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(1836.)
30. März, abends sieben Uhr, Abfahrt von Wien. Freunde warten am Wagen: Bauernfeld, Nimbsch, nicht Auersperg. Tant mieux.
Im Wagen ein ältlicher Kaufmann, der den Linzer Markt besucht, auf dem Bocke ein hübscher, junger Mensch, sein Begleiter, ein Neffe des Großhändlers Wedl.
Mit völligerer Gleichgültigkeit hat wohl noch niemand eine Reise angetreten, und während der schlaflosen Nacht fand ich es höchst lächerlich, sich so vielen Beschwerlichkeiten auszusetzen, ohne daß der Zweck nur irgend einen Genuß verspreche. Ja es gibt Augenblicke, wo mich der Gedanke anwidert, in einer fernen Stadt unter fremdredenden Menschen mich herumzutreiben, ich, der ich mich überhaupt nicht gern herumtreibe. Aber alea jacta est. Es gilt eine homöopathische Kur. Wem die gewöhnlichen Widerwärtigkeiten zu schwer fallen, der kann nur durch ungewöhnliche kuriert werden.
Während der Nacht kam mir meine Reise eigentlich zwecklos vor. Als der Tag anbrach und Wiesen und, obzwar zur Zeit noch unbelaubte Bäume hervortraten, stellte sich doch eine Art Wohlgefallen ein, obwohl ohne Frühlingsempfindung, die sonst bei mir so mächtig ist.
Kein Ereignis. Mein Reisegefährte sprach mit mir über Tuch und Kaschmir, was mich wirklich unterhielt. Ich sprach dagegen von der Unsolidität und dem Aufwand der Kleinhändler, was ihn unterhielt. Der hübsche junge Mensch auf dem Kutschbocke war halb erfroren, Frühstück in Mölk.
Mittagsmahl in Strengberg. Die ehemals hübsche Postmeisterin recitierte eine unanständige Grabschrift, die sich auf dem dortigen Kirchhofe befindet und die ich vergessen hatte. Schon morgens hatte es geregnet, später aufgehört, jetzt fing es wieder stärker an, mit heftigem Winde begleitet. Aussicht auf eine unangenehme Nacht. Zurückkehrende Gedanken über das Zwecklose dieser Reise. Ankunft in Linz. Regen. Kann nicht einmal die Stadt ansehen, die ich zehnmal besehen und zehnmal wieder vergessen habe. Sitze im Gasthofe zum Stuck oder vielmehr modernisiert zur Kanone und schreibe diese Reisebemerkungen, während mir der Kellner versichert, daß meine neuen Reisegefährten zwei sehr angenehme Gesellschaftsdamen sein würden.
Widerwillig esse ich ein paar Bissen, füttere einen Hund mit dem schlechten Braten. Da schlägt die Stunde, und ich gehe querüber ins Posthaus, wo der Wagen schon bereit steht. Ich steige hinein, womit folgende
Novelle
beginnt; bloß Wahrheit, nicht Dichtung, weder der Form noch dem Inhalte nach.
*
Ich stieg in den Wagen, den der Kondukteur öffnete, und blieb ein paar Sekunden im Tritte stehen. Nicht weil ich mich mit dem Mantel verwickelt oder einen falschen Tritt gethan, oder daß mich meine Reise zu reuen angefangen hätte, vielmehr fing sie mich erst jetzt an zu interessieren; denn mir gegenüber, das Gesicht gegen die Pferde, saßen zwei der schönsten Frauenzimmer, die ich oder sonst jemand irgend erblickt. Die mir Untenansitzende zur Rechten, groß, hellblond, in gewähltem Anzuge, beinahe eine tadellose Schönheit zu nennen; die zweite kleiner, cendrée, mit nicht minder regelmäßigen, aber minder bestimmt geschnittenen Zügen, wog durch Beweglichkeit, Biegsamkeit, weiche, dialektlose Sprache, kurz durch all das, was man Annehmlichkeit nennt, die Vorzüge ihrer Nachbarin mehr als vollkommen auf. Sie standen augenscheinlich in keinem nähern Verhältnis zu einander, sondern waren, wie sich später zeigte, nur durch die gemeinschaftliche Reise auf dem Eilwagen von Wien nach Linz zusammengebracht worden. Die beiden Hintersitze des Wagens nahmen ein physiognomieloser Student und eine Art Ungar ein, ein dienstfertiger, schweigsamer Mann, an oder in den Fünfzig, mit großem Schnurrbart, dünn behaartem Haupte, polnischem Rock, ungarischer Weste und einem sehr baufälligen weißen Hut, der mit dem Winterpelze seltsam kontrastierte und der ganzen Garderobe ein etwas trödelhaftes Ansehen gab. Sonst war an dem Manne nichts Häßliches, sein Körperbau stämmig, er dürfte ein vom Husaren oder Jäger avancierter herrschaftlicher Hausoffiziant gewesen sein.
Ich wandte meine Worte vorzugsweise an die Kleinere, die mir höchst schnell entgegenkam, mit einer verzärtelten Mattigkeit gar nicht übel sprach, indes die Blonde, als ob über den ihrer Gefährtin gegebenen Vorzug grollend, hartnäckig schwieg.
Das Gespräch ward lebhaft, obgleich nicht interessant, über die Gegend an der Donau, in der wir hinrollten, die doch alles übertreffe u. s. w. Es heißt der Linzer Weg, unterbrach die Blonde ihr Schweigen, und es gibt eine Menge Spitzbuben da, die die Leute umbringen oder sonst beschädigen. Wir zweifelten, sie beharrte aber auf ihren Spitzbuben, wobei ihr Organ und ihr Dialekt sich nicht auf die vorteilhafteste Art zeigten. – Fortsetzung folgt.
Schluß der Novelle. Es war fünf Uhr morgens, als wir in München ankamen. Die Schöne erfuhr, daß die Post nach Lindau um neun Uhr abgehen werde. Sie war in Verlegenheit, wo die paar Stunden hinbringen. Der Doktor empfahl sich, trotz des bedeutenden Blickes, den sie ihm zuwarf. Ich erbot mich ganz kalt, so lange bei ihr zu bleiben, bis ihre Sachen abgepackt sein würden. Da trat der Schnurrbart hervor und erklärte, diesen Dienst wolle er der Schönen leisten, eine Unterkunft im nächsten Gasthofe nehme er auf sich. Da empfahl ich mich und der Abgeschabte führte zum Lohn seines Ausharrens die Braut nach Hause.
In München ein paar Stunden nach drei nächtigen Wachen geruht. Darauf ausgegangen. München ist seit dem Jahre 1827, wo ich es zuletzt sah, nicht mehr zu erkennen. Daß es mir besonders gefallen hätte, kann ich nicht sagen. Die neuen Gebäude sind wie eine Musterkarte von allen Geschmäcken, von denen keiner der gute, vor allem aber nicht der meinige ist. Nirgends ein heiterer Anblick, überall schießschartenartige Fenster, die groß sein mögen, aber klein scheinen, oben abgerundet, was der Helle Schaden thun muß. Nirgends freier Trieb, überall das Angeordnete. Die Bilder in den Arkaden meistens höchst mittelmäßig. Die Statue König Max' auf zu niedrigem Fußgestelle und dadurch dem Beschauer so nahe, daß sie eine lebenlügende, wachsfigurenartige Wirkung macht. Den in Rußland Gefallenen eine Säule zu errichten, heißt seine eigene Schande ausposaunen. Das Bibliothekgebäude wird schön, macht aber einen finstern Eindruck, indes die Wissenschaften hell machen sollen. Die Dreifaltigkeitskirche byzantinisch wunderlich. Die Ludwigskirche kündigt sich schon in dem Gerüste herrlich an. Der königliche Palast trüb wie alles. Zudem trägt das Ganze den Keim der Vernichtung in sich, da es München an Gewerb und Verkehr fehlt, um sich je als Stadt zu der Stufe aufzuschwingen, zu der diese Voranstalten sie heben möchten. Das alte München gefällt mir in seiner Regsamkeit, das neue sind von vornherein angelegte Ruinen.
Im Packhofe zu München abreisefertig angekommen, erblicke ich die Tänzerin Hermine Elßler, die sich anschickt, ihre berühmten Muhmen in Paris zu besuchen, und froh ist, einen Landsmann zum Reisegefährten zu haben. Sonst zur Gesellschaft ein widerlicher Professor, der nach Zürich geht mit einem nicht übeln jungen Menschen, seinem Verehrer und Akoluthen, und einer Schwester, bei sonst ganz hübschen Zügen, talgig und fett, den Eindruck einer gerupften ungebratenen Gans machend, die die Wage zwischen Schiller und Goethe handhabt und von Rückert und einem ihrer Bekannten, sonst aber Ungenannten die Wiederherstellung des Geschmackes erwartet.
*
In Paris angekommen. Der erste Eindruck keineswegs ein angenehmer. Die alten Straßen düster, schmutzig, erinnern sehr an die ähnlichen in Neapel. Unmittelbar vor der Stadt war der Kot so tief und so in Klumpen, daß man über geackertes Feld zu fahren schien. Auf der Post abgestiegen. Die Koffer noch einmal, nun zum drittenmal, visitiert. Mit vieler Mühe für Hermine einen Fiaker erhalten, in dem sie, mit meinem Segen und adieu pour jamais ihren tanzenden Verwandten in die Arme fuhr. Ich zu Fuß mit einem Träger durch die Stadt. Meine französischen Reisegesellschafter wohnten im Hotel de Bretagne. Ich wollte mich auch einmieten, aber, außer au quatrième, kein Zimmer zu haben. Wanderung nach Quartier. Ueberall alles besetzt. Endlich Rue Richelieu im Hotel de l'Europe ein eigentliches Dachstübchen gefunden, das ich vorderhand bezog, um nur des Weiterlaufens überhoben zu sein. Gewaschen, angekleidet, gefrühstückt, und so, ohne seit drei Nächten geschlafen zu haben, unmittelbar auf die Straße hinaus. Ich hatte keinen Plan der Stadt, keinen Guide des Voyageurs, nahm mir aber vor, bei dem nächsten Buchhändler im Vorbeigehen das alles zu kaufen und so meinen Lauf einzurichten. Es war aber Sonntag und viele Gewölbe, namentlich der Buchhändler, geschlossen. Ich ging denn so zu, die gerade Straße Richelieu hinab. Und es führte mich zum Glück. Auf einem unregelmäßigen Platz angekommen, sehe ich rechts ein großes Gebäude. Menschen, die sich an ein Gitter drängen; Trommeln. – Was ist hier? – Manœuvre des troupes, Monsieur. – Ich stand vor den Tuilerien. Der Triumphbogen Napoleons vor mir mit den modern gekleideten steinernen Grenadieren und Musketieren auf dem Simse, die gegen den antiken Stil des Ganzen gar zu sonderbar abstechen. Eine steinerne Bärenmütze ist nicht um ein Haar künstlicher als der marmorne Hosenträger des Andreas Hofer zu Innsbruck. Ich wollte nicht aus meiner Richtung kommen und ging wieder zurück in die Rue Richelieu, die für mich vorderhand die Lebensader dieses ungeheueren Körpers war. Ich wollte sehen, wohin sie am andern Ende führte. Ein düsteres Gebäude an der rechten Seite der Straße, Anschlagzettel dabei. Don Juan d'Autriche par Mr. Delavigne. Es war das Théâtre français, und ich wußte nun schon, was ich des Abends zu thun hatte. Gleich daneben ein Eingang, mit Haufen von Aus- und Einströmenden. Ich ging hinein, fest entschlossen, in derselben Richtung wieder zurückzukehren. Ein ungeheurer Hof, daran stoßend eine Art Garten, beide mit bedeckten Arkaden umgeben, die unzählige Buden enthielten.
Est-ce bien le Palais royal? Oui, Monsieur. Ich weiß nicht, wie es kam, daß dieses berühmte Gebäude mir anfangs kleinlicher vorkam, als ich erwartet hatte. Vielleicht trat ich zuerst in den kleineren Hof, und der erste Eindruck war somit verloren. Da waren denn, trotz des Sonntags, all die Hunderte der glänzenden Buden offen, und ich ließ mich zum guten Anfang mit einem Plan von Paris betrügen, an dem nichts neu war, als die Jahrzahl 1836, die man auf das veraltete Zeug eingekratzt hatte.
Am oberen Ende führte meine Rue Richelieu, (von der ich noch einen zweiten Seitenabstecher auf den Börsenplatz und zum Théâtre de l'opéra comique gemacht hatte) auf den Boulevard des Italiens, und nun sah ich denn, was man mit dem Namen Paris eigentlich für ein Ding bezeichnen will. Graben und Kohlmarkt, hundertmal aneinander gestückt und zwanzigmal in die Weite gedehnt und zehnfach bevölkert und tausendfach verschönert, würden ungefähr ein Bild dieser Boulevards geben. Die Kaffeehäuser weiß ich (die Größe abgerechnet) mit nichts zu vergleichen, als mit dem Staatswagen, in dem der Kaiser von Oestreich am Ostermontage nach St. Stephan fährt. So ging ich denn fort und fort, und ich sog den Eindruck der ungeheuern Stadt in mich ein. Endlich erinnerten mich meine Füße an die drei durchwachten Nächte und an die sechs andern meiner Reise, die von jenen nur durch eine Nacht Schlaf getrennt waren. Ich konnte nicht weiter. Ich schleppte mich in mein Gasthaus, wo ich bis zur Essenszeit (halb sechs Uhr) meinen plan de Paris studierte. Table d'hôte von wenigstens zwanzig Schüsseln, von einer Feinheit der Zurichtung, von der man in Wien, aber, die Wahrheit zu sagen, in diesem Grade auch in den meisten andern Pariser Gasthäusern keine Vorstellung hat. Uebrigens ennuyierte ich mich sehr und ließ gern das Dessert im Stiche, um, da es inzwischen dreiviertel auf sieben Uhr geworden war, ins Théâtre français zu gehen.
Das Stück wurde zum fünf- oder sechsundsiebenzigstenmale gegeben, und doch mußte man Queue machen, um zur Kasse zu gelangen. Glückliche Theater! Glückliche Autoren! – Ich bewundere die ungezwungene Grazie eines gemeinen Gendarmen, der mit dazwischen gehaltener Hand eine Barriere bildete und die Zuströmenden nur paarweise zur Kasse ließ. Keine petite maîtresse hätte das artiger thun können. Man respektierte aber auch die nachlässig ausgestreckte Hand, als ob es eine eiserne Barriere gewesen wäre. Endlich war ich im Innern. Ein junger Mann aus der Normandie zeigte mir den Eingang, und bald saßen wir auf den beiden letzten Plätzen, die auf den Bänken des Parterre noch zu haben waren. Das Haus ist groß und schön. Man hört und sieht auf der letzten Bank so gut als auf der ersten.
Der Vorhang ging auf, und – ein Gemälde lag vor mir da. Ein Zimmer mit einigen Bücherstellen, dunkel gehalten. Keine Coulissen, keine Soffiten, keine Seitenlampen, keine Einsicht zwischen die Wände; sondern eben ein Zimmer, wie man es in der Wirklichkeit sieht. Weit entfernt, daß man dasselbe von den Schauspielern sagen konnte. So spricht man nicht im Leben; aber man könnte allenfalls so sprechen. Gilt in der Oper Gesang zur Musik für Sprache der Leidenschaft, warum nicht auch Gesang ohne Musik oder kadenzierter Rhythmus ohne Gesang? Das ist alles schärfer und betonter als im Leben, aber man will eben Aufmerksamkeit erregen. Die Wirklichkeit drückt sich mit Recht gemäßigt aus, denn sie hat die Unbestreitbarkeit ihres Wesens für sich; soll die Fiktion nichts thun, um das, worin sie im Nachteil steht, auszugleichen? Dazu kommt die Genauigkeit der Schule, die macht, daß nichts vor dem andern hervortritt und alles, gesteigert, aber harmonisch sich fortbewegt. Es ist, als ob man eine Landschaft durch ein gefärbtes Glas betrachtete. Die Luft flammt, die Bäume röteln, alles spielt ins Feurige und Gelbe. Da der Ton aber allem gemeinschaftlich ist, so hat man wenig dagegen einzuwenden. Damit will ich dieser Schule nicht das Wort reden, sondern mir nur begreiflich machen, wie sie wirkt und wirken kann. So viel wenigstens ist gewiß, daß, indes bei unserer matten Natürlichkeit die Zuseher nach drei Stunden sich bang nach Thür und Ausgängen umsehen, die Leute hier von sieben Uhr bis Mitternacht in immer gesteigerter Erwartung saßen und die Teilnahme eher stieg als sank.
Die Individuen nicht eben bedeutend, bedeutend aber die allen gemeinschaftliche Schule. Der Beste vielleicht Firmin, der den Don Juan gab. Er legte etwas Bäurisches in den komischen Teil der Rolle, das kaum darin liegen dürfte, aber zur Individualisierung diente. Mad. Volays, oder wie sie hieß, vortreffliche Momente, aber von der Art, wie sie alle französische Schauspielerinnen haben. Die Armbewegungen mit dem ganzen Arme machen viele Wirkung. Einmal spuckt sie dem Könige ins Gesicht. Ja, wer das beschreiben könnte! Das ganze Schimpfliche der Handlung und nichts von dem Ekelhaften. Das Ganze lag bloß in der Bewegung des Kopfes, ohne daß die Lippen dabei etwas zu thun gehabt hätten. Ein einziges Mal machte sie einen jener eigentlichen Naturschreie, die ich so sehr hasse. König Philipp sang gar zu sehr, auch sonst nichts Bedeutendes. Don Juans Erzieher gegen das Ende zu immer besser. Der Schlechteste Karl V. Wie ein reduzierter Dragoneroffizier, der in einem Kloster das Gnadenbrot genießt et qui s'en moque. Ein junger Laienbruder, Mlle. Anais, recht gut, nur noch mehr hervortretend, als wohl der Dichter selbst wollte, und viel mehr, als die Sache erfordert. Das Stück ist in Prosa, die Schauspieler sprachen aber durchaus, als ob es Verse wären. Von den Dekorationen, dem Künstlerischen von Kostüme, Anordnung, Bewegung und Stellungen (immer mit Ausnahme Karls V.) läßt sich nicht genug Gutes sagen. Das Stück sah sich mitunter an, als ob es etwas Besonderes wäre, was es doch, bei Gott! nicht ist.
Die Aufmerksamkeit des Publikums bis ans Ende (halb eins nach Mitternacht) bewundernswürdig, aber ebenso merkwürdig die Unzahl von Streitigkeiten, vor allem wegen der Plätze. Hinter mir forderten sich ein Paar.
Nach Hause. Weniger gut geschlafen, als man nach so vielen durchwachten Nächten hätte glauben sollen.
Montag morgens hätte gern manches aufgeschrieben, konnte aber lange weder Tinte noch Papier erhalten. Brief an Katty. Dann ausgegangen, um Börne aufzusuchen, der Rue Lafitte Nr. 44 wohnen soll. Im selben Hause wohnt Herz' Schwester, Mad. Neuwall, an die ich einen Brief hatte. Börne, erfuhr ich, ist aufs Land nach Auteuil. Daher bloß meinen Brief abgegeben. Eine Einladung zum Mittagsessen für Donnerstag erhalten, wo auch Börne gebeten werden wird. Aus dem Hause tretend, bleibt ein Vorübergehender stehen und sieht mich starr an. Ruft fragend meinen Namen aus, gibt mir die Hand. Ich erkenne ihn nicht. Es ist Mr. Brant, ein Engländer, den ich vor Jahren in Wien kennen gelernt. Ein angenehmer Mann, der sehr gut deutsch spricht. Nun ist für alles gesorgt. Er verspricht, mich in Paris herumzuführen, und da er hört, daß ich später nach London gehe, und es mit meiner Kenntnis des Englischen schlecht steht, verspricht er, mir auch darin unter die Arme zu greifen. Wir machen gleich einen guten Anfang, streichen in den Tuilerien herum, gehen zum Louvre, dann zurück bis gegen die elysäischen Felder. Endlich führt er mich zum Essen ins Palais royal, wo bei den deux frères für zwei Franken eine halbe Flasche Wein, Brot, Suppe und vier Gerichte nach Auswahl zu haben sind, nicht aufs beste, aber doch noch immer gut genug für mäßig wünschende Leute. Mit einer englischen Familie von Brants Bekanntschaft gespeist. Da sie immerfort englisch zwitscherten, wendete ich mich endlich auch mit einer Frage in derselben Sprache an meine Nachbarin, eine der Töchter. Diese gab mir ganz kurz keine Antwort. Ich glaubte, sie hätte mich nicht verstanden, als Mr. Brant sich an den alten Engländer wandte und ihm meine Befürchtung mitteilte, in England nicht verstanden zu werden, was der Mann unter vielen Beteuerungen für ungegründet erklärte. Die Miß hatte daher nur für gut befunden, mir ganz einfach nicht zu antworten.
Nach Tisch mit Brant ins Gymnase dramatique, wo man drei Stücke gab, wovon zwei, jedes von zwei Akten. Ich bewunderte das gute Spiel der Schauspieler in den beiden ersten, L'interérieur d'un Bureau und Chut! von Scribe, glaube ich; konnte aber, weil man gar zu rasch sprach, vieles nicht verstehen. Ganz entzückt aber war ich über das letzte Stück: Le gamin de Paris. Daß Bouffé ein vortrefflicher Komiker ist, der den gamin sowohl in den Gassenbübereien mit unübertrefflicher Laune, als in den ernsthaften Scenen höchst wirksam spielt, findet man allenfalls noch in der Ordnung, daß aber auch die Untergeordneten, namentlich Terville den General u. s. w. vortrefflich, daß überhaupt niemand da schlecht spielt: das erregt gerechtes Erstaunen.
Dienstag. Meyerbeer besucht mich morgens. Ein wackerer Mann mit Künstleraugen; nicht aufgeblasen durch seine neuesten Erfolge. Ging dann zum östreichischen Gesandten ins Faubourg St. Germain, den Sitz des Adels. Ein schmutziges Quartier voll Dreck und Hotels, der Gesandte freundlich, ohne Uebermaß. Die Frau kam. Scheint sehr liebenswürdig. Soll bei ihnen essen. Essen muß der Mensch. Werde erscheinen. Der Gesandte gab mir seine Karte in die Deputiertenkammer, die fünfzig Schritte von seinem Hause im Palais Bourbon ist. Schönes Gebäude. Ein Labyrinth von Eingängen und Couloirs. Das Innere wunderschön, zu hübsch fast. Ein Halbzirkel um den Präsidentenstuhl gezogen, der, prächtig von Bronze, wohl acht Fuß vom Boden erhaben ist. Unter ihm die Rednerbühne mit Aufgängen zu beiden Seiten. Die Bänke und Galerien purpurfarb ausgeschlagen. Gerade dem Präsidenten gegenüber die zwei Bänke der Minister, bloß durch eine goldene Inschrift als solche bezeichnet, sonst in allem den übrigen gleich, die in Keilen von zwei, drei und vier Sitzen auf Stufen emporlaufen. Unter der Rednerbühne Huissiers in schwarzen Kleidern, Degen an der Seite und goldene Ketten um den Hals. Der Anfang sollte um zwei Uhr sein. Es war aber noch kaum jemand da. Um halb drei Uhr kam der Präsident, den die Wache mit Trommelwirbel empfing. Dupin ist nicht groß und ziemlich beleibt. Gefärbtes Gesicht, weißes Haar. Ich habe viele Kaufleute gesehen, die so aussehen. Nach und nach kamen auch Deputierte, in allem wohl einhundert oder so. Ein Greffier trat auf die Tribüne und las etwas vor. Wahrscheinlich die gestrige Verhandlung. Niemand aber merkte auf. Die Deputierten schwatzten, der Präsident schwatzte, und der Greffier, der das wußte, murmelte nur, fast ohne den Mund zu bewegen. Endlich nahm das Gelese ein Ende. Nun hatte man aber Teufelsmühe, die Deputierten auf ihre Plätze zu bringen. Endlich gelang es, und die Sitzung fing an. Sie war ohne Interesse. Der Gegenstand nicht unwichtig, denn es handelte sich um die Entschädigungen für Privatgüter, die zum Behuf öffentlicher Arbeiten in Anspruch genommen würden. Die Sache wurde aber mit vieler Gleichgültigkeit behandelt. Die meisten schrieben Briefe oder schwatzten, so daß der Präsident wiederholt klingeln mußte, damit die Redner nur verstanden würden. Alle Reden kurz, mitunter nicht ohne Stottern. Am besten sprach einer der Opposition von seinem Sitze aus. Ziemlich jung, mit einer kräftigen hellen Stimme. Von den Ministern, deren drei zugegen waren, sprachen zwei. Einmal der Finanzminister d'Argout, von seiner Bank aus, wie es schien, ohne zu überzeugen. Er ist ein übel aussehender, häßlicher Mann, dem die Haare wie ungekämmt vom Kopfe herabhängen. Der zweite der Minister, der nach der Aehnlichkeit mit dem Porträte mir Montalivet zu sein schien, wollte auch auf seinem Sitze bleiben, man rief ihm aber so lange zu, bis er sich auf die Rednerbühne begab. Merkwürdig die Schnelligkeit, mit der bei Zwischenfragen, die man nur durch Aufstehen von den Bänken entscheidet, die Stimmen gezählt werden. Drei Beamte treten auf die Tribüne, wahrend die Stimmenden sich nur für zwei Sekunden erheben, und schon sind die Zahlen bekannt. Das eigentliche Votieren geschieht durch Kugeln. Zwei Vasen werden zur rechten und linken Seite auf die Rednerbühne gestellt, und die Deputierten gehen nun einer nach dem andern über die Tribüne und werfen die beiden Kugeln, die sie von einem der unter dem Präsidenten sitzenden Beamten erhalten, je eine, in die dort stehenden beiden Vasen. Gegen vier Uhr ward die Sitzung aufgehoben.
Zu Tisch ins Palais royal, abends zu Brant, wo ich einen jungen Engländer fand. Sie tranken Thee. Ich nahm auch eine Tasse. Wir schwatzten. Gegen neun Uhr ging ich ins Théâtre porte St. Martin, wo man ein gräßliches Stück: Les sept Infants de Lara gab. Mlle. George, einst schön, noch immer edle Züge. Schreit, rast; in den ruhigen Momenten oft wirksam. Das Arrangement gut. Schlecht – niemand. Ich war erst zum zweiten Akte gekommen und ging um Mitternacht, da eben der fünfte angehen sollte. Habe daher soviel als nichts von der ganzen Handlung verstanden. Nur weiß ich, daß es sehr gräßlich herging. Zwei Gegner, ein Don Gonzalo von hoher Figur, mit schönem kräftigen Organ, und ein hagerer dünnbärtiger Araber erzählten einander, wie sie sich haßten und was sie Lust hätten, miteinander vorzunehmen. Die Mutter der sieben Infanten warf jedem ihrer Söhne insbesondere einen eigenen Mord oder sonst eine Schandthat vor. Der eigentliche Kern aber ging mir verloren. Das Theater übrigens gedrängt voll. Wenig Fremde, fast alles Eingeborne.
Mittwoch mit Brant die Stadt durchstrichen. Garten der Tuilerien. Nicht groß, aber angenehm, besonders dadurch, daß jedermann den Garten wie seinen eigenen betrachtet. Die Kinder schlagen den Reifen, andere tanzen im Kreise und singen dazu. So abscheulich hier die Erwachsenen singen, so gut läßt es den Kindern, die überhaupt das Artigste sind, was man sehen kann. Ein weiteres Spiel ist, daß zwei, oft Erwachsene, eine Schnur schwingen und nun ein so kleines Wesen aufs graziöseste darüber hin und her hüpft. Alles ist so heiter, und dazu die sonoren Organe und die selbst beim gemeinen Volke elegant markierte Sprachweise.
Die Champs élysées unbedeutend, dafür aber mitten in der Stadt, drei Schritte von jedermanns Wohnung entfernt. Hierauf über den Pont neuf. Statue Heinrichs IV. Wüßte nicht, daß sie mir sonderlich gefallen hätte. Der Kopf des Pferdes gut, das übrige scheint mir nicht ausgezeichnet. Notre Dame, etwas schwer, besonders mit dem Straßburger Münster verglichen. Im Innern, wie dieser, ausgeweißt und so verdorben. Die Priester sangen eben eine Art Vesper, von einem Instrumente gleich einem Serpent begleitet, was eine gute Wirkung machte. Ganz weiß gekleidete Chorknaben standen vor ihnen, sehr anständig und gemessen in ihren Bewegungen. Die Kirche muß man natürlich wiederholt besehen. Platz des zerstörten erzbischöflichen Palastes. Aufs andere Ufer zurück. Hôtel de Ville. Kleiner, als ich mir's vorgestellt hatte und es einer Stadt wie Paris ziemt.
Für den Abend hatte ich mich mit dem jungen Neuwall ins Théâtre du vaudeville zusammen bestellt. Man gab Deux maîtresses, wo eine Mlle. Brohan recht gut spielte. Dann Renaudin de Caèn. Arnal, der Komiker, sehr gut, trocken natürlich. Suzette, ein sehr hübsches Mädchen, mit dem deutschen Namen L. Mayer. Endlich M. und Mad. Galochard, wo Arnal und die Brohan das Ehepaar aufs beste darstellten. Ein Bauernmädchen Suzon, die nur zehn Worte zu sagen hatte, von einer Mlle. Josephine so vortrefflich gegeben, als bei uns kaum die ersten Personen im stande sind. Mir entgeht übrigens zu viel in diesen Stücken, als daß sie mir nicht mitunter lange Weile machen sollten. Die angestrengte Aufmerksamkeit ermüdet mich unendlich.
Schlecht geschlafen. Als ich vor Tag aufwachte, war mir wie einem zu Mute, dem eine große Krankheit bevorsteht. Das Zimmer drehte sich mit mir. Ich suchte eine Weile vergebens nach dem Puls. Machte mir doch ein wenig bange. Aufs Frühstück ward es übrigens besser. Ich bin ein solches Jagen und Hetzen nicht gewohnt. Will mich mehr schonen und zum Frühstück die Butter weglassen, die mir nicht bekommt.
Zu Brant. Wir lesen englisch. Beschließen, in den Jardin des plantes zu gehen. Es beginnt zu regnen. Machen einen Gang durch ein paar Straßen. Der immer stärkere Regen zwingt uns, umzukehren. Gehe nach Hause und fange an, diese Erinnerungsbehelfe niederzuschreiben.
Mittags bei Neuwall. Treffe Börne. Den Witz sieht man dem Manne wohl an, kaum aber die Gewalt, am wenigsten die Ausgelassenheit. Ich hatte mich herzlich auf ihn gefreut. In der Art wollte es sich nicht recht geben, wozu wohl auch die größere Gesellschaft beitrug. Ein Doktor David aus Kopenhagen, mit seiner Frau, der mir kaum gefiel. Soll wegen Liberalismus halb verbannt sein. Ein Herr Leidesdorf aus Kopenhagen. Scheint ein gescheiter Mensch. Brant. Ein paar Unbekannte. Gutes Diner, schlechter Champagner. Der Sohn vom Hause gefällt mir recht wohl. Abends mit den Hauswirten zu einer deutschen Familie Valentin, oder wie sie heißen. Curschmann aus Berlin, den angenehmen Liedersänger, dort getroffen. Im übrigen bleiben sich die Deutschen aller Orten gleich. Man muß mit ihnen in einem herzlichen Verhältnisse stehen, um sie nicht abgeschmackt zu finden. Ich war sehr müde und daher froh, als ich fort kam.
Freitag, 15. April. Kamen morgens ein paar junge Schweden zu mir, die ich in Wien kennen gelernt und gestern bei Tisch im Palais royal wieder gefunden hatte. Beschlossen, abends zusammen in die Oper zu gehen, wo man den zweiten Akt der Oper Wilhelm Tell und ein Ballett: La revolte au sérail gibt. Ging zu Geymüllers Tochter, die als Frau des Grafen Kielmannsegge, hannoverischen Gesandten, hier lebt. War nicht zu Hause, d. h. ließ sich verleugnen. Die Gans mag warten, bis ich wiederkomme. That es ohnehin bloß, um dem Vater bei meiner Rückkunft sagen zu können, ich hätte sie besucht. Kam mir manches Widerliche aus den Verhältnissen in meiner Vaterstadt ins Gedächtnis. War verstimmt. Wollte eine historische Tour, allein, machen. Den Platz der Bastille, den Temple sehen. Verfehlte die Direktion und ging bis an die Champs élysées, ehe ich meinen Irrtum gewahr wurde. Umgekehrt und in der entgegengesetzten Richtung die Seine hinaufgewandelt. Man kann sich nichts Malerischeres denken, als den Anblick von Paris, von den Brücken und Quais aus. Konnte den Platz der Bastille vor Müdigkeit nicht erreichen. In einem Omnibus zurückgekehrt. Schnell ist diese Gelegenheit nicht, da alle zehn Schritte der Wagen anhält, um jemanden ein- oder auszulassen. Für weite Entfernungen und müde Beine haben sie ihr Gutes. Mittagsessen mit meinen Schweden. Abends in die Oper.
Der Saal prächtig und geschmackvoll zugleich. Es ist schon ein Schauspiel, nur ihn zu sehen. Rot mit Gold. Vier Reihen Galerien, in äußerst angenehmen Krümmungen. Das Orchester vortrefflich. Die Ouvertüre ging, wie man bei uns keine Vorstellung hat, bis auf das letzte Presto, wo, wie überall, die Violinen zu wenig hervortraten. Sänger: Mad. Dorus, sehr gut, Stimme und Ausbildung. Tenor, Lafont, wenig Klang, eine Art Binder, mit besseren Formen. Tell, Derivis, unangenehm. Serda, tiefer Baß, mit einem Anklang von Strohbaß. Das berühmte Terzett gefiel mir in Wien viel besser. Der Chor wird häufig von den Instrumenten übertäubt, die Rütliscene auch im Arrangement nicht vorzüglich.
Das Ballett, schlechte Erfindung von Taglioni. Die Tänzerinnen kamen mir unbedeutend vor. Ein Mr. Albert gefiel mir. Die Chortänze viel besser als bei uns. Dekoration und Kostüme sehr gut, ohne außerordentlich zu sein. Erstere gefielen mir im Théâtre français weit besser. Im Anfang des zweiten Aktes das Innere des Serails, wo die Mädchen in einem Bassin baden, eigentlich reizend. Sonst dummes Zeug und Langweile.
