie versammelt. Wir rückten vertraulich in einen engen Kreis zusammen, ein jeder hatte zur Abendmalzeit etwas mitgebracht, alle aßen wir aus einem einzigen Topfe, und während, daß wir fröhlich zusammenschmaußten, spielten die Kinder neben uns im Grase. Nach aufgehobener Tafel holten einige ihre Geigen, und wir fiengen einen Tanz an. Alle Alter nahmen daran Theil, und wir schwenkten uns so lange herum, bis die kühler werdende Luft, der aufsteigende Nebel und die einbrechende Dunkelheit einem jeden zum Rückzuge rieth. Wir vier Hausgenossen schwatzten dann wol noch eine halbe Stunde von unsern Arbeiten und Einrichtungen für den morgenden Tag, oder Elmire sang und spielte mir etwas auf der Laute vor, und ich sank dann dem besten Weibe und dem süßesten Schlafe glücklich in die Arme.
Erlaubte das Wetter schlechterdings nicht das Haus zu verlassen, so füllte unsere kleine Büchersammlung die wenigen geschäftslosen Stunden hinreichend aus. Elmire hatte nichts von dem Geist des Romanhaften, sondern war ein wirklich philosophisches Geschöpf. Sie hatte die Natur studiert, und die Menschen kennen lernen müssen. Dichtkunst und Musik gaben dann dem Ernste dieser Unterhaltungen eine feine, wohlklingende Wendung, und ich darf wohl mit Recht hinzusetzen, verschaften ihnen mehr Leben und Eindruck.
Sie werden mich endlich fragen, lieber Graf, wie wir unsern Karlos erzogen. Aber es war nur noch sehr wenig, was wir itzt für seine Bildung thaten. Indem wir weit besorgter waren, ihm einige unserer Vorurtheile einzuflößen, als ihn unwissend zu lassen, übergaben wir diesen süßen Zögling der Natur den ihn umgebenden Umständen und seinem eigenen Nachdenken; wir hielten ihn nur von allen bösen Eindrücken zurück, dehnten unmerklich den Kreis seiner Erfahrungen aus, und er gewann dadurch den wesentlichen Vortheil, daß die Vorstellungen, die er sich selbst abzog, weit reiner, selbstständiger und fester waren, als alle diejenigen, die wir ihm hätten mittheilen können.
Wenn ich meine Heerde hinaus ins freye Feld trieb, nahm ich ihn oft mit mir; neben mir auf einem Hügel liegend, trat er gleichsam die Laufbahn seiner philosophischen Beobachtungen an. Ohne ihm zu sagen: sieh die malerische Schönheit des Flusses, der sich dort durch die Bäume schlingt; bemerke die einfache und rührende Wirkung des Rauches, der dort aus dem mit Laube umkränzten Schornsteine jener einsamen Hütte emporsteigt; übersieh nicht die Fruchtbarkeit unseres Kornfeldes, das hohe Graß unserer Wiese, der Seegen unserer Heerde, und denke an den, der dies alles gemacht, und uns dies alles gegeben hat – ohne alle diese Aufmunterungsmittel verschlang seine himmlische Seele alle diese Szenen der Anmuth und des Genusses mit stillem Entzücken, und ich las in ihr voll heimlicher Freude, wenn er so in die weite Schöpfung hinschauete, und sein dunkles Auge sich immer sichtbarer entwölbte. – Ach! dies sind die Stunden, die man am vollkommensten genießt. Indem man sein anderes Ich sich selbst ausbilden sieht, geht man noch einmal und mit größerer Freude diese Schule der ersten Begriffe durch.
Indeß, es giebt keine menschliche Glückseeligkeit, die nicht durch irgend Etwas gestört werden müßte. Elmirens Kränklichkeit, die sich noch von ihrem Kindbette herschrieb, und trotz aller Mittel mehr zu- als abnahm, kostete mir manche Trähne und manche leidenvolle Stunde. Sie selbst fühlte dies, und ihre wachsende Entkräftung schimmerte durch alle Anstrengungen, sie mir zu verbergen, nur noch sichtbarer hindurch. Oft riß sie sich empor, und dann sank sie wieder doppelt ermattet zurück. Die Wahl ihrer Bücher wurde von Tage zu Tage ernsthafter und melancholischer, und ihre Laute hatte die heitern und freyen Lieder gegen schwermüthige Grabgesänge verwechselt.
Und dies war auch die Ursach, warum ich absichtlich alle Fragen und Weile vermied, die sie an ihre Geschichte während unserer Trennung hätte erinnern können. Sie selbst wich mir niemals aus; oft wollte sie von freyen Stücken zu erzählen anfangen, aber dann war ihr Busen so voll und so gepreßt, daß ich das Gespräch sogleich auf einen andern Gegenstand leitete. Endlich sagte sie mir einmal verlohren: »Lieber Karlos, die Stunden, die ich hier im Anfange meiner Einsamkeit übrig hatte, habe ich meine Geschichte aufzuschreiben angewandt, Du wirst sie einmal in jenem Kästchen unter meinen andern Papieren finden.« – Und seit dieser Zeit fürchtete ich nichts ängstlicher, als ein Wort, das darauf hindeutete, und sie oder mich an die Gelegenheit, in den Besitz dieser Geheimnisse zu kommen, erinnern konnte.
Nur jener Geschichte muß ich hier noch erwähnen, die ich Ihnen im Anfange dieser Denkwürdigkeiten versprochen habe; dieses merkwürdigen Beyspieles von dem geheimen Einflusse jener unsichtbaren Gesellschaft, das ich durch einen Zufall erfuhr. Niemals hatte ich es gewußt, daß Elmire noch einen Bruder gehabt habe, bis mir einmal Karlos einen kleinen Ring brachte, den er gefunden hatte. Es war ein ganz einfacher goldner, und oben auf einer kleinen Platte war der Name Emanuel eingegraben. Elmire überraschte mich in seiner Betrachtung, nahm ihn mir mit einiger Heftigkeit aus der Hand, küßte ihn und drückte ihn an die Brust, hob dann die Augen gen Himmel auf, und brach in die Worte aus: »ach! mein armer Bruder!«
– »Dein Bruder! mein bestes Weib?« – antwortete ich erstaunt.
»Ja wohl, mein Bruder, mein unglücklicher Bruder, der das Opfer jener Gesellschaft wurde, der wir nun itzt durch ein glückliches Ohngefähr und mühsam genug entnommen sind. Ach! meine ganze Familie ward durch diese schändlichen Barbaren dem Unglück geweiht!« –
In diesem Augenblicke glaubte ich, ohne Verletzung der Delikatesse, sie um diese Geschichte bitten zu können, und ich erzähle sie Ihnen itzt aus ihrem Munde wieder:
»Ich hatte bis in mein zwölftes Jahr zwey Brüder; der jüngste, ein heftiger Feuerkopf, gieng in den Krieg, zeichnete sich mit ungewöhnlicher Hitze aus, und fand bald in einer Schlacht seinen Tod; der älteste, Emanuel, zur Erhaltung unserer Familie und unsers Namens bestimmt, blieb auch, nach dem Verlust meines Vaters, bey mir und meiner Mutter auf einem von unsern Gütern, um die etwas verfallenen Familienumstände durch Sorgfalt und Oekonomie wieder in Ordnung bringen zu helfen. Es war ein gutmüthiger, vortreflicher Junge, offen, frey, brav, Freund seiner Freunde, Fürsorger seiner Verwandten, Wohlthäter und Vater aller seiner Unterthanen. Man verehrte ihn, und zuweilen hatte man Ursach, ihn anzubeten. Für den, welchen er einmal liebte, war er zu allem, ja zur Aufopferung seiner Selbst fähig, und dieser Zug seines Charakters artete endlich zu einer zwar immer noch liebenswürdigen Schwachheit aus, die aber manche seiner Bekanntschaften ihm absahen, und vortrefflich zu benutzen verstanden.«
»Ein Freund kleiner Lustbarkeiten, und überhaupt sehr gesellschaftlich gestimmt, versammelte er nach und nach einen ziemlich großen Kreis von Freunden um sich her, welche nicht nur immer die schöne Jahrszeit bey uns zubrachten, sondern es sich wohl auch einen guten Theil des Winters bey uns gefallen ließen. Hierunter war ein gewisser Don Pedro G*« –
– »Don Pedro G*?« unterbrach ich Elmiren voll Erstaunen, – »doch fahre nur fort, bestes Weib, der, den ich kenne, ist vielleicht nur ein Namensverwandter von diesem.«
– »Don Pedro war also einer der Vertrautesten meines Bruders, ein schleichender, feiner und für den guten Emanuel, der in allem, wie in einem Spiegel, nur sein eigenes Bild erblickte, ein völlig undurchdringlicher Schurke. Er machte ihn durch hunderterley Künste mit seiner Familie, mit seiner eingeschränkten Lage, mit der Art seiner Vergnügungen unzufrieden, und dieser fiel aus jener stillen Gelassenheit der Seele, die ihn vorher Einsamkeit und Studieren als das höchste Gut hatte ansehen lassen, in ein wüstes Leben und in eine nimmer satte Jagd nach Zerstreuungen. Sein väterliches Haus, der Schoos seiner Familie, ward ihm zu enge, er zog ihnen die Gesellschaft von Fremden vor. Selbst die ganze Nachbarschaft war ihm kaum groß genug; er spielte, er jagte, er tanzte unaufhörlich, und es folgten bald ganze Wochen, in denen keiner von uns ihn zu sehen bekam.«
»Zum Glück für uns alle, hatte das Testament meines Vaters meine Mutter zur Universalerbin gemacht, und ihm nur ein jährliches Einkommen ausgesetzt, dessen Größe völlig von ihrer Willkühr abhängig war. Sie mäßigte daher, durch die Beschränkungen desselben, seine Ausschweifungen zwar etwas, aber sie erbitterte ihn dadurch auch zugleich auf das äußerste gegen sich selbst; und da niemand zu ihrer Aussöhnung das mindeste that, ja man ihm hier und da selbst kleine Winke gab, die ihn noch mehr entflammten, so gab es bald schreckliche Auftritte in unserm Hause. Ich verhielt mich dabey so leidend, als ich nur konnte; ich tröstete meine Mutter; aber alle Versuche zur Besänftigung Emanuels schlugen fehl: denn sein Herz ward uns von Tage zu Tage mehr abwendig gemacht, und er glaubte Ursach zu haben, mich als eine Art von Mitverbrecherin gegen ihn anzusehen.«
»Bald ward uns die Ursach von allen diesem klar. Sie konnte nicht lange verborgen bleiben. Und dies war ein Mädchen, Don Pedros vertraute Bekanntschaft, das schlaueste, boshafteste, wollüstigste Geschöpf, das jemals die Sonne beschienen hat. Es war nicht zu leugnen, sie war sehr schön, und ihre Physiognomie, ihre Augen waren so reizend belebt, als sie nur seyn können; aber gerade, daß sie diese Reize sehr fein und am rechten Orte zu entfalten oder zu verstecken verstand, machte meines Bruders Unglück vollkommen, unter dessen Fehlern Eigenliebe keiner der kleinsten war. Er wußte gar nichts von ihrem großen, dem seinigen weit überlegenen Verstande. Ja, sie machte bey ihm die Schülerin, und er bot alle seine Kräfte auf, sie selbst von Ideen zu überzeugen, welche sie ihm vorher erst ganz unmerklich eingeflößt hatte. Es gefiel ihm bey ihr so wohl, daß er endlich bald keine andere Gesellschaft mehr leiden mochte, als die ihrige. Er ward melancholisch und finster, wenn er sie einige Stunden nicht gesehen hatte, und seine rasende Liebe äußerte sich oft mit so erschütternden Symptomen, daß sie selbst meine Mutter und mich für uns zittern machten.«
»Man sah es, daß er irgend etwas schweres mit sich herumtrug, über welches er brütete, und zu keinem festen Entschlusse kommen konnte. Wir erfuhren es nachher, aber zu spät. Die nothwendige Einschränkung durch meine Mutter that ihm wehe, und er hatte kein anderes Mittel seinen Aufwand und seine Zerstreuungen fortzusetzen, als ihr Vermögen. Allmählich hatte man seine Seele von Leichtsinn auf Verbrechen geleitet, man hatte ihm endlich Winke genug gegeben, und selbst einen thätigen Beystand angeboten, zu einem Vermögen zu gelangen, das ihm, wie man ihm einbildete, sehr unrechtmäßigerweise vorenthalten würde; seine Gläubiger mußten ihn von allen Seiten bestürmen; er wußte keinen Ausweg mehr, seine vorgeblichen Freunde waren, oder stellten sich arm, und er fieng an, von einem schauderhaften Entschlüsse zum andern zu wanken.«
»In meiner Mutter Zimmer schlief nur eine einzige Kammerfrau. Diese wird einmal des Nachts durch ein Geräusch geweckt. Mein Bruder tritt hastig herein, mit dem Lichte in der einen Hand, mit einem Messer in der andern; blaß, verstellt, fast unkenntlich. Er stellt sich an das Bette meiner Mutter, er erhebt den Arm, aber nach einigen Sekunden Besinnung bricht er wieder in ein lautes Geschluchze aus; er wirft den Dolch unwillig fort, er setzt das Licht auf den dabey stehenden Tisch, dann läßt er sich auf einem Knie vor ihrem Bette nieder, küßt eine ihrer herabhängenden Hände, reißt sich wieder in die Höhe, ein Fenster fliegt auf, und mein armer Bruder stürzt sich in den Hof. Die erstarrte Kammerfrau, der dieser Anblick die verlohrne Stimme wieder giebt, bricht hierauf in ein Geschrey aus, wir eilen alle hinzu, aber zu spät; – er hat sich den Kopf zerschmettert, und ein Theil des Gehirns liegt neben ihm auf der Erde.«
»Man kann sich von unserm Schmerze eine Vorstellung machen. Meine Mutter folgte ihm in kurzer Zeit nach; ich selbst war am Rande des Grabes. Noch an ihrem Todtbette versprach ich es ihr, niemals von diesem Vorfalle zu reden, und ich habe bis itzt mein Versprechen gehalten. Aber ich verglich mit ihm, das, was ich von den Aeußerungen dieser Gesellschaft nachher hörte, und selbst im engeren Kreise meiner Freunde wahrnahm, – und bald konnte ich nicht mehr an ihrer Mitwirkung bey dieser Veranlassung zweifeln.«
Hier schloß Elmire ihre traurige Geschichte. »Dies war also Dein Freund Pedro,« dachte ich bey mir selbst; »der sich schon damals in der Ferne auf deine Empfindungen Einfluß verschafte. Diese Nachbarschaft, die mich wider Willen leitete, dies Mienenspiel, das mich so künstlich betrog, dienten also einem höheren Zwecke?« – Ich erinnerte mich stückweise jener Unterredung, und es wurde mir sehr deutlich, daß er die Rolle der Geliebten von Elmirens Bruder auch bey mir habe spielen wollen. Er war es, der mich auf alle die Vorstellungen leitete, die ich in seinem Kopfe nachher mit vieler Mühe hervorgebracht zu haben mir schmeichelte; er begleitete mich hierauf bis an die Hütte, um da sein Opfer sicher abzuliefern, und entfernte sich leise, um jeder ohngefähren Entdeckung auszuweichen, welche damals beym kleinsten Versehen gewiß nicht ausgeblieben wäre. Das Unerklärbare in seinem übrigen Betragen, wie seine eigentliche Verbindung mit seiner Franziska, beschloß ich der Zeit und günstigeren Umständen anheimzustellen; mit dieser neuen Erfahrung gegen die Trüglichkeit des menschlichen Aeußeren übrigens nicht ganz übel zufrieden.
Aber welche Leiden erwarteten mich noch! – die Leiden von Elmirens langsamer Verzehrung; wie dies holdeste und beste der Weiber allmählich verblühete, und wie in mancher Stunde des stillen Verschmachtens die Schauer des herannahenden Todes ihre klare Stirne, ihr verglimmendes Auge bewölkten. Der Genius der Unsterblichkeit schwebte schon um ihr, sie lächelte ihm zufrieden entgegen, und streckte die Hand nach ihm aus.
Noch einmal also mußte ich die Szene von dem Absterben des Liebsten, was ich in der Welt hatte, mit ansehen. Der Eremit gieng von mir, als er mich kaum Glückseligkeit hatte kennen lehren; Elmire verließ mich, als sie mir dieselbe kaum zu geben angefangen hatte. Zu glücklich war ich bey Beyden, und es mußte freylich so enden. Das menschliche Leben fällt von einem Extreme auf das andere, von einem Wechsel, von einem Traume auf den andern, und nichts macht in ihm elender, als die kahlen Zwischenräume, in denen man aus seinem Schlummer erwacht, ohne sein volles Bewußtseyn wieder zu erhalten.
Es dauerte nicht lange, so ward Elmire so matt, daß sie nicht mehr vom Bette aufstehen konnte. Ich verließ dasselbe in dieser Zeit kaum einen Augenblick lang; alles, was Sorgfalt und Pflege zur Heilung und Aufheiterung vermag, wurde vergebens verwandt, und die Kunst der besten Aerzte aus der Gegend erschöpfte sich an dieser erschrecklichen Krankheit. Endlich nahm ihr ein Blutsturz den Rest des Lebens, kaum blieb ihr Zeit genug übrig, mir unseren Karlos anzuempfehlen, mich zu umarmen, mir mit ihrem letzten Athem meine Seufzer und Trähnen abzuküssen, als sie in meinen Armen verschied.
Auch Karlos schien meine Sorgfalt kaum mehr nöthig zu haben. Er hatte das Gift seiner Mutter mit eingesogen. Immer auf dem Bette neben ihr liegend und ihr schmeichelnd, hatte er sie weder Tag noch Nacht über verlassen. Und wie sie nun seinem süßen Geschwätz nicht mehr antwortete, wie ihre Augen geschlossen waren, und keine Miene ihm mehr sagte, wie unaussprechlich sie ihn liebe; wie alle seine Anstrengungen vergeblich waren, aus diesem tiefen Schlummer sie wieder zu erwecken: wie er mich erstarrt, und Alfonso, Klärchen und alle unsere Nachbaren in Trähnen zerfließen sah, fieng es an, ihm schauerlich zu ahnden, seine liebste Mutter habe ihn auf immer verlassen. Er weinte nicht, aber er suchte nun den ganzen Tag etwas, und dann kam er, sein glühendes Gesicht in meinem Schoos zu verbergen, und mich zu fragen: »ob es denn noch lange daure, daß seine gute Mutter nicht aufwachen würde? Ob sie ihm denn etwa böse sey? und warum sie auch mir nicht mehr antworte?« Mein beklemmtes Stillschweigen sagte ihm genug, und er begriff es langsam. Und als er nun hörte, bald werde man sie von ihm wegtragen, so pflückte er noch einen Strauß von ihren Lieblingsblumen, und steckte ihr denselben zum Abschiede an die Brust.
Oft überraschte ich ihn nachher, wie er sinnend zwischen seinen Beeten umherging, Blumen pflückte, und sie dann wieder zerriß. Wenn er mich sah, theilte er den gepflückten Strauß, wie er sonst gewohnt war, gewissenhaft in zwey Hälften, die eine reichte er mir dar; aber dann hieng er den Kopf, und eine Blume nach der andern fiel ihm von der zweiten Hälfte aus der Hand. Er schluchzte laut, hob sie wieder auf, und hielt sie gen Himmel empor, weil ihm Elmire gesagt hatte, wenn sie ihn verließe, so würde sie dahin hinaufsteigen. So verwelkte sichtbar der schöne Knabe, und ehe zwey Monate vergiengen, lag mein Sohn, der Liebling meiner Seele, bey seiner Mutter im Grabe.
Die Freunde, die ich mir unter meinen Nachbarn erworben hatte, thaten ihr möglichstes, mich zu zerstreuen. Ihre so unschuldige als einfache Theilnahme that auch sehr viel zu meiner Erheiterung. Ich sah dann doch, ich habe noch jemanden in der Welt, der mich liebe; ich sey denn doch nicht ganz verlassen und einsam. Die kleinen Freuden, welche man hervorsuchte, die schuldlosen Feste, die sie mir zu Ehren anstellten, erweiterten den krampfhaft zusammengezogenen Kreis meiner Gedanken, und sie wurden leichter und weniger drückend, sobald sie sich auszubreiten begannen.
Den größten Trost fand ich aber in Elmirens Nachlasse: In ihm sah ich es zuerst, wie viel ich an diesem holden Weibe verlohren hatte. Ihre zurückgebliebenen Papiere enthielten Ergüsse von einer Geistesgröße, die mich selbst mit beruhigen mußte. Eine solche Ergebung in ihr Schicksaal, eine solche ruhige Gelassenheit, mit welcher sie darinn alle ihre Begebenheiten ansah, und die Gründe, womit sie sich weit über dieselben erhob, theilten sich meiner, mit der ihrigen so harmonisch gestimmten Seele sehr leicht mit. Es war eine sanfte Philosophie des Lebens, die unter jedem Zufall desselben ihrer Wirkung gewiß ist.
Noch eine andere Begebenheit, im Betreff dieser Papiere, heiterte mich wieder auf eine andere Art auf. Ich war nehmlich sehr eilig gewesen, mich ihrer zu bemächtigen, sobald ich ein Recht auf sie zu haben vermeinte; und dies rettete sie für mich, denn kaum waren sie in meinem Besitz, als man auch Versuche auf sie gemacht hatte. Meine Schlösser waren aber zu einem leichten Angriff zu stark, und man hatte vielleicht weder Lust noch Zeit zu einer stärkeren Anstrengung. Denn in derselben Nacht, in der Elmire begraben war, las ich sie durch, und verbrannte sie am andern Morgen alle, bis auf die kleinste Spur. Was sie merkwürdiges enthielten, war in meinem Gedächtnisse sicher genug niedergelegt, und kein menschliches Wesen konnte sich nun zwischen mich und Elmiren mehr eindrängen. Diese Schnelligkeit erhielt mir auch noch die darinn enthaltenen Geheimnisse, und ich verlachte im Herzen die Unbekannten, gegen die ich doch nun einen Weg mich sicher zu stellen, ausfindig gemacht zu haben glaubte.
Ich will Ihnen, bester Graf, nun hier aus Elmirens eignen Blättern dasjenige Stück ihrer Geschichte erzählen, welches Ihnen noch unbekannt ist. Ja, ich will es selbst versuchen, meinem sonst ziemlich treuen Gedächtnisse einen großen Theil ihrer eigenen Worte wieder abzufodern, mit denen sie die Reihe dieser Begebenheiten darstellte und ausmalte. Es ist schade, daß dies alles verlohren gehen mußte; denn niemals habe ich lebhaftere Zeugnisse von weiblicher Vollkommenheit gesehen, als in diesen Aufsätzen.
*
– – – – »Ich erwachte noch ganz betäubt, aus dieser so langen Ohnmacht. Es war in einem Sarge, wo ich mich wieder fand. Neben mir standen noch mehrere, und der Duft der Verwesung war das erste, was ich empfand. Das weite und hohe Gewölbe war durch ein einzelnes, blaßflimmerndes, in der Mitte schwebendes Lämpchen kärglich erhellt, und schon sein Todtenschein verrieth es, an welchem Orte ich war. Wer hat eine Vorstellung von den Gefühlen des ersten Wiedererwachens, und eines Wiedererwachens unter solchen Umständen, und wer kann sich einer einzelnen Empfindung aus diesem Tumulte derselben wiedererinnern, wenn er so glücklich, oder so unglücklich war, jemals davon betroffen zu werden!«
»Ich wußte nicht was ich nun vornehmen sollte. Sollte ich um Hülfe rufen, oder sollte ich den Ausgang ruhig erwarten? das Lämpchen sagte mir, ich sey an einem nicht gänzlich von den Menschen verlassenen Orte, und außer einer allgemeinen Mattigkeit und Abspannung aller Kräfte, ward ich von keiner unangenehmen Empfindung belästigt. Aber man ließ mir nicht Zeit zu einer langen Ueberlegung. Bald ließen sich aus einem Gange hervor, dessen Oeffnung ich aus dem Halbdunkel unterschied, einige Stimmen sehr deutlich vernehmen. Man verstand selbst den Stoff und die Ausdrücke ihres Gesprächs. Einige schalten auf Karlos unmenschliche Grausamkeit, andere verdammten meine Unvorsichtigkeit; noch andere entschuldigten mich wieder, und fanden es sehr natürlich, daß ein schwaches liebendes Mädchen einem schlauen, lange vorgeübten Bösewicht habe unterliegen müssen. Nachdem man sorgfältig an der Oeffnung eine Zeitlang stille gehalten hatte, kam man endlich näher und erschien in dem Gewölbe. Es war eine lange Prozession mitleidvoller Gesichter männlichen und weiblichen Geschlechtes. Einige trugen Lichter, andere Phiolen und Gläser, noch andere Gewänder und Leinenzeug. So wie ich bey der stärkeren Erhellung um mich herblickte, sah ich mich zugleich auch in Wolle eingehüllt, und mehrere Gefäße neben mir stehen.«
»Ein lautes Freudengeschrey erhebt sich, sobald man mich im Sarge aufrecht sitzend erblickt. Man läuft herzu, man eilt, das Werk der Auferstehung zu vollenden. In wenig Augenblicken bin ich aufgehoben, und man trägt mich aus der kühlen Grotte in ein geraumes luftiges Zimmer, und legt mich da in ein wohldurchräuchertes Bett. Der Anstand heißt die Uebrigen sich zu entfernen, nur zwey Weiber bleiben bey mir, kleiden mich um, und ich erwärme allmählig wieder zu einem vollen Bewußtseyn.«
»So wie sie sahen, daß ich mich wieder erholt hatte, wünschten sie mir zu meiner Befreyung Glück, und lobten Gott, daß er sie zu Werkzeugen derselben gebraucht habe.«
»»Danken Sie mit uns dem Himmel, Gräfin Elmire,« fieng die eine der Weiber an, »daß Sie aus diesen grausamen und treulosen Händen in die unsrigen gerathen sind.««
– »Aus welchen treulosen und grausamen Händen?« erwiederte ich voll Erstaunens.
»Aus den Händen Ihres vorgeblichen Liebhabers, des Marquis Karlos von G**« –
– »Schweig, elende Kreatur,« schrie ich, »und vergifte nicht einen Namen, den ich anbete!« –
»Erhitzen Sie sich nicht, gnädige Gräfin,« erwiederte sie mir hierauf ganz kalt; es werden wenige Tage vergehen, so werden auch Sie aller unsrer Meinung seyn. Wir alle sind Glieder einer Gesellschaft, die es sich zur Pflicht und ihre Theilnehmer zur einzigen Beschäftigung ihres Lebens gemacht hat, Leidende ihre Leiden vergessen, und Unglückliche wieder glücklich zu machen – und wirklich, Gräfin Elmire, wir bildeten uns ein, zum wenigsten Ihren Dank zu verdienen.« –
»Was hätte ich dieser Kreatur unter solchen Umständen auf diese feyerliche Eröfnung antworten können. Ich schwieg, und indem ich den festen Entschluß gefaßt hatte, alle meine Vorstellungen in mir verborgen zu halten, gab ich mich ihnen ohne Rückhaltung Preiß. Es war zu klar, in welchen Händen ich mich befand, und das, was ich von dieser Gesellschaft erst noch an meinem Hochzeittage gehört hatte, stellte sich mir itzt mit erneuerter Wärme dar. Ohne in den Sinn dieser Erscheinung eindringen zu können, reichte ihr leichter Zusammenhang hin, mich der Wahrheit meiner Vermuthungen völlig gewiß zu machen.«
»Gab es daher noch (dies war selbst weit mehr der Schluß eines leisen Gefühls, als der Ueberlegung) ein einziges Mittel, aus diesen Fallstricken mich sicher herauszuwinden, so konnte es nur eine der ihrigen überlegene Verstellung seyn. Allgemach ward ich daher nachgiebiger gegen die Ideen, die man mir einflößen wollte: ich kam, ohne Affektation von Augenblicke zu Augenblicke mehr von meinen Träumereyen zurück, ich suchte die Einsamkeit zwar, aber sie schien ihnen nur günstig zu seyn, und je mehr das Resultat meiner Betrachtungen mich zu beunruhigen schien, desto weniger mißtrauisch ward ich gegen ihre geheimen Anstrengungen, diese beunruhigenden Zweifel zu mehren. Mit einem natürlichen Widerstreben fügte ich mich mehr und mehr in alle ihre Anschläge mich zu zerstreuen, mich den verrätherischen Händen meines Gemahls zu entziehen: mich, wie man sich erklärte, nach und nach wieder glücklich zu machen, und mich dann beruhigt meiner Familie wieder zu geben. Eine leichte Munterkeit, welche ich niemals ausgelassen werden ließ, und der ich durch angenehme Vorstellungen einen Anstrich von Natürlichkeit zu geben bemühet war, bestärkte sie in ihrem Wahne, und ich gewann die Hofnung, einen glücklichen Moment zu erhaschen, indem ich mich, weniger bewacht, von ihnen würde wegstehlen können. Es kümmerte mich wenig, von den äußeren Umständen gar nichts zu kennen; ihrem vergiftenden Anhauche entflohen, glaubte ich schon genug gewonnen zu haben.«
»Indeß versammelte sich hierauf eine Gesellschaft sehr feiner Herrn und Damen um mich her. Man stellte dann eine nächtliche Lustreise nach einem benachbarten Schlosse an, und sagte mir am andern Morgen, dies sey zu meinem Aufenthalte für die Zukunft bestimmt. Die Gegend umher war in der That schön, der Garten groß und geschmackvoll; Spazierengehen war daher eine meiner Hauptbeschäftigungen und Zeitvertreibe. Ob ich mich gleich nie ohne Gesellschaft, oder wenigstens nie ohne solche Begleiter befand, die mich aus der Ferne beobachteten, und obgleich der glückliche Zeitpunkt meiner Befreyung vielleicht noch sehr weit entfernt war, so heiterte ich mich doch mit allerhand Planen auf, ihn unvermerkt näher zu bringen.« –
»An kleinen Lustbarkeiten ließ man mir es überdem nicht fehlen. Die Zerstreuung ländlicher Feste, die Freyheit ausgesuchter Gesellschaften; reizende, einschmeichlerische Weiber, junge liebenswürdige Männer sollten das lachend und mit Hülfe der Grazien vollenden, was man unter so ernsthaften Umständen angelegt und begonnen hatte. Alles athmete nur ein allgemeines halbsichtbares und halb mit Delikatesse verstecktes Bestreben mir zu gefallen, und meine Wünsche mir in ihrem Entstehen abzulauren. Und wirklich gab es bald Augenblicke, in denen sie ihre Absichten vollkommen erreichten. Wie bezaubert erwiederte ich unwillkührlich ihre Freundschaftsbezeugungen. Man machte mich offener, und hätten nicht die wenigen, von ihnen nicht bewachten Stunden die Eindrücke der andern geschwächt, so hätte ich mich schwerlich eines Rausches erwehren können, der mich nachher auf immer ins Elend gestürzt haben würde.«
»Unter den jungen Leuten, mit denen ich umgeben war, zeichnete sich einer vorzüglich aus; ein zum Malen schöner Mann, voll eines verrätherischen ansteckenden Feuers, und von einem feinen schmeichlerischen Geiste für alle meine Wünsche biegsam gemacht. Er war es vorzüglich, der auf meine Gunst Ansprüche zu machen schien; er lebte nur von meinen Blicken, und war glücklich und unglücklich in der Abwechselung meiner Launen. Nie sind alle Künste der schlauesten Verführung vereinter angewandt; alle Umstände trafen zu seinem Vortheil zusammen; jedes, was der Rest der Gesellschaft sprach und that, unterstützte und hob ihn empor, und von der Reinheit seiner Leidenschaft durch unabläßige Bemühungen und mit der Zeit überzeugt, hätte ich endlich fallen müssen, wenn nicht ein kleiner Zufall mich seinen Hoffnungen auf immer entrissen, und mich mir selbst und meinen Planen zurückgegeben hätte.«
»Er hatte einen kleinen Bologneserhund, und ich wurde in dies Thier so närrisch verliebt, daß ich ihm wiederholt zu verstehen gab, wie angenehm es mir seyn würde, ihn zu besitzen. Aber er schien sich nicht gern von ihm trennen zu wollen. Endlich versprach er mir an einem Vormittage, mir ihn am Abend zu überliefern. Einige Zeit vor der gewöhnlichen Gesellschaftsstunde ging ich im Boskett' umher, und als ich sachte an dem Eingange einer Laube wegschlich, erblickte ich ihn darinn mit seinem kleinen Liebling beschäftigt. Ich trat zurück und versteckte mich hinter den Sträuchen. Er band ihm eben ein Halsband um, und nachdem er diese Arbeit vollendet hatte, konnte er sich nicht enthalten, ihn zu küssen, und leise in die Worte auszubrechen: »Armer Thonon, wir müssen uns denn also trennen; aber immer werde ich dich mehr lieben, als das, was du mir erkaufen sollst.«
»Diese Worte fuhren mir wie ein Dolch in das Herz. Auf einmal lag mein ganzer Zustand mir unverstellt und deutlich vor Augen. Kaum konnte ich mich einer Ohnmacht erwehren, und hierauf hielt ich mich nur mit unendlicher Mühe zurück, nicht hervorzubrechen, und ihm eine ganz andere Elmire sehen zu lassen, als er bis bis hieher gekannt hatte. Glücklich genug drückte Wuth und Schmerz meine Seufzer und Trähnen nieder, machte mein Schluchzen leiser, und ich kam unbemerkt in mein Zimmer.«
»Sobald ich nur erst wieder zu etwas Bewußtseyn gekommen war, sah ich es wohl ein, wie nöthig es sey, meine angefangene Rolle nicht fahren zu lassen. Ich zwang mich wieder in die stille Heiterkeit und in meinen alten Charakter einer anspruchslosen Ergebung hinein; der Hund ward mit grossem Gepränge überreicht, und mit einer belohnenden Freundlichkeit angenommen: man erwartete und foderte selbst endlich eine Bezahlung für das Opfer, aber vorher gewarnt, fiel es mir nicht schwer, ungestümen Liebkosungen und zärtlichen Drohungen mit gleich glücklichem Erfolg zu entschlüpfen.«
»So verstrichen wieder einige Wochen; noch immer sah ich keinen Weg zu einer Flucht; die Gefahr meines längern Bleibens ward täglich dringender; ich kannte weder Gegend noch Nachbarschaft, und ich blieb selten eine Stunde unbeobachtet. Endlich wagte ich, unter dem Anscheine der größten Schwierigkeiten das, wozu ich mich niemals unter günstigen Umständen kühn genug gefühlt hatte; an einem Feste, das man mir zu Ehren angestellt hatte, an dem alle Augen auf mich allein nur gerichtet waren, schwang ich mich von einem Trohne, auf dem ich eine herannahende feyerliche Prozession erwartete, auf einen nahestehenden Nußbaum, und verbarg mich glücklich im dicken Grüne bis zur nächsten Nacht.«
»Dann stieg ich herab. Ein Fußsteig führte mich zu einem etwas entfernten Dorfe, Dunkelheit und Ohngefähr begünstigten mich. Ueber alle Begriffe kühn, wagte ich mich hinein, vertauschte meine Kleider, schwärzte mein Gesicht, und bettelte mich so, mir selbst kaum mehr kenntlich, durch alle Provinzen Spaniens und Frankreichs bis zu diesem Aufenthalt fort. Ein Theil von den Kostbarkeiten, mit denen man mich an jenem festlichen Tage geschmückt hatte, ging zwar auf der Reise verlohren, aber immer rettete ich noch eine hinreichende Menge, um diese kleine Einsiedeley zu kaufen, und mehr als nothdürftig eine Wirthschaft einzurichten, in welcher ich nun ein kurzes Leben friedlich beschließen zu können hoffen durfte.«
*
Dies ist denn also, lieber Graf, der kurze und trockne Auszug aus Elmirens Geschichte in jenem Zeitpunkt, so viel ich mich ihrer erinnern kann. Sie sehen, wie sich dies alles so äußerst sonderbar wendete. Hätte ich der Vorsehung leitende Hand jemals bezweifeln können, so wäre ich hier doch gewiß zur Vernunft wieder zurückgekehrt. Wie groß geht ihre Weisheit in Verwickelungen fort, die wir selbst am Ende nur selten in dem Maaße begreifen, wie hier meine und meiner Elmire Geschichte entfaltet scheint.
Auch die erste neigt sich nun merklich zum Ende. Lassen Sie mich den kurzen und ziemlich gleichgültigen Ueberrest in wenige Worte zusammenfassen. Klärchen hatte mit einem jungen Bauer aus der Nachbarschaft einen Liebeshandel angesponnen; sie war aber arm, und der Vater ihres Liebhabers ziemlich begütert. In diesem Punkte denkt man hier nicht anders, als in der übrigen Welt. Ich gab ihr daher den jetzt ansehnlichen Ertrag meines Gutes zur Mitgabe; (denn ich wollte etwas, was Elmire besessen und bewohnt hatte, weder verschenken, noch veräußeren), ich pakte hierauf meinen Bündel, gieng durch die Schweiz und Teutschland nach G***, wo ich das Glück hatte, Ihre Bekanntschaft zu machen.
Sie wissen von diesem Tage an meine Geschichte. Während daß Sie die Britten bekriegen halfen, gieng ich nach B**, um mich zwar einem geschäftslosen, aber darum doch nicht unthätigen Leben und Vergnügungen zu überlassen, an die ich gewöhnt war. Ich übergehe hier die kleinen Abentheuer und Geschichtchen dieser wenigen Jahre, in denen ich unabläßig von geheimen Orden und Schwärmeren aller Art umgeben und nachgestellt, die Geheimnisse von allen erwischte, und in allen wahrnahm, daß sie weit unter demjenigen waren, was ich schon wußte, oder daß sie auch mit diesem zwar in einigem aber doch in einem armen und schlecht verbundenen Zusammenhang standen.
