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Dritter Band

Der Kasseneinbruch.

Es war am Dienstag nach Pfingsten. Grumbachs hatten wieder einmal ihren alten Hausfreund Dagobert bei Tische zu Gast. Das war kein Ausnahmefall, da es sich regelmäßig wöchentlich zweimal ereignete. Die Uhr schlug eben ein Viertel nach sechs, man war schon beim Nachtisch und unterhielt sich über die Vorkommnisse der Feiertage, als der Diener Herrn Kienast, den Hauptkassierer der A. B. B. meldete, der den gnädigen Herrn unverzüglich in einer höchst dringlichen Angelegenheit zu sprechen wünsche. Alle Welt in Wien, den Diener dieses Hauses natürlich nicht ausgenommen, wußte, was die drei Buchstaben zu bedeuten hatten, und so war es leicht verständlich, daß man der Kürze halber beim Sprechen und beim Schreiben sich lieber mit ihnen begnügte, als sich mit dem umständlichen Titel »Allgemeine Bauunternehmungs-Bank« abzumühen. Herr Andreas Grumbach, der bekannte Präsident des Klubs der Industriellen, war ungleich auch Präsident dieser Bank. Sein Freund Dagobert Trostler, der gediente Lebemann, der große Musikfreund und Amateur-Detektiv aus Passion, hatte ihm zuliebe eine Verwaltungsratsstelle bei derselben Bank angenommen.

Frau Violet, die liebenswürdige Gattin Grumbachs, die in dieser kleinen Tischgesellschaft – außer ihr waren nur noch die beiden genannten Herren und sonst niemand anwesend – den Vorsitz führte, war über die ganz ungewohnte Meldung nicht wenig erschrocken und erteilte, bevor noch der Hausherr das Wort ergreifen konnte, den Befehl, den gemeldeten Herrn sofort eintreten zu lassen.

Der Hauptkassierer, ein älterer Herr mit einem rötlichen, schon stark angegrauten Vollbart und wasserblauen, mit goldgeränderter Brille bewaffneten Augen, ließ auf den ersten Anblick seine große Aufregung erkennen, und zu dieser gesellte sich dann die sichtliche Verlegenheit. Er hatte es offenbar sehr eilig und sehr dringlich und wußte doch nicht, ob er reden solle und dürfe. In seiner Verwirrung versuchte er es durch Blicke und Mienenspiel zu verstehen zu geben, daß er eigentlich mit dem Herrn Präsidenten unter vier Augen zu sprechen hätte.

»Was ist denn geschehen, Herr Kienast?« fragte Herr Grumbach, nun schon selbst aufgeregt durch den Anblick seines aufgeregten Hauptkassierers.

»Herr Präsident, wenn ich bitten dürfte.«

»Ist ein Unglück geschehen?«

»Es ist ein Unglück geschehen, Herr Präsident, und wenn ich bitten dürfte.«

»Ein Unglück – in der Bank und – geschäftlicher Natur?«

»Jawohl, Herr Präsident, in der Bank und geschäftlicher Art. Wenn ich bitten dürfte.«

»Sie möchten mit mir allein sprechen?«

»Wenn ich bitten dürfte!«

»Es hätte keinen Zweck, Herr Kienast. Setzen Sie sich nur ruhig her zu uns und erzählen Sie. Meiner Frau müßte ich's dann doch wieder erzählen, und was Freund Dagobert betrifft, so gehört er ja zum Verwaltungsrat, wird also doch alles erfahren müssen. Ich lege sogar Wert darauf, daß er von vornherein alles wisse. Was also ist geschehen? Hoffentlich wird es nicht gleich den Kopf kosten!«

»Herr Präsident, es ist bei uns eingebrochen worden!«

»Sie wollen doch hoffentlich nicht sagen, daß man in unsern Kassenraum eingedrungen ist?!«

»Allerdings – in den Kassenraum –«

Grumbach schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Das war der Mühe wert, sich in Unkosten zu stürzen!« rief er erregt. »Vor noch nicht einem Jahre legen wir achtzigtausend Kronen an, um uns einen unterirdischen feuer- und einbruchsicheren gepanzerten Kassenraum herstellen zu lassen, damit mir doch ruhig schlafen können, und bei der ersten besten Gelegenheit spazieren die Einbrecher hinein, so gemütlich, wie in ein Kaffeehaus und tragen uns das Geld weg. Wieviel ist denn geraubt worden?«

»Herr Präsident – ich weiß es noch nicht!«

»Sie wissen es nicht? Herr, so fassen Sie sich doch und erzählen Sie endlich!«

»Wie ich heute morgen in die Bank komme, finde ich nach den beiden Feiertagen und weil Ultimo vor der Tür ist, viel Arbeit vor. Ich erledige alles glatt im Laufe des Tages und begebe mich nach Kassenschluß kurz vor sechs Uhr hinunter nach dem Tresor, um wie gewöhnlich die tagsüber eingelaufenen Effekten und Barbeträge unter sicheren Verschluß zu bringen.«

»Sie sind doch nicht allein gegangen?« fragte Dagobert dazwischen.

»Natürlich nicht, Herr Verwaltungsrat. In meiner Begleitung war der Oberbuchhalter Herr Höllerl, der die Gegensperre hat.«

»Weiter!«

»Schon wie ich die Türe aufschließe, übersehe ich mit einem Blick das ganze Unglück.«

»Wieso denn?« forschte Dagobert weiter. »In dem Raum ist es doch stockfinster!«

»Das ist's ja eben! Alle elektrischen Lampen waren aufgedreht. Die Einbrecher hatten bei elektrischer Beleuchtung gearbeitet und hatten sich bei ihrem Abzug nicht mehr die Mühe genommen, das Licht abzudrehen. So sah ich auf den ersten Blick, daß die Kasse für die Barbestände – das ist die kleinste von allen – erbrochen war.«

»Wieviel ist gestohlen worden?« fragte Herr Grumbach noch einmal.

»Ich weiß es nicht, Herr Präsident,« stöhnte der arme Hauptkassierer.

»Was heißt das – Sie wissen es nicht?! Sie sind unser Hauptkassierer; Sie sehen eine Kasse erbrochen und Sie interessieren sich nicht im mindesten dafür, wieviel man aus ihr entwendet hat!«

»Verzeihung, Herr Präsident! Als wir, Herr Höllerl und ich, das Unglück übersahen, da beratschlagten wir, was nun zu tun sei, und kamen zu dem Schluß, daß wir den Raum nicht betreten dürften, bevor der Herr Präsident verständigt oder die etwa anzuordnende behördliche Lokalaugenscheinaufnahme vorgenommen worden sei.«

»Es wäre Ihre Pflicht gewesen, sich über die Schadenhöhe sofort zu vergewissern,« ließ sich der Präsident sehr ungnädig vernehmen.