Sonnabend, 16. Meine Hypochondrie kommt wieder. Fürchte, diese Reise umsonst gemacht zu haben. Der Gedanke, nach Hause zurückzukehren, macht mich schaudern, und doch fühle ich, daß ich hier nichts zu thun habe. Courage, mon ami!
Mein Zimmer ist unbehaglich. Feuer im Kamin wäre mir recht angenehm. Aber das Anmachen, das Unterhalten, das Ab- und Zulaufen der Dienstleute wäre mir zuwider. Daher mag es nur kalt bleiben. Es geht mir damit, wie mit der Gesellschaft von Paris. Ich möchte sie wohl kennen lernen, habe auch Empfehlungsbriefe im Portefeuille, die alle Thüren öffnen würden, kann mich aber nicht entschließen, mich der damit verbundenen gêne zu unterziehen. Auch ist mir die französische Sprache zu wenig geläufig, um im Gespräch über der Schwierigkeit des Wie, des Was nur einigermaßen froh zu werden. Meyerbeer hatte sich sehr empressiert gezeigt, jetzt bekomme ich ihn nicht mehr zu sehen. Ich war zweimal bei ihm, ohne ihn zu treffen. Thalberg, der Klavierspieler, versprach mir eine Karte in sein heutiges Konzert. Er hat bis jetzt nicht Wort gehalten. Es wird wohl unmöglich gewesen sein.
Ich bin für die Gesellschaft verdorben. Ich kann mit niemand sprechen, an dem ich keinen Herzensanteil nehme. Es unterhält mich mehr, einem Redlichen stumm gegenüber zu sitzen, als mit einem Zweifelhaften noch so geistreich zu konversieren. Brant gefällt mir erst, seit ich einen Zug von ihm gehört habe, der ihn als Ehrenmann charakterisiert.
Bin heute mit ihm in der Stadt herumgeschlendert. Pantheon. Prachtvolles Gebäude, wunderlicherweise ganz leer. In den Souterrains höchst widerlich die Sarkophage einiger grands hommes aufgeschichtet, die niemand kennt. Ich dachte mir die Monumente in der Kirche selbst. Rousseaus erstes Grabmal. Voltaires Bildsäule. Charakteristisch liegt der eine, und der andere steht. Die Kuppel bestiegen. Unangenehme Empfindung beim Emporsteigen. Seit mich vor Jahren auf dem Tischberge bei Gastein der Schwindel so heftig ergriff, machen alle Höhen mir einen beängstigenden Eindruck. Ungeheure Aussicht. Doch sollte man eigentlich gar nie die Grenzen eines großen Gegenstandes zu sehen begehren. Paris ist größer, wenn man seine endlosen Gassen durchwandert, als wenn man die Massen Stein und Kalk vom Pantheon aus überschaut.
Jardin des plantes. Der Schönbrunner Garten besser gehalten. Den Wert der Pflanzen verstehe ich nicht. Der Pariser Garten unendlich reicher an Tieren, in weiteren, luftigeren Räumen aufbewahrt. Die interessantesten waren verschlossen. Ein Bisonochse merkwürdig. Das Vorderteil mit dem Kopfe ungeheuer, das Hinterteil schwach.
Ueber den Place de la Bastille zurückgekehrt. Bizarre Idee des Elefanten als Springbrunnen. Noch nicht vollendet. Boulevard du temple. Reise bis zum Mittelpunkte der Stadt. Mit Brant in einer Restauration nach englischer Art eingekehrt, wo man für beinahe nichts wirklich nichts erhält. Mein Magen fordert tüchtigere Mahlzeiten. Die Stadt durchwandert, die sich bei Nachtbeleuchtung feenhaft ausnimmt. Vor allem die mit Glas bedeckten Passagen, Rue Vivienne, die einer einzigen ungeheuren Lampe gleicht oder einem Krystallpalaste, von Feuergeistern bewohnt. Die Boulevards heller als bei Tage. In dieser Richtung geht auch der Hauptzug der Vestalen vom ausgelöschten Feuer, die großenteils sehr hübsch sind, übrigens viel weniger zahlreich und anständiger, als ich gedacht hatte. Früher soll letzteres anders gewesen sein, besonders im Palais royal, von wo sie jetzt ganz verbannt sind. Das eine und das andere verdankt man dem jetzigen Könige. Louis Philipp ist überhaupt ein Ehrenmann, und ein erzgescheiter Mann obendrein. Ich habe ihn vom ersten Augenblicke an dafür gehalten und sehe hier nichts, was mich meine gute Meinung zurücknehmen ließe. Abends bei Brant mit dem jungen Neuwall. Wir schwatzten beim Thee bis eilf Uhr.
Sonntag. Gewaltig verstimmt aufgewacht. Dieses leere Herumschlendern ist am Ende doch gar zu armselig. Sollte mich ein wenig mit der Gesellschaft bekannt machen, kann mich dazu aber nicht entschließen. So angenehm es mir einerseits ist, hier immer mit Deutschsprechenden umzugehen, so hindert es mich anderseits, mich ins Französische hineinzudenken, und ich weiche der Unterhaltung in dieser Sprache aus. Ueberdies mein Widerwille gegen jede Gesellschaft und Unlust, zu sprechen. Ich werde nach Wien zurückkommen, wie ich es verlassen, der Zweck der Reise läge im Gegenteil.
Meine gewöhnliche Zuflucht zu Brant. Er ist es zufrieden, da er denn doch keine Geschäfte hat. Den jungen Dithfield dort getroffen. Konnte mich nicht entschließen, englisch zu sprechen, schwieg daher ganz und war ziemlich unangenehm. Spaziergang in den Tuilerien. Ausflug zu den Invaliden, Marsfeld, Militärschule. Alles schön, großartig. Letzteres herrliches Gebäude. Die Invaliden sehr gut gehalten. Küche, Speisezimmer reinlich, elegant. Silberne Suppentöpfe der Offiziere. Die Statue Napoleons im Hofe nicht gut placiert.
Bei Neuwalls gegessen. Die Familie gefällt mir sehr wohl. Eine französische Dame da, französische Konversation. Macht sich ganz leidlich. Behauptung, daß Viktor Hugos theatralische Successe mehr die Sache einer Partei sei, die eigentlich Gebildeten aber nur an seinen Romanen teilnehmen. Woher dann aber die vielen Auflagen seiner Dramen?
Abends mit Many ins Théâtre porte St. Martin, um die Lucrece Borgia zu sehen, die man dort zugleich mit einem Lustspiel von zwei Akten und der Tour de Nesle von fünf Akten gibt, zusammen als zwölf Aufzüge. Zum Schluß der Tour de Nesle gekommen, wo die zwei Hauptschauspieler ein Geheul vollbrachten, wie Wölfe im Winter.
Lucrece Borgia, die schlechteste Vorstellung, die ich hier noch gesehen. Kein Schauspieler seiner Rolle gewachsen. Die George ein widerliches Weibsbild. Das Stück ist gewiß nicht gut, wenn es aber Tieck so de haut en bas traktiert, so sollte er sich vorher erforscht haben, ob er im stande sei, eine einzige Scene davon zu schreiben. Es hat große Schönheiten, und mit einigen Aenderungen, wozu besonders das unkünstlerische Wiederkehren derselben Vergiftungs- und Entgiftungsverwicklung gehört, könnte ein, wenn auch nicht in jeder Hinsicht befriedigendes, doch höchst achtbares Werk daraus gemacht werden. Die reine, unschuldige Haltung des Gennaro ist ein Meisterstück. Die Figur des Herzogs; die Scene zwischen den beiden Ehegatten. Dazu die eigentliche Sprache der Leidenschaft. Ich wüßte niemand in Deutschland, der das machen könnte. Bei dieser Aufführung ging aber alles verloren. Sogar die äußere Anordnung, mit Ausnahme des letzten Nachtmahles, schlecht. Der Calembourg mit dem Orgia fand in einer Bicoque statt, die unmöglich für das Portal eines fürstlichen Palastes gelten konnte. Ebenso das Arrangement des herzoglichen Zimmers ganz gegen die Absicht des Verfassers. Oder wenn er es so gemeint, so habe ich ihm mehr Phantasie zugetraut, als er hat. Die Tischscene im letzten Akt vortrefflich. So was können sie nur in Frankreich. Wie malerisch, wie natürlich. Und wenn dann die Lichter ausgelöscht werden, welche wunderliche Beleuchtung waltet dann über dem Ganzen. Die Totenchöre, Mönche und Särge, ganz so wirkungslos, als ich sie mir beim Lesen vorgestellt hatte. Hier einer von den wenigen Fällen, wo das Theatralische und Dramatische voneinander abweicht. Dramatisch läßt sich nichts dagegen einwenden. Es ist übrigens die Frage, ob es sich denn doch nicht auch darstellen ließe.
Vor dem Ende fortgegangen, es war dreiviertel auf ein Uhr. Das Publikum benahm sich, besonders während der Zwischenakte, ziemlich unanständig. Man pfiff, krähte, heulte. Liebespaare in den höhern Logen wurden mit dem Finger bezeichnet, ausgelacht, aufgefordert, sich näher zu rücken. Besonders unterhielt es die oberste Galerie, kleine Papierchen wie Schneeflocken herabregnen zu lassen. Bedenkt man aber, daß die Leute von sechs bis ein Uhr da saßen, so muß man ihnen schon einige Aufheiterung zu gute halten.
Montag. Die französische Dame von gestern hatte mir eine Karte in die Deputiertenkammer versprochen, wo eine interessante Sitzung sein sollte. Der junge Neuwall brachte sie mir. Ging daher schon bald nach zwölf Uhr dahin, um nichts zu versäumen und Platz zu finden. Vorher auf die Post, um nach Briefen zu sehen. Nichts. Bis zu diesem Grade der Vereinsamung habe ich es gebracht.
In der Kammer war noch niemand, als Zuseher. Kaum hatten sich noch drei bis vier Deputierte versammelt, als Trommelwirbel schon die Ankunft des Präsidenten verkündeten. Ein Mann von nicht viel mehr als 40 Jahren, schlank, groß, mit dunkeln Haaren, bis auf die höhere Statur ein wenig dem Kriegsagenten Dembscher in Wien gleichend, setzte sich auf den erhabenen Stuhl. Da er in nichts dem Präsidenten von neulich glich, fragte ich. Es war Dupin, jener nur ein remplaçant, vielleicht der Vizepräsident. Dupin gefiel mir sehr. Durch nichts in Verlegenheit zu bringen, wohl gar mit einem bon mot antwortend, nachlässig, überlegen, wie zu Hause. Er hatte das weiße Schnupftuch in der Brusttasche stecken, welchen Achtungsverstoß der Zerstreuung er mit einer, wie mir vorkam, nicht ganz unaffektierten Hast verbesserte. Uebrigens schnitt er ein Buch auf und las, auch während eines großen Teils der Verhandlungen. Als er citierte Paragraphen laut vorlesen sollte, verfehlte er Seite und Absatz und las ganz was anderes, worauf er von allen Seiten zurecht gewiesen wurde, was ihn aber gar nicht genierte. Ruhig las er von neuem; wieder was Falsches; wieder unterbrochen, bis er endlich das Rechte fand. Die Verhandlung, die den Zolltarif betraf, sollte, wie gesagt, interessant werden; die Kampfhähne wollten aber nicht recht beißen. Ein Artikel, wenn mir recht ist, über die Foulardtücher, wurde zum Teil verschoben. Ueber die Havannacigarren fing man an, sich zu erwärmen, aber das Centrum mit seinem immerwährenden aux voix! unterbrach alles, und man bekam keine größere Rede zu hören, als die eines unglücklichen Deputierten, der zu Gunsten der minderen Zollsätze sprach, aber so langweilig, daß die übrigen spazierten, diskurierten, lachten. Anfangs schellte der Präsident einmal mit der Glocke, und der Huissier rief mit Stentorstimme: Silence, Messieurs! Dann aber überließ auch er den armen Teufel seinem Schicksale, und er vollendete seine Rede während eines Lärmes, der nicht geringer war, als der auf dem Michaelsplatz nach Beendigung des Burgtheaters. Unmittelbar auf ihn kam ein Mann mit einem Faungesichte, der einige Späße über die Langweiligkeit der Rede seines Vorgängers machte, was anfangs gut aufgenommen wurde; als er aber weiter fortfuhr, erging es ihm nicht viel besser, man konversierte wie vorher, nur daß er, bei einem kräftigen Organe, doch auch einer der Mitredenden blieb. Von den Ministern sprach d'Argout, der es mit einer Art Superiorität, ja Schärfe that und sich wie verweisend umsah, wenn er gestört wurde. Sehr gefiel mir der Handelsminister Passy, ein großer, hagerer Mann, nicht alt, mit kahlem Kopfe. Er spricht gut, ohne Lebhaftigkeit, aber wie es scheint, bündig und überzeugend. Ungefähr in derselben Art, obgleich gewiß besser, würde bei uns Baron Pillersdorff sprechen. In der Frage über den Zollsatz des Mahagoniholzes bestieg er gewiß fünfmal die Bühne, um den Gegnern zu antworten. Der Hauptgegner, der eigentliche diabolus rotae, war ein junger Mann, den ich nach seinem Sitze für de Sade halten muß. Er scheint der Rapporteur des Ausschusses der Kammer gewesen zu sein, und ihm lag ob, all die Aenderungsvorschläge zu verteidigen, die diese Kommission gegen die Anträge der Regierung gemacht hatte. Das that er denn recht klug und verständig, mit Beredsamkeit und Lebhaftigkeit. Er sprach wohl zwölfmal gegen die Minister und ihre Redner. Es war aber alles umsonst. Die Anträge der Regierung wurden durchweg angenommen.
Ich ging vor der Ballottierung und kam erst um sechs Uhr zu Tische. Meine Schweden sagten mir, daß im Théâtre du Palais royal ein paar gute Stücke gegeben würden. Wir gingen hin. Acteon, eine Art Parodie, wo Chiron als Pferdemensch mit dem Regenschirm unter dem Arme vorkommt. Die Hauptrolle spielt ein Herr Alcide recht gut. Das Theater ist wegen seiner derben Späße bekannt. Einer der besten, daß, als Acteon fragt, ob er (Chiron) schon einen Jäger (chasseur) mit Hörnern gesehen habe, dieser antwortet: er glaube, bei der Nationalgarde. Eine der Albernheiten Chirons fertigt Acteon damit ab: jetzt habe sich einmal wieder seine partie de derrière geltend gemacht. Hierauf zwei Akte von Les chansons de Desaugiers, wo Levassor und Mad. Déjazet in verschiedenen Verkleidungen auftreten. Ersterer als Engländer, Mylord Doy, recht gut. Ich habe eine ähnliche Figur aber von Alexandre viel besser gesehen. Die Déjazet als Postillon wollte mich nicht recht ansprechen. Im Anfange des zweiten Aktes liegen die beiden, als Herr und Madame Denis, in zwei Himmelbetten, wo es denn an Zoten nicht fehlt, ohne daß ich dabei einen sonderlichen Spaß entdeckt hätte. L'enfant du Faubourg, das Stück en vogue, ist eine schlechte Nachahmung des Gamin de Paris. Levassor spielt den ersten Akt als Taugenichts recht gut, dann verschlechtert er sich zugleich mit dem Stücke. Zuletzt stirbt er als Galeerensklave, von seinen eigenen Kameraden ermordet, was mich höchlich überraschte, da, wenn in dem Stücke irgend ein Sinn wäre, es ihm nach seiner Besserung eher besser, als schlimmer hätte ergehen müssen. Ich wartete das letzte Stück Coliche nicht ab. Das Theater ist sehr klein, kleiner als unser Leopoldstädter. Im Nachhausegehen verfehlte ich den rechten Ausgang des Palais royal, irrte eine Weile herum und fühlte alle Anzeichen einer Verkühlung, als ich mich, seit langem zum erstenmal vor Mitternacht, zu Bette legte.
Dienstag, 19. April. Sehr schlechte Nacht zugebracht. Meine Gesundheit leidet sichtlich unter dem Andrange so vieler Gegenstände und Neuigkeiten. Wäre doch höchst unangenehm, hier krank zu werden. Doch ich kann meiner Natur schon etwas zutrauen. Besonders die Verdauung schlecht, obschon ich wenig esse. Nur einmal des Tags und da, außer Suppe, ein Stückchen Rindfleisch, eine Kotelette, eine Obstspeise und irgend ein Nichts als Dessert . . .
Muß heute beim Gesandten speisen. Aergere mich schon jetzt darüber.
Mit Brant zum Kirchhofe des Père Lachaise. Ich bin ein guter Fußgänger, Brant geht mich aber doch in Grund und Boden. Er will von Fiacre oder Omnibus nichts wissen, und so geht es denn zu Fuße in diesen ungeheuern Entfernungen. Der Kirchhof wunderschön. Es gibt nirgends etwas dem Aehnliches. Ein fortgesetzter Hain mit Grabmälern, einige mit Gärtchen, Blumenstücken, alle mit Kränzen von Immortellen. Obgleich die Rührung, die der letztere Schmuck erregt, etwas dadurch gemindert wird, daß diese Kränze auf allen Zugängen schon fertig zu Hunderten verkauft werden, so zeigt es doch immer Aufmerksamkeit der Angehörigen. Grabmal Abailards und Heloisens mit den ganzen Figuren beider, liegend unter einem gotischen Baldachingewölbe. Heloise, schöne Züge. Heloise! –
Sankt Anna sitzt im Nest und brütet Heloisen.
Ich weiß nicht, warum ich mir einbilde, eine Person müsse sich eben jetzt in Paris befinden. Ich sehe mich auf allen Straßen um, und erschrecke manchmal. Und doch ist es ein Unsinn – Herzlosigkeit und ein Raum von 800 Meilen liegt dazwischen.
Eins ist, was altergraue Zeiten lehren,
Und lehrt der Morgen, der erst heut getagt;
Des Menschen ew'ges Schicksal heißt entbehren,
Und kein Besitz, als den du dir versagt.
Der laute Tag, verlebt in froher Runde,
Beim heitern Fest genippter Götterwein,
Des Teuern Kuß auf deinem heißen Munde,
Dein wär's? Sieh zu! ob du vielmehr nicht sein.
Denn der Natur alther notwendige Mächte,
Sie hassen, was in freien Bahnen zieht,
Als vorenthalten ihrem ew'gen Rechte,
Und ziehen's lauernd in ihr Machtgebiet.
All was du hältst, davon bist du gehalten,
Und wo du herrschest, bist zugleich du Knecht!
Genuß sieht vom Bedürfnis sich gespalten,
Und Pflicht, als Dorn, umstellt das süße Recht.
Nur was du abweist, kann dir wiederkehren!
Nur was du denkst, ist dein; denn du bist's, es ist du;
Drum laß gefaßt ein Aeußres uns entbehren:
In Selbstbewahrung liegt zuletzt die Ruh.vgl. Bd. I, S. 129.
Mittags beim Gesandten gegessen. Gut empfangen. Niemand da, als die Familie. Doch einige Aufhorchereien, ob man mit Börne und Heine schon gesprochen. Die Ministerin den Börne gelobt. Heißt das, wenn nicht – obschon. Ich finde es natürlich. Habe nun mein Futter. Werde nicht leicht wieder hingehen. Die Frau habe ich mir natürlicher, herzlicher vorgestellt. Die Söhne benahmen sich, als ob ich eben aus China angelangt. Die Ministerin zeigte ihren Wunsch, mich öfter zu sehen, wenn nur dem Fremden in Paris seine Augenblicke nicht so kostbar wären, in welche Wahrheit ich herzlich einstimmte. Der Minister meinte, zu dem tanzenden Frühstück, das er am 3. Mai geben wolle, müsse ich denn doch kommen. Allerdings. Mögen leicht zu den Besten einer schlechten Gattung gehören. Mir ist, als witterte ich etwas Uriasartiges bei meinen hiesigen Landsleuten, mit Ausnahme der Familie Neuwall. Gut, gut! Wird sich ja aufklären. Oder auch nicht. Die Straßen von Paris können sie mir doch nicht wegnehmen und die Theater auch nicht.
Des Abends mir Ruhe gegönnt. In einem Lesekabinett zum erstenmal seit drei Wochen die Zeitungen gelesen. Nichts Neues gefunden. In Spanien die alten Trägheit. Um halb eilf Uhr nach Hause. Will mich ausschlafen.
Mittwoch, 20. Gut geschlafen. Heiterer aufgestanden bis auf eine Unbehaglichkeit des Magens, die gewöhnlich bis eins, zwei Uhr steigt, sich dann vermindert und nach dem Essen ganz verschwindet.
Um zwölf Uhr zu Börne. Den Wagen nach Auteuil versäumt, mit einem elenden Kabriolett hinausgefahren. Die Gegend außer der Barriere von Passy recht hübsch. Die Bäume in voller Blüte. Habe zum erstenmale den Frühling empfunden.
Traf Börne allein. Er hatte eben ein Schläfchen gemacht und mußte sich erst finden. Er wohnt sehr hübsch da draußen. Mehrere Zimmer sehr gut möbliert, eigene Bedienten. Ich freue mich, daß er so viel hat, um leben zu können, sonst würde es ihm bei allen diesen Zensurverboten übel ergehen. Kamen eben ins Gespräch, als zwei Herren angemeldet hereintraten, die mir Börne als deutsche Verbannte, ehemalige rheinbayrische Deputierte vorstellte. Die Namen habe ich vergessen. Das Gespräch wendete sich um staatsrechtliche Fragen, Politik, Litteratur. Wunderte mich, wie dieser eigentlich gescheite Mensch sich noch immer in dem Kreise von Bestrebungen herumtreiben mag, die mit der letzten Spur der Möglichkeit gewissermaßen ihren Gegenstand verloren haben. Börne scheint übrigens mit den übrigen deutschen Malkontenten darin in Streit zu sein, daß ihm, bis auf das System der Regierung, das französische Wesen gefällt, indes diese, in echt deutscher Verblendetheit, ihren Landsleuten das Uebernatürlichste zutrauen und von den Franzosen als einem höchst unglücklichen Volke reden. Der eine der beiden Männer dauerte mich wirklich, so angegriffen war er, so bitterer Ernst schien es ihm. Arme Teufel! Ich wette drauf, es sind ehrliche Männer, seien sie nun erleuchtet oder verblendet. Man sprach übrigens mehr von französischen als deutschen Zuständen. Börnen schien die politische Wendung nicht angenehm, entweder weil er mir doch nicht ganz traute, oder mich nicht für voll nahm, da ich gleich von vornherein meine gemäßigten Gesinnungen deutlich erklärte. Er fragte mich, ob ich für den Mittag geladen sei, was ich bejahte, teils weil ich heimische Klagen genug auf dem Herzen habe und keinen Beruf fühlte, sie beim offenherzig machenden Glase Wein an Uebertriebene gelangen zu lassen, teils weil ein Besuch bei Börne schon Stoff genug für einen Gesandtschaftsbericht ist, ein Mittagmahl aber gar, und noch dazu in solcher Gesellschaft, ohne Zweifel die Zahl der sieben Todsünden um eine achte vermehren würde.
Ich weiß wohl, daß ich unrecht habe. Die Gemäßigten werden weder geliebt noch gefürchtet, stehen daher von allen Seiten schlecht. Sei's! Ich hege auch weder Furcht noch Liebe, höchstens Mitleid und Verachtung.
Mittags im Palais royal. Abends in der Oper, La Juive von Halevy. Die Musik großenteils blinder Lärm, bis auf einige choralmäßige Chöre, die wirklich schön sind. Von den Sängern die Weiber Dorus und Falcon gut, die Männer unangenehm. Lafont ungefähr wie neulich. Nourrit, ein hiesiger Liebling, hohe Halsstimme ohne eigentlichen Klang, nur wirksam, wo er schreit. Serda, schnurrender Baß, aber ausgiebig, wirksam. Nur singt er gern noch um ein paar Töne tiefer, als seine tiefe Stimme reicht. Das Ganze ohne Interesse. Aber welche äußere Ausstattung: die Dekorationen Wirklichkeiten, oder nein: Bilder. Dadurch unterscheidet sich die französische Dekorationsmalerei von der der übrigen Nationen, daß letztere die Gegenstände der Wahrheit gemäß abbilden und nun dem Zufall überlassen, ob das unwahre Lampenlicht, die Gruppierung und Bekleidung der Figuren die Wirkung steigern, stören oder aufheben werde. Hier aber malt man das Licht, die Steigerung und Abschwächung, das Wesentliche und die Beiläufigkeit gleich von vorneher in die Dekoration hinein; da man der leidigen Allseitigkeit der Lampenbeleuchtung nicht los werden kann, so wird in den Gruppen Licht und Schatten durch helle und dunkle Farbe der Bekleidung ausgedrückt. So entstehen eigentliche Bilder, von deren Wirkung man bei uns keine Vorstellung hat. Der Marktplatz einer Reichsstadt gleich beim Aufziehen des Vorhangs, eine Kirche im Vorgrunde, dunkel gehalten mit stehenden und knieenden Gruppen. Gegenüber Männer auf Barrieren, Ecksteinen sitzend, mit den Füßen schlenkernd, stehend, liegend, Straßenjungen. Im Hintergrunde, perspektivisch sich emporhebend, gewappnete Männer, die Harnische gräulich glänzend, um nicht zu sehr vorzutreten. Dazu aus der Kirche Orgeltöne, Chorgesang, Frauen mit schlepptragenden Pagen, die in die Messe gehen. Der Kardinal erscheint auf den Stufen. Man muß das gesehen haben. Ich glaube Phantasie zu haben. Hier zum erstenmale in meinem Leben habe ich ein theatralisches Arrangement gesehen. Der Einzug des Kaisers. Pferde. Prächtig. Bei uns ist derlei Spielerei, hier nicht, weil es die Wirkung des Ganzen erhöht. Tänze eingeflochten, nicht eingezwängt. Die Kostüme von einer Pracht, die ärgerlich wäre, wenn sie ihren Zweck nicht so vollständig erfüllten; von einer Genauigkeit, die ans Absurde streift, durch die Großartigkeit des Ganzen aber nur noch als volle Wahrheit wirkt. Dazu die Geschicklichkeit all dieser Leute. Nichts, was stört. Keiner geht, sitzt wie der andere, alles künstlerisch geordnet und natürlich aufgefaßt und wiedergegeben. Alle Ehre den Künstlern unserer Theater, aber unsere Bühnen sind elende Marktbuden im Vergleich dieser Wirkungen. Hier kann ein Mann von Phantasie und Geschmack einer Vorstellung beiwohnen. Die Dekoration des letzten Aktes war schlecht.
Das Haus gedrängt voll, der Beifall groß. Die Leute meinten, es wäre die Oper, was ihnen gefiel.
Donnerstag, 21. April. Ziemlich gute Nacht, Die Gesundheit bessert sich. Nur gar so wenig Besinnung. Kann man ein Greis und ein Knabe zugleich sein, indes man das mittlere zwischen beiden sein sollte: ein Mann.
Mit Brant englisch gelesen. Wie es mir in England mit der Sprache gehen wird, weiß vorderhand Gott allein. Ich habe mich geflissentlich auf diese Reise geworfen, wie ein Nichtschwimmer ins Wasser, die Not sollte die Bewegungen von selbst lehren. Ertrunken bin ich vorderhand auch wirklich noch nicht, aber Wasser habe ich in Mund und Nase bekommen teufelmäßig, und wer weiß, was noch kommt?
Soll ich die Schuld auf Mangel an Charakter schieben? Kein wirkliches Unglück, keine eigentliche Gefahr hat mich noch unmännlich gefunden. Aber diese kleinen ennuys, diese immer wiederkehrenden Plackereien matten mich auf eine Art ab, daß ich dagegen durchaus nicht aushalten kann. Das eigentliche Unglück ist, daß ich das Fehlerhafte, das Absurde meiner Stimmungen und Eigentümlichkeiten völlig einsehe und mir alle Mühe gebe . . . . . . .
Bin hier im Schreiben durch Hagberg unterbrochen worden und konnte den ganzen Tag nicht wieder dazu kommen. Jetzt da ich mich wieder dazu hinsetze, habe ich die merkwürdigen Ereignisse rein vergessen. Weiß nur noch, daß ich die Kirche St. Eustach besah, dieselbe, die Ludwig XIV. aus einer gotischen in eine haarbeutelmäßige so glücklich verballhornen ließ. Die Reste noch immer schön. Die Halle aux blés gesehen mit der riesenmäßigen Dachkuppel. Merkwürdiges Echo in der Mitte, das trotz der ungeheuern Entfernung des Daches jedes gesagte Wort wiederholt, beinahe ehe man's zu Ende gesprochen. Ich finde die natürlichen Erklärungen der natürlichen Dinge äußerst unnatürlich.
Großer Marktplatz, schmutziger als irgend etwas bei uns. Dames de la Halle. Die sehen eher nach einer Revolution von 1830, als nach der von 1792 aus. Gott ist mächtig in den Schwachen. Heißt das: Gott in Frankreich. Was sonst geschah, deckt die Nacht des Vergessens.
Mittags bei Neuwall. Nach Tisch waren wir schon im besten Zuge, uns gegenseitig zu ennuyieren, da erklärte ich, ins Theater gehen zu wollen.
Ging in die Variétés. Kam zum dritten Akte eines fünfaktigen Drama Le Marquis de Brunoy. Verstand daher nicht viel von der Verwicklung. Frédéric Lemaître spielte die Hauptrolle sehr gut, bis auf eine Art Wahnsinn zum Schluß, was sich nicht recht geben wollte. Ueberhaupt alle Schauspieler recht gut. Was müßte man einer deutschen Truppe anbieten, damit sie sich eine solche Treue des Kostümes gefallen ließe, wie man sie hier täglich auf dem Theater sieht. Gepuderte Frisuren, Reifröcke, Haarbeutel.
Zum Schluß Ma femme et mon parapluie. Ein Klavierstimmer, dem man beide diese Einrichtungsstücke entführt, der um beide ungefähr im gleichen Maße trauert und in seinen Klagen sie ewig vermischt und verwechselt. Bernet, der ihn spielte, vortrefflich. Das ist der Unterschied zwischen unsern Wiener Komikern und den hiesigen, daß erstere immer mehr oder weniger Possenreißer sind, d. h. Späße aus freier Faust einmischen, indes die Pariser für ihre Komik immer bloß den Charakter und die Situation ausbeuten. Einer, der plötzlich ins Theater einträte, ließe sich gar nicht einfallen, daß Bernet der Komiker des Stückes sei, bis er nach und nach aus der Wirkung es bemerkte. Nicht einmal auffallend gekleidet hatte er sich. Er sah wie Tausende aus, die unbeachtet auf der Straße an uns vorübergehen. Sehr gut war auch Prosper als Mr. Coquerdon. Mehr chargiert, aber doch vollkommen wahr. Nur ganz gegen das Ende fingen beide an, sich ein wenig gehen zu lassen.
Freitag, den 22. Leidlich geschlafen. Früh morgens kam Meyerbeer, der mir ein Billet für die heutige Vorstellung seiner Hugenotten versprach, auch Wort hielt. Besuch von Schlesinger, Hagberg kam. Einig mit ihm, die Galerie im Luxembourg zu besehen, was höchste Zeit ist, da ich ungebildeterweise noch gar nichts von schönen Künsten und Wissenschaften mitgemacht habe. Da die Galerie des Louvre der Ausstellung zuliebe ausgeräumt und daher nicht zu sehen ist, so interessiert mich das übrige auch im Grunde wenig. Also: Galerie Luxembourg. Ist das schofel! Süßigkeiten und Uebertreibungen, Grau in Grau gemalt, Guérins Hippolyte sieht aus wie eine Demoiselle, der man die Röcke überm Knie abgeschnitten. Zudem ist er mit seiner chevelure aus der Mode gekommen! Dazu von Farbe keine Spur. Dadurch sei nicht abschätzig von dem Talente des Künstlers gesprochen. Er gab eben der Mode seiner Zeit nach, und da die Flut vorüber ist, liegt er auf dem Trocknen. In neuerer Zeit fangen sie an, die Niederländer zu studieren, und eine sterbende Königin Elisabeth sieht aus, als sei Rubens wahnsinnig geworden. Eine Beistehende, die schöne Hände übers Gesicht schlägt. Das Beste von Horace Vernet, der in seiner Art vielleicht keinem der Münchner Künstler nachstehen dürfte. Hat er Cornelius' Großartigkeit nicht, so ist dafür seine Farbe besser.
Zurück. Noch einmal Notre Dame besehen. Daß die Arbeit viel roher ist als an unsern Kirchen, kein Zweifel. Dazu die Fassade etwas gedrückt, obgleich schön. Das Schiff würde mir kaum gefallen, wenn es auch nicht geweißt wäre. Dafür die Nebengänge, besonders der links, mit der Aussicht in eine Säulenhalle, schön. Sollten die Säulen des Schiffes schon bei der Erbauung so gewesen und in der Folge nichts daran geändert worden sein?
Erinnere mich eben, daß ich gestern auch auf der Börse war. Das Aeußere mit seiner Kolonnade wunderschön. Das Innere macht einen wüsten Eindruck. Die aufeinander gestellten zwei Reihen Pilaster lassen das, durch die äußeren Säulenordnungen erhobene Gemüt unangenehm wieder herabfallen. Gedränge, Lärm. Von der Galerie herab macht es den Eindruck eines aufgeregten Meeres. Gegen das obere Ende des Saales ein zirkelförmiges Gelände, um das die Sensale herumstehen und in den innern leeren Kreis hineinschauen, als ob da Orakel am Boden aufgeschrieben wären; sich dann plötzlich umwenden und mit Stentorstimme Preise und Anträge herausschreien, welche Anstrengung notwendig ist, da man sein eigenes Wort nicht hört.
