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Auf der Soiree beim Sektionschef Dillinger hatte Hofrat Perwanger die Ehre gehabt, der Tischnachbar und Kavalier der schönen Regierungsrätin Pötting zu sein. Die beiden hatten sich sehr gut miteinander unterhalten, und als er ihr zum Abschied die Hand küßte, da fanden beide, daß sie eigentlich noch so manches zu besprechen hätten.
»Besuchen Sie mich doch gelegentlich, Herr Hofrat,« sagte die Regierungsrätin. Er verneigte sich ritterlich, worauf sie liebenswürdig hinzufügte: »Und recht bald, nicht wahr?« Er küßte ihr noch einmal die Hand, und am zweitnächsten Sonntag mittags zwölf Uhr – am nächsten Sonntag mußte nämlich Reconnaissancevisite bei Sektionschefs gemacht werden – trat er bei der Regierungsrätin an. Er hatte, was er sonst nicht gern that, zu dieser Staatsvisite einen schwarzen Frack angezogen, aber er glaubte, das sich und der Regierungsrätin schuldig zu sein, obschon er allerdings lange geschwankt hatte, ob es am Ende der schwarze Bratenrock nicht auch thäte.
Auch die Regierungsrätin hatte aus diesem Anlaß besondere Toilette gemacht. Ihre Arme und ihre Schultern waren berühmt schön und dieser Ruhm war echt. Wäre er nicht echt gewesen, so hätte er schon längst verblassen müssen. Schließlich entscheidet doch die Zeit über das Echte. Es lag also gar kein Grund vor für sie, ihre Arme und ihre Schultern nicht zu zeigen. Zudem war das schwarze Spitzenkleid, das dazu diente, ihre anerkannten Vorzüge nicht zu verbergen, in einem der ersten Wiener »Salons« angefertigt worden. 66 Sie konnte sich also sehen lassen, und wenn auch die angenehme Fülle ihrer Erscheinung nicht die Merkmale der allerersten Jugend aufwies, so entsprach sie ihrem Zwecke, dem Auge des sinnenden Beobachters wohlzuthun und ein ordentlich gemachtes Kleid ordentlich auszufüllen, vollkommen. Ihr Stumpfnäschen war noch immer pikant und ihre lebhaften schwarzen Augen standen noch immer in einem hübschen Gegensatz zu ihrem Blondhaar, dessen leuchtendes Gold noch immer nicht infolge der schlechten Zeiten – die Zeit ist für eine schöne Frau immer schlecht – mit dem unedleren Metall des Silbers durchsetzt war.
Hofrat Perwanger hatte freilich mit dem Silber schon etwas mehr zu thun, allerdings nur in seinem trotz alledem schwarzem Vollbarte. Auf dem Kopfe – das war etwas ganz anderes! Da hätte man sicher noch kein weißes Haar entdecken können, wenn, ja wenn – da waren nämlich die Haare zufällig ausgegangen und noch nicht zurückgekommen, trotz mancherlei freundlicher Einladungen und Lockungen. Da ließ sich eben nichts thun, als beständig ein Käppchen zur Hand zu haben. Denn das ist eine ganz infame Sache mit einer gar so hohen Denkerstirn. Jeder Luftzug macht sich unangenehm bemerkbar und eine Perücke möchte man doch nicht aufsetzen; das hieße einfach kapitulieren, und vom Standpunkt der persönlichen Eitelkeit betrachtet, ist es noch immer eine ungelöste Frage, ob es rätlicher sei, sich eine Perücke aufzusetzen oder seine Schande offen zu tragen und sie mutig zu bekennen. Hofrat Perwanger hatte den Geschmack, sich für das letztere zu entscheiden – trotz der niederträchtigen Luftzüge, die der liebe Herrgott doch lieber nicht hätte erschaffen sollen.
Der Empfangssalon war wohlig durchgeheizt und in den Vasen wiegten frische Blumen ihre duftigen Häupter. Die Regierungsrätin selbst hatte aber keine Blume angesteckt und es zeigte sich, daß sie wieder einmal, wie gewöhnlich, recht gehabt hatte. Denn der Hofrat überreichte ihr bei seinem 67 Eintritt eine prachtvolle Maréchal-Niel-Rose, für welche sie nun genügenden Platz hatte, sie an die Brust zu heften, was übrigens auch sonst der Fall gewesen wäre. Wenn man einen schwarzen Fleck auf der Nase hat, so hat man in der Regel seine liebe Not, ihn zu sehen; er ist zu nahe. Die Regierungsrätin stellte sich sehr geschickt an, als sie sich die schöne Rose ansteckte. Das war gewiß nicht zu nah, und da sie im übrigen nicht kurzsichtig war, machte sich die Sache ganz gut.