Da legte sich aber Dagobert ins Mittel: »Rege dich nicht noch unnütz auf, Grumbach. Ich glaube, daß die Herren vollkommen richtig gehandelt haben. Es ist für die Untersuchung immer besser, wenn ihr der erste Eindruck durch keinerlei Zufälligkeit getrübt worden ist. Sie soll ihre Arbeit auf jungfräulichem Boden beginnen können. Über die Schadenhöhe brauchen wir uns nicht erst die Köpfe zu zerbrechen. Wissen Sie ungefähr, Herr Kienast, wieviel Sie in Ihrer Kasse hatten?«

»Das weiß ich ganz genau, Herr Verwaltungsrat. Ich hatte die Gehälter und Löhne und alle sonstigen Fälligkeiten pro ultimo zurecht gemacht, im ganzen 164000 Kronen.«

»Dann kommen wir auf die Schadenziffer: 164000 Kronen. Nichts kann einfacher sein. Wenn ich eine Kasse erbreche, in der sich nur bares Geld befindet, dann räume ich gründlich aus und lasse keine Reste zurück.«

»Es ist allerdings anzunehmen,« gab Grumbach zu, »daß auch die Einbrecher nicht so dumm gewesen sind. Nun aber wollen wir doch rasch hinfahren und uns die Bescherung ansehen. Ich bin nur froh, daß wir Freund Dagobert gleich bei der Hand haben.«

»So werden wir das nicht machen, lieber Grumbach,« sagte Dagobert nach einiger Überlegung. »Die A. B. B. ist eine zur öffentlichen Rechnungslegung verpflichtete Anstalt. Wir dürfen uns also da nicht einen Formfehler zuschulden kommen lassen, nur weil ich zufällig von einer Privatpassion besessen bin. Wir hätten allerdings unzweifelhaft das Recht, uns die Bescherung erst einmal zu besehen, die Geschichte geht uns ja nahe genug an, und wir sind die Hausherren, aber korrekter ist es doch, wenn wir, wie die Dinge einmal nun liegen, der löblichen Polizei den Vortritt lassen. Darum, Herr Kienast, werden Sie sich jetzt unverzüglich auf die Kriminalabteilung der Polizeidirektion verfügen, nehmen Sie meinen Wagen, der vor dem Hause steht, und werden mit einer schönen Empfehlung von mir meinen Freund, den Oberkommissär Dr. Weinlich bitten, am Schauplatz der Tat zu erscheinen. Sie können gleich direkt mit ihm hinfahren. Grumbach und ich werden inzwischen schon zur Stelle sein und Sie am Haustor erwarten. Ist dir das so recht, Grumbach?«

»Vollkommen.«

Der Hauptkassierer tat, wie ihm geheißen, und Grumbach ging hinaus, um Befehl zu erteilen, daß sofort angespannt werde. Diese Gelegenheit benutzte Frau Violet, um Dagobert zu bitten, er möge es doch bei ihrem Manne durchsetzen, daß sie zu dieser Expedition mitgenommen werde. Es interessiere sie ganz ungemein, die Angelegenheit ebenfalls genau verfolgen zu können. Dagobert hatte nichts dagegen, und als der Hausherr wieder eintrat, begann er sofort, sich seiner diplomatischen Mission zu entledigen: »Du, Grumbach, der heutige Abend gehört von Rechts wegen unserer Gnädigen. Wenn wir ihr jetzt durchgehen und sie allein lassen, wird sie sich langweilen. Das darf nicht sein. Ich schlage vor, wir laden sie ein, mit von der Partie zu sein, vorausgesetzt, daß sie nichts dagegen hat, was ich natürlich nicht wissen kann! Man sieht doch nicht alle Tage frisch erbrochene Kassen. Hätten Sie nicht Lust, Gnädigste, sich einmal auch so etwas anzusehen?«

Frau Violet war sehr dafür, und Herr Grumbach gab nach einigem Sträuben nach. Er gab Befehl, statt des Zweisitzers den Landauer einzuspannen, und wenige Minuten später fuhren sie beim Hauptportal des Palastes der A. B. B. vor. Dort stand auch schon, ganz bleich und zitternd vor Aufregung, Herr Höllerl, der Oberbuchhalter, gleichsam als Schildwache auf die vom Hauptkassierer versprochene Ablösung wartend. Er war in seinem hastig vorgebrachten Bericht noch nicht weit gekommen, als auch schon Dagoberts flinker Gummiradler heranvibrierte, dem mit Mühe folgend und beträchtlich rasselnd, ein Fiaker nachgaloppierte, welchem zwei uniformierte Wachmänner und zwei Detektivs entstiegen. Im ersten Wagen waren der Hauptkassierer und der Oberkommissär Dr. Thaddaeus Ritter v. Skrinsky gekommen. Der Hauptkassierer erzählte erläuternd, daß Dr. Weinlich von seinem Pfingsturlaub noch nicht zurückgekehrt gewesen und daß ihm daher dessen Kollege, Dr. v. Skrinsky, mitgegeben worden sei.

Der Oberkommissär übernahm nach vollzogener Begrüßung und Vorstellung sofort die Leitung der ganzen Angelegenheit. Er entsandte einen Detektiv zum Portier, daß er mit den Schlüsseln komme und die Bureaus aufsperre. Der Mann kam, doch nicht mehr in der feierlichen, goldstrotzenden Portier-Livree, sondern in seinem saloppen Hausmeistergewand. Der Tagesdienst war ja vorüber. Unter seiner Führung begab sich der Zug die Treppe hinauf, dem Führenden dichtauf Präsident Grumbach mit dem Oberkommissär und ganz zum Schluß Dagobert, Frau Violet galant am Arm führend. Die beiden unterhielten sich flüsternd miteinander.

»Wir haben kein Glück, Gnädigste,« ließ sich Dagobert leise vernehmen. »Weinlich wäre mir bedeutend lieber gewesen, Skrinsky ist eine Katastrophe.«

»Wieso denn, Dagobert?«

»Er ist ein Kretin, der in seinem Leben nichts herauskriegen wird.«

»Aber – erlauben Sie mir – ein Oberkommissär und noch dazu Doktor!«

»Er mag vielleicht vorzüglich geeignet sein für das Fundbureau oder für das Meldezettelamt, aber von der Kriminalpolizei hat er nicht die leiseste Ahnung – die aufgelegte Talentlosigkeit! Ich kenne ihn genau.«

Als der Kassenraum aufgesperrt wurde – man hatte, um zu ihm zu gelangen, von den Bureaus auf besonderer Stiege wieder zwei Stockwerke tief heruntersteigen müssen – da gab es, trotzdem man ja auf den Anblick gefaßt sein mußte, doch für alle eine Sensation. Der Raum erstrahlte im hellsten Licht. Die elektrischen Lampen, vierundzwanzig an Zahl, waren noch immer ausnahmslos in Funktion und ließen jede Einzelheit in dem gepanzerten Raum deutlich erkennen.