*
Hier knüpfe ich endlich, nach diesem so langen Zwischenräume den Faden jener Begebenheit wieder an, deren ich in der Mitte meiner Denkwürdigkeiten, welche ich für den Grafen aufschrieb, blos oberflächlich und in ihrem Entstehen erwähnt habe. Es hatte sich nemlich in unserer Nachbarschaft ein Mann angefunden, der, wie ich befürchtete, mir sehr nahe angieng, dessen Erscheinung mich mit neuen Vorfällen bedrohete, und der sich durch das Herz des Grafen einen neuen Weg des Einflusses auf mich eröffnen zu wollen schien. Indeß gieng diese Erscheinung wieder schnell vorüber. Er hatte sich zwar in der Nähe angekauft, aber einige Tage darauf war er wieder verschwunden. Man sagte, er reise einer Heyrath wegen nach B*, und ich beruhigte mich dabey.
Einigen Eindruck machte es indeß immer auf mich. Mancher Plan und vorzüglich der zu meiner Zurückreise in mein Vaterland, ward dadurch in meiner Seele verwischt. Manches Phaenomen ward heller und erklärbarer und ich begriff Amanuels Daseyn. Es schien mir selbst ein Fehler zu seyn, den die Unbekannten begangen hatten. Wahrscheinlich wollten sie mich dadurch erschrecken, daß ich mich von ihnen immer umringt sah, aber alles das Mystische in Amanuels Anwesenheit, das meine erschütterten Sinne so mächtig beherrscht hatte, gieng nun völlig verlohren. Ich kannte etwas von den Künsten der natürlichen Magie, und ich kannte noch mehr von dem Einfluß einer gespannten, überströmenden, außer sich gesetzten Einbildungskraft. Es war dies nichts mehr als eine seltsame Mummerey für Kinder, man verlängerte sie zu sehr, und sie war es, welche nachher den Orden verrieth.
Von diesem merkwürdigen Augenblick an sieht man nun überhaupt dieses Gewebes geheimnisvollste Hülle herabsinken, und des schärferen Eindruckes beraubt, stumpfen sich seine Wirkungen selbst unter der Decke der Gewöhnlichkeit ab. Jakobs Erscheinung gab der Verbindung den ersten unglücklichen Stoß, und der irrigen Verwirrung bezauberter Sinne entbunden, tritt mein Geist mit Festigkeit nun mehr in eine neue mehr entschiedene Laufbahn.
Der Graf bekümmerte sich sehr viel um das Verschwinden des ihm so lieb gewordenen Fremden. Gleich im Anfange hätte ich beynahe Lust gehabt, sie ihm vorher zu prophezeyen. Ich weiß aber nicht, was mich abhielt, mehr darüber zu sprechen. Auch wurde er durch seine Angelegenheiten noch einmal gezwungen, mich zu verlassen, ehe ich meine Geschichte hätte beendigen, und ihm vieles zu einem klaren Verständnisse aufklären können. Denn, wie ich schon erwähnt habe, hatten mir die häufigen Zerstreuungen nicht mehr als die Stunden der Nacht, oder die ruhigen einer kurzen Kränklichkeit erlaubt.
Mein Freund blieb für diesmal eine geraume Zeit aus, indem ihn die sonderbare Verwickelung seiner Sachen festhielt, und indem es schien, als wollte man sich in gerichtlichen Prozeduren und alle Chikanen erschöpfen, um ihn nur seine Zeit so unnütz und liederlich als möglich verschwenden zu machen. Nur selten gab er Nachricht von sich, und immer schloß er seine Briefe damit, daß er wol noch lange nicht wieder zurückkommen würde. Da er wußte, ich war völlig mit seinen Ideen bekannt, so bekümmerte er sich nicht im geringsten um die Verwaltung seiner Güter, und dies war eine Ursach mehr für mich, darum desto besorgter zu seyn. Nie hat es in meinem ganzen Leben einen Zeitpunkt gegeben, in dem ich jeden Augenblick mit so großer Sorgfalt ausfüllen mußte, und in dem sie alle so vom frühesten Morgen bis zum spätesten Abend gezählt waren. Im Anfange wollten mir diese langweiligen Arbeiten, die sich immer um dieselbe Spindel dreheten, eben nicht sonderlich schmecken, aber, nach einigen Wochen gezwungener Anstrengung, wurden sie mir so leicht, und endlich so angenehm, daß ich mich ihrer gar nicht wieder entwöhnen konnte.
Ich war itzt mehr gebietender Herr, als der Graf selbst, welcher lange die Kenntniß der niederen Stände nicht besaß, die ich mir erworben hatte; ich sprach mit jedem, hörte jedes Vorschläge an, und oft befand ich mich nicht übel dabey, wenn ich einen und den andern heraushob, und ihn mit meinen eigenen Ideen verglich und zusammenfügte. Ich war den ganzen Tag über auf dem Pferde, oder lief in allen Ecken umher, und nur, wenn alles in Ruhe war, und ich die Rechnungen des Tages in Ordnung gebracht hatte, ergriff ich ein Buch, warf mich aufs Sopha und nahm in höchster Ruhe und Behaglichkeit mein Abendbrodt zu mir. Nachher arbeitete ich bis zum Schlafengehn an meiner Geschichte, und legte mich dann ins Bette, mit aller Welt, besonders aber mit mir höchlich zufrieden. Das Aufschreiben meiner Denkwürdigkeiten gieng von diesem Zeitpunkte an so rasch von statten, daß der Graf sich keinen Monat entfernt hatte, als auch das Manuskript schon fertig lag. Ich besserte nachher noch mancherley daran, und übergab es ihm kurz nach seiner Zurückkunft.
Von jeher bin ich Liebhaber der Gärtnerey gewesen, und ob mein Freund gleich einen vortreflichen Geschmack in der Uebersicht hatte, so fehlte ihm doch die Geduld im Detail. Ich machte mich daher über manchen Theil seiner herrlichen Anlagen her, um ihn einzeln auszufeilen; einige alte Gebäude und Lusthäußer mußten meiner ungeduldigen Indüstrie weichen, und besonders hatte ich an der einen Ecke des Parks einen Pavillon in Abscheu genommen, in den sich niemand mehr getrauete, dem sein Leben noch etwas am Herzen lag. Er war überdem, tief im Gebüsch verstecket, wie von der Natur recht eigentlich zur Einsamkeit bestimmt, und ich nahm mir vor, hier eine kleine Einsiedeley mit einigen Zimmern aufführen zu lassen, in der süßen Hofnung, sie den drauffolgenden Sommer beziehen zu können. Idee und Plan kam mir in einer Nacht. Ich steige am Morgen früh in den Garten hinunter, sehe einige Arbeiter, die eben ein Bassin reinigen, nehme sie stillschweigends nebst ihren Hacken und Brecheisen mit mir, führe sie zum Pavillon, und sage ihnen, daß sie mir sogleich auf der Stelle dies alte Nest niederreissen sollen. Man fällt darüber her, und nachdem ein Theil der Seitenwand von selbst eingestürzt ist, hebt man einen großen Stein weg, der den andern Theil derselben noch zu unterstützen scheint. Der Eingang in einem schmalen Gang fällt uns in die Augen, wir sehen uns verwundernd an, ich frage, ob jemand von ihnen Feuer anschlagen kann? man bejahet es mir, sogleich werden einige trockne Tannenäste abgerissen, man macht eine Art von Fackeln daraus, und alle folgen mir lachend in die Höhle, in der Erwartung, einen großen Schatz darinn anzutreffen, und ihn auch hoffentlich nicht umsonst zuerst entdeckt zu haben.
Wir stiegen also ganz muthig hinab, und ich kann es nicht leugnen, ich hatte dieselbe Hofnung, etwas von Werth für mich daselbst zu finden, obgleich von ganz anderer Natur, als sie sich einbildeten. Die Gartenszene mit dem Grafen und mir, die nicht sehr große Entfernung der berüchtigten Rasenbank, die trefliche Kommunikation dieser beiden Gegenden durch ein fast undurchdringliches Gebüsch, und überhaupt die günstige Verstecktheit des Ortes – alles schien mir zu versprechen, ich würde irgend etwas ausfindig machen; und dies Etwas verursachte, daß ich unter allen der Furchtsamste war. Und doch war dieser Ueberfall zu überraschend und unerwartet, als daß man etwas Gefährliches hätte unternehmen können; überdem befand ich mich auch mitten unter sieben starken Deutschen, von einer braven Miene und mit Hacken und Brecheisen wohl bewafnet. Dies alles gab mir wieder Muth, ich schlüpfte lachend, obgleich mit pochendem Herzen hinein, und rief den andern zu, mir nur immer auf dem Fuße zu folgen. Einen ließ ich an der Oefnung zurück, um uns gegen äußere Anfälle zu sicheren und Lärm im Schlosse zu machen, wenn wir in der Zeit von einer Stunde nicht wieder zurückkommen sollten.
Nachdem wir durch die erste Lage des Bodens fast senkrecht niedergerutscht waren, ward der Gang so schmal, daß wir nur mit Mühe weiter konnten. Ich hielt die Fackel immer voraus, und leuchtete besonders unten am Boden umher, um nicht etwa in eine gefährliche Schlinge zu fallen. Bald ward aber die Oefnung wieder weiter, der Weg ebener und gebahnter, und wir waren kaum noch eine Minute gegangen, als wir auch in ein wohlausgemauertes Gewölbe traten, das ganz sichtbar ehedem ein Keller gewesen war. An der Seite standen Weinstühle und einige alte vermoderte Bänke; im Hintergrunde befand sich aber noch eine kleine Kammer von Brettern zusammengeschlagen, mit einem Tische und zween ziemlich neuen Stühlen versehen. Als ich auf den Tisch leuchtete, sah ich, daß ein Stück fast frisch herausgeschnitten sey, und es kam mir vor, als habe man einen daselbst eingegrabenen Buchstaben vernichten wollen; wie ich es auch näher untersuchte, fand ich noch die schwachen Spuren eines E.
Ich konnte nicht erst errathen, was dies wohl bedeuten könne; indeß fiel mir endlich ein, daß der Graf die sonderbare Gewohnheit hatte, wenn er etwas in den Sand mahlte, oder in einen Baum kratzte, immer ein solches E zu wählen, und ich hatte sonst wohl vermuthet, dies müsse der Anfangsbuchstabe von dem Namen einer ehemaligen Geliebten seyn. Weiter fand sich aber nichts, kein Eingang und nirgends eine Verlängerung des Gewölbes. Ich hatte allen meinen Begleitern gesagt, sie sollten allenthalben umherleuchten, um vielleicht in irgend einem Winkel einen angenehmen Schatz zu entdecken, aber man fand weiter keine Spur von menschlicher Bewohnung. Indeß, eben als ich in den Gang trat, um wiederhinaufzusteigen rief einer, er habe einige zusammengedrückte Pappiere gefunden. Ich hieß ihn sie herbeyzubringen, faltete einige aus einander, auf keinem stand etwas; endlich das dritte oder vierte war beschrieben. Wer begreift mein Erstaunen, als ich darauf las:
»Gräfin Elmire wird vor dem jungen Marquis Karlos von G** gewarnt, der sie zu betrügen gedenkt.«
Ich wußte nicht, ob ich meinen Augen trauen sollte, aber es war ganz sicher dasselbe Pappier. Wie ich indeß sah, daß meine Begleiter mit Erstaunen mich hatten etwas zurückfahren sehen, setzte ich nach einigen Augenblicken Ueberlegung ganz gelassen hinzu:
»Das mag der Henker herausbringen – wenn man die andere Hälfte noch hätte?«
Hierauf machte ich die anderen noch auf, rollte alles zusammen, und warf es kalt in den Winkel zurück, in dem man es gefunden hatte.
So endete sich denn diese seltene Expedition. Ich kam in meinem Herzen höchlich erfreuet wieder heraus, und meine Begleiter hiengen den Kopf, gar nichts von ihren geträumten Schätzen gefunden zu haben. Um sie nicht mit ganz leeren Händen Weggehen zu lassen, gab ich einem jeden von ihnen einen Gulden, mit der Bedingung, niemanden etwas von unserm Abentheuer zu sagen. Ich sah voraus, dies würde gerade der Weg seyn, um es bald im Schlosse bekannt zu machen, und ich nahm mir vor, mich auf die Lauer zu legen, ob ich nicht etwas von Bewegungen unter den Bedienten des Grafen, die mir sämmtlich sehr verdächtig waren, wahrnehmen könnte. Aber die ganze Sache ward ein Gegenstand allgemeiner, unbefangener Lustigkeit; alle Welt kroch nun in den Keller, und befliß sich den weniger Neugierigen, Zurückgebliebenen und der ganzen Nachbarschaft von darinn befindlichen Schlössern, unterirrdischen Gärten und treflich geschmükten Zimmern vorzulügen; bis mir endlich des Lerms zuviel und der Besuche zu häufig wurden, und ich das Loch, das nun der Ort des allgemeinen Rendez-Vous für die Bedienten geworden war, zu ihrer größten Betrübniß zuwerfen ließ. Hierbey blieb es mit dieser Geschichte. Der neue Pavillon war indeß in kurzer Zeit aufgerichtet, meublirt, und noch, ehe der Graf zurückkam, hatte ich das Vergnügen darinn zu Frühstücken.
Endlich kam er zurücke, höchst ermüdet von den Begebenheiten und Arbeiten, die ihn so lange zurückgehalten hatten; sein Geschäft war zwar beendet und der Prozeß gewonnen. Die Kosten desselben beliefen sich aber weit höher, als er sich gerettet fand, und er hatte noch weit mehr Ursach, die Zeit und Gesundheit zu bedauern, um die ihn diese unnütze und ärgerliche Untersuchung gebracht hatte. Was ihn indeß einigermaßen zu entschädigen schien, waren einige kleine Entdeckungen, auf die er zufällig gerathen war, und die er mir ohne Hehl mittheilte, sobald er meine Geschichte zu Ende gelesen hatte.
»Lassen Sie uns, lieber Karlos, trotz aller dieser Schurkenstreiche gewissenhaft handeln,« sagte er zu mir; »es ist keine Pflicht, Versprechen zu halten, die man uns mit Grausamkeit abgezwungen hat, aber die Geschichte jener unglücklichen Tage, in denen ich Ihnen wie unter den Händen verschwand, hilft uns nun nichts mehr. Sie haben die Geheimnisse der Höhle entdeckt, schon seit einiger Zeit scheint sie verlassen zu seyn, und ich habe mein Wort gegeben. Was uns itzt beschäftigen muß, sind die Hände, die in unserer Nähe noch ihr Spiel treiben, die meinen Prozeß verwirrt haben, und uns, wie ich fürchte, auf irgend eine Art noch unglücklich machen werden. – Marquis, sind Sie mein Freund?« – hierbey streckte er die Hand aus.
Ich ergriff sie mit Wärme. »Ja ich bin es.«
– »Werden Sie es ewig seyn?« –
»Beym Himmel, ewig, ewig!«
»So komm an mein Herz, mein Bruder, und empfange von mir dasselbe Gelübde. Ich schwöre Dir ewig unverletzliche Freundschaft, und in der letzten Stunde meines Lebens verlasse mich aller Trost, wenn ich dies in einem einzigen Augenblicke vergesse. Der Himmel erhalte Dich mir; mehr wünsche ich nicht.« –
»Ludwig, ich folge Dir, wohin Du nur willst, und unter alle Zufälle des Lebens.«
»So laß uns ihnen dann trotzig entgegengehen, den verwegenen Buben, die sich in unsere Schicksaale eindrängen wollen, um des Lebens letzte Hälfte zu retten; laß uns von der ersten einige Jahre noch opfern, laß uns nichts schonen, sie im Mittelpunkt zu vernichten.«–
»Hier hast Du meine Hand; ich folge Dir.«
»Gehn wir denn nach Paris, versammeln wir da Deine Freunde um uns, dringen wir endlich in Spanien ein; wie gern gäbe ich dieser Untersuchung einen Theil meines Vermögens hin, um mir Ruhe zu kaufen!«
*
Alle unsere Arbeiten hatten von dieser Zeit an nur den einzigen Zweck, des Grafen Geschäfte nur einigermaßen in Ordnung zu bringen; es war auch noch kein halb Jahr verstrichen, so waren wir damit am Ziele, wir gingen über die Grenze, und in kurzer Zeit sahen wir die Hauptstadt von Frankreich.
Um Entdeckungen zu machen, und bey seinen Planen aller Art von Unterstützung sich versprechen zu können, mußte man sich in die große Welt mischen. Der Graf sparte nichts, seinem Titel und Range Ehre zu machen, und seine erste Erscheinung von einigem Aufsehen begleiten zu lassen. Seine Equipage war eine der prächtigsten in Paris, seine Livree geschmackvoll, seine Kleidung selbst mit der feinsten Eleganz gewählt, und es vergiengen wenige Wochen, so waren wir in die besten Zirkel der Stadt eingeführt, und in einigen schon mit etwas Vertraulichkeit einheimischt.
Man kennt die Vergnügungen dieser Stadt. Schauspiel, Tanz, Lustparthien und besonders der Genuß der schönen Künste verfehlen nie ihres Eindruckes. Aber, ohne gegen ihre Reize unempfindlich zu seyn, machte doch der Graf im Grunde nur sehr wenig daraus. Mein Charakter reißt mich hingegen zu dieser Art von Lustbarkeiten hin. Wir nahmen daher Antheil an allen, und zerstreueten uns doch nur sehr wenig. Wir knüpften und unterhielten Verbindungen, ohne ihnen zu viel aufzuopfern; wenigstens sparten wir vom Tage immer einige Stunden für unsere Einsamkeit und für die wichtigeren Unterhaltungen im Kabinette auf.
Das vortheilhafteste für unseren Zweck war, daß sich ein Theil meines kleinen Zirkels wieder um uns zusammen fand. Don Bernhard und der Graf S–i waren die ersten; beyde für unsere Plane weit mehr eingenommen, als ich sie verlassen hatte, beyde voll Erstaunen über die Begebenheiten des Grafen von S**, beyde voll Verlangen nach irgend einer Aufklärung. Unsere Charaktere waren durch die Leiden und Erfahrungen einiger Jahre noch reifer und ähnlicher geworden, und wir fanden in unserem wechselseitigen Ideenaustausche Beruhigungen, Freuden und Aussichten, auf die Keiner von uns mehr Rechnung gemacht hatte.
Auch unsere Art zu verfahren, ward durch die Umstände verändert. Weit weniger schüchtern, machten wir aus unseren Planen gar kein Geheimniß mehr, wir sprachen davon, wo wir uns nur trafen, laut und öffentlich, und indem wir dadurch manchen Vertrauten derselben mehr bekamen, gewonnen wir zugleich manchen anderen, wenn gleich heimlichen doch immer wirksamen Theilnehmer, unvermerkt mehr und richtigere Hülfsquellen, und entkräfteten so vielleicht viele Unternehmungen der Unbekannten, die in der Einsamkeit und Beschränktheit weniger feindseeligen Glieder weit kräftiger und auffallender sich hatten zeigen können.
Aber dies alles brachte uns im Grunde nur sehr wenig weiter. Alle unsere Kraft bestand noch immer weit mehr in Fassung und berechnetem Widerstand auf Zufälle, die kommen sollten, als in einer Wirkung neuer für uns günstiger Aufschlüsse und Begebenheiten. Wir hatten keinen eigentlichen Plan, sondern wir erwarteten nur, was kommen würde. Und es ereignete sich durchaus gar nichts. Der Graf hatte Lust nach Spanien zu gehen, ich würde ihm treulichst gefolgt seyn, aber er wollte sich nicht gern von seinem Kreise und von Don Bernhard trennen, den er für den einzigen Mann hielt, hierin etwas mit Erfolge unternehmen zu können. Auch war hiervon im Grunde wenig zu erwarten, da sich nichts leichter, als der Mittelpunkt des Ordens verändern ließ, und wir schon mehrmals zu erfahren Gelegenheit gehabt hatten, daß er allenthalben seyn könne. So schläferte man unsere Anstalten ein, indem man sich hütete, sie zu reizen. So wurden wir selbst nachlässig, indem wir keine Veranlassung sahen, unserem gewöhnlichen Lebensgange uns zu entziehen. Kleine Vergnügungen verschlangen alle Lust zu großen Planen, und die weibliche Welt ließ uns wenig an ernsthafte Geschäfte mit Männern denken. Endlose Zerstreuungen machten uns müde, und wir sahen es bald nur als einen Gegenstand unseres Witzes an, von denen Planen zu sprechen, die sonst alle unsere Gedanken verschlungen hatten.
Endlich ereignete sich selbst eine Begebenheit, die sie uns gänzlich vergessen zu machen schien, eine heillose Liebe, die mich mit dem Grafen auf eine Zeitlang entzweite, mir sein Herz und Vertrauen lange vorher entzog, ehe ich das mindeste für ihn zu thun Kraft genug hatte, und, indem sie uns im Schooße der Sicherheit überraschte, durch diesen unglücklichen Wetteifer beynahe auf einmal unseren Nachforschungen ein Ziel gesetzt hätte. Nur das treffendste Ohngefähr vereinigte uns wieder, und dies war das Ohngefähr, das die Binde des Geheimnisses plötzlich vor unseren Augen niederriß.
Caroline von B* war aus einem sehr alten, und sehr berühmten Geschlechte der Normandie. Sie war nicht reich, aber ihr Vermögen war zulänglich, ihr eine vollkommene Erziehung geben zu lassen, und sie zu keiner ganz verächtlichen Parthie zu machen. Sie war nicht schön, aber ihr Körper war frisch und fein, ihre Haltung natürlich und selbst zuweilen naiv; sie besaß eine ganz anspruchslose Munterkeit, die ihren Bewegungen Reiz, Abwechselung und Neuheit gaben. Endlich hatte sie weder einen hervorstechenden Witz, noch einen glänzenden Verstand, aber eine gewisse sich immer gleiche Wärme in ihren Einfällen, eine seltene Bescheidenheit, und, wenn ich mich so ausdrücken darf, viel Temperament des Geistes. Wenn mich jemand nach ihrem Charakter fragen würde, so möchte ich ihm antworten: sie hatte gar keinen; wenigstens merkte man keinen. Sie war der Widerschein aller Gedanken, die man gegen sie äußerte, und die sie verstand; ein jeder sah in ihr sein eigenes Bild. Und dies war ein Zug, dem niemand widerstand, der ihr zu nahe kam. Kurz man sagt, ein Porträt, worin der Maler gar nichts von seiner Phantasie angebracht habe, gefalle, selbst bey minderem Reiz mehr, als eins von höchster Schönheit und mit den Verzierungen einer aufgeregten Einbildungskraft. Ein solches Gemälde war Karoline. Da war nicht Eine Miene, die ihr nicht ganz eigenthümlich zugehörte, nicht Eine Bewegung ihrer Seele, die nicht natürlich genau mit ihrem Körper zusammengehangen hätte; kein Blick, womit das Herz nicht einverstanden gewesen wäre. Und dies Herz war übrigens rein und edel.
Zum Unglück für uns machten wir die Bekanntschaft dieses holden Geschöpfchens nur erst sehr spät. Hätten wir sie sogleich beym ersten Eintritt in den gesellschaftlichen Zirkel wahrgenommen, vielleicht hätte ihr Eindruck minder stark gehaftet, oder hätte sich bald unter den anderen verlohren. So aber waren wir itzt von zu vieler Kunst ermüdet, und unsere Herzen, durch alle Nüancen der feinsten Kokketterie, so lange in einer unaufhörlichen Spannung erhalten, bedurften endlich wieder eines Ruheplatzes in dem Schooße der Natur.
Das erste Kennenlernen hatte selbst etwas sehr anziehendes für uns. Die Gelegenheit dazu gab ein Abendassamblee, wo wir fast täglich hingiengen, um zu spielen. Schon einige Zeit vor unserer Ankunft hatte Karoline eine ihrer Freundinnen auf das Land begleitet, und da sie ein tägliches Mitglied derselben war, dadurch die Anordnung der gewöhnlichen Spielparthie etwas verwirrt. Man mußte daher eine andere Einrichtung treffen, und zufällig traf es sich, daß der Graf und ich gerade Spieler an ihrem Tische geworden waren. Sobald sie dies wahrgenommen hatte, erklärte sie ganz unverhalten und laut, sie wolle mit uns nicht spielen, und bäte sich ihre alten Mitspieler wieder aus. Dieser Einfall brachte die ganze Versammlung in eine neue Unordnung. Diejenigen, welche sie für uns zurückverlangte, hatten sich schon an ihre neuen Verbindungen gewöhnt, und bezeigten nicht die mindeste Lust, sie wieder zu verlassen, und ihre Damen noch weit weniger, Karolinens wegen verlassen zu werden. Diesem allgemeinen Aufruhr folgte endlich ein großes Gelächter, welches das arme Mädchen blutroth machte, und sie sagte endlich, sie wolle heut den Trotzkopf machen und gar nicht spielen. Ruhe und Ordnung stellten sich wieder im Aeusseren her, und ich setzte mich zu ihr aufs Sopha, mit diesem Ausgange übrigens nicht übel zufrieden.
Im Innern des Grafen aber sah es weit anders aus. Mit seiner Fühlbarkeit, die nicht durch so viele Gelegenheiten, wie die meinige hatte abgestumpft werden können, erträgt man eine solche Begebenheit nicht ganz mit Gleichgültigkeit. Sein Herz war voll Galle, und es fehlte ihm nur an einer Veranlassung sie auszugießen. In seinen Augen kochte ein Feuer, daß mir sehr wohl bekannt war, und er suchte nach einem Gegenstande. Ich sprach ihm lachend Trost zu, aber er antwortete mir: »Karlos, schäme Dich Deiner Kälte!« Hierauf heftete sich sein Auge auf einen deutschen Offizier, der in einiger Entfernung von uns spielte, und immer noch über unsern Unstern fortlächelte. »Begreifst Du denn nicht,« setzte er hinzu, »daß dies alles Verabredung ist?«
Er mochte nicht ganz Unrecht haben, wenn er sich einbildete, hierbey sey von dem deutschen Offizier, der sich Baron H** nannte, mit Absicht und mit einiger boshaften Hitze verfahren. Er war aber nicht der Mann, der mit sich ungestraft spielen ließ, er kannte den Baron schon von Gibraltar her, wo er mit ihm gegen die Engländer gefochten, und wo es sich ebenfalls seltsam genug getroffen hatte, daß beyde Nebenbuhler bey einer spanischen Dame gewesen waren. Endlich kam noch eine neuere Geschichte hinzu, seinen Haß gegen ihn zu vermehren, und diese will ich hier nachholen.
Der Graf unterhielt eine Aktrice von der königlichen Oper, ein reizendes Mädchen, von unendlichem Witze, großer Menschenkenntniß, unterhaltend, aber leider nicht vom besten Rufe im Punkte der Treue. Ob er sie gleich nicht sonderlich liebte, und sich weniger aus Neigung, als, weil es Mode war, mit ihr beschäftigte, so sah er doch ihre Gunstbezeugungen als eine für eine Zeitlang gekaufte Waare an, die ihm niemand beeinträchtigen könnte, ohne ihn öffentlich zu bestehlen. Seine Eitelkeit machte hierin sein Ehrgefühl noch reizbarer, und es gab eine Zeit, wo er an gar nichts weiter dachte, als wie er seine Amasia genau genug bewachen könnte. Wie hätte er aber die Verbindungen eines eitlen, wollüstigen und habsüchtigen Mädchens unterbrechen können, die das Studium ihres Lebens daraus gemacht hatte, Männer zu fesseln, und sie in ihren Fesseln zu betrügen. Kurz er hatte Ursach genug, den Eifersüchtigen zu spielen, und unter allen am meisten auf seinen gebohrenen Nebenbuhler, den Baron H** es zu seyn.
Ein seltsames Ereigniß bließ diese verborgene Gluht zu einer Flamme an. Er gieng einmal gegen Abend über den Pont neuf, um sie zu besuchen. Er liebte das Inkognito, und da er weiter nichts dachte, als wie er sie einmal recht artig beschleichen könnte, um ihrer Untreue gewiß zu seyn, so hatte er sich in einen blauen Ueberrock gesteckt, und nur ein einziger Bedienter folgte ihm in der Ferne nach. Kaum war er aber über die Mitte der Brücke, als er sich auf einmal von einem Truppe betrunkener Leute bestürmt sah, welche mit großem Ungestüm über ihn herfielen. Dies war ein Trupp ehrlicher Bürger, die, um ihres Elends zu vergessen, einmal zuviel zu sich genommen hatten, in der Freude ihres Herzens hierauf auf eine Menge Thorheiten verfielen, und, da einer von ihnen behauptet hatte, das Handwerk von einem jeden am Aeußeren zu erkennen, sich an diesen Orte hinstellten, die Vorübergehenden zu beobachten. Es galt eine Wette von einigen Louisd'oren, und da sie eben angekommen waren, so war der Graf der erste, den sie in Augenschein nahmen.
Derjenige, welcher rathen sollte, kam hierbey in die größte Verlegenheit. Ungeachtet der Graf einen schlechten Rock trug, so begriff jener doch leicht, ein solcher Gang und ein so feiner Wuchs sey für kein einziges Gewerbe passend. Außerdem waren seine Züge von der äußersten Delikatesse und seine Gesichtsfarbe ausnehmend zart. Er stand daher einen Augenblick stille, schlug die Arme über einander, und gafte den Grafen ins Gesichte. Dieser, dem ein solches Schauspiel sehr ungewöhnlich vorkam, konnte sich nicht enthalten, darüber zu lächeln, und dies gab dem schon verrückten Kerl noch mehr Muth. Er drehte sich daher zu seinen Kammeraden herum, die sich über seine Verlegenheit belustigten, und schrie ihnen zu; »der H– soll mich holen, wenn ich sein Handwerk errathe, aber ich wette noch einen Louisd'or, wenn es nicht ein Hahnrey ist.« Dieser Einfall machte die ganze Gesellschaft vor Freuden wiehern, und da der Ausgang der Wette auf das Geständniß des Errathenen beruhete, so fielen alle mit einer wütenden Lustigkeit über den armen Grafen her, um ihn eingestehen zu machen, er sey wirklich ein Hahnrey. Ohne Degen und nur mit einem leichten Stocke bewaffnet, war er in Gefahr, zerrissen zu werden; er wehrte sich zwar so gut, als er konnte, aber ohne die Beihülfe einiger Soldaten, die auf das Getümmel zugerannt kamen, hätte man ihn wahrscheinlich zu dem lächerlichen Geständnisse gezwungen.
So kam er also noch ziemlich davon; aber weit entfernt, die Sache zu nehmen, wie sie wirklich war, sah er diesen Angriff halb unsinniger Menschen als absichtlich an, um ihm die Untreue seiner Geliebten zu verstehen zu geben; zum wenigsten war nichts klarer und gewisser, als daß die ganze Stadt von seiner Hahnreyschaft schon benachrichtiget war. Sein sonst so treffliches Temperament loderte schnell in einer jähen Hitze auf, und die Folge davon war, daß er seine Schritte nach dem Hause seiner Geliebten hin verdoppelte, außer sich in ihr Zimmer trat, und das arme zitternde Mädchen mit den bittersten Vorwürfen überschüttete. Sie faßte sich indeß bald wieder, und nachdem sie es durch einige Trähnen und Bitten vergeblich versucht hatte, ihn zu besänftigen, fragte sie ihn endlich ganz kalt: »ob sie ihren Leuten klingeln sollte, oder ob er lieber ohne ihre Begleitung zum Hause hinaus gehen, und es nie wieder mit einem Fuße betreten wollte?« – Und am andern Tage erschien sie öffentlich am Arme des Baron H** als ihres erklärten Liebhabers.
Die Geschichte kam dem Grafen, bey dieser Gelegenheit, wieder sehr lebhaft in den Sinn, und er schien sich das spöttische Lächeln des Barons sehr deutlich durch dieselbe auszulegen. Er gieng daher auf seinen Stuhl zu, und sagte ihm ins Ohr:
»Herr Baron, ich bin so neugierig, Sie zu fragen: wie vielen Antheil Sie an dieser Begebenheit haben?«
Der Baron gab keine Antwort weiter, als daß er sich außerordentlich tief und lächelnd bückte, und auf deutsch sagte:
»Gnädiger Herr, Sie werden hierüber von mir alle mögliche Aufklärung erhalten.«
Es war hier der Ort nicht, weiter darauf zu bestehen. Der Graf machte daher eine Miene, als sey er damit zufrieden, und zog sich zurück, aber es war deutlich zu sehen, was in seinem Herzen vorgieng.
Karoline gab sich indeß viele Mühe, uns ihren kleinen Trotz wieder vergessen zu machen. Sie ergoß ihren Geist und ihr ganzes Temperament mit einer entzückenden Laune, Natur und Feinheit. Sie wollte den Grafen selbst persönlich trösten, und sagte ihm lächelnd: »Morgen wolle sie es einmal mit ihm versuchen;« aber alles glitschte von seiner verstimmten Seele ohne den kleinsten Eindruck ab, und indem ich mich neben ihr wie ein König ergötzte, und alle meine Begriffe sammelte, um aus ihnen die natürlichen und ihr verständlichen für sie herauszusuchen, versank er in eine düstere Träumerey, aus der er kaum von Zeit zu Zeit erwachte.
Endlich kam die Zeit des Abendessens. Wir setzten uns in einer erträglich guten Laune und Harmonie an die Tafel. Das Gespräch fiel auf Gibraltar und seine Belagerung; man war neugierig einige Details davon zu wissen; man wandte sich an den Grafen, dieser lehnte es mit Feinheit und Bescheidenheit ab, und verwieß auf den Baron H**, der, wie er hinzusetzte, dabey so viele Beweise seines Muthes und seiner Talente gegeben habe. Der Baron H**, der sich gar nicht träumen ließ, daß alle Welt es wisse, wie er sich bey einigen Gelegenheiten gar nicht sonderlich ausgezeichnet habe, nahm diese Aufforderung seiner Beredsamkeit als einen billigen Tribut seiner Verdienste mit einem vornehmen Lächeln an, und die Erzählung begann.
Es war erstaunlich, mit welcher Geschicklichkeit dieser Mensch seine mannichfaltigen Abentheuer zusammenlog; da war kein Gefecht vorgefallen, ohne daß er dabey eine Hauptrolle gespielt hatte; er machte die ganze Gesellschaft für seine Gefahren im Kriege schaudern, und es war nur seine Bescheidenheit und Delikatesse gegen die anwesenden Damen, die ihn abhielten, auch von denen zu reden, in die ihn das schöne Geschlecht gesetzt hatte. Ich bin überzeugt, daß er dies alles am Ende selbst glaubte, so wenig gab er auf das versteckte Lächeln aller Gesichter Acht, und wir wären noch lange nicht um so wohlfeilen Kaufes von ihm losgekommen, wenn ihn der Graf nicht am Ende eines langen Abentheuers mit den Worten unterbrochen hätte, die er in seiner Erzählung wie hinzufügte:
»Und hierauf wachten Sie auf?«
Ein halbverbissenes, doch sehr merkbares Zischeln der Gesellschaft, welches diesen boshaften Einfall begleitete, weckten ihn vollends auf, und er schwieg, glühend vor Schaam und Wuht eine halbe Minute lang.
Dann wollte er in seinem Grimm gegen den Grafen losbrechen, als ihn dieser mit der feinsten Miene unterbrach, sich an die Gesellschaft wandte, und sie um Erlaubniß bat, nun auch ein Geschichtgen aus jener Zeit erzählen zu dürfen. Wir alle gaben ihm Zeichen unsers Beyfalles, aber nur wenige ahndeten ohngefähr, was kommen würde. Er fieng seine Erzählung mit einigen bedeutenden Blicken auf den Baron an, der immer wieder zu reden anfangen wollte, und den nur das Geschrey der Gesellschaft, welche diese Einleitung sehr wohl verstand, zum Schweigen brachte; hierauf fuhr er fort.
»Als wir uns von Gibraltar zurückzogen, hatten die meisten von denen, die Ehre und Vortheil bey dieser Expedition als Volontärs gesucht hatten, die Lust zu einem neuen Versuche völlig verlohren; dreye meiner Kammeraden und ich nahmen auf der Stelle den Abschied, und giengen tiefer in das Land, um uns etwas von den Beschwerlichkeiten des Feldzuges auszuruhen, vorzüglich aber einen meiner vertrauten Freunde zu besuchen, der sich erst neulich mit einer der angenehmsten und reichsten Spanierinnen vermählt hatte. Die Reise war angenehmer, als sie sonst in Spanien zu seyn pflegt, zweye meiner Gefährten, die von meinem Temperament und meiner guten Laune waren, fanden allenthalben, so wie ich hinreichende Gelegenheit sich zu belustigen, und wenn wir nichts weiter fanden, woran wir uns halten konnten, so machten uns oft die possierlichen Lügen und Aufschneidereyen des Vierten die Unbequemlichkeiten des Weges und die Armseeligkeit der Wirthshäuser vergessen.
»Don Antonio, so wollen wir ihn nennen, war eins der sonderbarsten Menschengesichter, die nur die Natur hervorgebracht hat; ein Kopf mit ziemlich viel Verstand, und nicht wenig Erfahrung, aber von einer ungewöhnlichen Verschrobenheit. Ob er gleich wußte, daß wir bey allen Gelegenheiten gewesen waren, und nichts weniger als Heldenthaten von ihm gesehen hatten, so setzte er sich doch eine Reihe von Abentheuer zusammen, die er angefangen und ausgeführt hätte, und die er uns sowohl mit der Miene der ehrlichsten Treuherzigkeit, als auch mit tausend Eidschwüren aufheften wollte.