Heute mit Hagberg noch ins Louvre zur Kunstausstellung gegangen. Unabsehbare Menge von Bildern. Wie überall, und natürlich, nicht viel Gutes. Wieder Horace Vernet bei weitem der Beste. Ein Bild von einem Siege des Marschalls von Sachsen vortrefflich. Vorzüglich rechts im Vorgrunde die Gruppe eines, wie es scheint, östreichischen gefangenen Generals, der seinen Sohn wieder findet. Der junge Mensch, mit seinem durch die ungeschickte Kleidung durchleuchtenden schönen Körper, halb emporgehoben in der Umarmung des kräftigen alten Mannes, hinreißend. Auch einige Napoleongeschichten von demselben Maler. Besonders gut auf einem derselben der Kaiser, über die Schulter zurück nach vorwärts schauend. Ausgezeichnet schöne Porträts. Einige in englischer Manier mit glücklicher Kühnheit. Unser Amerling fände hier würdige Nebenbuhler. Weiberköpfe, wunderschön als Weiber und als Bilder. Nirgends mehr Grecs und Romains, aber leider auch keine Griechen und Römer. Die Farbe durchaus besser, als auf jenen David-Gérardschen ungebleichten Kattunfiguren.
Zu Tische. Traktierte meinen schwedischen Freund und mich mit einer Bouteille Champagner, der aber schlecht war, wie aller, den ich noch in Paris getrunken. Ins Café de la régence. Wenige Schachspieler da. Die besten sollen vormittags zwischen ein und fünf Uhr kommen.
In der Oper. Ungeheuer voll. Meyerbeer hatte mir eine stalle im ersten Rang verschafft. Vortrefflicher Platz. Die Ouvertüre ging an, vielmehr nur Introduktion. Ich war zu gespannt, als daß sie mir besonders hätte gefallen können. Der Vorhang geht in die Höhe. Eine Art Fest katholischer Herren. Das Arrangement nicht besonders. Das Opernbuch hat den Fehler, um drei Viertel zu lang zu sein. Die Musik muß nur immer hinter den Worten herlaufen, daß ihr ja keines entgeht, wodurch sie sich, besonders anfangs, zu wenig in sich selbst konzentrieren kann. Macht daher eine etwas zerstreuende Wirkung. Dazu sind zu komplizierte Zustände, so daß man sich, selbst mit dem Buche in der Hand, kaum zurechtfinden kann. In der Mitte des dritten Aktes fängt mit einem Duo eigentlich die Musik der Oper an und erhält sich recht kräftig, oft ausgezeichnet, bis ans Ende. Ich war aber durch die Bemühungen, schon dem Anfange zu folgen, viel zu sehr hergenommen, als daß sich mir die Folge klar auseinander gesetzt hätte. Muß daher noch einer Vorstellung beiwohnen, um auch nur gegenüber von mir selbst mir ein Urteil zu erlauben.
Von den Darstellenden die Weiber Dorus und Falcon sehr gut, besonders die letztere. Die Männer, was man dramatische Sänger nennt, das heißt: schlechte. Sie verstehen sich nämlich vortrefflich darauf, die Winkelpoesie eines erbärmlichen Opernbuches geltend zu machen, sind aber nicht im stande, die musikalischen Intentionen einer guten Komposition ins Leben zu bringen. Aus einem Chor herauszuschreien, oder die Lichter auf finstere Violinhintergründe aufzusetzen, dazu sind sie ganz die Leute; die Kantilene mag aber besorgen, wer Lust hat. Ueberhaupt kommen sie, wie neuere Soldaten, erst dann ins Feuer, wenn die Kanonen, d. h. die Bässe, donnern.
Samstag, 23. Die Körperstimmung wieder etwas gedrückt. Besinnung und Erinnerungskraft besonders schwach. Weiß mich am folgenden Morgen kaum zurecht zu finden, was am Tage vorher geschehen. O die Zeit meines Lebens! Ich habe geträumt bis heute, weiß es, und werde fortträumen bis zum Tode. Δος μοι που στω
Was also diesen Samstag vormittag geschah, weiß ich heute, Sonntag morgens, nicht mehr. Doch ja. Ging zu Frau von Neuwall, mich für Sonntag mittag zu entschuldigen, da Meyerbeer mich zu Tische geladen. Darauf – ja doch! den Montmartre bestiegen und von da die Stadt betrachtet, was einen gewaltigen Anblick gibt, doch um nichts bedeutender und um vieles weniger schön, als die Ansicht Wiens, allenfalls vom Kobenzl aus.
Werde täglich erinnert, meinen Empfehlungsbrief an Mr. Rothschild abzugeben, auch Heine soll ich besuchen, verschiebe es aber von Tag zu Tag.
Mit Brant bei einem Restaurant im Palais royal gegessen. Nach Tisch in den Cirque olympique Franconis, wo man nun seit zwei Monaten alle Tage Jérusalem délivrée gibt. Demungeachtet das Haus so voll, daß wir kaum noch ein paar der schlechtesten Plätze fanden. Freilich ein wenig Brants Schuld. Man bot uns vor der Thüre stalles da sie aber fünf Francs das Stück kosteten, und Brant sparsam ist, so nahmen wir Plätze auf den Seiten, wo man ziemlich schlecht sieht.
Ueberhaupt ist mir Brant ein großer ökonomischer Nutzen in Paris. Obgleich etwas ängstlich bei größeren Ausgaben, lasse ich mich doch bei kleineren gern gehen, wenn ich einmal im Zuge bin. Vor den Nullen habe ich allen Respekt, aber die Einheiten fliegen. Da ich nun viel mit Brant bin und er das Seine sehr zu Rate hält, fehlt mir die Gelegenheit, meine Einkaufwut in Gang zu erhalten. Ein paar hundert Franken mag das im ganzen wohl austragen.
Von dem befreiten Jerusalem nun wüßte ich nichts zu sagen, als daß es dabei sehr bunt herging. Dekorationen gut; Kleider prächtig; Komparserie, zwei Heere im eigentlichsten Verstande; 30 bis 40 Pferde zugleich auf der Bühne. Letztere ist durch bretterne Steige mit der Arena in Verbindung gesetzt, und da fliegen denn nun Ritter und Knappen, Mann und Weib in voller Carriere auf und nieder. Gesang, Chöre, Tanz, Flugwerke, feuerspeiende Drachen. In Wien würde das Stück nicht bloß zwei Monate, sondern ein ganzes Jahr Tag für Tag gegeben. Besonders ein Aufwand von Harnischen, wie er seit Erfindung des Schießpulvers nie mehr vorgekommen. Uebrigens weiß ich nicht, ob hier die Schauspieler zugleich Kunstreiter, oder die Kunstreiter zugleich Schauspieler sind; denn die Hauptpersonen des Schauspiels, die eben nicht so übel sprechen, machen Dinge zu Pferde, die einem die Haare emportreiben. Das Beste des Ganzen ein förmliches Rennen von sechs Rittern, anfangs mit Lanzen, dann mit Schwertern, wobei die Hiebe auf den Harnischen klatschen wie nichts Gutes. Endlich bearbeiten sich die zwei allein Uebriggebliebenen mit Kolben und Streitäxten, daß man wahrhaft meint, sie müßten sich die Hirnschädel einschlagen, Hieb auf Hieb, klitsch, klatsch, wohin's trifft, ohne auszusetzen oder zu parieren. Endlich fiel der Sarazene vom Pferde und – wir gingen. Wenn sie nicht in den folgenden Akten einen wirklich totgeschlagen haben, so konnte das Gesehene nicht mehr überboten werden, und wir hatten daher ganz recht, uns fortzumachen.
Ich ging noch in ein Café, um mich abzukühlen. Auf gut Glück nahm ich ein Zeitungsblatt in die Hand und las bon mots auf die Gräfin Apponni, als eine Art faiseuse politique, eine Fürstin Lieven. Aha! Daher also manche Verschiedenheiten mit dem, was ich früher von ihr gehört hatte. Daher dieses air de triomphe. Man spricht hier von einer Heirat des Kronprinzen mit der Tochter des Erzherzogs Karl. Das hat wohl sie gemacht, heißt das: vermittelt.
Wieder eine meiner politischen Voraussagungen eingetroffen! Wäre ich nicht so bête, d. h. ehrlich, und Herr meiner Stimmungen, ich hätte einen Staatsminister abgeben können.
Sonntag, 24. Eins gibt dem andern die Thüre. Werde erinnert, meinen Empfehlungsbrief an die Baronin Rothschild gewiß morgen abzugeben, Einladung auf morgen zu Mr. und Mad. Valentin. Der geheime Rat Koreff. Der Rummel ginge an. Gott sei Dank, daß ich in vierzehn Tagen wieder fortkomme, Koreff sagt, Rossini habe die Idee, aus der Ahnfrau eine Oper zu machen. Proficiat.
Hagberg bietet mir an, die Galerie des Palais royal zu sehen, wozu er Billette erhalten hat. Muß es leider ablehnen, da ich Many Neuwall und Braut versprochen, mit ihnen ins Diorama und, was weiß ich, wohin noch zu gehen. Ein plötzlicher Regen hindert alle Pläne. Spazieren demungeachtet in den Straßen ein wenig herum. Der Kot ennuyiert uns, unsere eigene Unterhaltung will dagegen nicht auslangen. Es ist vier Uhr geworden, und ich gehe nach Hause, um mich anzukleiden.
Um fünf Uhr zum Essen zu Meyerbeer in meinem Hotel. Er ist noch nicht zu Hause. Finde die Mutter. Gespräch, durch ein nicht hübsches, aber scheinbar gutartiges und daher mir angenehmes Gesellschaftsfräulein unterstützt. Curschmann kommt. Ein Franzose, der Theaterdirektor, oder etwas dieser Art. Meyerbeer, der mir verblümt zu verstehen gibt, ich hätte seine Mutter doch früher einmal besuchen können, welche Bemerkung mich wenig geniert. Bin in derlei Grobheiten noch von Wien her eingeübt. Endlich Herr Leo, der Deutsche, den ich bei Valentins getroffen. Zu Tische. Machte der Einladung, was das Essen betrifft, Ehre. Verfiel, nachdem ich mich eine Weile im Gespräche recht gut gehalten, in meine gewöhnlichen Abwesenheiten, während denen ich aber zu sprechen pflege, ohne zu wissen, was. Meyerbeer mag ziemlich erstaunt gewesen sein über diese Worte eines Verstorbenen. Erfahre, daß heute Konzert im Konservatorium gewesen, über dessen Vortrefflichkeit Giacomo (so nennt ihn die Mutter) nicht fertig werden konnte. Wußte nichts davon. Wäre froh, Paris wieder im Rücken zu haben. Was brauch' ich all das Zeug zu sehen und zu hören. Werde Wien wieder angenehm finden, wo ich wenigstens allein sein kann. Wenn nur dort der schändliche Geistesdruck nicht wäre und die Erniedrigung der Nebenmenschen. Was mit mir selbst geschähe, sollte mich wenig anfechten. Mich erniedrigen sie nicht, und wenn sie tausend Jahre dran versuchten.
Leo ist ein gescheiter Mensch. Er lebt 20 Jahre in Paris, und obschon ein Deutscher, überströmt er vom Lobe der hiesigen Zustände. Gleich mir hält er Louis Philipp nicht bloß für tief verständig, sondern auch für einen ehrlichen Mann. Der gegenwärtige Wohlstand Frankreichs soll unbeschreiblich sein. Merkwürdige Details über die arbeitende Klasse, die, nach Leo, eine angestrengtere Existenz führen, als selbst die Negersklaven, aber nur durch 12 bis 15 Jahre, dann ziehen sie sich zurück und leben von ihren Renten. Gewohnheit unter allen Ständen, ihre kleinen Kinder aufs Land zu geben. Nicht aus Herzlosigkeit, denn die Mütter seien selbst in Verzweiflung darüber, sondern aus Unmöglichkeit, sie zu behalten. Die Mütter nämlich haben sämtlich ihren angewiesenen Platz im Geschäft. Ungeheurer Lohn der Ammen; aller Dienstleute überhaupt. Ein Bedienter bekommt monatlich 100 Franken. Die männlichen Diener im allgemeinen schlecht, die weiblichen gut. Details über den innern Verkehr, der durch nichts gehemmt wird. Fühle mich unglücklich, von solchen Dingen nichts zu verstehen, ja selbst die Erklärungen darüber nicht zu begreifen.
Wir gehen gegen neun Uhr. Ich zu Brant, dem ich's versprochen habe. Trinken Thee und ennuyieren uns. Ich bleibe geflissentlich, weil ich durchaus dieser Stimmung Herr werden will. Finde es unmöglich. Um halb elf Uhr nach Hause.
Montag, 25. April. Kann nicht ausweichen, heute der Frau v. Rothschild meinen Brief abzugeben. Wollte vorher noch die Gemäldeausstellung sehen; war verschlossen. Ging in den Tuileriengarten, las die Zeitungen. Der Kronprinz geht nach Berlin und Wien. Die östreichische Heirat dürfte sich bestätigen. Fängt an zu regnen. Flüchte mich in die Galerien des Palais royal. Möchte einige Kleinigkeiten kaufen, kann sie nirgends finden. Nach Hause gegangen, umgekleidet. Zu Rothschild. Von der Frau sehr gut empfangen. Sie ist liebenswürdig, gebildet, spricht wahrhaft gut. Sie gehen aufs Land. Soll sie dort besuchen. Sie gibt mir die Adresse von Heine. Gehe von ihr fort, meine Reisegefährtin zu besuchen. Hermine kommt heraus, sagt mir, daß viel Gesellschaft bei ihren Schwestern sei, Franzosen, zweifelt, ob mir das angenehm sei. Spreche mit dem Mädchen, finde sie weniger hübsch als auf der Reise. Sonst ganz dieselbe. Ein alter General, der bei den Schwestern war, kommt, um Abschied von ihr zu nehmen. Thut ziemlich bekannt. Der Aushängschild zeigt das Gewerbe. Gehe endlich auch, eben als Auber, der Opernkompositeur, sich entfernt, der mit den Schwestern artistische Konferenz gehalten hat. Bin gar nicht begierig, seine oder irgend jemands Bekanntschaft zu machen. Noch ehe ich zu Rothschild ging, besuchte mich Lapique, der Gefährte unserer Reise von Nancy nach Paris. Es plagt sie offenbar die Neugierde, zu wissen, wer Hermine ist. Ich mag es ihnen aber durchaus nicht sagen. Muß sie aber doch besuchen. Sie sind gar zu freundlich und gut.
Mittags bei Valentin. Der üble Eindruck, den ich am ersten Abende unserer Bekanntschaft erhielt, verschwindet. Es sind liebenswürdige Leute. Leo, den ich damals absprechend fand, ist es vielleicht, aber nicht mehr, als alle Deutsche, die Verstand haben. Ein Doktor Julius aus Berlin da, der eben aus Amerika kommt und der allerorten die Gefängnisse untersucht, auch ein sehr gutes Werk darüber geschrieben haben soll. Er gibt mir einen Brief an den Londoner Buchhändler Murray, der mich gleich in den Mittelpunkt der dortigen gelehrten Welt setzen soll. Guter Gott! Mich in den Mittelpunkt der gelehrten Welt! Nahm übrigens den Brief, der wohl nie aus meinem Portefeuille herauskommen wird.
Hatte Doktor Koreff versprechen müssen, ihn in der Oper, wo er eine Loge genommen hat, zu besuchen, um die Bekanntschaft seiner Frau zu machen. Gehe um neun Uhr hin. Die Frau äußerst hübsch. Ein wenig auffallend angezogen. Der Verfasser des Greuelstückes La tour de Nesle ist bei ihr. Ein gut aussehender junger Mann. Ich suchte vergebens nach dem Kainszeichen an ihm. Gehen während der Zwischenakte ins prächtige Foyer, wo die Leute auf und ab spazieren. Man zeigt mir Jules Janin. Ziemlich jung, wohlbeleibt, unelegant gekleidet, heiteres, französisch-behagliches Gesicht.
Meine eigene Behaglichkeit fing nach und nach an, zu Ende zu gehen. Die letzten Akte der Oper machten auf mich weniger Eindruck, als das erste Mal. Nach dem Schlusse ging ich mit Doktor Julius, der auch gekommen war, ins Café, Eis zu essen. Wollte sich kein rechter Austausch geben.
Dienstag, 26. Hagberg hatte mir versprochen, mich in die Bibliothek abzuholen. Ich wartete bis ein Uhr. Er kam nicht. Ging, Heine aufzusuchen. Madame Rothschild hatte mir eine falsche Adresse gegeben. Er war ausgezogen. Da ich nun schon in der Rue des petits Augustins und somit am andern Ufer der Seine, entfernt vom Mittelpunkte der Stadt war, beschloß ich, den Jardin des plantes noch einmal zu besuchen. Kam so der Kirche Notre Dame näher und betrachtete mir sie wieder. Sie ist unleugbar schön. Die Breite der Fassade sticht vorteilhaft gegen die Dürftigkeit jener der Stephanskirche in Wien ab. Was letztere auszeichnet, ist der Turm und das Innere. Das Hauptschiff von Notre Dame will mir auch jetzt noch nicht gefallen. Die vier Nebengänge aber, von denen die zwei äußersten sich um den Hochaltar herumschlingen, machen einen wunderbaren Eindruck. Was mir am Hauptschiff nicht gefällt, ist das etagenmäßige Uebereinandergebautsein von Säulen, Säulchen und Wänden.
Außer einigen Gaffern, gleich mir, waren nicht drei oder vier Menschen darin. Die Depots von zu vermietenden Stühlen machen einen widerlichen Eindruck.
Erinnerte mich des Palais de justice, und daß ich noch keine Gerichtssitzungen gesehen. Herrliches Gebäude, die mittlere Halle großartig. Ging zuerst in die Kriminalsitzungen (oder ist es bloß police correctionelle?). Da war alles so voll, daß ich kaum an der Thüre festen Fuß fassen konnte. Ein concierge, huissier oder dergleichen, um bessern Platz zu verschaffen, war nicht zu sehen. Es handelte sich um eine öffentliche Gewaltthätigkeit. Eine Flinte und ein sackartiges Bündel lagen als corpus delicti auf der Tafel. Drei Richter. Links vom Zuseher der procureur du roi. Rechts die Beschuldigten, die ich aber vor Gedränge nicht sehen konnte. Der Advokat war mitten in seiner Rede. Er sprach gut. Der Beschädigte, zur Angabe seines Schadens aufgefordert, weigerte sich, einen Ausspruch zu thun. Er verfolge eine Sache der öffentlichen Moral, sagte er, nicht des Vorteiles.
Der Richter resümierte den Fall, ich konnte es aber über dem Anstoß ewig neu Zudrängender nicht aushalten. Ich ging in ein anderes Zimmer, wo das Gedräng geringer war, ich daher auch sehr leicht guten Platz fand. Dafür war aber auch der Gegenstand minder interessant. Der Diebstahl einer Uhr. Zwei übel aussehende Bursche und zwei garstige Weibsbilder, in der Reihe von Stadtsoldaten getrennt dasitzend, waren die Angeklagten. Hier war der Richter eben in seiner Rede an die Geschwornen. Er sprach aber ziemlich schlecht, stotternd, sich selbst unterbrechend und verbessernd. Die Jury entfernte sich, und da sie gar nicht wiederkommen wollte, ging ich endlich auch. Mein gutes Glück führte mich durch die mittlere, säulengetragene Halle zur Abteilung der Ziviljustiz, Ich hörte ein paar Prozesse plaidieren. In einer Stunde waren zwei Fälle abgethan, um die man bei uns zehn Jahre gestritten hätte, oder wenn auch nicht abgethan, doch der Entscheidung nahe gebracht, obgleich mir ersteres schien. Beim zweiten Prozesse unterbrach der Richter den zuletzt sprechenden Advokaten. Sie wüßten schon genug, sagte er, der eben enthüllte Umstand entscheide die Sache.
Die Advokaten sprachen nicht alle gut. Das Ganze nimmt sich würdig aus. Die schwarzen Talare und Mützen der Richter und Anwälte, die anständige Dekorierung der Richtersitze. Man fühlt, um was es sich handelt. Das Publikum nimmt aber auch den lebhaftesten Teil an den Prozeduren. Besonders die peinlichen Gerichte zum Ersticken voll. Leute der niedrigsten Stände, die ihr Gefallen und Mißfallen bestimmt, obgleich anständig und leise zu erkennen geben. Ein paar Schusterjungen mit bloßem Kopf traten ein, von niemandem gehindert, hörten eine Weile dem plaidierenden Advokaten zu und gingen dann ebenso ruhig wieder fort. Was für eine Wirkung muß das nebst der Journallektüre auf die Bildung der Masse haben. Das gemeine Volk spricht aber auch so gut, graziös möchte ich sagen, daß man lediglich auf die Marktplätze gehen muß, um eigentliche Pöbelsprache zu hören.
Mittags mit Brant und Many zu Very bestellt. Vortreffliche Küche. Interessiert mich nicht sehr. Bezahlen dafür aber auch für zwei Portionen Suppe, ebensoviel filet de bœuf, eine Portion Turbot, ein Poulard mit Salat und zwei Portionen Pudding, der noch dazu nicht ganz gar gekocht war, endlich zwei Flaschen Chablis, 25 Francs.
Da die Mars, die gewöhnlich nicht mehr auftritt, im Theater Odeon zum Benefiz eines Acteurs spielt, im Fiaker hinaus. Kamen um halb neun Uhr eben zurecht, um eine Mlle. Reisner auf der Blasbalgharmonika (accordéon) recht hübsch spielen zu hören. Dann sang ein Herr abscheulich zwei Romanzen.
Hierauf Mlle. Mars in der Gageure imprévue. Hat meine Erwartungen nicht erreicht. Mad. Löwe in ihrer guten Zeit war mir lieber. Ueberhaupt will mir, was ich von der haute comédie gesehen, nicht recht ein. Der Franzose ist in allen Künsten nur da ausgezeichnet, wo er sich unbekümmert seiner Natur überläßt; wie ihm einmal das Wort Kunst in den Kopf steigt, macht er die wunderlichsten Schnirkel. Mlle. Mars gibt den vornehmen Ton noch abgeschliffener und farbloser, als er ist. Man glaubt Flöhe husten zu hören, und man greift im Leeren herum; wie einer, dem die Luft ausgeht. Uebrigens kann man von einem Male kein Urteil fällen, auch war Stück und Umgebung ziemlich langweilig.
Mlle. Mars dagegen sehr gut in Valerie, was bei uns Gabriele heißt. Die Sechzigjährige so zart, warm, weich, furchtsam, liebenswürdig. Das Entzücken nach vollbrachter Augenkur dagegen schwach und für jeden Fall unter der Aufgabe.
Im Nachhausegehen gerieten wir auf einen Weg an den Kais, den zu gehen verboten ist. Die Schildwache, die uns zurückwies, fing ihre Rede mit Messieurs an. Ein deutscher Krieger hätte sich kräftiger ausgedrückt.
Mittwoch, den 27. April. Hatte endlich die Wohnung Heines erfragt, ging heute zwölf Uhr zu ihm. Cité Bergère Nr. 3. Als ich schellte, öffnete mir ein hübscher, runder, junger Mann im Schlafrock, der mir wie einem alten Bekannten die Hand reichte. Es war Heine selbst, der mich für den Marquis de Custine hielt. Er zeigte große Freude, als ich mich nannte, und führte mich in seine tolle Wirtschaft hinein. Tolle Wirtschaft. Denn er wohnt da in ein paar der kleinstmöglichen Stuben mit einer oder zwei Grisetten, denn zwei waren eben da, die in den Betten herumstörten, und von denen er mir eine, eben nicht zu hübsche, als seine petite bezeichnete. Er selbst sieht aber auch wie die Lebenslust und, mit seinem breiten Nacken, wie die Lebenskraft aus. Machte mir einen sehr angenehmen Eindruck, denn mir ist der Leichtsinn nur da zuwider, wo er die Ausübung dessen, was man soll, hindert.
Wir kamen gleich in die Litteratur, fanden uns in unsern Neigungen und Abneigungen ziemlich auf demselben Wege, und ich erfreute mich des seltenen Vergnügens, bei einem deutschen Litterator gesunden Menschenverstand zu finden. Er scheint durch die Bundestagsbeschlüsse sehr alteriert und schrieb eben an einer Denkschrift an die abgeschmackte Versammlung. Vom Ultraliberalismus will er durchaus nichts wissen und spricht mit Verachtung von den deutschen Refugiés. Mit Börne steht er schlecht. Beklagt sich, daß dieser ihn für seinen Freund ausgegeben, was er nie gewesen. Ging nach einer Stunde, herzlich entlassen.
Der Besuch hatte mich heiter gestimmt. Ging zu Brant, um mit ihm in die Pairskammer zu gehen, wohin Many Neuwall mir Billets gebracht hatte. Englisch gelesen. Die Notwendigkeit, mich wenigstens verständlich machen zu können, leuchtet immer deutlicher ein. Brant war erstaunt, mich das erste Mal heiter zu finden.
Regnet in Strömen. Wir benützen endlich einen leidlichen Augenblick und gehen ins Luxembourg; nach Brants Gewohnheit zu Fuß.
Der Saal der Pairs viel weniger schön, als der der Deputierten, obwohl viel reicher. Vielleicht nur, weil die Einrichtung älter ist. Blauer Samt mit Goldstickerei. Statt der Bänke Armsessel. Die ältern bis zum Grau verschossen und daher abstechend zu den neuen, lebhaft blauen. Baron Pasquier, der Präsident, geistreiches Gesicht, lebhaftes Benehmen, kahles Haupt. Ein Pair liest eben von seinem Stuhl eine Rede ab, die die ganze Welt langweilt. Die übrigen Bären genieren sich nicht; machen sich wohl auch sichtlich über ihn lustig. Der Finanzminister d'Argout antwortet in artigeren Formen, als in der Deputiertenkammer. Der Bär dupliziert. Das war nicht mehr auszuhalten. Brant schlief schon, ich war nahe daran, und so gingen wir um halb fünf Uhr.
Als wir in den Hof kamen, goß der Regen in Strömen. Die Mitte der Straßen glich ebensovielen Waldströmen. Kerls, die durch Brücken auf Rädern die Verbindung herstellen und schreiend die Darübergehenden um eine Vergütung ansprechen; niemand hört, niemand zahlt, Parapluies, Wagen, Kabrioletts. Der Uebergang über die Beresina kann nicht viel ärger gewesen sein.
Endlich nach Hause. Ziehe mich um. Mittags zu Neuwall. Die Gesellschaft war angenehm überrascht, mich zum erstenmal erträglich zu finden. Leidesdorf spricht recht gut. Angenehme Konversation bis neun Uhr.
Hatte Leo versprochen, den Abend dort zuzubringen, da ich das Mittagessen ablehnen mußte. Fand Börne nicht mehr da. Hiller da, der Klavierspieler. Musik. Vortreffliche Pariser Fortepiano. Thee. Gespräch. Jean Paul. Die Frauen sind gegen ihn. Ist mir lieber, als sie beteten sein Lob nach. Gegen zwölf Uhr nach Hause.
Donnerstag, 28. April. Ging früh aus, weil ich mir einbildete, es sei Einlaßtag in die Bibliothek. Habe Donnerstag mit Dienstag verwechselt. Durchstreife für mich allein die Stadt. Finde mich doch schon recht gut allein zurechte. Erst in die Straße Louis le grand, um Leo das Billet in die Deputiertenkammer zurückzustellen. Dann zur Rue J. J. Rousseau, wo die Post ist. Keine kleine Aufgabe. Fand alles auf, aber keinen Brief. Tu l'as voulu, George Dandin! Dann die Rue St. Honoré entlang, Marché des Innocents. Noch einmal St. Eustache. Vortreffliche Bildsäule Colberts am Hochaltare knieend. St. Roch. Scheint die besuchteste der Kirchen zu sein. Doch wenigstens eine Messe da, was mir bis jetzt noch nicht vorgekommen. Viele Grabmäler in der Kirche. Endlich zu Brant. Zwei Stunden mit ihm englisch gelesen. Gebe die Hoffnung auf. Was ist das für eine kokette Sprache. Gar nicht aus Buchstaben, nur aus Worten bestehend, gleich der chinesischen. Fühlte mich ungeheuer angestrengt.
Gingen ein wenig in der Stadt herum. Mußte mir die Haare schneiden lassen, Brant desgleichen. Nach seinem Gesetze der Sparsamkeit führte er mich zu einem Friseur für 10 Sous, wo augenscheinlich ein Lehrling an mir seinen ersten praktischen Versuch machte. Er ließ mir nichts als die Haut auf dem Kopfe und eine kleine Auswahl von abwechselnd kurzen und langen Haaren, daß ich aussah wie eine Vogelscheuche und den Tag meiner Geburt verfluchte. Hierauf ins Palais royal wieder zu einem wohlfeilen Traiteur, wo ich nichts gut fand, als die Suppe, die ich verabscheue, und meinen Hunger zuletzt mit Käse stillte, der mir noch jetzt im Magen liegt.
Abends allein in die Opéra comique. Fand keinen Platz im Parterre, mußte eine stalle d'orchestre zu 6 Francs nehmen. Erstes Stück: Die zwei Savoyarden, die zu gleicher Zeit mit den Haarzöpfen zu gefallen aufgehört haben. Zugleich die niederträchtigste Vorstellung. Die beiden Menschen spielten, als ob sie aus Wien von Duports kleiner Oper verschrieben wären, und sangen, wie die Dienstmägde bei der Wäsche. Die Männer muß man aus den Billeteurs und Feuerwächtern rekrutiert haben. Von einem solchen Chor hat man keine Idee. Sie trafen nie auf den Taktstreich zusammen und thaten, als ob in einer komischen Oper auch die Musik ein Spaß wäre.
Ich war schon im besten Schlaf, als mich die Ouverture des zweiten Stückes, Sarah, Oper in zwei Aufzügen, Musik von Grisar, aufweckte, deren zweite Vorstellung heute war. Ouverture schön, kam mir, so viel ich davon verstehe, gut gearbeitet vor. So ging es denn recht lobenswert fort. Leider hatte sich meine Natur einmal zu dem ihr eigentümlichen Theaterschlaf geneigt, und da das Süjet, ich weiß nicht, ob gar zu einfach oder wirklich langweilig ist, so überhörte ich vieles in süßem Vergessen. So oft ich aber wieder zu mir selbst kam, hörte ich immer was Gutes, und der zweite Akt, den ich ganz vernahm, gefiel mir teils recht wohl, teils fand ich ihn ausgezeichnet. Mlle. Jenny Colon, deren zweites Debüt war, spielt sehr und singt recht gut. Sie ist hübsch, hat aber Neigung zum Embonpoint was ihr in der Folge schaden kann. Die beiden Tenore, Jansenne und Coudere, für die komische Oper vorzüglich. Von einem Baß war nichts zu hören, es müßte denn Dougal, Deslande etwas derart gewesen sein. Er spielte aber recht brav. Die Chöre gingen viel besser, als die der ersten Oper, jedoch bei schwierigeren Stellen ohne Genauigkeit. Das Orchester oft ausgezeichnet, immer gut. Vorzüglich Hörner und Violinen. Um elf Uhr nach Hause.
Freitag, 29. Mein Schwede ist entweder krank, oder es hat ihn verdrossen, daß ich einige seiner wahrhaft gütigen Anerbietungen nicht annehmen konnte. Er hat sein Versprechen, mich in die Bibliothek zu führen, nicht gehalten. Ging daher heute allein. Das Gebäude, Rue Richelieu, von außen unscheinbar, gefängnisartig, von innen freundlich, schön; der Hof ein Garten. Die Büchersäle nichts weniger als imposant oder prächtig. Mit dem Wiener nun schon gar nicht zu vergleichen. Die Einbände, mit Recht als Nebensache behandelt, häufig schmutzig, immer gewöhnlich. Die Bücher nach Materien geordnet. Gleich beim Eingange Voltaires Bildsäule von Erz, dieses Napoleons der geistigen Welt, oder Robespierres vielmehr, dieser Guillotine verjährter Ansprüche und Ueberzeugungen. Man hat ihn mit Recht in einen Imperatorsessel gesetzt, denn er hat die Welt beherrscht und gemacht; der einflußreichste Mensch aller Zeiten. Er ist jetzt in Frankreich vergessen, man kauft seine Werke 10 Sous den Band, aber er war der Pflug, der die Erde aufriß, in die die Zeit ihren Samen legte. Noch allerhand Spielereien. Ein Parnaß mit spannhohen großen Männern. Ein plastischer Aufriß der Gegend um die Pyramiden. Was mögen das für Kolosse sein! Ich benahm mich ganz wie der unwissende Reisende, den mein Guide des voyageurs beschreibt, und begaffte die Sachen, ohne mich um irgend etwas näher zu bekümmern. Teils sieht man derlei überall, teils verstehe ich's nicht, teils fehlt es mir an Zeit, etwas zu approfondieren. Nicht einmal Herrn Hase suchte ich auf, der die Deutschen so freundlich empfängt. Ich fürchtete, weiter hineingezogen zu werden, als die Umstände rätlich machen. Goethes Widerspiel, möchte ich außer der Poesie und dem allgemein Menschlichen sonst nichts betreiben.
Die Münzen, in interessanten Suiten, unter Glas, der allgemeinen Beschauung freigegeben. Ueberhaupt die Einrichtung vortrefflich, daß man ohne Führer und scheinbar ohne Aufsicht die Säle durchwandelt und besieht, was und wie man Lust hat. Aegyptische Mumien, Rüstungen. In einem eigenen Saale zu ebener Erde der Tierkreis von Denderah. Sogar in den Himmel haben diese Chinesen der alten Welt ihre Scheußlichkeiten übertragen. Inschriftenbruchstücke. Ich bin der Meinung, daß man bei kurzem Aufenthalte gleich von vornherein vieles ausschließen muß, was man nicht sehen will, wenn man nicht erdrückt werden soll. Dazu gehört nun für mich hier in Paris alles gelehrte und alles Kunst-Wesen, mit Ausschluß der Theater. Sie würden mich tot von hier wegführen müssen, wenn ich das auch noch mitmachen sollte. Ich leide ohnehin schon . . . . .