Acht große Kassen standen an den Wänden in wuchtiger Majestät. Es war ersichtlich, daß ihnen beizukommen der Versuch erst gar nicht unternommen worden war. Nur die kleinste der Kassen an der schmalen Seitenwand gegenüber der Eingangspforte war in Angriff genommen worden. Sie war umgestürzt worden und lag mit dem Gesichte auf einem Sandhaufen. In die Rückseite war eine für den Zweck hinreichend große Öffnung durchgestemmt oder durchgesägt worden.

Alle wollten nun sofort zu dieser Kasse eilen, da ließ sich aber Dagobert sehr kategorisch vernehmen: »Halt, meine Herrschaften! Nicht einen Schritt! Erschweren wir dem Herrn Oberkommissär sein Amt nicht!«

Der Oberkommissär war sichtlich geschmeichelt durch die auf so eindrucksvolle Art erfolgte Anerkennung seiner kriminalistischen Autorität und trat nun allein zur Kasse hin. Er steckte den Arm durch das Loch und stellte fest, daß die Kasse völlig ausgeräumt sei. Mit großer Befriedigung las er auch vom Boden mehrere corpora delicti auf: eine Garnitur feiner englischer Einbruchwerkzeuge, einen Hosenknopf mit einem englischen Fabrikstempel, eine nur wenig angerauchte Havannazigarre, zwei elegante Halskragen und eine Manschette, in der auch noch ein Manschettenknopf stak.

»Herr Trostler, wenn ich bitten darf,« rief er Dagobert an, »Sie verstehen sich ja, glaube ich, auf derlei – der Knopf ist natürlich unecht?«

»Er ist echt,« entschied Dagobert nach kurzer Prüfung. »Das ist echtes Gold und der Brillant in der Mitte ist ebenfalls echt.«

»Desto besser! Das bestärkt mich nur in meiner schon beim ersten Anblick gefaßten Meinung. Die Herren hätten ebensogut gleich ihre Visitkarten dalassen können!«

»Sie glauben also, Herr Oberkommissär, daß Sie der Einbrecher werden habhaft werden können?« fragte Präsident Grumbach.

»Ich glaube jetzt schon Ihnen dafür garantieren zu können. Treten Sie näher, Herr Präsident, daß ich Ihnen den Vorgang, will sagen, das Verfahren der Einbrecher ganz genau erläutere und förmlich rekonstruiere. Auch alle andern können jetzt schon näherkommen– «

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als ein plötzlicher Schreck die ganze Gesellschaft durchfuhr. Eine feurige, blendende Lohe erfüllte mit einem Male blitzartig den Raum, die alle Gesichter totenbleich und die elektrischen Lichter im kläglichen Scheine von Nachtlichtern erscheinen ließ. Man konnte glauben, es sei eine Explosion erfolgt, aber Dagobert hatte nur eine Magnesiumpatrone spielen lassen und eine photographische Momentaufnahme bei Blitzlicht gemacht. Nicht am wenigsten erschrocken war der Herr Oberkommissär, und seine Worte klangen recht ungnädig, als er sich an Dagobert wandte: »Pardon, Herr Trostler! Ich schätze ja auch die Herren Amateur-Photographen, aber ich glaube, daß für derartige Liebhaberkünste der gegebene Anlaß doch ein bißchen zu ernst ist. Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun. Wollen Sie so gütig sein, Herr Präsident?«

Grumbach trat heran und alle andern folgten ihm und stellten sich auf den Sandhaufen, um besser sehen zu können. Der Oberkommissär dozierte nun, wie nach seiner Meinung und nach seinen Beobachtungen der Einbruch vollführt worden sei. Dabei räusperte er sich ziemlich häufig, womit er diskret, aber doch vernehmlich seine Vorwürfe an Dagobert adressierte. Denn das Blitzlicht hatte nicht nur eine starke Rauchentwicklung, sondern auch einen ganz erheblichen Gestank zur Folge gehabt.

»Wir haben im allgemeinen doch noch Glück, Herr Präsident,« schloß er seine Darlegungen. »Die Verbrecher haben Spuren zurückgelassen, die uns die Nachforschungen wesentlich erleichtern werden. Allerdings – sie können schon einen großen Vorsprung haben. Wir hatten zwei Feiertage, und wir können nicht wissen, ob das Verbrechen gestern oder vorgestern begangen worden ist. Mit den Hilfsmitteln aber, die sie uns zurückzulassen die Freundlichkeit hatten, werde ich sie erreichen und wenn sie am Ende der Welt wären!«

Während seines Vortrages hatte er den Präsidenten, dem sich nun seine Gattin angeschlossen hatte, im Kreise um die erbrochene Kasse herumgeführt. Dabei knirschte der Sand unter ihren Füßen, was insbesondere den Herrn Oberkommissar ganz nervös machte.

»Und überhaupt,« fragte er unmutig und mit strengem Stirnrunzeln, »wie kommt der Sandhaufen da herein?!«

Der Hauptkassierer konnte Auskunft geben. Vor kurzem seien in dem Raum noch zwei Nischen hineingemauert worden, und da sei der Sand übriggeblieben, der noch nicht hinausgeschafft worden sei. Übrigens habe sich seines Wissens der Sandhaufen an der entgegengesetzten Seitenwand in der Nähe der Türe befunden.

»Die Sache ist durchsichtig,« erläuterte der Oberkommissär. »Die Einbrecher haben den Sand hierher geschaufelt, um den Fall der Kasse zu dämpfen. Für uns ist das freilich nicht angenehm; denn es ist einfach ekelhaft, hier auf dem knirschenden Sand herumzustiefeln. Ich habe das nie vertragen. Übrigens, lieber Mann,« wandte er sich an den Portier, »könnten Sie uns wenigstens hier bei der Kasse herum den Sand ein wenig wegkehren.«

Der Portier hatte keinen Besen zur Hand, er half sich aber, indem er seine blaue Arbeitsschürze abband und, indem er niederkniete, den Sand mit dieser, so gut es ging, wegwischte.

In diesem Augenblicke flammte wieder das Magnesiumlicht auf. Dagobert hatte abermals eine Aufnahme gemacht.

Der Oberkommissär war wütend und wurde nun geradezu grob.

»Das ist doch unerhört,« rief er mit großer Schärfe im Ton, »mit solchen Spielereien den Gang der Untersuchung zu stören. Ich habe es satt, mich zum Opfer der Passionen eines Amateur-Photographen machen zu lassen. Jetzt wird man hier bald überhaupt nicht mehr existieren können. Ich muß Herrn Trostler auf das allerentschiedenste bitten, uns nicht noch weiter zu belästigen!«

Dagobert zuckte die Achseln und zog sich wortlos zurück. Er begab sich in die Wohnung des Portiers, die er unversperrt fand, um dort die Rückkehr der Gesellschaft abzuwarten. Der Oberkommissär fühlte sich nach Dagoberts Rückzug nur um so mehr ermutigt, seine Autorität herauszukehren und seiner Entrüstung noch durch zahlreiche »Unerhört!« und »Unglaublich!« effektvollen Ausdruck zu geben.