»»Schön erfunden wenigstens,«« riefen wir oft aus, »»wenn es auch nicht wahr ist;«« aber er setzte dann sein Leben, und, was noch wichtiger war, seine erprobte Herzhaftigkeit zum Pfande. Und wir beschlossen einmüthig, bey der nächsten Gelegenheit es zu versuchen, in wie weit man sich auf die letztere verlassen dürfte.
»Unser gemeinschaftlicher Freund nahm uns auf, wie wir es hatten erwarten können; er bot alles auf, uns fest zu halten, und uns angenehm zu bewirthen. Was das spanische Klima liebliches hat, verband sein Landleben in dieser schönsten Jahreszeit reizend zusammen. Aber alle Schwelgereyen des Herzens verdrängten darum nicht ganz die Ergüsse eines launigten Witzes. Eins wechselte mit dem andern ab, oder eins lößte sich ungezwungen und unmerklich in dem andern auf. Wir spielten uns kleine allerliebste Schäkereyen, und wir waren freundschaftlich genug gestimmt, niemals uns für beleidigt zu halten, wenn unsere zuweilen übertriebene Lustigkeit sich selbst zu etwas mehr als Scherz ausarten ließ. Unser Wirth und unsere Wirthin hatten, so gut wie wir, itzt Don Antonios größte Schwäche inne, und es wurde in unserm geheimen Rathe beschlossen, bey der ersten Veranlassung ihm das alles zurückzugeben, womit er uns bisher belästigt hatte. Und diese Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten.«
»Eines Abends spät, da wir noch bey der Abendtafel in einem Gartenhause saßen, entstand im Schlosse ein plötzlicher Lerm. Einige Bedienten kamen blaß und verstört herein, um dem Marquis, unserem Wirthe, ins Ohr zu zischeln; es lasse sich in einem Zimmer des Schlosses eine Erscheinung sehen. Dieser machte uns sogleich mit dieser Nachricht bekannt. Die Damen erblaßten und fuhren erschrocken von den Stülen auf; einige Herren, nachdem sie ihre erste Furcht glücklich überwunden hatten, fiengen an über laut zu lachen, und über die Hasen von Bedienten zu spotten; der Marquis aber erklärte, ihm käme die Sache ganz ernsthaft vor, er rief denen Bedienten zu, die Fackeln anzuzünden, ersuchte die Damen, sich bis zu seiner Rückkunft zu beruhigen und ganz still zu verhalten, ergriff seinen Degen, und bat uns auch die unsrigen zu nehmen.«
»Hierauf erfolgte ein zärtlicher Auftritt. Sowohl die verheyratheten Damen, als auch, was sich von Verliebten unter den Unverheyratheten befand, fiengen gegen diesen Entschluß auf das feyerlichste zu protestiren an, stellten sich sämmtlich an der Thür uns entgegen, und beschworen uns, sie doch nicht allein zu lassen. Der Marquis dagegen beschwor sie, daß sie ihm doch erlauben möchten, sich nicht so ganz gutwillig bestehlen zu lassen. Kurz nach einer Menge gewechselter Reden, Ermahnungen und Erinnerungen, die von einer Seite mit dem erschrockensten Gesichte gemacht, und von der andern mit lachendem Munde beantwortet wurden, faßte man einmüthigst den Entschluß, das Ding in voller Versammlung zu untersuchen. Die Damen schmiegten sich paarweis an ihre Nachbaren an, die Bedienten wurden mit ihren Fackeln auf alle Seiten hinten und vorn vertheilt, und wir bedeckten mit bloßen Degen den Zug.
»Ich wußte eigentlich nicht recht, was ich von der Sache denken sollte. Sie kam mir so unerwartet, als sonderbar vor. Aus der Miene unsers Wirthes war durchaus nicht klug zu werden. Er schien wirklich ein wenig in Wallung zu seyn, und Verstellungskunst war sonst seine Stärke eben nicht. Auch konnte ich mir nicht einbilden, daß er unklug oder unvorsichtig genug wäre, eine ganze Gesellschaft muthwillig in Schrecken zu setzen, bloß in der Absicht, einen Einzigen zu bestrafen. Ich beruhigte mich daher mit dem Gedanken, daß etwas wirkliches zum Grunde liege, und da ich nicht sonderlich damals an Geistererscheinungen glaubte, so vermuthete ich irgend eine Spitzbüberey, und nahm mir vor, so herzhaft zu seyn, als meine unglückliche Erziehung in diesem Stück es nur zulassen wollte.«
Ich kam endlich zu einer so ruhigen Kälte, daß ich Beobachtungen über die Gesellschaft anstellen konnte. Im Anfange herrschte eine allgemeine, tiefe, ängstliche, nur durch einen einzelnen Seufzer unterbrochene Stille, der sich hin und wieder hören ließ. Endlich gab Don Antonio den größten Fluch von sich, den er wahrscheinlich in der Angst nur hatte auffinden können. Seine Nachbarin, (denn er hatte sorgfältig vermieden, einer Dame seinen Arm zu geben, um beyde oder auch im Nothfalle die Füße frey zu haben,) beschwor ihn, doch sich ruhig zu verhalten. Er hielt dies aber vermuthlich für eine Aufforderung, noch einige seiner artigen Exklamationen der Gesellschaft zum Besten zu geben; denn er lief nun das ganze Verzeichniß von allen Eiden durch, die er jemals geschworen hatte, um allen zu versichern, ihm gelüste recht eigentlich einmal nach einer Unterhaltung mit einem Geiste. Dies verhinderte gleichwohl nicht, daß er die Augen fleißig nach allen Seiten umherwarf, sich mit größter Sorgfalt in der Mitte der beyden letzten Bedienten hielt, auch wohl zuweilen ganz hörbar mit den Zähnen klapperte, wenn ihm der Wind gar zu arg zwischen den Blättern rauschte, und stiller und stiller ward, je mehr wir uns dem Schlosse näherten. Unter den Uebrigen war Schreck und Erwartung ziemlich vertheilt; es war aber nicht einer, der davon nicht sein bescheidenes Theil bekommen hätte.«
»Was den Schrecken noch vergrößerte, war, daß der Wind einige Lichter ausbließ. Sogleich versicherten die Damen, sie würden keinen Fuß weiter setzen, wenn inan sie nicht sogleich wieder anzündete. Man mußte also Halte machen, und da dies sich mehrmals ereignete, so ward der Zug dadurch ausserordentlich verzögert, die Köpfe fuhren dann weit ängstlicher zusammen, ihre Vermuthungen und Besorgnisse einander mitzutheilen, und zu vergrößern, und steckten damit selbst die Bedienten an, die im Anfange noch sehr vielen Muth hatten blicken lassen.«
Endlich waren wir an der Schloßthüre. Das berüchtigte Zimmer sollte sich im zweiten Stockwerke befinden, aber schon an der Treppe, die in den Haussaal führte, fieng die Angst der Gesellschaft an. Tausend Bedenklichkeiten und Besorgnisse; tausend Vorwände, sie vor den Augen der andern zu verstecken. Man zählte die Gesellschaft, ob nicht einer oder der andere sich verlohren hatte, oder zurückgeblieben sey. Welche Verwunderung, als der Chevalier Antonio fehlte. Schon schwebten hundert bittere Spöttereyen auf aller Lippen, und ein allgemeiner Hang zum Gelächter, wollte eben die Furcht aus aller Herzen verdrängen, als man sah, daß man ihm Unrecht gethan habe. Mit größter Eile und mit Schweiße an der Stirne kam er herbey gerannt, denn ihn hatte nur ein Bedürfniß auf die Seite getrieben. Er fragte selbst ganz laut, auf was man noch warte, und warum man sich bedenke; und von seinem Geschrey und seinen Aufmunterungen neu beseelt, bewegte der Zug sich bis zur großen Treppe fort.
»Eine neue Schwierigkeit! Niemand wollte oder konnte zuerst die Treppe hinauf. Den Marquis hielt seine Gemahlin beym Rockschooße, und uns anderen hielt sein Beyspiel zurück. Sie ließ ihn nur endlich loß, nachdem er sie etwas erbittert angesehen und gefragt, ob sie ihn für ein Kind ansehe, und nachdem ganz hinten Don Antonio geschrieen hatte, warum man sich denn schon wieder aufhalte. Hierauf ging er die Stiegen hinauf, ich und einer meiner Freunde, der mich unter den Arm gefaßt hatte,drängten uns durch die übrigen durch, und stiegen ihm dicht nach, die anderen rückten nach Verhältniß ihres Muthes oder ihrer Furcht vor, oder blieben zurück, so daß, als wir schon auf der ersten Stufe standen, doch die ganze Treppe, die zum wenigsten auf dreysig Stufen zählte, noch von oben bis unten besetzt war. Wir bekümmerten uns weiter nicht darum, sondern gingen auf das Zimmer zu, alle drey dem Anscheine nach ziemlich gefaßt, aber, ich wette, alle drey mit klopfendem Herzen.«
»Da die Bedienten mit den Lichtern noch etwas zurück waren, gieng ich einige Schritte zurück, um eins aus der Hand der schon im Vorzimmer versammelten zu nehmen. Dies Manoeuvre setzte den ganzen nachfolgenden Trupp, der auf jede unserer Mienen lauschte, in Bewegung, und einige, die schon oben an der Treppe waren, setzten sich in Bereitschaft, auf das erste Zeichen geschwind wieder umzukehren. Ich konnte mich in diesem Augenblicke des Lächelns über die Furcht von Männern nicht erwehren, die vor Gibraltar mit Löwenmuth gefochten, alle Unfälle einer unglücklichen Belagerung mit Verachtung ertragen hatten, und hier nun durch alle Vorurtheile ihrer Religion und Erziehung außer sich gesetzt, sich einer übermäßigen, außerordentlichen Furcht überließen. Statt daß mich ihr Beyspiel hätte anstecken sollen, so verdoppelte es meinen Muth. Ich gieng lachend zu meinem Freund, eröffnete dem Marquis die Thür, und leuchtete ihm hinein.«
»Aber er fuhr auch sogleich zwey Schritte erblassend zurück, in diesem Augenblick ergoß sich auch gleichsam das ganze Vorzimmer, wie die Treppe hinunter: in zwey Sekunden waren wir, außer einem Bedienten, der den Marquis unaussprechlich liebte, und in dieser Fährlichkeit nicht verlassen wollte, gänzlich allein gelassen. Auch war der Anblick scheuslich genug. Eine ungeheuere Maschine, mit einem blutrothen Munde, und einen paar feurigen großen Augen bewegte sich auf uns zu. Ich weiß aber nicht, ob ein vorhergehabter, vorübergehender Schrecken die Sinne und Urtheilskraft feiner schärft; ich machte bald eine Bemerkung, die meine Furcht nicht wenig verminderte.«
»Zuerst war die Gestalt gar zu grotesk. Was ein mäßiger Betrug sehr gut gemacht hätte, verdirbt ein zu ausschweifender. Ich konnte mich nicht der Bemerkung erwehren, die Gestalt gleiche dem Riesen, welcher den Don Quixot zum Kampfe herausfordert. Diese lustige Idee, die sich unwillkührlich mit in die andern eindrängte, machte mir das Ganze verdächtig. Dann sah ich in dem Augenblicke, als ich hineinleuchtete, eine andere Gestalt sich seitwärts drängen, und in eine Nebenzimmerthüre hineinwischen. Dies Nebenzimmer hatte aber, wie ich wußte, eine geheime Kommunikation mit den Zimmern der Marquisin, die sich in den Garten endigten. Das Zimmer selbst vor uns, war ein Staatszimmer unsers Wirthes. Diese ganze Gedankenreihe fiel mir in einem Momente bey, und sogleich vermißte ich auch eine silberne Stutzuhr, welche darin zur Parade stand. Sie war noch darin gewesen, ehe wir uns zu Tische gesetzt hatten, und dieser Umstand gab mir sogleich das erfoderliche Licht.«
»Ich ergriff daher den zweifelhaften Marquis beym Arm, und sagte: »So wahr ich lebe, es sind nichts als Spitzbuben! – sehen Sie doch: Ihre Stutzuhr fehlt.« Dies fiel auch ihm auf, und wir drangen sogleich mit den Degen auf die Gestalt zu. Sie hatte aber einen langen Stab in der Hand, mit dem sie unsere Ausfälle vortreflich parirte. Da der Bediente mit dem Lichte, nebst meinem andern Freunde, auch herein kam, so bemerkte ich, daß mir das Licht, welches ich immer noch in der linken Hand hielt, unnütz sey, und warf es daher meinem Gegner brennend ins Gesicht. Dies brachte seinen Kopfputz etwas in Unordnung, schlug ihm das eine große gläserne Auge ein, und entdeckte desselben wahre Beschaffenheit. Sobald ich dies sah, warf ich auch meinen Degen weg, ergriff mit beyden Händen seinen Stock und hielt ihn fest. Der Marquis that das nemliche, wir fiengen ihn an zu umarmen, und es dauerte keine halbe Minute, als wir mit ihm auch kämpfend zu Boden fielen. Der Mensch, durch Verzweiflung außer sich gesetzt, zeigte eine übermenschliche Stärke. Wäre er bewaffnet gewesen, so hätte er uns alle erwürgen können. Aber so hatte er es itzt mit Vieren zu thun, und bald war er erschöpft; er bat hierauf in einem dumpfen Tone um Gnade; – der Marquis versprach sie ihm, man demaskirte ihn, und er entdeckte, daß er zu einer Bande von Fünfen gehöre, die sich der heutigen Lustbarkeit habe bedienen wollen, um das Schloß auszuplündern: kurz, er sagte aus, was ich geahndet hatte, und was man nunmehr leicht errathen kann.«
»Er ward gebunden, und unter der Aufsicht des Bedienten gelassen; der Marquis und mein Begleiter liefen in die Zimmer, um vielleicht die andern Diebe noch zu erwischen, und ich eilte die Treppe hinunter, um ihnen die andern Bedienten zu Hülfe zu schicken. Allenthalben eine große, weite Todtenstille. Nirgends eine menschliche Seele sichtbar. Man hatte sogar einige Lichter mitten auf der Treppe stehen lassen, um nur desto leichter entfliehen zu können. Unten an der Treppe fand ich eine Dame, die daselbst ohnmächtig zurückgeblieben war; etwas weiter davon den Chevalier Antonio, in einem nicht viel bessern Zustande. So wie er etwas die Treppe herabkommen gehört hatte, hatte er sich den Kopf mit dem Tuche verhüllt, und erwartete so seine seelige Auflösung mit der schmerzlichsten Angst.«
»Mache Dich zu Deinem Ende bereit! Don Antonio,« rief ich ihm zu, so wie ich näher trat.«
»»Ach, geh nur diesmal noch vor mir vorbey!«« murmelte er dumpf und fast unverständlich hervor.
»Keine Rettung für diesmal!« antwortete ich lachend, indem ich meine natürliche Stimme wieder annahm. Er erkannte sie sogleich, nahm das Tuch vom Kopfe, starrte mich verwundert an, und sagte höchlich erfreuet:«
»»Ach! lieber Graf, leben Sie noch, sind Sie es wirklich. Sie haben mir da einen schönen Spaaß gemacht.««
»Ich sagte ihm mit wenig Worten den Verlauf, und wieß ihm die ohnmächtige Dame. Dies gab ihm auf einmal das Leben wieder, er sprang mit der Schnelligkeit eines Stutzers auf, und eilte zu ihr hin.«
»Die Bedienten fand ich hin und wieder im Garten zerstreuet, und ich rief ihnen, ihren Herren zu Hülfe zu eilen; – die Gesellschaft war aber wieder in das Gartenhaus zurückgeflohen, und harrte des Ausgangs daselbst mit der größten Unruhe. So wie ich hineintrat, erhob sich ein lautes Geschrey. Man erkannte mich nicht sogleich und erwartete die Ankunft des Geistes. Nie habe ich einen sonderbareren Auftritt als diesen gesehen. Da war weder Unterschied des Geschlechtes, noch des Verhältnisses mehr. Die allgemeine Furcht hatte alles vergessen gemacht. Alle saßen gekrümmt in einer einzigen Ecke zusammen; die sprödesten Fräuleins auf dem Schooße ihrer Liebhaber; die eigensinnigsten Eheleute in inniger, vertraulicher Berührung; die bittersten Feinde und Nebenbuhlerinnen freundschaftlich die Arme um einander geschlungen.«
»Endlich erkannte man mich. Ein einziger freudiger Ausruf erfolgte: »Ach! das ist ja der Graf!««
»Man kann begreifen, mit welchem Erstaunen, mit welchen Freudensbezeugungen ich aufgenommen wurde. Dies kam nicht sowohl daher, mich sicher wieder, sondern sich selbst gleichsam von den Todten auferstanden zu sehen. Ich gab ihnen einen kleinen Umriß der ganzen Begebenheit, und indem kommt der Chevalier herein, mit seiner Dame am Arm.«
»»War der Chevalier auch dabey?«« »rief hierauf jemand.«
»Allerdings, er spielte eine Hauptrolle dabey,« »antwortete ich.«
»Dies machte, daß sich Don Antonio einbildete, ich habe die Geschichte noch nicht erzählt: er that also, als nähme er das, was ich eben gesagt hatte, für ein Kompliment seines Muthes an, verbeugte sich, und fieng mit der edelsten Unverschämtheit von der Welt an, der Gesellschaft die Geschichte nebst einigen Veränderungen und Zusätzen aus seiner eigenen Fabrike noch einmal aufzutischen. Man hörte ihn mit bewunderungswürdiger Geduld bis zu Ende an. Aber der Graf war indeß in die Thür getreten, und hatte ihm stillschweigend zugelauscht. Er faßte seinen Entschluß auf der Stelle, winkte mir, und als ich zu ihm hinausgieng, theilte er mir seinen Plan mit, den armen Antonio die Nacht ganz anders zubringen zu lassen, als er willens zu seyn schien.«
»Einige Anstalten waren bald getroffen, und es kam nur darauf an, der Marquise einige Winke zu geben, welches mir beym Hineingehen ziemlich glücklich gelang. Sie verstand mich so schnell und so vollkommen, daß ich mir einbilde, wir waren ihr nur zuvorgekommen, so sehr hatte Don Antonio die ganze Gesellschaft erbittert.«
»Mit uns kehrte auch die alte Lustigkeit zu ihr zurück. Wir setzten uns mit frischem Muth noch einmal zum Nachtische nieder, zogen uns wechselseitig über unsere Furcht auf, und die Helden des Schauspieles erndteten die verdienten Lobsprüche ein. Nichts macht verwegener, als eine eben glücklich überstandene Gefahr. Es war nicht einer unter uns, der nun nicht allen Teufeln und der ganzen Hölle getrotzt hätte; und es waren wenige, die nun nicht ganz laut an der Existenz von Erscheinungen zweifelten, da man glücklich genug gewesen war, itzt eine in ihrer menschlichen Blöße zu sehen. Man kann sich vorstellen, wer unter allen der lauteste war. Don Antonio schwur, daß er über unsere Furcht höchlich gelacht, daß er mich habe aufziehen wollen, als ich die Treppe herunter gekommen sey, und daß er von nichts geängstiget wäre, als von der Besorgniß der Dame.«
»Hierauf nahm unsere Wirthin ganz ungezwungen das Wort, und sagte: »sie könne sowol durch ihre gehabte Erziehung, als durch noch einen andern Umstand es entschuldigen, daß sie nicht so freygeisterisch denke, als der größte Theil der Anwesenden itzt zu denken schiene. Alle Welt auf Geistergeschichten gestimmt, wollte diesen andern Umstand wissen. Sie ließ sich hierauf etwas nöthigen, und versicherte, daß Jedermann es wisse, wie fast alle Mitternacht in ihrer Schloßkirche sich ein solches Getümmel hören ließe, als wenn die ganze Kirche umgekehrt werden solle. Ein allgemeines Gelächter, das der Marquis anfieng, und das Antonio mit verdoppelter Stärke fortsetzte. Dieser, der sich wahrscheinlich erinnerte, daß Mitternacht schon einige Zeit vorüber sey, foderte sogar die Gesellschaft auf, sogleich in diese Kirche zu gehen. Die Marquise aber that, als höre sie nicht darauf, stellte sich über den erhaltenen Spott beschämt, und sagte: daß die Herren gut Lachen hätten, daß sie aber wetten wolle, keiner von ihnen würde den Fächer holen wollen, den sie sich heute Nachmittag auf ihrem Sitze vergessen zu haben erinnerte.«
»Es folgte auf diese Erklärung auch in der That eine allgemeine Stille von einigen Sekunden lang. Der Marquis, nachdem er sich daran einen Augenblick belustiget hatte, fand für gut, sie mit der Erklärung zu unterbrechen, daß er mit Freuden die Wette annehme, und dagegen behaupte, es sey nicht einer unter den Anwesenden Herren, der ihr diesen Dienst nicht mit Vergnügen in der itzigen Stunde leisten würde. Wir alle gaben hierauf die Wette der Marquisin verloren, und es wurde ihr nunmehr freygestellt, ihren Helden zu wählen. Sie durchlief dann muthwillig die ganze Reihe mit ihren Augen; Don Antonio erblaßte jedesmal, wenn sie ihn fixirte. Mehrmals machte sie zu seiner größten Freude Miene mich oder einen andern zu wählen; endlich aber blieb sie bey dem Chevalier stehen. Dieser war durch Ehre und Ehrenwort gebunden, und konnte nicht anders als seine Einwilligung und seine Dankbarkeit für das gezeigte Vertrauen versichern. Nachdem er noch einmal heimlich seine Uhr herausgezogen, und sich überzeugt hatte, daß es bald zwey Uhr seyn müsse, nahm er seinen Degen, setzte mit der möglichst martialischen Grazie seinen Huth auf, und empfahl sich der Gesellschaft. Sein Muth begleitete ihn aber nur bis an die Thüre. Denn seine Heftigkeit hatte die rothe Kokarde am Huthe losgerissen, sie fiel herab, und ihm gerade ins Gesicht. Er erschrack heftig; da wir aber zu lachen anfiengen, und es für eine üble Vorbedeutung ansehen wollten, raffte er sich noch einmal zusammen, sah uns mit unaussprechlicher Verachtung über unsere Kleinmüthigkeit an, und warf die Kokarde in einen Winkel.«
»Wir nahmen sie auf und beschlossen sie zu nutzen. Kaum war er zur Thüre hinaus, als der Marquis der Gesellschaft sein Vorhaben und seine Anstalten mittheilte. Er ließ nun denen Herrn die Wahl, wer von ihnen eine Rolle übernehmen wolle. Zween erboten sich sogleich zu den Hauptrollen, Don Joachim F*, ein riesenhaft großer, und Don Romero L**, ein Mann, von einer Zwergstatur. Der Plan ward hierauf in der Kürze verabredet, und die Gesellschaft machte sich nun auf, dem Chevalier in der Ferne zu folgen, und ihm wo möglich noch zuvor zu kommen.«
»Niemals ist auch ein Plan besser geglückt. Die Nacht war zwar bedeckt, aber es war eine gewisse Dämmerung, die uns die Gegenstände in einiger Entfernung, doch sehr deutlich erkennen ließ. Es war ganz klar zu sehen, mit welcher Furchtsamkeit er jeden Busch belauschte, ehe er ihm näher trat, und wie seine Schritte langsamer wurden, als er sich der Kirchhofsmauer näherte. Er tappte mit seinem Degen vor sich hin, um allen Geistern die Lust zu benehmen, ihm auf den Leib zu kommen.«
»Endlich gewann er die Kirchhofsthür. Sie ward mit großem Geräusch eröffnet, und eben so heftig wieder zugeschlagen. Auch fieng er an zu singen, und aus Leibeskräften zu pfeifen, hieb in alle Kreuze, die ihm in den Weg kamen, hatte aber über diese ritterliche Uebung den Weg etwas verlohren, und stolperte über einen Grabhügel nach dem anderen, so daß, als wir auf einem Umwege in die Kirche huschten, es wohl noch zehn Minuten dauerte, ehe er auch darin ankam. Ueberdem hatte er die große Thüre verfehlt, und es war fast eine Unmöglichkeit, auf diesem Wege zu dem Sitze der Marquisin zu kommen, weil man dazu nothwendig über alle andern Sitze hinwegsteigen mußte.«
»Wir hatten nur eine einzige Dame mit uns, aber diese hätte beynahe das ganze Spiel verrathen. Denn, als sie den armen Chevalier so zwischen den Bänken verlohren umherirren sah, der wenigstens durch wiederholte, tiefe Seufzer seinem beklemmten Herzen Luft zu machen suchte, so brach sie in ein unmäßiges Gelächter aus, das sich durch den leeren Raum des Gewölbes verstärkt, und, durch die Bemühung es zu unterdrücken, abscheulich gebrochen, sich in äußerst seltsamen Tönen vernehmen ließ. Ich hatte mich an der Orgel gestellt, und wußte in der Geschwindigkeit keinen andern Rath, um den Fehler unschädlich zu machen, als den Gesang mit einem noch abscheulicheren Gange auf dem Instrument zu begleiten. Dies hatte eine mehr als erwartete Wirkung. Denn es war wenig Wind in den Bälgen, und ich bin niemals in der Musik ein Meister gewesen.«
»Der arme Chevalier war in diesem Augenblick schon erstarrt. Er setzte sich athemlos auf einen Sitz nieder, und sah in tiefster Betäubung den kommenden Dingen entgegen. Hätte er Hoffnung gehabt, sich wieder unversehrt aus der Kirche heraus zu finden, ich stehe dafür, er hätte Fächer und seine Reputation im Stiche gelassen. So aber sah er sich nach einem Sicherheitsort um, und da er in der Dämmerung etwas blendend weisses hervorschimmern sah, welches die Kanzelsäulen waren, so kroch er getrost über die übrigen Bänke dahin, doch nicht ohne einigemal nebst den Sitzen umzufallen.«
»Wir hielten es für unsere Schuldigkeit, ihm bey dieser Unternehmung zu leuchten. Eine große Elektrisirmaschiene, die der Marquis nicht weit von der Kanzel hatte setzen lassen, that hierzu vortreffliche Dienste. Es fuhren zuerst große Funken aus dem Konduktor, und endlich aus einer Spitze ein ganzer elektrischer Strom. Ueberdem ließ man einen mit Harz und Schwefel bestrichenen, und so angezündeten Klumpen Werg, auf den in der Mitte befindlichen Kronleuchter herab, der einige Lichter im Augenblick anzündete. Die im Dochte befindlichen Knallkügelchen erhitzten sich aber kaum, als sie auch eins nach dem andern mit einer heftigen Explosion wiedererloschen. Hierauf warf man einige Fensterscheiben ein, die in die Kirche fielen; die Thüren sprangen auf und schlossen sich wieder; man ahmte das Geschrey von wüthenden Katzen nach, die sich bissen; zwischen den Bänken kroch es vernehmlich umher; einige Blasebälge bliesen ihm einen starken Luftstrom ins Gesicht; in allen Ecken pfiff und zischte es; einige mit Phosphorus bestrichene Tücher, die man hin und her schwang, erleuchteten noch dazu von Zeit zu Zeit den Raum, und da die elektrische Maschiene nach und nach stärkere Wirkungen hervorbrachte, so sahen wir ganze helle Ströme bey ihm vorbeyfahren. Was noch schlimmer war, so hatte man ihm Schlingen an den Beinen und um den Leib befestigt, so daß er wie bezaubert sitzen blieb. Kurz der Effekt war so groß, daß wir selbst uns eines kleinen Schauers nicht erwehren konnten.«
»Indem erhob sich in der Nähe des Altars ein großer Rauch, der sich allmählich verdichtete und wie Körper gewann. Hieraus traten Don Joachim F*, und Don Romero L**, gleich einem Paar Teufeln angeputzt, und um so schrecklicher, weil die Zwergsgestalt des einen die Riesengestalt des andern noch abstechender machte, und durch sie selbst noch auffallender wurde. Beyde hatten sich über und über mit Phosphorus Streifen gemahlt, und Don Joachim F* trug auf seinem Kopfe noch eine lange Laterne, worauf mit rothen Buchstaben geschrieben stand: »Sünder! bereite Dich zu Deinem herannahenden Ende!« Don Romero dagegen trug die Kokkarde, welche der Chevalier im Zimmer weggeworfen hatte, durchaus flammend an der Stirne. Beyde streckten zwey Ellenlange brennende Aerme, an die man am Ende Krallen befestigt hatte, nach ihm hin, und heulten in einem dumpfen Tone einige unverständliche Worte dazu. Antonio schloß die Augen, wie er diese beyden Männer auf sich zutreten sah, und eröffnete sie einige Minuten lang nicht wieder.«
»Kurz darauf veränderte die Szene sich zu unseren allerseitigen Schrecken. Die Kanzelthür geht auf; ein weisgekleideter Mann mit einem langen Kreuze bewaffnet und mit einer Laterne in der Hand, tritt auf die Kanzel. Ihm folgt ein anderer ganz schwarzer.«
»Dies war der Pfarrer und der Organist, welche den Lerm in der Kirche hörten, und, da der Marquis es vergessen hatte, ihnen von seiner Unternehmung Nachricht zu geben, nun von aussen auf die Kanzel stiegen, um zu sehen, was es darinn gäbe, und auch im Nothfalle sogleich das Weite suchen zu können. Wir erkannten sogleich unsere Männer, aber die beyden Gespenster, welche sie in ihrem Leben niemals gesehen hatten, hielten es für eine Erscheinung zu ihrer Bestrafung, die alte Furcht bemächtigte sich ihrer, und sie eilten mit möglichster Schnelligkeit der Thüre zu. Sie hatten hierbey aber selbst das Unglück, sich unter den Stühlen zu verwirren, dem einen fiel die Laterne vom Kopfe, und dem andern aufs Gesicht; einer erschrack über den andern, aber doch nahm der Kleine sie wieder mit vieler Fassung auf, steckte sie auf einen von seinen langen Aermen, nahm ihn auf die Schulter, und erreichte glücklich die Thüre. Der Große folgte ihm dicht auf dem Fuße.«
»Hier ereignete sich aber ein neues Unglück. Denn da in diesem Augenblick der Pfarrer seine Geisterbeschwörung anfieng, so konnten Beyde sich nicht enthalten, noch einmal zurückzusehen, und da der Kleine vorausgieng, so sties er, indem er sich schnell umdrehete, den Großen mit seiner Laterne so stark ins Gesicht, daß dieser sich einbildete, er habe den Schlag eines Geistes erhalten, und halbtodt zur Erde fiel. Don Romero erschrack über seine eigene Wirkung aufs heftigste, und behielt kaum noch Fassung genug, alles, was er in Händen hatte, von sich zu werfen, und mit der leichtfüßigsten Schnelligkeit über einige Gräber wegzuspringen. Die Hacken wurden ihm aber immer länger und länger, und endlich setzte er sich ohnmächtig auf einen Stein nieder, den Ausgang geduldig daselbst zu erwarten.«
»Der Marquis beschloß hierauf, dem Auftritte ein Ende zu machen; er gab den Bedienten das verabredete Zeichen; man versteckte die Maschienerie, so gut man konnte, ein jeder schlich sich leise aus der Kirche, und an der großen Thür fanden wir uns alle zusammen. Das erste war Don Joachim wieder zum Leben zu bringen, Don Romero fand sich auch wieder ein, wir zündeten unsere Lichter an, und nach einigem vorläufigen Räuspern und Gerede, traten wir so in die Kirche.«
»Noch immer predigte der Abt fort. Er hatte das Licht aus der Laterne geholt, neben sich auf der Kanzel angeklebt, und betete dabey andächtig den Exorzismen aus seinem Gebetbuche her. Der Marquis trat hierauf dicht an die Kanzel, und rief hinauf: »was dieser seltsame Auftritt bedeute, und ob er mondsüchtig sey?« aber es dauerte eine geraume Zeit, ehe er die Stimme seines Herrn erkannte. Er schlug die Augen mit dem sichtbarsten Erstaunen auf, und gab uns eine kurze Nachricht von seinen Verrichtungen. Nachdem der Marquis ihn gebeten hatte, nach Hause zu gehen, und sich schlafen zu legen, griffen wir den armen Chevalier an.«
»Hier war aber keine Spur des Lebens mehr. Weder Athem noch Puls. Schon bereuete der Marquis die ganze Geschichte, und glaubte, den Scherz zu weit getrieben zu haben, als er sich wieder etwas ermunterte. Aber er glaubte sich in den Händen von Geistern zu befinden, und schrie um Hülfe. Kaum konnten wir ihn überreden, daß wir es seyen, die gekommen wären, ihn aufzusuchen. Man mußte ihn nach Hause und ins Bette tragen. Er hatte die Sprache völlig verlohren. Als wir ihn aber am andern Morgen besuchten, befand er sich wieder ganz munter, und erzählte uns, er sey in der Kirche vor Mattigkeit eingeschlafen, und habe einen schweren Traum gehabt.« –
Hier schloß der Graf seine versprochene Geschichte; wir alle begleiteten sie mit lauten Ausbrüchen unseres Vergnügens, ob es gleich wenige unter uns gab, welche die Geschichte nicht wußten, und den Chevalier nicht genau gekannt hätten. Der Baron hatte itzt vor Beschämung die Sprache, wie in jener Nacht verloren, aber er war klug genug, seinen Zorn zurückzuhalten.
Was noch drolligter war, so befand sich der Don Romero L** mit in unserer Gesellschaft; ein Mann von anerkanntem Muth, großer Ehrlichkeit und Naivetät, der gar keinen Hehl aus seinen Fehlem machte, und nach dem Schlusse der Geschichte sogleich in die Worte ausbrach:
»Hohl mich der Henker, ich hatte eine höllische Furcht!«
»Sie waren also auch dabey?« rief man ihm lachend zu.
– »Ja, ja!« setzte er hinzu, »und der Baron dort, war auch nicht sehr weit.«
Das Gelächter vermehrte sich; aber der Baron fand es für gut, seines Grimmes Herr zu bleiben, nicht eine Sylbe weiter zu sagen, und auf eine bequemere Gelegenheit zu warten, an dem Grafen seine Beschämung zu rächen. Und diese hätte er, wie man sehen wird, beynahe noch denselben Abend gefunden.
So endigten sich indeß für itzt alle Belagerungs- und Eroberungsgeschichten. Man schwatzte noch eine kleine Weile vertraulich zusammen, und brach dann auf, wie es schien, ziemlich mit einander einig. Karoline gab dem Grafen die Hand, um sie in den Wagen zu heben, und dieser fuhr, wie es schien, ganz glücklich und zufrieden mit mir nach Hause.
Sonst war es seine Gewohnheit, noch ein Viertelstündchen mit mir in meinem Schlafzimmer zu plaudern, sich dabey auf das Sopha auszustrecken, und darüber auch wol einzuschlafen. Wenn ich mich niederlegen wollte, mußte ich ihn gewöhnlich vorher wecken, und heruntergehen heißen. Er hatte aber diesen Abend den Kopf von den vorgegangenen Begebenheiten so voll, daß er es vergaß, und sich sogleich in sein Zimmer begab. Und dies war die kleine Veranlassung zu einem der drolligsten Auftritte meines Lebens.
Um mich ganz verständlich zu machen, muß ich die Haupteinrichtung unseres Hauses vorausschicken. Den Erdgeschoß desselben bewohnte unsere Wirthin, eine Galanteriehändlerin; im ersten Stockwerke hatte der Graf seine Zimmer, und ich wohnte mit meinen Domestiken im zweyten. Jene, ein noch junges munteres Weib, welche ihre Profession vortrefflich verstand, und den kleinsten Vortheil derselben wohl zu nutzen wußte, vermiethete nicht nur ihre übrigen Zimmer des Erdgeschosses an hülfsbedürftige Damen zu kleinen geheimen Zusammenkünften, sondern ihre Menschenliebe erstreckte sich auch so weit auf sich selbst, daß sowohl immer einige artige junge Herren ihre Zimmer besetzten, als auch Tag und Nacht bey ihr freyen Zutritt hatten. Dem Grafen und mir gefiel diese Wirthschaft sehr übel, und wir hatten ausgemacht, in der nächsten Woche eine andere Wohnung zu nehmen.
Der Baron hatte uns ehedem zu Zeiten besucht, und ihm war unsere kleine Wirthin in die Augen gefallen. Er war aber der Mann nicht, der irgend eine Gelegenheit vorbeygehen ließ, den Damen etwas schönes zu sagen, und von ihnen etwas angenehmes dafür zu verlangen. Dieser war es aber eingekommen, mit ihren Gunstbezeugungen gegen den Baron zu rathe zu halten, und es giengen einige Wochen hin, ehe er mit allen seinen Stürmen einen Schritt weiter kam. Als er aber erfuhr, daß zwey Etagen in ihrem Hause ledig würden, bezahlte er die des Grafen auf der Stelle im Voraus, und setzte sich dafür in den Besitz des so lange verfolgten Glücks. Eben diese Nacht machte er ihr einen galanten Besuch, und sie waren beyde im Bette zusammen, als das Abentheuer vorfiel, das ich eben erzählen will.
Man wird sich erinnern, wie ich schon oben erzählt habe, daß der Graf bey der Zurückkunft aus der Gesellschaft, statt seiner Gewohnheit nach zu mir in mein Schlafzimmer zu kommen, sogleich in das seinige gieng. Nachdem er sich hatte auskleiden lassen, bemerkte er, daß es noch zu frühe sey, schlafen zu gehen; er warf sich daher auf sein Sopha hin, um über den Verlauf der Begebenheiten und seiner Geschichte mit dem Baron noch etwas nachzudenken. Sein Blut war in Wallung, und er quälte sich eine geraume Zeitlang mit allen übeln Folgen dieser letzteren. Die Ideenreihe führte ihn aber endlich wieder auf Karolinen zurück, er verfiel von einer angenehmen Träumerey auf die andere, und schlief endlich gar darüber ein.