»Wissen Sie, schöne Frau,« begann der Hofrat, nachdem sie sich behaglich auf den Fauteuils in der Nähe des Kamins eingerichtet hatten, »daß ich all die Zeit her an Sie gedacht habe?«
Die Regierungsrätin lächelte verbindlich, ohne jedoch zu antworten. Darauf ließ sich ja eigentlich auch noch nichts sagen; sie mußte ihn erst noch näher herankommen lassen.
»Sie wissen ja,« fuhr der Hofrat fort, »daß wir noch manches zu besprechen haben?«
»Jawohl, und wie ich glaube Wichtiges.«
»So ist es. Ich sehe mit Vergnügen, daß wir uns verstehen.«
»Ich glaube, daß wir vollständig einer Meinung sind.«
»Mein Sohn ist sechsundzwanzig Jahre alt –«
»Meine Tochter neunzehn.«
»Er hat rite ausstudiert; ich habe ihn in der Finanzprokuratur untergebracht. Er wird seinen Weg machen. Sein mütterliches Erbteil –«
»Mit dem väterlichen Erbteil meiner Alexandrine vereint –«
»Wird mehr als genügen. Und dann, Frau Rätin – sind ja wir noch da! Also, Sie glauben wirklich?«
»Ich bin überzeugt; das heißt, natürlich wenn – selbstverständlich nur –«
»Ganz meine Ansicht. Selbstverständlich nur, wenn –«
68 »Ja, wenn! Das ist eben die große Frage. Zwingen möchte ich meine Tochter nicht.«
»Und was meinen Rudolf betrifft, so weiß ich bestimmt, daß er sich nicht zwingen läßt! Wenn meine arme Frau nur noch lebte; die wüßte den Jungen schon besser zu behandeln als ich.«
»Und mir fehlt leider der Mann, der mir ratend und helfend zur Seite stehen könnte und der Alexandrinen gegenüber die väterliche Autorität geltend machen könnte!«
»O, Frau Rätin! Das Werk, das wir da vorhaben, ist so recht eine Frauenarbeit für Frauenhände. Ich bin gewiß, ich kann drauf schwören, daß ich da irgend eine Dummheit oder Ungeschicklichkeit begehen würde.«
»Ja, wenn die Sache schwer gehen sollte, dann ist es besser, sie geht überhaupt nicht.«
»Wie meinen Sie das, Gnädigste?«
»Ich meine, daß, wenn man den jungen Mann erst stark zureden müßte –«
»O, davon kann nicht die Rede sein! Ihre Tochter ist ein reizendes Wesen, und jeder ist glücklich zu preisen und zu beneiden, jeder, wer es auch sei, dem der große Wurf gelingen sollte, sie sich zu erringen, aber die jungen Leute von heute – Sie wissen, wie die sind.«
»Ich wiederhole – genötigt wird nicht!«
»Aber, meine teure Gnädige, mißverstehen Sie mich doch nicht! Wenn mein großer Junge seine fünf Sinne beisammen hat, dann muß er einsehen, daß ein solcher Glücksfall sich ihm im Leben nicht wieder in den Weg stellen wird.«
»O, Sie übertreiben, Herr Hofrat!«
»Nein, nein! Ich weiß, was ich sage. Eine solche Frau und – gestalten Sie es mir zu sagen – eine solche Schwiegermutter – die wachsen doch nicht wild und liegen doch nicht auf der Straße herum!«
»Das letztere allerdings nicht, Gott sei Dank!«
69 »Nun sehen Sie!«
»Nun – und?«
»Und – und – wenn er also vernünftig ist, so schlägt er einen Purzelbaum vor Vergnügen und springt dann – wie wir zu sagen pflegen – mit beiden Füßen zugleich hinein.«
»Ich warte noch immer auf das ›aber‹, Herr Hofrat.«
»Ich bin dabei. Der Junge ist selbständig. Um gewisse Dinge haben wir uns gegenseitig nie gekümmert. Veniam damus petimusque vicissim –«
»Das verstehe ich nicht.«
»Weiß wohl, Gnädigste, ich meinte auch nur so.«