»Das sind,« wandte er sich an Herrn und Frau Grumbach, »die Manieren der dilettierenden Kriminalisten, und ich glaube, sagen zu dürfen, es sind keine guten Manieren.«

Damit hatte Dagobert seinen Seitenhieb weg, und es gereichte dem Oberkommissär zur besonderen Befriedigung, daß er Gelegenheit gefunden hatte, ihn anzubringen.

Lange war es nun in der Tat in dem raucherfüllten Raum nicht mehr auszuhalten, und so gab denn der Herr Oberkommissär schon nach wenigen Minuten das Zeichen zum Aufbruch. Dagobert hatte, als der Zug in der Toreinfahrt anlangte, die Portierwohnung schon wieder verlassen und wartete am Tore, um Frau Violet beim Einsteigen in den Wagen behilflich zu sein.

Vor dem Hause hatte sich schon eine beträchtliche Menschenmenge angesammelt; denn die polizeiliche Auffahrt hatte doch einiges Aussehen erregt.

Dagobert half Frau Violet in den Wagen und sagte dabei: »Ich lade mich noch zu einer Tasse bei Ihnen für heute abend ein, Gnädigste.«

»Kommen Sie denn nicht jetzt mit uns, Dagobert?«

»Ich habe noch einiges zu besorgen, Frau Violet. Ich komme später. Du wirst doch auch zu Hause sein, Grumbach? Wir werden noch einiges zu besprechen haben.«

»Gewiß werde ich zu Hause sein, zumal wenn du dich ansagst!«

*

Es war halb zehn Uhr abends, kaum eine Stunde, nachdem sie sich vor dem Palais der A. B. B. getrennt hatte», als Dagobert bei Grumbachs wieder antrat. Frau Violet hatte, wohl wissend, daß Dagobert niemals vom »Geschäft« reden wollte, solange die aufwartende Dienerschaft ab und zuging, nicht im Speisesaal, sondern gleich im Rauchzimmer zum Abendessen decken lassen. Für den Tee bedurfte es keiner weiteren Bedienung. Den servierte sie als Hausfrau am liebsten selber, und mit den paar kalten Schüsseln konnten sie sich ebenfalls recht gut allein behelfen.

Man war also ganz ungestört. Frau Violet saß an ihrem gewohnten Lieblingsplätzchen am Marmorkamin, vor sich den Samowar und die Tassen; ihr gegenüber auf seinem Stammplatz Dagobert, und Grumbach mehr in der Mitte des Zimmers am Rauchtischchen, wo nur für ihn gedeckt war, in seinem bequemen Fauteuil.

»Nun, Frau Violet,« begann Dagobert, »haben Sie sich bei der schönen Kriminaluntersuchung gut unterhalten?«

»Es hat mich außerordentlich interessiert, und ich danke Ihnen, daß Sie mich mitgenommen haben.«

»Jedenfalls war es ein kostspieliges Vergnügen!« brummte Grumbach ein wenig verdrossen in den Bart.

»So weit sind wir noch nicht,« vertröstete Dagobert. »Was sagst du aber zu unserem wunderbaren Oberkommissär?«

»Mein Gott, was sollte er tun? Was läßt sich überhaupt tun?«

»Das sage ich auch,« bemerkte Frau Violet. »Ich finde, daß er getan hat, was er tun konnte. Sie dürfen nicht ungerecht sein, Dagobert. Auf Sie war er natürlich wütend; Sie haben ihn aber auch wahrhaftig schwer gereizt.«

»Ich mußte tun, was ich für nötig hielt.«

»Gut, aber das zweitemal!«

»Da erst recht!«

»Was haben Sie an ihm auszusetzen?«

»Alles!«

»Das ist ein bißchen viel. Das müssen Sie schon gütigst etwas näher erklären.«

»Dazu bin ich da. Wie bemerkte ich doch so treffend zu Ihnen, Gnädigste, als wir seiner ansichtig wurden? Ich glaube, ich sagte, er ist ein Rhinozeros!«

»Ich erinnere mich nicht, Dagobert.«

»Dann war's eine Unterlassungssünde, die nicht oft genug gut gemacht werden kann. Schon die Art, wie er die polizeiliche Wachtparade aufzog, war blödsinnig. Natürlich blieben die Leute sofort stehen und machten sich ihre Kommentare. Wir konnten doch ein Interesse daran haben, daß die Sache vorläufig geheim gehalten wurde, oder es konnte im Interesse der Untersuchung liegen.«

»Das ist wahr, Dagobert, den polizeilichen Glanz hätte er nicht entfalten sollen.«

»Weiter! Er betritt mit seiner Rotte den gepanzerten Kassenraum und interessiert sich nicht im mindesten für die Frage, wie die Einbrecher – für ihn steht es von vornherein fest, daß es Einbrecher in der Mehrzahl waren – da herein gelangt sein mögen.«

»Ja, das ist aber auch wirklich wahr, Dagobert, daran hat er gar nicht gedacht!«

»Ich sagte Ihnen ja, Frau Violet, daß ich bei seiner Dummheit auf vieles gefaßt war. Er hat aber selbst meine kühnsten Erwartungen übertroffen. Übrigens – auch wenn er daran gedacht hätte, er hätte nichts gefunden. Ich habe die Schlüssellöcher untersucht. Sie weisen keine Spuren auf. Gut, aber auch das ist wichtig, zu wissen. Man zieht seine Schlüsse daraus.«

»Was für Schlüsse, Dagobert?«

»Das ist doch sehr klar,« mischte sich nun Grumbach hinein. »Daraus folgt, daß entweder die Türe nicht versperrt war, oder daß sie aufgesperrt, also nicht erbrochen wurde, und zwar aufgesperrt mit den richtigen Schlüsseln oder mit Nachschlüsseln. Waren es die richtigen Schlüssel –«

»Halten wir uns mit diesen scharfsinnigen Untersuchungen nicht auf. Wir bedürfen ihrer nicht mehr!«

»Nicht mehr?« rief Frau Violet. »Dagobert, Sie tun ja, als wenn Sie schon alles wüßten!«

»Ich weiß einiges, Gnädigste, aber lassen Sie mich systematisch vorgehen. Das hatte er also übersehen. Gut; kann auch vorkommen. Was aber nicht vorkommen darf, das ist sein ganzes weiteres Vorgehen, wie er endlich drin war. So darf sich eine Kuh im Porzellanladen benehmen, aber nicht ein Kriminalkommissär auf dem Schauplatz eines Verbrechens! Bei einem Haare hätte er mir sogar alles verdorben.«