Das Lager und die Stellung waren aber nicht die bequemsten. Er hatte kaum eine halbe Stunde geschlafen, als er auch wieder aufwachte, schlaftrunken in der Meinung, er habe seiner Gewohnheit nach, auf meinem Sopha gelegen, sein Licht ergriff, wie er es ziemlich heruntergebrannt sah, mich um Vergebung bat, mir eine gute Nacht wünschte, und ganz behutsam die Treppe hinunterstieg, um sein Bette zu suchen, ohne jemanden im Hause zu wecken.
Er kam so in das Schlafzimmer, wo die Galanteriehändlerin in den Armen des geliebten Barons ganz sanft eingeschlafen war, und wiewohl er einige Veränderung in dem Ameublement des Zimmers wahrnahm, so sah er doch sein Bette wieder, wunderte sich über seine große Schlaftrunkenheit, die ihn alle Gegenstände verkehrt ansehen machte, freute sich schon im Voraus über die angenehme Nacht, und fieng an sich auszukleiden. Er zog ganz leise die Vorhänge auseinander, und setzte, seiner Gewohnheit nach, einen Tisch mit dem Lichte an das Bette, um es auszulöschen, wenn er hineingestiegen seyn würde. Da aber einer des Barons Stiefeln unordentlich daselbst lag, so setzte er den Tisch mit einem Fuß auf denselben, das Licht glitschte auf der Bettseite herunter und fiel dem Baron brennend ins Gesicht.
Man kann sich vorstellen, mit welchem Geschrey dieser erwachte. Der Graf hatte es auffangen wollen, ehe es das Bette anzündete, und hatte bey dieser Gelegenheit schon die erfreuliche Entdeckung gemacht, daß sein Bette besetzt sey. Wie sehr vermehrte sich sein Erstaunen nicht, als diese weiße Nachtmütze in die Höhe sprang, und er den Baron darinn ganz deutlich erkannte. Er war heftig und leicht aufwallend. Seine Verwunderung gieng über diese neue Impertinenz auf der Stelle in Wuth über. Er fuhr ihn mit einigen Flüchen an, lief hierauf zu der Ecke, in der er seinen Degen hingestellt hatte, fand ihn nicht, suchte ihn allenthalben, und da dieser nirgends anzutreffen war, und er eine Glockenschnur wahrnahm, fieng er an seinen Leuten so heftig zu klingeln, daß sie zerriß. Denn, ohne den eigentlichen Grund dieses Vorfalls einsehen zu können, hatte er sich fest vorgenommen, ihn exemplarisch zu bestrafen.
Der Baron hatte indeß auch nicht versäumt, sich aus dem Bette zu machen; er war glücklicher als der Graf gewesen, und hatte seinen Degen gefunden. Er bildete sich ein, dieser sey auch hier sein Nebenbuhler, und hatte sich schon Glück zu einer schönen Gelegenheit gewünscht, ihn aus der Welt zu schaffen. Während daß seine schöne Hälfte daher im Bette aus voller Kehle um Hülfe schrie, gieng er im bloßen Hemde auf den armen Grafen los, der in der einen Hand noch immer seine Hose fest hielt, und in der andern den Stock des Barons hatte, womit er mühsam dessen Stöße parirte. Dies war aber ein gutes stark beschlagenes Rohr, und der Graf ein vortrefflicher Fechter. Er setzte sich daher bald in Positur, fiel, ohne daran zu denken, daß es nur ein Stock sey, offensive auf seinen Gegner los, wand ihm den Degen aus der Hand, und gab ihm in diesem Augenblick einen so schrecklichen Stoß auf den bloßen Leib, daß der Baron mit beyden Händen sich die Seite hielt, und aus voller Kehle zu schreyen anfieng.
Der Dame im Bette, welche noch nicht aufgehört hatte, gab dieser Ausgang frischen Athem. Sie glaubte zum wenigsten, eine oder die andere Rippe ihres Adonis müsse von diesem Stoße vollkommen zu Grunde gegangen seyn. Sie begleitete sein Gebrülle daher aus allen Kräften. Dies weckte nun alles, was das Klingeln des Grafen noch im Schlafe gelassen hatte. Nach und nach kamen eine Menge Menschen im bloßen Hemde zum Vorschein, die sehr geneigt schienen, der Frau vom Hause zu Hülfe zu kommen. Schon fiengen einige Bratspieße und Ofengabeln sich dem Grafen zu nähern an, als meinem Kutscher, der in der Nähe über seinen Pferden schlief, dieser Lerm endlich zu toll wurde. Ueberdem hörte er des Grafen und meine Bedienten auch unruhig werden. Er sprang daher auf, holte seine längste Peitsche hervor, und trat so in das Zimmer, wo er den Lerm hörte. Da er von einer riesenmäßigen Statur war, die seiner Stärke nichts nachgab, so sah er bald über die Köpfe der andern hinweg den Grafen in der äußersten Bedrängniß. Er holte daher aus allen Kräften aus, und hieb den nackten Figuren vor sich dermaßen um die bloßen Beine, daß der Streit im Momente sein Ende erreichte. Einige andere Streiche, und seine besten Flüche mit seiner Stimme vorgetragen, machten die Wirkung vollkommen. Ein jeder ließ seine Waffen fallen, und verbarg sich so gut er konnte.
Wie der Graf sich nun von seinem Gegner befreyt sah, so fieng er etwas an nachzudenken. Er sah nun, daß er sich gar nicht in seinem Zimmer befand. Die schreyende Dame im Bette, die er noch nicht recht erkannte, machte ihn noch aufmerksamer. Er gieng daher hin, sie herauszuziehen. Kaum stand sie aber im Hemde vor ihm, als er auch die ganze Begebenheit in der höchsten Klarheit erblickte. Da Mangel an Galanterie unter seine Fehler nicht gehört, so glaubte er sein Unrecht durch alle Versuche, die erzürnte und beschämte Schöne zu besänftigen, wieder gut machen zu müssen. Er sagte ihr daher eine Menge Schmeicheleyen und Artigkeiten vor, entschuldigte sich so gut er konnte, und da er einige nicht verächtliche Reize ganz entblößt vor sich erblickte, umarmte er sie endlich so gar.
In diesem Augenblick trat ich herein, mit dem Degen in der einen und einem Lichte in der andern Hand, und von allen Bedienten begleitet, welche auf die nemliche Art bewaffnet waren. Man hatte mich eiligst geweckt, so wie man den Grafen nicht in seinem Bette gefunden hatte. Einen drolligteren Auftritt hat man niemals gesehen. Zuerst begegnete ich einigen Ladendienern, die halbnackend im vollen Sprunge davon rannten. In der Thür traf ich meinen Kutscher, mit beyden Augen in das Zimmer hineinklotzend, und sich vor Lachen beyde Seiten haltend. In der Mitte des Zimmers den Baron in derselben Stellung, aber, wie es schien, aus der ganz entgegengesetzten Ursach: den Grafen im Hemde, endlich eine fast ganz nackende Dame liebkosend und zuletzt zärtlich umarmend. Diese letztere glühete zwar über und über, aber es war kein Zorn, das in ihren Augen brannte, sie überlief den schönen Bau des Grafen mit lüsternen Blicken, litt seine Küsse, und sah aus, als sey sie über nichts unzufrieden, als über die Menge der Zuschauer, und ihre unbequeme Stellung in der Nähe des Bettes. Wie sie mich nun gar an der Spitze der Bedienten erblickte, that sie den schamhaftesten Schrey, der nur in ihrer Kehle war, wand sich aus den Armen ihres neuen Liebhabers los, sprang ins Bette, und verhüllte sich in den Tüchern.
Mein erstes Geschäft war, dem armen Baron zu Hülfe zu kommen. Der Graf, der gar nicht zu lachen aufhören konnte, stand mir hierin getreulich bey, aber der Verwundete war so athemlos, daß er fast nicht sprechen konnte; er beklagte sich über grausame Schmerzen, und die verwundete Stelle war wirklich dick mit Blut unterlaufen. Ich schickte auf der Stelle zu einem Wundarzte, wir zogen ihn indes an, und da die Dame im Bette erklärte, sie könne ihn unmöglich in ihrem Zimmer leiden, so luden wir ihn in einen Wagen, begleiteten ihn selbst unter tausend Beyleidsbezeugungen nach Hause, und übergaben ihn den Händen seiner Bedienten.
Wir thaten hierauf zwar alles mögliche, diese Begebenheit nicht weiter bekannt werden zu lassen; dies war indeß vergebliche Mühe. Den folgenden Morgen war sie mit verschiedenen neuen Zusätzen das Mährchen des Tages. Wo wir hinkamen, erhielten wir Glückwünsche, und mußten sie von neuem mit allen Umständen erzählen. Und kaum konnte der Baron das Zimmer verlassen, als der Graf auch eine Ausfoderung erhielt, in der man ihm die Wahl der Waffen freystellte. Aus Großmuth wählte er aber Pistolen.
Zeit und Ort waren bestimmt. Es war, als ahndete den Grafen ein für ihn unglücklicher Ausgang; nachdem er eine Art von einem letzten Willen aufgesetzt, und mir übergeben hatte, nahm er, unter dem Vorwande einer kleinen Reise, von allen seinen Freunden einen zärtlichen Abschied. Auch Karoline ward nicht vergessen. Er bildete sich ein, niemand wisse etwas von der eigentlichen Beschaffenheit seiner vorgeblichen Reise, aber ob man ihm gleich nichts sagte, bemerkte ich doch eine große Rührung bey diesen Besuchen, welche allen in jedem Falle des Ausganges, die letzten zu seyn schienen. Karolinen wandelte eine kleine ohnmächtige Blässe an, wie sie vom Sopha aufstand, ihm ihre schöne Hand zum Abschiedskusse zu reichen. Meine aufsteigende Eifersucht bemerkte dies deutlich, und es entgieng ihr auch nicht im mindesten, wie es ebenfalls der Graf wahrnahm, und wie seine Rührung dadurch sehr merklich vergrößert wurde.
Früh Morgens ritten wir weg. Wir trafen schon den Baron am bestimmten Orte auf uns mit seinem Sekundanten wartend. Da beide keine großen Helden im Schießen waren, und einer von ihnen doch nothwendig bleiben sollte, so hatte ein jeder zwey Paar Pistolen mitgebracht, die von uns beyden Sekundanten geladen und hierauf ausgewechselt wurden. Die übrigen Ceremonien waren nur kurz, wir maßen die Schritte, und ein jeder nahm seine Distanz. Fünf Schüsse geschahen, ohne daß einer den andern verwundet hätte. Der Baron schoß so schlecht, daß er beynahe mich getroffen hätte, ob ich gleich wenigstens sechs Schritte vom Grafen entfernt stand. Ich rief ihm also beym sechsten zu: »er solle sich schämen, so sehr mit der Hand zu zittern.« Aber er war itzt glücklicher, und der Graf fiel zu Boden, indem er sagte: »er sey in die Seite getroffen.« Ich stürzte auf ihn zu, und das Blut quoll aus der Wunde. Auch der Baron eilte herbey. Der Graf reichte ihm sprachlos die Hand, und winkte ihm so schnell als nur möglich zu fliehen. Dieser schien in der That gerührt, umarmte ihn und mich, setzte sich nebst seinem Sekundanten zu Pferde, und sprengte davon. Wäre der Graf auf der Stelle geblieben, so hätte ich wahrscheinlich das noch übrige Paar Pistolen benutzt, und ich schmeichle mir, glücklicher als er gewesen zu seyn. So beschäftigte mich aber in diesem Augenblick die Rettung meines Freundes mehr, als Begierde ihn zu rächen.
Ich glaubte überhaupt nicht, daß die Wunde tödtlich seyn würde, da die Kugel nicht tief genug in die Seite eingedrungen zu seyn schien, um die Eingeweide sehr verletzt zu haben. Nur von der starken Verblutung fürchtete ich einige Gefahr. Nachdem ich und ein Bedienter, der mit uns war, alles, was wir von Leinwand an uns hatten, zu einem Verbande angewandt hatten, trugen wir ihn auf unsern Händen zu einem nahegelegenen Dorfe. Der herbeygerufene Wundarzt war meiner Meinung. Auch ward diese durch den Erfolg bestätigt. Denn einige Wochen des Betthütens und der Ruhe, heilten ihn gänzlich.
Ich konnte es nicht verhindern, daß der Streit und die Gefahr des Grafen bey unserer Zurückkunft in Paris unsern Freunden bekannt geworden wäre. Man sah es damals, daß wir wirklich deren viele herzliche hatten. Ein so ängstliches Bestreben, ihn zu sehen, und alles zu seiner Heilung zu thun. Besonders die Damen wollten unser Haus gar nicht verlassen, und als er sich merklich besserte, aber der Arzt ihm doch noch nicht erlauben wollte, viel zu sprechen und Gesellschaft zu suchen, fieng man bey mir über ihm mit voller Lustigkeit unsere kleinen Gelage wieder an, und tanzte ihm fleißig auf dem Kopfe herum. Auch Karoline fand sich unter dem Schutz eines alten Onkels bey uns ein, und sie schien mir gerade diejenige zu seyn, welche an des Grafen Besserung den lebhaftesten Antheil nähme.
Einst saßen wir mit stiller Freude beym Abendessen zusammen, der Graf hatte heute erklärt, morgen sein Zimmer zu verlassen, und wir schwatzten eben davon, was für Lustbarkeiten wir alle ihm zu Ehren anstellen wollten. Niemand war hierin erfinderischer als Karoline. Sie saß mir gegenüber, und ihr ganzes Gesicht nahm glühend an der stillen Freude ihres schuldlosen Herzens Theil. Ich war in ihren Reiz bewußtlos versenkt, und fühlte mein Herz harmonisch mit dem ihrigen schlagen. Ich empfand darinn eine geheime Wollust, mit etwas sehr bitterem vermischt. Wie leise nimmt der Sinn eines Liebhabers nicht wahr!
Plötzlich erblaßt sie; ihre großen, noch kurz vorher in einem feuchten Entzücken schwimmenden Augen, starren freudig erstaunt nach der Thür hinter mir hin; der Bissen entsinkt ihr, sie hält die Serviette vors Gesicht, und lehnt sich etwas auf dem Stuhle zurück. Eben will ich aufspringen und ihr zu Hülfe fliegen, als die andern Gesichter sich auch nach der Thüre zukehren. Man wirft die Stühle zurück, alles eilt dahin, ein verwirrtes Geschrey bricht auf allen Seiten aus, ich drehe bestürzt den Kopf um, ach! es ist der Graf, der in unsern Armen ist.
Er hatte seine Freunde überraschen wollen. Welch ein Fest für uns. Es ist ein verlohren gewesener, ein nun wiedergefundener Schatz. Man erschöpft sich in Liebkosungen, und verzweifelt doch noch, seiner Freude ein Genüge zu thun. Er erwiederte sie noch matt, und giebt ihnen, durch die sanfte Annahme derselben, ein noch stärkeres Feuer. Er wird in unsere Mitte gesetzt; man kann gar kein Polster finden, das weich, keinen Stuhl, der bequem genug wäre, den lieben zurückgekommenen Flüchtling festzuhalten. Ein jeder überläßt sich dem süßen Zuge seines Herzens. Er ist unser Monarch, den wir huldigen. Karoline setzt sich endlich mit einer reizenden Naivetät an seine Seite, um, wie sie sagte, seine Hauptpflege zu übernehmen. Er ist so empfindlich für ihre Güte; wie kann er aber Worte finden, sich auszudrücken? –
Scherz und Laune kehrten von diesem Augenblick zu uns zurück, in einem nie gefühlten Maaße, in einer verjüngten Stärke. Die Grazien sind nunmehr fessellos, und der Gott der Frölichkeit wird selbst bachantisch ausschweifend. Welche Fülle des Witzes überströmt die Unterhaltung. Man wird von Einfall zu Einfall gerissen, und man entdeckt in sich selbst neue Talente. Des Grafen Munterkeit ist nur sanft, und er lächelt noch, wo wir lachen. Karoline muntert ihn durch kleine halbversteckte, halbhervorstechende Liebkosungen auf, und die Wärme der Freundschaft lodert bald sichtbar in das Feuer der Liebe auf. Alles um ihn her giebt ihm Beyfall; ich allein, ich Unglücklicher! fühle mich im Augenblicke seiner Glückseligkeit von einem geheimen Brande verzehrt, den ich nicht verstehe, und den ich auch nicht verstehen mag.
Hier fängt der Zeitpunkt meines Lebens an, den ich mir am meisten vorzuwerfen habe, in den ich von einer glühenden Leidenschaft beherrscht alles vergesse, was mir ehedem theuer gewesen war, und was mir ewig wenigstens hätte unverletzlich seyn sollen. Und was für eine Leidenschaft? – Nicht eine erste Liebe, in der das entflammte Blut über alle anderen Vorurtheile und Begriffe hinwegwallt; – nicht eine Liebe, welche glücklich sich über alle Fesseln der Menschheit, selbst über ihre übrigen sanften Bande kühn erhebt – nein – eine Leidenschaft am Ende der ersten Blüthenzeit des Lebens, nach tausend kummervollen Erfahrungen, selbst nach einer Erschöpfung in und durch Liebe, unbeglückt, hoffnungsloß, durch Eifersucht angezündet, durch die Unmöglichkeit entflammt, und die heiligsten Pflichten bekämpfend. Welches Unglück, eine Zeitlang der Günstling des Genusses gewesen zu seyn! Nichts hatte mir bis hierher widerstanden. Hier ist endlich die Gränze meiner Kraft. Ich will sie weiter hinausdehnen, und komme in Gefahr, über ein eingebildetes Gut, das wahrste, einen Freund, zu verliehren.
Ich war der einzige, der die allgemeine Freude an jenem Abend nicht mit dem vollen Herzen theilte, das sich in die Handlungen aller übrigen ergoß. Ich trug das Lächeln auf den Lippen, aber den Tod im Herzen. Mein trähnenschweres Auge erkannte endlich gar nichts mehr. Jede schuldlose Miene auf Karolinens Gesicht nach dem Grafen hin, schnitt mir in der Brust, jede ihrer liebkosenden Bewegungen verkürzte mir den Athem. Ich lachte, um die herabrollenden Trähnen zu entschuldigen, und die sichtbaren Aufwallungen meines Busens für Beobachter sicher zu stellen.
Dem Grafen aber entgieng meine seltsame Veränderung nicht. Er nahm an dem allgemeinen Rausch noch einen zu schwachen Antheil, um nicht ein guter Beobachter zu seyn. Einmal über das andere reichte er mir seine Hand über der Tafel zu, um mich mit ihm zufrieden zu machen. Ich nahm sie an, ich hätte sie aber nicht drücken können, und wenn es mein Leben gegolten hätte. Meine Lustigkeit war zu gespannt, zu ausschweifend; ich wundere mich, daß nicht alle Welt sie bemerkte.
»Lieber Marquis,« sprach er, als wir wieder allein waren, »lieber Marquis, was fehlt Ihnen?«
Ich hatte mich in einen Winkel des Sophas hineingedrängt, wider meine Gewohnheit völlig verstummt, und kehrte mein trähnendes Auge vom Grafen weg, nach dem Fenster zu, in das eben der Mond bleich hereinschien. Ein Gedränge von trüben Szenen aus der Vergangenheit wallte vor meinen Augen gleichsam sichtbar vorüber, und ich wog traurig das Maas meiner Schmerzen gegen meine Freuden ab. Es ist der gegenwärtige Augenblick, der an allem zurücke scheint; was wir litten und genossen, was wir wünschen und fürchten, was wir hoffen und erwarten. Rosen sinken unter, wenn die Fluth zu heftig strömt, und die Kiesel werden aufgewühlt.
In diesem Momente war auch nicht eine einzige Freude in dem ganzen Laufe meines Lebens verwebt; und was hatte ich nicht erst von der Zukunft zu fürchten, nach diesem Anfang. Ohne mir es eigentlich bewußt zu seyn, woher dies alles komme, ohne die Quelle diesen bitteren Unmuthes im Sinne zu haben, wurde jede Erwartung davon angesteckt, und jede Hoffnung erstickt. Unter allen Lagen der Seele ist der Augenblick der verzweiflungsvollste, in dem eine heftige, fruchtlosbekämpfte, hoffnungslose Leidenschaft mit ihrer ersten, noch bewußtlosen Entwickelung die Seelenkräfte krampfhaft zusammenpreßt.
Ich hörte des Grafen Frage kaum, aber es entgieng mir nicht, wie er bedeutungsvoll den Kopf schüttelte.
»Sie hören nicht, lieber Karlos?« fieng er hierauf von neuem an, »ich fürchte, Sie sind sehr krank!«
»In der That,« antwortete ich ihm mechanisch, »ich glaube, daß Sie Recht haben; denn ich fühle hier so etwas,« indem ich mir die linke Seite hielt.
Der Graf lächelte bey dieser Bewegung, nahm eine lustige Laune an, und sagte: »desto schlimmer, Karlos, denn auf dieser Seite sind alle Schäden unheilbar.« Er erwartete, ich würde in seinen frölichen Scherz einstimmen, und so schon das halbe Geheimniß gewonnen zu haben. Aber ich war völlig verstummt und er lenkte wieder ein.
»Sagen Sie ums Himmelswillen, Marquis, was fehlt Ihnen. Ihr ganzes Wesen ist seit diesem Abend verändert. Glauben Sie, ich habe die Trähnen nicht bemerkt, die Sie lachend niederzuschlucken suchten; ich habe es nicht gefühlt, daß Sie mir die Hand nicht wiederdrückten, die ich Ihnen so oft, so herzlich und so freundschaftlich reichte? – – –
»O hören Sie auf, bester Graf, mir ist wirklich nicht wohl.« –
»Wirklich nicht? – Und diese Krankheit wandelt Sie in dem Augenblick an, in dem ich mich zum erstenmal gänzlich genesen fühle?«
»Bester, bester Graf, um Gotteswillen bitte ich Sie, werden Sie nicht bitter. Ich kann es nicht, ich kann es unmöglich heute ertragen.« –
»Bitter!« rief er mit einer Miene aus, die es noch zehnmal mehr war, »dann ist es heute freylich das erstemal, daß ich diesen Vorwurf von jemanden höre; so lange ich unglücklich war, bin ich es nicht gewesen; es liegt also in meiner Glückseligkeit. – Doch,« setzte er etwas besänftigt hinzu, »halten Sie mich in der That für einen so schlechten, oder so unaufmerksamen Beobachter, daß ich es nicht gesehen habe, auf wen Ihre meisten und auf wen Ihre brennendsten Blicke fielen.«
»Und auf wen?« –
»Meine Nachbarin hatte die ersten, für mich waren die zweiten. Die Trähnen in Ihren Augen löschten Ihre eifersüchtige Gluht nicht ganz aus.«
»Eifersüchtig? sagen Sie da; bey Gott, ich verstehe Sie nicht.« –
»O! wie ist doch Karlos so gänzlich, so gänzlich verändert! Ist das noch mein Karlos, den ich anbetete, in dem ich das Ideal meiner Gedanken gefunden zu haben glaubte, mein Schutzgott, der innigste Theilnehmer meiner Geheimnisse, der Theilnehmer meiner leisesten Gedanken, mein eigenes verschönertes Bild? Kaum kenne ich ihn mehr. Durch seine Hülfe verlasse ich ein gefahrvolles und beschwerliches Krankenbett, und er freuet sich nicht einmal über sein eigenes Werk.«
»Deine Vorwürfe treffen mich nicht, Ludwig. Beym ewigen Gott, nie hab ich Dich stärker geliebt, als in diesem unglücklichen Augenblick. Aber Du hast Recht. Ich bin sehr, sehr krank – und ich kenne mich nicht mehr.« –
Ein Strom von Trähnen machte meiner Erstickung hier auf einmal Luft. Ich weinte nicht, es war ein Krampf meiner brennenden Augen, und mit jedem Pulsschlag wurden jene heißer und glühender. Ein rascher Fieberfrost überlief mich an allen Gliedern, und diese geriethen in ein heftiges, unwiderstehliches Zittern. Niemals habe ich an mir wieder ähnliche Symptome bemerkt, als bey dieser Gelegenheit, wo alle Empfindungen, die zu keiner klaren Entwickelung gelangen konnten, aus dem verengten Herzen herausgepreßt, sich gleichsam in alle Theile des Körpers konvulsivisch vertheilten.
Der Graf sah allen diesen Bewegungen, die mich schauerweise ergriffen, und über die ich Herr zu werden, mich mit einer heftigen Anstrengung vergeblich bemühete, in einer halben Erstarrung zu. Ich wollte zu ihm reden, aber ich klapperte zu heftig mit den Zähnen, um mehr als gebrochene Worte hervorbringen zu können. Ich wollte ihm die Hand geben, aber ich verfehlte sie zu zitternd; ich wollte mich an seinen Busen werfen, und sank halbohnmächtig mit dem Kopfe auf das Sopha zurück.
»Welches unerklärbare Ereigniß!« rief er einmal über das andere aus. »Ich kann es mir unmöglich einbilden, daß Sie in der That körperlich krank sind, oder, lieber Marquis, wollen Sie, daß ich den Arzt rufen lasse?« –
Ich bat ihn in der Angst um ein wenig Wasser mit Wein, denn der Mund war mir würklich so trocken, daß ich die erstarrte Zunge nur mit Mühe bewegen konnte. Er gab es mir im Augenblick, und es erfrischte mich.
Er setzte sich hierauf schmeichelnd zu mir, um mir den kalten Schweiß, der in großen Tropfen von der Stirne herabströmte, mit dem Schnupftuche abzutrocknen. Unaufhörlich bat er mich. »Erhohle Dich nur erst wieder, lieber Karlos. Alles wird ja gut werden,« setzte er dann hinzu. »Du weißt es ja, wie wenig mein Leben mir gilt, wenn es für Dich nicht nützlich seyn kann, und sollte ich Dir nicht gern einen Theil von meiner Glückseligkeit gönnen?«
»Ach Ludwig,« rief ich mühsam aus; »lieber tausend: tausend Vorwürfe, ja eher den Tod, als diese himmlische Güte. Ich verdiene sie nicht.« Hiermit wollte ich mich verzweifelnd aus seinen Armen loswinden. Er hielt mich aber fest.
»Wenn Du diese Liebe, diese zärtliche Güte nicht verdienst, wer ist dann ihrer werth?«
»Sag, kann ich es glauben, daß Du einen Nebenbuhler nicht hassest?« –
»Einen Nebenbuhler! da ist endlich das unglückliche Geheimniß. Ja, Karlos, ich gestehe es Dir: Karoline wäre fähig, das Glück meines ganzen Lebens und mich das alles vergessen zu machen, was ich vorher eingebüßt habe. Meine Leidenschaft begann so früh als die Deinige. Sie ist in meiner Seele so heftig, so brennend als in dieser kranken Brust. Wir haben beyde ein gleiches Recht; und um Dir alles zu sagen, ich glaube, meine Hoffnung ist besser gegründet, als Deine« –
Ich fuhr hier unwillkührlich zusammen.
»Aber« – fuhr er nach einem tiefen Seufzer fort, – »fürchte nichts, mein Freund, heute Abend habe ich Dein Nebenbuhler zu seyn aufgehört. Eher will ich nie glücklich seyn, als es auf Kosten Deines Lebens und Deiner Ruhe zu werden. Hier ist meine Hand darauf; Karoline ist Dein. Ich lege alle meine Ansprüche auf ihr Herz nieder; Dein Geschäft sey nun, es für Dich zu gewinnen.«
Er drückte mir die Hand und umarmte mich. Wie hätte ich diesem Engel danken können, aber er war mit sich selbst und mit meinen Trähnen zufrieden. Jede edle That ruht in ihrem eigenen Schatten am sanftesten, und glücklichsten aus. – Accente reden stärker und ausdrucksvoller als Worte, und unter allen Sprachen ist die des Dankes am einsylbigsten.
Er verließ mich bald hierauf, und mit seiner gewöhnlichen Sanftheit. Sein Auge blickte zwar schwermüthiger, und seine Stirn war nicht wolkenleer, aber er drückte den Kummer über sein Opfer nieder, und schonte mein Gefühl. Aber ich – welche Nacht folgte diesem so schrecklichen Abend; mein Fieber war nach der Erklärung des Grafen noch gestiegen, und der Morgen kam unter meinen Phantasien heran.
»Das ist also der Nutzen Deiner Schicksale, Deiner Reisen, Deiner Beobachtungen und Entschlüsse, Karlos?« – sprach ich zu mir selbst – »an einer elenden Leidenschaft scheitern Deine feyerlichen Gelübde, scheitert Deine gerühmte Freundschaft? Mit welcher stillen und darum tausendmal mehr beschämenden Verachtung er von mir gieng! – Und hatte er Ursach dazu? Ist er nicht größer als ich?« –
»Und hörte ich es nicht, Karoline hätte das Glück seines Lebens gemacht; die langverlohrene Heiterkeit hätte in ihrem Arme ihn wiederbesucht. Niemals hat er das Glück der Liebe in seinem Umfange genossen, und ich raube es ihm hier am Eingange in ein neues Leben; ich Wüstling, ich verzogener Liebling der Liebe, und noch nahe am Grabe eines angebeteten Weibes. Karlos, Du wärest Deines Daseyns nicht werth, wenn Du dies Geschenk nicht wieder zurückgäbest.«
Es ist ganz unglaublich, welche unendliche Mühe ich anwenden mußte, um zu diesem Entschluß zu gelangen – zu einem Vorsatz, der doch zu natürlich war, als daß er mir ein Opfer hätte scheinen sollen. Ich fieng darüber ernstlicher nachzusinnen an. Niemals hatte ich bey mir eine solche Erscheinung gemerkt. Die erste Liebe setzt ein Blut in Erhitzung, das einen jugendlichen, vollen Körper belebt, und das aufwachende Feuer der kaum entwickelten Empfindungen reißt über die Schranken aller Menschlichkeit hin. Und doch hatte ich die Sinne niemals mit solcher Betäubung verlohren; selbst damals nicht, als ich Elmiren bey ihrer Laute fand, nach einem Herzen durstend, im vollen Gefühle meines Stolzes, im Bewußtseyn, nicht fruchtlos zu lieben; selbst damals nicht, als sie mir in die zitternden Arme sank, mein glückliches, mein beglückendes Weib, als sie mir alles, alles hingab, und als an ihrem Busen die Sinne zum erstenmal sich mit dem Herzen vermählten. Selbst bey Rosalien nicht, die mich den Rausch der Lust so rein ausschöpfen lehrte, war ich nicht durch diesen Durst verrückt; der Jahre Lauf hatte auch mein Blut gekühlt, und den größten Theil meiner Begierden hatte ich in Elmirens bescheidener Sanftheit, in den lieben Sorgen einer stillen, kummerfreyen, beständig gleichfließenden Häuslichkeit auf immer niedergelegt. Was war dies also, was mir die Sinne in diesem Augenblick raubte, was mich unempfindlich machte, gegen die Aufforderungen eines billigen, eines freundschaftlichen Herzens; was mir selbst noch in den Adern wühlte, als ich mich am Ziele meiner kühnsten Hoffnungen fand.
Unter diesen Träumen, die mit einer unbegreiflichen Hitze vor meinem Geiste vorübereilten, drängte sich die Vorstellung aller meiner seltsamen Schicksale in Spanien mit ein. Don Bernhard, immer unser Hausfreund, obgleich, seinem Charakter nach, seltener bey unseren Schmäusen, als wo er uns wahre Dienste zu leisten vermochte, hatte sich zufällig gerade diesen Abend unter uns befunden. Auch der Graf S–i war da, und beyde, von einer ungewöhnlichen Laune ergriffen, gaben ein und das andere Stück von unseren kleinen Gelagen in Toledo zum Besten. Dies alles wiederholte sich itzt in meiner Seele, ich erinnerte mich an alles einzelne, dann an die Trennung der Gesellschaft, an die Schicksaale jedes einzelnen, wie den einen eine Italienerin an sich zog und vollkommen fesselte; wie eine Erbschaft den andern abrief, wie der dritte auf einem Balle durch etwas in den Wein gemischtes – bey diesem Gedanken fuhr ich mit einem Schrey in die Höhe. Mein Gott! dachte ich, sollte mein heutiger so unnatürlicher Zustand nicht die Folge desselben Mittels seyn.
Ich sprang eilig aus dem Bette. Der Speisesaal war nur zwey Zimmer von mir entfernt. Ich warf ein Nachtkleid um, und eilte so leise, als ich nur konnte, hinein. Alles stand noch in seiner Verwirrung, denn die Bedienten waren gewohnt, wenn die Abendmalzeit zu lange gedauert hatte, erst am andern Morgen vor meinem Aufstehen das Geräth in Ordnung zu bringen. Der Morgen war schon ziemlich hell, und leicht konnte man alles unterscheiden.
Ich fieng von meinem Platze an, die Gläser zu untersuchen, indeß mit nicht sehr viel Hoffnung, weil man mir es eben so gut unter ein Gericht auf einem Teller gemischt haben konnte, welche die Bedienten unbemerkt hinter den Stühlen herumtrugen; ja es schien mir auch weit gewagter gewesen zu seyn, es mir im Wasser und Wein beygebracht haben zu wollen, ob ich gleich zerstreuet genug gewesen war, um ganze Wolken von Unreinigkeiten nicht zu bemerken. Auch fand sich in der That nirgends etwas, kein Glaß hatte einen Bodensatz, in keiner Flasche war etwas bemerklich, selbst das Bassin, in dem man die Gläser ausgespült hatte, war rein. Nur ein einziger Umstand fiel mir auf; nehmlich im Glase des Grafen, der nichts als Milch mit Wasser getrunken hatte, war mitten ein kleiner Band, der nicht von der Milch herzukommen schien, und wie ich mich weiter umsah, bemerkte ich noch ein Glaß in der Nähe, aus dem man Milch getrunken, und das ich an der Form bald für das Lieblingsglaß des Grafen erkannte, welches man ihm, wie ich mich erinnerte, sogleich gebracht hatte, als er sich an die Tafel niedersetzte. Ich konnte mich nicht besinnen, daß ein anderer von des Grafen Milch getrunken hätte, und da mir das ganze Bild des Abends noch vorschwebte, so sah ich auch den Grafen, der fast beständig in Gedanken mit dem Messer an seiner Flasche gespielt hatte. Dies alles machte mir es wahrscheinlich, daß man mein Glaß, welches man vielleicht in der Eile und unbemerkt nicht hatte reinigen können, mit Milch unverdächtiger hatte machen wollen, und dann an die Stelle des Grafen hinsetzte.
Meine Schlüsse, die ich hieraus zog, waren doppelt. Zuerst mußte der, welcher mit den Anstiftern alles dieses Unheiles in Verbindung stand, sich unter unseren Bedienten befinden. Und zweitens mußte er wenige oder gar keine Theilhaber an seinen Unternehmungen haben. Meine Bedienten waren aber fast diesen ganzen Abend wenig zum Vorschein gekommen, sondern wir waren von dem Augenblick an, daß der Graf hereintrat, und sich zu uns setzte, nur von den seinigen bedient. Außerdem waren mir zweye von ihnen seit geraumer Zeit schon verdächtig geworden; denn diese beyden Kerle waren von einer so entsetzlichen, widernatürlichen Stupidität, daß ich mich nicht enthalten konnte, sie angenommen zu glauben. Um indeß keinen Unschuldigen in Verdacht zu bringen, so beschloß ich diesen Vorfall mit meinen Muthmaßungen dem Grafen zu verschweigen, und nur meine Aufmerksamkeit zu verdoppeln.
Mein Blut wallte noch immer hitzig in meinen Adern, ich vermischte etwas Wein mit Limoniensaft und Wasser, und dies Getränk erfrischte mich außerordentlich. Ich schlief zwar nicht ein, aber ich befand mich am anderen Morgen doch ungleich besser.
Der Graf, der sehr frühe zu mir heraufkam, fand mich blaß und matt. Ich bat ihn den ganzen Auftritt des gestrigen Abends zu vergessen, denn, nach meinen Beobachtungen diese Nacht über, sey ich wirklich körperlich krank. Man ließ in größter Eil einen Arzt rufen; dieser schüttelte den Kopf, erklärte meinen Zustand für ein hitziges Fieber, das die größte Gefahr drohe, und ließ mir zur Ader. Um zehn stand ich frisch und munter auf, und fühlte keine Unbequemlichkeit mehr, als immer noch eine kleine fliegende Aufwallung bey einer grenzenlosen Mattigkeit.
Den Tag über befand ich mich mehrmals in großer Versuchung, mit dem Grafen über die Geschichte der verflossenen Nacht und über meine Vermuthungen zu reden. Selbst als ich den Wein bey Tische mit einer ungewohnten Sorgfalt ansah, und jede Schüssel untersuchte, und er mich lächelnd befragte, ob ich von ihm vergiftet zu werden befürchtete, hatte ich die beste Gelegenheit dazu. Aber selbst diese Frage verschloß mir den Mund. Seine außerordentliche Spannung und der noch nicht ganz entschiedene Kampf, mit seinem Herzen, gab allem, was er that und sagte, eine gewisse Bitterkeit, die durch allen guten Willen, freundlich und offen gegen mich zu scheinen, durchschimmerte. So ist das menschliche Herz. Ich sah ihn kummervoll ein schweres Opfer, wenn nicht bereuen, doch tief beseufzen. Eine Erklärung, die ihm hätte deutlich machen können, mein Herz habe an dieser Unordnung einen geringeren Antheil als ein verstimmter Körper, hätte ihn wieder beruhigen können. Aber seine stille Verschlossenheit in sich selbst, und die Besorgniß, wie er es aufnehmen möchte, drückte bey mir alle Aeußerungen zurück.