Mit Brant englisch gelesen. Der Mann ist sehr geplagt mit mir. Heute schlief er mir unter dem Lesen ein. Dann die Kirche St. Sulpice besehen. Nach Notre-Dame die schönste Kirche in Paris. Die Fassade prächtig, ohne gerade schön zu sein. Die doppelt übereinander gestellten Säulen wollen mir nicht gefallen. Das Innere wunderschön. Nichts ist gefährlicher, als auf Säulen am Aeußern eines Gebäudes innen Pilaster folgen zu sehen. Die von Sulpice aber sind von so schönen Verhältnissen, so schlank bei aller Tüchtigkeit, daß sie dem Eindrucke nichts entziehen. Alle Wände mit Bildern geziert. Die Fresken darunter höchst mittelmäßig, bis auf eines, St. Roch während einer Pest darstellend, mit häufig unrichtiger Zeichnung und auffallender Nachahmung der Raphaelischen Stanzen, aber eben vielleicht aus diesem letzteren Grunde, und weil recht gut zusammengestellt, Wohlgefallen erregend.
Drauf mit Brant und Moreau, weil wir abends in die Oper gehen wollten, wieder in ein wohlfeiles und schlechtes Gasthaus in der passage de l'opéra. Die beiden wollten ins Parterre; mußten daher schon um sechs Uhr sich aufmachen. Mir hatte Meyerbeer eine stalle im Amphitheater der ersten Loge gegeben, mir blieb daher eine volle Stunde; da es aber den ganzen Tag grimmig kalt gewesen war und ich es im Freien nicht aushalten konnte, ging ich in ein Café und las Zeitungen. Endlich ins Theater. Fand meine frühere Meinung bestätigt. Die Schuld des ersten Aktes liegt im Buche. Die verwickelte Lustspielintrigue und der zu viele Text machen es der Musik unmöglich, zu folgen. Im zweiten Akt hätte sich gute Musik machen lassen, sie wurde aber nicht gemacht. Der Anfang wenigstens böte Gelegenheit, dann kommt wieder ein Stück Komödie, wie im ersten Aufzuge. Der dritte Akt beginnt mit einem sehr guten Chor, nimmt dann etwas ab, erhebt sich aber sehr in dem Duett zwischen Valentine und Marcel. Gegen den Schluß kam mir meine gewöhnliche Theaterschwäche. Ich erinnere mich aber, daß er mir das erste Mal gefiel. Von nun an ist die Musik wahrhaft großartig. Man vermißt das etwas sparsam gehaltene melodische Element weniger, und die Situationen werden von der Komposition aufs hinreißendste unterstützt, mit Ausnahme einer Kavatine gegen den Schluß, die in Nourrits Munde sich etwas abgeschmackt ausnimmt. Ueberhaupt die Sänger nicht nach meinem Geschmacke. Serda mit seinem, zwar nicht angenehmen, aber durchgreifenden Basse wirkt allein musikalisch, die andern singende Komödianten. Derivis, der den Grafen von Nerves gibt, blökt, wird aber sehr beklatscht. Blökt ist nicht der Ausdruck. Man glaubt statt aller Vokale immer ein unreines E zu hören, mit widerlicher Vehemenz herausgestoßen. Levasseur ein vorzüglicher Darsteller. Aber es klingt bei allen, als ob man ein Violinstück auf einer Bratsche spielte. Rauh, unangenehm, klanglos. Ich glaube, wenn einer falsch sänge, man würde es nicht sehr merken. Es sind so Kommuntöne. Die Dorus gefiel mir heute weniger. Bei aller Richtigkeit, ja Geläufigkeit, ist sie doch die hiesige Grünbaum, sogar im Herausschlagen und -Schnellen der Passagen. Sie und Mlle. Flecheux, der Page, kalte Stimmen mit hartem A-Klang. Die Krone von allen Mlle. Falcon, die ich, mit Ausnahme der großen Italienerinnen, dem Besten an die Seite stelle, was ich in diesem Fache jemals gehört. Ihr Gesang thut dem Spiel, ihr Spiel dem Gesang nirgends Eintrag. Dabei von einem Fleiß, einer Hingebung, um das Wort Anstrengung nicht zu gebrauchen.
Wenn ich die Hugenotten mit Robert dem Teufel vergleichen sollte, so hat letzterer bei weitem mehrere schöne Einzelheiten, dafür aber nichts, was sich so sehr auf gleicher Höhe erhielte, als die zwei oder, wenn man will, die drei letzten Akte der Hugenotten.
Samstag, 30. April. Heute gerade ein Monat, daß ich diese wunderliche Reise antrat. Ich nenne sie wunderlich, denn was war ihr Zweck? Zu sehen? Ich suche Zerstreuung? Zerstreut wäre ich wohl genug. Wenn ihr Zweck aber Sammlung, Fassung, Ermutigung gewesen wäre, so bin ich davon so weit entfernt, als da ich von Hause abging. Indes, vielleicht kommt die Wirkung, wie bei den Bädern, hintennach.
Es ist entsetzlich kalt, demungeachtet meine Gesundheit besser. Die Wolken des Innern teilen sich, ein wenig Licht schimmert durch. Gehe schon um zwölf Uhr zu Brant. Wir lesen viel englisch. Die Zunge fängt an, sich etwas zu gewöhnen. Wir beschließen, einige Sehenswürdigkeiten nachzuholen. Kaum auf der Gasse, beginnt es heftig zu schneien. Oh, la belle France, was ist das?
Wir treiben uns in bedeckten Gängen, Passagen herum bis zur Essenszeit. Brant hat Lust, mich zum Essen wieder in eine Kneipe zu schleppen, wo man für 32 Sous speist. Setze es doch durch, daß wir zu einem menschlichen Restaurateur gehen. Ich bin beinahe froh, bald wieder von Paris wegzukommen. Paris gesehen habe ich. Es kennen zu lernen, braucht's ein Jahr und darüber. Diners und Gesellschaften mag ich nicht mitmachen, weil ich übler Laune bin und mich derlei geniert. Hätte ich meinen Brief an die Rothschild früher abgegeben, so war ein Haufen Einladungen kaum zu vermeiden, jetzt hoffe ich früher loszukommen, eh es eigentlich losgeht. In London kenne ich niemand. Da will ich eigentlich leben, wie mir's gefällt. Kein Gesandter dort. Den Brief, den mir der hiesige Rothschild an den dortigen mitgeben soll, warte ich nicht ab. Ein paar kleine Empfehlungen, die ich für den Fall der Not bei mir habe, will ich eben nur im Fall der Not brauchen. Und so bin ich mein eigner Herr. So lieb und gut die Neuwalls sind, so hat mir ihr Haus doch den hiesigen Aufenthalt verleidet. Ich verliere alle Haltung und Richtung, wenn ich üble Stimmungen nicht mit mir allein abmachen kann, sondern mich andern gegenüber zwingen muß. Vor allem durch das gewöhnlich fruchtlose Streben, meine Stimmung zu verbergen, zu überwinden, die andern nicht darunter leiden zu lassen.
Also wir aßen im Café français, ganz gut bei schlechtem Weine. Brant wollte mich für den Abend zum Thee, ich beschloß aber, ins Theater zu gehen, das für mich denn doch ein Hauptzweck ist. Vielleicht überwinde ich dadurch meinen Widerwillen dagegen und kann auch zu Hause wieder hineingehen. Diesmal sollte es ins Palais royal, wo die Déjazet und Achard spielen. Da das Ding erst um acht Uhr anfängt, trank ich eine Tasse Kaffee im Café de la régence, dem Zusammenkunftsorte der guten Schachspieler, fand aber keine einzige Partie.
Die Zugänge zum Theater gedrängt voll. Mußte Queue machen und kam endlich gegen halb neun Uhr in meine stalle.
Esther à St.-Cyr, ein munteres Stück. Alcide Tousez spielt eine Art Haremswächter sehr gut. Ein trockener Komiker, nach Art unsers Korntheuer. Ebenso einseitig und wirksam als er. Mlle. Théodore als Gouvernante recht gut. Ebenso auch Herr Octave. Dabei ein bildhübscher Mensch.
Hierauf La Marquise de Protintaille, was eigentlich jetzt das Zugstück dieses Theaters ist. Eine Verspottung des alten Adels. Das Kostüme der Zeit Ludwigs XV. treu bis zum Abgeschmackten und in dieser Genauigkeit völlig wirksam. Die Dupuis sieht aus wie die Madame Bativia in der Hundskomödie, und nach den ersten zehn Worten stört es nicht mehr. Levassor der Chevalier als schwindsüchtiger Roué, dünn wie eine Kerze, in roter Chevauxlegersuniform, die dümmste Suffisance im Gesichte, das er nie verleugnet bis ans Ende. Achard, als Jean Grivet, von einer Vortrefflichkeit, von der man keine Vorstellung hat. Der hübsche Kerl mit feurigen schwarzen Augen und eben solchen Augenbrauen, in einer weißgepuderten Stutzperücke nimmt sich prächtig aus. Die altmodische Kleidung, als ob er nie eine andere getragen hätte, dabei sein Spiel, jede seiner Bewegungen so eins mit seiner Rolle, der damaligen Zeit und der heutigen Empfindung, daß man nur anstaunen kann. Derlei ist nirgends als hier. Nicht viel weniger gut die Dupuis als Kammermädchen. Was die Déjazet, den Liebling des Publikums des Palais royal, betrifft, so gefällt sie mir nicht. Man kann ihr Spiel nur loben. Sie weiß die Momente zu ergreifen und durchzuführen, aber für mich hat sie eine verletzende Gemeinheit. Es ist ein delabriertes Sichgehenlassen der Liederlichkeit in ihr, das mich anwidert. Damit stimmt auch das sackmäßig Hangende ihrer nicht übeln Züge überein. Es war einmal eine junge Schauspielerin auf den Wiener Vorstadttheatern, auf die mich ihr Wesen erinnert, Demoiselle Groll oder Hoch oder Groß. Nur spielt die Déjazet unendlichemal besser. Arien singt sie ganz gut, mit Spuren von Schule; die eigentlichen Vaudevilles aber gellend, pöbelmäßig, widrig.
Das dritte Stück, La fille du cocher, recht hübsch. Eine Mlle. Emma, äußerst gut, liebenswürdig. Dazu sieht sie recht gut aus. Durand, der ehemalige Kutscher, wie ein dermaliger. Den Hauptspaß des Stückes macht eine deutsche Ehrenwächterin, die kein Wort Französisch versteht, ihre Kenntnis der deutschen Sprache aber durch die Worte: Was isch das? und Nix beurkundet. Daß sie sich mehr wie ein Tier als ein Mensch benimmt, versteht sich von selbst.
Der Colonel des Stücks schien anfangs seine Rolle nicht hinlänglich memoriert zu haben. Schon wollte ein Sturm losbrechen, als er glücklicherweise abzugehen hat. Beim Wiederauftreten ging die Rede wie am Schnürchen. Um ein viertel auf zwölf Uhr nach Hause.
Sonntag, 1. Mai. Sollte ein großer Tag sein, als erster Mai und als Namenstag des Königs, der höchst glänzend gefeiert werden sollte, und wozu die Vorbereitungen schon seit vier Wochen getroffen worden. Aber schon seit ein paar Tagen ist es ungeheuer kalt, und heute droht es zu regnen.
Many kommt, der Verabredung gemäß, mich abzuholen. Wir gehen zu Brant. Es war noch zu früh für Leute, die erst um halb sieben Uhr essen und bis dahin fortwährend auf den Beinen bleiben wollten. Endlich, um halb zwei Uhr machten wir uns auf. Doch treten wir kaum aus dem Hause, als ein ungeheurer Platzregen uns zurückjagt. Nach einer halben Stunde konnte man's von neuem versuchen, und wir gingen durch den Tuileriengarten, an den drei Fronten eines prächtigen Feuerwerks – derzeit noch im Embryo – vorüber in die Champs Elysées, deren lange Hauptallee, von der einen Seite zum königlichen Schloß, von der andern zum Stern der Barriere von Neuilly führend, mit der Aussicht auf beide, durch zusammenhängende Festons sehr großer Talglampen verbunden waren, so daß der Stern von Neuilly, der ganz mit Lampen und Feuerwerkshülsen bedeckt stand, einen zauberischen Schluß- und Augenpunkt abgeben mußte.
Trotz des Regens, der nie ganz aufhörte und von Zeit zu Zeit goß, wimmelte es von Menschen, obgleich, wie man mir sagte, nicht der fünfte Teil der sonstigen Anzahl. Unter den Bäumen auf erhabenen Bühnen vollzählige Orchester, die abwechselnd spielen, ohne daß man aber vor dem Lärm mehr als je und dann eine Trompetenpassage vernehmen könnte. Obsthändler, Orangenverkäufer, Fleisch- und Würstebrater, die ihr Erzeugnis, in ein Stück vortreffliches Brot eingeklemmt, nicht unappetitlich dem Käufer überliefern. Vor einer solchen Braterin stand ein Savoyardenbube, schmutzig, zerlumpt, in versunkener Betrachtung der allzu kostbaren Speise, die Miene halb aus der Witterung eines Wachtelhundes, halb aus dem Tiefsinne zusammengesetzt, mit dem Newton dem Gravitationsgesetze der Welt auf die Spur kam. Ich weiß aber noch nicht, ob die Ursache seiner Betrachtung Dürftigkeit oder Sparsamkeit war. Denn als wir ihm ein paar Sous schenkten, war seine erste Bewegung, mit dem Geschenke fortzugehen, erst später kehrte er zurück und holte seinen Anteil aus dem Glückstopfe, der wie so oft in der Welt ein Fleischtopf war. Von allen Seiten Geschrei der Lotterie- und Glückshafenunternehmer, bei denen man vom Biskuit bis zur silbernen Uhr gewinnen und auf der andern Seite, nur etwas leichter, auch wieder bis zur silbernen oder goldenen Uhr verlieren kann. Eine Unzahl ist dieser Lotterien, die nebst dem Scheibenschießen die Hauptlust des gemeinen Parisers ausmachen. Geschossen wird mit Armbrüsten, doch auch – mitten im Gedränge – mit Feuergewehr; wenigstens knallt das Gewehr wie ein solches. Die Scheibe gibt häufig ein ohne Schmeichelei gemalter Kosak zu Pferde ab, oder man schießt nach kleinen Gipsfiguren. Keine der tausend und tausend solch kleiner Schießstätten steht einen Augenblick leer. Ein anderer hat einen Popanz aufgestellt, auf den man, mit einer übergestülpten grotesken Maske vermummt, also blind, losgeht und ihn abzustechen versucht. Selten gelingt's. Das Gelächter ist groß. Dort schreit ein Kreis Zuseher wie Wütende. Wir gehen hinzu. Es ist eine Art Blindekuhspiel, wobei einer mit verbundenen Augen einen andern zu fangen sucht. Die Umstehenden schreien dabei aus vollem Halse: à droite, à gauche! und zappeln vor Vergnügen. In einigen der vielen aufgeschlagenen, sehr hübsch dekorierten Tanzsäle fängt man jetzt schon zu tanzen an, Ladenbursche und Grisetten, viel geringer angezogen als die gleichen bei uns, sich aber tausendmal anständiger benehmend. Schon das ist schön, daß nicht der plump-sinnliche Walzer, sondern Kontertänze getanzt werden, die nicht den Ausbruch, sondern den Verlauf des Vergnügens bezeichnen und die Teilnehmenden zu einer Art Anstand nötigen.
Endlich das Hauptvergnügen: spectacle gratis. Zwei große, hübsch dekorierte Theater, in der Entfernung von ein paar hundert Schritten einander gegenüber aufgeschlagen, in denen nur bei Tage und abwechselnd so gespielt wird, daß, wie der Vorhang bei einem sinkt, er bei dem andern aufgeht. Die Zuseher im Zwischenraum, unzählig, glücklich, aufjubelnd, sich in seliger Bequemlichkeit nur rechts und links wendend, je nachdem hier oder dort die endlose Lust sich anknüpft. Die Stücke wie natürlich à grand spectacle. Auf einer Seite Franzosen und Spanier, die endlos fechten und feuern. Dazwischen wird gesprochen, wovon man natürlich kein Wort versteht. Das andere Theater beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Orient. Scenen aus Algier. Indianer und Wilde beiden Geschlechts. Dazwischen regnet es unaufhörlich auf Zuseher und Schauspieler, welche letztere durch nichts geschützt sind. Die Zuseher spielen mit, indem sie laut aufschreien, ihre Landsleute auf dem Theater zur Tapferkeit ermuntern und sich über ihre Siege und Heldenthaten erfreuen. Dabei nicht ohne Gedräng, aber ohne Unhöflichkeit. Der Franzose geniert ohne Bedenken, läßt sich aber auch ebenso gutwillig wieder genieren. Nichts wird übel genommen als die Absicht zu beleidigen. Ich habe keinen Streit vernommen, keine Unartigkeit gesehen, und obschon viele ihre Parapluies aufgespannt hatten und dadurch den übrigen die Aussicht benahmen, hörte man zwar häufig à bas les parapluies, aber lachend ausgesprochen. Die Rückstehenden ließen sich's gefallen, nichts zu sehen, weil die Vorstehenden doch nur von ihrem Rechte Gebrauch machten.
Zwischen beiden Theatern ein mat de cocagne. Ein ungeheurer, fettbestrichener Baum, mit Uhren, einem silbernen Becher u. dgl. behängt, auf dem man hinanzuklimmen versuchte. Der eine hatte sich fast nackt ausgezogen. Alle hatten Säcke mit Asche oder derlei anhängen, mit denen sie während des Klimmens die Hände rauh zu erhalten suchten. Aber der Regen hatte die Glätte des Baums verdoppelt. Keiner brachte es höher als auf die Hälfte. Nun strömte der Regen wieder von neuem. Er hatte uns schon einmal vertrieben, und wir waren im Omnibus nach Hause gefahren und hatten uns wärmer angezogen, denn es war zugleich unerträglich kalt. Nun war es nicht mehr auszuhalten. Der Magen wollte auch nicht mehr gehorchen. Zudem nahte die verabredete Stunde des Mittagsmahls, sechs Uhr, um welche Zeit die Eltern Neuwall uns bei den frères provençaux erwarteten. Vortreffliches Diner. Suppe, filet de bœuf, ragout, morue à la maître d'Hôtel, homard, meringue à la glace, was weiß ich noch alles. Die Kochkunst in ihrer höchsten Ausbildung. Saucen von einer Feinheit, die unsern Fürsten und Schmeckern unbekannt bleibt. Verhältnismäßig wohlfeil. Samt zwei Flaschen Chablis fünf Franken auf den Kopf. Nach Tisch im Wagen die Beleuchtung anzusehen. Konnten nicht weit fahren, mußten anhalten, eben als die ersten Raketen des Feuerwerks auf dem Platze Louis XV. platzten. Ich mit Many aus dem Wagen. Sahen eben noch die letzte prächtige Fronte und mehrere échappés von Tausenden dreifarbiger Raketen, von denen besonders die letzte einem feuerspeienden Berge glich, der sich in ein Firmament von Steinen auflöste. Damit die französische Effektmacherei nicht fehle, entwickelte sich, da alles schon sich zum Gehen wendete, eine neue Feuergarbe, die mit einem Kanonenschlage alles endete. Das Publikum war in bester Laune, obschon die beabsichtigte Beleuchtung größtenteils zu Wasser wurde, namentlich in der großen Allee nur einzelne Lampen unausgelöscht blieben, welchem Schicksale nur die Gaslichter entgingen, als z. B. am Hotel des Finanzministeriums. Auch der alte Talleyrand hatte beleuchtet. Die übrige Einwohnerschaft setzte sich in keine Unkosten, auch fiel niemand ein, die Lustbarkeit auf dessen Geber und Gegenstand zu beziehen. Von einem Vivat oder dergleichen nichts zu hören, obschon sie Louis Philipp wirklich lieben. Der Enthusiasmus will eben, wie alles andere Feuer und Licht, nicht vom Regen gestört sein. Bei gutem Wetter wäre es vielleicht anders gewesen.
Unabsehbare, unabwartbare Massen, die sich durch die Straßen nach Hause wälzen. Tuilerienplatz und ‑Garten öde. Der Tambour gibt das Schlußzeichen. Gehen nach Hause. Schon um halb zehn Uhr klappernd vor Kälte in meiner Stube angekommen, die noch etwas kälter ist als die Straße.
Montag, den 2. Mai. Schlechte Nacht zugebracht. Mein Bette blieb Eis, und die Glieder starrten. Dazu, obschon ich nicht sonderlich viel gegessen, mochte der unverdauliche homard den Magen beschweren. Hätte abends Thee oder Kaffee nehmen sollen, wie mir Many riet. Wälzte mich schlaflos umher. Die Unbehaglichkeit bezog sich immer deutlicher auf den Magen . . .
Am Morgen noch immer leidlich genug erwacht. Schwarzen Kaffee getrunken. Unerträgliche Kälte. Man bringt mir die Rechnung für das verflossene Monat. Leidlich für ein so teures Gasthaus als das Hôtel des princes, obschon sechsundzwanzig Kreuzer schweres Geld für ein und ein halb Schalen Kaffee mit Brot ohne alle Zuthat nicht gerade wohlfeil sind.
Zu Brant, um das Englische fortzusetzen. Leider kommt ein comte tel et tel, der sich eben auch anschickt, nach London zu gehen, und der sich bei Brant über allerlei Rates erholen will. Gedenkt später über Wien nach Konstantinopel zu reisen, schreibt sich daher meine Adresse auf, da es ihm wohl an Empfehlungen fehlen mag. Unsere Lektion gestört. Es ist drei Uhr. Ich begleite Brant auf die Post. Die Sonne kommt etwas hervor. Wir gehen durch einige Gassen. Da erwacht in mir ein Zweifel, ob ich nicht bei Neuwall für diesen Mittag eingeladen sei. Ich gehe hin, den Bedienten zu fragen. Während ich mit diesem spreche, erkennt man im Nebenzimmer meine Stimme. Neuwall, der Vater, kommt heraus. Ich muß hinein. Die Einladung bestätigt und wiederholt. Die Leute meinen es gut, und ich finde sie liebenswürdig, aber meine Freiheit wäre mir unendlichemale lieber. Auf einen Augenblick nach Hause. Um sechs Uhr zu Tische. Das heißt seine Zeit an einem interessanten fremden Ort ziemlich vergeudet, aber die jämmerliche Kälte hindert jede zweckmäßige Benützung. War mit den drei Neuwalls allein zu Tische. Unterhielten uns recht gut.
Abends in die große Oper. Le philtre. Wehe mir, daß ich zur Strafe meiner Sünden einem solchen Geheule beiwohnen muß. Die Dorus recht niedlich, im Gesang nicht besser und nicht schlechter als sonst. Die einfachen Tonfolgen (daß ich nicht Kantilene sage) machen sich recht gut, nur bei den Passagen, die sie liebt und von denen ihr, materiell, keine zu schwer ist, zeigt sich das unangenehme, weniger Gestoßene als Geschleuderte ihrer Methode. Scheußlich aber die Männer. Da zeigt sich, was ein dramatischer Sänger, d. h. ein solcher, der die musikalischen Zwecke der Darstellung der Situation unterordnet, für ein häßliches Ding ist. Ihr Gesang ist ein Teil ihres Spiels. Bei komischen Stellen machen sie eigentlichen Spaß mit ihrer Stimme. Ich glaubte hundertmal, davon laufen zu müssen. Lafont gab den Bauerburschen mit einer Gemeinheit, die mich anekelte, dazu seine quäkende Stimme, die die Empfindung aus dem Halse und die Stärke aus der Mundhöhle hervorholt. Levasseur, der in den Hugenotten seinen alten Diener nicht übel gibt, brachte heute keinen gesunden Ton hervor. Er war offenbar der Meinung, er müsse das Lächerliche seiner Rolle (des Charlatans) auch auf den Gesang übertragen. Wodurch Prevost, der Soldat, sich für einen Sänger hält, gehört unter die Unbegreiflichkeiten. Ohne Spur von Stimme, ohne Methode, wäre er kaum zum Choristen gut genug. Madame Larotte, als junge (alte) Bäuerin, war so unmaskiert schlecht, daß selbst die Franzosen sie auslachten, indes sie die andern beklatschten, die im Grunde viel schlechter waren als sie. Denn die Arme sang nur ein paarmal falsch, indes die andern den ganzen Abend häßlich sangen.
Endlich das Ballett La tempête von Coralli, eine wunderliche Verschmelzung von Shakespeares Sturm mit »Fee und Ritter« oder einem andern Ballett, von dem letzteres etwa der zehnte oder hundertste Nachklang ist. Das Tableau beim Aufziehen des Vorhangs vortrefflich. Die übrigen Gruppierungen und Chortänze nicht sonderlich. Albert ein sehr guter Tänzer. Die Damen Noblet und Alexis, mit denen er ein pas de trois tanzt, nicht zu verachten. Endlich die beiden Schwestern Elßler, um derentwillen ich eigentlich diesmal ins Theater gegangen war. Therese, ein tanzender Straßburger Münster oder St. Stephansturm, konnte mir hier so wenig gefallen, als in Wien, obschon sie bewundernswürdige Sachen macht und so viel Grazie hat, als die Umstände erlauben. Fanny, bei weitem niedlicher als sie, obgleich auch ein wenig aus dem Frakturalphabet, scheint sich im Tanze sehr gebessert zu haben. Im Spiele habe ich, verglichen mit ihrer Leistung in »Fee und Ritter«, eher das Gegenteil gefunden. Es ist ein immerwährendes Wiederkauen derselben Bonbons, ein Küssen und Hinneigen und Beugen in allen Nuancen, das dem Freunde der Wirklichkeit auch in der Nachahmung immer wieder gefällt. Auch Fanny hat nicht das Aetherische, Luftige, das mir den Tanz allein zu einem Genusse macht. Ein tanzender Körper mit Begierden, statt Seele und Leidenschaften. Uebrigens unendlich viel Gutes. Die Füße mehr Kraft als Elastizität. Arme und Hände oft wirklich graziös. Die Büste ohne Geschmeidigkeit. Das Ganze sich zum Derben hinneigend. Vielleicht zeigt nichts mehr den Verfall der schönen Tanzkunst in Paris, als der ungeheure Beifall, den ich übrigens meinen Landsmänninnen von Herzen gönne.
Auch die Komposition dieses Balletts verhielt sich zu Nina oder der Fille mal gardée wie ein Bauernkirchtag zu einem Ball in den Tuilerien.
Dienstag, den 3. Mai. Fühle noch immer die Folgen des gestrigen Uebelseins. Unerträgliche Kälte. Muß zum erstenmale während meines Hierseins Feuer im Kamin anmachen lassen und genieße nun das in Frankreich so gerühmte Vergnügen, mir Kopfweh zu holen durch Herumstören, Ab- und Zulegen an dem widerwillig brennenden Feuerherde. Gott möge das alles zum besten lenken. Wäre meine Heimat nicht gar so entwürdigt, ich würde mich dahin zurücksehnen.
Ich sehe immer mehr, der hiesige Zustand der Dinge ist befestigter, als man bei uns glaubt. Nicht Louis Philipp und seine Dynastie. Man liebt ihn, oder vielmehr, man ist der Ueberzeugung, daß er für die Bedürfnisse des Landes paßt. Er dürfte aber nur gewisse Grenzen überschreiten, an denen er beinahe schon hinstreift, und es wäre um ihn geschehen. Aber auch der Herzog von Bordeaux, wenn man ihn, um einer Republik zu entgehen, die niemand will, nähme, müßte als erster König einer neuen Rasse regieren. Eine Fortsetzung der Bourbonherrschaft ist undenkbar. Man müßte Frankreich erst arm machen, wenn man ihm eine Ungleichheit, ein aristokratisches System aufdrängen wollte. Der allverbreitete Wohlstand, der Reichtum jedes Tüchtigen und Fähigen ist es mehr als die Freiheitsliebe, was sich jeder Rückkehr widersetzt. Der Franzose ist genußsüchtig und eitel. Er unterscheidet sich aber von den Eiteln und Genußsüchtigen unter uns dadurch, daß ihm keine Anstrengung zu groß ist, um zu seinem Ziele zu gelangen. Er ist immer bereit, eine Gegenwart zu opfern, um sich eine Zukunft zu sichern. Müßig sein mag der Franzose so gern als ein anderer, wenn er nicht zu arbeiten braucht, ja das Ziel ungeheurer Anstrengungen der hiesigen erwerbenden Klasse ist nur, sich für spätere Tage Freiheit von Sorgen und Geschäften zu sichern. Er ist aber nie träge. Trägheit ist ein deutsches Laster. Vielleicht ein russisches noch mehr. Die praktischen Folgen davon sieht jedermann ein.
Wollte den Besuch in der Bibliothek wiederholen, teils konnte ich mich aber nicht entschließen, bei der unerträglichen Kälte die Wohlthat meines Feuers aufzugeben, das erst nach zwei Stunden Flamme etwas Wärme zu geben anfing, teils fürchte ich die kalten, ungeheizten Säle, die schon neulich bei gutem Wetter und besserer Gesundheit mir arg zugesetzt hatten. Ich blieb daher bis ein Uhr zu Hause und machte dann nur eine Wanderung von meinem zu Brants Kamine. Wir lasen an zwei Stunden Englisch. Mir geht's hier, wie einst in den Schulen. Während des philosophischen Kurses holte ich die alten Sprachen nach, die ich im Gymnasium hätte lernen sollen, in den juridischen Hörsälen die Philosophie; so daß ich die Rechte eigentlich nie lernte. Ebenso treibe ich in Paris Englisch, das ich zu Hause hätte betreiben sollen, und mein Französisch vergesse ich da, wo ich mich darin hätte völlig ausbilden können. Es gibt eben absurde Menschen! Aber mich befällt ein Schauder, wenn ich an London denke, und daß die Leute da englisch sprechen, eine Sprache, die ich ohne Meister gelernt, in der ich nie zehn Worte geredet und worin meine Aussprache, aus dem pronouncing dictionary zusammengelesen, so originell ist, als Grabbes Tragödien oder die Romane des jungen Deutschland.
Um vier Uhr wollten wir einen Gang durch die Stadt machen. Erneuter Regen zwang uns aber bald, durch bedeckte Passagen uns ins Palais royal zu flüchten, wo wir in den Gängen Motion machten, bis die fünfte Stunde erlaubte, uns im Café français an einer rauchenden Suppe und ein paar Gläsern Chablis zu erwärmen. Nach Tisch kaufte ich bei Baudry Bulwers Rienzi, um vor dem Schlafengehen etwas zu lesen und nebstdem Uebung im Englischen zu haben. Dann verließ ich Brant und ging ins Théâtre français, wo man Delavignes neuestes Trauerspiel in einem Akt: Une famille au temps de Luther und ein Lustspiel: Les deux Anglais gab. Ueber ersteres enthalte ich mich zu reden; ja ich will versuchen, in Zukunft auch nicht mehr daran zu denken. Wäre mir nicht manches entgangen, so würde ich es eine bis zum Unsinn gesteigerte Gräßlichkeit, oder einen bis zur Gräßlichkeit gehenden Unsinn nennen. So aber bescheide ich mich und bin froh, daß es überstanden ist. Hatte die hiesige Darstellungsweise mir neulich imponiert, so mußte ich dafür heute das Lehrgeld zahlen. Ligier, der tragische Schauspieler par excellence, ist, wie alle, in den gehaltenen Momenten gut, oft sehr gut. In den Ausbrüchen aber schlägt er eigentliche Triller der Wut. Er dehnt nämlich die letzte Silbe des prägnanten Wortes ungeheuer, heult nach Möglichkeit und füllt den Zwischenraum mit einer Art Trommelwirbel aus. Musikalisch würde sich das Ding ungefähr so bezeichnen lassen: pètr⁓⁓⁓⁓⁓⁓⁓⁓re; das macht nun, so oft es vorkommt, auf die Zuseher einen solchen Eindruck, daß sie in vollem Sturm losbrechen und ich nicht begreife, warum die übrigen Schauspieler es ihm nicht nachthun, da es die leichteste Sache von der Welt ist. Aber nur die Mutter, Mad. Dorval, trat in Wettkampf mit ihm und traf es mitunter ganz genau. Herr Volans, der zweite der (mir) feindlichen Brüder, spielte natürlicher und wurde nur von dem Stücke gehindert, einen guten Eindruck zu machen. Der Diener Marco, Herr Samson, qui a, wie die hiesigen Blätter sich ausdrücken, créée cette rôle (bei uns thut das der Dichter), gefällt sehr. Er ist nicht übel. Einen angenehmen Eindruck machte anfangs Mde. Plessy. Schön aussehend, mit einem Organ und einer Aussprache, wie kein deutsches Theater es aufzuweisen hat, schien sie ein Himmelslicht unter diesen Höllenbreughels; gegen das Ende aber nahm sie sich zusammen und that einige Quitsche und Notsignale, daß mein Mittagmahl sich mir im Leibe umkehrte und ich glaubte, der eine der Brüder habe im Eifer des Spiels dem andern wirklich das Messer in den Leib gestoßen. Ein paar Franzosen, die neben mir saßen und mit denen ich mich recht gut unterhielt, meinten: C'est horrible, mais c'est beau. Auf meine bescheidenen Zweifel ließen sie doch mit sich handeln und äußerten die Ueberzeugung, daß diese gräßliche Epoche der Litteratur bald vorüber sein werde, wie denn das Publikum schon anfange, das Ding satt zu haben.
Das Lustspiel Les deux Anglais ist auch in Wien schon gegeben worden. Die Darstellung war im allgemeinen nicht besser als bei uns, weshalb ich mich auch langweilte, wie bei uns, und das Ende kaum abwarten konnte. Höchstens mochte man Perrier, der den Lord spielte, vorzüglich nennen. Im ganzen finde ich überhaupt das sogenannte höhere Lustspiel durchaus unbedeutend. Ich glaube, es ist in Wien besser, wenigstens entspricht es durchaus seinem Rufe nicht. Nur die Schauspieler der kleinen Theater sind vortrefflich. Nicht bloß die Hauptpersonen, die die foule machen; alle, alle!
Um halb zwölf Uhr nach Hause in mein kaltes Bett.