»Ja aber, lieber Dagobert, er hat doch nicht für Sie gearbeitet! Er hat sich vor allen Dingen der zurückgelassenen Gegenstände bemächtigt. Das hätte ich auch getan. Die sind doch sehr wichtig. Denken Sie nur: zwei Halskragen – also waren es zwei Einbrecher; zwei elegante Kragen – also es waren nicht gewöhnliche Strolche. Die Havannazigarre, der Knopf mit dem englischen Stempel, die Manschette mit dem echten, wertvollen Knopf, die feinen englischen Werkzeuge – das alles ist ja schon ein halber Erfolg für die Untersuchung, wenn nicht ein ganzer. Wir können jetzt annehmen, daß es nicht heimische ordinäre Räuber, sondern reisende, elegant auftretende internationale Kasseneinbrecher waren, wahrscheinlich Engländer. Das sind doch sehr wichtige Anhaltspunkte!«

»Sie dürfen so schließen, Frau Violet. Sie sind eine Dame und waren noch niemals in die Lage versetzt, eine Kriminaluntersuchung zu führen. Sie haben also die Rechtswohltat zahlreicher Milderungsgründe für sich. Wenn aber ein Oberkommissär ebenfalls sofort so wohlwollend und harmlos aufsitzt, so schicke ich ihn, wenn ich etwas dreinzureden habe, sofort in Pension. Ich bin nämlich auf den ersten Anblick zu ganz anderen Schlüssen gelangt.«

»Da bin ich neugierig, Dagobert!«

»Zwei Halskragen – also nur ein Täter; zwei elegante Kragen – also ein ordinärer Kerl, jedenfalls ein Mensch, der niemals hohe Modekragen trägt, niemals Manschetten mit echten Knöpfen verwendet und niemals Havannazigarren raucht. Der englische Stempel und das feine englische Werkzeug, das, nebenbei bemerkt, wie auf einen Blick festzustellen war, noch niemals verwendet worden ist – also es war ein einheimischer Gauner, den wir in der Nähe zu suchen haben.«

»Das ist Ihre Ansicht, Dagobert, die ja etwas für sich haben kann, aber es ist noch kein Beweis.«

»Also bleiben wir bei Ihrer Annahme, Frau Violet, die ich Ihnen ja nicht weiter zur Last lege. Also es waren zwei internationale reisende Bankräuber, wahrscheinlich Engländer. Wir dürfen annehmen, daß es schlaue, ganz durchtriebene Gesellen sind. Bei dem Geschäft kann man dumme Kerle nicht gebrauchen. Das geben Sie doch zu?«

»Natürlich müssen es sehr geriebene Spitzbuben sein!«

»Gut. Das zeigt sich schon in der Wahl des Zeitpunktes. Sie hatten sich die Pfingstfeiertage ausgesucht, und wahrscheinlich hatten sie sich schon am ersten ans Werk gemacht. Sie hatten zwei Tage und zwei Nächte vor sich, wo sie vor Störung absolut sicher waren. Zeit hatten sie also zur Genüge. Nicht das mindeste deutet darauf hin, daß sie plötzlich Hals über Kopf zu einer hastigen Flucht gezwungen worden wären und daß sie dabei so den Kopf verloren hätten, daß sie ein ganzes Arsenal von sehr wichtigen Erkennungsmitteln zurückließen. Wenn sie es aber nicht eilig hatten – warum dann die Hinterlassenschaft der verräterischen Spuren, die für sie sehr gefährlich, ja verhängnisvoll werden konnten?«

»Ach, sie kümmerten sich nicht weiter darum!«

»Gut; sie kümmerten sich nicht weiter darum, aber um etwas anderes mußten sie sich doch kümmern – wie sie da unverdächtig wieder hinauskämen. Im Dunkel der Nacht ging's nicht. Da hätten sie den Portier passieren müssen. Das war zu gefährlich. Sie mußten also bei Tage unauffällig davongehen. Wir haben festgestellt, daß es schlaue Gesellen waren. Ich frage nun: wäre es schlau gewesen, ohne Not eine ganze Sammlung verräterischer Objekte zurückzulassen? Wir wissen ferner, daß es elegante Leute waren. Große Kisten oder Säcke hatten sie nicht fortzuschleppen. Was sie davon trugen, konnten sie bequem in ihren Brusttaschen bergen. Ich frage nun weiter: Wenn die Leute wirklich elegant angezogen waren, mußte es nicht auffallen, wenn sie sich – ohne Halskragen blicken ließen? Und hatten sie nicht Gründe, zu wünschen, daß sie nicht auffielen?«

»Ja, da haben Sie eigentlich recht, Dagobert!«

»Schlaue Einbrecher gehen nicht so vor. Die Komödie war einfach für den Herrn Kriminalkommissär eingerichtet, als wenn der Einbrecher – es war wirklich nur einer – geahnt hätte, daß es der Skrinsky sein werde, der denn auch wirklich prompt darauf hineingefallen ist. Der wird nun auch, wenn man ihn ruhig gewähren läßt, die Spuren wochen- und monatelang verfolgen und schließlich wirklich –«

»Den Täter erwischen?«

»Das nicht, aber herausbringen, wo die Kragen gekauft und wo die Manschette zum letztenmal gewaschen worden ist. Er ist voller Zuversicht, weil er sich eines glorreichen Präzedenzfalles erinnert und sich dem süßen Wahne hingibt, daß es ihm ebenso glücken werde.« »Was ist das für ein Fall, Dagobert?« »Der Fall Gröschl. Das war ein Einbrecher, dessen Spezialität es war, die Stadtwohnungen der Parteien auszuplündern, die gerade in der Sommerfrische weilten. Eine gute und bequeme Spezialität – alles, was wahr ist! Nachdem er schon mehr als hundertmal mit Erfolg operiert hatte, passierte ihm bei seinem letzten Unternehmen – es war in einer Wohnung im Schottenhof – ein kleines Versehen. Er ließ auf dem Tatort eine Manschette zurück. Der Kriminalkommissär – es war nicht der Doktor Thaddäus Ritter v. Skrinsky – schickte mit dieser Manschette einen Detektiv aus, damit er der Reihe nach, wenn nötig bei sämtlichen Wäscheputzerinnen Wiens, Umfrage halte. Auf der Innenseite der Manschette war nämlich mit Tinte ein Zeichen gemacht worden, ein Buchstabe und eine Ziffer, und es mußte nun herausgebracht werden, welche Putzerin oder Wäscherin solche Zeichen zu machen pflege. Nach vierzehn Tagen war die richtige Putzerin gesunden. Sie erkannte ihr Zeichen und wußte auch – die Wäscherinnen haben für derlei ein Gedächtnis – die Kundschaft anzugeben, der die Manschette gehöre. Man brauchte also nun Herrn Gröschl nur aus seiner Wohnung abzuholen.«

Dagobert Trostler fuhr in seiner Erzählung fort: »Es war ein hübscher Fall, ich gebe es zu. Skrinsky wird also nun seine Methode befolgen. Während er aber von seinen zukünftigen Siegen träumte, habe ich es vorgezogen, mich mit dem Einbrecher gleich persönlich ins Einvernehmen zu setzen.«

»Dagobert!«

Herr und Frau Grumbach hatten das gleichzeitig ausgerufen. Jener war sogar aufgesprungen und rief 22 Detektiv Dagobert. III.

in höchster Erregung: »Du kennst den Täter? Hoffentlich ist es keiner unserer Beamten?!«

»Wer ist es, Dagobert?« drängte Frau Violet.