Ich that weiter nichts, als daß ich über mich selbst Beobachtungen anstellte. Je tiefer ich in die Geheimnisse meiner Empfindung eindrang, je kälter fand ich mein Herz gegen Karolinen gestimmt. Ich war so froh hierüber, und doch war ich so besorgt, es könne doch wohl seyn, daß ich sie liebe. Ich erhitzte mich immer mehr, indem ich mich abkühlen wollte, wie man um so stärker friert, je mehr man dem Frost widerstehen will.
»Ist es denn wol möglich, daß du Karolinen lieben kannst,« fragte ich mich heimlich. – »Kaum möglich, und doch fürchte ich, es sey in der That so. Sie hat zwar das nicht, was dich eigentlich fesselt; sie hat nicht Sanftheit, nicht Räsonnement genug, auch scheint sie mir zu vielen eigenen Willen zu haben, um großer Aufopferungen oder nur solcher fähig zu seyn, als ich verlange. Dies alles ist wahr; aber sie hat einen gewissen Geist der Gesellschaft, der hinreißt, und eine gewisse Anhänglichkeit, die, indem sie über alles andere nachläßig hinwegsieht, der Eigenliebe wünschenswerth ist, und den Eigenthümer höchst glücklich machen muß. Ist dies aber wol einen Freund, den du geprüft hast, ist es sein Glücke werth? – Mein Karlos, schäme dich vor dir selbst, bekämpfe eine unglückliche Leidenschaft, die man in dir selbst körperlich erhitzen will; – bekämpfe sie, um nicht das Spiel von anderen zu seyn; und erwirb dir wieder deine eigene Achtung, und die Achtung des Grafen und deiner Freunde.
Das Ende dieses Selbstgespräches war ein feyerliches Versprechen, das ich mir selbst that, Karolinen zu vermeiden, so viel es der Wohlstand nur immer erlauben wolle. Und heute schon wollte ich den Anfang machen. Wir waren zu einer Assamblee versprochen, in der wir Karolinen gewiß antreffen würden. Meine Unpäßlichkeit gab ja einen so glaublichen als natürlichen Vorwand her. Ich beschloß daher zu Hause zu bleiben.
Nur fehlte es für den Abend an einer Beschäftigung, die mich hinreichend fesseln und zerstreuen könnte. Ich gieng daher in das Kahinet, und suchte einige Bücher zusammen. Wenigstens ein halbes Dutzend trug ich auf das Sopha, ohne recht mit mir einig zu seyn, mit welchem ich wol am besten anfangen würde. Auch ward einige Musik für meine Flöte hervorgesucht, und ein Stuhl an das Fortepiano gerückt. Zuletzt zog ich ein Nachtkleid an, setzte eine große Nachtmütze auf, streckte mich auf das Sopha aus, indem ich mich recht laut beschäftigte, um nichts von einer Stimme in mir zu hören, und hatte mich so in die beste Verfassung gesetzt, den Abend mit mir allein, und recht, recht sehr vergnügt zuzubringen. Meine einzige Sorge war nur noch, wie ich es machen würde, um im Fall der Noth meinen Bedienten zu klingeln, ohne das vortreffliche Sopha, das mir so herrlich behagte, und meine bequeme Lage verlassen zu müssen. Indeß hoffte ich, einer oder der andere von ihnen würde Verstand genug haben, von selbst hieran zu denken.
Indem fuhr ein Wagen vor. Ich erschrak heftig. »Mein Gott, ich hoffe doch nicht, daß es eine Visite ist, die dich stören will.« Ich zog die Nachtmütze noch tiefer ins Gesicht, machte die Augen zu, und that, als schlief ich dicht und fest. »Wenn sie sehen,« dachte ich, »daß du gar nicht aufwachen willst, so werden sie schon von selbst wieder gehen.«
Nach einer Weile gieng die Thüre auch wirklich auf, und es trat etwas herein. Es kam selbst näher, wiewol sehr leise. Ich hielt eine kurze Beratschlagung, ob ich nicht die Augen ein ganz klein wenig öffnen sollte, um doch zu sehen, wer freundschaftlich genug wäre, mich aus diesem süßen und tiefen Schlummer wecken zu wollen. Ich schielte also ganz wenig unter der Mütze hervor, ob ich mich gleich nicht getrauete, Athem zu holen.
Es war der Graf, und – in Galauniform. – »Mein Gott! in Galauniform?« schrie ich, indem ich mit einer unbegreiflichen Schnelligkeit in die Höhe fuhr, und ihn mit starren Augen von oben bis unten ansah.
»Sie machen da schöne Streiche, Marquis;« sagte er ganz kalt. »Ich bildete mir wahrhaftig ein, Sie wären verschieden, und nun fahren Sie auf einmal in die Höhe und mir ins Gesicht!« Er schnallte sich hierauf ganz ruhig den Degen vollends um, den er in der Hand hielt, als er hereinkam, nahm den Huth ab, trat an den Spiegel, und verbesserte etwas an einer Locke.
Da ich endlich noch immer ganz bewegungslos nach ihm hinsah, und weder Hand noch Fuß rührte, so setzte er endlich den Huth wieder auf, drehte sich nach mir um, und schlug die Aerme nachläßig über einander.
»Sagen Sie mir nur, Marquis,« fieng er an, »ohne die Miene zu verändern, was Sie für eine Komedie da in ihrer grossen Schlafmütze spielen?«
»Eine Komedie?« – antwortete ich ganz verwundert. –
»Ich dächte doch, Ihr Verdauungsschlaf wäre nun lang genug gewesen, ob Sie gleich heute mit mehr Appetit gegessen haben, als ich Zeit meines Lebens bey einem einzigen Menschen gesehen habe.«
»Sie irren sich sehr, Herr Graf,« fieng ich ganz beleidigt an; »denn mir hat kein Bissen geschmeckt.« –
Ich hätte viel darum gegeben, daß er sich mit mir in einen Streit über diesen Punkt eingelassen hätte, denn ich würde ihm ganz klar bewiesen haben, daß ich niemals weniger als heute Appetit gehabt hätte. So drehete er sich aber, ohne zu antworten, nach dem Fenster zu, fieng an eine Arie zu brummen, schob das Glaß in die Höhe, that als wenn ihn auf der Straße etwas recht sehr beschäftigte, lachte einigemale laut auf, und fing dann endlich von aussen herein mit mir zu sprechen an.
»Wie lange wollen Sie denn Ihren Wagen an der Thüre halten lassen?«
»Meinen Wagen an der Thüre? – Ich verstehe Sie gar nicht. Haben Sie ihn denn anspannen lassen?« –
»Ja, und noch dazu Ihren Staatswagen. Haben Sie denn ganz und gar vergessen, daß ich heute König des Festes seyn werde, und daß der Minister von H* und der e–sche Gesandte auch mit von unserer Gesellschaft sind.«
»Ich bitte Sie, lieber Graf,« fieng ich wieder an. »sagen Sie mir nur, ob ich träume, denn ich versichere Ihnen, ich weiß von allen diesen Sachen auch nicht eine einzige Sylbe.« – In der That hatte ich auch zum wenigsten davon die Hälfte vergessen.
»Nun! hat man jemals so etwas gesehen?« antwortete er, indem er sich zu mir hereindrehete. »Alle Welt ist ja gestern Abend feyerlich eingeladen. – Aber, was Henker ist das? – Sie sind ja gar nicht angekleidet. Mein Gott, es ist die höchste Zeit, daß wir gehen. Man wird schon die Spieltische zurecht setzen, und Sie begreifen wohl, daß ich heute spielen werde.«
Ach! er wird spielen, klang es in meiner Seele wieder; wo waren in diesem Augenblick meine schönen Plane geblieben, den Abend in meinem Zimmer zuzubringen; ich sah nichts, als wie die ganze Gesellschaft vor meinen Augen herumtanzte, spielte und lachte.
»Nun dann werde ich mich wol anziehen lassen müssen,« antwortete ich mechanisch, schob Bücher und Musik von mir weg, nahm die Mütze ab, und klingelte dem Kammerdiener. Er kam, und ich eilte so sehr mit meinem Anzuge, daß ich nach einer Viertelstunde mit dem Grafen im Wagen saß.
Wir kamen in der That schon zu spät; die Spieltische waren schon angeordnet, und Karoline, die daran gezweifelt hatte, den Grafen vor tief in der Nacht zu sehen, war wieder weggefahren, um vor dem Abendessen noch einige Besuche zu machen. Der Graf aber drang durchaus darauf diesen Abend zu spielen, und man brachte mit grosser Noth noch eine Parthie für ihn zusammen. Kaum blieben einige alte unbeschäftigte Damen übrig, und da ich nicht die mindeste Lust hatte, an ihrer Konversation Theil zu nehmen, so schlich ich mich auf einen Balkon, der auf einen großen, mit einigen Bäumen bepflanzten Hof gieng. Der Abend kam heran, und ich versenkte mich so süß in meine Träumereyen. Die Töne in der Luft, das bedeutende Säuseln zwischen den Blättern wurden zu Gedanken in meiner Seele, und, indem ich mich eben recht in mich selbst zu vertiefen schien, trat meine Seele gemachsam zu den Gegenständen heraus.
Die Thüre hinter mir knarrte. Ich fuhr etwas zusammen und drehete mich schnell herum. Es war Karoline, welche in dieser Zeit wiedergekommen war, und welche das nemliche Bedürfniß der Unterhaltung auf den Balkon heraustrieb. Sie schien mich durch die Glaßscheiben nicht wahrgenommen zu haben; denn sie stutzte etwas, aber sie faßte sich schnell wieder, bot mir mit ihrer gewöhnlichen gutmüthigen Vertraulichkeit einen guten Abend, und erkundigte sich nach meiner Gesundheit. Ich fieng an zu zittern, und stammelte ihr die Antwort entgegen.
Sie fieng hierauf zu lachen an, und sagte: »Wahrhaftig, Marquis, ich glaube, Sie waren schon eingeschlafen; denn Sie kommen mir mit Ihren Phrasen ganz seltsam vor.« – Ich gestand es, ich habe zum wenigsten sehr viel und sehr lebhaft geträumt. Sie wollte wissen, von wem, und ich antwortete: »von ihr.«
Dies war die Veranlassung eines Gespräches, das ich mir gerade zu vermeiden vorgenommen hatte. Sie lehnte alles, was ich ihr sagte, mit der lustigsten Laune ab, und dies machte, daß ich ihr immer noch mehr sagte, was abzulehnen war. Kurz, wir wurden warm. Sie glühete über und über, ungeachtet ihrer Lustigkeit: sie fieng endlich von dem Grafen wiederhohlt an zu sprechen, bedauerte ihn mit der freymüthigsten Güte, klagte über seine stille Traurigkeit, über seine Blässe, und fragte mich gar, ob er etwa irgend einen geheimen Kummer habe, der ihn beunruhige. Es war als wähle sie recht eigentlich die Art des Gespräches und die Wendung der Worte, welche mein Blut am hitzigsten aufwallen machen konnte.
Wie es kühler ward, sagte sie, sie wolle nur ihre Enveloppe holen, und dann wieder herauskommen. Ich bot mich an, sie zu suchen, aber sie bestand darauf selbst zu gehen. Ich zählte alle Minuten, aber sie kam nicht wieder zurük. Nachdem ich eine gute Viertelstunde gewartet hatte, gieng ich hinein.
Sie hatte sich auf einem Stuhle neben dem Grafen niedergelassen, und sah ihm in die Karten, oder betrachtete vielmehr sein schönes Gesicht, auf dem die Traurigkeit sichtbar abgemalt stand, und das durch die zurückgebliebene kranke Blässe nur noch reizender wurde. Mir war er noch nie so bezaubernd vorgekommen, als an diesem Abend. Sein Mienenspiel stockte zwar zuweilen mit einer unbeschreibbaren Verlegenheit, aber die Güte seiner Seele erhielt sich in jedem Zuge unverstellt. Sein dunkles Auge, in seinem matten, schwimmenden Feuer wie verklärt, hatte eine rührende Bedeutung, und der blasse Schmelz seines Mundes glich einer jungen Rose, die erst ihre Farbe gewinnt.
Karoline war auch in ihn völlig vertieft. Sie sah um sich her nichts weiter als ihn; ihr Gesicht war der Spiegel des seinigen und jede Miene wiederholte sich in ihren Bewegungen. So wie mich der Graf ihm zur Seite wahrnahm, suchte er mich mit Karolinen ins Gespräch zu ziehen, die eben aufspringen wollte und ausrief: »Ach! da habe ich den Marquis vergessen, der draußen steht und auf mich wartet;« sie war sehr erfreuet, mich so nahe zu sehen, und setzte sich nun recht fest in ihrem Stuhl.
Von diesem Augenblicke begann indeß der Graf den Zerstreuten zu spielen, er antwortete auf ihre Fragen und Bemerkungen nur wenig oder gar nicht. Dieß verdroß am Ende Karolinen und machte ihr Langeweile. Sie stand mit der Erklärung auf: »das Spiel mache die Leute auf eine unbegreifliche Art unerträglich,« bot dem Grafen lachend eine gute Nacht, gieng auf die andere Seite des Zimmers zu, wo ein Flügel stand, setzte sich daran und begann zu spielen.
Aber nichts wollte ihr schmecken. Ich folgte ihr, wie ihr Schatten, ich ergriff eine Violine, um ihren Gesang zu begleiten; ich laß ihr einige von ihren sonstigen Lieblingsarien aus, aber heute war alles abscheulich und unerträglich. Sie gerieth in die finsterste Laune, legte sich endlich an ihrer Stuhllehne an, holte einen tiefen Seufzer und schloß die Augen.
Ich suchte alles Mögliche hervor, um sie nur einigermaßen zu beschäftigen, aber vergebens; sie war einsylbigt, und ward kälter von Moment zu Moment. Dies dauerte fort, bis man die Spieltische rückte, man setzte sie an der Abendtafel zwischen mir und dem Grafen, und bald stellte sich ihre alte Munterkeit ein.
Auf den Grafen wirkte dies aber alles nicht. Er wich nicht aus seinem Gleise, sie mochte noch so aufmerksam und zuvorkommend gegen ihn seyn, sie mochte noch so oft die abgerissene Unterhaltung mit ihm aus freyen Stücken wieder anknüpfen, sie mochte noch so artige Einfälle haben. Nichts verfieng. Alle Welt hieng wie bezaubert an ihren Lippen, nur er starrte trüb vor sich hin. Er hatte seinen Plan gemacht, und gieng nicht ein Haar breit von ihm ab. O, es war ein Starrkopf; Himmel und Hölle hätten ihn nicht bewegt.
Endlich wurde sie dieser Kälte überdrüßig. Aus einer Art von Rache wandte sie sich zu mir. Sie glaubte vielleicht da mit Eifersucht etwas wirken zu können, wo Liebe zu schwach gewesen war. Dies war aber hier ein Irrthum. Der Graf ward nicht nur nicht gesprächicher, sie fand mich auch nicht minder lakonisch. Ich fühlte es zu sehr, was es eigentlich bedeute, daß man sich an mich nunmehr wende, mein Stolz gab es nicht zu, ihre günstige Stimmung für mich gut zu benutzen, und meine Munterkeit nahm nicht davon zu. So endigte sich dieser Abend, auf dessen Freuden man so viele Zurüstungen gemacht hatte, ziemlich verdrießlich und langweilig.
Seit dieser Zeit sah ich Karolinen fast täglich; wenigstens lag es niemals an mir, wenn dies nicht geschah. Der Graf ward von Tage zu Tage trauriger, schloß sich häufig in sein Kabinet ein, und zog sich aus sehr vielen Gesellschaften früh zurück, oder blieb gänzlich weg. Man schrieb diese Liebe zur Einsamkeit noch einem Reste von Krankheit zu, ich bestätigte diese Entschuldigung. Es war in dieser traurigen Periode, als sey aller Edelmuth aus meinem Herzen entwichen; ich sah ihn mit einer Gleichgültigkeit gegen seine Leidenschaft kämpfen, die noch itzt, wenn ich daran denke, mein Blut glühend macht; er vergieng sichtbar vor meinen Augen, und ich hatte nicht einmal mehr für ihn Gefühl genug, um ihm etwas zu seinem Troste zu sagen. Kurz ich war so ganz, so durchaus verändert, daß es selbst allen meinen übrigen Freunden auffallen mußte.
Das Herz der Mädchen ist eitel, und keins, das nicht völlig voreingenommen war, hat noch jemals einer anhaltenden Beflissenheit widerstanden. Jetzt war ich mit Karolinen sehr oft allein, und die übrigen Nebenbuhler, welche ich hatte, waren eben nicht fürchterlich. Es kam mir in der That vor, als mache ich auf ihr Herz Eindruck, und als habe sie den eigensinnigen Grafen völlig vergessen. Mit welcher zügellosen Freude genoß ich nicht dieses kleinen, noch nicht einmal recht gewissen Glückes! Als ein kleiner Zufall auf einmal das ganze luftige Gebäude meiner Thorheit bis auf den Grund zerstörte.
Es war ein kleines ländliches Fest, das uns alle zusammen auf das Landgut eines unserer Freunde hinausführte. Das Jahr neigte sich schon merklich zu Ende, aber der Herbst war noch angenehm genug, um die Stadt eine Zeitlang vergessen zu machen. Ueberdem war es die Weinlese, die uns einladete, und dies ist die Zeit, wo in Frankreich die Freude sich am freyesten und reizendsten äußert.
Alle erforderlichen Anstalten waren auf dem Gute unseres Freundes getroffen, jeden Tag dieses allgemeinen Schwärmens recht feyerlich begehen zu machen. Ohne eine strenge Nachahmung des Rosenfestes von Salenzy haben zu wollen, hatte er die beyden tugendhaftesten Mädchen des Dorfes auswählen lassen; sie wurden öffentlich in der Kirche mit einem weissen Rosenkranze beschenkt, und reichlich ausgestattet. Diese beyden tugendhaftesten Mädchen waren zwar nicht zugleich auch die schönsten, aber sie nahmen diese Belohnung mit einer Feinheit und Grazie, und doch mit einer bescheidenen Unschuld an, die es jeden mit Ueberzeugung fühlen machte, die Wahl sey auf keine Unwürdige gefallen. Diese zauberische Verbindung des Anstandes mit Tugend trifft man überhaupt nirgends in diesem hohen Grade, als unter den französischen Bäuerinnen an.
Niemand konnte sich enthalten, alle seine Empfindungen unter diesem Trupp liebenswürdiger Bäuerinnen, welche uns die ganze Zeit unseres Aufenthalts über nicht aus den Augen ließen, sich gänzlich vergnügend zu fühlen. Bey mir hatten diese Beobachtungen einen großen Einfluß auf meine nachherigen Entschlüsse. Wir Männer waren alle mehr oder weniger große Sünder, und es that uns wohl, die Kocketterie und Kunst unserer Stadtdamen mit der empfindlichen und geraden Naivetät dieser unschuldigen Kinder zu vertauschen. Alles athmete daher Freude und frohe Gefälligkeit, und ohne einer Tugend unter ihnen näher zu treten, als es die Hochachtung gegen unseren Wirth erlaubt hätte, fanden wir doch kleine schuldlose Mittel aus, unsere glühende Laune und die Foderungen eines in Feuer gesetzten Bluts zu befriedigen. Tänze und Gesänge, Feyerlichkeiten und Prozessionen, Feuerwerke und Schmäuse, kleine Komedien und Wasserfahrten wechselten von Stunde zu Stunde, hatten immer etwas verschiedenes in ihrer Natur, und waren doch nur Theile eines angenehm geordneten Ganzen.
Selbst der Graf heiterte sich ein wenig auf, ohne doch an diesen Vergnügungen jemals seinen gewöhnlichen Antheil wieder nehmen zu können. Karoline schmollte noch immer etwas mit ihm, oder that wenigstens so, und da sie beständig eines Liebhabers, wie eines Schooßhundes bedurfte, so gewöhnte sie sich etwas an mich. Der Marquis mußte ihr endlich immer zur Seite sitzen, der Marquis trug ihr Handschuh und Fächer als ihr dienender Ritter nach, und wenn ich selbst in ihrer Nähe mit jemandem anders sprach, so fragte sie ganz naiv: »Wo mag der Marquis wohl seyn?«
Dies alles machte, daß ich mir in der That einbildete, sie liebe mich heimlich, ob sie gleich niemals leiden wollte, daß ich von Liebe mit ihr sprach. Sie spielte dann weder die Spröde noch die Zurückhaltende, aber sie sah wie eine beleidigte Frau aus, die ihren Gemahl zu verliehren im Begriff steht, und der man schon wieder von einer neuen Heyrath vorspricht. Der Graf bemerkte gar bald, daß sie mir ziemlich zugethan schien, und drückte mir oft verstohlen mit weggewandtem Gesichte die Hand. Mein stolzes Herz aber verfiel bald in einen Trotz auf ihre Gunst, der mir die ganze Lage der Sachen wider meinen Willen aufdeckte.
Einst lief sie ihrer Gewohnheit nach tändelnd mit mir im Garten umher, und trieb tausend kleine Possen. Sie war so ausschweifend lustig, als ich sie jemals gesehen hatte, und mich setzten ihre Liebkosungen in ein Feuer, dessen ich mich vorher kaum fähig hielt. Ueberdem war sie heute ausnehmend niedlich, und hatte sich sehr geschmackvoll angekleidet. Ihr feiner Körperbau, die Geschmeidigkeit und Biegsamkeit ihres Wuchses, ein vollkommen schönes lockigtes Haar, das ihr muthwillig Stirn und Busen beschattete, und endlich ihr freyer, hüpfender Gang machten sie zum Ideal einer Schäferin. Ich war trunken von ihren anspruchsfreyen Reizen, und ruhte in der üppigen Schelmerey ihrer Augen aus.
Endlich war sie mit ihren Kräften zu Ende. Eine große Rasenbank stand in der Nähe, ein Myrthengebüsch hieng darüber und hier wurde sich feyerlich niedergelassen. Man fand die Myrthenzweige gerade hoch genug, um einige abzureißen und mich damit zu werfen. Da sie mich auffoderte, wieder zu werfen, so laß ich einige auf, und hatte eben gerade zwey in der Hand, als sich ihr Gesicht von mir weg in die Allee kehrte. Ich drehete mich um. Es war der Graf, der heraufgeschlichen kam.
Er war allein, und in so tiefen Gedanken, daß er den Weg kaum bemerkte, den er zu uns herankam. Die Arme über einander geschlagen, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Augen halb geschlossen, schien er über eine Welt in seinem Busen die um sich her völlig vergessen zu haben. Er machte einigemal eine Bewegung, als spräche er mit jemand. Dann ließ er die eine Hand sinken, und fuhr mit der andern an die Stirne in die Höhe.
Karoline ward plötzlich ernsthaft. Ich wollte zu scherzen fortfahren, aber sie hörte nicht mehr. Sie antwortete auf alle meine Fragen nichts, als: »der arme Graf, was ihm doch fehlen mag!« – »Ja wohl, der arme Graf!« antwortete ich ihr in einem Ausbruche meiner Rührung – und einer ihrer Blicke dankte mir für meine Theilnahme.
Wie er näher kam, und uns nicht sah, rief ich ihn an. Er wachte etwas erschrocken auf; aber er war zu sehr Meister seines Gesichtes, um es nicht sogleich auf der Stelle wieder zu erheitern. Und wenn er aus Melancholie in Lustigkeit verfiel, so war es immer aus einem Extrem in das andere; er ward dann ausschweifend. Karoline wollte sich dazu nicht täuschen lassen, und behielt eine ernsthaftere Miene als ihr sonst gewöhnlich war, und dies reizte ihn noch mehr, sich zu ihrer Aufheiterung in Athem zu setzen. Ich stand ihm getreulich bey, und wie gar nichts verfangen wollte, wurden wir am Ende so ausgelassen, daß Karoline einigemal Miene machte, aufzustehen und uns allein zu lassen.
»Ha, ich merke, schöne Karoline,« fieng er hierauf an, »einer von uns ist Ihnen hier zuviel, und ich fürchte, daß ich dieser Eine bin.«
Ob er dies gleich mit lachendem Munde sagte, so antwortete Karoline doch weder mit einem Worte, noch mit einem Blick. Sie saß ganz ruhig im Winkel der Rasenbank, und zupfte ein Blatt auseinander.
»O nein,« sagte ich, »Graf, Sie irren sich, ich bin der, den Sie meinen.« – Ich sah sie spähend an, aber es erfolgte eben so wenig eine Antwort darauf.
»Das schließen Sie wol daraus,« erwiederte er, »daß sie so mißvergnügt geworden ist, seitdem ein unglücklicher Zufall mich ihre Unterhaltung hat stören machen?«
»Ich liebe nicht, mit Ihnen zu streiten. Lassen Sie uns einen Versuch machen. Diese spröde Göttin mag es selbst entscheiden. Knieen Sie mit mir nieder, und nehmen Sie diesen Myrthenzweig.« Er knieete lachend nieder und nahm das Reiß.
»Itzt nun, schöne Karoline,« fieng ich mit feyerlichem Tone wieder an, indem ich mich an sie wandte, »itzt ist die Reihe an Ihnen, zu wählen. Sie sehen zwey Liebhaber zu Ihren Füßen, die Sie mit gleicher Zärtlichkeit anbeten, die ihr Leben mit Freuden weggeben würden, das Ihrige zu retten, die es aber lieber anwenden wollen, das Ihrige glücklich zu machen. Beyde bieten Ihnen hier einen Myrthenzweig an, nehmen Sie dessen, den Sie dem andern vorziehen.«
Ich konnte mich nicht erwehren zu denken, daß es Grausamkeit sey, den armen Grafen so zu behandeln, aber die Gelegenheit schien diesen kleinen Triumph für mich ungezwungen mit sich zu bringen. Mein armer Nebenbuhler zitterte, und hatte bey diesem Eingang alle seine Fassung verlohren; ich aber lächelte meinem Siege sicher entgegen.
Aber Karoline, statt die Sache in halbem Scherze zu nehmen, wie ich vermuthet hatte, ward hierbey vollkommen ernsthaft; sie richtete sich mit einer Würde in die Höhe, welche uns erstaunen machte: aber kaum hatte sie uns beyde mit einem zweifelhaften Blicke überlaufen, als alle Fassung auch sie verließ. Röthe und Todtenblässe wechselten schnell in ihrem Gesichte, ihr Busen hob sich stärker, und ihr Athem ward lauter. Sie verbarg sich einigemal das Gesicht mit der Hand, und bewegte sich unruhig auf dem Rasen. Endlich, nach einigen Sekunden ward sie wieder über sich Herr. Sie warf einen unaussprechlich zärtlichen Blick auf den Grafen, welcher gleich einer Statüe auf sie hinstarrte, einen andern weniger bedeutungsvollen auf mich, ergriff dann mit Hastigkeit den Myrthenzweig meines Freundes, kehrte das Gesicht etwas weg, und sagte stammelnd: »Ich danke Ihnen, lieber Graf!«
Was bewunderungswürdig hierbey war, ist, daß ich die Sinne nicht auf der Stelle verlohr. Es war selbst, als hätte ich tausend Augen mehr bekommen, um nur alles, was nun erfolgte, recht genau und deutlich zu sehen; wie der Graf beynahe den Verstand einbüßte, wie er alles, alles, mich und die ganze Welt vergaß, wie er das zitternde Mädchen umschlang, sie an seinen Busen zog, wie sie zuerst seine Liebkosungen und Küsse duldete, und sie bald darauf erwiederte, wie Blicke und wollustschwere Seufzer wechselten, und sie die erröthende Gluht ihrer Liebe auf ihren Lippen vereinigten. Sie lagen sich schon im Arme, als ich noch immer bewußtlos vor ihnen kniete.
Zuletzt erinnerte sich meiner der Graf, und zog mich zu sich hinauf. »Meine Karoline,« sagte er zu seiner Geliebten, »gieb auch meinem besten Freunde einen Theil deines Herzens.« Mit diesen Worten drükte er mich an Karolinen an. Der Himmel war in seinem Blick, er glaubte alles wieder gewonnen, indem er Geliebte und Freund vereinigt an seinem Herzen fühlte.
»Ja Marquis,« antwortete mir Karoline, »hätte ich den Grafen nicht gekannt, so würde ich Sie geliebt haben. Seyn Sie mein Freund, so wie Sie es meinem Ludwig waren, und immer werden Sie ein Herz finden, freundschaftlich, theilnehmend und offen für Sie.«
Ich war in einer stumpfen Betäubung. Weder Antwort noch selbst eine stumme Bezeugung meines Danks war in meinem Vermögen. Ich legte meine trähnenden Augen auf die Hand, die sie mir gereicht hatte; ich fühlte sie heftiger brennen, als meine Stirne, und dies war alles, was ich fühlte. Mein Herz klopfte nicht mehr, und doch flog ein Fieberschauer, nach ihm eine zusammenziehende Hitze über mich her. Die Brust stieg mir schnell auf und nieder, und doch konnte ich sie durch keinen einzigen Seufzer erleichteren.
Der Graf umarmte mich, richtete mich auf und reichte mir seine Hand; »Du wirst es fühlen, Karlos,« setzte er hinzu, »daß meine Freude nicht ungemischt ist.«
Er hörte bald hierauf einige Stimmen in der Nähe. Karoline hob mich auf, und legte meine Hand unter ihren Arm, der Graf führte mich auf der andern Seite; beyde sprachen wenig, aber ihre liebevollen Blicke waren tröstend. Ich wußte aber nicht, daß sie mich führten.
*
»Sieh denn also hier das Ende deiner abentheuerlichen Unternehmung,« sprach ich zu mir selbst, als ich am Abend dieses Tages allein auf meinem Zimmer war. »Du mußt es gestehen, das Schicksal hat dich bestraft, so wie du es verdientest. Noch glücklich genug, daß diese Entscheidung, daß die Gewißheit des unglücklichen Erfolges deine Thorheit abgekühlt hat, und gesteh es auch nur – noch glücklich genug, daß du mehr Stolz hast, als von einer anderen Leidenschaft.«
In Wahrheit dieser war es, der mich damals noch rettete. Meine Leidenschaft war nicht stark genug, diesem widerstehen zu können. Niemals hatte ich ohne alle Hoffnung geliebt, und selbst Karoline hatte mir durch ihre schuldlosen Spielereyen eine Art von Aussicht eröffnet. Der erste Stoß war der so bittergekränkten Eigenliebe fürchterlich genug, aber sie erholte sich bald wieder und machte mich ruhig. Auch hätte ich blind seyn müssen, um des Grafen weit vorzüglichere Verdienste übersehen zu können, seinen bezaubernden Körperbau, seinen munteren, sich weit gleicheren Geist, sein freundliches, zuvorkommendes, zu allen Aufopferungen bereites Herz.
Aber das konnte niemand von mir verlangen, daß ich die Glückseligkeit der beyden Liebenden nun hätte ruhig mit ansehen sollen. Ich beschloß daher, die Zeit unseres ländlichen Aufenthalts geduldig noch auszuhalten, aber dann auch mich nach irgend einer anderen Weltgegend zu wenden. Ein Entschluß, dessen ersten Theil ich treulicher befolgte, als ich mir selbst zugetrauet hatte. Denn ich zwang mich zu einer so kalten Fassung, ich nahm zwar einen weniger lustigen, aber doch so ruhigen Antheil an allen Vergnügungen: ich täuschte mich selbst so sehr mit meinem Gleichmuthe, daß die Heiterkeit des Grafen, der meine völlige Heilung sehr nahe glaubte, sichtbar zunahm, und immer ungekünstelter ward.
Wie erstaunte er nicht, als ich einige Tage nach unserer Zurückkunft in Paris Abends in sein Zimmer trat, und ihm ankündigte, ich käme, um auf einige Zeit von ihm Abschied zu nehmen. Er konnte gar nicht vor Verwunderung wieder zu sich selbst kommen; aber ich sagte ihm, wie er nicht glauben müsse, mein Herz sey so heiter wie mein Gesicht; ich setzte ihm meine Beweggründe zu meiner Reise durch Frankreich, und vielleicht am Ende zu meinem kleinen Gute in der Provence so deutlich auseinander, daß er mir am Ende Beyfall gab, so sichtbar es auch war, daß er mich auch selbst auf eine kleine Zeitlang höchst ungern verlohr. Wir trösteten uns einander mit meiner baldigen Heilung, und der darauf schnell erfolgenden Zurückkunft. Ueberdem hatte ich einen so liebenswürdigen, süßen Reisegefährten zu meiner Ausflucht angeworben, als man nur immer antreffen konnte, – und dies war der Graf S–i, der sich fast in einer mit der meinigen ähnlichen Lage befand, und der herzlich über meinen Vorschlag erfreuet gewesen war. So umarmten wir uns denn Beyde, der Graf und ich, völlig mit einander wieder ausgesöhnt, mit gerührtem Herzen, mit trähnenden Augen. Er wollte noch diese Nacht mit mir zubringen, und uns dann am andern Morgen eine Strecke begleiten; da ich aber die Reise nur als eine kleine Lustfahrt angesehen wissen wollte, so bestand ich darauf, dem Abschiede so wenig Feyerlichkeit als nur möglich zu geben. Nachdem wir daher einen Briefwechsel abgeredet hatten, riß ich mich aus seinen Armen los, und brachte die Nacht allein auf meinem Zimmer mit meinen Gedanken und Anstalten zu.
»S–i und ich waren übereingekommen, uns die Reise durch gar zu viele Bequemlichkeiten nicht noch beschwerlicher zu machen. Wir hatten gute Pferde, wenig Gepäck, und jeder nur einen einzigen Bedienten. So ritten wir ganz frey in die Welt hinein, und hiengen nicht von den angenehmen Postmeistern ab, die in allen Welttheilen sich an Höflichkeit gleich sind. In den übrigen Punkten, wußte ich, würde es zwischen uns Beyden zu keinen großen Zwistigkeiten kommen, denn er war die Gutmüthigkeit selbst. So holte er mich frühmorgends ab; wir schwangen uns frisch auf die Pferde, der Graf, den der Lerm trotz unserer Vorsicht geweckt hatte, rief uns von seinem Balkon noch eine glückliche Reise herunter, und so verließen wir Paris mit ganz leichtem Herzen.
Unser Frohsinn nahm auch mit jeder Meile zu, die uns von diesem Sitze aller möglichen irrdischen Glückseligkeit entfernte. Wir wußten nichts hiervon, sondern waren nur mit dem hellen Himmel vor uns beschäftigt, mit unseren Planen alles recht genau zu beobachten, und recht tief zu genießen, mit den ziehenden Wolken, mit der gutmüthigen Munterkeit der armseligen Landleute. Berry lag vor uns, und hier hofften wir auch reichen Stoff zu Beobachtungen und zu Vergnügungen zu finden. Der Herbst neigte sich zwar schon zu Ende, und der Wind wehete schon stärker zwischen dem dürrewerdenden Laube; aber dies ist gerade die Jahreszeit, die zu einer gewissen Mattigkeit der Seele nach irgend einer Art von Erschöpfung am glücklichsten paßt.
S–i war überdem ein Mann, der den tiefsten Schmerz in eine stille Heiterkeit zu verwandeln vermocht hätte; eine solche mildernde Sanftheit beseelte jedes seiner kleinsten Worte, so innig nahm er an allem Theil, was das Herz auffoderte: so gänzlich vergaß er sich in dem, was um ihn geschah, so himmlisch rein und jungfräulich war seine geläuterte Einbildungskraft, seine blühende Stimmung, die jedem Gegenstande gleichsam von ihrer Morgenröthe mittheilte, sein geprüftes und doch weich gebliebenes Herz. Ja, er war zu gut, um nur eines einzigen Menschen Freund zu seyn, denn man hatte des Tages tausendmal Ursach, auf seine allgemeine, mehr als menschliche Güte eifersüchtig zu seyn.
So reißten wir eine Zeitlang fort, eilten, wo es uns gut dünkte, blieben, wo es uns gefiel. Mit dem Talente allenthalben eine Ursach zum Vergnügen zu finden; ein Talent, das S–i von der Natur, ich von meinen Schicksalen, von der Philosophie und der Nothwendigkeit erhalten hatte, fanden wir allenthalben unsere Leute, an jedem Ort eine freundliche Aufnahme. Nichts ist lächerlicher und allem Räsonnement mehr entgegen, als daß ein Reisender ohne alle andere Absicht als die der Erheiterung und der Belehrung, gleichsam nur auf einen einzelnen Stand reisen, und wie ein König angesehen seyn will. Ich habe sehr wenige von Herumstreifern, wie wir waren, gekannt, die von diesem Pomp nicht mehr oder weniger mit sich umher getragen hätten. Und gewiß es ist nur die große Kunst, seinen Stand völlig zu verleugnen, unter Bauern Bauer, unter Künstlern Künstler, unter Kaufleuten Kaufmann zu seyn, die aus dem Reisen eigentlichen Nutzen und wahres Vergnügen schöpft.
Niemals habe ich einen Menschen gekannt, der die verschiedenen Eigenschaften und Geschicklichkeiten, welche diese Kunst zusammensetzen, in einem weiteren Umfange besessen hätte, als S–i; sein Temperament, das nur Freundlichkeit und Zuthulichkeit athmete, näherte sich ohne Aufforderung jedem offenen Menschengesichte. Er redete die Sprache aller Stände; er kannte ihre Vorurtheile, ihre Lieblingsideen, ihren Ausdruck. Er ward alles, was ein jeder von ihnen wünschte, das er seyn möchte; und seiner Manier, welche nur allgemein verständliche Sprache, die des Herzens, sprach, widerstand auch kein Gemüth.