»Ich möchte aber alles verstehen.«
»Und alles verstehen, heißt alles verzeihen. Es heißt, daß wir uns in gewissen Dingen gegenseitig ganz freie Hand lassen.«
»Ah – gegenseitig! Also auch Sie, Herr Hofrat, nehmen die Nachsicht in Anspruch? Das läßt tief blicken!«
»Gnädigste – ich werde sofort erröten, wenn Sie mich noch länger so verdächtig ansehen. Ich wollte nur sagen, daß ich dem großen Jungen doch nicht mehr so auf Schritt und Tritt nachgehen kann. Ich war immer der Ansicht, daß eine gewisse Toleranz das beste pädagogische Prinzip sei. Wenn aber der Bengel nun wirklich verliebt sein sollte – ich bitte Sie – die heutigen jungen Männer! – dann kompliziert sich die Sache doch wesentlich.«
»Dann ist's eben nichts mit unseren schönen Plänen.«
»So leicht gebe ich aber einen Plan, der mir so am Herzen liegt, nicht auf!«
»Was läßt sich thun?«
»Thun läßt sich schon etwas, man müßte die Sache dann nur recht diplomatisch anfassen.«
»Wie denken Sie sich das, Herr Hofrat?«
»Gnädigste Frau! Von uns beiden sind entschieden Sie 70 die Klügere. Ich hätte gern von Ihnen erfahren, wie ich über diese Sache denke.«
»Haben Sie Anhaltspunkte, anzunehmen, daß Rudolf verliebt ist?«
»Ich weiß nicht, aber er war in der letzten Zeit so unheimlich verständig und solid. Das muß doch einen Grund haben.«
»Das beweist noch nichts. Weiter!«
»Weiter – aber verraten Sie mich nicht. Ich habe in seinem Schreibtisch herumgestöbert und habe da ein Sonett gefunden.«
»War es gut?«
»Das verstehe ich nicht, aber es war stürmisch.«
»Ah?!«
»Jawohl und die ›goldene Krone‹ spielte auch eine Rolle drin.«
»Er wird doch keine Königin lieben?«
»Das nicht, er meint nur die blonden Flechten.«
»Sein Geschmack ist also blond?«
»Selbstverständlich. Er ist der Sohn seines Vaters.«
»Was Sie nicht sagen! Also Sie auch?!«
»Und das fragen Sie?? O, das schmerzt!«
»Bleiben wir bei der Sache, Herr Hofrat. Wir haben also zwei Möglichkeiten. Rudolf schmachtet bereits in Banden, oder er ist noch frei. Das letztere ist doch auch nicht ganz ausgeschlossen?«
»Durchaus nicht; ich habe nur Vermutungen ausgesprochen. Ich wüßte mich aber in beiden Fällen ihm gegenüber nicht recht zu benehmen.«
»Die Geschichte vereinfacht sich ja. Wenn er schon vergeben ist, dann reflektieren wir natürlich nicht mehr auf ihn.«
»Sie haben gut reden, Frau Regierungsrätin, aber ich kann doch nicht ruhig zusehen, daß er ins Verderben renne!«
»Es wird nicht gleich so schlimm sein. Wenn er aber 71 noch frei ist, dann besteht für mich dieselbe Schwierigkeit wie für Sie, Herr Hofrat.«
»Sie meinen, Gnädigste?«
»Ich weiß nämlich auch von meiner Tochter nicht, ob sie ohne weiteres bereit sein wird, auf Ihre Wünsche einzugehen, die, ich gestehe es, auch die meinigen sind.«
»Da müßte eben beiderseits etwas nachgeholfen werden.«
Und beide überlegten nun, wie da nachgeholfen werden könnte und beide waren sich darüber klar, daß die größte Vorsicht von nöten sei. Der geringste Fehler würde alles verderben, und wie leicht ist ein Fehler begangen! Von einem Zwang könne natürlich gar nicht die Rede sein, schon darum nicht, weil die Kinder sich ganz bestimmt nicht würden zwingen lassen. Ja, die heutige Jugend!