»Nein wirklich – diese Lachsbrötchen!«

»Dagobert, Sie sind ein entsetzlicher Mensch!« rief Frau Violet.

»So erzähle doch!« bestürmte ihn der aufgeregte Präsident.

»Ich will ja nichts anderes, aber bei euch kann man ja nicht zu Worte kommen. Es muß doch alles schön der Reihe nach gehen, und man sollte einen Menschen doch ausreden lassen!«

»Haben Sie ihn verhaftet, Dagobert?«

»Verhaftet? Bin ich der Oberkommissär, daß ich die Leute nur gleich so verhaften kann?«

»Dann haben Sie also gar nichts ausgerichtet?«

»Einiges doch. Ich habe das geraubte Geld mitgebracht.«

»Dagobert!«

»Hier ist es.«

Er zog aus der hinteren Rocktasche einen ziemlich voluminösen, in Wachsleinwand eingeschlagenen Pack und reichte ihn dem Präsidenten.

»Da, zähle nach, Grumbach!«

Der Präsident zählte nach und sagte dann mit einem Seufzer der Erleichterung: »Ja, wahrhaftig, es ist alles da. Einmalhundertsechzigtausend Kronen!«

»Nicht alles, Grumbach. Viertausend Kronen fehlen. Du hast ein prophetisches Gemüt, und dein ahnend Herz betrog dich nicht, als du vorhin sagtest, es sei ein kostspieliges Vergnügen gewesen. Das war es allerdings für mich. Die viertausend Kronen werde ich nämlich bezahlen, aber das Vergnügen war es mir wert.« »Jetzt erzählen Sie aber endlich, Dagobert, wie das alles zugegangen ist!«

»Sie können sich denken, Frau Violet, daß ich ganz gehörig aufpaßte, als die Untersuchung begann, schon deshalb, weil ich zu unserem Oberkommissär nicht das geringste Vertrauen hatte. Die vielen Fundobjekte waren mir gleich verdächtig. Das roch doch zu sehr nach Absicht, und zwar nach Absicht der Irreführung. Zwei Kragen! Schließlich – auch wenn es zwei Täter gewesen sein sollten, warum sollten dann beide ihren Hemdkragen vergessen haben? Weiter. Die Kasse lag in schiefer Richtung da. Hätten da zwei Leute gearbeitet, dann wäre sie nach dem Satze vom Parallelogramm der Kräfte wohl in gerader Richtung gefallen. Für einen Mann ist das Umwerfen einer solchen Kasse allerdings eine sehr schöne Leistung, beinahe eine unwahrscheinliche.«

»Ich glaube es auch nicht, Dagobert, daß ein Mann allein das zustande bringen kann,« bemerkte Herr Grumbach.

»Man hat seine technischen Hilfsmittel, mein Lieber. Ich bemerkte auch an der Wand, an der die Kasse gestanden hatte, Spuren, die deutlich darauf hinwiesen, daß da mit einer eisernen Stange gearbeitet und deren Hebelwirkung ausgenützt worden sei. Das alles entging unserem Oberkommissär natürlich. Die Stange war nicht mehr da. Merkwürdig! Man vergißt nicht nur Halskragen, sondern auch die feinen Werkzeuge; die grobe, ungeschlachte Eisenstange, die nicht nur schwer zu transportieren, sondern beim Transport auch schwer zu verbergen war, die nimmt man mit!«

»Das ist allerdings sonderbar, Dagobert, und was schlossen Sie daraus?«

»Daß der Mann mit seiner Stange nicht weit zu gehen hatte. Was aber das Allerwichtigste war und wofür unser gediegener Kriminalist gar kein Auge hatte, das waren die Fußspuren im Sande. Ich habe genau hingesehen, es waren doch nur die Spuren eines Mannes, einmal der rechte Fuß, einmal der linke, ganz deutlich zu unterscheiden, aber immer desselben Mannes. Diese Fußspur – das war nun eine Handhabe! Damit ließ sich doch etwas anfangen. Was tut nun aber der gediegene Kriminalist Skrinsky? Er läßt seinen ganzen Festzug auf die Spuren drauftrampeln! Es war erreicht. Die richtigen Spuren waren verwischt und die hohe Behörde glücklich auf die falschen geleitet.«

»Das hätten Sie aber nicht zulassen sollen, Dagobert!«

»Ich fühlte durchaus nicht das Bedürfnis, den Herrn Oberkommissär vor einer wohlverdienten Blamage zu bewahren. Übrigens habe ich das Meinige getan, als ich im letzten Augenblick noch wenigstens die schönste Fußspur mit Blitzlicht photographierte.«

»Was sollte das nützen, da Sie doch nicht die genauen Maße aufgenommen hatten?«

»Deren bedurfte ich in diesem Falle nicht. Was ich brauchte, war in Sicherheit gebracht. Ich hatte lange überlegt. Der Einbrecher hatte beträchtliche Umsicht und Schlauheit entfaltet. Ich suchte nun nach der einen Dummheit oder Unachtsamkeit, die sich erfahrungsgemäß auch der schlaueste Verbrecher gewöhnlich zuschulden kommen läßt. Ich habe sie gefunden.«

»Was war das, Dagobert?«

»Ich habe sie gefunden, und als ich dann, wie Sie wissen, mit Glanz hinausgeworfen wurde, da lag mir nichts mehr daran. Für mich war die Untersuchung abgeschlossen. Ich hatte meinen Mann, und ich habe dann die Sache ziemlich rasch erledigt, wovon Sie sich ja bereits überzeugt haben. Als ich Sie zu Ihrem Wagen gebracht hatte, begab ich mich zum Portier, der an seinem Tische in der Mitte des Zimmers saß; und sich erhob, als ich eintrat. Ich schloß die Türe hinter mir ab und begann dann in sehr bestimmtem Tone: ›So, Hartwanger! Wo ist das Geld?‹«

»Was für Geld?« fragt er rauh. »Ich weiß von nichts!«

»Tu' nicht so unschuldig, du Schuft! Das Geld, das du uns gestohlen hast!«

»Ich habe nichts gestohlen,« brachte er mit dumpfer Stimme hervor. »Wer sagt, daß ich etwas gestohlen habe?«

Er wurde sehr rot dabei, als er so sprach, aber es war nicht die zarte Röte der Scham, meine Gnädigste. Es war ein rasender Zorn, der in dem Manne aufstieg. Seine Stirnadern schwollen an, und seine blutunterlaufenen Augen gewannen einen unheimlichen Glanz.