Mich hatte meine herumwandernde Lebensart und die häufige Veränderung meines Standes auch etwas Menschenkenntniß gelehrt; wenn ich mich aber neben ihm befand, so fühlte ich nur zu sehr, ich habe alle meine Aufmerksamkeit nöthig, nur nichts wieder zu verderben. Er drängte sich gleichsam wider Willen dem Menschen ins Herz, und es vergieng keine Viertelstunde, so war er der Abgott von Leuten, die ihn zum erstenmal sahen. Ehe unsere Pferde nicht gefuttert und getränkt waren, ehe wir nicht Mittagsbrod oder Abendbrod hatten, war keine Ruhe im Hause. Alles lief durch einander; sechs Füße waren in Bewegung, so bald sich einer von uns einen Wunsch merken ließ, man versammelte sich freundschaftlich um uns herum, man sprach frey und froh von allem, die schönsten Mädchen wurden uns zum Tanze ausgesucht, oder kamen unschuldig, sich selbst anzubieten; wo wir hintraten, war Freude und Liebe auf allen Gesichtern gemahlt, und mitten im Dampfe von mehreren Dutzend Tabakspfeifen, waren wir selbst von Herzen glücklich.
Blieben wir einen Tag in einem Orte, so ward uns zu Ehren gewöhnlich eine Art von Lustbarkeit angestellt: die beste Flasche Wein aus dem Keller hervorgesucht, die jungen Dirnen im Dorfe zusammengetrieben und diese armen Leute, denen es nur an einem Vorwande fehlte, lustig zu seyn, wurden durch unsere Theilnahme auf Stundenlang glücklich. Dafür verschmähete S–i auch weder ihre Gerichte, noch ihre Anerbietungen, noch ihre Vertraulichkeit; er aß und trank von jedem, was man ihm anbot, und mit jedem, der es ihm anbot; er tanzte mit den Häßlichen sowohl als mit den Schönen ohne Unterschied; er sprach und lachte mit jedem und über alles, was man nur wollte; oft setzte er sich am Ende des Festes hin, kratzte ihnen auf einer elenden Zither ein Liedgen vor, das er nach ihrem Geschmacke glaubte, oder erzählte ihnen von seinen Reisen. Es war dann um uns her so stille, daß man eine Feder hätte fallen hören, alles saß mit aufgesperrtem Munde, um keinen Ton zu verlieren, und man holte nur erst Athem nach dem Ende der Erzählung. Die Folge hiervon war: daß die Leute mit trähnenden Augen bey der Wegreise von uns schieden, oder auch wol mit aufgehobenen Händen eine Viertelmeile hinter uns herrannten.
In Blois führte uns der Zufall mit dem Herzog von B** zusammen, und wir waren Schuld daran, daß dieser stolze Britte, der alles mit seinem unermeßlichen Vermögen und seiner gränzenlosen Verschwendung ausrichten zu können glaubte, eine sehr niederschlagende Erfahrung machte. Weil wir früh am Tage ankamen, so beschlossen wir nach Tische vor dem Abendessen noch einen kleinen Spazierritt zu machen, und bey dieser Gelegenheit die Hauptstraßen, und die umliegenden Gegenden der Stadt in Augenschein zu nehmen. Kurz vor unserer Zurückkunft war der Herzog mit zween Wagen, zween Kammerdienern, sieben bis acht riesenmäßigen Bedienten und zweyen Reitpferden angekommen. Die Wirthin, die im Begriff stand, unsere Abendmahlzeit anzurichten, besann sich einen Augenblick lang, ob sie den Engländer mit seinem ganzen Prunk und allen seinen Guineen aufnehmen sollte; denn sie sah voraus, es würde ihr so viele Unruhe und Störung verursachen, daß sie unserer Gesellschaft, die sie recht zu genießen sich vorgesetzt hatte, gar nicht froh werden würde. Indeß, ohne ihr Feuer zu verlassen, gab sie dem Aufwärter die Schlüssel zu den Zimmern, und hieß ihn den Herzog hinaufführen. Der Pair, der gewohnt gewesen war, daß ihm in den Wirthshäusern alles entgegenstürzte, war sehr verwundert, sich durch den Hausknecht bekomplimentirt und weder Wirth noch Wirthin zum Vorschein kommen zu sehen, denn diese brachte eben einen Milchkreme in Ordnung, den der Graf S–i am Mittage für sein Lieblingsgericht erklärt hatte, und jener lief seit zweyen Stunden in der ganzen Stadt umher, um eine Flasche Vin de la Gote, nach dem eben der Graf S–i Lust bezeigt hatte, aufzutreiben.
Indeß nahm der Düc sein Zimmer in Besitz, und plötzlich erhob sich im Hofe unten ein gräßlicher Lerm. Unsere beyden Bedienten hatten nemlich ihre Pferde zur Tränke geritten, während daß wir auf den unsrigen die Stadt besahen. Unterdessen hatten die Bedienten des Herzogs für gut befunden, in unseren Stall, den sie für den besten des Hauses erkannten, ihre beyden Reitpferde einzuquartieren. Wie also jene wieder zurückkamen, fanden sie ihn zu ihrem Erstaunen mit neuen Einwohnern besetzt. Sie hatten aber nicht die mindeste Lust, sich verdrängen zu lassen. Alfonso stieg also ganz stillschweigends mit aller möglichen spanischen Grandezza ab, band die fremden Gäste wieder ab, führte sie zur Thüre hinaus, und seine beyden Rosse herein, in Gegenwart aller Bedienten, welche gar nicht vor Erstaunen zu sich selbst kommen konnten, die Pferde eines englischen Lords so behandelt und von einem paar solcher Klepper verdrängt zu sehen.
Bald aber fiengen sie mit einigen kräftigen Schwüren an, laut zu werden, und fragten Alfonson, wie er sich unterstehen könne, die Pferde des Lords B**, von ihrer Stelle zu rücken. Dieser gab keine andere Antwort, als daß er laut auflachte, die Thüre zuschloß, den Schlüssel in die Tasche steckte, und ganz kalt in das Haus gehen wollte. Die Engländer, als sie sich mit so vieler Verachtung behandelt sahen, geriethen in Wutli, und der Streit erhitzte sich so sehr, daß der Herzog, welcher die Stimme seiner Bedienten erkannte, an sein Schlafzimmerfenster trat, das in den Hof gieng.
Er legte sich mit der Nachtmütze hinaus, und rief ihnen zu: »warum man sich zanke?« Nachdem er die Ursach des Streites aus dem allgemeinen Geschrey mit genauer Noth herausgefunden hatte, befahl er Alfonson in einem etwas strengen Tone, den Schlüssel herauszugeben, und seine Pferde in einen andern Stall zu führen. Schon jauchzten die Bedienten; aber Alfonso setzte ihm mit aller möglichen Höflichkeit seine älteren Ansprüche auf den Stall auseinander, und versicherte, man würde ihm eher das Leben als den Schlüssel nehmen. Der Lord, über diese Kühnheit aufgebracht, befahl seinen Leuten, ihm denselben mit Gewalt zu nehmen, und im Augenblick fielen diese, welche nichts besseres wünschten, über den armen Alfonso her. Er hatte sieben starke Kerle gegen sich, und wußte kein anderes Mittel zur Rettung seines Schlüssels, als ihn in ein offenstehendes Fenster zu werfen, das in die Küche gieng, und an dem die Wirthin eben ihren Brey rührte.
Diese hatte schon dem Unfuge eine Weile zugesehen, und sich von Herzensgrunde darüber gefreuet, wie Alfonso diese unverschämten Engländer behandelte. Er hatte einen eben solchen Talismann, als S–i, sich alle Wirthinnen zu ergebenen Dienerinnen zu machen. Wie sie daher ihren Liebling in Gefahr sah, und der Schlüssel ins Fenster hereingeflogen kam, welches sie für eine Aufforderung, ihm zu Hülfe zu kommen, annahm, so ergriff sie eilig ihren größten Schaumlöffel, um der Unordnung auf einmal ein Ende zu machen. Sie hatte sich vorgenommen, dem dicken Kerle, der ihrem Alfonso am meisten zusetzte, eins damit auf den Kopf zu geben, als auch ihr Mann, mit der endlich gefundenen Weinflasche unterm Arm und im großem Jubel über seinen Fund, hereintrat. Dieser wurde in der Geschwindigkeit mit großem Geschrey von der ganzen Streitfrage benachrichtigt, und beyde eilten nun auf den Hof.
Da den Bedienten mehr um den Schlüssel als um Alfonson zu thun gewesen war, so hatten sie ihn schon wieder losgelassen, ohne ihn weiter etwas gethan zu haben, als daß sie ihm in der Hitze des Streites ein kleines Loch im Kopfe geschlagen hatten, worin man ohne Mühe einen Finger hätte verbergen können. Man kann sich das Geschrey der Wirthin vorstellen, als sie dies blutige Schauspiel erblickte. »Was werden die guten Herren sagen, wenn sie nach Hause kommen!« schrie sie einmal über das andere; »mein Gott! das wird ein erstaunliches Unglück geben!« – und als sich einer von den Bedienten neben ihr ins Haus drängen wollte, um den Schlüssel zu suchen, versetzte sie ihm mit ihrem Instrument im Eifer einen so derben Schlag ins Gesicht, daß der arme Mensch zwey Schritte zurücktaumelte.
In diesem Augenblick gebot der Herzog von oben herab Frieden. Obgleich Engländer, so war ihm doch kein überflüßiger Vorrath von Herzhaftigkeit zu Theil geworden, und da er durch den Ausruf der Wirthin belehrt worden war, daß Alfonso noch einen Herrn habe, woran er noch gar nicht gedacht hatte, so hielt er es für rathsam, weniger gewaltsam zu Werke zu gehen. Wie aber die Wirthin ihn erblickte, den sie als den Anstifter des ganzen Unwesens ansah, so war sie nicht mehr Herr über ihre Zunge. Sie hielt ihm daher über die Unverschämtheit seiner Leute eine solche Standrede, als dem Engländer vielleicht in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen war. Auch der Mann, der sonst eben nicht sonderlich mit ihr harmonirte, war doch in diesem Punkte mit ihr einig, daß der Stall für keinen Preis wegzugeben sey.
Diesen Ausdruck sah der Herzog, der sich nun einzubilden anfieng, die Ehre seiner Nation stehe darauf, diesen Stall zu haben, als eine Aufforderung an, einige Guineen zum Fenster heraus auf den Hof zu werfen. Diese etwas plumpe Wendung seiner Freygebigkeit brachte den Wirth nur noch mehr auf; er begnügte sich aber damit, sie kalt liegen zu lassen, und zur bequemeren Auseinandersetzung seiner Gedanken, immer noch mit der Weinflasche unter dem Arm und den Huth in der Hand, sich persönlich zum Herzog zu verfügen.
Dieser wurde durch den Widerstand, den er beym Wirthe antraf, ihm den Stall abzutreten, von Augenblick zu Augenblick feuriger, er bot ihm ein ansehnliches Geld: er drohete, ihn auf der Stelle zu verlassen; aber eins fruchtete nicht mehr als das andere, und da der Lord wußte, er werde vor dem andern Tage schwerlich Postpferde erhalten, und eben so schwer in der Stadt noch einen andern unbesetzten Gasthof antreffen, so ließ er sich endlich bereden, und die Pferde wurden in einen andern Schuppen gezogen.
Eben als der Wirth sich wieder empfehlen wollte, bemerkte der Pair unter seinem Arme die Weinflasche: er erkundigte sich nach dem Namen des Weins, und es traf sich unglücklicherweise, daß ihn Mylord mit seiner Liebhaberey eben so auszeichnete als S–i. Er fieng also von neuem zu bieten an, und der Wirth war eben so unbeweglich; ja, er war noch dazu so boshaft, ihm von der Köstlichkeit dieses Weins die ausschweifendsten Beschreibungen zu machen, welche sich aber sämmtlich mit dem Refrain schlossen, daß ihm diese Flasche für keinen Preis feil sey, und daß es ihm unendliche Mühe gekostet habe, sie ausfindig zu machen. Mylord fragte nach der Ursach dieses seltsamen Benehmens, und nun brach der Wirth, den seine Freundschaft für den Grafen schon beynahe das Herz abgedrückt hatte, in eine prächtige Aufzählung unserer beyderseitigen Verdienste aus, unter denen Muth und Bravour obenanstanden. »Ja,« schloß er, »diese beyden Herren reisen nur einfach und ohne großen Aufwand, aber ich will ein Dummkopf seyn, wenn es nicht ein paar fremde Fürsten sind, welche inkognito die Länder besehen.« Diese Worte machten auf den Herzog einigen Eindruck. Er fieng nun im Ernst an zu glauben, daß er mit seiner Hitze einen abgeschmackten Streich begangen habe, und fragte den Wirth mit etwas Verlegenheit, auf welche Art er wol glaube, daß man sich mit Alfonso abfinden könne. Der Wirth aber schüttelte den Kopf, und sagte, wie es schiene, daß dies schwerlich mit Gelde geschehen könne. Bey dem angestellten Versuche, bestätigte sich auch seine Vermuthung.
Kurz hierauf kamen wir an. Der Herzog lag oben im Fenster und schien sich über den königlichen Anstand des Grafen zu wundern, der gerade in einem Anfall von Lustigkeit sein Pferd etwas kourbettiren ließ, welches wunderschön war. Das edle Thier war ebenfalls durch die Bewegung in Laune gesetzt, und machte der Geschicklichkeit seines Reuters alle mögliche Ehre. Indem kam aber die Wirthin herausgerannt, die ihren Grafen in Gefahr glaubte, um dem Pferde in den Zügel zu fallen; eben so eilig kam hinterdrein Alfonso mit verbundenem Kopfe.
Wir stiegen ab, und da wir das Haus mit fremden Bedienten angefüllt sahen, vermutheten wir schon halb die Geschichte. Und wirklich fanden wir sie nach der Erzählung der Wirthin von einer solchen Beschaffenheit, daß wir es für eine Schuldigkeit hielten, Ihro Gnaden noch auf der Stelle einen Besuch abzustatten. Er empfieng uns mit einer unbeschreiblichen Verlegenheit, die er unter einem etwas brüsken Wesen verstecken wollte; meine Anrede war kurz, und ohne ihm unsere Namen zu sagen, noch nach seinem zu fragen, erkundigte ich mich, auf welche Art er meinen Bedienten für eine Beleidigung schadlos halten wolle, die er ganz allein veranlaßt habe. Er machte einige Umstände, aber am Ende erklärte er sich vernünftig, bat mich um Verzeihung, und wir schieden mit Höflichkeit von einander.
Aehnliche Fälle ereigneten sich oft; denn die Eigenliebe der Menschen ist immer größer als ihre Habsucht. Wir hatten Würde und Rang in Paris auf unsern Zimmern gelassen, und ohne den Anstand und das Feine im Betragen, das immer den Mann von Stande und von Erziehung bezeichnen muß, nur einen Augenblick zu verlassen, schmeichelten wir den Leidenschaften und Vorurtheilen von jedermann. Kleine Freunde sind so wenig zu verachten, als kleine Feinde, und oft erhielten wir die größten Dienstleistungen von Leuten, die uns im Anfange der kleinsten unfähig geschienen hatten. Allenthalben beeiferte man sich, uns so gut, als möglich zu bedienen, je weniger wir foderten, und je zufriedener wir mit dem schienen, was da war, desto mehr erschöpfte man sich an gutem Willen, und an allen möglichen Arten von zuvorkommender Gefälligkeit, und am Ende liefen unsere Zehrungskosten fast auf ein Nichts hinaus.
Wir hatten Chatres schon hinter uns, und eilten eines Abends auf ein Dorf zu, dessen zwar einsame aber romantische Lage uns wo nicht ein bequemes doch ein angenehmes Nachtquartier zu versprechen schien. So viel es möglich war, hatten wir immer die Gewohnheit, uns von der Landstraße zu entfernen; wo ein kleines Dorf in den Lüften hieng, oder in einem schmalen Thale wie von der übrigen Welt abgesondert schien, ermangelten wir nie unsern Stab hinzusetzen. Hier war gemeiniglich die Natur weit reiner, die Glückseligkeit kunstloser, der Menschenschlag schöner und herzlicher, die Aufnahme gefälliger, als in der Nachbarschaft der feineren Sitten.
Und warum reißten wir auch? – War es eine statistische Spekulation und die Berechnung der Mortalitätslisten, die uns umhertrieb? – Waren Kirchen und Thürme, Brücken und Gebäude, Spaziergänge, schöne Künste und schöne Welt der Zweck unserer Aufmerksamkeit? – Nein, gewiß nicht. Man muß, um dieses Ziel bey Reisen vor Augen zu behalten, nicht lange in Paris gewesen seyn, wo die Spekulation so sehr überfüllt, wo man von allen diesen Gegenständen, von der höchsten Kunst und der üppigsten Verfeinerung sowol des Physischen als Moralischen gleichsam so überströmt wird, daß man nach einem jährigen Aufenthalte daselbst fast nichts mehr empfindet, sich durch nichts mehr angezogen und gefesselt, und seine betäubten Sinne für diese Objekte auf eine lange Zeit völlig abgestumpft fühlt. Welche Freude ist es dann, sich aus diesem Getümmel kühn heraus zu winden, und in die Arme der reinen Natur sich zu werfen. Das war denn also unser Zweck, und das machte unser einziges Vergnügen aus. Der Besitz von vieler Menschenkenntniß macht unglücklich, aber ihr nicht zu kostbarer Erwerb macht immer zufrieden.
Jenes Dorf schien nur aus einigen Häusern zu bestehen und hatte sich so künstlich am schroffen Abhange eines Felsens angelehnt, daß es dicht über einem Abgrunde hieng. An beyden Seiten neigte sich der Berg, aber zu einer Ebene herab, welche über eine Menge kleiner fruchtbarer Hügel hinweglief in einem mannichfachen, frölichen Gemisch von Pflanzungen, Gartenstücken und Waldung. Es war als hätte sich die Kunst hier mit der Natur verabredet, die Farben gerade in den angenehmsten Abstufungen zu mischen, eine durch die andere zu erheben, jene durch diese zu mildern.
Des Reisenden Empfindungen hängen von nichts als von Kleinigkeiten ab. Nichts macht daher einen mehr mahlerischen Effekt, als der aufsteigende Rauch aus einem einsamen im Gebüsch versteckten Schornsteine. Hungrig, ermüdet, neugierig, mahlt man sich den Schauplatz, dem man sich nähert, nach der Stimmung seiner Einbildungskraft, besonders aber nach den Bedürfnissen des Augenblicks aus: man genießt alles schon im Voraus, man schaft sich die Menschengesichter, so wie man sie anzutreffen verlangt, die Umstände, unter denen man sich am bequemsten befinden würde. Nichts ist wahrer, als daß es nicht der Genuß ist, der uns beglückt, sondern die Annäherung desselben.
Es war Sonntag, und, ohne daß wir es wußten, gerade auch Festtag. Das Dorf war unter einem großen Nußbaum versammelt, und die Freude etwas rauschend. Man muß französische Bauern gesehen haben, um sich davon einige Vorstellungen machen zu können. Wenn Unterdrückung und Armuth einen Augenblick der Freyheit, Ruhe und des Ueberflusses wahrnimmt, so wird sie immer Ausgelassenheit, und das menschliche Herz, das weit leichter aus Ueberspannung in Ueberspannung verfällt, als sich zu einem Gleichgewicht abkühlen kann, verdirbt sich ohne Kummer einen großen Theil der Zukunft, indem es sich einem reissenden Strome der Gegenwart ohne Rückhalt überläßt.
Man tanzte und die Mädchen hatten sich mit Laube bekränzt. Einige Zweige setzten malerische Hütten zusammen, in denen man auf Bänken Erfrischungen nahm. Die Musik bestand aus einer einzigen Geige, einer provenzalischen Trommel und Pfeife, und einer Sister. Aber die Tänzerinnen hüpften ihren Reigen mit einer Schnelligkeit und Gewandheit, daß man über das Auge die Ohren vergaß. Wenn diese kleinen Bäuerinnen tanzen, so ist nicht ein Theil ihres Körpers, der an dem Schwunge und den Bewegungen nicht einen frischen Antheil nähme.
Wir flogen neben dem Tanzplatze vorbey, um nur erst schnell nach dem Wirthshause zu kommen, das am anderen Ende des Dorfes lag. Die Neugierde, uns vorüberschlüpfen zu sehen, machte Musik und Tanz einige Augenblicke lang stocken, dann fieng man aber wieder an mit einer Freyheit fortzutanzen, als sey man eben so unbeobachtet, als vorher. Unsere Ueberröcke waren schnell gewechselt, der Graf legte ein leichtes weißleinenes Nachtkleid an, ich setzte eine Schlafmütze auf, die ich mit einem himmelblauen Bande dekorirte, um sie etwas festlicher zu machen, und so schlichen wir gemachsam in unseren Pantoffeln dem Baume zu, von unserer Wirthin begleitet, die sich gar nicht an dem Anstande und der sanften Schönheit des Grafen satt sehen konnte.
In der That konnte ich mich unterweges nicht enthalten, dieselbe Bemerkung in meiner Seele zu wiederholen, die ich auf ihrer Stirne wie geschrieben laß. Er sah wie ein verkleideter König aus. Sein holdes, himmelblaues Auge glänzte in einer ruhigen Majestät, die kummerlos über gewöhnliche Leiden schwebt; sein Blick war der Ausdruck der sanftesten Menschenliebe, und seine Gesichtsfarbe, sonst etwas blaß, diesen Abend aber durch Bewegung und gute Laune mit dem schönsten Rosenschmelze belebt, und durch die braunen, in Unordnung gerathenen Haare zu einer unbeschreiblichen Delikatesse erhoben. – Und hierzu das Hohe und Edle seines Ganges und seiner ganzen Haltung; man hätte sich ohne Ueberspannung einbilden können, es sey ein Engel, der niedergestiegen wäre, um Menschen glücklich zu machen.
Kaum waren wir im Gesichte des Tanzplatzes, als wir auch unter ihnen eine kleine Bewegung verspürten. Man schien sich zu berathschlagen, wie man uns wol aufnehmen sollte. Aber wir traten so ungezwungen unter sie, als gehörten wir zur Gemeinde; grüßten sie alle freundlich zuerst, und schüttelten den nächsten die Hände. Dies brachte sie schnell aus ihrer Verlegenheit zurück, und als wir ihnen sagten, wir kämen an ihrer Freude einen herzlichen Antheil zu nehmen, brachen sie in ein lautes Jubelgeschrey aus. Wir wurden auf den schönsten Platz geführt, die Aeltesten brachten uns Wein, Feigen, Mandeln und Trauben; und Musik und Tanz begannen von neuem.
Als der Tanz wechselte, und wir uns hinreichend erfrischt hatten, trugen wir gar kein Bedenken, uns unter die Tänzer zu mischen. Der Graf suchte sich eine Dame, und ich hatte keine Mühe auch die meinige zu finden. Die Eitelkeit über diesen Vorzug setzte beyde schnell über die kleinen Bedenklichkeiten des Geschlechtes hinweg, und erröthend schlossen diese unschuldigen Kinder ihre Hände in die unsrigen. Das Schicksal hatte uns seltsam ersehen, dem Graf hatte es eine starke, große Brunette, und mir eine kleine schmachtende Blondine zugeführt. Jene war dem Charakter ihres Tänzers im Grunde viel zu feurig, diese dem des ihrigen zu weich; aber die Schönheit ihrer Körper, der einfache seelenvolle und schöngeschlungene Tanz, der ihre Reize in den leisesten Bewegungen entwickelte, machte uns bald den wechselseitigen Kontrast unserer Stimmung vergessen.
Annette, meines Freundes Tänzerin, hatte den schönsten Wuchs, den ich jemals gesehen habe, ein länglichtes, blasses Gesicht, eine feine aufgeworfene, etwas beschattete Oberlippe, ein rundes wollüstiges Kinn. Die schwarzen Augen sagten am ersten Abend nicht viel, oder wollten nicht viel sagen, denn nachher sah ich sie oft ziemlich viel sprechen. Sie spielte mit den Liebkosungen des armen Grafen, und dieser, der sonst nichts weniger als Strenge vertrug, hieng wie bezaubert an ihr fest. Im Anfang mochte es nur der Zweck seiner Belustigung seyn, welcher ihn so nachgiebig machte. Am Ende ward aber Ernst aus dem Spiele.
Luzie, meine Gebieterin und Annettens jüngere Schwester, war ihr völlig entgegengesetzt; ein kleines, zartes schmächtiges Wesen, mit feinen Gliedern und dem gelenkigsten Körperbau von der Welt. Ihr sanftes schwimmendes Auge von kastanienbraunen langen Augenwimpern beschattet, schien zwar nicht aller koketten Schelmerey ganz fremd zu seyn, aber es blickte mehr bescheidene Güte als Ueppigkeit. Es brannte ein Wunsch, ein heimliches Verlangen nach einem Etwas darin, das ihr vielleicht noch nicht selbst ganz verständlich war, oder das sie wenigstens noch niemals gefunden haben mochte. Ihr Busen sagte das nemliche; so wie die durchsichtige Schaamröthe auf ihrer Wange bey meinem verstohlenen Händedruck. Gewiß, ihr Gefühl war sehr tief, sie war nur stumm und verlegen über den Ausdruck. Sie war zu weich, und schien eben darum, weil sie zwar den Schein des Gegenwärtigen im Augenblick annahm, aber auch nur auf einen Augenblick fest hielt, nie einer höhern Kultur fähig zu seyn.
So verstrich uns der Abend. Nach der Sitte wechselten wir oft unsere Tänzerinnen und foderten andere auf, aber immer kamen wir wieder zu den ersten zurück. Des Grafen angenehme Unparteilichkeit hatte hier auf einmal ein Ende, und ich, wie durch eine unbekannte, mir selbst unbegreifliche Bezauberung gefesselt, trug kein Bedenken, seinem Beyspiel zu folgen. Wenn man lange nicht genossen hat, oder genossen zu haben glaubt, so erhält sich der erste Eindruck, der erste Geschmack selbst unter anderen starken, die ihm nachfolgen, immer lebhaft. Zwanzig Gesichter gab es unter diesen kleinen Bäuerinnen, die niedlicher und einladender als die der unsrigen waren, aber wir waren für ihre Artigkeiten nun auf einmal wie abgestorben. Man kann es nicht Liebe nennen, was uns ihnen näherte, es war eine seltsame Gattung eines Bedürfnisses.
Die Gestalt und die Manieren der Liebhaber flößten in der That den übrigen eine Eifersucht ein, welche mehr beleidigte Eitelkeit als einen Hang nach uns hin, zum Grund haben mochte. Das allgemeine Verständniß ward bald gestört; die begünstigten Schönen nahmen sich eine und die andere kleine Freyheit heraus, die anderen verhehlten hierüber ihren Unwillen gar nicht, und überdem waren wir unglücklicher Weise nicht die einzigen Liebhaber. Nur die Meynung von der Hoheit unseres muthmaßlichen Ranges, welche durch den Anstand des Grafen noch mehr befestigt wurde, hielt den Ausbruch dieses allgemeinen Mißvergnügens noch etwas zurück, aber es ward immer stiller und stiller um uns her: der allgemeine Rausch lößte sich auf, so wie von dem ganzen großen Haufen sich kleinere Theile immer mehr und mehr absonderten, die gleichgestimmten Gemüther sich in Truppen sammelten, und am Feste keinen Theil mehr nahmen. Auch unsere Damen fühlten dies, und wurden zurückhaltender, wir beyde allein waren noch übrig, es zu bemerken.
Endlich machte mich darauf Alfonso aufmerksam, der diese ganze Zeit über den Begebenheiten des Abends ruhig und ohne den mindesten Antheil daran zu nehmen, zugesehen hatte. Ich wiederholte dem Grafen leise seine Bemerkung, und nun war es, als würden auf einmal unserer aller Augen aufgethan. Wir erblickten uns beynahe neben unseren Schönen allein gelassen, und die übrigen Köpfe allenthalben truppweise zusammengesteckt. Aber anstatt uns diese Beobachtung ein wenig mehr Vorsicht lehren zu lassen, belustigten wir uns an der Eifersucht der Gesellschaft, vermehrten unsere Liebkosungen und Geflissenheiten und brachten es endlich dahin, daß die Liebhaber der Mädchen sich näherten, feuerroth im Gesicht, und mit einer so viel sagenden Miene, daß uns ein geheimer Instinkt uns etwas zurückzuziehen anrieth.
Zum Glück kam die Nacht heran. Die Familien brachen auf und giengen in ihre Häuser zurück, wahrscheinlich von dem Ausgange ihres Balles nicht sonderlich erbauet, am wenigsten aber wol von unserer Aufführung. Auch Annette und Luzie bezeugten Lust heim zu gehen, wir boten ihnen den Arm an, und begleiteten sie in Gesellschaft eines nicht ganz leisen Hussah, das uns aus dem Munde der zurückgebliebenen Leute nachfolgte, bis an ihre Hausthüre.
Es giebt Lagen des menschlichen Lebens, in denen man in der That wie behext ist. Alle diese, eben nicht sehr aufmunternden Folgen unseres Betragens, die kalten Höflichkeiten der alten Leute, die aufgeworfenen Lippen der Mädchen, die schielenden Blicke der jungen Leute, endlich die Sprödigkeit und Zurückhaltung unserer Schäferinnen selbst reichten nicht hin, unsere Thorheit uns einsehen zu machen. Auch Wirth und Wirthin, die uns vor einigen Stunden mit so großen Freudensbezeugungen aufnahmen und begleiteten, hatten eine ganz andere Miene, als wir wieder zurückkamen, und unsere Bedienten selbst schnitten hin und wieder kalte Grimassen, die eben keine Lobeserhebungen unserer Klugheit zu seyn schienen. Alles war überdem in einer Unordnung, an die wir gar nicht gewöhnt waren, und die uns auf unserer ganzen Reise hier zum erstenmal aufstieß. Die Pferde hatten schlechte Stallung und waren noch ungefüttert; keine Abendmalzeit war zu sehen, und nachdem wir endlich die Wirthsleute etwas in Bewegung gesetzt hatten, fiel sie so mager und elend aus, daß wir halb hungrig zu Bette giengen. Anstatt aber nach dem Grunde von allem diesen in uns selbst zu suchen, fiengen wir wie verabredet beyde an, über alles, was um uns war, böse zu werden, fluchten auf die Wirthin, droheten dem Wirthe, zankten mit unseren Bedienten, schlugen Hunde und Katzen und alles, was uns in den Weg kam, und nachdem wir einigemale sehr nahe dabey gewesen waren, selbst an einander zu gerathen, schlichen wir brummend in unser Zimmer.
Hier entstand ein neuer Lerm. Unglücklicher Weise war nur ein einziges Bett vorhanden. Sonst war es niemanden von uns eingefallen, hierüber unruhig zu werden; einer sah es immer als eine Gunstbezeugung des anderen an, wenn er ihm erlaubte, die Nacht auf dem Stuhle zuzubringen, in dem Fall das Bett für beyde zu eng war. Hier aber wollte nicht nur jeder im Bette schlafen, sondern niemand wollte auch hinten liegen, weil wir uns beyde einbildeten, der beste Platz sey vorne. Nach vielem Streiten gab am Ende der Graf als der Vernünftigste nach, breitete sich hinten an der Wand mit vollkommener Gemächlichkeit aus, und ließ mir nichts als ein sehr schmales Plätzchen übrig, das ich mit einem vollständigen Triumph im Herzen in Besitz nahm.
Beyde waren aber nicht in der besten Stimmung zu schlafen. Einer wälzte sich auf dem andern mit großen Seufzern herum, und dies fieng den andern von neuem in Bewegung zu setzen an. Hierzu kam noch eine unglaubliche Hitze, die uns unter der Decke verzehren zu wollen schien. Ich sprang daher auf, und begann im Hemde einen Spaziergang auf und ab. Dem Graf trieb das nemliche Bedürfniß heraus, er stellte sich aber am Fenster und eröffnete den einen Flügel desselben.
»Was Henker!« fieng er auf einmal an, indem er sich schnell zurückzog, – »sehen Sie ums Himmelswillen, G**, was sich für ein Trupp von Leuten an unserer Hausthür versammelt.« Ich eilte zu ihm hin, und fand in der That einige zwanzig junge Leute zusammenflüstern. Die Nacht war aber dunkel; mehr konnte man nicht wahrnehmen.
Wir fiengen hierauf an, zu vermuthen und zu rathen. Natürlich fielen wir darauf, dies könne mit den Begebenheiten des Tanzplatzes wol einen Zusammenhang haben. Ich begann heftig zu fluchen, und Graf S–i, der bald seine gute Laune auch in Widerwärtigkeiten wieder fand, zu lachen. Dies erhitzte mich noch mehr, und statt, daß diese Gleichgültigkeit mich hätte beruhigen sollen, fürchtete ich nun gar für uns. Daher suchte ich itzt unsere Pistolen hervor, sah nach dem Pulver in der Pfanne, spannte den Hahn, und nachdem ich so alles in der besten Bereitschaft gesetzt zu haben glaubte, wollte ich zur Thür hinausschlüpfen, auch unsere Leute zu wecken.
Aber S–i hielt mich lachend zurück. »Was erhitzen Sie sich doch,« sagte er, »ich wette mein Leben, alles ist auf einen erbärmlichen Spaß angesehen. Verderben Sie doch den armen Leuten diese Freude nicht, und belustigen Sie sich darüber wie ich.« –
Auch bewieß der Erfolg, daß seine Vermuthung gegründet sey. Denn nach wenigen Minuten erhob sich eine trefliche Nachtmusik unter dem Fenster, deren Harmonie uns sehr bald von ihrer Bedeutung belehrte. Wäre ich auch halb tod oder im Grimm halb erstickt gewesen; ich hätte mich doch unmöglich enthalten können, vor Lachen laut aufzuschreyen. Man kann es nicht eigentlich eine Symphonie nennen, aber es war gewiß, daß man allen Instrumenten gerade ihre scheußlichsten Töne entlehnt hatte, um eine Gattung von Chorus herauszubringen. So viel man herauszufinden vermochte, machten einige Kuhhörner den Grundtheil des Ganzen aus; man kann sich vorstellen, auf welche Art man sie bließ; hierzu kamen eine Geige mit einer einzigen Seite, auf die man aber durch schnelles Auf- und Niederfahren vollständig zu akkompagnieren versuchte, zwey oder drey Nachtwächterknarren, eine zersprungene Trompete, einige kleine Trommeln, in denen man eine Art von Querl zu bewegen schien, drey oder vier Glaßscheiben, an denen man mit Stücken Eisen hin und herschrammte, und es fehlte auch nicht an den kleinen französischen Buschpfeifen, mit denen man die Heerden zusammenruft, und in deren Nähe man sich immer in einiger Gefahr befindet, das Gehör auf Zeitlebens einzubüßen. Mehrere Instrumente waren mir nicht bekannt, oder ich konnte ihre eigentliche Natur und Beschaffenheit aus der ganzen Melodie nicht genau herausfinden. Das Ganze war aber vollkommen im Stande, Todte wieder zu erwecken, und mit zarten Nerven versehene Lebendige dem Grabe um einige Schritte näher zu bringen.
Wir belustigten uns daher eine Weile herrlich daran, endlich zog aber der Graf einen kleinen Taschenpuffer hervor, schrob ihn auf, nahm die Kugel heraus, und feuerte ihnen denselben über die Köpfe ab. Das Ding knallte stärker, als ich geglaubt hatte, und im Augenblicke verstummte auch erschrocken die ganze Musik. Die jungen Herrn, welche in der Freude über ihren Einfall sich es gar nicht hatten in den Sinn kommen lassen, daß er ernsthafte Folgen für sie haben könnte, fanden es nicht für gut, ihre Serenaden zu vollenden, und überließen uns schnell genug unseren eigenen Betrachtungen.
Der Graf lachte noch immer fort. Ich selbst fühlte von seiner lustigen Laune mich angesteckt. »Wenn wir doch diesen Kerlen,« rief er aus, »ihre kleinen Mädchen vor der Nase wegfischen könnten! Viel, viel wollte ich darum geben.« Ich war von Herzen seiner Meinung: »nichts könne köstlicher seyn.« Der Aerger über die Umstände hatte uns entzweyet; die Rache von eben denselben Umständen vereinte uns wieder. Wir sannen nach einigen Maaßregeln umher, und fanden bald einige.
Alles gelang im Anfang besser, als wir geglaubt hatten, so wie alles am Ende stärker mißlang, als wir uns einbildeten. Am darauf folgenden Abend war wieder Fest und Tanz. Den ganzen Tag schon bereiteten wir alle Welt auf unser Betragen vor. Wir waren sanftmüthig wie die Lämmer, wir waren die Güte, die Herablassung selbst. Man strich in dem Dorfe umher, man achtete der Mädchen gar nicht mehr, zum wenigsten konnte sich keine eines Vorzuges rühmen, man scherzte mit den jungen Bauern, man sprach ernsthaft mit den Alten, man sagte den Müttern Artigkeiten, und behandelte die Töchter mit einer kalten Höflichkeit. Nicht ein Kopf war in den Fenstern, der nicht freundlicher beym Abschiede als beym Gruße genickt hätte; nicht ein Fenster gab es, das sich nicht langsamer geschlossen hätte, als es sich öfnete; allenthalben ließen wir Zufriedenheit hinter uns, und wir selbst fanden alles verändert. Aber wir waren von Herzen erbittert, und athmeten nichts als unsere kleine Rache zu üben.