»Zureden hilft auch nichts,« meinte die Regierungsrätin. »Die Kinder lassen sich heutzutage nichts mehr einreden.«
»Nein, nein, nicht zureden!« pflichtete der Hofrat bei, »das taugt nichts; man weckt zu leicht Widerspruch, man treibt sie in die Opposition und damit ist dann alles verschüttet. Da ist es beinahe noch besser, ihnen abzureden, ihnen zu verbieten, was man doch erreichen möchte. Das weckt dann ihren Trotz, der nun gerade das Verbotene anstrebt und schließlich giebt man dann gnädigst nach.«
»Man riskiert aber bei dieser Methode doch, daß sie sich dann auf die braven, folgsamen Kinder hinausspielen, und dann sitzt man mit seinen schönen Plänen erst recht da!«
»Das ist auch wahr, meine liebe Gnädige. Wir können also nichts anderes thun, als doch ein wenig Vorsehung spielen. Wenn Sie mit Ihrer geschickten Hand gnädigst nachhelfen wollten, leise, unmerklich und doch unwiderstehlich – was wäre Ihnen unmöglich?«
»Sie haben eine hohe Meinung von meinen Fähigkeiten, Herr Hofrat, vielleicht eine zu hohe –«
72 »Von Ihnen und Ihren Fähigkeiten, schöne Frau, kann man überhaupt keine Meinung haben, die hoch genug wäre!«
»Herr Hofrat, Sie schmeicheln!«
Der Hofrat legte die Hand aufs Herz und seine Miene bezeugte, daß er bereit sei, tausend Eide zu schwören, daß er nicht schmeichle und daß er die Wahrheit und nur die lautere Wahrheit gesprochen habe.
Zureden oder abreden? Das erstere war gefährlich, das letztere nicht ungefährlich und noch dazu recht unpädagogisch und vom Standpunkte einer höheren Moral sogar recht verwerflich. Einem Menschen etwas verbieten, nur um ihn dadurch hineinzuhetzen, es erst recht zu thun – o, o!! Aber das hätte nichts verschlagen, wenn man seiner Sache nur halbwegs sicher hätte sein können – aber so?!
Das mußte noch sehr wohl überlegt werden. Das nahmen sie sich fest vor und mit diesem Vorsatz schieden sie voneinander.
* * *
Zur selbigen Stunde hatte auch Fräulein Alexandrine, eine in verjüngtem Maßstabe ausgeführte Ausgabe ihrer schönen und stattlichen Mama, ebenfalls Besuch. Es war Dr. Rudolf Perwanger, der bei ihr saß.
»Und nachdem wir nun glücklich so weit sind« meinte Herr Dr. Rudolf Perwanger, »ist es höchste Zeit, mein verehrtes Fräulein, daß wir miteinander Brüderschaft trinken.«
»Glauben Sie, Herr Doktor?« fragte Alexandrine ängstlich.
»Ich glaube es nicht, ich weiß es bestimmt. Das muß so sein; es geht gar nicht anders!«
»Ja dann, allerdings –!«
»Allerdings!« wiederholte Herr Dr. Rudolf mit starker, männlicher Betonung.
»Wie macht man denn das?«
73 »Das werde ich Ihnen gleich erklären. Bleiben Sie gefälligst sitzen, aber ganz ruhig; nicht rühren!«
Alexandrine saß ganz ruhig und rührte sich nicht. Herr Dr. Rudolf ging gemessenen Schrittes auf sie zu und beugte sich über sie.
»Nicht mucksen! habe ich gesagt,« rief er streng. »Hände weg, Kopf in die Höhe!« Nun – und dann küßte er sie auf den Mund.
Alexandrine wurde feuerrot im Gesicht und fragte dann neugierig: »Also so wird das gemacht?«
»Wir sind noch nicht fertig,« bemerkte Herr Dr. Rudolf lehrhaft.
»Sie scheinen die Ceremonien sehr genau zu kennen, Herr Doktor!«
»Zunächst mußt du für das ›Sie‹ bestraft werden; das kostet jedesmal einen Kuß.« Und er ging hin und bestrafte sie.
»Was muß ich also noch thun?« fragte, in die Enge getrieben, Alexandrine.
»Das wirst du gleich sehen. Wir sind ja erst mit der Hälfte fertig. Jetzt werde ich mich hinsetzen, mich nicht mucksen und dann –«
»Und dann soll – ich –«
»Wer denn sonst?«
»Muß das sein?«
»Natürlich muß es sein. Das ist strenge Vorschrift.«
»Ja, wenn es sein muß!« Und sie ging hin und erfüllte die strenge Vorschrift.