Mittwoch, den 4. Es regnet immer fort. Die Luft ist eisig. Englische Lektüre mit Brant. Locke on the conduct of understanding. Die Klarheit der Darstellung erquickt mich. Das Interesse an dem Buche wirkt selbst vorteilhaft auf den Accent. Hierauf gehe ich, eine Karte bei Dr. Koreff abzugeben, der mich mit Güte überhäuft und erst gestern wiederholt da war, mich ins Théâtre de la porte St. Martin abzuholen, wo man ein neues Stück von Alexandre Dumas gibt: Don Juan de Maraña, über das die Leute hier sonderbar reden. Ich glaube es, denn ein guter und ein böser Engel treten darin auf, nebst andern Kuriositäten. Fand wider Erwarten Koreff zu Hause und brachte eine angenehme Stunde mit ihm zu. Mußte ihm den Plan von Hero und Leander erzählen, über den er entzückt schien. Glaube es wohl. An dem Plan ist auch wenig auszusetzen. Es fragt sich nur, ob die Ausführung nicht hinter dem Vorsatze zurückgeblieben, und darüber kann mich niemand zur Gewißheit bringen. Koreff besteht darauf, mit ihm bei Alexandre Dumas zu frühstücken, der ein gewaltiger Freund der deutschen Poesie ist und sehr wünscht, meine Bekanntschaft zu machen. Auch zur Mars will er mich führen. Das letztere verbitte ich mir. Gegen Dumas ist nichts einzuwenden, obschon ich eigentlich kein großes Verlangen danach trage. Es wird sich ja doch alles zeigen. Koreff verspricht zugleich, in London für mich Quartier zu bestellen und mir einen Deutschen zuzuweisen, der, dort vollkommen bekannt, mir behilflich sein könnte. Das ließe sich hören.
Finde Brant im Palais royal. Gehen zu den deux frères. Ist mir der angenehmste Restaurateur. Meine Schweden und Dänen dort. Hagberg war krank. Zahnschmerz, dessen Spuren ich auch zu fühlen anfange. Meine Wohnung zeigt Spuren von Feuchtigkeit.
Einer der Dänen will mich morgen abholen in die Bibliothek, Hases Bekanntschaft zu machen. Nach Tisch ins Café de la régence, um noch etwas Erwärmenderes als Wein in den Leib zu kriegen. Abends macht uns, mir und Many Neuwall, der gute Brant Thee, und wir plaudern bis eilf Uhr. Ich war im einfachen Rocke. Schütternd und geschüttelt kam ich nach Hause. Das heißt seine Zeit gut zubringen!
Donnerstag, den 5. Mai. Befinde mich recht übel. Ein rheumatisches Unwohlsein fängt an, sich durch Geschwulst und einen Ausbruch am Munde Luft zu machen. Kälte geht wie ein brummender Orgelpunkt fortwährend durch das ganze Stück. Hoffe, ohne Feuer zurecht zu kommen. Finde es endlich unmöglich. Ziehe wiederholt die Klingel. Muß endlich selbst den Einheizer holen. Er kommt, ich genieße schon in Gedanken die wohlthätige Wärme; da tritt, ehe das Feuer noch brennt, mein hilfreicher Schwede ein, mich seinem Versprechen gemäß in die Bibliothek abzuholen. Ich verlängere das Gespräch des Empfangs nach Möglichkeit, um mich während desselben zu erwärmen. Umsonst! Noch erstarrt, muß ich in die Büchersäle, die ungeheizt, wie sie sind, ein frostiges Gegenstück zu meinem eigenen Museum bilden. Suchen und finden Herrn Hase, den deutschen Kustode. Sehr freundlich empfangen, merke ich erst nach und nach, daß mein Besuch gar keinen eigentlichen Zweck hat. Zum Glück interessiert mich das System der Anordnung, Katalogisierung und Aufstellung der Bibliothek zu kennen; ich lasse mir das erklären, was Herr Hase mit großer Gefälligkeit thut. Endlich verfällt er selbst darauf, mir Handschriften der Minnesänger und Troubadours zu zeigen. Wir gehen in das Manuskriptenzimmer, wo ich einen solchen Kodex in die Hand bekomme. Unendlich wichtiger ist mir der erste Band des gedruckten Katalogs der hiesigen Bibliothek, die Theologie umfassend. Ich durchgehe ihn mit großer Aufmerksamkeit, den Hut auf dem Kopfe, da die Temperatur des Lesezimmers ungefähr die einer porte cochère bei schlechtem Wetter ist. Um ein Uhr kommt Brant, mich abzuholen. Herr Hase war inzwischen von andern Geschäften abgerufen worden und hatte vorher noch mir versprochen, des andern Tages um zwei Uhr mich zu einer kleinen Sitzung des Institut royal zu führen. Ich nahm mit Vergnügen an, da ich denn doch nichts Besseres zu beginnen wußte. Brant machte mir die Notwendigkeit begreiflich, einmal wieder nach mehreren Tagen dem Körper Bewegung zu verschaffen. Es ist Pferderennen im Champ de Mars. Wir beschließen, hinzugehen. Die Sonne kommt hervor. Schon werden unsere Hoffnungen kühner und kühner. Das Pferderennen beginnt. Keines der größten. Die prägnanten Punkte von Zusehern besetzt, der übrige Teil der Bahn ziemlich leer. Drei Pferde laufen. Zwei davon machen sich den Sieg ziemlich streitig. Da umziehen schwarze Wolken von neuem den Horizont. Wir eilen, nach Hause zu kommen. Bald aber bricht der Platzregen los. Schon durchnäßt, flüchten mir unter die Säulen des Palastes der Deputiertenkammer. Da hatten wir Zeit genug, die abgeschmackt placierten Statuen an den Stufen dieses sonst herrlichen Gebäudes und die noch viel alberneren des Pont de la Concorde zu betrachten. Endlich während eines mäßiger gewordenen Regens zu Brant. Englische Lektüre, durch Lockes gesunden Menschenverstand erheitert. Ich gehe nach Hause, mich umzukleiden. Finde eine Einladung von Rothschild auf morgen zum Essen. Wohl! Wird dann abgethan sein. Zugleich sagt mir der Portier, eine Madame Chese oder Chise, die seit drei Wochen schon in Nr. 12 hart neben meiner Stube wohne, habe sich angelegentlich nach mir erkundigt. Sollte das Mde. Chezy, die Dichterin, sein? Ich kann es kaum glauben. Wäre übrigens doch möglich. Beschließe endlich, wie gewöhnlich, den Göttern die Aufklärung zu überlassen. Kaum in meinem Zimmer angelangt und halb ausgezogen, poch! poch! an meiner Thüre, und die leibhafte Frau von Chezy, Dichterin der Euryanthe u. s. w. tritt ein. Sie scheint betrübt und hat, wie natürlich, gealtert. Sonst gut und herzlich wie immer. Bei der Erwähnung ihres ältesten Sohnes steigen ihr die Thränen in die Augen. Er scheint ihr Kummer gemacht zu haben. Sie ist hier, um ihre Pension zu sollicitieren. Sie will mich überall hinführen und mit der ganzen Welt bekannt machen. Ich, nach meiner stockischen Art, wehre mich dagegen aus Leibeskräften. Muß ihr (nicht gerne) versprechen, morgen bei ihr zu frühstücken. Endlich kann ich mich ankleiden und zu Neuwalls zum Essen gehen. Die französische Dame von neulich, ebenso groß im Essen als Reden, speist da. Unterhalte mich ziemlich lange mit ihr im gewähltesten Französisch. Sie scheint zufrieden, was von einer französischen Dame gegenüber einem deutschen homme d'esprit immer genug ist. Später gehe ich mit Brant Thee trinken, und wir beschließen den Tag.
Freitag, den 6. Habe die Bemerkung gemacht, daß die unerträgliche Temperatur meines Zimmers daher rührt, daß durch den immerwährenden Regen die Nässe bei einigen Stellen der Mauer eingedrungen ist. Will ein anderes Zimmer begehren oder das Hotel verlassen. Das Wetter scheint sich übrigens etwas aufzuheitern. Bin eben im Begriffe, mich zu waschen, als Madame Chezy an meine Thüre pocht, mir zu sagen, daß der Kaffee fertig sei. Ziehe mich in der Hast an und den Ueberrock über die Nachtweste und gehe zu ihr hinüber. Ihr Zimmer noch kleiner als das meine. Nur ein Bett mit so viel Raum, um hinein und heraus zu steigen. Wo sie Platz für den Kaffeetisch hergenommen hatte, weiß ich noch jetzt nicht. Aber wenigstens die Wände trocken. Ein vernünftiges Feuer im Kamin, an dem sie den Kaffee macht, den sie lobt, ohne daß ich ihn besonders gefunden hätte. Plaudern eine Stunde. Sie, in ihrer grandiosen Naivetät, verglich unter anderm einen Roman der Madame Sand mit einer wohlgekleideten Dame, die in Gesellschaft die Röcke, obwohl nur für einen Augenblick, über den Kopf hebe. Lob dieser Schriftstellerin, die von ihrem Manne übel behandelt werde, obwohl sie sich im ganzen Leben nur zweimal vergangen. Jetzt freilich scheine sie in einem intimen Verhältnis mit einem jungen Republikaner, dem Sohne des bekannten Arago, zu stehen. Sie sei sehr hübsch, geistreich, gut, ziehe sich manchmal als Mann an, rauche Cigarren und betrinke sich ein wenig (se grise). Ihr Stil werde kaum dem Chateaubriands nachgesetzt. Ich soll durchaus in die Abendgesellschaften der Damen Brady und Abrantes gehen. Meines Vaters Sohn deprezierte. Kehre endlich in mein Zimmer zurück, wo ich von den Resten des Holzes von gestern, das bald nach meinem Fortgehen ausgelöscht sein mußte, Feuer zu machen versuche. Umsonst. Endlich Hilfe von Gott. Den Wandschrank nach Papier durchsuchend, finde ich – einen Blasbalg und einige Stämmchen Reisig. So muß Robinson zu Mute gewesen sein, als der Blitz einen Baum entzündete und er nun Feuer hatte für alle künftigen Tage. Bald flackert die Flamme auf und dauert noch jetzt fort, da ich dieses schreibe. Sobald sie verlöscht, gehe ich aus, da das Wetter besser geworden ist, es wenigstens nicht regnet.
Um zwei Uhr auf die Bibliothek zu Hase, um mich von ihm in die Sitzung der Académie des inscriptions et belles lettres führen zu lassen. Warten bis drei Uhr auf der Bibliothek der Akademie, wo Hase meinen Namen einschreiben läßt und mir dadurch das Recht verschafft, hingehen und lesen zu können. Endlich die Sitzung. Schöner Saal. Lichtbraun in Holz ausgetäfelt. Die Fenster hoch oben. Dazwischen schöne Porträte berühmter Männer aller Fächer: J. J. Rousseau, d'Alembert, Gretry. Von andern nur die Namen in Gold. Der Fond hellblau, was zusammen einen hübschen Eindruck macht. Der immerwährende Sekretär liest das Protokoll der letzten Sitzung. Niemand versteht ein Wort. Darauf die eingelangten Bücher vorgezeigt und besprochen. Dépôt à la bibliothèque, remerciment à l'auteur. Hase, als Präsident, verspricht sich nicht selten. Endlich die Abhandlungen. Erstlich eine über die verschiedenen Schriftzeichen. Dann Raoul Rochette, die Fortsetzung eines schon früher begonnenen Aufsatzes über antike Ueberbleibsel. Er war eben bei den Eßwaren und Küchengeräten. Das nächste Mal kamen vielleicht die Nachtstühle an die Reihe. Da werden denn Eierschalen, Fischgräten und Hühnerknochen hergezählt. Endlich doch auch die Grabmäler, besonders über den Umstand, daß christliche Gräber mit heidnischen Emblemen gefunden werden. Raoul Rochette, ein hübscher Mann, mit klarem, deutlichem Vortrage. Endlich ein verzwickter Poet, dessen Namen ich vergessen, der deklamiert wie auf dem Theater und sich gegen diejenigen ereifert, die behaupten, Anakreon sei ein ivrogne und kein honnête-homme gewesen. Sein Gerede ward auch den Akademikern zuviel. Einer ging nach dem andern, und der Vorleser erbot sich endlich selbst, die Vorlesung auf ein nächstes Mal zu verschieben; was mit Dank angenommen wurde.
Hierauf zu Rothschild zu Tische. Vortreffliches Diner. Man kann nicht gemeiner aussehen und zum Teil sich benehmen, als der Hausherr. Die Hausfrau gegen ihn eine Göttin, obschon sie mir weniger gefiel, als das erste Mal. Heine ist da, unwohl, leidend. Man fetiert ihn sehr, ne noceat, wie man sagt. Hambro aus Kopenhagen. Die Familie Neuwall, Rossini. Letzterer ist ganz Franzose geworden, spricht die Sprache, wie kein Italiener sie je gesprochen und ich es am wenigsten Rossini zugetraut. Meine Frage, ob er sich mit einer neuen Arbeit beschäftige, wies er beinahe mit Widerwillen zurück. Paris, meint er, sei eine ville de plaisir, das müsse man da suchen; das werde man finden, sonst aber auch nichts. Für die Musik besonders sei es die letzte Stadt der Welt. Selbst meine Falcon will er mir nicht gelten lassen. An Wien erinnert er sich noch mit Vergnügen. Als wir mitsammen fortgingen, führte er als seinen Grund gegen Italien an, daß alle Aeußerungen dort verboten seien. Er ist äußerst munter, gesprächig und hat eine eigene Weise, die Leute auf eine gutmütige Art zum besten zu haben, welche Gabe er an einer der anwesenden Damen exerzierte. Heine war nicht sehr angenehm und ging bald. Da man sich erst gegen sieben Uhr zu Tische setzte, war es bald zehn Uhr. Ich machte eine kleine Tour über die Boulevards und legte mich gegen eilf Uhr zu Bette.
Samstag, 7. Eine fürchterliche Nacht zugebracht. Anfangs ziemlich gut geschlafen, aber sehr früh aufgewacht. Alle Anzeichen eines starken Fiebers. Der Puls heftig, Kopf schwer. Jeder andere würde ärztliche Hilfe gesucht haben. Ich pflege derlei nicht. Ging früh aus, weil mir die Temperatur meines Zimmers unerträglich war und das heftige Feuer, das sie hier anmachen, mir nicht weniger widerlich ist. Dazu das Nachsehen und Anblasen, ohne welches es auslöscht. Ging also aus und befahl, das Feuer in meiner Abwesenheit zu machen. In den Tuileriengarten. Wollte mich in den spärlichen Sonnenstrahlen erwärmen. Aber die Luft war so kalt, der Boden feucht. Fast bis ans Ende der elysäischen Felder gegangen. War müde, ohne auch nur ein wenig Transpiration gewonnen zu haben.
Brant besucht. Der junge Neuwall war früher bei mir gewesen, zu melden, daß seine Eltern morgen nicht nach Versailles fahren, wie doch seit langem ausgemacht war und mich in Verlegenheit setzte, da ich um deswillen keine andere Gesellschaft gesucht hatte. Brant will auch nicht gehen. Wir lesen Englisch. Befand mich in einer wahrhaft betrübten Stimmung. Paris fängt mir an, zur Last zu werden, und der Gedanke an meine Heimat ist mir unerträglich. Untergehen; versteht sich von Gottes Hand, aber nicht durch eine widerliche Krankheit in der Fremde.
Gehe mit Brant über die Boulevards: die Sonne kommt etwas hervor. Ich fühle mich erheitert. Will für morgen einen Platz nach Versailles bestellen. Alle Plätze sind genommen.
Bei Tische finde ich meine Schweden, die gerne die Partie mit mir gemacht hätten, aber nun sind sie bereits versagt. Nach dem Essen kommt das Fieber wieder, mit einer Heftigkeit, daß es mir die Klarheit des Sehens benimmt. Setze mich ins Théâtre des variétés, wo ich, halb schlafend, vier Stücke ansehe und nur Vernet in der Madelon Friquet durch die Vortrefflichkeit seines Spieles mich manchmal aus meinem widerlichen Zustande reißt. Uebrigens ist er doch ein klein wenig possenhaft, mehr als die übrigen hiesigen Komiker. Derlei abgerissene, übrigens höchst ergötzliche Faxen entstellen unter andern auch seine Darstellung des Rausches im zweiten Akte der Madelon.
Sonntag, 8. Mai. Bessere Nacht, Kopf und Magen noch immer leidend . . . aber ohne fieberhafte Zufälle. Gleich des Morgens kommt der eine meiner guten Schweden, Carlson, um mir zu sagen, er und Hagberg hätten ihre Gesellschaft nach Versailles aufgegeben, um mit mir hinauszufahren. Die Sonne scheint. Es verspricht ein hübscher Tag zu werden. Glücklich, daß les grandes eaux sich diesmal auf die Fontänen beschränken werden.
Wir gehen zu drei nach den Champs élysées und nehmen Platz in einem Coucou, zu vier, sage vier Francs die Person. Bis zu dieser Unverschämtheit haben es die Wiener Zeiselkutscher noch nicht gebracht. Zwei solche Fahrten zahlen dem Kerl Pferd und Wagen.
Die ganze Straße mit Fuhrwerken aller Art bedeckt. Postchaisen, Gondoles, Parisiennes, Citadines, Kabrioletts, reich und arm, die ganze Strecke von vier Lieues eine Reihe von Gespannen. Unser Kutscher überhäuft die vornehmen Equipagen mit Grobheiten, die seinem Karren im sausenden Fluge zu nahe kommen. Die Gegend wirklich schön. Endlich Sevres erreicht, der halbe Weg. Wir halten an. Der Fuhrmann gibt seinem Pferde etwas Heu, so sparsam, als ob es Biskuit wäre. Indes fliegt die tolle Jagd unausgesetzt an uns vorüber. Die Gondoles mit fünf Pferden in gestrecktem Galopp. Die Restaurants machen gute Geschäfte. Man trinkt sich aus den Wagen und den Wirtshausfenstern wechselseitig zu. Endlich wird eingesessen. Wir hatten unser zweites Frühstück auf Versailles verspart. Rechts am Wege zeigt sich St. Cloud, links, wenn ich nicht irre, Meudon. Hübsche Lage. Endlich hält die Wagenreihe. An der Barriere von Versailles wird visitiert. Das ist noch dümmer als bei uns. Endlich la grille. Die Wagen stürmen von neuem vorwärts. Das Schloß liegt vor uns, wir steigen aus.
Das Schloß präsentiert sich von der Stadtseite nicht gut. Ineinander geschachtelte Gebäude, widerlich bemalt, an die man vorn einige griechische Dinge angebaut hat. In den Garten. Dahinaus geht die Hauptfassade. Prächtig, ungeheuer. Doch verliert der Eindruck dadurch, daß das Mittelgebäude zu weit vorragt und dadurch die zurückweichenden Flügel dem Betrachter verkürzt. Das Schloß von Schönbrunn präsentiert sich, bei aller Albernheit seines Baustiles, besser. Ebenso die Hauptansicht des Gartens. Der von Schönbrunn durch den Hügel mit der Gloriette schön abgeschlossen, hier geht die Aussicht auf ewig lange Wasserstücke, die etwas Lachenartiges haben und sich wie Ueberschwemmungen eines ausgetretenen Flusses ausnehmen. Ueberhaupt zu viel Wasser im Garten. Der Fontänen kein Ende. Doch auf diese war es ja, zur Feier des königlichen Namenstages, heute abgesehen. Auch von unten, an der schönen Gruppe des Neptun im großen Teiche, nimmt sich das Schloß nicht zum besten aus. Die Treppe, die sich von der obersten Terrasse herabsenkt, sieht in der Ferne wie eine Mauer aus, und von Menschen besetzt, glaubt man eine belagerte Stadt zu sehen.
Die oberste Terrasse nach beiden Seiten großartig. Das Mittelstück des Gartens nicht so imposant als in Schönbrunn. Man muß sich diesen Garten erst zusammensuchen. Man hatte uns gesagt, die Wasser würden um ein Uhr springen. Hier erfahren wir, daß es erst um fünf Uhr geschehen werde, les grandes eaux erst um sechs. Da wir nicht hoffen konnten, in Versailles ein Mittagessen zu bekommen, und nach Paris erst um neun Uhr zu kommen hofften, beschlossen wir, uns noch vorher ein wenig zu restaurieren. Mein Vorschlag, etwas Warmes zu nehmen, fand keinen rechten Anklang, wir nahmen daher in einer Art Kneipe nur etwas Wein, wozu man uns Zuckerwerk und erst nach mehrmaligem Verlangen Brot gab. Zeche: vier Francs, mehrere Sous. Das Ganze mochte die Sous wert sein. Hierauf in den Garten zurück. Er verliert im gegenwärtigen Augenblicke dadurch, daß viele der Bäume, die die Ferne bilden, noch nicht hinlänglich belaubt sind. Es war drei Uhr. Da wir noch zwei Stunden vor uns hatten, gingen wir, die beiden Trianon zu sehen. Das sind die Perlen des Parks. Im kleinen der beiden Schlösser oder vielmehr Pavillons war die Treppe so mit Menschen besetzt, daß wir das Innere aufgaben und nur den Park besuchten. Welcher Park! Im ganzen Leben habe ich nichts Schöneres gesehen. Soll man hier die Natur bewundern oder die Kunst? Dazu schien die Sonne warm, das getretene Gras duftete, die Luft offenbar blauer als bei uns. Ich schlug an meine Brust. Ich war wie ein Kind. Alles so schön, so schön.
Zum großen Trianon. Die Zimmer durchwandert. Die Zeit des Einlasses ging zu Ende. Wir wurden erinnert. Prächtiger, aber viel weniger reizend, als sein Nachbar. Aber wenn man auf die Terrasse gegen den Garten hinaustritt! Hyazinthen-, Tulpenbeete. Die schönsten Baumgruppen. Aussichten, zwar nur wieder auf Bäume und Laubpartien, aber weit, weich, verschlungen, paradiesisch. Es war fünf Uhr. Wenn die Wasser gesehen werden wollten, mußten wir gehen.
Als wir in den großen Garten zurückkamen, war denn das große Werk bereits angegangen. Da sah man erst die vorher zerstreute Menge beisammen. Genug, um zwei Städte damit zu bevölkern. Und alles fröhlich, geschwätzig, glücklich. Denn die Wasser spielten. Die Gruppe des Neptun im untern Teiche nahm sich herrlich aus. Weniger die Latona mit den sie anspeienden Bauern und Bäuerinnen von Delos, die eben in der Verwandlung begriffen sind. Endlich zu einem großen, abseitig gelegenen Teiche gekommen, sahen wir den ganzen Umkreis mit Stühlen besetzt. Wir fragten. Es ist wegen der grandes eaux, sagte man uns. Wir bildeten uns ein, daß diese nur hier zu sehen seien, und standen wohl eine Viertelstunde in Erwartung, da dieses Hauptspektakel erst um sechs Uhr angehen sollte. Endlich erfuhren wir, daß das Spiel der großen Wasser sich auf alle Bassins erstrecke und dieser Teich, als Hauptfronte, nur den Schluß bilde. Wir gingen wieder in den Garten zurück, wo denn nun alle Springbrunnen in voller Thätigkeit waren. Früher müßig scheinende Figuren und Gegenstände zeigten jetzt erst, weshalb sie da waren. Von überall her stürmten Wasser gegen den Himmel. Jetzt erst nahm sich die früher etwas armselige Latona gut aus, und die von allen Seiten springenden Quellen bildeten ein bewegliches silbernes Throndach über die mißhandelte Göttermutter.
Bin im Schreiben unterbrochen worden und kann jetzt erst, nach zwei Tagen, wieder fortfahren. Kurz, wir besahen uns den ganzen Wasserspaß, fuhren in einem elenden Coucou nach Paris zurück, stiegen, von der Elendigkeit des Fuhrwerks gelangweilt, an der Barriere ab, verirrten uns in den Champs élysées, trennten uns auf der Place de la Concorde, und um halb zehn Uhr nachts nahm ich in einer elegant aussehenden, aber, wie es sich zeigte, elenden Restauration mein Mittagmahl ein, wo ich mich besonders von dem Wein eigentlich vergiftet fühlte.
Montag, den 9. war Börne bei mir und lud mich für den andern Tag dringend zum Frühstück nach Auteuil ein. Konnte ihm's nicht versagen, obschon bei meiner edlen Gewohnheit, alles bis auf den letzten Augenblick zu verschieben, mir die Zeit schon kostbar zu werden anfängt. Ich will nämlich Samstag abreisen. Die Gesundheit nicht zum besten. Das Wetter streng kalt.
Muß Brant wieder in eine seiner wohlfeilen Restaurationen begleiten, wobei sich heute wenigstens meine angegriffene Verdauung nicht übel befindet. Abends in der großen Oper einer unsäglich schlechten Vorstellung, der Belagerung von Korinth, beigewohnt. Diesmal fehlt sogar das Orchester.
Darauf ein anfangs niedliches, später absurd-langweiliges Ballett, L'île des Pirates. Die Elßler. Sehr hübsch, aber immer das nämliche. Zwar das gilt von der ganzen neuern Tanzkunst.
Um Mitternacht nach Hause gekommen, finde ich ein Billett der Gräfin Kielmansegge. Bedauert, wünscht mich zu sehen; ist liebenswürdig. Soll sie morgen zwischen ein und drei Uhr besuchen. Geht nicht, wegen Börnes Dejeuner.
Dienstag, den 10. Schreibe der Gräfin einen der artigsten Briefe, die seit Erfindung der Schreibkunst je geschrieben worden sind. Würde im Laufe des Tages bei ihr vorsprechen, um eine andere Stunde für die projektierte diplomatische Entrevue entgegenzunehmen. Nach Auteuil zu Börne. Er steht schon erwartend auf dem Balkon, da ich um eine ganze Stunde zu spät gekommen bin. Macht mich mit seinen Hausgenossen bekannt. Eine liebenswürdige Frankfurterin mit ihrem wackern Manne. Sind aus Anhänglichkeit für Börne zu ihm nach Paris gezogen. Nun begreife ich, daß der Mann hier aushalten kann. Börne herzlich, gutartig. Keine Erwähnung von Politik. Nur ganz einfache Verunglimpfungen beiderseitiger Regierungen, Systeme und Bureaukraten. Man hätte selbst bei uns nicht viel damit riskiert. Sumptuoses Frühstück, einem ziemlichen Mittagsmahl nicht unähnlich. Die Frau erbietet sich, mir das Bois de Boulogne zu zeigen, an dessen Eingang Auteuil liegt. Börne bittet, zu bleiben. Sie aber weiß, daß er gern ein Viertelstündchen schläft, und besteht darauf. Ich nehme gern an, um die warme Luft zu genießen, und da ich das historische Wäldchen doch gesehen haben will.
Wir gehen in dem jungen Waldanflug spazieren. Sprechen über Börne. Er hat die Frau zu seinen Ansichten über Goethe bekehrt. Ich erkläre mich aufs bestimmteste für die entgegengesetzte Ansicht. Sie meint, ich möchte bei unserer Zurückkunft Börne ein wenig damit aufziehen. Wenn das Gespräch es fügt, warum nicht? Ich hatte ihm schon neulich, als er, obschon sehr manierlich, einen Seitenblick auf unsern großen Dichter that, warnend mit dem Finger gedroht. Ohnehin verzeihe ich ihm noch am ersten seine Ketzereien darin. Er trägt seinen politischen Haß gegen Goethe, den Aristokraten, nur auf Goethe, den Dichter, über. Jeder Mensch, der lebhaft Partei nimmt, ist ungerecht. Was soll man aber von den Menzeln und derlei Geschmeiß sagen?
Wir kommen zurück. Das Gespräch lebhaft und angenehm. Lenau hat ihm seinen Faust zugeschickt und gebeten, das Gedicht zu besprechen. Börne scheint damit nicht sehr zufrieden. Da ich den Schluß nicht kenne, konnte ich nur über die erste Hälfte mich lobend, warm aussprechen. Was auch an dieser Hälfte, wie bei allem Menschlichen fehlt, war freilich auch mir nicht entgangen. Auch Auersperg hat ihm seinen »Schutt« gesendet. Armer Thor, der ich war, als ich mir's mein ganzes Leben zu einer Gewissenssache machte, auch nicht mit einem Worte Kritiker und Journalisten für mich zu stimmen.
Börne fordert mich auf, entweder den Abend da zu bleiben oder mit ihm zu einem großen Diner zu fahren, wo eine große Menge Litteratoren, fremde Polen, Refugiés und dergleichen sich versammeln und wo eine Gesundheit au plus grand poète de l'Allemagne mir nicht entgehen könne. Ich mochte beides nicht. Wir fahren zusammen in die Stadt. Am Tuileriengarten trennen wir uns. Er zu seinem radikalen Diner, ich Place Vendôme zur Gräfin Kielmansegge. Unter dem Hausthor begegnet mir der Mann. Soll Samstags bei ihnen essen. Es ist der Tag, wo ich morgens abreise. Verspreche bis Mittwoch, sie zu besuchen.
*
London, 26. Mai. Ich nehme spät wieder mein Tagebuch zur Hand, und die Wahrheit zu sagen, habe ich so ziemlich die Lust dazu verloren. Wie und warum, wird die Folge zeigen.
Die letzten Tage meines Aufenthaltes in Paris waren höchst unruhig. Das Widerliche, aus einem einmal gewohnten Aufenthalt neuerdings in all die Widerwärtigkeiten eines Zigeunerlebens überzugehen und noch dazu alle Anstalten selbst besorgen zu müssen, ich, dem es zu Hause schon unerträglich war, nur einen Geschäftsgang über die Gasse machen zu müssen. Dazu in ein Land zu kommen, dessen Sprache ich wohl im Lesen recht sehr gut verstehe, aus dem Munde eines Sprechenden gehört, aber nicht dem zehnten Worte nach verstehe, viel weniger, daß ich sie irgend selbst sprechen könnte. Dazu einige Besorgnisse über die hohen Preise des Lebens daselbst und Zweifel, ob mein Ausgesetztes zureichen wird. Endlich meine schlechte Gesundheit, die durch die Seereise, nach früheren Proben, nur noch mehr gestört werden mußte. Doch was war zu thun? Ich hatte mir die Reise einmal als eine Art Buße, als einen Versuch auferlegt, mich an Menschen und äußere Thätigkeit wieder zu gewöhnen. Je schwieriger, um so besser zum Zwecke. Auch begann mir Paris nach und nach schon widrig zu werden. Der gute Brant (für mich wenigstens) langweiliger als billig, die Güte der Familie Neuwall, gerade durch das allzugroße Maß, beinahe drückend. Immer auf dem Punkte, in litterarische Bekanntschaften hineingezogen zu werden, welche zu vermeiden meine bestimmte Absicht war. Dazu schlechtes Wetter, schlechte Wohnung, üble Laune. Obwohl mir alles anlag, länger zu bleiben, und Koreff gar nicht sich darein finden konnte, bestellte ich doch meinen Platz auf der Post für Sonntag, 15. (für Samstag war kein guter mehr zu haben), verschwieg es aber sorgfältig, um die Bekanntschaftwerber mit einer längern Aussicht hinzuhalten. Konnte doch nicht vermeiden, mit Koreff bei Alexandre Dumas zu frühstücken, der mit einer hübschen Schauspielerin lebt und ein junger gut aussehender Kerl ist. Er hatte Viktor Hugo geladen, der nicht kam. Thut mir leid. Gerade den hätte ich am liebsten gesehen. Das Gespräch war etwas kauderwelsch. Offenbar endoktriniert Koreff den jungen Mann in deutscher und spanischer Litteratur. Ich ging um vier Uhr, weil ich der Chezy versprochen, die Herzogin von Abrantes zu besuchen, die denn doch eine interessante Person ist. Da sie jedoch krankheitshalber zu Bette liegt und ihre Dienerschaft von meiner Ankunft nicht unterrichtet war, so ward ich abgewiesen, ließ meine Karte da und ging. Um so besser. Zwei Tage vor meiner Abreise speiste ich noch mit Neuwalls im Café de Paris, vortrefflich. Den letzten Mittag mit Brant und Many bei den Frères provençaux. Die andern Ereignisse habe ich vergessen. Besuchte noch Koreff, der mir eine Adresse nach London und ein Mittel gegen meine hartnäckigen Obstruktionen versprochen hatte. Fand ihn nicht zu Hause, was mir diesmal leid that. Das Verhältnis mit Brant macht sich immer schlechter. Er begreift nicht, daß ein Fremder, der nur fünf Wochen in Paris lebt, anders leben muß als ein eigentlicher Einwohner, und bei seiner Sparsamkeit ärgert es ihn, so oft ich ins Theater gehe. Lieber sollte ich den Abend bei ihm an seinem Kaminfeuer zubringen, in das er verliebt ist, und an dem wir uns beim Thee ennuyieren. Kam diesmal beinahe zu einer harten Erklärung. Er verleidete mir und Many für den Abend das Theater. Wir gingen also nur noch nach dem Spielhause Rue Richelieu, dem ersten hier, das aber in kleinerem Stil ist, als ich dachte. Das in Neapel war viel grandioser. Huren und Silbergeldspieler. Many verlor vierzig Francs, ich gewann fünf, nachdem wir eine halbe Stunde mitgemacht hatten. Letzte Nacht in Paris.