Mit einem Male hatte er – ich wußte nicht einmal, wo er es hergenommen hatte – ein langes Messer in der Hand.

»Um Gottes willen, Dagobert, in was für Geschichten lassen Sie sich ein!« rief Frau Violet, ganz bleich vor Schrecken.

»Na also – ich bin gerade kein Freund von solchen Mätzchen. Da kann ich sehr ungemütlich werden. Und ich wurde es. Zunächst riß ich den bereitgehaltenen Revolver aus der Tasche und hielt ihn ihm entgegen, und dann schimpfte ich – in einer Weise – Gnädigste, wenn Sie das gehört hätten, ich weiß nicht, ob Sie mir heute noch die Tasse eingeschenkt hätten! Aber es half. Ich kriegte den Kerl klein.

›Was?! Du miserabler Galgenstrick!‹ schrie ich ihn an – ich wiederhole nur die zarteren Ausdrücke, meine Gnädigste – ›Nicht genug, daß du ein Dieb und ein Räuber bist‹ – wirklich nur die feineren Ausdrücke, meine Gnädigste! – ›möchtest es einmal auch als Mörder versuchen. Da schau her, du Lump!‹

Und damit schoß ich ihm knapp am Ohr vorbei nach seiner Wanduhr, daß sich ein Regen von Glassplittern über uns ergoß.

›Dort schau hin, Esel du, wie ich das Zentrum herausgeschossen habe. Glaubst du da, daß ich einen Lackel, wie dich, nicht treffen werde? Jetzt wirst du das Messer augenblicklich unter das Bett werfen!‹

Er zögerte noch, ich ließ aber nicht locker.

›Bei der geringsten Bewegung,‹ fuhr ich fort, ›drücke ich los. Glaube nicht, daß ich dich totschießen werde. Es wäre doch zu schade um dich, solange wir das Geld nicht zurückhaben. Und vielleicht wäre dir das jetzt sogar ganz recht. Den Gefallen tue ich dir nicht. Nein, nur ein bißchen die Kniescheibe zerschmettern, das genügt vollkommen. Wirst du das Messer unter das Bett werfen?!‹

Jetzt gehorchte er. Der Mann war mürbe. Gerade gemütlich war der Aufenthalt in dem Raum nicht. Auch hier kaum zu atmen vor Rauch und Gestank. Ich gebe zu, ich bin manchmal ein recht unbequemer Gast, meine Gnädigste. Ich nahm nun am Tische Platz und ließ ihn vor mir stehen – drei Schritte vom Leib, und hielt ihm einen kleinen Vortrag: ›Du mußt nicht glauben, Hartwanger, daß ich bei dir einbreche, wie du bei uns eingebrochen hast, und dir das Geld mit Gewalt wegnehmen will, oder daß ich – pfui Teufel! – von dir nur etwas erpressen möchte. Solche Sachen mache ich nicht, eklig werde ich nur, wenn du mich dazu zwingst. Ja, wenn du mit dem Messer kommst! Sonst können wir ganz ruhig miteinander reden. Du bist ganz sicher vor mir. Ich werde dich nicht verhaften, ich bin kein Polizeikommissär. Ich will nur unser Geld zurückhaben. Willst du's nicht hergeben – auch gut. Ich kann dich nicht zwingen. Dann ziehe ich einfach unverrichteter Dinge ab.‹

›Ich habe es nicht genommen.‹

›Darauf kommen wir später noch. Ich glaube, dich noch überzeugen zu können, daß du es genommen hast. Vorerst wollte ich dir nur sagen, daß es für dich viel besser ist, wenn du dich mit mir abfindest, als wenn du es darauf ankommen läßt, daß die Polizei sich mit dir beschäftigt. Aber, wie gesagt, genötigt wird nicht. Wenn du nicht willst, du mußt nicht.‹

›Ich kann nichts gestehen, wenn ich nichts getan habe.‹

›Dann natürlich nicht. Ich will dir etwas sagen, Hartwanger. Du kannst vielleicht einen Oberkommissär um den Daumen drehen, aber mich nicht. Der Oberkommissär glaubt dir wirklich, daß es zwei englische Einbrecher waren; ich weiß, daß du es allein warst.‹

›Das soll mir einer beweisen!‹

›Natürlich! Das will ich ja.‹

›Den möchte ich sehen, der allein so eine Kasse zwingt!‹

›Warum nicht, wenn einer so stark und so geschickt ist, wie du, und wenn einer eine so gute eiserne Stange hat, wie die ist, die du verwendet hast. Sie ist ausgezeichnet und ganz unverdächtig. Sie dient als Verschluß für die Kellertür und liegt jetzt in deiner Küche hinter dem Herde.‹

Das wirkte. Ich bemerkte es sofort und nützte nun meinen Vorteil aus.

›Das ist übrigens vielleicht noch kein Beweis,‹ fuhr ich fort. ›Kein genügender Beweis; ich gebe es zu. Du kannst dich ausreden, Hartwanger. Es gibt viele Eisenstangen in der Welt. Daß sich jene dort befindet, kannst du zur Genüge erklären, und es würde schwer sein, dir zu beweisen, daß bei dem Einbruch gerade sie zur Verwendung gelangt ist. Sehr schwer, obschon es mir natürlich sehr angenehm war, sie dort vorzufinden. Ich habe etwas Besseres, etwas, das bewirkt, daß du mir gar nicht auskommen kannst, mit dem besten Willen nicht.‹«

»Ich wußte, daß Sie noch etwas in petto hatten, Dagobert,« warf Frau Violet ein.