Auch am Abend war alles an uns von dem gestrigen verschwunden. Unserthalben mochte tanzen, wer und so viel er nur wollte, wir waren lahm und regten keinen Fuß. Mitten unter den Aeltsten saßen wir, und sprachen von der Weinlese; stritten, wohin die Wolken zögen, und woher der Wind käme; prophezeiten das Wetter und wollten errathen, was das Quaken der Frösche bedeute. Kein Zeichen von dem Betragen des gestrigen Abends, kein Wort von dem Abentheuer der letzten Nacht. Die Bauern vergaßen vor Erstaunen den Tabaksdampf von sich zu blasen. Alles strömte auf unsere Laube zu. Der Graf sank und spielte auf der Zither. Ich unterbrach ihn zuweilen mit Erzählungen von unseren Reisen. Der Tanz hörte auf und auch die Mädchen näherten sich. Wir kannten aber keine einzige mehr.
Man kann sich keinen Begriff von dem Erstaunen machen, mit dem Annette und Luzie unser Benehmen in Rücksicht ihrer erblickten. Sie hatten sich auf das beste geputzt, und man konnte es ihnen ansehen, daß sie einige Erwartungen gehabt hätten, worinn sie sich nun betrogen fänden. Die Große spielte die Gleichgültige, und schien sich heute an launigten Einfällen übertreffen zu wollen; der Kleinen aber war das Weinen nahe, und je mehr sich ihre Schwester beeiferte, alle Welt vor Lachen bersten zu machen, desto öfterer zog sie ihr Schnupftuch aus der Tasche. Wir waren lange nicht beschäftigt genug, um den kleinsten dieser Umstände unserer Aufmerksamkeit entwischen zu lassen, und unsere Blicke begegneten oft denen unserer beleidigten Schönen. Aber alles glitt von unseren gestählten Herzen ohne Wirkung ab, sie giengen für heute allein nach Haus, und wir kehrten dagegen fast mit der Begleitung des ganzen Dorfes heim, das uns halb schon anzubeten schien.
Kaum sahen wir uns auf unserm Zimmer allein, als wir auch in ein lautes Gelächter ausbrachen. Ein jeder wünschte dem andern zu seinem Talente für Verstellung, Betrügerey und Hofleben Glück, ein jeder wollte die Geliebte des andern schon völlig entflammt gesehen haben, und beyde glaubten von allem, was der andere sagte, nicht ein einziges Wort. Indeß das war gewiß, wir hatten heute, im Putz und schön frisirt, weit stärkern Eindruck gemacht, als gestern in Pantoffeln und der Nachtmütze. Der Graf war zwar in seiner Uniform nicht halb so niedlich, als in seinem weißleinenen Schlafkleide: aber die Knöpfe am Rocke waren gar zu blank, die goldenen Epaulets flimmerten gar zu sehr, und mancher Blick, den diese zuerst gefesselt hatten, verfieng sich nachher noch höher zur blühenden Gesundheit seiner Wangen und dem klaren Feuer seiner Augen. Liebe ohne irgend eine Art von Ehrgeiz ist überdem ein unnatürliches Ding, und nicht selten ist er der Vater von jener. Kann man gleich keine Ansprüche machen, so findet man doch leicht und mit Wollust einiges Recht dazu in sich. Und für die Einbildungskraft eines Weibes giebt es ohnehin gar keine Unmöglichkeit.
Am andern Morgen ließen wir in Gegenwart des Wirthes einige Worte fallen, wie glücklich man seyn müßte, seine Tage an einem so reizenden Orte und unter so guten Leuten beschließen zu können. Der Wirth nahm hierauf eine äußerst schlaue Miene an, und versicherte, uns, er sey mit dem Zustande unserer Herzen nicht so unbekannt als wir wol glaubten; wenn wir aber die beyden Dirnen, welche wir am ersten Abend so artig gefunden hatten, heyrathen wollten, so wolle er sein möglichstes thun, sie uns zu verschaffen. Sie wären die reichsten im Dorfe, und jede hätte einen großen Bauerhof. Ueberdem könnten wir immer die Sache schon als gewiß ansehen, denn er sey Onkel und Pathe, und gelte etwas in der Familie.
Ich antwortete ihm hierauf in meinem und des Grafen Namen, indem ich mich über seine Schlauigkeit sehr verwundert stellte; wie er den Zustand unserer Herzen vollkommen errathen habe, und daß wir uns sogleich an ihn wenden würden, sobald wir wahrnähmen, daß die Mädchen einige Zuneigung zu uns faßten. Für itzt wünschten wir aber nichts mehr, als einen kleinen Bauerhof auf eine Zeitlang zu pachten.
Glücklich genug hatten wir selbst unter zweyen die Wahl, und wir nahmen den, bey dem sich die wenigste Arbeit befand. Unsere Einrichtung war die eines Landhauses, das man einiger Umstände wegen beziehet und nicht sehr lange Zeit zu bewohnen gedenkt. Es war weder meine noch des Grafen Sache, sich in Anstrengung zu übernehmen, sondern wir kannten ein wenig den Genuß der Bequemlichkeit. Indeß mußte die Rolle eines Landmanns mit der möglichsten Vollkommenheit gespielt werden, und indem wir alle unsere Sinne anstrengten, ihr Ehre zu machen, geriethen wir wirklich in Gefahr, in unseren Sitten etwas zu verbauern. Ich weiß nicht, was S–i in diesem Punkte von mir gedacht haben mag, aber mir kam am Ende sein Betragen wirklich so vor. Er paßte sich leicht in eine Lage hinein, und ihr Charakter, den er selbst im Anfange ohne alle Mühe ergriff und sich zueignete, ward ihm eben so bald vollkommen natürlich. Er drückte gleichsam aus allen Auftritten und Zuständen des menschlichen Lebens den Saft heraus, und fand immer etwas angenehmes in seinem Genusse: kurz darauf gieng er zur Gewohnheit über, und verließ die Sitten endlich nicht eher, als bis sie ihn verließen, oder eine neue Lage es verlangte.
Ich hingegen faßte nicht so leicht und vollkommen den Geist eines Charakters. Meine Stimmung, die mich immer in die Vorzeit zurückführt, und mir den Geschmack des Augenblickes nur in so fern annehmlich macht, als er mit den aus ihr zurückgebliebenen, durch die Entfernung der Zeit immer verschönerten Einbildungen zusammenstimmt, findet allenthalben Langeweile. Durch wenig Neues mehr angezogen, gewinnt sie nur einigen Genuß durch das lange Studium eines Objekts, und findet sich ihm daher nur sehr langsam genähert. Im menschlichen Leben ist aber kein Augenblick dem andern gleich, Schicksale und Vorstellungen sind in einem ewigen Schwanken und Wechsel begriffen, und gewöhnlich der Moment, wo ich die Umstände etwas zu verstehen beginne, fängt eine ganz neue Existenz für mich an.
Daher spielte ich den Theil meiner Rolle um ein gutes Theil schlechter, als der Graf, dem es ganz bequem vorkam, unsere Schaafe selbst auf die Weide zu treiben; Blumen und Bänder an Hut und Busen zu pflanzen; im Schatten einer grossen Linde ausgestreckt frische Milch zu essen; auf der Flöte in einer zärtlichen Arie zu zerschmelzen, oder mit gen Himmel gerichteten Augen auf die schmachtendsten Lieder von der Welt zu denken. Das größte Unglück war nur, daß die Jahrszeit schon zu spät war; eine Blume war eine große Seltenheit: keine menschliche Seele hörte seine schönen Töne, und seine Verse, die auch schon nach dem Winter etwas schmeckten, mußten gewöhnlich des Abends nebst ihrem Verfasser erst an einem großen Küchenfeuer aufgethauet werden, um sie genießbar zu machen, und giengen für Welt und Unsterblichkeit völlig verlohren, indem sie niemand als ich zu hören bekam.
Ich hatte mich hingegen mit der innern Wirthschaft befaßt, gab auf das Haus Acht, und besorgte nebst den beyden Bedienten die Küche. Uns übrigen Dreyen schien es viel angenehmer zu seyn, ein gutes Stück Fleisch im Topfe und die Aussicht einer starken Malzeit zu haben, als den halben Tag auf Reime zum Lobe unserer sehr unschmackhaften Schönen zu sinnen. Wenn der Graf daher zurückgekommen war, und Gedanken und Worte erst wieder in einen gehörigen Fluß gebracht hatte, so fieng er von lauter Empfindsamkeit, den Grazien der Dichtkunst, dem himmlischen und unsterblichen Feuer der Liebe zu sprechen an: er hatte durch die Lektüre einiger deutscher Romane eine unglückliche mondsüchtige Falte in seinem Charakter bekommen, und nicht selten athmeten seine Phantasien mehr Grabesluft als Menschenverstand. Der Himmel weiß, wie es zugieng, ich bin aber niemals so materiell gestimmt gewesen, als damals. Ich hatte mehr Geduld als Theilnahme an allen diesen schönen Gefühlen. Wenn der Morgen heiter und rein war, so athmete ich mit nicht mehr und nicht weniger Empfindung, als ein Eichhörnchen seine beseelende Frischheit ein; schien der Mond, so konnte ich mich in der That eine halbe Stunde lang über sein sanftes Licht vom Herzen freuen, eine kleine süße Schwermuth wandelte mich dann auch wol an, aber ohne in Trähnen auszubrechen, ergriff ich bald Flinte oder Netz, und gieng noch spät in bezüglichem Schimmer einige Fische zu erhaschen, oder einen guten Vogel zu schießen.
Mein Herz schien nur, durch Arbeit beschäftigt und zerstreuet, durch keine Gelegenheit aufgefodert, und durch keinen weichen Müßiggang reizbarer gemacht, damals so gesund als mein Körper zu seyn; ich läugne zwar nicht, daß ich eine gewisse Dame aus der Hauptstadt von Frankreich bey meinen kleinen Beschäftigungen sehr oft zur Gesellschafterin hatte; aber sie war mehr frölich und aufmunternd, als traurig, und was noch das beste war, so kam sie immer noch in Begleitung eines Dritten. Ich dachte sehr wenig an Luzien und an ihre ganze Sippschaft; indeß nahm ich das Geschwätz des Grafen bey der Tafel als einen guten Nachtisch zur besseren Verdauung meiner Braten an, und dachte dann ganz ruhig bey mir selbst: »S–i ist doch ein großer Narr, sich so zu verlieben; indeß mag es ganz lustig seyn, das halbe Dorf zu betrügen!«
Um von unserm häuslichen auf unser gesellschaftliches Leben zu kommen, so verhielt sich dies folgendermaßen: An Werkeltagen arbeitete jedermann; denn das Dorf war arm, und ernährte sich nur durch ein wenig Ackerbau, Viehzucht, Weinbau, und durch Querl und Löffel machen. Aus Langeweile befließ ich mich etwas des letztem, und in kurzer Zeit machte ich hierin so beträchtliche Fortschritte, daß ich bald den Ruf erhielt, ich verfertigte im ganzen Dorfe die treflichsten Kellen. Die Korbmacherey hatte ich schon vor einiger Zeit in Deutschland gelernt, und übte sie hier ebenfalls mit großer Vollkommenheit aus. Sehr, sehr oft, wenn ich im Hofe saß, meine Weiden zwischen den Knieen, ward es heller in meiner Seele, als es darin jemals gewesen war: ich lachte der verflossenen Zeit freundlich nach, und fühlte es so tief, so tief: Nichts mache das menschliche Leben erträglich, als immerwährende Beschäftigung und Arbeit, die keiner Spekulation Raum gebe.
Diese Thätigkeitsliebe, die in meiner Natur liegend, mich oft im Laufe des Lebens zu abentheuerlichen Thorheiten verleitete, machte mich steifer und weniger gesellschaftlich, als den Grafen sein poetischer Müßiggang. Wenn er mit seinen Schaafen und Kühen aus seiner Schäferwelt wieder nach Hause kam, so brachte er gewöhnlich eine so klare Stimmung und schöne Einbildungskraft mit, daß er alle Welt für die Originale seiner Ideale ansah. Hatte er nun gar irgend einen schönen Vers zur Welt gebracht, seine Schäferin im Vorbeygehen gesprochen, und eine gute Nacht mit einer freundlichen Miene von ihr erhalten, so war ihm die Erde zu enge. Zuerst erstickte er mich mit seinen Schwärmereyen, und wenn ich ihm dagegen einen artigen Querl oder zierlichen Korb anprieß, der heute fertig geworden war, so lief er davon und im Dorfe herum, klopfte an alle Fenster, in denen er noch Licht erblickte, störte auch die Leute wol im Schlafe, schwatzte ein langes und breites mit ihnen, fand allenthalben gesunden Witz, großen Menschenverstand, Simplizität und Ehrlichkeit, beehrte endlich seine Geliebte mit einer Arie aus Heinrichs des Vierten oder Ludwigs des Eilften Zeiten, und machte ihr weiß, er habe sie im Augenblicke erst für sie ersonnen. Wenn ich mit Netz oder Flinte nach Hause gieng, so holte ich ihn entweder hier ab, oder erlößte ihn aus den Zähnen einiger Dorfhunde, die nicht im mindesten begreifen konnten, was er in den Gassen so spät noch zu thun habe.
In seiner Liebschaft machte er indeß trefliche Progressen: Annette hatte ihm schon gestanden, daß sie ihn liebe, und allen ihren übrigen Liebhabern weit vorziehe, und es kam nur auf die Kleinigkeit an, sie zu heyrathen, um auch das übrige von ihr zu erhalten. Dies war aber ein Punkt, worin der Graf so wenig als ich, die mindeste Spur von Weltbürgergeist besaß; denn er hatte den richtigen Grundsatz: daß, da man in der großen Welt, wenn man heyrathe, nicht dafür stehen könne, mit seiner Gemahlin glücklich zu seyn, man für seine Mühe etwas erhalten müsse, auch neben ihr zufrieden oder wenigstens ohne Vorwurf und unbeunruhigt leben zu können.
Hingegen meine Liebschaft gedieh eben nicht sonderlich, und dies mochte in der That wol meine eigene Schuld seyn. Denn wenn die feurigen Schönen viel Prätensionen zu machen scheinen, so fodern die Sanften in der That sehr viel. Sie vergessen kleine Nachläßigkeiten nicht leicht, tragen jeden Fehler lange herum, und sinnen bey sich zu Hause erst über das nach, was man im Augenblicke vergessen zu seyn glaubt. Eine sehr große Bequemlichkeitsliebe ist immer von jeher bey aller Unruhe meines Charakters ein Hauptzug desselben gewesen, und wenn sich mein Herz nicht von selbst in jene schmeichlerischen Geflissenheiten der Liebe ergoß, so war meine Galanterie gegen die Damen selten übermäßig groß.
Luzie hatte daher von meiner Liebe nicht vielen Vortheil. Gelegentlich bließ ich des Abends wol einmal auf der Flöte ein Liedgen unter ihrem Fenster, oder vielleicht tanzte ich des Sonntags mit ihr zweymal, wenn die andern nur einmal diese Ehre hatten; oder konnte ich ohne große Mühe ein Bouquet erhalten, so ward es ihr nebst einem himmelblauen Bande in einem Körbchen aus meiner Fabrike auf das zierlichste präsentirt. War sie allein und schien sie es zu wünschen, so sagte ich ihr in den galantesten Phrasen, sie sey schön wie ein Engel, ich betete sie an, und es hienge nur von ihr ab, sich von mir ewig lieben zu lassen. Wenn ich nun ganz und gar guter Laune war, so stahl ich ihr in aller Geschwindigkeit einen Kuß, und wenn sie böse ward, so ließ ich mich auch gar zu einem zweyten Diebstahl verleiten. Dies war aber auch alles. Weiter gieng mein verbauertes Phlegma nicht. Die Hitze des ersten Abends war mit dem Ständgen verflogen, und hätte ich nicht die Töpfe ans Feuer zu setzen gehabt, ich wäre vor Aerger über unsere ganze Thorheit umgekommen.
Also war es im Grunde nichts als Gefälligkeit für den Grafen, die mich hier geduldig bis zum Ende ausharren machte. Denn Liebe schien mir damals nichts als ein Geschäft für müßige Leute zu seyn. Die Arbeit, welche das Blut in einen frischeren Umlauf setzte, gab auch den Ideen einen rascheren und gesunderen Schwung, und die kleinen Uebertreibungen abgerechnet, die man niemals vermeidet, sobald man auf etwas Neues verfällt, kam ich in dieser Lage der wahren Philosophie des Lebens in der That um einige große Schritte näher.
Sehr schade, daß dies Vergnügen nicht lange mehr dauerte. Das Dorf war von der Landstraße zu weit entfernt, um von der Galanterie der Nation sehr viel zu kennen. Man verheyrathete sich hier zuerst, und fieng dann an sich zu lieben. Ueberdem hatten die Bedienten über unseren Stand nicht ganz reinen Mund gehalten, und wir hatten uns selbst am ersten Abend schon hinreichend verdächtig gemacht. Der Vater der Mädchen, dem seine Töchter herzlich zur Last waren, und der die alten Freyer derselben von uns verdrängt sah, wandte sich daher ganz frey an den Grafen, und fragte ihn, ob wir seine Dirnen heyrathen wollten, oder nicht. S–i suchte Ausflüchte, aber der Bauer erklärte ihm, er merke den Zweck seiner Löffeley; er kenne sehr wohl die Unmöglichkeit einer ernsthaften Verbindung zwischen ihnen, und ersuchte ihn zuletzt ganz artig, seine Schwelle nicht mehr zu betreten, noch sich unter den Fenstern wieder merken zu lassen, wenn er sich nicht unangenehmen Zufällen muthwillig aussetzen wollte.
Mein armer Freund war nun wirklich in Verzweiflung; ob er gleich nicht heyrathen wollte, so war er in seine unerbittliche Schöne doch darum um nichts weniger verliebt. Was für zärtliche Klagen bekamen nun nicht die Fluren zu hören und die Wiederhalle nachzurufen. Welche Ströme der schönsten Trähnen nicht die Sterne und der Mond zu beleuchten. Zum Glück war seine Wuth und sein Schmerz poetisch. Er irrte zwischen Klüften umher, vertiefte sich in die unwegsamsten Gebüsche, sah in die Wasserfälle, warf alle Bäche voll Blätter, und beschwor die eiskalten Herbstwinde, die nur völlige Abwesenheit alles Gefühles für eine Art von Zephyr halten konnte, dies alles seiner ungetreuen Phyllis zu sagen, die schon von selbst kalt genug war.
Mir war dies alles ganz recht. Wären nur die Mädchen etwas mehr auf unserer Seite gewesen, keine schönere Gelegenheit zu Abentheuern hätte erfunden werden können. Mein gesundes Blut sprach von nichts als von Mord und Todschlag, von Raub und Entführung. Der Widerstand machte mich unternehmend. Ich hätte beyde aus den Armen ihrer Familie reissen und zur Welt hinaustragen wollen. Aber so hatten die Mädchen weder Lust sich wegzureissen, noch sich wegtragen zu lassen. Am Ende lachte ich über mich und den Grafen, und beschloß an seiner Belehrung zu arbeiten.
Kein gutes Werk ist mir auch leichter geworden. Bald fieng er an sich über sich selbst lustig zu machen. Er stimmte in meine Mordlaune mit ein, und wir begannen die rasenden Liebhaber vor aller Welt Augen zu spielen. Kein Tag vergieng ohne ein Gezänk mit dem Vater, keine Nacht ohne eine Serenade für die Mädchen. Einigemale wurden wir sehr derb angegriffen, aber wir vertrieben Gewalt mit Gewalt. Das halbe Dorf gerieth in Gährung und zerfiel in Partheyen. Endlich kam eine Deputation aus der Gemeinde und ersuchte uns, unseren Stab weiter zu setzen. Wir wollten nichts mehr. Nach einer großmüthigen Bewilligung ihres Gesuchs brachten wir unsere Sachen in Ordnung, verkauften Kühe, Schaafe, Querle und Kellen, bezahlten den Miethzins, und zogen lachend und schäkernd durch das Dorf unsere Straße.
Ich will mich enthalten, über den Einfluß dieser kleinen Begebenheit, die im Grunde ein wahres Nichts war, auf meinen Charakter, Bemerkungen zu machen. Man wird ihn in der Folge in tausend kleinen Zügen bemerken. Die Hauptsache war, daß Karoline itzt ziemlich im Schatten stand. Eine Wankelmüthigkeit auch in diesem Punkte, in welchem Standhaftigkeit meinem Charakter bis hierher noch ziemliche Ehre gemacht hat: ein plötzliches Aufwachen und Aufwallen, schnell verschleichende Gefühle, gewagte Ahndungen, Spannung und Dumpfheit machten mich träumen, dann schnell nach Frieden und Glückseligkeit haschen, sie gefunden zu haben vermeynen, schnell sie wiederwegwerfen. Die Schwärmerey des frischerwachten Blutes war nun vorüber, und itzt trete ich daher in die Jahreszeit, wo ein unbefriedigter innerer Sinn, Trieb nach Thätigkeit und Größe zu schwärmen beginnt, und – endlich eben so kraftloß, so muthlos, so nichts sich wieder in sich selbst verbirgt.
Der muntere Zeitpunkt meines Lebens wird nun ernster und ernster. Die muthwilligen Scherze einer ausgelassenen Phantasie enden. Eine neue Liebe wird man entstehen sehen, groß und heilig, glühend aus sich selbst ohne Nahrung für die Sinne hinreissend entflammt, den ganzen Charakter zerschmelzend, niederdrückend seine Schatten, auffrischend seine Hellen, kunstlos und allmächtig. Der lasterhafte Geist einer verruchten Gesellschaft reinigt sich in ihrem Feuer. Und Augenblicke wird man erblicken, wo die Hülle der Sterblichkeit vor mir niedersinkt, und wo noch der Geist halb zerrüttet der Menschlichkeit sich entwindet.
*
Ich weiß es nicht, woher es kam, aber nach diesem Vorfalle fand ich meine Stimmung nie wieder so ganz wolkenleer, den Genuß nie wieder so sorgloß und unbekümmert, und die Freude so auf allen Wegen wie vorher. Ich verfiel in die Laune der ernsthaften Betrachtung, und ohne doch weder verdrießlich noch schwermüthig zu seyn, konnte ich mit aller Aufmerksamkeit, mit der ich unaufhörlich über mich wachte, niemals den frölichen Standpunkt wieder finden, den mich jenes Abentheuer mit seinem häuslichen Wesen, mit seiner nimmersatten Arbeitsliebe hatte verlassen machen. Gleichsam mußte ich mir stündlich einen neuen Stoß geben. Machte dies die Aehnlichkeit ernsthafter Begebenheiten untereinander, oder hatte sich indeß wirklich mein Geschmack, mein Begriff von Ruhe und Glück so gänzlich verändert.
Es bereitete mich gleichsam alles stufenweise auf den kommenden Zeitpunkt meiner Begebenheiten vor, alles versenkte seinen Schimmer sanft in einen ernsthaften aber einladenden Schatten, es war mir, als käme ich aus der heiteren Schwelgerey einer üppigen fruchtbaren Landschaft in die schwermüthige, süße Nacht eines blühenden Gebüsches. Die Auftritte der Freude, des Ganzen herzerfreuenden Ueberblicke trat nun, gleich dem leisen Gemurmel eines fernen Wasserfalles, das in erquickende Träume einschlummern macht, vor meine Seele. Ich genoß weder das Wesen noch das Aeusserliche der Begebenheiten selbst, aber ich genoß meine in ihnen erzogenen Vorstellungen.
Selbst der Graf war entweder von mir angesteckt, oder eine verschiedene Ursach hatte dieselbe Wirkung gehabt. Er sprach weniger und dachte oft ernsthafter nach. Sonst hatte er zuweilen, und immer sehr glücklich gewagt, itzt überlegte er bey allem, was er that, und immer war der Erfolg unglücklich. Natürlich fand er keinen Beruf, den Grund davon in sich selbst zu suchen, denn er traf ihn ohne alle Mühe in der veränderten Laune des Glückes an. Wo er sich nur auf einen Vorwand besinnen konnte, nicht allein es zu seyn, war er mißmüthig, und meine veränderte Miene kam ihm jedesmal auf halben Wege entgegen.
Gehen die Begebenheiten der Menschen in der That einer vorgezogenen Linie nach, oder reihet zuweilen auch der Zufall seltsam verbundene Umstände an einander? Natürlich gab es auch frohe Zwischenräume in unserer Seele. Hatten wir gut geschlafen, war der Morgen heiter und nicht zu kalt, fiel uns weder Schnee noch Wind beschwerlich, die immer milder wurden, je mehr wir dem südlichen Frankreich und dem Monat Februar uns näherten, so brachten wir in einer Stunde das völlig an guter Laune wieder ein, was wir seit mehreren Tagen vielleicht verabsäumt hatten. Der wichtigste Morgen meines Lebens war gerade der schönste, dessen ich seit undenklicher Zeit genossen zu haben mich erinnerte, und in der reinsten Ruhe des Gemüthes.
Wie ich schon bemerkt habe, so waren wir am Ende des Januars. Der Winter hatte, einige Wochen, Sturm und Regen abgerechnet, beynahe einem Frühling geglichen, und man schien sich dem Sommer zu nähern. Ueberall blüheten Mandelbäume, und die Gesträuche belaubten sich. Die Olivenwälder mit ihrem unvergänglichen Grün bekränzten allenthalben schon hervorsprossende Saaten, und schon sang die Lerche. Es liegt in dem wiederkehrenden Frühlinge eine eigene Wärme für Körper und Geist, in jedem Hauche der Luft athmet ein leises Leben, in dem heimlichsten Gemurmel im frischen Aether um uns her das Symbol der frohesten Auferstehung. Und wenn wir nun wieder zum erstenmal eine Blume erblicken, wenn der Sonnenstrahl durch die jungen Blätter schimmert, und auf dem Rasen der erste Schatten flattert – wer ist sich dann noch seines Herzens und seiner Sprache bewußt.
Ein verstohlenes Klopfen des Blutes in allen Adern, ein unverständlicher dumpfer Druck auf das arbeitende Herz, ein plötzliches Anhalten und Stocken des sanften Flusses meiner Gedanken störte an diesem himmlischen Morgen oft meine Ruhe. Es belebte sich alles um mich her, aber es waren dämmernde namenlose Wesen: die Töne des Waldes, das Wallen der Lichtstrahlen in den niedersinkenden Dünsten, flimmernde Tropfen, die von einem Blatte zum anderen sanken, der vorüberflüsternde Fluß der Frühlingswärme bildete in meiner Einbildungskraft ein lichtes Bild ohne Farbe, ohne deutlichen Umriß, ohne Mittelpunkt. Es war eine Ahndung, eine, wenn gleich unverständliche, doch sich aufdringende Bedeutung in allem diesem, und es lag in meiner Seele irgend eine dunkle Gewißheit, ohne daß ich mich an sie zu glauben getrauete.
Die schönste Landschaft lag vor uns, aber ihre Schönheit bestand mehr noch in einem geheimen Reize, den ihr meine Seele verstohlen und ohne es zu wissen mittheilte, als in der holden Mischung ihrer Theile. Rechts streckte ein schönes Landgut weite Gärten über das angrenzende Gebirge hinweg, ein sanftes Gemälde von Baumgruppen und kleinen Landhäusern zog sich an dem Abhange weg, und verlief sich endlich leise ins Thal. Ein rosenrother Morgennebel mischte sich noch mit dem bläulichen Kolorite des Hintergrundes, und wir entdeckten nur durch die einzelnen Risse oder Schwächen desselben, hin und wieder ein halbes Dorf, den untersten Theil eines Felsen oder Bäume, mit ihren Wipfeln auf dem Duftmeere schwimmend. Das Schloß, dessen Anlagen wir auch nur theilweis erblickten, war uns sehr nahe, und die Morgensonne spiegelte sich in seinen vergoldeten Fenstern. Es war mit seinen hellgrünen Bäumen feenhaft wie auf den neblichten Hintergrund aufgeheftet.
Endlich langten wir an der Parkseite an. Ich weiß nicht mehr, welcher von unsern Bedienten, Alfonso oder der des Grafen, fieng uns die Nachrichten von dem Besitzer dieses Dorfes, die er im letzten Nachtquartier eingezogen hatte, zu wiederholen an. Es war ein aus der Welt durch Unfälle vertriebener Menschenfeind, der hier wohnte, und hier eine wunderschöne Tochter erzog. Adelheid, Baronesse von V–l, machte die Zierde und die Bewunderung der ganzen Provinz. Aber sie lebte eingezogen, hielt mit niemandem Umgang, wenige hatten sie gesehen, noch wenigere hatten sie jemals gesprochen.
Dies alles setzte mich in eine seltsame Wallung. »V–l,« rief ich aus, »hast Du auch recht gehört?« fragte ich den Bedienten.
»Ich kann mich nicht irren, gnädiger Herr,« antwortete er.
– »Aber, mein Gott, der Name ist mir sehr bekannt; sollte es der Vater des V–l seyn, der« – Bey diesen Worten fiel mir Alfonso ein, und sagte: »Don Karlos, hieß der junge Mensch nicht V–l, dem Sie in G** das Leben retteten?«
– »Ja wol, hieß er so; das war es eben, was ich dachte. Und ich besinne mich, oft hat er mir von seinem Vater und seiner Schwester erzählt, und gewiß, er war in dieser Provinz zu Hause.« –
In diesem Augenblick freuete ich mich meiner guten That. Als ich in G** war, fiel dieser V–l in den Strom, er konnte nicht schwimmen, und war dem Tode nahe; ich war Schwimmer, sprang ihm auf der Stelle nach, und hatte das Glück ihn zu erhalten. Man sieht, es war kein Heldenstück, ich hatte es lange vergessen, aber es freuete mich itzt.
Und von diesem Augenblick an nahm ich auch einen unendlich warmen Antheil an allem, was ich sah. Die Mauer war niedrig, und ich konnte in alle Spaziergänge sehen. »Vielleicht,« dachte ich, »triffst du diesen guten Jungen hier glücklich im Schooße seiner Familie an, und voll Freundschaft für dich. Wird man für seine Dienste auch zuweilen übel belohnt, so ersetzt doch dies alles das Gefühl seines eigenen Werthes.« Ich vertiefte mich in diesem Gedanken.
Indem fieng der Graf an, und rief: »Halten Sie, Marquis; im Moment werden Sie herunterstürzen; merken Sie denn nicht, daß Ihr Sattelriem loß ist?«
Ich hielt an, um herunterzusteigen; da aber die Bedienten etwas zurückgeblieben waren, und er mich diese Bewegung machen sah, sprang er mit seiner liebenswürdigen Gefälligkeit zuerst herunter, und sagte: »Bleiben Sie nur sitzen; ich muß auch meinen Sattel anders rücken.« Er fieng an zu schnallen; ich sah dem Werke zu, und machte einige Bewegungen, ihm die Arbeit zu erleichtern. In diesem Augenblicke schimmert mir etwas weisses, das sich bewegt, im rechten Augenwinkel. Das Herz fängt mir an heftig zu klopfen. Eiskalt läuft es mir über alle Glieder. Ich wende endlich die Augen halb in den Garten, die Sinne schwindeln mir, ich halte mich an der Mähne des Pferdes, um nicht auf den Grafen zu fallen.
Ein weibliches Geschöpf geht dicht bey uns in dem an der Mauer wegführenden Gange spazieren. Sie hat in der einen heruntergesunkenen Hand ein Buch, verdeckt sich mit der andern das Gesicht gegen die Sonne, und scheint über das Gelesene nachzudenken. Ein kleiner grüner Strohhut, den ein weisses Band an dem Busen befestigt, beschattet ein weiches Haar von dem schönsten Kastanienbraun, das bis auf den Gürtel in langen Locken herabschwebt; mit einem langen Gewande, das über die Hüften ein grüner Gürtel zusammenhält, spielt der Morgenhauch, entdeckt den Fuß, und ein wenig den Umriß des Kniees; die aufgehobene Hand ist weisser als der Musselin, aus dem sie sich hervorstiehlt, und es ist vielleicht die Morgenröthe, die aus den zarten Grübgen an den Fingern zurückschimmert.
Zum Unglück bleibt sie mit dem Gewande an einem Strauche hangen, die leere Hand muß sie wieder losmachen helfen; und wie sie wieder frey ist, fällt ein Paar dunkeler Augen auf mich. Und was für Augen? hat die Schöpfung noch ein zweytesmal diese? Sie stutzt ein wenig über unsere Nähe; hierauf fliegt ein zartes Rosenroth über ihr leichtes Erblassen hin, und – sie scheint etwas an der Erde verloren zu haben. Mein Pferd fängt sich an zu bäumen, der Graf schreyt laut auf, sie fährt noch einmal in die Höhe, erblaßt, und verdoppelt ihre Schritte. Ich beruhige das Pferd, und wie sie eben um die Ecke in einen andern Gang lenken will, – biegt sie noch einmal den schönen Nacken nach mir um.
Der Graf war indeß wieder aufgestiegen gewesen, nachdem er den Riem zu fest geschnallt hatte. Das gereizte Pferd bäumte sich, und dies war jener Augenblick; mein Freund, nur mit mir beschäftigt, und mein Erblassen der Furcht zuschreibend, verlor den Anblick der Ursach. Wie er aber mich unruhig und nach dem Gange gedreht sieht, kehrt er sich auch um, und erblickt das Mädchen im letzten Augenblick, wie sie sich nach uns noch einmal umsieht; sie verschwindet, und der Graf bricht in die zwey Worte aus: »Ewiger Gott!« –
Man kann unmöglich mehr von einem Geschöpfe sagen, als in diesem Ausruf, in der Miene, in dem Erstaunen S–is ausgedrückt war; aber es schien mir doch noch bey weitem zu wenig. Mein Herz ward durch seine Fülle krampfhaft verschlossen, und ich sann staunend über die Armuth der Sprache nach. Welch ein sonderbarer Zug in einer erkrankenden Seele.
Aber meine Wallung, die in mir zu einer dumpfen, zusammengezogenen Stille geworden war, suchte einen Ausweg im Aeußeren. Es mußte hier eine große Veränderung vorgehen. Denn der Graf, der mich kannte, beobachtete mich eine Minute lang mit einer sprachlosen Verwunderung, dann setzte er sanft hinzu: »Armer G**.« Er erkannte die wachsende Leidenschaft, er wußte, daß ich zu viel Empfindlichkeit habe, um in der Liebe jemals glücklich zu seyn, er hätte sie gern in ihrem ersten Funken erstickt. Aber wie? – »Es ist unmöglich,« dachte er dann, »daß ihr Inneres so ganz dem Aeußeren entspricht. Es giebt kein Mittel, ihre Bekanntschaft zu hindern; laßt uns sie daher befördern, und wenn er sich betrogen fühlt, wird er sich selbst heilen.« –
Er sagte mir daher lachend: »Ich merke schon, Marquis, hier wird mir die Rolle zu Theil werden, die Sie mir zu Liebe in unserem Winteraufenthalte übernommen hatten.« Um mich nicht in dieser Stimmung durch einen unzeitigen Scherz zu kränken, setzte er sanft hinzu: »Aber bey Gott, Karlos, ich hoffe, Sie vertrauen auf mich!« Er begleitete dies mit einem Händedrucke, den ich aus voller Seele erwiederte.
Wir kamen unterdessen im Dorfe an. Am Wirthshause stiegen wir ab. Man nahm unsere Pferde und führte uns selbst in ein Zimmer. Ich warf mich auf ein Bette, und verschloß die Augen. Keinen Zug wollte ich verlieren. Der Graf mischte sich unterdessen unter die Leute, die im Hause versammelt waren, zog Erkundigungen ein, und schrieb in meinem Namen endlich eine Charte, die er aufs Schloß schickte, und die folgendermaßen lautete:
»Der Marquis von G** hat das Glück gehabt, einen Herrn von V**l sehr genau zu kennen. Nach allen Umständen, kann er sich nicht enthalten, ihn von der Familie des Herrn Barons zu glauben. Auf diese Vermuthung gestützt, ist er so kühn, ihn um die Erlaubniß einer Visite zu bitten.«
Es vergiengen wenige Minuten, so kam der Abgesandte mit einem Domestiquen des Schlosses, und einer förmlichen Einladung für beyde Herren zurück. Dieser zog zugleich die Pferde aus dem Stalle, nahm die Mantelsäcke, und hieß die Bedienten sie zu seinen Herren bringen. »Sie müssen sehr gute Freunde von dem Herrn Baron, oder ihm sehr gut empfohlen seyn,« sagte der Wirth kopfschüttelnd zu S–i.
Dieser stieg zu mir herauf, und trat vor mein Bette, auf dem ich noch immer zwischen Träumen und Wachen lag. »Ich dächte,« sagte er, »Sie ständen einmal wieder auf. Eben,« setzte er ganz gelassen hinzu, »hat uns der Baron einladen lassen, zu ihm zu kommen.«
– »Wie? der Baron?« – fuhr ich auf.