Sonntag, den 15. Tag der großen Sonnenfinsternis und meiner Abreise. Ich war in dem unliebenswürdigsten Humor von der Welt. Die Chezy brachte einen jungen deutschen Dichter auf mein Zimmer, der mir die Visierung meines Passes auf den Affaires étrangères zusagte, endlich aber mit der Nachricht zurückkam, daß er niemand von den Beamten da gefunden, was meine üble Stimmung vermehrte, da ich Anstände befürchtete. Koreff, der mir einen Besuch zugesagt, kam nicht. In medizinischer Hinsicht unangenehm. Many Neuwall wollte mich ins Diorama führen, was ich ablehnte, teils weil ich nicht gestimmt war, teils um Koreff nicht zu versäumen, wenn er doch kommen sollte. Die Chezy hielt treulich bei mir aus, besserte mir ungeniert einen Schaden an meinen Beinkleidern aus, wozu sie, da die poetische Frau weder Zwirn noch Seide führte, den Faden aus einem ihrer Hüte herauszog. Frühstückte à la fourchette. Meine Freundin aß die Reste und nahm ein Glas Chablis an. Endlich die Stunde der Abreise. Brant kam, leidlich ausgesöhnt. Er ist ein vortrefflicher Mensch, und die Ursachen unserer minderen Harmonie lagen gewiß in mir. Wir machten noch einen Gang durch ein paar Straßen. Die Sonnenfinsternis war eben auf ihrem höchsten Punkte. Ich hatte keine Lust, hinzusehen. Es schlug halb vier Uhr, und wir gingen in den Packhof, Rue St. Honoré, Lafittes und Gagliards Etablissement. Der Wagen ist bereit. Im Coupé außer mir nur noch eine kranke Frau aus Boulogne. Brant, meine Schweden standen am Wagen. Abschiedszurufe. Die fünf Pferde setzen sich in Gang. Ich hätte nun viel über meinen Aufenthalt in Paris nachdenken können, aber ich dachte nichts und war verstimmt. Diese Plackereien und Beschwerlichkeiten, ganz allein, genötigt, für alles selbst zu sorgen, und dazu noch in den Ausgaben höchst beschränkt. Was sollte nun erst in London werden? Es ging weiter und weiter. Das Land recht hübsch. Muntere Bauersleute. Die Mädchen elegant, am Wege Ball schlagend, im Kreis tanzend. Es wird Nacht. Gegen alle Erwartung schlief ich recht gut, Folge der letzten Aufregungen und darauf notwendiger Abspannung. Der Morgen leidlich hübsch. Frühstücke in Abbéville, wenn ich nicht irre. Das Interieur des Wagens bloß mit Engländern besetzt, die von meinem Englisch so wenig verstehen, als ich von dem ihren. Das wird gut gehen. Endlich Boulogne. Schon eine Post vorher schrie ein Mann englisch in den Wagen, daß ein Paketboot noch diese Nacht unmittelbar nach London abgehen werde. Das änderte auf einmal alle meine Entschlüsse. Sollte ich nun einen halben Tag und Nacht in Boulogne bleiben, dann nach Dover übersetzen, dort wieder schlafen und, weiß Gott wie lange, mich nach London hinrädern lassen? Ich zog eine zwölfstündige Wasserreise vor. In Boulogne, im Hôtel de l'Univers, abgestiegen. Leidliches Mittagsmahl. Dann sogleich in den Hafen, Anstalten für die Ueberfahrt zu machen. Es lagen, statt einem, zwei Dampfschiffe da. Ich zog das teurere vor, da ich das andere mir überfüllt dachte. So war es auch. Da ich, der Seekrankheit wegen, doch in keine Kajüte gehen wollte, mietete ich mich im second cabin ein, d. h. da die Betten schon von Damen in Beschlag genommen waren, auf dem Verdecke. Ging ein wenig auf dem Hafendamm spazieren und sah die Sonne im Meere untergehen. War nicht mehr übellaunig, sondern traurig. Daß ich so von allen Banden des Lebens losgetrennt bin, ebenso unwillig, das Vergessensein zu ertragen, als die Lasten der Berühmtheit, wenn ich dies Wort brauchen darf.
Endlich zum Gasthaus zurück. Fand dort schon einen Franzosen mit einer Engländerin, die die Ueberfahrt auf demselben Dampfboote machen wollten. Wir vereinigten unser Gepäcke und gingen nach dem Hafen zurück, der unterdes dunkel geworden war und vom Verwirre der Einschiffung ertönte. Der Platzbediente besorgte das Gepäck, wir traten ins Schiff. Ich wählte mir einen Platz auf dem Verdeck, den ich für die Nacht nicht zu verlassen beschloß. Eine gute Bank in der Mitte des Schiffs, wo die Bewegung am geringsten sein mußte. Wickelte mich in meinen Mantel und erwartete die Dinge, die da kommen sollten. Die Nacht wird immer dunkler. Große Sterne am Himmel. Die Schiffsglocke läutet, die Seile rasseln. Es ist Flutzeit, das Schiff wird beweglich. Immer dickerer Rauch qualmt aus dem Schornstein, wir sind im Gang. Der »Esmerald«, so hieß das Schiff, bewegt sich langsam an dem andern Fünf-Schilling-Dampfschiffe »Sovereign« vorüber. Das Verdeck des letzteren ist mit Passagieren bedeckt, die uns den Abschiedsgruß zujubeln. Wir nahen uns dem Ausgang des Hafens, wir sind in See. Meine Eingeweide verhielten sich ganz leidlich, obgleich ein ziemlich starker Wind die Wellen erregte, der noch dazu sehr kalt war, so daß ich den Mantel hart an die Augen emporzog. Die Passagiere verloren sich in die Kajüten, wo sie gespieen haben mögen oder nicht. Ich blieb zuletzt allein mit dem Steuermann, der ein Lied knarrte, und dem Kapitän, der auf und nieder ging die ganze Nacht. Selten überfiel mich der Anfang eines Schlummers, von dem ich jedoch bald wieder emporschreckte und jedesmal ein Uebelbefinden fühlte, das sich aber glücklich wieder verlor. Endlich bleicht sich die dunkle See; im Osten rötet sich hinter Wolkenmassen der Himmel, der Wind aber nimmt zu. Es war greulich kalt. Die englische Küste zeigt sich links. Eine Stadt, fern, fern. Es war Southampton, sagte man. Die Küste entschwindet wieder. Es wird Tag. Schon früher waren Schiffe aller Art, ununterscheidbar im Dunkeln, an uns vorübergezogen, jetzt wächst die Menge. Fischerboote, Handelsfahrzeuge, Dreimaster. Bald ist kein Punkt des Horizonts, in dem nicht irgend etwas die Anwesenheit eines Schiffes bezeichnete. Die Reisenden kamen wieder aufs Deck mit sonderbar überwachten Gesichtern. Die Bewegung des Schiffes wird milder, die Wasser der Themse machen sich fühlbar. Endlich geht es hinein in den Strom, die Ufer werden von beiden Seiten sichtbar. Ein paar Wachtschiffe, Handelsfahrzeuge vor Anker. Die Küste ziemlich kahl. Endlich zeigen sich nahe liegende Häuser, von London durch keine Zwischenräume mehr getrennt. Im Flusse ein Wald von Kohlenschiffen vor Anker. Die Stadt beginnt. Zwischen unbedeutenden Häusern herrliche einzelne Gebäude; Schiffswerften, Docks. Wieder eine Handelsflottille vor Anker. Nun Türme und Säulen und Häuser rechts und links. Vor uns Brücken, rechts der Tower. Wir nähern uns dem Lande, es ist das Zollhaus, neben der Londoner Brücke.
Haufen von Menschen. Wir steigen aus. Die Gesellschaft des Paketboots zerstreut sich, scheinbar nach allen Seiten. Ein einziger Jude war noch in meinem Bereich. Ich fragte ihn, wohin es nun ginge: ins Custom-house. Und ich folgte seinen Schritten. Wir kommen an. Die Zöllner sind mit andern Gepäcken beschäftigt; wir müssen warten. Man führt uns in ein Zimmer, wo an allen Wänden die Warnung angeschrieben steht, nicht Mäntel oder Hüte liegen zu lassen, wegen der Gefahr des Gestohlenwerdens. Ich als Fremder muß in die Alien-Abteilung, meinen Paß abzugeben und eine Aufenthaltskarte dafür zu erhalten. Ein deutscher Jude ist da, ein Platzbedienter, der mich in seine Klauen zu bekommen sucht. Die Beamten sind höflich, betrügen mich aber, wie ich später sah, mit einem veralteten Plan von London und einem schlechten Guide des Voyageurs. Endlich nach ein paar Stunden Wartens kommt die Reihe an das Gepäck unsres Schiffes. Einzeln werden die Eigentümer eingelassen. Ich warte drei, vier Stunden. Mein Name erscheint immer nicht. Endlich erinnere ich mich, daß der französische Platzbediente in Boulogne beim Einsteigen ins Schiff gesagt, er habe alles Gepäck auf den Namen des französischen Mitreisenden abgegeben. Ich ging damals als gleichgültig darüber hinaus, merkte aber nun, daß mein Name gar nicht auf der Liste der Passagiers stehen müsse. Mit Mühe machte ich endlich den Zollbeamten auf diesen Umstand aufmerksam, und mit noch größerer Mühe erhielt ich endlich, daß meine Sachen, die letzten, visitiert und gegen Vorzeigung des Passes und weiß Gott welchen Verklausulierungen mir ausgefolgt wurden. Es war nun nahe an fünf Uhr, und ich wußte noch nicht, wohin mich wenden in der ungeheuren Stadt. Ich war an einen Deutschen Namens Friedmann gewiesen, der ein Boarding-house in Percy-street hielt, hörte aber im Alien-office, er sei ausgezogen, und man wisse nicht, wohin. Ein anderes Boarding-house in Golden-square, das mir Sengel empfohlen, wußte ich meistens mit Fremden überladen. Da fiel mir ein, daß Kapitän . . . in Paris mir eine Mde. Williams in Charlotte-street Floomsbury-square genannt, und ich beschloß, dahin zu gehen. Ein Fiaker wird geholt, die Effekten eingepackt, und es geht nun endlos durch die ungeheure Stadt, die im Vorüberfliegen eben nicht den besten Eindruck auf mich machte. Endlich komme ich an. Ich werde zur Hausfrau geführt, die mit einer recht artigen Tochter im Erdgeschoß sitzt. Ich merke bald, mein Englisch reicht nicht zu, nur die Tochter spricht etwas Französisch. Endlich verständigen wir uns. Man führt mich in den ersten Stock in ein Zimmer, das, dreieckig und klein, die Form und Größe eines gewöhnlichen Bügeleisens hat. Ein besseres bei erster Erledigung wird mir versprochen. Ich bin nur froh, unter Dach zu sein, und nehme an. Der Kutscher begehrt viereinhalb Schilling, d. h. etwa dritthalb Gulden Konventionsmünze! Ich nehme Besitz, wasche mich, kleide mich um. Es geht um sechs Uhr zu Tische. Der ist nun nicht glänzend bestellt, wie ich sehe. Ein Hammelbraten, eine pie, etwas Käse, dazu dünnes Bier oder Wasser – voilà tout. Man muß sich fügen. Ich bemerke bald, daß man allenfalls noch mich verstehe, ich aber nicht die andern. Ich hatte eben in meinem ganzen Leben früher kaum zweimal englisch sprechen gehört; selbst mit Brant in Paris las ich nur; und so war denn die gesprochene Sprache eine Art Chaldäisch für mich. Zum Glück befanden sich einige Deutsche im Hause, die aber da waren, um Englisch zu lernen, und die also sich wohl hüteten, ihre Muttersprache über Tisch hören zu lassen. Sonst recht liebenswürdige gefällige Leute. Nach Tisch führte mich einer der Kostgänger, ein Däne, durch ein paar Straßen: Great-Russel-street, Oxford-street, bis zum Eingang des Hydepark. Oxford-street fand ich recht schön, aber die Boulevards von Paris wog es nicht auf. Als es dunkel wurde, kehrten wir zurück, tranken Thee. Die Leute charmant, aber für mich sehr langweilig, da ich kaum das dritte Wort von dem verstehe, was sie sagen. Um zehn Uhr war ich froh, ein Licht zu bekommen und schlafen zu gehen, denn ich war müde zum Niedersinken. Das Bette ziemlich schlecht. Dennoch gut geschlafen.
Des andern Morgens ziemlich gestärkt aufgestanden. Das Leben in einem solchen Boarding-house will mir durchaus nicht gefallen. An eine bestimmte Essensstunde wollte ich mich noch allenfalls gewöhnen, meine Schäferstunde aber, die Zeit des Frühstücks, einzubüßen, das ich seit meiner Kindheit immer allein eingenommen und das als eine Vorbereitung auf den ganzen Tag, ein Moment der Sammlung, für mich so ungeheuren Wert hat, das war zu hart! Man mußte jedoch vorderhand sich fügen. Um neun Uhr läutet's zum Break-fast. Dieselbe Versammlung, dasselbe englische Gestammel, dieselbe Langeweile. Dazu die Wahl zwischen Thee, der mir nicht bekommt, und Kaffee, den man hier nicht zu bereiten versteht. Dazu Brot mit Butter, die mich krank macht. Kaltes Fleisch, das ich nicht verdaue. Ich greife jedoch zu, bis auf das Fleisch, das mir vorderhand noch zu englisch war, was, wie ich wohl sah, die Hausfrau etwas beleidigte. Ein paar Engländer, die auch da wohnten und die, wie alle ihrer Nation, im Anfange einer Bekanntschaft höchst unangenehm sind, vermehrten mein Mißbehagen. Ich wünschte mich auf tausend Meilen fort, wußte aber noch nicht, wohin. Nach dem Frühstück ging ich in mein Zimmer zurück, in das der kalte Wind in Strömen einzog, durch ein Fenster, das nicht schloß, wie ich erst später bemerkte. Ein Umstand, der mir bereits eine Art Augenentzündung zugezogen hatte, die ich notgedrungen vermehren mußte, denn es galt, den Plan von London zu studieren mit seinen kleinen Buchstaben und verwischten Konturen. Ich weiß nicht mehr, wo ich des ersten Tages überall hingeriet. Nur suchte ich, anfangs fruchtlos, wieder die Oxford-street zu erreichen und wollte mich des Weges nach Drurylane versichern, wo man schon gestern Hamlet gegeben hatte und das ich heute nicht versäumen wollte. Ich irrte eben in den ungeheuren Straßen umher und mußte fürchten, wenn auch den Weg ins Theater, doch den Rückweg nach Hause sicherlich nicht zu finden.
Unerträgliches Mittagsessen. Der unabhängigste Mensch unter der Sonne von einer lumpigen Sprache abhängig. Der unabhängigste Mensch? Ja, wenn's nur wahr wäre. Es gibt der Sprachen und der Abhängigkeiten noch viele. Abends ins Theater. Man gab drei Stücke, Lustspiele. Das erste weiß ich nicht mehr. Das zweite: »Etikette« oder so, wurde vortrefflich gegeben. Viel besser, als man es in Deutschland oder selbst in Paris aufführen könnte, an welchem letzteren Orte nur noch die Boulevardposse blüht, aber auch unerreichbar dasteht. Die englischen Schauspieler haben etwas Festes, auf sich selbst Beruhendes, Männliches, das außerordentlich wohlthut. Wenn, wie man einmal von den Bourbons und der Herzogin von Angoulème sagte, unter den Wiener Schauspielern ein einziger Mann ist, Madame Schröder nämlich, so sind hier Alle Männer, selbst die Weiber, versteht sich im besten Sinne. Unbekannt mit den hiesigen Sitten, hatte ich mir keinen Theaterzettel beigelegt und weiß daher nicht, wie die Schauspieler hießen, die mir so wohl gefielen. Da ich wenig von den Worten verstand, ermüdete ich doch auf die Länge und ging gegen elf Uhr, fand auch nach mancher Mühseligkeit den Weg nach Hause. Einer der Schauspieler, erinnere ich mich, war Mr. Farren, der im Scape-goat, oder wie das Ding hieß (unser Hofmeister in der Klemme), den alten Präzeptor unnachahmlich spielte.
Doch nein, eben finde ich den Theaterzettel und ersehe daraus, daß ich das erste Mal Fidelio mit der Malibran, Scape-goat! und die Oper Masaniello hörte. Jene drei Lustspiele waren am 19. in Coventgarden, wo ich im Drurylane keinen Platz mehr fand, um Wild oats und Heart of Mid-Lothian zu sehen.
Also die Malibran. Ich kam der späten Essensstunde wegen zu spät zum Anfange, hörte daher den ersten Akt nicht. Von vornherein fand ich jene berühmte Sängerin weit unter ihrem Rufe. Sie singt jedoch hier englisch, was, obgleich sie es sehr gut spricht, einen nicht vorteilhaften Einfluß auf ihre Gesangsweise haben mag. Die große Arie im zweiten Akt vortrefflich. Die Passagen scheinen nicht immer so gerundet, als bei den andern großen italienischen Sängerinnen, manchmal sogar etwas gestoßen, auch haben offenbar die hohen Töne gelitten, heißt das die ganz höhere Oktave, denn die höchsten nimmt sie wieder mit Leichtigkeit. Die tiefe Lage noch immer vortrefflich. Sie hat offenbar die Manie des Spiels, wodurch sie sich so in Bewegung setzt, daß ihre Töne notwendig darunter leiden müssen. Keinen Augenblick ruhig, wird dieses immerwährende Hervordrängen geradezu lästig. Aber das gerade gefällt hier. Im dritten Akte, beim Grabmachen, gräbt sie wie ein Taglöhner, daß ihr der Schweiß an der Stirne steht, wo denn nun freilich an kein Singen zu denken ist. Das berühmte Kerkerduett habe ich nicht leicht schlechter singen gehört, ihre Mitteltöne waren unhörbar. Das hiesige Publikum aber, das von Musik rein nichts versteht, bewundert gerade dieses Auftragen, und während sie grub, und als sie die Pistole dem Gouverneur geradezu ins Maul steckte, ihn auch nicht mehr losließ, war des Beifalls kein Ende. Von den übrigen, Herr Templeton, Florestan, gute Stimme, scharfer, mitunter harter Vortrag, sonst lobenswert. Pizarro, Mr. Giubelei, schöne Stimme, wütender Vortrag. Rocco, Herr Seguin, so, so. Jacquino, Duruset, der unleidlichste Spaßmacher, hier aber sehr beliebt. Chor schwankt vom Mittelmäßigen zum Schlechten.
Den Eindruck von Scape-goat habe ich oben angegeben.
Donnerstag, den 19. Mai, mußte ich meinen Bankier Doxat and company aufsuchen, da es mir an englischem Gelde zu fehlen anfing. Er sollte in der City, Bishopgate-street wohnen, einer Kirche gegenüber, Nr. 24. Das war nun ungefähr vier Meilen (englische) von meiner Wohnung. Ich beschloß dennoch, zu Fuße zu gehen, weil man nur so eine große Stadt bald und genau kennen lernt. Es ward daher der Plan genommen und die Lage der Straßen, zum Glücke bloß große, auf ein Blatt Papier nachgezeichnet, da man doch nicht immer zur Belustigung der Vorübergehenden die große Karte zu Rate ziehen konnte. Um zwölf Uhr machte ich mich auf den Weg. Die größte Mühe hatte ich, um nur aus dem Gewirre kleiner Gassen in der Nahe meiner Wohnung herauszufinden. Als einmal High-street, Holborn und so weiter erreicht war, ging es schon besser. Ich weiß nicht, verdarb mir die Aengstlichkeit des Suchens den Genuß oder verglich ich, halb unbewußt, das Gewöhnliche des Hiesigen immer mit dem Besten von Paris: auch dieser Gang brachte mich noch nicht zu jener Bewunderung Londons, die mich jetzt durchdringt. Ich ging nahe an zwei Stunden und fand endlich auch Bishopgate-street, auch Nr. 24, aber da war an keinen Bankier zu denken. Von der Kirche gegenüber lag ein Haus, aber ohne Inschrift, mit Gittern verschlossen. Ich fragte in dem Laden nebenan, aber die gebärdeten sich, als ob sie den Namen Doxat nie hätten aussprechen hören. Endlich ging ich in einen andern Laden. Der gefällige Inhaber, der den Namen Doxat gleichfalls nicht kannte, schlug eine Art Adressenbuch auf und schrieb mir die Wohnung des gesuchten Unbekannten, eines der bedeutendsten Bankiers, auf ein Blatt Papier. Sie war Nr. 13 – gerade gegenüber und hart neben dem Laden, in dem ich zuerst nachgefragt hatte, in demselben verschlossenen Hause ohne Hausnummer. Und so war den nächsten Nachbarn, gleichfalls Kaufleuten, ihr nächster Nachbar, Kaufmann wie sie, völlig unbekannt. Derlei findet man oft in London. Niemand weiß, als was ihn zunächst angeht, und man rechnet den Leuten oft als Ungefälligkeit zu, was nichts als reines Nichtwissen ist. Ich erhielt ziemlich trocken mein Geld, worüber ich sehr froh war, denn jede Gefälligkeit wäre mir höchst unbequem gewesen. Den Weg zurück fand ich leicht, ermüdete mich aber bis zum Sterben. Von Fiakern war ich schon den ersten Tag so ziemlich geprellt worden, hatte auch kein Geld in der Tasche als meine Fünf-Pfund-Noten und einen Sovereign in Gold nebst etwas Kupfergeld. Die Omnibus, für die das letztere hingereicht hätte, fuhren zwar von allen Seiten und geradezu in ununterbrochener Folge, da ich aber die Lage ihrer Richtungen nicht kannte, fürchtete ich, in ein entgegengesetztes Stadtviertel zu gelangen, und ging daher wacker meinen Weg. Nur dem vortrefflichen Pflaster verdanke ich es, daß ich lebend meine Wohnung, nicht ohne Verwicklung in den nächsten Straßen, erreichte.
Etwas besseres dinner mit Fisch, der nicht übel war. Nach Tisch in Drurylane, wo ich keinen Platz bekam und daher nach Coventgarden ging. Hier war es, wo ich die drei Lustspiele sah, deren Namen ich vergessen habe. Das Haus in Coventgarden weiß mit Gold, nicht im besten Geschmacke, höchstens dreißigmal schöner, als unser schönstes Theater in Wien; dagegen Drurylane, karmoisinrot mit erhabener Goldverzierung, das Herrlichste, was man sehen kann. Selbst die große Oper in Paris muß, denke ich, zurückstehen. Die Form ist dort gefälliger, der Eindruck hier majestätischer. Dazu die Gesellschaft in den boxes des ersten Ranges, wie ein versammeltes Oberhaus, imposant, erhaben. Das pit wird einem durch die gar zu große Ungezwungenheit des Publikums etwas verleidet (obschon es nahe an zwei Konventionsgulden kostet). Wem's einfällt, der behält den Hut auf dem Kopfe. Kommen nun gar die half-price-Leute, so setzt sich jeder, wo kein Platz ist, und gibt sich scheinbar alle Mühe, die Nebensitzenden nach Möglichkeit zu genieren.
Ueberhaupt zerstören die Halbpreise die hiesigen Theater. Um ihnen das Beste nicht preiszugeben, werden die guten Stücke zum Anfang gegeben, wo noch die gute Gesellschaft beim Mittagsmahl sitzt. Kommen die ordentlichen Leute ins Theater, so sehen sie höchstens den Schluß des Bessern und für den übrigen Abend das elende Zeug, das, eben des Halbpreishaufens wegen, die weitere Unterhaltung ausmacht. Auch ist die Verwaltung der Theater gewinnsüchtig, elend. Man teilt selbst für die Logen, wo doch nur eine bestimmte Anzahl Platz findet, Billets ins Unendliche aus. Die später Kommenden stürmen nun die Logen, steigen hinter den Rücken auf die Bänke der Sitzenden, drängen sich ein. Die Logenthüren bleiben offen, und ich mußte eine Vorstellung des Julius Cäsar, wo Kemble spielte, im vierten Akte verlassen, bloß weil ich den Schluß nicht mit einer Verkältung erkaufen wollte.
Freitag, den 20. Nahm meinen Weg ins Westende, Oxford-street, Regent's-street, Charing-cross, Parliament-street. Wohnte einer Sitzung des Lordkanzlers bei, in einem kleinen Zimmer, der erhabenen Handlung kaum würdig. Der Lordkanzler selbst in großem Kostüme, sein Stab und ein großer Blumenstrauß vor ihm auf dem Tisch. Er in mächtiger Perücke, die Advokaten in mäßigern. Die Westminsterabtei vorderhand von außen besehen. Leider erinnerte ich mich nicht, daß heute das Parlament prorogiert wird, und versäumte, der letzten Sitzung beizuwohnen, auch war es erst drei Uhr, und das Haus sollte sich erst gegen fünf Uhr versammeln. Besah White-hall, die Horse-guards, Admirality und hatte ohnehin den unerläßlichen Gang ins Alien-office, um meinen Aufenthaltsschein bestätigen zu lassen, bei Geld- oder Gefängnisstrafe. O freies England! Erhielt die Verlängerung bis 1. Juli mit großer Höflichkeit, War sehr müde. Ging in den St. Jamespark und setzte mich in die kühle Sonne. Darauf zurück, verlor den Weg; geriet ins Pallmall, das mir mit seinen nicht so außerordentlichen Gebäuden und dem Gedräng von Wagen und Fußgängern in der Erschöpfung der Müdigkeit wie eine Feenwelt vorkam, orientierte mich endlich mit Mühe und kam erschöpft nach Hause.
Abends in Drurylane. Madame Malibran und Somnambula. Was diese Frau als Sängerin vermag, zeigte sie heute, ungeachtet der schon neulich erwähnten Wut, zu spielen, die ihr von vornherein schon nicht erlaubte, auch nur einen Augenblick ruhig zu sein. Heute war ihre Stimme rein, hinlänglich, in den tiefen Tönen schön, zu jeder Verzierung geschmeidig, dem Ausdruck des Gefühles vom leisesten und noch immer vernehmlichen Tone bis zum Sturme des noch immer musikalischen Aufschreis folgsam. Sie ist eine wahrhaft große Sängerin. Die übrigen Leute sangen auch. Herr Templeton sogar manchmal gut, nur ist etwas Seemännisches in seiner Manier.
Samstag, den 21. Beschloß, ins Gesandtschaftshotel zu gehen, der Verlängerung meines Passes wegen. Eine für mich völlig unbekannte Gegend. Chandos-street, Leicester-square. Entwarf mir eine völlige Marschroute. Zugleich galt es, ein anderes Kosthaus zu suchen, da ich mit dem meinigen völlig unzufrieden war. Fand doch meinen Weg. Der Botschaftssekretär nicht anwesend. Ein Commis, ich glaube, ein junger Lebzeltern, recht höflich. Wußte meinen Nachfragen nach Herrn Westerholz aus Wien, auf dessen Beistand ich hier gehofft hatte, nicht zu genügen. Fragte in ein paar Boardinghäusern vor, wo es mir aber nirgends sonderlich gefiel. Ueberall kleine schlechte Schlafzimmer, für den Aufenthalt des Tags über an das meistens prächtige Gesellschaftszimmer angewiesen, was mit meinen Neigungen nicht übereinstimmt. Wollte noch ein wenig in meinem alten Hause abwarten, wo ich doch wenigstens einige gefällige Deutsche habe. Essen kann ich ja irgend sonst wo. Ging noch weiter. Regentsstreet, Pallmall, Picadilly, alles prächtig, herrlich, von Herr abgeleitet. Bunte Bediente, glänzende Equipagen. Strand. Besah ein paar Brücken, die seit der Asenwelt, wo der Regenbogen eine bildete, nicht mehr so wunderbar vorgekommen sind. Templebar mit dem Thor der City, das der Lordmayor vor dem Könige schließt. Fleetstreet, mit all der wimmelnden Bewegung einer Handelsstadt. Durch Drurylane nach Hause.
Abends war Konzert im Drurylanetheater. Größtenteils Händelsche Musik. Ausgewählte Stücke aus fünf oder sechs Oratorien. Der Schauplatz vortrefflich hergerichtet. Vorn an einer Balustrade Sopran und Alt (letzterer von Männern gesungen), dahinter auf, in die Kulissen hinein emporlaufenden Stufen Tenor und Baß. Dahinter das Orchester in einem konzentrischen Kreise. Die wenigen Blasinstrumente hinter und in gleicher Richtung mit den männlichen Singstimmen. Es wird nämlich die Musik ohne oder mit höchst geringer Vermehrung der Blasinstrumente, ganz wie Händel sie schrieb, gegeben. Die Wirkung scheint mir viel besser. Die Chöre sehr gut, wahrscheinlich wegen vielmaliger Wiederholung. Anfangs auch die Solostimmen gut. Endlich machte man sich's aber leichter, und es ging so schlecht, daß man sich die Ohren hätte verhalten mögen. Das hinderte jedoch den unmäßigsten Applaus nicht. Madame Malibran sang ein paar wenig bedeutende Dinge, wobei sie sich, sehr gut, selbst auf dem Klavier accompagnierte. Sie ist eine hinreißende Frau.
Bald hätte ich vergessen. Der Hintergrund des Schauplatzes ist als gotische Halle behandelt, mit hineingemalten Musikern, so natürlich, daß es einen wunderbaren Eindruck von Unendlichkeit des Orchesters macht. Auch eine gemalte Orgel fehlt nicht.
Sonntag, 22. Machte mit fünf oder sechs der in meinem Hause wohnenden Deutschen, Norweger und Dänen eine Partie nach Richmond. Fuhren um elf Uhr im Dampfboot ab, durch die Häusermassen und Brücken durch ins Freie. Anfangs unbedeutende Gegend, immer angenehmer und schöner. Unzählige Landhäuser und Parks rechts und links. Die Fahrt dauerte wohl dritthalb Stunden. Endlich Richmond. Bestellten Essen in einem wenig scheinbaren Gasthofe und gingen spazieren. Die Lage wunderschön, die Aussicht so bezaubernd, als es in einer Gegend, der es an Bergen, aber nicht an Wasser fehlt, sein kann. Zu Fuß nach Hamptoncourt, einem königlichen Lustschlosse. Befinden sich Raphaelische Kartons da, die ich sehen wollte und die andern gingen mit. Als wir ankamen, erwartete man den Prinzen von Oranien, und niemand wurde eingelassen. Verwünschte den Prinzen und gönnte ihm den Verlust von Belgien. Kann das müßige Volk nicht an den Arbeitstagen der Beschäftigten seine Unterhaltungen abthun? Besahen die Gärten. Wunderschön, und das alles in einer Zeit angelegt, wo das übrige Europa noch tief in der Haarbeutelperiode steckte. Nach Richmond zurück. Das vortrefflichste Mittagsmahl gehalten, dessen ich mich in meinem Leben erinnerte. Ein Kalbsbraten, wie aus einem Elefanten ausgeschnitten und weich und saftig wie ein junges Huhn. Vortreffliche pies. Käse, Salat, roh zu essen, was ich nicht versuchte. Porter, Ale, wie ich es nie getrunken. Eine halbe Krone per Kopf. Oder vielmehr der Gang nach Hamptoncourt geschah nach Tische. Abends Thee und dann nach der Stadt zurück, zum erstenmal auf der outside einer Landkutsche, d. h. auf dem Dache. Vortreffliche Pferde. Im Galopp zu gehen, hinderte ein Engländer, der aus der inside nach aller Macht schrie und endlich ausstieg aus Furcht. Bei dunkler Nacht angekommen.
Montag, 23. Halber Feiertag, als ehemaliger Pfingst-, hier White Monday. Ging in die Westminster-Abbey, die heute offen steht, heißt das, gegen Bezahlung. Herrliches Innere. Im Stil von Notre Dame, aber schöner, höchstens mit St. Denis zu vergleichen. Alle Kapellen, alle Monumente besehen, erstere vom Führer gejagt, letztere nach Herzenslust. Kaum ist eines dieser Denkmäler schön zu nennen, aber alle zusammen, was machen sie für einen Eindruck! Und das ist nicht tot, wie die Geschichte Deutschlands, sondern lebt im gegenwärtigen Leben, in noch bestehenden Institutionen. Wahrlich, dies Land hat eine Geschichte, wir haben nur Kuriositäten und Begebenheiten. Shakespeares Denkmal eins der schlechtesten.
Abends spielte Macready den Macbeth. Ich ging hin. Es war aber der Feiertagspöbel da, der einen solchen Lärm machte, daß ich nicht ein Wort verstehen konnte. Die Hexen von Männern dargestellt. Ihre Scenen gesungen, zu welchem Ende ganze Chöre von männlichen und weiblichen Hexen zu Hilfe genommen wurden. Der Unsinn, der daraus entstand, kümmerte die Leute wenig. Die Komposition übrigens gut. Die Scene mit Banquos Geist anders genommen als bei uns. Der König sitzt, abgesondert von den Gästen, auf einem Stuhl in der Mitte der Bühne. Wenn er aufsteht, kommt Banquo in seiner gewöhnlichen Kleidung aus der Kulisse und setzt sich. Das macht um so weniger Eindruck, als man seinen Tod nicht gesehen hat und der Mord hinter der Scene vorgeht. Wer steht dafür, daß es wirklich ein Verstorbener ist? Das zweite Mal kommt er von der entgegengesetzten Seite, und da ist sein Erscheinen völlig wirksam, da man aus dem frühern Benehmen Macbeths nun weiß, mit was für einem Gast man zu thun hat. Ich wäre unbedingt für die hiesige Darstellungsart, wenn Banquos Ermordung dem Zuschauer sichtbar vor sich ginge.
Dienstag, den 24. Kann mich durchaus auf die tagweise Folge der Begebenheiten nicht mehr erinnern, will daher nur einiges, wie es mir einfällt, kumulativ hinsetzen; nur für die Abende geben mir die aufbewahrten Theaterzettel einige Richtung. Guildhall besehen, ein sonderbar altertümliches Gebäude, in der großen Halle die beiden Kolosse, Gog und Magog genannt, eigentliche Kinderschreck. Die Bank, die Exchange, Post-office, wo ich einen Brief abgab, aber keinen vorfand. Mansion-House. St. Pauls Kathedrale: Gebäude in neuerem Geschmack, prächtig, ungeheuer, ohne sonderlichen Eindruck von außen und innen. Mit Denkmälern angefüllt, großenteils besser als die in Westminster-Abbey.
Abends in Drurylane, Richard III. Ein neuer Debutant in der Titelrolle. Nicht schlecht, aber ohne alle Großartigkeit. Wütende Parteien im Publikum. Förmliche Gespräche zwischen Galerie und Parterre. Der dort im schwarzen Rocke hat gezischt, rief mein Nebenmann, let him be gone! Das Beste: der kleine Herzog von York, von einem kleinen Mädchen recht brav dargestellt. Die Kostümes ohne individuelle Wahrheit, die Komparserie ärmlich.
Desto mehr Pracht verschwendet auf die Jüdin, das zweite Stück, eine Paraphrase der gleichnamigen französischen Oper. Einzüge, Harnischmänner, zu welchem Ende man einen eigenen Gang ums Orchester herum gebaut hatte, der schon während Shakespeares Richard die Aussicht auf die Bühne störte. Mit aller Anstrengung doch nur ein schwaches Abbild des geschmackvollen Aufwands der Pariser Großen Oper. Hatte das Ding im zweiten Akte satt.
