Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Galgen-Männlin
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAPUT VI.
Weiterer Jnhalt des Simplicianischen Berichtschreibens.

Zu dem dünckt ich mich als ein Mensch: als ein Ebn-bild Got-tes / daß der See-lig-keit fähig / viel zu gut darzu / daß ich den ver-stoß-nen Engl umb Golts willn (daß GOTT ohn das / mir und meins gleichen / und nit ihm zum Gbrauch und bestn er-schaffn) viel fuchs-schwäntzn und ihm auff-wartn solt / wie man sagt / daß die Galgn-männls-dienr thun müßn / wann gleich das e-wig Heyl mit dran glegn wär etc.

 
ANNOTATIO

Wie man den Galgen-männlin warten / und sie so säuberlich halten und accommodirn müsse / wollen wir aus nachfolgendem des Herrn Risten Gespräch von der alleredelsten Thorheit der gantzen Welt vernehmen / und lautet also.

Mein Herr Palatin gedenckt hiebey der Alraunen / sagte Stephan / halt er aber nicht mit mir darfür / daß dieses auch eine von den allergrösten Thorheiten sey / wann man für eine solche Wurtzel / wie die Alraun ist / so viel Gelds bezahlet? Es ist freylich ein schlechte Klugheit / versetzte der Rüstige / wann man ein solches gemachtes Bild / als das theurste an sich kauffet; wie ich dann dergleichen Leute wol gekennt habe / die sich glückselig geschätzt / daß sie für andern eine Alraun Wurtzel / vermittelst stattlicher Bezahlung an sich bringen mögen.

Was hält doch aber der Herr Palatin darfür / fragte Chariander / von solchen Alraunen / solte wol was dran seyn / daß man sie dem gemeinen Ruff nach unter dem Galgen ausgraben / sauber halten / bekleiden / in ein klein Bettlein legen / auch wochentlich baden müsse? und daß der jenige / der sie besitzt / wol einigen Nutzen von ihnen solte zu gewarten haben? Das dieses von vielen Jahren hero von manchem Menschen sey geglaubt worden / antwortet der Rüstige / ists ohnleugbar; Jch hab selber ein Alräunigen / welches so groß und lang ist / daß ich desgleichen nie gesehen. Es ist aber seine Länge fast ein gantzer Fuß / oder eine halbe Ehle / welches ein Mänlin præsentiret / hat ein gar scheußlichs Gesicht / tieffe hole Augen / ein grosse Nase / ein bucklichte Stirn / auff dem Haupt lange grobe Haar / die ihm biß auff die Schenckel herunter hangen / der eine Arm ist ihm gantz krumm am Leib / oder viel mehr die Rippen eingebogen / oder gleichsam angewachsen; der ander stehet ein wenig von den Rippen ab / die Lenden Schenckel und Füß seind einer gantz unformlichen Proportion, und in summa das gantz Bild ist also beschaffen / daß viel Leut / sonderlich die etwas aberglaubisch sind / einen grossen Abschew haben / selbiges auch nur anzusehen; und bin ich der Meinung / das dieses Bild oder Alraun wol ein paar hundert Jahr mag alt seyn. Es ligt in einem kleinen höltzernen Sarg / der auswendig roht angestrichen / in dem Sarg ist eine kleine bunte Decke und Haupt-Polsterlein / warauff das Bild ruhet / auff der inwendigen Seite des Sarg-deckels ist ein schwartzes Creutz gemahlet / oben auff dem Deckel aber / ist nach gar altfränckischer Manier ein Galge gezeichnet / in welchem ein Dieb hängt / warunter etwas herfür wachset / welches ohn zweiffel die Alraun-Wurtzel seyn soll; wie dann die Alten davon gedichtet haben / daß aus dem Harn oder Samen / welchen der am Galgen hangende Dieb von sich liesse / eine solche Wurtzel würde gezeuget / die hernach mit Lebensgefahr (demnach die Wurtzel ein sehr starckes ja tödlichs Geschrey von sich liesse) von dannen müste heraus gezogen werden. Kan ich also nicht nur bey der Wurtzel oder dem Bild / daß ich in Händen habe / sondern auch bey dem Sarg etlicher massen abnehmen / was die Alten für närrische Einbildung von diesem Ding gehabt haben. Glaube sonst festiglich / daß dieses Gedichte von den Alraunen nicht new / sondern für vielen hundert ja wol tausend oder mehr Jahren schon mag seyn im Schwang gangen / wie dann solches der Name zum theil bezeuget / dann das Wort / ein Ruhn / oder Alruhn ist ein uhraltes Teutsches Wort / und sind die jenige / welche bey den alten Teutschen zukünfftige Ding verkündiget / Ruhnen genennet worden.