»Ja, ja, der Baron,« antwortete er, erzählte mir hierauf den ganzen Vorgang, ich fiel ihm entzückt um den Hals, und wir giengen. Gott weiß es, mit welcher Angst von meiner Seite. Die Knieen zitterten mir, und das Herz wollte zerspringen; ich mußte den Arm des Grafen nehmen, um unserem Führer meine Bewegung nicht am Gange merken zu lassen. Wenn ich die Fenster des Schlosses anblickte, und das Licht sich an den Scheiben etwas veränderte, oder ein Vorhang sich zu bewegen schien, fuhr es in meiner Brust zusammen, meine Zunge zitterte, und ich konnte nicht mehr deutlich artikuliren; die Aufmerksamkeit einiger Bedienten, die in der Thür standen, und als sie uns wahrnahmen, die Flügel eröffneten, jagte mir das Blut ins Gesichte, und ich bemerkte in diesem Augenblick unseren gar nicht visitenmäßigen Anzug; denn in Wahrheit, ich hatte nichts als ein grünes einfaches Jagdkleid an, und meine Haare hiengen mir ziemlich verwildert ins Gesicht. Ich konnte mich nicht enthalten, dem Grafen diese Beobachtung leise mitzutheilen. Er lächelte aber, und antwortete mir auf deutsch, indem er mich ansah: »Welche Eitelkeit! Aber ich versichere Ihnen zu Ihrem Troste, Sie sind niemals schöner gewesen.« –
Wir langten dann endlich im Schlosse an; ein Mann, welcher der Haushofmeister zu seyn schien, bewillkommte uns mit einem ehrfurchtsvollen Anstande, und sagte, daß er Befehl habe, uns hinaufzuführen, weil der Herr sich noch ankleiden lasse. Man eröffnete uns einen großen Saal, der, wie es nach den Dekorationen schien, zu kleinen Festen bestimmt, und überall mit Porträts und Landschaften behangen war. Man entschuldigte sich, uns einige Augenblicke lang allein lassen zu müssen, und nachdem wir uns beyde lächelnd angesehen hatten, begannen wir die Gemälde zu betrachten. Es waren vermuthlich Familienstücke, und unter den Weibern, deren sehr viele in Mignatur vorhanden waren, befanden sich einige von einer vollkommenen Schönheit. In der That, ich starrte sie alle nach der Reihe an, ohne auch nur ein einziges deutlich zu sehen. Ich bewunderte endlich gar den Rahm an einigen, und fand die Vergoldung vortreflich.
Der Graf antwortete mir schnell: »O Himmel! wenn Sie denn die Vergoldung so sehr lieben, so sehen Sie doch diese einmal an; ich wette, man hat niemals etwas vortreflicheres gesehen.«
Ich gieng hierauf zu ihm auf die andere Seite des Zimmers. Er fuhr mit dem Finger am Rahme umher, und rief einmal über das andere: »Kann man eleganter und geschmackvoller arbeiten.« – »O,« antwortete ich, »Sie irren Sich sehr, denn die Vergoldung und die Guirlande an jenem weiblichen Gemälde ist weit schöner.« – »Poh!« erwiederte er lachend, »ich ziehe diese hier vor, wahrlich das Gesicht verdient so etwas gar nicht.«
Natürlich sah ich bey diesen Worten auf das Gemälde. Heftig erschrocken fuhr ich zurücke. Die Kleidung und Frisur ausgenommen, erblickte ich mich wie in einem Spiegel. Im Moment erkannte ich dies Porträt, das mir der junge V–1 nach jenem Vorfall halb wider Willen genommen hatte. Ich konnte vor Erstaunen nicht reden, und hörte kaum, daß der Graf sagte: »In Wahrheit, Marquis, Sie müssen Sich seit der Zeit sehr verschönert haben, oder die Manier des Mahlers ist in Rücksicht der Schmeicheley der von andern völlig entgegengesetzt.«
Als ich hierüber noch nachdachte, eröffnete sich eine Seitenthür, an der wir gerade standen. Ein Greiß von einer auffallenden Schönheit trat mit einem edeln Anstande herein. Ich verbeugte mich etwas erschrocken, und der Graf wollte das Wort nehmen, aber er eilte auf mich zu, und umarmte mich zärtlich.
»Ich erkenne Sie, Don Karlos,« setzte er hinzu, »und diese Entdeckung, die Sie eben gemacht haben, und die ich absichtlich veranlaßte, erspart mir eine weitere Erklärung. Sie haben meinem Sohne das Leben gerettet, empfangen Sie hier den Dank seines Vaters, aber betrauern Sie auch itzt seinen Tod mit ihm.« Bey diesen Worten liefen ihm die Trähnen an der Wange herab.
Sympathetisch küßte ich sie auf. – »Wie? ich finde ihn also nicht wieder?« – Eine Rührung, die den ganzen Morgen vorbereitet war, und die nur auf einen Vorwand gewartet hatte laut zu werden, unterbrach mich hier. Mein nasses Auge machte meinem Herzen Luft. Ich drückte ihn an mich, und lehnte mein Gesicht auf seine Schulter.
»O, Sie sind es,« fieng er wieder an, »wie Sie oft mein Sohn im Erguß seiner Zärtlichkeit für Sie uns vorstellte, so warm, so gefühlvoll, so anbetungswürdig. Ach, sein Schicksal mißgönnte ihm das Glück, Sie wieder zu sehen. Vor einem Jahre gieng er zur Armee, vor wenig Monaten stürzte er vom Pferde und starb nach dem Falle.« – Hier hielt er einige Augenblicke lang inne; dann fuhr er fort: »Aber Sie haben nichts verlohren. Die Freundschaft des Sohnes erbt auf den Vater fort. Ich liebe die Menschen nicht, aber ich wünschte, Sie wollten mir seine Stelle ersetzen.«
Man kann sich vorstellen, was ich hierauf antwortete; wie ich ihn schon lange geliebt habe, und wie es nur auf ihn ankäme, von mir alles zu erwarten. Er machte sich hierauf ungern von mir loß, und wandte sich zum Grafen; ich sagte ihm den Namen meines Freundes, es traf sich, daß er seinen Vater etwas gekannt hatte. Auch hier erneuerte sich eine alte Bekanntschaft. Bald fiengen wir uns so vertraulich an zu begegnen, als hätten wir uns schon seit langen Jahren gekannt, und als gehörten wir nur zu einer einzigen Familie.
Nach einer kurzen Weile sagte er: »Itzt will ich Sie zu meiner Tochter führen, die Sie heute früh schon gesehen und sogleich auch erkannt hat. Sie sehen,« setzte er lächelnd hinzu, »mit welcher Festigkeit Ihr Bild in unserm Herzen eingeprägt ist.«
– »Alles geht gut,« flüsterte mir der Graf beym Hinausgehen ins Ohr.
*
»Sieh hier Deines Adolphs und unsern Freund, Adelheid,« sagte der Baron, als wir zu seiner Tochter ins Zimmer traten. »Er hat mir versprochen, mein Sohn und Dein Bruder zu seyn.« –
Sie saß auf einem Sopha und blätterte zerstreuet in einem Buche, wie es schien. Sie legte es hierauf, bey der Anrede ihres Vaters, neben sich und stand auf, ihm entgegen zu gehen. Ihr grünes Gartenhütchen hatte sie in ein einfaches Band von der nemlichen Farbe verwandelt, und am Busen steckte eine weisse Rose. Sonst war das Kostüm noch dasselbe, nur flatterte ihr Haar noch freyer in kleinen Locken auf dem Halstuch nieder, und an einem schwarzen Gürtel, der ihr Kleid zusammenhielt, war eine Schnalle mit einem Medaillon befindlich. Und dies war ein männliches Gesicht; zum Glück fiel mir ein, es könne vielleicht der Kopf ihres Bruders seyn.
Welche reizende Verwirrung machte nicht ihre Mienen stocken! Es ist gewiß, ich nahm vor der meinigen nicht die Hälfte von der ihrigen wahr. Aber ich bemerkte wol in dem schüchtern sich niedersenkenden Auge eine schwimmende Bläue, und über die Augenbraunen eine schnelle Röthe hinwegschweben. Auch schien es nicht ihr gewohnter Anstand zu seyn, mit dem sie auf uns zukam, sie gieng diesen Morgen nicht so schwankend, und ihre Hand beschattete nicht so oft die blendendweisse Stirne halb.
An einem schuldlosen Mädchen ist alles Instinkt, wenn sie dem Manne gegenüber ist, den ihr Herz in geheimer bewußtloser Stille gewählt hat. Hätte die höchste Kunst eine reizendere Aufnahme ersinnen und ausführen können, als die ungekünstelte Natur hier bewirkte. Ihr leises Beben war ein stilles Geständniß, daß sie zu dem, was sie für mich nachher that, der Befehl ihres Vaters nur zur Hälfte bewege. Ihr Herz sprach aus ihrer Miene, ob es gleich fürchtete verstanden zu werden. Das Bild, und, wenn ich mir nicht zu viel schmeichle, das verschönerte Bild ihrer verstohlenen Träume ward von ihrem eigenen Vater ihr in die Arme geführt, um es als einen zärtlichen Bruder zu lieben. Aber bleibt das menschliche Herz in den Schranken, die man ihm vorschreiben will?
Der Vater verstand seine Tochter nicht ganz. Er glaubte, sie entspräche seiner Zärtlichkeit und seinen Wünschen für mich nicht ganz so, als er geglaubt hatte.«
»Wie!« fieng er an, »empfängt Adelheid die Freunde ihres Vaters; empfängt sie ihren wiedergegebenen Bruder so kalt?« Ihr darauf antwortender Blick konnte ihn eines besseren belehren. Er bat um Schonung und gestand zugleich etwas. Er lächelte hierauf, sah mich einen Augenblick lang betrachtend an, schlang den Arm um seine Tochter und drückte sie an mich. »Hier, umarmen Sie Ihre Schwester.« Ihre Wange glühete an meinem zitternden Munde, und ich fühlte nichts weiter.
Ich führte sie auf ihr Sopha zurück, und stellte ihr den Grafen vor. Bald war sie wieder Herr über sich selbst, und beantwortete seine hofmännische Artigkeit mit einer Feinheit und Wendung, welche die vollendetste Erziehung verrieth.
Itzt hatte ich mehr Muße zur Beobachtung, und meine begierige Seele vertiefte sich in dem Anschauen ihrer Reize. Ich hatte viel gereißt, ich hatte sehr viel himmlisch schöne Weiber gesehen, ich hatte selbst eins besessen, und die entfernte Einbildungskraft setzte an ihrem in meiner Seele zurückgebliebenen Gemälde immer noch etwas hinzu, was der Wirklichkeit fehlte; aber hier standen meine verwegensten Träume still. Was kann ich, was soll ich beschreiben? Oft zweifelte ich, daß ich wache.
Ich werfe einen Schleier darüber; man verzeihe es mir; aber alle Kunst hört hier auf.
Ihre Seele, die nun bald ihren gewohnten Schwung wieder nahm, um sich in allen ihren Theilen vollkommen zu entwickeln, riß mich durch ihre romantische Haltung unwiderstehlich hin. So reine und bestimmte Begriffe von dem menschlichen Leben in diesem schönen, vom Schicksal offenbar etwas verzogenen Kopfe zu finden, überstieg alle Erwartung. Hier hatte sich eine eigene Welt gebildet, indem sich die wirkliche durch bloße Beobachtung und ohne alle Erfahrung nach ihrer wahren Form in ihm abbildete. Selbst die Vorurtheile der Erziehung, die Nationalbegriffe des Landes, die Schwachen der Menschheit hatte Ohngefähr oder angebohrnes Talent zu anbetungswürdigen Tugenden verbunden. Welch eines Engels Herz war hier zu gewinnen. Welche sanfte, mehr als menschliche Güte zu lieben!
Man schlug einen kleinen Spaziergang im Garten vor. Sie nahm mit einer Vertraulichkeit einer berechtigten Schwester meinen Arm; sie verweilte sich an ihren Lieblingsplätzen, und erzählte mir mit der hinreißendsten Naivetät, wo sie zuweilen an mich gedacht habe. »Werden Sie nicht böse darüber, mein lieber Marquis,« setzte sie hinzu, »wenn ich Sie etwa mit einer dunkelen Ahndung in Ihren Träumen gestört habe; denn in der That ich glaube an so etwas; und Adolph hatte am Ende weiter nichts, als Ihren Namen im Munde.«
Wie schnell verliefen die Stunden nicht in dieser Gesellschaft! Der Graf, dem die Freude über mein Glück einen ganz neuen Geist gegeben hatte, studierte sich in die Natur ihrer Ideen bald völlig ein; er sprach in kurzer Zeit so erhaben und schwärmerisch als sie. Adelheid fand ihn sehr liebenswürdig, und sagte es ihm. Oft glaubte ich auf ihn eifersüchtig werden zu müssen. Aber dann hieng sie sich wieder mit so vieler Zärtlichkeit an mich, sprach in tausend kleinen Liebkosungen zu mir, daß ich mich völlig versöhnte. Der Vater nahm an dem schuldlosen Austausch unserer Einfälle einen einfachen und unbefangenen Antheil.
Dieser Rausch der ersten Frölichkeit vergieng aber bald. Man hatte uns gleich am ersten Abend versprechen lassen, mehrere Wochen hier zu verweilen. Aus diesen Wochen wurden allgemach Monate. Adelheids natürlicher Ernst kam wieder in ihre Seele zurück. Der Baron, so alt und schwächlich er war, liebte doch noch die Jagd; sie war von jeher auch des Grafen Lieblingsbeschäftigung gewesen; ganze Tage lang blieben sie in dem Walde, und ich – ich liebte nichts mehr. Eine kleine ausgesuchte Bibliothek füllte zwar manche meiner Stunden mit Annehmlichkeit aus, aber wie manche der schrecklichsten Leere blieben übrig, die nur Spazierengehen ausfüllen zu können schien.
Auch Adelheid liebte die Gärten, und hier sahen wir uns am ungestörtesten. Der Morgen schien bey ihr den Geschäftsstunden so strenge gewidmet, daß ich sie um alles in der Welt nicht auf ihrem Zimmer zu stören vermocht hätte. Ueberdem schwankte ich in einer sehr ängstlichen Lage. Ich fühlte es, sie hänge an mir, aber konnte ich es mir zu sagen getrauen, dieß sey mehr als die Liebe einer Schwester?
Und ich – mit welchem Feuer liebte ich sie nicht! mit welcher Ergebung, mit welcher Geduld! Zu stolz ehedem, von den Weibern Gesetze zu nehmen, war ich es, der sie ihnen vorschrieb. Hier waren die Grenzen meiner Macht. Ein junges Mädchen löschte Gedanken in mir aus, wenn sie wollte, und bestimmte den Fluß meiner Ideen. Ich hatte kein eigenes Selbst mehr; ich hatte alles das verlohren, worauf ich sonst so stolz war, und es gab Stunden, in denen ich diesen Verlust mit Trähnen bedauerte.
Der Name einer Schwester gab ihr zu kleinen Vertraulichkeiten ein Recht, die mich außer mich setzten. Freundschaft war in ihrem Munde, und ich sah es, auch in ihrem Herzen; aber Liebe? nie äußerte sich eins jener feineren Kennzeichen einer starken, hinreissenden Leidenschaft, sie schien nichts zu befürchten, nichts zu ahnden, unveränderlich war sie dieselbe, ohne Rückhalt, ohne Laune. Ich wußte es nicht, daß es noch andere Herzen gäbe, als die der gewöhnlichen Weiber; was Adelheid mit ihrem Geschlechte in Liebe gemein hatte, sah ich als allen Leidenschaften eigen an, und ich quälte mich mit meinen eigenen Empfindungen in einem Zeitpunkte, in dem ich mich schon meines ganzen Glückes hätte bemeistern können.
Gegen den Abend zu war die gewöhnliche Zeit unseres Spazierganges. Wenn wir allein waren, so lehnte sie sich vertraulich auf meinen Arm; wir durchstrichen heiter einige Theile des Gartens, und gewöhnlich war eine große Rasenbank in einem Winkel desselben unser Ziel. So wie wir uns ihr näherten, ward Adelheid immer ernster und ernster, und bald selbst schwermüthig. Ich verfiel in den nemlichen Ton. Ihrer Seele ward diese Welt zu enge. Sie suchte sich Stoff zu neuen Bildern in einer andern: die Nacht kam heran, und gab unseren Träumen einen noch stärkern Schatten. Eine süße Melancholie machte uns dann weinen, und wir wußten nicht, warum? Ich hätte vergehen mögen, und konnte nicht sprechen. Sie lehnte sich an meine Brust, schlang den Arm um mich, sah mich mit ihren funkelnden Augen voll einer brennenden Zärtlichkeit an und sagte: »Lieber Karlos: Ihre Schwester ist ein sehr unglückliches Geschöpf durch Ihre Stimmung; es ist sehr gut, wenn sie bald von hier weggehet. Aber werden Sie mich dann nicht gern vergessen, und werden Sie mich in einer andern Welt wieder erkennen?«
Dies alles gab mir eine stumme Traurigkeit, welche meine besten Kräfte verzehrte. Sie bemerkte es, und zehrte sich mit ab. Auch den Baron machte diese Krankheit traurig, die offenbar an meinem Leben nagte: der Graf fragte mich besorgt; was konnte ich ihm antworten? Er glaubte mich glücklich.
In dieser Stimmung überraschte uns einst ein Abend Beyde allein. Den ganzen Tag über war ich gespannt und halb ausser mich gewesen. Ich hatte eine Flinte ergriffen, und mich mit ihr allein im Gehölze vertieft. Niemand wußte, wo ich geblieben war; der Mittag, der uns sonst alle, wie eine einzige Familie, versammelte, hatte mich heute einsam und träumend unter einem Baume gefunden, und als ich gegen Abend nach dem Schlosse wieder zuschlich, begegneten mir einige Bedienten, die mich suchten. Nachdem ich sie beruhigt und wieder zurückgeschickt hatte, stieg ich über die Parkmauer, um durch den Garten auf einem näheren Wege zum Schlosse zu gehen. Auch hatte ich noch einen andern geheimen Beweggrund. Der Abend war nahe, und es schien mir die Stunde zu seyn, in der Adelheid gewöhnlich spazieren gieng.
Auch war ich kaum einige Gänge durchstrichen, als ich sie wirklich antraf, in sich selbst versenkt, träumend und bewußtloß hin und her wankend. Schon als ich mich ihr ganz nahe befand, bemerkte sie mich nicht, sie hatte sich in eine Rose vertieft, die sie bald vom Busen abnahm, bald wieder ansteckte, sie war blaß und völlig entstellt, und endlich hatte sie meinen Spazierstock in der Hand, auf den sie sich stützte und den sie wiederholt ansah. Hierauf fuhr sie über das Rauschen im Winterlaube zu ihren Füssen zusammen, warf mit etwas Wildheit die Augen nach allen Seiten umher, und bewegte die freye Hand. Endlich erblickte sie mich ganz nahe bey ihr stehend, fieng ein wenig zu wanken an, und kaum konnte ich sie mit meinem Arme auffangen.
»Mein Gott, Marquis, wo sind Sie gewesen?« sagte sie mir, indem sie sich schnell wieder faßte. Aber in diesem Moment ereignete sich ein neues Unglück. Wie ich sie auffangen wollte, war mir die Flinte, die ich auf der Schulter an einem Rieme trug, im Wege gewesen; ich hatte sie ins Gebüsch mit Gewalt zurückgedrückt, und den Hahn gespannt. Ich ergriff sie itzt noch einmal, um sie zurückzuwerfen, um Adelheid besser halten zu können, sie ging loß, die Kugel fuhr mir durch die Hand, und beschädigte mir einen Finger. Das Blut fieng heftig an zu strömen, und da ich diese Hand gerade aufgehoben hatte, so floß es der Baronesse gerade ins Gesicht und aufs Busentuch.
Statt daß dieser Vorfall aber sie hätte um ihr Bewußtseyn vollends bringen sollen, gab er ihr dasselbe ganz vollkommen zurück. »Ewiger Gott, was machen Sie?« sagte sie nur etwas erschrocken, sie zog mich hierauf in eine benachbarte Laube, besah meine Wunde, riß das Schnupftuch heraus, goß aus ihrem Flakon darauf und verband mich. Dies alles geschah mit der ängstlichen Aemsigkeit und in wenig Minuten. Als sie fertig war, umarmte sie mich zärtlich, und fragte mich halbweinend: »haben Sie viele Schmerzen, lieber Karlos?«
»An der Hand sehr wenige,« antwortete ich.
»Wie? Sie sind noch sonst wo verwundet?«
»Ach hier, hier thut 's mir sehr wehe,« indem ich auf das Herz zeigte.
»Was haben Sie doch da? sagen Sie es Ihrer Schwester!« hierbey ergriff sie meine Hand.
»Bestes Mädchen, wie kann ich diese Güte verdienen, wie kann ich diese Zärtlichkeit vergelten?« –
»Nichts weiter haben Sie, das Sie quält? Haben Sie meine Liebe nicht lange verdient? Und wie Sie sie vergelten sollen? damit, daß Sie mich wieder lieben.«
– »O, dann ist sie verdient und vergolten. Sie sind mir noch viel, viel schuldig, Adelheid. Wenn sich dies Herz einmal in diesem namenlosen Jammer verzehrt hat, denn fragen Sie es: warum es sich verblutete? – O es ist schrecklich im stillen Wasser sein Bild nur matt wiedergegeben zu sehen, und eine ruhige Liebe ist dem verwöhnten unersättlichen Herzen tausendmal weniger als der bitterste Haß.« –
Ihr Auge zerfloß in Trähnen. »Sie sind sehr unglücklich, Karlos;« fieng sie nach einigen Augenblicken an, »wenn Ihnen meine Zärtlichkeit nicht genug ist. Oft habe ich mich in den Stunden einer stillen Schwermuth gefragt: ob ich einer stärkeren Liebe fähig seyn könnte, als die ist, mit der ich an Ihrem leisesten Gedanken hange? Ich glaube nicht, Karlos; Und was fodern Sie von mir?«
»Was ich fodere? Und beschreibt sich das? daß Sie nichts mehr kennen, als diesen Geist, der nur für Adelheid da ist: als dies Blut, das nur für Sie stürmisch in den Adern rollt.« –
»Wie? nichts mehr wünschest Du, Karlos? bist Du nicht das schönste und einzige Traumbild meines Schlafes, und meiner glücklichsten Stunden? Hängt nicht jedes meiner Gefühle an Deinen Lippen? Klopft nicht mein Herz und glühet nicht meine Wange, wenn ich Dich sehe, wenn ich Dich nur in meiner Nähe ahnde? Sehe ich allenthalben etwas anders als Dein Bild, das mich wie mein Schatten verfolgt? Ist nicht mein einziger Stolz, mein ganzes Bewußtseyn in Dir? – Soll ich itzt mit Dir und Deinethalben Vater, Familie und Freunde verlassen? Soll ich mich mit Dir unter das Eis vergraben, oder im dürren Sand elende Wurzeln suchen? Was ist mir doch die Welt noch! Ja, die Ewigkeit würde ich verfluchen, wenn sie mich ohne Dich erwartete.«
– »Du willst also mein Weib, mein treues, mein ewiggeliebtes Weib seyn?« –
»Weib oder Schwester? Ist dazwischen ein Unterschied? Aber glaubst Du, ich habe als Weib auf Deine Liebe ein größeres Recht; hier hast Du meine Hand. Ich will seyn, was Du wünschest, daß ich seyn möchte.«
*
Nach unserer Zurückkunft ins Schloß, fanden wir auch den Baron und den Grafen, die beyde selbst ausgegangen waren, mich zu suchen, wieder daselbst angelangt. Mit welchem Entzücken umarmten sie nicht den wiedergefundenen Freund und Sohn? Wie sehr nahm ihr Herz nicht Theil an der merklichen Veränderung in meiner Miene, und jedem Ausdruck der inneren Bewegungen meiner Seele. Ich selbst war mehr glücklich, als jemals eine befriedigte Sehnsucht gemacht hat, aber es war mir unmöglich, an ihrer Ausgelassenheit Antheil zu nehmen. Adelheid befand sich in der nemlichen Stimmung.
Nie ist ein Gesicht schöner gewesen, als an diesem Abend das Ihrige war. Wie von der Blässe der zu tiefen Empfindung die schönste Morgenröthe der Hoffnung wiederschien, wie der Geist und das Blut auf den Lippen verlangte, und das Auge sich glückselig in dem dämmernden Nebel der Zukunft badete! Ein neues Leben hob den Busenschleyer von der Brust hinweg. Ein neuer Athem bildete halbe Seufzer. Hat das Vergnügen einen lebhafteren Ausdruck gehabt?
Der Baron sah unser natürliches Spiel; aber seine Munterkeit vermehrte sich. Der Graf blickte sinnend das Fräulein zuweilen an, dann mich, und als er mir einen guten Abend wünschte, um auf sein Zimmer zu gehen, sagte er mir ins Ohr: »Ich wette, ihr seyd ein Paar Verbrecher!« Er umarmte mich und drückte mir die Hand.
Am andern Morgen gieng ich zum Baron, als er kaum aufgestanden war, und entdeckte ihm alles. Er führte mich stillschweigend zu seiner Tochter, die seine Kniee wie ich umarmte, hob uns weinend in die Höhe, umarmte uns und brach in die Worte aus: »Besten Kinder, ihr seyd mir zuvorgekommen.« S–i wollte närrisch vor Freuden werden. Ich vergaß alles und sah Adelheid alles vergessen. Ehe ein Monat vergieng, war sie mein Weib.
*
Wir beschlossen hierauf diesen Sommer über auf dem Lande zu bleiben, und dann zusammen für den Winter nach Paris zu gehen. Wir waren in allen unseren Vorsätzen einstimmig, der Graf gehörte mit zur Familie, und war dem Baron und meiner Gemahlin völlig so unentbehrlich als mir geworden. Wie unaussprechlich reizend war dieser Sommer nicht! Mir kam es vor, als habe ich niemals einen verlebt. Das vollkommene Glück der verschönerten Häuslichkeit ward uns von Tage zu Tage begreiflicher und lebhafter. Den Morgen brachte ich mit meinem Weibe oder allein zu; die Mittagstafel rief uns zu gemeinschaftlicheren Vergnügungen zusammen. Ein jeder hatte in seinem Kabinette, oder in seiner Thätigkeit außer dem Hause, neue Vorstellungen gesammelt und brachte sie zu unserem Nachtische mit. Der ernste Epheukranz der Philosophie schlang sich gleichsam um die Grazien, und jede helle Freude gewann von einer tieferen Betrachtung etwas beschattet.
Adelheid hatte einen sehr ernsthaften Charakter, und meine frische Munterkeit verzehrte sich allmählich in ihren Ideen. Sie verlangte bald meine Geschichte von mir, und hörte gern von Elmiren erzählen. Sie liebte ihre melancholische Stimmung und bedauerte ihre Schicksaale. Aber sie vertiefte sich mehr, als ich wünschte, in den Geist des Ordens, der alles veranlaßte; sie fand seine Grundsätze groß, und mich hin und wieder in der Heftigkeit meiner Leidenschaft strafbar. Es vergieng nicht ein Abend, der uns allein fand, daß wir nicht hiervon gesprochen hätten. Indem sie in den Charakter der Umstände tiefer einzudringen versuchte, meine eigenen Erfahrungen klarer auseinander wickelte, meine Muthmaßungen an einander reihete, und neue Schlüsse erfand, befreundete sie mich zwar nicht mehr mit einer Gesellschaft, die mich so vieles leiden gemacht hatte, aber nahm mir doch allen Widerwillen gegen ihre Grundsätze. Es ward in der That vor meinem Geiste lichter und lichter, ich erhob mich von Gedanken auf Gedanken, meine kleinen Bedürfnisse löschten sich unvermerkt aus, und es entwölkte sich in meiner Seele eine Aussicht, die mich oft bis zur Entzückung berauschte.
Die Art der gesellschaftlichen Freuden hieng von unserer Laune und den Umständen ab. Adelheid jagte, fischte oder gieng spazieren mit uns. Sie sang vortreflich, und war eine Meisterin auf dem Fortepiano. Ich spielte die Flöte erträglich, der Graf mehrere Instrumente vollkommen, wir hatten einige musikalische Bedienten, und der alte Baron freuete sich über unsere Konzerte. Gemeinschaftliche Lektüre und Erzählung unserer wechselseitigen Abentheuer füllte die von der Zeit durch jene und unseren ernstem Arbeiten nicht beschäftigten Stunden aus. Keiner von uns war auf eine so lange Zeit, so ganz ungemischt glücklich gewesen, und keiner von uns war seines Glückes sich so vollkommen bewußt geworden.
So überraschte uns der Herbst, bevor wir es wollten. Wir zögerten und zögerten, bis es Zeit war zu eilen. Ich hatte den Grafen von S* von meiner Verbindung benachrichtigt, und es erfolgte eine Einladung nach der andern, so bald als nur möglich zu kommen. Endlich reißten wir, und zu Ende des Novembers waren wir in Paris.
Die politische Lage Frankreichs war noch nicht so kritisch, in den gesellschaftlichen Zirkeln eine große Veränderung gemacht zu haben. Ich fand die alten Freunde wieder traulich zusammen lebend, und mich mit großer Freude bewillkommend.
Der Graf schien heiter, wenn gleich nicht vollkommen glücklich, mit seiner Gemahlin zufrieden, wenn gleich vielleicht nicht alles in ihr findend, was er erwartet haben mochte. Niemand war im Punkte der Glückseligkeit leichter zu befriedigen als er, und war er nie vollkommen satt, so war er doch auch niemals gänzlich elend.
Man kann sich vorstellen, welches Aufsehen meine Gemahlin machte, in Paris, wo jedes neue Gesicht reizt und anzieht. Mit wenig Mühe fand sie die Art des gesellschaftlichen Tones, der für jeglichen Kreis paßte: ward bald der Liebling aller Assambleen, die sie besuchte, und der Abgott ihrer Bekannten. Ungleich der Verschiedenheit ihrer Charaktere war sie selbst in kurzer Zeit Karolinens Vertraute. Der Baron lebte wieder auf, schwärmte mit uns lustig herum, und vergaß alle Schwächlichkeiten seines Alters. S–i war sein ewiger Begleiter und Gesellschafter, und Don Bernhard, immer der unveränderliche Freund meines Glückes, vermehrte unsern häuslichen Zirkel angenehm. Alles war vergnügt oder schien es zu seyn, als uns ein neuer Zufall in unsern Freuden stören zu wollen schien.
S** war bald nach der Zeit, daß ich in Paris angekommen war, mir und allen seinen Bekannten ein Räthsel geworden. Er ward traurig, mißvergnügt, träumerisch und auffahrend. Oft war er uns allen mit seinen Grillen zur Last, und nicht selten begegnete er selbst seiner Gemahlin unartig. Ich drang in ihn, aber er war verschlossen. Ich bemerkte nur, daß er den Umgang Adelheids jedem andern vorziehe, und ohne mich davon auf die wahre Ursach seiner Veränderung leiten zu lassen, sah ich es als Wirkung der Aehnlichkeit ihrer beyden Charaktere, und als ein gutes Aufmunterungsmittel seiner unbegreiflichen Schwermuth an. Statt ihm also die mindesten Hindernisse zu machen, beförderte ich diese Freundschaft so viel als möglich. Adelheid, auf mich und meine Kenntniß des Grafen vertrauend, fand kein Bedenken, ihm einen nahen Zutritt und Aufmerksamkeiten zu erlauben, die sie bey dem Freunde ihres Gemahles als natürlich ansah. Ich weiß aber nicht, was S–in ein besonderes Licht gegeben haben mochte; kurz, er wurde nebst dem Bernhard alle Tage kälter gegen den Grafen, und Beyde legten ihm, nach einer Art von Verabredung, eine Menge kleiner Hindernisse, bey dem vertrauten Umgange mit meiner Gemahlin, in den Weg. Dies machte ihn natürlich aber nur noch hitziger, er drängte sich allenthalben zu ihr, und machte endlich ein so öffentliches Aufsehen, daß S–i und Bernhard mir es ganz deutlich zu sagen, für Pflicht hielten. Ich lachte sie zwar mit ihrem Verdachte aus, aber ich nahm mir vor, aufmerksam zu seyn, und, bey der nächsten Gelegenheit, darüber mit Adelheiden zu sprechen.
Diese Gelegenheit fand sich eher, als ich geglaubt hatte. Denn als ich ihr einst des Abends, nach der Zurückkunft aus einer Gesellschaft, eine gute Nacht gewünscht, und in meinem Zimmer mich schon halb ausgekleidet hatte, kam sie noch völlig angezogen zu mir. Die Trähnen liefen ihr von dem Gesichte, und sie hielt ein Papier in der Hand.
»Bestes Weib,« rief ich ihr entgegen, »was ist das? Ich winkte meinem Kammerdiener, sich zu entfernen, und sie setzte sich zu mir.
»Länger, Karlos, kann ich es Dir nicht verhehlen,« fieng sie an. »Eine längere Schonung Deines Freundes würde Verbrechen gegen Dich selbst werden. Du hast es gewiß wahrgenommen, wie sich der Graf S** seit einiger Zeit gegen mich betragen hat. Sieh hier endlich diesen Zettel, den ich diesen Augenblick auf meinem Nachttische antraf.«
Sie gab mir den Zettel, und ich laß:
»Sorgen Sie nicht, schöne Marquise, daß ich ein Geheimniß verrathe, das mir Ihre Augen kaum bestätigt haben. Die größte Glückseligkeit ist nur eine stumme Freude. Aber der höchsten Liebe fehlt es nicht ganz an Worten. Wollen Sie Morgen Abend um acht Uhr an der großen Linde in Ihrem Garten ein Gelübde annehmen, das Ihnen meine Blicke schon lange geschworen haben?«
Ludwig Graf v. S.**
Es war des Grafen Hand, ich konnte mich hierin nicht irren. Der Unwille ward im ersten Augenblick so Herr über mich, daß ich es etwas heftig auf den daneben stehenden Tisch warf; ich fuhr hierbey an ein Glaß und stieß es um. Hierauf trat der hinausgeschickte Bediente wieder herein und fragte mich: ob ich geklingelt habe? Nach einem etwas heftigen Nein zog er sich wieder zurück, aber ich dachte daran, daß er noch im Vorzimmer sey. Ich faßte mich daher, umarmte mein Weib und versprach ihr, ohne heftige Mittel zu wählen, diese kleine Störung ihrer Ruhe aus dem Wege zu räumen. Ich bat sie nur, bis morgen Abend gegen den Grafen ihr Betragen in nichts zu ändern, und mir alles zu überlassen.
Sie schien zwar ganz beruhigt von mir zu gehen, aber im Herzen war sie nichts weniger als das. Sie konnte es sich nicht verwehren, ihrem Vater alles zu erzählen. Dieser konnte nichts gegen S–in auf dem Herzen behalten, und dieser benachrichtigte Don Bernhard davon. Alle kamen darüber überein, daß ich wahrscheinlich, statt meiner Frau, dem Grafen das verlangte Rendezvous geben wollte, und Bernhard versprach den übrigen, ganz sicher dabey zu seyn.
Und dies war auch in der That mein Gedanke. Der Graf war den Tag über wie gewöhnlich, selbst etwas ruhiger als sonst. Der Abend kam heran. Noch hatte es nicht acht Uhr geschlagen, so war ich unter der Linde. Zu meinem Erstaunen fand ich auch den Grafen schon da. Er laß sehr emsig in einem Papiere, und küßte es wiederholt. Kaum hatte er mich aber erblickt, als er auch wütend den Mantel auseinander schlug, in höchster Bewegung schrie: »Unerhört bin ich betrogen; aber Du, Scheusal von Menschen, Du sollst mir nicht zum zweytenmale entgehen.« Mit diesen Worten stürzte er auf mich mit dem Degen zu.
Ich war nicht unbewaffnet und vertheidigte mich bald. Ich gab nur darauf Acht, daß er nicht in meinen Degen lief. Unaufhörlich rief ich: »Um Gotteswillen bitte ich Dich, Ludwig, laß ab und höre mich an!« aber alles vergebens. Er gab nur dumpfe Töne von sich, knirschte mit den Zähnen und schäumte. Endlich schlug ich ihm den Degen aus der Hand, und warf ihn tief ins Gebüsch. Er sah gen Himmel und stieß entsetzliche Flüche aus.
Indessen macht mich ein Geschrey hinter mir aufmerksam. Ich sehe mich um, und erkenne in der halben Dämmerung der Nacht Bernhards rothen Rock. Er kämpft mit etwas weissen, und scheint im Begriff zur Erde zu stürzen. Itzt fällt er wirklich. Ich eile halb wahnsinnig zu ihm hin. Ein Dolch blitzt über ihn in der einen Hand, die andere hält ihm mit einem Tuche den Mund zu. In der ersten Heftigkeit durchbohre ich seinen Gegner. Ich erkenne in diesem Momente Amanuel. Hastig reisse ich ihm die Binde vom Kopfe ab. Alfonso, mein vertrauter Bedienter, liegt zu meinen Füßen.
Ende des dritten Theils.
Nachricht.
Ich müßte so unempfindlich als undankbar seyn, wenn ich den mir überschickten anonymen Brief aus Mannheim nicht auf irgend eine Art zu beantworten suchte. Nur meine Lage verhindert mich, diesen mir so schmeichelhaften Gesinnungen so zu begegnen, als ich es wünschte. Aber ich verzweifle noch nicht ganz daran, mein Vaterland einmal wieder zu sehen.
*
Bey dieser Gelegenheit erlaube ich mir einige Anmerkungen. Man hat mir hin und wieder die Ehre angethan, mich für den Verfasser einiger anonymen Schriften und Aufsätze zu halten, in denen man sich eine genaue Aehnlichkeit des Styls mit dem Genius zu entdecken eingebildet hat. Ich versichere hier aber, daß ich seit drey Jahren nichts ohne meinen Namen oder die Anfangsbuchstaben desselben habe drucken lassen. Ich möchte mir nicht gern Verdienste zueignen, die ich nicht habe.
Ich bin endlich von Deutschland zu weit entfernt, um mit meinen litterarischen Freunden und Correspondenten einen regelmäßigen Briefwechsel unterhalten zu können. Man wird mir daher einige Nachläßigkeit hierin verzeihen. Auch macht hier die Entlegenheit den geradesten Weg zum unsichersten. Ich ersuche Sie, daher, alle Ihre Briefe für mich an den Herrn Oberbergsekretär Schröter zu Alvensleben bey Magdeburg, oder an Hrn. Buchhändler Hendel in Halle zu addressiren.
C. Marqu. v. Grosse.
Garrovillas, in Estremadura,
d. 19 März 1792.