Mittwochs den 25. beschloß ich, den Tunnel zu sehen. Fuhr daher im Omnibus bis zur Bank und suchte von da meinen Weg, da ich nicht wußte, daß eigene Wagen dahin gehen. Hatte mir meinen, ungeheuren, Weg aufgezeichnet, am linken Ufer des Flusses. In die unbekannten Regionen des rechten wagte ich mich nicht. Fand mit vieler Mühe endlich die Wapping Stairs an der Themse und ließ mich hinüberrudern. Eingang. Eine ungeheuere Dampfmaschine empfängt den Besucher. Dann auf hölzernen Treppen hinab. Da liegt nun das Riesenwerk, von Gaslampen taghell beleuchtet. Ein dumpfes Getöse, man weiß nicht, ob von den rauschenden Wassern des Flusses oder (was wahrscheinlich) von der arbeitenden Dampfmaschine, umfängt einen. Tonnengewölbe, unten vom Zirkel nach einwärts abweichend. Beträchtliche Strecke, und doch noch nicht bis zur Hälfte des Flusses fortgeführt. Man kann dem Werke allen Fortgang wünschen, und doch zweifeln am Gelingen. Meinen Namen ins Buch eingeschrieben, und wieder zurück über den Fluß. Aufs höchste ermüdet, bei der Bank in einen Omnibus eingesetzt und nach Hause.
Abends ging ich in ein Theater, weiß aber nicht mehr in welches, und was man gab.
Donnerstag, 26., waren die Docks zu besehen, ein ungeheueres Unternehmen, da die ostindischen wohl zwei deutsche Meilen von meiner Wohnung entfernt liegen.
Erinnere mich erst, daß ich gestern die Londondocks und nebenbei den Tower gesehen hatte. Die ersteren machten mir eben Lust, die übrigen Docks auch zu besuchen. Der Tower weit unter meiner Erwartung. Das Aeußere imposant. Das Innere kostet sieben Schillinge und ist nicht sieben Pence wert. Rüstungen, Waffen; die Kronjuwelen über alle Beschreibung prächtig, besonders die Krone, die allein mehr wert sein dürfte, als das Königreich Dalmatien. Ich war allein. Der altertümlich gekleidete, mit einem Degen in der Hand vor mir herschreitende Aufseher suchte mir daher so viel möglich von den Sehenswürdigkeiten zu entziehen, und ich kümmerte mich wenig, noch mehr alten Wust zu sehen.
Heute also nach den indischen Docks. Bis zur Bank gefahren. In Oldgate fand ich einen neuen Omnibus, der bis zu den East India Docks geht. Bald verlor ich alle Richtung und fürchtete für den Rückweg, wenn ich den Omnibus verfehlen sollte. Ich redete daher einen mitfahrenden Commis an, der ein Kistchen mit sich führte, nach Madras überschrieben, so daß er notwendig meinen Weg nehmen mußte. Er war auch gleich bereitwillig, mir, wenn ich mit ihm auf das Douanenzimmer gehen wollte, alles in den ostindischen Docks zu zeigen und mich dann auf den Weg zu den westindischen zu bringen. Wie gesagt, so gethan. Ich begleitete ihn, dann er mich. Ich staunte die ungeheuern, kokett geschmückten Schiffe an. Groß wie Linienschiffe, scheinbar neu zur Abreise bereit, und wie halb neu von der halbjährigen, stürmischen Reise zurückkommend. Letztere, fremde Tiere, Gazellen, Papageien, seltsame Schweine auf dem Verdecke. Ein Orignalindier in weißem Kaftan. Wir bestiegen zwei der Schiffe. Ein Steuermann war gleich bereit, uns überall herumzuführen. Mahagonimöbel, blendende Reinlichkeit. Der Schiffe kein Ende. Warenhäuser auf allen Seiten. Ein- und Ausladen. Nachen mit Handelsleuten, die sich zu den Schiffen hinrudern lassen. Endlich gingen wir. Bei den westindischen Docks angekommen, schüttelt mir mein neuer Freund die Hand und freut sich, mir behilflich gewesen zu sein. Die Westindia Docks. Wiederholung der vorigen, aber, wenn ich mich recht erinnere, noch ungeheurer, die Schiffe aber kleiner und minder prächtig. Es war schon spät, und ich mußte zu Fuße fort. Auf dem Wege aber holte mich ein Omnibus ein, und ich benützte ihn. Wunderschönes Frauenzimmer unter den Mitfahrenden, scheinbar höchst sittsam. Als sie aber ausgestiegen war, versicherte mich ein Seemann, der neben mir saß und sich um den alten Begleiter derselben sehr zu thun gemacht, ihn auch mit Cigarren beschenkt hatte, es sei leichte Ware und der alte Herr ihr Hüter oder Mäkler. Es war zu spät, um nach Hause zu gehen. Suchte daher einen dining room und geriet zufällig in einen der schlechtesten. Mutton chops, eine Art gerösteter großer Nieren, guter Käse, keine Mehlspeise zu haben. Gutes Ale, recht guter Portwein.
Abends in English Opera House. The middy ashore. Mrs. Keely, der Midshipman, recht gut, ebenso Herr Salter als Bootsmann.
Hierauf Yeoman's daughter, ein weinerliches Drama, aber vortrefflich dargestellt. Dieselbe Mistreß Keeley, die im ersten Stücke den Seekadetten, einen lustigen Burschen, gespielt, jetzt als sentimentale Yeoman's daughter, aber so vortrefflich, so weiblich, so sanft und englisch liebenswürdig, daß ich nicht so bald einen gleich vorteilhaften Eindruck empfangen habe. Gleich gut Herr Serle, als ihr Liebhaber. Der Yeoman, Herr Williams; der Konstabler, Herr Salter; der Rattenfänger, Mr. Romer; alle nach Wunsch.
Man about town durch das ausgezeichnete Spiel eines Mr. Wrench in der Titelrolle ungemein ergötzlich.
Freitag, 27. Ging in den zoological-garden, Regentspark. An der Kasse angekommen, verweigert man mir den Eintritt, weil die Erlaubnis eines Direktors dazu notwendig sei, was ich, da man einen Schilling bezahlt, nicht vorausgesetzt hatte. Während ich nicht weiß, was zu thun, tritt ein hübscher Mann, eine Dame am Arm, hinzu; unterschreibt eine Karte, gibt sie mir, schreibt eine zweite in der Voraussetzung, daß ich noch ein zweites Mal zu kommen wünschen möchte, und macht endlich von seinem Rechte Gebrauch, mich, als einer der Direktoren, gratis einzuführen, so daß ich mein Geld und noch dazu zwei Karten in der Tasche hatte. Er spricht französisch mit mir und macht mich anfangs auf alles aufmerksam, bald aber trennt uns die Menge, So thätige Gefälligkeit findet man nur in England. Ich durchstreife den wunderschönen Garten und besehe die Menagerie, die ihresgleichen in der Welt nicht hat. Und alles durch Subskription von Privaten. Auf einmal werde ich in meiner Muttersprache angeredet. Es ist ein Deutscher, ein Herr Bulwering aus Livland, den ich schon neulich auf dem Dampfboote nach Windsor getroffen. Wir tauschen unsere Namen aus. Er ist erfreut u. s. w. Fordert mich auf, des nächsten Tages mit ihm und einem seiner in London bewanderten Freunde die Feierlichkeiten des königlichen Geburtstages mitanzusehen. Ich nehme mit Vergnügen an, und wir trennen uns, da seine Tour schon vollendet ist. Ich genieße noch nach Herzenslust den schönen Garten, die warme Sonne und den Anblick der merkwürdigen Tiere. Zwei Elefanten, wovon ein ostindischer der größten Art. Ein Nashorn. Vier, sage vier Giraffen. Was weiß ich noch alles.
Abends ins Haymarkettheater. The housekeeper. Miß Taylor, ausgezeichnet. Ein Herr Vining, zugleich Herr Korn und ein Mann. Er gleich gut, sie etwas schwächer, ja ein wenig gemacht im zweiten Stücke atonement. Ein Bruder des erstern, J. Vining, höchst ergötzlich in der Rolle des Dandy, Captain Popinajy. Alles andere gut. Das Lustspiel ist auf einem hohen Grade der Vollkommenheit in England.
Samstag, den 28. Holte mich Herr Bulwering zur Ausfahrt nach St. James ab. Ich gehe mit ihm in seine Wohnung, wo noch zwei Deutsche und ein alter in London eingebürgerter Franzose sich uns anschließen. Durchstreifen den St. Jamespark, stellen uns am Palaste auf und sehen die Wagen vorbeipassieren. Die Anzahl der Wagen ungeheuer, die Pracht minder, als ich sie mir vorgestellt habe. In Wien ist sie, leider, bei ähnlichen Gelegenheiten größer. Prinzessin Viktoria ein gut aussehendes Mädchen. Die königliche Garde königlich, da kaiserlich zu wenig wäre; vorausgesetzt, daß hier von einem Regiment die Rede ist, und nicht von 60 galonnierten Invaliden auf ausgeborgten Pferden, oder ebenso vielen adeligen Strohjunkern.
Um vier Uhr sollte erst der Einzug der mail-coaches sein, wir beschlossen daher, noch vorher eine Dampfmaschinendruckerei zu besehen, die des Atlas nämlich, in der Nähe des Strand. Gefällig eingelassen, besehen wir das Ganze. Zauberartige Menschenthätigkeit der Maschine.
Den Zug der mail-coaches versäumen wir aus Unkenntnis ihres Weges, und ich gehe mit meinen neuen Freunden in ihr Boarding-House zu Tische. Man ißt recht sehr gut da.
Abends mit ihnen ins Haymarkettheater zu halben Preisen. Sehen ein Ballett Zulema. Nicht so übel. Besonders ein junger hübscher Tänzer, Mr. Massot, und die Favoritsultanin Mlle. Josephine Danse, die auch andern Leuten als Favorite angestanden hätte.
Darauf ein Lustspiel in fünf Akten, married life oder so. Das Stück gut, die Darstellung vortrefflich. Uebersetzt würde es auch bei uns sehr gut gefallen. Gegen ein Uhr morgens nach Hause.
Sonntag, den 29., machte ich mit mehreren meiner Mitkostgänger einen Ausflug nach Highgate und Hamstead in der Nähe von London, berühmt wegen ihrer hübschen Lage. Alles zu Fuß, ermüdend und nicht ganz belohnend. Die Gegend, außer dem wunderschönen Grün, mit unsern nicht zu vergleichen. Ein Lunch, an dem ich aus Erschöpfung mit teilnahm, bloß aus Ale und Käse bestehend, setzte meinen Magen in eine etwas unbehagliche Verfassung. Wir kamen mittags nach Hause, was mir unlieb war, da bekanntlich der Sonntag das langweiligste Ding in London ist. Im Nachhausegehen auf offener Straße ein junger Methodistenprediger, der sich das Heil seiner Mitmenschen sehr zu Herzen nahm, recht gut sprach, aber nur wenig Zuhörer fand. Nach Tisch mochte ich mich mit der häuslichen Unterhaltung nicht begnügen, besonders da am Sonntag nicht einmal Kartenspiel oder Musik geduldet wird. Ging daher aus und durchstrich die Straßen, die ich nur wenig belebt fand zu meinem großen Erstaunen, da ich bei dem Geschlossensein aller öffentlichen Unterhaltungsplätze nicht begreife, was die ungeheure Volksmenge an diesem Jammertage beginnt. Ging aus Ermüdung in eine Weinstube und trank Sherry-Wein, der nicht übel schmeckte, aber, wie die Folge zeigte, doch verfälscht sein mochte.
Montag, den 30. Fühlte gleich beim Erwachen Kopf und Magen widerlich beschwert, wie denn überhaupt gestörte Verdauung und Hartleibigkeit die beiden Plagegeister meiner Reise sind.
Ging demungeachtet, ein paar Kunstanstalten zu besehen. Zuerst in die Nationalgalerie Pallmall, die ich anfangs Mühe hatte zu finden, so unbekannt war sie allen, die ich fragte. Endlich, in einem Kupferstichladen, gab man mir richtige Anweisung. Im gegenwärtigen Lokale ist sie nur provisorisch aufgestellt, daher das Gebäude nicht sonderlich. Die Wahrheit zu gestehen, gefiel sie mir auch nicht besonders. Große Namen, wie mir schien, und mittelmäßige Bilder. An der Echtheit der Claude Lorrains wollte ich zweifeln; ein guter norwegischer Maler versicherte mich aber vom Gegenteile und ihrem hohen Werte. Er mag wohl recht haben und meine Unkenntnis oder kränkelnde Mißstimmung die Schuld tragen. Ebenso kamen mir die Correggios sonderbar vor. Ich bin kein Kenner, obgleich sonst ein ziemlich richtiger Empfinder. Doch das glaubt jedermann zu sein. Die Wilkies jedermann einleuchtend und gewiß vortrefflich. Hogarths Heirat nach der Mode, im Original und, wie natürlich, die Kupferstiche im Ausdrucke weit hinter sich lassend. Für die Wests gebe ich nicht viel. Rembrandts Ehebrecherin vortrefflich angeordnet und beleuchtet, sonst wohl ein wenig gemein. Rubens, wie überall u. s. w.
Hierauf in die British Institution; eine Ausstellung von Privaten, aus ihren Kunstschätzen zusammengestellt. Hier ging mir das Herz auf. Gleich der Galerie im Vatikan, braucht man sich nicht durch Schund und Mittelgut durchzuarbeiten. Nicht viel Bilder, aber alles von Wert. Murillos, die ihren Meister in die erste Reihe der Maler stellen. Velasquez voll strengem Ernst. Niederländer wie gestern gemalt. Die vier Menschenalter von Tizian ließen mich kaum von sich. Den sieben Sakramenten von Poussin konnte ich keinen Geschmack abgewinnen. Diese Claude Lorrains leuchteten mir ein. Zwei Landschaften von Ruysdael, wie man nichts Schöneres sehen kann. Ein Magdalenenkopf von Guido, der an weicher Schönheit nicht übertroffen werden kann, besonders der Mund. Eine heilige Familie von Raphael, entweder nicht von ihm, oder aus einer Zeit, wo er noch nicht Raphael war.
Ich hatte mich mit meinen neuen Freunden schon um halb fünf Uhr zum Essen in eine Taverne zusammenbestellt, da Charles Kemble im Julius Cäsar auftreten sollte und rätlich war, schon um sechs Uhr im Theater zu sein, eine Stunde, wo man in den Boarding-Häusern erst zu Tisch geht. Ging daher nach dem Strand, fand die Gesellschaft, und wir aßen gemeinschaftlich, eine halbe Krone per Kopf. Dafür hatte man Suppe (real turtle), sehr guten Fisch, in Portionen, daß Christus mit sieben derselben allerdings hätte dreißigtausend Mann speisen können, roast beef, nach Belieben sich selbst von einem Riesenstücke herabzuschneiden, und Käse. Ich hütete mich sehr im Essen, obgleich die Anstrengung des Sehens mir gewaltigen Hunger gemacht hatte. Auf etwas Ale setzte ich guten Sherry, mit heißem Wasser und Zucker gemischt, ein Magenmittel nach hiesigem Gebrauch.
Darauf ins Theater. Dr. Bulwering bestand darauf, ins pit zu gehen, wir fanden aber schon die ungeheuerste Menschenmasse, die sich auf englische Art, d. h. wie die wilden Tiere drängte. Ein paarmal in Gefahr, die Brust zerdrückt zu haben, machte ich mich von meinem Begleiter los und nahm einen Platz in den Boxes, wo ich anfangs ziemlich gut daran war.
Die Vorstellung gut. Sheridan Knowles, als Brutus, nicht besonders, Cassius, Macready, lobenswert. Kemble, der den Antonius gab, vorzüglich in der Scene nach Cäsars Tode und in der Leichenrede ausgezeichnet. Die Volksscenen viel besser, als Aehnliches bei uns. Ich hätte gern das Ganze mit angesehen. Aber als um neun Uhr die Halbpreise eintraten, wurde das Theater im eigentlichen Verstande gestürmt. Die Thüren der Logen aufgerissen. Die kalte Luft drang schneidend in den erhitzten Raum, Keine Möglichkeit, die Eingedrungenen wieder zu vertreiben. Hinter den Rücken der Sitzenden stiegen sie auf die Bänke. Huren drängten sich in jede Oeffnung. Unausgesetzter Wortwechsel, selbst Handgemenge. Da sagte ich Shakespearen im vierten Akte Valet, riß mich durch die Menge und erreichte wie ein gehetzter Hirsch meine Wohnung.
Dienstag, den 31. Mai. Die Tochter des Hauses, wo ich wohne, wurde heute vermählt. Großes Frühstück, auf das wir armen Kostgänger aber bis eilf Uhr mit leerem Magen warten mußten. Es ging dabei auf eine Art steif her, wie man selbst in Deutschland keinen Begriff hat. Nebst dem Bräutigam hielten noch drei bis vier Personen kleine Reden, und eine Anzahl Gesundheiten wurden vorschriftmäßig ausgebracht. Hierauf mit ein paar der hier wohnenden Deutschen nach Greenwich, vorher aber eine der größten hiesigen Brauereien besehen. Manche Einzelheiten kaum so groß, als ich sie mir gedacht, das ganze Etablissement aber so riesenhaft, daß es einen schaudert. Beinahe alles durch eine Dampfmaschine verrichtet, die ziemlich unscheinbar, aber unermüdlich ihren Weg geht und das Verschiedenartigste durch denselben Mechanismus verrichtet. Gerstenvorräte, um eine belagerte Stadt zu proviantieren; Kühlapparate, um darauf Schiffbruch leiden zu können; eine Reihe von vielleicht mehr als 100 Fässern, deren kleinstes 1000, das größte 3500 Barrels hält. 160 Arbeitspferde im Stalle. Hierauf auf dem railway nach Deptford. Der ganze Weg in der Luft auf Bogenbrücken fortgeführt. Dreißig oder vierzig Kutschen, aneinander gehängt, erwarten den Dampfwagen, der sie in Bewegung setzen soll. Man steigt ein. Endlich verkündet ein Schnauben das rückkehrende Ungeheuer. Es wird vorgespannt. Nun stampft es und tobt es, die Bewegung erfolgt. Anfangs langsam, dann rascher und rascher, bis das Ganze ungefähr mit der Geschwindigkeit des Vogelfluges dahinstürmt. Die Schnelligkeit bemerkt man übrigens mehr an dem Vorüberfliegen der Gegenstände, als daß man im Wagen sitzend davon irgend affiziert würde. In sechs Minuten kommt man in Deptford an, was doch eine halbe deutsche Meile entfernt sein mag. Von hier nach Greenwich. Herrlicher Park. Schöne Aussicht. Das Invalidenhaus schöner als ein Königsschloß. Die Kapelle mit den Porträten berühmter Admirale und den Schilderungen großer Seegefechte herrlich, herzerhebend. Die Gesellschaft trennt und verfehlt sich durch unrichtige Zusammenbestellung. Ich und einer der Deutschen, Schulze, finden uns allein. Das Dampfboot nach London geht erst nach fünf Uhr. Gehen daher zur Eisenbahn zurück. Warten auch dort und kommen erst um halb sieben Uhr zum Mittagsessen nach Hause.
Abends in die italienische Oper, Gazza ladra. Rubini wie immer, nicht mein Mann. Tamburini vortrefflich. Lablache hat etwas verloren, nebstdem daß der Podesta wohl nie seine Rolle war. Die Grisi, vortreffliche Stimme, große Geläufigkeit, mitunter mißbraucht. Singt gern zu hoch, was auf mich einen gräßlichen Eindruck macht. Einen großen Moment in Spiel und Gesang habe ich bei ihr nicht bemerkt. Das Haus schön, ungeheuer, die vornehmste Gesellschaft, voller Putz. Da sitzend und wartend, höre ich auf einmal neben mir – Wienerisch sprechen. Ich frage: es sind wirklich zwei Wienerinnen, die eine hier an einen Buchdrucker vermählt, die andere eine Mde. Reichmann aus Wien. Ich hatte in der ersten Freude meinen Namen genannt und war recht vergnügt, als die Buchdruckerin nach meiner Wohnung fragte und mir wiederholt anbot, mich mit einem Professor der deutschen Sprache am Kings College bekannt zu machen, der mir u. s. w. Das war gegen meine Absicht, und ich benutzte die Applaudissements am Ende der Oper, um mich unbemerkt aus dem Staube zu machen. Ich hatte mich den ganzen Tag sehr übel befunden. Jetzt war ich von Durst ausgetrocknet. Da ich keines der hiesigen geistigen Getränke vertragen kann und Wasser am Brunnen auch nicht zu schöpfen wußte, so trank ich ein Glas Ginger-Beer, was mich erquickte und mir sehr wohl bekam. Will dieses Zeug zu meinem Getränke machen.
Mittwoch, den 1. Juni. Der letzte Monat meines Urlaubs beginnt. Ging ins Britische Museum, das die ganze Zeit meiner bisherigen Anwesenheit geschlossen war. Nahm mir vor, bloß die Antiken zu besehen und den naturgeschichtlichen Teil dem Zufalle zu überlassen. Vortreffliche Sachen, die man durchlaufen muß, statt bei jeder stundenlang stehen zu bleiben. O, ewige Griechen! Daneben ägyptische Bruttogewicht-Dinge nebst indischen Scheußlichkeiten, die darstellen wollen, was man höchstens denken könnte. Endlich die Elginschen Marmore. London ist eine nicht üble Stadt, der Parthenon mag aber denn doch mehr wert gewesen sein. Alles zerstört, aber überall Spuren einer Schönheit, die man mit keinem Dampfapparat herstellen und mit ihren höchsten Erzeugnissen nicht aufwiegen kann. Die Gruppe der drei Schicksalsgöttinnen, die Theseusbildsäule, die Metopen, die Friesen. Nicht Riesen-, Götterwerke. Was mag das gewesen sein. Die Einbildungskraft erlahmt, nur nachzukonstruieren. Es erlahmten aber auch meine Füße. Ich konnte mich, als es vier Uhr war, kaum mehr regen. Doch wollte ich noch zum Gesandten gehen, um mir Eintritt ins Parlament zu verschaffen, das heute nach unglücklicher, zehntägiger Prorogation wieder beginnt. Unglücklicherweise aber regnet es, und ich muß nach Hause, denn bei meinem Gesundheitszustande durchnäßt werden, wäre nicht rätlich.
Abends Konzert des norwegischen Violinspielers Ole Bull in Kings Theatre. Einige sagen: ein Schüler Paganinis, die meisten: sein gefährlichster Nebenbuhler. Ouvertüre von Mozart aus G-Moll. So schlecht aufgeführt, daß man in den Wiener concerts spirituels zu sein glaubt, mitunter schlechter. Die Gesangsstücke von den ersten italienischen Sängern so unbedeutend, daß man merkt, sie wissen, vor was für einem Publikum sie singen. Ole Bull selbst vortrefflich, was die mechanische Fertigkeit betrifft. Der Körper Paganinis ohne seine Seele. Selbst die Schwierigkeiten weiß er mit dem eigentlich musikalischen Teil nicht so zu verbinden, daß sie zusammen ein Ganzes ausmachten, sie blieben meistens ein Getrenntes. Kunststück zum Bewundern. Moscheles spielte eine Phantasie, d. h. phantasierte zu Hause und spielte dann im Theater. Im Anfang sogar ohne Bestimmtheit und Sicherheit, dann rollte es glatt weg. Thalberg hat mich für die andern Klavierspieler verdorben. Seinen Ton muß man bei Moscheles nicht suchen, selbst in Geläufigkeit, namentlich in den Oktavenpassagen steht er ihm nach. Fand einen Herrn Präger aus Leipzig im Theater, einen liebenswürdigen Mann, der sich nach meinem Namen erkundigte und mich erkannt haben wollte. Schon während des Mittagsessens war ein junger Figdor aus Wien dagewesen, der mich engagierte, mir des andern Tags mehrere merkantilische Merkwürdigkeiten zu zeigen, was ich mit Vergnügen annahm.
Donnerstag, den 2. Ging zu Figdor, wo ich auf dem Comptoir seinen Vater antraf. Gingen zusammen. Besahen erst die Börse, die Winter und Sommer in einem von Säulengängen umgebenen freien Räume abgehalten wird. Dann ins East India House. Viele indische Merkwürdigkeiten. Waffen Tippo Sahebs. Ein Lieblingsspielzeug desselben, vorstellend einen Tiger, der einen Menschen zerreißt, wo denn eine angebrachte Drehorgel das Gebrüll des Tigers und das Geschrei des Menschen nachahmt. Eine konservative Unterhaltung. Meine Begleiter drängten, hätte gern alles genauer besehen. In die Goldsmith Hall. Von einer Pracht, die alle Vorstellung übersteigt. Riesenspiegel aus einem Stücke. Mahagonimöbel, wie aus Eisen gegossen und zugleich wie aus Papier geschnitten. Das Etablissement eines Herrn Morison, mit allen Arten Waren, vom Seidenband bis zum Shawl und feinsten Vigogne-Tuch. Ein Möbelmagazin, durch sechs oder acht Etagen in Schneckengewinde hinauflaufend. Der Eigentümer stieg mit uns selbst hinauf, obschon wir gleich erklärten, daß wir nur zum Besehen da wären. Mußte mit den beiden in ihre Wohnung nach Islington zum Essen. Fängt an zu regnen. Finde die Tochter. Scheinbar ein höchst liebenswürdiges Frauenzimmer. Mittagmahl nach englischer Weise, zwei Gerichte, aber vortrefflich. Guter Portwein. Angenehme Unterhaltung. War höchst liebenswürdig.
Nach Tisch ins Parlament. Mußten zwei Stunden warten, um für unsere halbe Krone in die Fremdengalerie zu kommen. Eine Aeußerung von mir, ich könnte allenfalls den Dichter Bulwer herausrufen lassen, um Einlaß zu erhalten, veranlaßte den Vater Figdor, in diesem Sinne mit dem Konstabel zu sprechen; und siehe da, auf einmal kommt Herr Bulwer auf mich zu, was mir natürlich sehr unangenehm war, da meine Aeußerung nur im Spaß gemeint war. Trug dem gutaussehenden jungen Manne mein Anliegen vor, da nun einmal gesprochen werden mußte. Er schien, wie natürlich, nicht sehr au fait der Namen und Sachen, benahm sich etwas cavalièrement, versicherte, heute sei das Gedränge zu groß, wenn ich aber des andern Tags um fünf Uhr kommen wollte. Redensart. Ich war froh, ihn wieder los zu werden. Das Haus, nur ein provisorisches, macht anfangs einen höchst unbedeutenden Eindruck, der aber bald zum großartigen wird. Ein langer schmaler Saal, mit Stufensitzen zu beiden Seiten. Der Sprecher im Fond. Alles ohne Schmuck, Galerien rings herumlaufend, die zu beiden Seiten für die Mitglieder zum Ausruhen, was sie denn liegend, lümmelnd, mit den Füßen auf der Balustrade höchst unanständig thun. Gegenüber dem Sprecher die Fremdengalerie, so weit entfernt, daß man nur mit Mühe hören und, der Kronleuchter wegen, immer nur eine Seite des Hauses sehen kann. Wir saßen rechts, also im vollen Anblick der ministeriellen Seite. O'Connel ganz schwarz gekleidet, mit kleiner vorstehender Hemdkrause. Ein starker Mann, schwarzes Haar, eine Papierrolle in der Hand, die er während der Rede der Gegenpartei wie eine Klarinette an den Mund hielt. Seine Züge konnte ich nicht ausnehmen. Er saß auf der zweiten Bank. Beinahe vor ihm auf der ersten Shiel. Hager, blond, lebhaft. Wie wir eintraten, hielt eben der Sekretär für Irland, Lord Morpeth, eine Rede. Stark und kräftig, von hear, hear seiner Partei und Oh, Oh, und Ey, Ey, der Gegenpartei unterbrochen. Darauf Sir James Graham. Anfangs abgebrochen, ohne Fluß, darauf fortlaufend, mehr im Sprech- als Rednerton, nur bei den häufigen Unglücksprophezeiungen mit erhobener Stimme. Da waren denn die Groons und Ens viel häufiger, manchmal fünf Minuten lang, als ob sich beide Parteien überbieten wollten. Dauerte wohl zwei Stunden. Endlich stand Shiel auf. Seine Stimme ist wie ein zweischneidiges Schwert, von vornherein unangenehm, er selbst eine Feuerflamme. Die Lebhaftigkeit seiner Bewegungen, die Abwechslungen der Stimme, die Bitterkeit seines Hohns, das Donnern seiner Verwünschungen unbeschreiblich. Daß es meistenteils Variationen oft dagewesener Themate waren, ist wohl natürlich. Auch konnte ich der Entfernung wegen, der Schnelligkeit, besonders von Shiels Redeweise, und meiner geringen Fähigkeit, englisch Gesprochenes zu verstehen, sehr vieles nicht auffassen. Doch machte es großen Eindruck. Mir schien der Strom seiner Rede heute mitunter mehr gemacht als natürlich. Das hinderte doch nicht den Eindruck des Ganzen. Die Engländer mögen nur ruhig sein. Sie kennen die andern Nationen vielleicht nicht genug, um ganz zu wissen, wie allmächtig sie sind. Wenn sie einmal ernsthaft wollen, wird alles vor ihnen zerstäuben, wie selbst Napoleon zerstäubte. Die Welt ist gesichert. Als Shiel ausgeredet hatte, brauchte es keine Auflösung der Sitzung, alles ging auseinander. Ich kam um halb zwei Uhr nach Hause.
Freitag, 3. Juni. Hatte versprochen, um zwölf Uhr zu Figdor zu kommen, einige Dinge in der City zu besehen. Aber es regnete. Ging daher, da gerade ein Einlaßtag war, ins Museum. Durchlief den naturhistorischen Teil, der, außer der Mineralogie mit merkwürdigen Versteinerungen, nichts Besonderes zu sein scheint, und wendete mich wieder zu den Altertümern, d. h. zu den Elgin-Marmoren. Sog mich voll von den Eindrücken des Minerventempels. Diese Metopen, mehr als halb zerstört, und doch die Denkmäler der höchsten Schönheit. Was für Arme und Beine. Diese Priesterinnen, in halbsoldatischem Ausschritt, und doch so weiblich gelehrig vor dem sie belehrenden Priester. Diese Pferdebändiger, dasselbe hundertfach abgestuft. Endlich die Figuren der beiden Frontispize. Das östliche kann man sich beinahe vollkommen in Gedanken zusammensetzen. Die drei Schicksalsgöttinnen möchten wohl, wenn unverstümmelt, das Schönste sein, was im Fach der Gruppe auf uns gekommen. Laokoon ist nur im einzelnen schön, die Knaben haben mir nie gefallen können. Und das alles an einem Tempel. Die erhaltenen Säulenschäfte zeigen das Riesenhafte des Baues. O neue Pfeffer- und Thee-Welt, wie kommst du da zur Vergleichung!
Abends wieder ins Unterhaus. Nach einer Stunde Wartens eingelassen. Es sprach eben Mr. Ward, einer der Minister, wie ich glaube. Ziemlich langweilig. Dann stand ein Konservativer auf, How-Vane oder wie er hieß. Drosch das oft gedroschene Stroh. Ward unterbrochen, verspottet, nahm's übel, berief sich auf das Recht, seine Meinung zu sagen. Plötzliche Bewegung, alles drängt sich, die Zuseher stehen auf. O'Connell fängt an, zu sprechen. Wenn je ein Mensch alle äußern Eigenschaften eines Redners vereinigte, so ist er's. Tüchtige Gestalt, tiefes klingendes Organ, leichte, treffende Bewegungen; im Spott wie im Donner des Ernstes gleich wirksam. Was er sagte, schien nicht viel Neues, wenigstens was ich davon verstand. Auch war der Fluß seiner Rede nicht immer ununterbrochen, nicht so ununterbrochen als bei der Feuerflamme Shiel. Des Lärmens und Beifalls war kein Ende. Er spie Invektiven und Persönlichkeiten, so daß ihn der Sprecher zurecht weisen mußte. Jeden Augenblick unterbrach ihn seine Partei mit Geschrei und Jubel, so daß er fast keinen Satz aussprechen konnte. Die Irländer scheinen vortreffliche Deklamatoren, die Engländer gute Redner, Sprecher möchte ich eher sagen. Aus der Vereinigung beider würde der gute Redner hervorgehen. Am Ende seiner Rede eine ungeheure Bewegung unter den Mitgliedern, deren Ursache ich nicht abnehmen konnte. Vielleicht wollte man schon abstimmen. Da ertönt plötzlich eine klare, ruhige Stimme, es war Sir Robert Peel. Meine Kraft aber war erschöpft. Ich konnte nicht mehr sitzen. Von sieben Uhr bis ein Uhr gedrängt, bestürmt, ohne Haltpunkt, von der Aufmerksamkeit auf die mir nur halb verständliche Sprache aufgerieben. Dazu drängte mein Begleiter, ein Deutscher aus demselben Kosthause, der trotz seiner athletischen Konstitution nicht mehr aushalten konnte und der den notwendigen Hausschlüssel mit sich führte (die vorige Nacht hatte ich eine halbe Stunde mit Klingeln zubringen müssen). Es war gegen ein Uhr. Ich konnte nicht mehr hören, verstehen schon gar nicht. Dazu peinigte mich ein kaum mehr auszuhaltender Durst. Die Zeitungen mußten ja doch den weitern Verfolg erzählen. Ich ging und schlief wie ein Toter bis neun Uhr in den Tag hinein.
Samstag, den 4. Juni. Gar zu gewöhnlicher Tag. Mußte einige Einkäufe machen; wollte Figdor besuchen. Zuerst zur Gesandtschaft. Fand den unfindbaren Legationssekretär wieder nicht. Sprach mit einem der Beamten und trug ihm mein Anliegen wegen des Eintritts in die Pairskammer vor. Hierauf mit Dankel in die City. Kaufte Rasiermesser, die schlecht waren. Zu Figdor, den ich nicht zu Hause antraf. Holte bereits gekaufte East-India-Schnupftücher, die ziemlich häßlich sind, ab, und so war der Vormittag vertrödelt.
Schon während des Mittagsessens fing es zu gießen an. Ich wollte in die italienische Oper, was denn nun nicht möglich war. Hatte vormittags die beiden Nummern des Morning Chronicle gekauft, die die Reden enthielten, die ich mit angehört hatte. Las jetzt bis zum Erblinden das Gehörte nach und fand die Reden, mit Ausnahme der von Lord Morpeth, unbedeutender, als ich mir vorgestellt hatte. Spielte, da es zu regnen nicht aufhörte, ein kasuelles Whist und zu Bette.