»Du mußt nicht so eine Angst haben, liebes Kind,« sagte Herr Dr. Rudolf in wohlwollender Ermunterung. »Daran ist nämlich noch nie jemand gestorben.«
»Woher wissen – nein, nicht bestrafen, bitte, nicht bestrafen! – woher weißt du denn das so genau?«
»Das habe ich erst gestern im Brockhausschen Konversations-Lexikon gelesen!«
74 »Das steht drin?«
»Jawohl, natürlich!«
»Dann wird es am Ende vielleicht auch wahr sein?!«
»In der Gelehrtenwelt ist man darüber schon vollkommen einig.«
»Gut. Ich hätte aber noch etwas auf dem Herzen: das heißt man also Brüderschaft trinken?«
»Nun, die Wissenschaft hat sich da eben nicht anders zu helfen gewußt. Zum Trinken – du bist nicht böse, lieber Schatz? – da seid ihr ja doch nicht zu verwenden. Da muß man sich eben helfen, indem man der Sache so einen figürlichen, einen symbolischen Anstrich giebt.«
»Du scheinst da eine recht anerkennenswerte Erfahrung zu besitzen?«
»O, ich bitte – nur Brockhaus, es steht alles im Brockhaus!«
»Lassen wir das – was thun wir aber nun?«
»Jetzt wird geheiratet!«
»Wenn man uns aber nicht läßt?«
»Dann gehen wir durch.«
»Oho!«
»Da ohot sich nicht das Mindeste, dann wird durchgegangen!«
»Dazu gehören zwei!«
»Im allgemeinen nicht, in unserem speciellen Falle aber – allerdings.«
»Nun also!«
»Was ›nun also‹? Ich habe ja bereits erklärt, daß ich durchgehe, und was dich betrifft, so wirst du nicht gefragt. Du wirst gut verpackt und mitgenommen.«
»Steht das auch im Brockhaus?«
»Dort nicht, aber anderswo. Es steht geschrieben, daß die Frau dem Manne zu folgen hat.«
»Vom Durchgehen steht aber nirgends etwas geschrieben.«
75 »Das ist auch gar nicht nötig; das bringen wir zur Not auch ohne schriftliche Belehrung fertig.«
»Zum Glück wird es nicht nötig sein.«
»Das denke ich auch, aber ich bin fest entschlossen, mir von keiner, von keiner Seite da etwas dreinreden zu lassen. Denn, mein liebes Kind, ich kann dir die Bemerkung nicht vorenthalten, daß ich dich scheußlich liebhabe.«
»Glaubst du, daß dein Papa etwas dawider hätte?«
»Es wäre nicht unmöglich. Gewiß ist, daß er mit mir Pläne vorhat, und ebenso gewiß, daß ich bombenfest entschlossen bin, auf keinerlei Pläne einzugehen.«
»Das solltest du ihm aber sagen, Rudolf!«
»Das ist nicht so einfach, wie du glaubst.«
»Warum nicht?«
»Lasse dir das erklären: Mein Vater und ich, wir sind die besten Freunde; es hat nie eine ernste Meinungsverschiedenheit zwischen uns gegeben. Wenn er nun in diesem und gerade in diesem Punkte mir entgegen sein sollte, so würde das einen Riß fürs ganze Leben geben. Denn in diesem Punkte ist mit mir absolut nicht zu reden, unter gar keiner Bedingung! Und, siehst du, mein süßer Schatz, ein solcher Riß – das überlegt man sich doch!«
»Genau so steht es bei mir,« seufzte Alexandrine. »Auch mit mir hat Mama Pläne vor und ich weiß nicht welche! Und auch ich, Rudolf, ich könnte und ich könnte nicht nachgeben. Denn auch ich, Rudolf –«
»Denn auch du?«
»Ach, nichts!«
»Du mußt es sagen.«
»Denn auch ich habe dich lieb, Rudolf, sehr – sehr!« Alexandrine sagte das stockend und es traten ihr dabei die Thränen in die Augen.
»Alexandrine!«
»Rudolf?«
»Du sollst nicht weinen.«
76 »Ich kann nichts dafür.«
»Du sollst nicht weinen. Ich kann einen Schulmeister nicht singen hören und so ein süßes kleines Mädel nicht weinen sehen. Man hat so seine Schwächen. Wirst du aufhören! Warte, dich werden wir trösten; das werden wir gleich haben. Komm schön her zu mir! Nein, sitzen bleiben! Ich komme zu dir.«
Und er ging hin zu ihr und tröstete sie.