»Etwas sehr Wichtiges, Gnädigste. Ich tue mir nicht viel darauf zugute. Es war Glückssache. Bei manchen Untersuchungen geht es rasch, bei andern zäh, ich gebe zu, es ist oft Glückssache.«

»Doch nicht ganz, Dagobert. Glückssache – wie ein General Glück haben muß, um ein guter General zu sein. Warum hat der Oberkommissär nicht das Glück gehabt?«

»Ich spielte also meinen letzten Trumpf aus. ›Paß genau auf, Hartwanger,‹ fuhr ich fort, ›was ich jetzt sage, und sage dann selbst, ob ich dich wie in einem eisernen Schraubstock halte oder nicht. Wie du alles sehr klug angestellt hast, hast du auch das mit dem Sandhaufen ganz gut gemacht. Der schöne, weiche, gelbe Sand! Eine Unachtsamkeit hast du dir aber dabei doch zuschulden kommen lassen. Du hattest nicht bedacht, wie schön der die Fußspur aufbewahrt! Du lächelst jetzt stillvergnügt und denkst dir in deinem dummen Schädel, daß, wenn ich nichts Besseres habe, ich dem Täter und dem Gelde noch lange nachlaufen kann. Das Lachen wird dir aber vergehen, mein Lieber, das gebe ich dir schriftlich und daraus kannst du Gift nehmen, wenn dir das ein besonderes Vergnügen machen sollte.‹

›Wo sind die Fußspuren? ‹sagte er leidlich beruhigt.

›Allerdings – ich weiß, der Herr Oberkommissär selber und seine getreue Mannschaft haben sie zertreten und zerstört, aber du wirst dich erinnern, daß ich die schönste der Fußspuren rasch noch photographiert habe, bevor sie zerstört wurde. Ich weiß, was du sagen wirst. Mit so einer photographierten Fußspur ist nichts anzufangen. Das ist noch lange kein Beweis. Nach der Photographie – mein Gott! – Das konnte ebensogut ein kleiner wie ein großer Fuß gewesen sein. Nicht wahr? Du siehst, ich gebe dir alles zu. Du wirst dich aber erinnern, mein geschätzter Einbrecher, daß ich noch ein zweites Mal photographiert habe – als du niederknietest und den Sand auswischtest. Da habe ich deine rechte Fußsohle photographiert. Auch das beunruhigt dich noch nicht? Na, es ist doch schon etwas. Wenn die beiden Bilder sich zufällig sehr ähnlich sehen sollten – aber noch immer gebe ich dir zu, es können sich sehr viele Sohlen ähnlich sehen. – Das wird jeder vernünftige Mensch zugeben müssen.

Gewiß, und ich glaube kein unvernünftiger Mensch zu sein. Jetzt kommt aber die Hauptsache. Passe gut auf, Hartwanger. Die Spur im Sande zeigte in der Mitte einen feinen Querstrich. Es war also eine gedoppelte, Beschuhung, Stiefel oder Schuh, den der Einbrecher anhatte. Weiter war noch ein feiner schiefer Strich da, beginnend hinter dem Ballen und hinüberlaufend bis etwa zur Spitze der kleinen Fußzehe. Also: der Einbrecher hat die Eigentümlichkeit, seine Sohle, und zwar die Stiefelsohle, denn du trägst Stiefel, in der Gegend der rechten großen Fußzehe besonders zu strapazieren, und da du ein sparsamer Mann bist, so hast du dir nicht die ganze Sohle wieder doppeln, sondern dir nur einen frischen Fleck an die beschädigte Stelle setzen lassen. Als du niederknietest, hatte ich das ausnehmende Vergnügen, diesen Fleck in seinem vollen Glanze zu sehen und zu photographieren. Und nun sage mir, ob du mir noch auskommen kannst. Sieh dir doch einmal gefälligst deine rechte Sohle an, wenn du mir nicht glaubst.‹

Er besah sie sich wirklich, und nun allerdings war er gebrochen. Er warf noch einen raschen Blick unter das Bett, dann aber auch einen ebenso raschen auf das kleine Schießeisen, das vor mir auf dem Tische funkelte, und dann gab er endlich klein bei und verlegte sich aufs Jammern und aufs Betteln.

Ich ließ mit mir reden. Für mich war die Hauptsache, daß ich das Geld wieder bekam, und dem entsprechend ging ich vor. Ich überdachte rasch alle Möglichkeiten. Es wäre nicht klug gewesen, den Mann zu einem verzweifelten Schritte zu treiben. Mir konnte er nicht gut etwas anhaben, er konnte mich aber durch einen wahnwitzigen Fluchtversuch zwingen, auf ihn zu schießen. Derlei tut man doch nicht gern. Es hätte eine langwierige Geschichte gegeben, ebenso wenn ich ihn nun sofort der Polizei übergeben hätte. Wer weiß, ob der Mann sich die Sache dann nicht noch überlegt und ruhig seine paar Jahre abgesessen hätte, ohne vorher zu verraten, wo er das Geld versteckt habe.

Ich zeigte mich also umgänglich und ließ mit mir reden. Ich sagte ihm, ich sei keine Amtsperson und habe keine Macht über ihn. Für ihn sei es aber entschieden besser, wenn er sich mit mir abfinde, als wenn er mich zwinge, ihn der Behörde zu übergeben. Ich wolle nur das Geld zurück haben, und alles übrige sei mir gleichgültig, nicht so aber auch der Polizei und dem Gerichte. Für die sei die Bestrafung mindestens ebenso wichtig, wie das Geld. Er sollte mir den Raub nur ausfolgern, dann werde ich ihm beweisen, daß ich kein Unmensch sei, und daß ich noch immer etwas für ihn tun könne.

Der Mann war schwer zu bearbeiten. Endlich hatte ich ihn aber so weit, daß er ›gemacht‹ war. Er führte mich in den Keller und holte dort aus dem Versteck das Päckchen mit den Banknoten hervor. Ich hatte ihm ruhig folgen können. Denn er trug die Laterne, und er war beleuchtet, nicht ich. Dann gingen wir wieder zurück in seine Wohnung. Ich zählte nach. Es stimmte. Hundertundvierundsechzigtausend Kronen. Viertausend gab ich ihm.«

»Aber, Dagobert!« rief Frau Violet vorwurfsvoll.

»Ich sagte schon, Gnädigste, es sei ein kostspieliges Vergnügen gewesen, aber die ersetze ich natürlich der Bank.«

»Es ist nicht das, Dagobert, aber war es nicht unmoralisch?«

»Vielleicht, aber ich hatte versprochen, etwas für ihn zu tun, sonst wäre ich vielleicht nicht zum Ziele gekommen, und sein Versprechen muß man halten, auch wenn man es einem Gauner gegeben hat. Ich gab ihm also das Geld und sagte ihm, er solle sich seinen Galgen anderswo suchen. Ich sei zwar verpflichtet, die Behörde sofort zu verständigen, ich vermute aber, daß ich Pech haben und heute abend den Oberkommissär nicht mehr antreffen werde.

Ich hatte noch nicht ausgeredet, als der Mann auch schon, wie er stand und ging, bei der Türe draußen und im Dunkel der Nacht verschwunden war. Ich fand noch einen Diener in der Bank. Den installierte ich in der Portierloge und fuhr dann her. Ich habe das Meinige getan, so gut ich konnte. Die gröbere Arbeit, den Menschen einzufangen, überlasse ich gern dem Oberkommissär Dr. Ritter v. Skrinsky.«


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