Diese haben auch ihre eigene Sprach gehabt / welche die Rünische (gewißlich ein recht herrliche Sprache) geheissen; worvon der hochgelehrte und unvergleiche Dähnische Medicus und Professor D. Olaus Worm ein schönes Buch geschrieben / so da handelt de literatura Runica, welches in Warheit wol zu lesen; Wie dann auch unser hochgeliebter mitgesellschaffter Candorin unterschiedliche Sachen von den alten Rünen und der Rünischen Sprach hat verzeichnet / wie solches unter andern seine noch neulich herausgebene Adelruna sattsamb bezeuget; Wobey zu mercken / daß das Wort Rünen / so viel heist / als einem heimlich etwas verkündigen / wie dann annoch unsere Teutsche pflegen zu sagen / er hat ihm etwas heimliche in das Ohr geraunet; Jngleichem wer raunet der leugt: Daher ist die Red entstanden / daß die Alräunigen den Leuten die ihnen wol pflegten / etwas heimlichs / das zu ihrer Wolfahrt und sonderlichem Gedeyen gereichte / pflegten einzublasen; nicht anders / als wann es kleine Hauß-Götter wären / deren die alte Teutsche annoch im Heidenthum sich wohl mögen gebraucht haben; und hat dieser Aberglaub also immerhin / biß auff unsere Zeit gewäret / welchen man auch nicht leichtlich gantz und gar wird ausrotten können.

Dieser Bericht unsers Palatins / sagte Herr Stephan / ist nicht uneben anzuhören gewesen / aber was halt er endlich denn darvor / was das Alräunigen vor ein Creatur oder Wurtzel sey? Es muß doch gleichwol einigen nutzen haben / dieweil mancher es gern / wann ers nur bekommen kan / mit einem guten stück Gelds an sich kaufft?

Was wolte es für Nutzen haben / sagte hierauff der Rüstige; Jch versichere / wann der Phantastische Aberglaub nit darbey wär / man würde sich mit dem lincken Auge nicht einmahl darnach umbsehen; daß dem gemeinen Mann mit Fabelhafften und Aberglaubigen Dingen viel gedienet sey / ist kundt und offenbahr. Wann nun solche thorechte Leute von den Tyriacks-Krämern / Seiffeballen- oder Läußsalbe-Verkäuffern und dergleichen Landstreichern sich haben überreden lassen / daß diese Wurtzel / die unter dem Galgen mit so grosser Lebensgefahr durch einen schwartzen Hund / scilicet, hab müssen ausgerissen werden / so grosse Tugend an sich habe / daß sie die unbärhaffte Weiber fruchtbar: auch die jenige / die sie alle Sonnabend mit Wein und Wasser baden / sauber einwicklen und heimlich halten / Glückselig / reich und vermögend machen / darnebens verhindere / daß uns gantz und gar kein Zauberey schädlich seyn könne. So haben sie gern alles darfür geben / was sie nur auffbringen können / zumahlen sie vermeinten / daß sie ihr Geld nimmer besser anlegen könten / als wann sie ein solches Alraun ins Hauß brächten / von welchem sie alle ihre zeitliche Wolfahrt zu empfangen hätten.

So weit des Ristens relation; aus welcher nicht allein zu sehen wie man dem Galgenmännl pflegen muß / sondern auch leicht abnehmen kan / das zwischen ihm und einem Spiritu familiari kein anderer Unterschied seye / als blötzlich die Gestalt; sintemal beyde gleichsam einerley Dienste thun / und hauptsächlich nach einem Zweck zielen / nemlich ihren Besitzer in die ewige Verdamnus zu stürtzen; und gleich wie dem Satan eins dings ist / ob ein verdammter Geist / oder nur ein Spinn von seinetwegen im Glaß verschlossen steckt / wann er nur seinen intent erreicht; also wird ihm auch wenig daran gelegen sein / ob er eine Wurtzel die unter dem Galgen gegraben worden / oder eine andere / die sonst ein Betrieger zugerichtet / an seinen Angel zu stecken bekommt; wann ihm nur albere Stockfisch anbeissen / die ihn in einer solchen Wurtzel vor ihren Abgott halten und Ehren / und endlich ihm darüber zu theil werden.

Und soll einem jeden billich das Galgenmännl aus diesem angezogenen Ristischen Discours (wann gleich einer sonst keinen bösen Argwohn davon hätte) verdächtig vorkommen: Erstlich / dieweil es (da es doch ein unlebhaffte und unempfindliche Wurtzel zu seyn scheinet) in Kleidern / im baden und Losament geehrt und sauber gehalten seyn will / welches ohnzweiffel die Hoffart des Höllischen Geists erfordert / und daß er mit diesem stätigen Dienst ihm den Menschen desto mehrer verpflichtet. Zweytens / daß man es heimlich halten soll / dann wer böses thut / der schewet das Liecht und liebet die Finsternus. Drittens / daß es so abschew- und entsetzlich aussiehet; sintemahl sich der Teuffel nie so wol verbergen mag / daß ihme nicht die Füsse hervor ragen. Viertens / daß es schon so alt / und doch nicht wie andere vegetabilia verspohrt / wormstichig worden oder verdorben ist; dann darvor muß es ja etwas übernatürlichs bewachen / es thue es dann das wochentlich Weinbad / so muß mirs der Teuffel seyn. Fünfftens / daß der Galgen mit dem Dieb oben auff dem Deckel / daß Creutz aber unten gemahlet stehet / gleichsam als wann es dem heiligen Zeichen an welchem Christus gelitten zur schmach geschehe; warbey ich mich dann abermahl des oben im dritten Capitel gedachten Hafners erinnere / von welchem seine Hochzeiterin ausgeben / daß er abends und morgens vor einem Galgen / der auff einem Brieff an seiner Bettladen gemahlet gewesen / sein Gebett verrichtet. Schließlichen wann ich so ein Männl gehabt hätte / ich wolte es ehender verbrennet / als mich seines Besitzers berühmt haben.


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