»Ich bin schon getröstet,« sagte Alexandrine, indem sie ihren Kopf freimachte, und ihr süßes Gesichtchen war dabei von Purpurröte überflutet. »Ich bin wirklich schon ganz getröstet.«
»Sonst – ich bin nicht so – ich hätte mich schon noch weiter bemüht!«
»Ja, du bist ein edler Mensch, Rudolf!«
»Das sage ich auch, aber nun lasse uns wieder vernünftig reden. Wir wollen Mama und Papa das ganze Leben lang lieb haben, nicht wahr?«
»Ja, das wollen wir, Rudolf!«
»Darum dürfen wir es auch nicht auf den bewußten Riß ankommen lassen. Denn wer mir hier ein Hindernis in den Weg legen wollte, zu dem könnte ich das volle Zutrauen mit dem besten Willen im ganzen Leben nicht wieder finden. Darum muß alles, alles aufgeboten werden, daß die Geschichte vollkommen glatt verlaufe.«
»Was sollen wir nun also thun?«
»Ich werde zunächst einmal bei Papa auf den Busch klopfen.«
»Und wenn er Nein sagt?«
»O, mein süßes Kind, so weit darf es gar nicht kommen. Lasse nur mich machen.«
* * *
77 Der Bediente servierte das Abendessen. An dem Tische saßen der Hofrat Perwanger und sein Sohn Rudolf. Der Hofrat hatte einige Akten neben sich auf den Tisch gelegt; während des Essens selbst wollte er nicht lesen, um kein schlechtes Beispiel zu geben, aber gleich nach dem Essen, da wollte er sich über die Schriften hermachen.
»Gehst du abends noch fort, Rudolf?« fragte der Hofrat, indem er sich ein Glas von dem Klosterneuburger Prälatenwein einschenkte.
»Ach nein, Papa, es freut mich nicht.«
»Aber du sollst dich zerstreuen, Rudolf, ich habe gar nichts dagegen. Ein junger Mann soll seine Zerstreuung haben. Das viele Zuhausehocken taugt ja nichts!«
»Das Zuhausehocken freut mich auch nicht, Papa.«
Der Hofrat wurde aufmerksam und schob seine Akten beiseite. Er mußte mit seinem Sohn doch einmal vernünftig reden. Der junge Mann gefiel ihm nicht. Das Ausgehen freut ihn nicht und das Zuhausebleiben auch nicht, und das bei einem jungen Manne, der sich doch etwas gönnen darf, der »es thun kann«! Ist das Weltschmerz oder ist es Blasiertheit? Was es auch sein mag, dem jungen Menschen muß der Kopf zurechtgesetzt werden.
»Ich habe schon längst einmal mit dir ein ernstes Wort reden wollen, Papa,« begann Rudolf nach einer Pause reiflichen Nachdenkens.
Der Hofrat blickte erstaunt auf. Jetzt will der Junge mit ihm reden. Das heißt ja, den Spieß umkehren, aber Geduld – man wird ja hören.
»Sprich dich aus, mein Sohn,« erwiderte der Hofrat mit väterlicher Würde.
»Papa – unser Leben ist kein Leben!«
»Na, na!«
»Es ist kein Leben. Wir haben kein Heim!«
»Aber – Rudolf!«
78 »Das ist kein Heim. Wir sitzen da, zwei einschichtige Junggesellen, und führen eine öde, freudlose Existenz.«
Junggesellen! Dem Herrn Hofrat begann ein Licht aufzugehen. Jetzt heißt's vorsichtig sein. Er schwieg und gab damit seinem Sohne Gelegenheit, sich näher auszudrücken. Rudolf fuhr denn auch fort: »Ein Heim muß der Mensch haben. Auch dich kann's zu Hause nicht freuen, Papa. Wir leben wie in einem Gasthause, in dem man sich doch nie ganz wohl fühlen kann. Man möchte doch wissen, wohin man gehört. Die Familie fehlt uns, das Familiengefühl, das den Ärmsten Kraft und Halt giebt. Kurz, es gehört eine Frau ins Haus!«
Aha! Er hatte sich's doch gleich gedacht, der Herr Hofrat. So stand es also? Die Sache begann sehr kritisch zu werden. Der Hofrat dachte an seine Pläne, und es wurde ihm dabei etwas schwül zu Mute.
»Nur weiter, Rudolf,« sagte er nach einigem Nachdenken bedächtig. »Man kann ja reden darüber; jedenfalls darf man nichts überstürzen.«
»Das lange Überlegen und Schwanken und Zaudern taugt nichts. Papa, du solltest dir ein Herz fassen – und heiraten!«
Der Herr Hofrat machte Miene, vom Sessel zu fallen. Er sollte heiraten! Der Sohn will seinen Vater verheiraten – das war noch nicht da!
»Du scherzest, Rudolf!« sagte er, weil er nichts anderes zu sagen wußte.
»Durchaus nicht, Papa! Da gehört eine Frau her; es muß Leben ins Haus kommen. Es ist mir Ernst, bitterer Ernst. In diesem verödeten Haus versumpfen und versauern wir sonst alle beide!«
Der Hofrat dachte nach. Der Spieß ist also richtig in aller Form umgekehrt worden, die überraschende Wendung verdroß ihn aber nicht einmal. Die Hauptgefahr, die er befürchtet hatte, die seine Pläne hätte durchkreuzen können, 79 war also glücklicherweise noch nicht in Sicht. Das war schon etwas, und was das übrige betraf, so ließ sich ja darüber reden, das war ja doch weniger wichtig.
»Sieh, Rudolf,« begann er nach einer Weile, »ich bin zwar allerdings noch in den besten Jahren, aber an so 'was denkt man doch bei mir nicht. Es wäre doch in jedem Betracht angemessener und natürlicher, wenn du –«
»Was?! – Ich? Um keinen Preis!«
»Nur ruhig Blut. Du sollst ja zu nichts gezwungen werden, wenn ich aber die Sache recht erwäge –«
»Um keinen Preis! Bei mir hat's noch Zeit!«
»Nun, gar so ein Kind bist du doch auch nicht mehr.«
»Ich bin zu jung!«
»Jung gefreit –«
»Und so weiter – ich kenne das. Bleiben wir bei der Sache, Papa!«
Den Hofrat begann die Sache zu belustigen. Sein Sohn war also noch frei, da ließ sich ja noch parlamentieren. Noch war nichts verloren.
»Sage mir nun, Junge,« nahm er dann wieder das Wort, »wie denkst du dir das eigentlich?«
»Ungeheuer einfach: Du nimmst dir eine Frau; dann haben wir wieder ein Heim, eine Familie, und dann werden wir uns doch endlich wieder wohlfühlen zu Hause!«
»Das geht aber doch nicht so im Handumdrehen!«
»O, es geht sehr gut.«
»Ja, wenn du's besser weißt –!«
»Das weiß ich auch zufällig besser!«
»So? Nun also los! Bitte, verheirate mich.«
»Wenn du erlaubst – sofort und mit dem größten Vergnügen.«
»Höre, Rudolf, du bist ein Narr! Übrigens hören wir, was du mit deinem Vater vorhast. Hast du mir auch schon etwas Passendes ausgesucht?«
»Gewiß, auch das habe ich schon.«
80 »Nein, es ist wirklich zu rührend, wie heutzutage die Söhne für ihre Väter sorgen. Deinen Segen hätte ich also für alle Fälle, und nun darf ich vielleicht auch erfahren. was du für mich ausgesucht hast?«
»Siehst du, Papa, das ist nun ein heikliger Punkt! Es wäre viel schöner. wenn du selbst darauf kämest.«
»Wenn ich nun aber doch nicht darauf komme?«
»Das könntest du sehr leicht. Ich fürchte, daß ich etwas verderben könnte, wenn ich dir rate.«
»Fürchtest du? Warum denn?«
»Du bist jetzt etwas aufgeregt, Papa. Wenn ich dir jetzt einen Vorschlag mache, redest du dich am Ende in deiner Aufregung in den Widerspruch hinein, während du sonst vielleicht selbst die Idee als eine vorzügliche hättest anerkennen müssen. Ich glaube sogar, daß ich bei deiner jetzigen Stimmung besser thäte und daß es klüger wäre, dir von meinem Vorschlage abzuraten, dann gingst du vielleicht erst recht und nun gerade darauf ein.«
Der Hofrat sah sich seinen Sohn an, und es regte sich in ihm etwas wie väterlicher Stolz. Das konnte nicht geleugnet werden – dieser Rudolf – er war »der ganze Papa!«
»Ich möchte doch,« bemerkte endlich der Hofrat, »daß du etwas weniger philosophiertest und dich dafür etwas mehr dem realen Gebiete zuwendetest; denn mit deiner Psychologie wirst du bei mir nicht viel ausrichten. Also heraus mit der Sprache: Wer ist die Beneidenswerte, die durch meine Wahl beglückt werden soll?«
»Ich glaube, daß es da einen Zweifel gar nicht geben kann. Die Regierungsrätin Pötting ist wie geschaffen für dich!«
Der Hofrat sah seinen Sohn starr an – vox faucibus haesit. Daß ihm diese Idee nicht schon längst gekommen ist! Der Junge ist wirklich nicht dumm; darüber läßt sich allerdings reden. Während er aber so überlegte, kam ihm 81 noch eine Idee: eine bessere Anknüpfung zur Förderung seiner Pläne findet er gewiß nicht wieder. Diese Gelegenheit mußte benutzt werden.
»Also die Regierungsrätin!« sagte er, als spräche er mit sich.
»Jawohl, die meine ich, Papa. Das ist eine vollendete Dame, die deinem Hause vorstehen kann, und die doch wieder, wie sich's gehört, ein Haus machen kann.«
»So so? Die Regierungsrätin hat aber auch eine Tochter?«
»Du wirst doch die Tochter nicht heiraten wollen, Papa?!«
»Beruhige dich, bewegt Gemüt, ich nicht. Was würdest du aber sagen, wenn ich dir den Rat gäbe –«
»Was! Ich – die Tochter?«
»Ich meine ja nur so!«
»Daran ist nicht zu denken!«
»Auch gut. Dann lassen wir den Gedanken fallen.«
»Was – die Mutter sollen wir auch fallen lassen?«
»Die auch – sprechen wir nicht mehr davon.«
»Aber Papa! Die Mutter ist ja wie geschaffen für dich!«
»Und die Tochter wie geschaffen für dich!«
»Aber von mir ist ja gar nicht die Rede, Papa. Du solltest ja heiraten!«
»Ich habe ja auch nicht Nein gesagt.«
»Nun also?«
»Mein Gott, wenn dir so ein großer Gefallen damit geschieht, warum nicht? Aber wenn ich dir einen solchen Gefallen thue, dann sollte ich wohl erwarten dürfen, daß auch du mir etwas zu Gefallen thust.«
»Ach so? Dir liegt also etwas daran, daß ich die Tochter nehme?«
»Mir liegt sehr viel daran.«
»Hm, wenn das so ist –«
»Ich bin bereit, dir ein Opfer zu bringen, aber dann darf ich auch verlangen, daß du mir etwas zuliebe thust.«
82 »Weißt du, Papa, daß das eine kleine Erpressung ist?«
»Erpressung! Ich will dein Glück, Rudolf, das ist alles. Sei vernünftig, Rudolf. Ich will dir 'was sagen: das Mädel ist reizend!«
»Ich muß sie mir doch einmal ansehen.«
»Thue das; du wirst sehen, daß du in der ganzen Wienerstadt einen so herzigen Schatz nicht wieder findest. Willst du aber durchaus nicht, dann machen wir einen großen Strich darunter und Mutter und Tochter existieren für uns nicht mehr.«
»Was, Papa?! Dann läßt du auch die Mutter sitzen?«
»Unbedingt!«
»Das wäre aber jammerschade!«
»Wenn es dir gar so sehr darum zu thun ist, dann mußt du eben auch ein gewisses Entgegenkommen zeigen.«
»Ein gewisses Entgegenkommen nennt das mein Papa!«
»Sei gescheit, Rudolf. Denke 'mal, wie hübsch das wäre. Ich sage ja nicht, daß ich nicht ein Übriges thun will. Ein Bräutigam hat größere Auslagen, und dann die Hochzeitsreise – ich schenke dir zweitausend Gulden dazu.«
»O, Papa, unter viertausend ist das nicht zu machen – ich kenne das!«
»Du Wucherer! Also sagen wir drei!«
Rudolf schlug ein.
»Gemacht! Aber nur, weil du's bist, Papa!«
Ende.