Sonntag, 5. Juni. Wer weiß, was für ein schreckliches Ding ein Sonntag in London ist, wird meine Lage begreifen, wenn ich sage, daß es schon am frühen Morgen zu regnen anfing und mit kurzen Unterbrechungen erst am Abende aufhörte. Wollte eine Partie in die Umgegend machen, allenfalls nach Windsor. Das ward alles durch das Wetter zerstört. Wendete den Vormittag an, teils meine Zeitungen zu lesen und mich so in der Sprache zu üben, größtenteils aber die ausgelassenen Tage in meinem Reise-Journal nachzutragen und dieses so gewissermaßen zu vervollständigen. Freilich sind die ersten Eindrücke unter dem Schwall neuer Dinge vergessen; doch ist es besser so, und in der Folge wird, hoffe ich, die Erinnerung an manches Uebergangene mit Hilfe des wenigen Niedergeschriebenen wieder erwachen und mir die Möglichkeit geben, das Bild dieser ungeheuern Stadt für alle kommenden Tage bei mir festzuhalten. Was mich gleich anfangs daran hinderte, Tag für Tag das Erlebte aufzuzeichnen, war das völlig Unbehagliche meiner Lage. Schlecht bewohnt, unzufrieden, kaum im stande, mir Tinte zu verschaffen, durch das abgeschmackte Boarding-Leben, wo das gemeinschaftliche Frühstück den halben Morgen wegnimmt und die Notwendigkeit, den Plan der Stadt zu studieren, um sich auf seine Exkursionen vorzubereiten, die andere Hälfte. Kurz, es war rein unmöglich, und gesteh' ich's nur, meine wenige Bekanntschaft mit der Sprache, die mir allenfalls erlaubte, mich selbst zur Not auszudrücken, mir aber, was die andern sagten, beinahe unverständlich machte, setzte mich so ziemlich in die Lage eines Schiffbrüchigen, der im löchrigen Kahn allein in der Unermeßlichkeit des Weltmeers herumtreibt. Doch hoffe ich, dem Zweck meiner Reise, Wiedergewinnung der eigenen Selbstthätigkeit und der Möglichkeit, mit Menschen beisammen zu sein, durch alle diese Drangsale hier näher gerückt zu sein, als in Paris, wo mir alles entgegen kam und gerade durch die Unzweckmäßigkeit der Berührung mich störte und verwirrte.
Heute also, nachdem ich bis gegen drei Uhr geschrieben, benützte ich vor Tisch eine regenlose halbe Stunde, um ein paar Straßen zu durchlaufen und mir einige körperliche Bewegung zu verschaffen. Mittagsmahl um fünf Uhr, wie hier des Sonntags gewöhnlich, um den Dienstleuten einen längern Nachmittag zu verschaffen. Nach Tisch ein wenig mit einem der hier wohnenden Engländer gelesen, dann wieder ins Freie durch die sonntäglich wenig belebten Straßen. Bei geschlossenen Buden gibt die Stadt mit ihren schwarzen gleichförmigen Häusern einen traurigen Anblick, Durch Oxford-street, Regent's-street, Picadilly in den Hydepark. Achillesstatue zum Andenken Wellingtons und seiner Armee. Die einbrechende Dunkelheit verbot, weiter in den Park einzudringen, der hübsch genug aussieht. Zurück, vom Wege abgewichen, mich in den Straßen von Grosvenor Square verirrt, durch einen artigen jungen Mann wieder in die Oxford-street zurückgebracht. Nach Hause. Sah den jungen Leuten zu, die der Langweile des Sonntags durch Kinderspiele Herr zu werden versuchten, weshalb die Frau und Tochter vom Hause in echt englischer Sonntagsabgötterei sich entfernt hatten. Die Theezeit war längst vorüber. Etwas Käse mit Brot that die nämlichen Dienste. Zu Bette.
Montag, 6. Juni. Wollte zu Figdor gehen, vorher aber meines Passes wegen ins Alien-office. Erhielt meinen Paß ohne Bezahlung einer Taxe, eine Folge der neuen Einrichtungen, zufolge deren das ganze Alien-office mit 1. Juli aufzuhören hat. Sehr würdig dieses freien Landes, nicht mehr die Fremden allein als Knechte zu behandeln. Besah die Westminsterhalle, die mir früher entgangen war. Groß, wüst, aber von ausgezeichneter Arbeit in den Skulpturen der ungeheuern Bogen und Tragsteine. Letztere Jagdgegenstände. Aus der Halle die Eingänge in die verschiedenen Gerichtshöfe. Vice-Chancellors court, court of common pleas, Kingsbench. Ging in jeden derselben und wohnte den Verhandlungen bei. Bewunderungswürdige Ueberlegenheit der Richter in Auseinandersetzung der Fälle und augenblicklicher Zurechtführung der Advokaten. Hierauf nach dem Strand. Die Adelaidengalerie besehen. Vor dem Eingange ein hübsches Mädchen von kaum fünfzehn Jahren, gut gekleidet, so betrunken, daß sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Teilte demungeachtet Ohrfeigen und Riesenpüffe an die Vorübergehenden aus, die sie zum Gegenstande ihrer Neugier machten. Die Galerie höchst merkwürdig. Eine Masse mechanischer Erfindungen und physikalischer Experimente. Auffallende Beweise von der Einerleiheit der magnetischen und elektrischen Kraft. Dampfkanone, die mit sekundenübereilender Schnelligkeit einzelne Kugeln und mit fürchterlichem Geprassel ganze Hagel auf einmal fortschleudert. Verlor einige Stunden im Warten auf die mikroskopischen Darstellungen, da mehr Leute da waren, als das geräumige Zimmer auf einmal fassen konnte. Es war fünf Uhr, als ich herauskam, und ein schnell einfallender Platzregen nötigte mich, mit höchster Eile meine Wohnung zu suchen.
Nach Tisch ins Drurylanetheater. Das Mädchen von Artois, original englische Oper von Balfé. Einzelne hübsche Sachen. Das Ganze langweilig und bunt. Mde. Malibran vortrefflicher als jemals. Eine ihrer Arien, ein schönes Duett. Vor allem aber eine Art Walzer, der das Ganze höchst unschicklich schließt, den sie aber mit einer Virtuosität sang, die alles hinter sich läßt. Dieser leichte Wechsel von hohen und tiefen Tönen in dem schnellsten Zeitmaße, diese völlig ausgebildeten Pralltriller, dieser vollendete Geschmack im Uebergehen zu der wiederkehrenden Anfangsmelodie, dieses Aufjubeln, diese tiefe Empfindung. Die Pasta geht ihr gewiß an Tiefe und Großartigkeit vor, sie aber ist unendlich mannigfaltiger, frei genialer. In den Passagen nach aufwärts ist manchmal ein Anklang von Stoßweisen, überhaupt nicht die vollendete Nettigkeit der Fodor, manchmal ein stumpfer Ton in Verbindung der Höhe mit der Tiefe, der fortgesetzte Triller nicht so bestimmt, so tonreich als bei mancher ihrer großen Nebenbuhlerinnen, aber als Ganzes steht sie gewiß den Besten nicht nach und übertrifft sie alle als Theatersängerin in ausgedehntestem Bereich.
Als ich gegen Mitternacht nach Hause kam, fand ich einen Brief vom Legationsrat, der mir eine Karte zur Pairssitzung für diesen Abend übersendete. Natürlich nicht zu benützen. Sonderbare Gefälligkeit, mehr um eine Bitte abzuthun, als wirklich förderlich zu sein.
Dienstag, 7. Juni. Wollte die Familie Figdor vor ihrer Abreise sehen, ward durch einen Besuch Prägers weit über meine Absicht lange zu Hause gehalten. Nach Wallbrook-street. Fand die Figdors nicht. Trieb mich in der City herum, wo ich Rasiermesser und sonst einiges kaufte, von dem immer wieder losbrechenden Regen aber fortwährend in der Nähe der Börse gehalten wurde, wo doch der bedeckte Gang einigen Schutz darbot. Endlich, um nicht ganz durchnäßt zu werden, zeitlich nach Hause.
Abends trotz Regen ins italienische Theater; L'assedio di Corinto. Ich habe der Grisi bisher unrecht gethan. Das ist eine so vortreffliche Sängerin, als je eine war. Weniger stark leidenschaftlich, aber dafür immer wohltönend. Anfangs dieselbe Neigung zum Zuhochsingen, als da ich sie das erste Mal hörte. Später setzte sich alles zurecht. Ich habe diese Oper oft aufführen gesehen, aber erst heute gehört. Sie hat eine Leichtigkeit und Annehmlichkeit der Stimme wie selten eine Primadonna, die meistens schon halb ausgesungen sind, wenn sie zu den letzten Stufen gelangen. Der Chor schlecht. Von den übrigen liebe ich weder Tamburini besonders, noch Rubini überhaupt. Lablache taugt nicht mehr für den Priester, der ihm immer zu tief lag, besonders aber jetzt, wo seine Stimme sehr in Verfall ist. Aber ihr Zusammenwirken, wie natürlich, vortrefflich. Die Ausstattung viel kleinlicher als in Paris.
Mittwoch, 8. Juni. Frühmorgens kam der junge Figdor zu mir, dessen Angehörige eben abgereist waren und der mich nach dem Kolosseum abholte. Sahen das Panorama von London, das an Großartigkeit und Treue nichts zu wünschen übrig läßt, aber doch etwas gar zu bleich und verwaschen in der Farbe geraten ist. Wie ungeheuer! Aber der Eindruck Wiens vom Kahlenberge ist auch nicht kleiner. In den Straßen selbst merkt man, wie groß London ist. Drauf die Schweizer Hütte, eine Spielerei mit einigen artigen Einzelheiten. Darauf Straßen auf und ab. Corn-exchange, ein ungeheures Gebäude zum Behuf des Getreidehandels. Verabredeten für nächsten Samstag eine Partie nach Windsor. Morgen ist großes Dankfest der Pfarrschulen in St. Paul. Mittags zu Hause.
Abends ging ich in Astleys Theater, um es doch auch gesehen zu haben. Schlechte Spektakelstücke. Reiterkünste besser, als man sie irgend sieht. Eine Miß als Pferdeabrichterin, mit einem herrlichen Pferde voll Gelehrigkeit. Machte darauf im einfachen eleganten Reithabit die Reitschule zum wahren Genusse. Gruppierungen, Menschenpyramiden, von wirklichen oder vorgeblichen Beduinen dargestellt, bis zum Unglaublichen. Besondere Meister in den unmöglichsten Gliederverrenkungen, Seiltänzer ziemlich schlecht. Der eine fiel derb aufs Maul, daß er forthinkte. Ein königlicher Prachteinzug, nur in Paris überboten. Ein Wettrennen von Knaben auf kleinen Ponnies, den großen aufs täuschendste nachgeahmt. Ging endlich, übersatt.
Donnerstag, 9. Früh morgens mit Figdor und einem andern deutschen Kaufmanne in die St. Paulskirche, die mit endlosen Stufen zum Kinderfest hergerichtet war. Rings unter der ungeheuern Kuppel um das, was man bei uns Presbyterium nennt, die emporsteigenden Sitze, deren ich sechzehn übereinander zählte. Raum für achttausend Kinder. In der Mitte ein Predigtstuhl, im Fond die Orgel. Die Versammlung im ganzen bis vierzehntausend Menschen. Die Zuseher waren bald versammelt, unabsehbar, außer der Peterskirche in Rom nichts damit vergleichbar. Nach und nach stellten sich die Kinder ein. Nach den Pfarren in verschiedenen Farben gekleidet. Die Knaben höchst barock, die Mädchen, obwohl im Kostüme alter Weiber, doch durch die außerordentliche Reinlichkeit ihrer Hauben, Schürzen und Halskrägen nach Pilgerschnitt, sämtlich glänzend weiß, ein wohlthuender Anblick. Blau, grün, rot in allen Schattierungen, schwarz, braun, grau, die Mädchen von unten hinansteigend, die Knaben von oben herab. Als alle achttausend beisammen waren, gab es einen Anblick, dessen gleichen in der Welt nicht ist. Gegen die Orgel zu ein Fächer von lauter Mädchen, schneeweiß, von dunkeln Knaben eingesäumt, wahrhaftig wie eine Engelsglorie. Die andern saßen horizontal geteilt. Die weißen Mädchen bildeten die Schneeregion des Menschengebirges, nur fiel sie umgekehrt nach unten. Hie und da war die gleiche Linie durch einen Hauben- und Schürzenzwickel nach oben malerisch unterbrochen. Langweilige Gebete, von Chören unterbrochen, die die achttausend Kinder sangen, wie ein Donnerwetter, im Sopranschlüssel gesetzt. Die ziemlich schweren Sachen gingen besser, als ich gedacht hatte. Der protestantische Erzbischof über ganz Irland (all Ireland, Gott verdamm ihn!) hielt eine Predigt, die er selbst verstanden haben mag. Der hundertdreizehnte Psalm recht gut komponiert. Ein Alleluja von Händel, das den Kindern denn doch zu bunt war. Endlich nach dritthalb Stunden ein nicht unwillkommenes Ende. Wir, die wir schon um zehn Uhr da waren, hatten eigentlich fünf Stunden ausgehalten.
Ging mit Figdor ins London-Kaffeehaus, wo er mich traktierte. Vortreffliche englische Küche. Salm, für einen Kaiser zu gut. Roastbeef über alle Vorstellung. Johannisbeertorte für einen großbritannischen Gaumen. Grüne Erbsen, in Wasser abgekocht. Grüner Salat, roh zu essen, was wir bleiben ließen. Stilskäse, dem nichts gleichkommt. Das Couvert vier Schillinge. Dazu Ale, Hochheimer und zum Schluß etwas Sherry. Hernach in den Zigarrendiwan, wo für einen Schilling die Person eine Zigarre und eine Tasse schlechten Kaffee erhält. Zeitungen in Ueberfluß. Sah und las seit beinahe drei Monaten zum erstenmale wieder die Allgemeine Zeitung. Unter anderm, der Kaiser von Oestreich habe den Erzherzog Ludwig zum Mitglied des Staatsministeriums ernannt, ihn, der so lange die obersten Geschäfte halb selbständig leitete. Ist das eine Erhöhung oder Erniedrigung?
Ging darauf in die italienische Oper. Marino Falieri von Donizetti. Hübsche Sachen. Die Grisi gefiel mir nicht. Tamburini hat offenbar seine Stimme verloren. Lablache der Beste, ohne sonderlich zu sein. Die Chöre ein Skandal. Mit mir in derselben Loge ein recht artiger Engländer, der recht leidlich französisch sprach und die Musik zu goutieren schien. Zwei seltene Eigenschaften in diesem Lande.
Ich komme um Mitternacht nach Hause und finde, daß die jungen Leute sich eine kleine Abend- oder Morgenunterhaltung machen, wobei sie einen Höllenlärm verbringen. Ich will noch ein wenig schreiben, vielleicht kriegen sie's mittlerweile satt.
Die Ordnung war bewundernswürdig in der Paulskirche, nur störte, was aber nicht anders sein konnte, das Kommandomäßige gewisser Handlungen. So bedeckten bei manchen Stellen der Gebete die Kinder auf ein Tempo sich die Augen mit Händen und Schürzen, was ein wenig heuchlerisch aussah, high-church-mäßig. Die Prinzessin Viktoria war da mit ihrer Mutter und dem Herzog von Oranien. Sie saß anfangs zu unterst, mitten unter den Kindern. Da nun aber die Leute auf die Bänke stiegen, um sie zu sehen, trotz der Stewards, die unermüdlich die Obenstehenden mit ihren Stäben berührten und zur Anständigkeit aufforderten, verließ sie ihren Platz und setzte sich in den Chor. Da kehrten sich denn die dort sitzenden Mädchen mit dem Gesichte nach ihr und machten in einem Tempo ihr unablässige Verneigungen, so daß das Ganze aussah wie ein wallendes Meer. Mitten unter den Gebeten fiel es auf einmal ein paar Schulbuben ein, ihr ein lautes Hurra (Hurräh) zu bringen, in das das ganze Kinderheer einstimmte, zum offenbaren Mißvergnügen des Erzbischofs von Armagh (eines hochtoristischen Lords Beresford); auch scheinen die Kleinen einen Wink zur Unterlassung bekommen zu haben, denn es blieb bei diesem einmaligen Ruf, was sonst nicht in der hiesigen Sitte ist.
Die jungen Leute lärmen noch immer fort. Mein Licht ist zu Ende, ich will mich daher zu Bette legen, vielleicht nimmt es doch bald ein Ende.
Freitag, den 10. Es war ein förmlicher Ball im Hause, was ich nicht wußte, da ich des Mittags auswärts gegessen hatte. Man tobte bis zum hellen Morgen, so daß ich kein Auge zuthun konnte.
Beim Frühstück erfahre ich, daß der Legationssekretär gestern noch einmal dagewesen ist. Das scheint denn doch mehr als leere Höflichkeit. Will versuchen, ihn heute zu sprechen.
Mir thut leid, daß ich Raumers Werk über England vor meiner Abreise nicht lesen konnte oder vielmehr nur in den letzten beschäftigten zwei Tagen durchblättern. Will es zu Hause nachholen. Hier gefällt er den Radikalen sehr, die Tories schimpfen über ihn. Auch in der Allgemeinen Zeitung, die ich gestern las, wird er heftig angegriffen. Auf deutsche Weise, d. h. ungeschickt. Der Mensch hat viele gute Eigenschaften, und nur eine üble, die aber bei einem historischen Schriftsteller alle andern zerstört. Er ist kein Mann. Wer aber das nicht schon bei der Geschichte der Hohenstaufen sah, dem ist nicht zu helfen. Manchmal erinnert er sich des Johannes Müller, dann dringt er auf Tugend, Religiosität, und was weiß ich. Dann fällt ihm wieder ein, daß er ein Freund Tiecks ist, und nun gerät er in einen Tieckischen moralischen Indifferentismus, den Tieck Goethen nachgeahmt hat und er Tiecken. Manchmal thut er liberal, um nicht hinter Rotteck an Popularität zu stehen, dann will er's doch mit der preußischen Regierung nicht verderben und modifiziert seine Ansichten, daß nichts übrig bleibt, als was allenfalls im märkischen Sande auch aufkeimen könnte. In Deutschland merkt man aber derlei spät, weil die gesunde Stimme des Publikums für nichts gilt, sondern Lob und Tadel von einigen miserablen Tagblattschreibern ausgeht. Mir ist der Mann immer widerlich gewesen. Eine Art Hormayr, mit mehr Fleiß und weniger Persönlichkeit, übrigens von leidlicherem Charakter.
Beschloß, einen Versuch zu machen, mit meiner Karte vom verflossenen Montag heute in die Pairskammer zu gehen. Vorher zum Gesandtschaftssekretär Humelauer, den ich auch diesmal zu Hause fand. Offenbar ein gescheiter Mensch, doch vielleicht davon zu sehr überzeugt. Seine Augen sind es, durch die das östreichische Kabinett die hiesigen Dinge ansieht. Ich las den östreichischen Beobachter in seinen Worten. In Bezug auf die Lügenhaftigkeit der Whigs und Tories ist er meiner Meinung. Keine der beiden Parteien getraut sich, zu sagen, was sie will. Daher sind ihre Reden so leer, und sie machen sich wechselseitig so leicht lächerlich, weil nämlich ihre vernünftige Absicht nie ausgesprochen wird. Die Radikalen hält er für die einzigen Vernünftigen und Talentvollen. Eine Revolution im demokratischen Sinne, mit Staatsbankerutt u. s. w., scheint ihm unvermeidlich. Was ich nicht glaube und nur dann möglich würde, wenn die gemäßigten Tories noch länger sich von den Whigs entfernt halten und diese dadurch zwingen, ihre Majorität bei den Radikalen zu suchen. Aber auch dann wird's nicht geschehen. Eher kommen die Tories wieder ans Ruder. Der Geist der Masse ist offenbar monarchisch.
Ich kam um halb drei Uhr ins Oberhaus und suchte als ein Fremder, der London demnächst verlassen muß und der durch Unwohlsein gehindert wurde, von seiner Karte zu gehöriger Zeit Gebrauch zu machen, Einlaß. Ward auf halb fünf Uhr beschieden, da der door-keeper nicht zugegen war. Ging unterdes in den Court of common pleas, wo eben eine schlüpfrige Materie verhandelt wurde. Eine verheiratete Frau, die sich bei Gelegenheit einer Landpartie auf einem Seitenfußsteige brauchen ließ. Es war merkwürdig, mit welcher Ernsthaftigkeit die Richter die unanständigsten Zeugenaussagen herablasen und niemand lachte oder zischelte. Der Advokat sprach ausgezeichnet. Ging, eh es zu einem Abschluß kam. Ward in die Pairskammer glücklich eingelassen. Der Saal klein, hochrot ausgeschlagen. Im Fond der Thron, ein zwölf Schritt davor der Wollsack des Lordkanzlers. Die Bischöfe, obwohl in der Opposition, doch auf der rechten ministeriellen Seite sitzend. Es waren kaum ein halb Dutzend Mitglieder da, die unterdessen sich in kurzen Wechselreden übten. Nach und nach füllte sich das Haus. Einer der ersten Lord Wellington. Er sieht entschlossen und doch geistlos aus, was er auch ist. Die Rede war von Bestechungen bei den Wahlen, mit offenbarer Hinsicht auf einen bestimmten Fall. Wellington sprach, kurz und stockend. Ein paar Ministerielle, der eine fließend, der andere nicht übel. Alle Reden kurz. Ein Oppositionslord sehr gut. Bittschriften wurden eingebracht. Ein ministerieller Graf Shrewsburn scheint ein ausgezeichneter junger Mann. Ein Bischof sprach gegen die Minister. Lord Melbourne, der nicht gut aussieht und fast schmutzig gekleidet war, weißen Hut auf dem Kopfe, einen Knittel in der Hand, antwortete kräftig, im Gefühl der Ueberlegenheit. Lyndhurst stand auf; allgemeine Aufmerksamkeit. Ihm antwortete Melbourne heftig, drohend, beleidigend. Lyndhurst wies die Vorwürfe nicht auf die höflichste Art von sich. Es entstand eine Pause. Ich ging, da es nahe an sieben Uhr war und ich noch nicht gegessen hatte. Speiste im Strand, recht gut. Ich hatte mich mit Figdor zusammenbestellt, bei einer deutschen Familie Thee zu nehmen. Als ich nach Hause kam, war er da gewesen, aber schon wieder fortgegangen. Fand einen Zettel von ihm, wodurch die Partie nach Windsor auf morgen vier Uhr nachmittags festgesetzt ward.
Blieb zu Hause und brachte den Abend zu, wie es eben gehen wollte.
Samstag, 11. Hatte verschiedenes vor, beschloß aber zu Figdor zu gehen, um das Nähere wegen der Partie nach Windsor zu erfahren. Fand ihn dort mit ein paar preußischen Windbeuteln, die ihn um Geld prellen wollten, die er aber herzhaft ablaufen ließ. Endlich kam auch Götvös, ein armer Teufel von Ungar, der nach Nordamerika auswandern will. Gingen endlich zu unserm dritten Reisegefährten, der aber drohenden Wetters halber nicht mit wollte. Uns fing auch an die Lust zu vergehen, da der Himmel jeden Augenblick Regen drohte und ein kalter Westwind jede Annehmlichkeit hinwegnahm. Ich wäre gern in die Gerichtshöfe gegangen, der Sprache wegen; wollte aber Figdor nicht beleidigen, der sich meinetwegen von allen Geschäften freigemacht hatte, und so gingen wir in der Stadt herum, besahen eine Society of arts, in dem schlechte Maschinenmodelle standen und nicht viel bessere Bilder hingen. Hunger-ford-Market, einiges Beiläufige. Gingen ins Hôtel de la Sablonière essen. Abends nach Haymarket ins Theater, wo man School for Scandal gab. Das Spiel teilweise sehr gut. Miß Tree als Lady Teazle ausgezeichnet. Miß E. Philipps fiel mir wegen ihres echt englischen Wesens in Sprache und Benehmen nicht unangenehm auf. Vandehoff als Joseph Surface gut, manchmal etwas gesucht. Gut Vining als Charles, nur gibt er die Weigerung, des Onkels Bild zu verkaufen, gleich von vornherein zu ernsthaft. Mrs. Glover als Klatscherin sehr brav. Mr. Webster, Sir Peter Teazle, hat die üble Gewohnheit, aus Streben nach Mimik fortwährend die häßlichsten Gesichter zu schneiden, was einen unerträglichen Eindruck macht und die Mimik doch nicht ersetzt. Sonst viel Gutes. Im ganzen war die Darstellung doch nicht à la hauteur des Stückes. Man merkte das Theater vom zweiten Rang.
In Verys Kaffeehaus, Regent's-street, noch ein Glas Eis genommen und die Abendzeitungen gelesen. Große Aufregung unter den Leuten. Man glaubt, es müsse zu einem Bruche mit dem Oberhause kommen. Die Tories sind vorige Nacht in einer Minorität von 86 geblieben, und doch scheint nicht, daß sie nachgeben wollen. Schein trügt oft.
Sonntag, den 12. Fuhr mit Figdor um zehn Uhr nach Windsor. War, des Sonntags wegen, nicht im stande, eine Tasse Thee in London zu bekommen, und mußte daher nüchtern die 27 englischen Meilen machen. Die Gegend dahin weniger schön, als nach der übertriebenen Beschreibung eins glauben sollte. Wir saßen outside, und es fing an zu regnen, hörte aber zum Glück bald auf. Doch schien der Tag gefährlich bleiben zu wollen. Windsor-Castle macht bei Vormittagbeleuchtung keinen besonderen Eindruck. Die gotische Bauart, verbunden mit dem abgeputzten, neuen Ansehen, hat etwas Disharmonierendes, Spielwerkartiges. Auch da die Gegend ohne Berge, ja (den Hügel, auf dem das Schloß liegt, abgerechnet), selbst ohne Anhöhen ist, macht die gerade Beleuchtung von oben einen kahlen Eindruck. Nahmen in der Eile ein unentbehrliches Frühstück und gingen in den Park, nachdem wir für sechs Uhr Platz zur Rückkehr bestellt hatten und das Schloß, als den nächsten Gegenstand, für die letzte Stunde vor der Abfahrt aufsparten. Der Park ist schön, doch wüßte ich nicht, worin das Besondere läge, vornehmlich für einen, der aus Oestreichs schönen Gegenden kömmt und nicht aus dem Berliner Tiergarten. Die kolossale Statue Georgs des Dritten. Hatten so viel von den Virginia Waters reden gehört, daß wir sehr lüstern nach ihnen waren. Der Park war ganz menschenleer. Gingen kreuz und quer durch zwei Stunden, bis wir endlich das Wunderwerk erreichten, das so unbedeutend ist, als etwas in der Welt. Ein artiges Stück Wasser, leidlich von Baumgruppen umgeben. Ein paar Segelschiffe darauf. Soll ein chinesischer Tempel da sein, in den man aber nicht hinein darf, wenigstens nicht am bigotten Sonntage. Hatten uns in unserer (nicht meiner) Hartnäckigkeit so übergangen, daß wir erst gegen halb sechs Uhr nach Windsor zurückkamen. Wollten das Schloß nachholen. Der eingeschlagene Weg ward uns, als nur für die königliche Familie bestimmt, verwehrt. Mußten einen andern einschlagen, verloren den letzten Rest der Zeit und konnten, da ohnedies das Innere des Schlosses am Sonntag nicht zu sehen war, kaum einen schnellen Ueberblick des Gebäudes und der Aussicht von der Terrasse gewinnen. Letzterer ist bei Abendbeleuchtung wirklich bezaubernd. Die längeren Schatten geben Mannigfaltigkeit, das rote Licht mischt den schönen Rasen mit Gold. Ohnehin ist die Umsicht weit, durch nichts als die natürliche Entfernung beschränkt. Die Massen des Schlosses lösen sich voneinander ab. Es verliert das Kartenhausmäßige und zeigt sich schön. Die Terrasse selbst wunderhübsch mit Blumen und Statuen. Heute war Musik da, viel Spaziergänger. Die Luft so weich, rein und angenehm, als irgendwo in der Welt. Ein bezaubernder Ort.
Mußten einsitzen und zur Stadt zurück, da nach sechs Uhr keine stage-coach mehr fährt. Im Wagen zwei Wiener. Schnelle Bekanntschaft. Aßen mit ihnen um zehn Uhr nachts zu Mittag im Hôtel de la Sablonière, wo sie wohnen. Figdor macht sich unliebenswürdig. Die Fremden gefallen ihm nicht, und er weder ihnen noch mir. Der Verlust eines Schnupftuches ihn ärgerlicher gemacht, als billig. Vor elf Uhr trennen wir uns. Der Spaß hat einen Sovereign gekostet, was er wahrlich nicht wert ist.
Montag, 13. Juni. Ging zu Figdor, der in seiner Gutmütigkeit sich für verpflichtet hält, mir die letzten Tage meines hiesigen Aufenthaltes noch die Honneurs der Stadt zu machen. Und ich gehe fleißig zu ihm, obschon mir's wahrhaftig lieber wäre, meine Zeit allein zu benützen. Geradeso war's in Paris mit Brant.
Nu also, heute war mein Paß bei der östreichischen Gesandtschaft zu visieren. Wir gingen zusammen hin. An der Krontaverne, im Strand, drängten sich die Leute. Unten im Eingange lag eine Petition zur Unterschrift, oben war ein Meeting. Wir gingen hinauf. Im Saale, von Menschen umringt, waren Hustings, auf denen ein ziemlich übel aussehender Mann schwadronierte. Der Anteil der Zuhörer schien nicht sehr groß, als auf einmal Lärm entsteht. Zudrängen, Geheul, Schreien: throw him out! throw her out! Ich glaubte, ein Taschendieb sei ertappt worden. Es war aber Mistreß Courtenay mit ihrem dreizehn- oder vierzehnjährigen Burschen, den sie für O'Connells Sohn ausgibt. Sie hatte diese Gelegenheit benützen wollen, um ihre Ansprüche geltend zu machen, hatte sprechen wollen und wurde eben jetzt im strengsten Wortverstande hinausgeworfen. Anfangs that sie etwas weinerlich, auf der Straße aber gesellte sie sich ziemlich ruhig zu einigen, die sie da erwarteten, und ging mit ihnen fort, als ob nichts geschehen wäre. Sie und der Bube sehen ziemlich ärmlich aus, letzterer hat rotes Haar, was der gerühmten Ähnlichkeit mit dem schwarzhaarigen O'Connell nicht sehr entspricht.
Darauf besahen wir die Kensington Gardens mit dem Palast der Prinzessin Viktoria. Die Gärten wunderschön, eine schöne Natur mit sorgfältig versteckter Kunst. Der Palast ein wunderliches Gemäuer, ziegelrot, im Geschmack des St. James-Palace. Der freie, grüne, von Baumgruppen begrenzte Platz vor dem Schlosse das reizendst Großartige, was man irgend sehen kann. Es war nahe an sieben Uhr, daher zu spät, zum Essen nach Hause zu gehn. Fuhren im Omnibus. Eine ordentlich aussehende Dame, die behauptet, ihren Geldbeutel verloren zu haben, und der ich daher einen Schilling borge, den Wagen bezahlen zu können. In Coventgarden gespeist, in einem vortrefflichen, aber unsinnig teuern Hotel. Roastbeef, von einer Zartheit wie Lammsfleisch, Moselwein, recht gut, aber für eine halbe Million. Abends ins Coventgardentheater. Eine neue Oper oder, wie es heißt: Operatic romance, The sexton of Cologne. Die Sänger nicht übel, die Musik leidlich, Dekorationen verschwenderisch. Darauf The hunchback, in dem der Verfasser Sheridan Knowles selbst spielte. Er nahm die Rolle lustiger, als bei uns geschieht und überhaupt, wie es scheint, geschehen sollte. Miß Faucits eine vortreffliche Schauspielerin. Manchmal mit etwas Uebertreibung. Aber was für natürliche Vollkommenheit! Ich weiß nichts so Imposantes in Deutschland. Das ist der Ausdruck. Imposant sind die hiesigen besseren Schauspieler. Ich weiß außer der Schröder keinen imposanten Schauspieler in Deutschland. Schöne Figur, schönes Haar, prächtiges Auge, herrliches Organ. Nichts hingeworfen, vernachlässigt, alles gehalten. Die Deutschen streben bis zur Unbedeutenheit, natürlich zu sein; hier wissen sie wenigstens, daß sie eine Kunst ausüben.
Frechheit der Weiber in den Korridors. Uebrigens alle hübsch und prächtig gekleidet. Gegen Mitternacht nach Hause.
Dienstag 14. Juni. Ging mit Figdor, einen Platz im Dampfboot zu nehmen, das übermorgen nach Antwerpen abgeht. Nur noch die letzte Kajüte erhalten. Pässe besorgt. Den Entlaßschein in Alien-office. Darauf ins warme Schwimmbad. Recht hübsch, aber halb unreinlich, halb unanständig. Man muß nackt ins Wasser gehn, das, wie natürlich, nicht ohne Spuren der Badenden ist. Darauf nach dem Strand zu Tisch.
Abends in die italienische Oper. Othello. Die Grisi vortrefflich, ihre beste Rolle. Rubini den Othello, lächerlich! Er läßt eben alles fallen, was den Charakter zum Charakter macht. Tamburini, Jago. Winter, Rodrigo. Chöre und Orchester besser als gewöhnlich.
Vormittags sah ich im Vorübergehen bei einem Wirtsgarten zwei Boxer. Es war von vornherein nicht im Ernst gemeint, und doch gaben sie sich Schläge auf Kopf und Brust, daß es weithin tönte. Scheußlich, ich mußte gehen.
Mittwoch, den 15. Ging noch einiges besorgen, dann eingepackt, eingepackt, eingepackt. Der Tag heiß, wie im August, der Schweiß lief mir stromweise vom Leibe. Um sechs Uhr holte mich Figdor ins Hôtel de la Sablonière ab, um mit vier Landsleuten zu speisen. Herr Miesbach, sein Neffe und zwei Ungarn. Artige Leute. Miesbach traktiert mit Champagner.
Nach Tisch ins Strandtheater, das ich noch nicht gesehn. Sehr klein, aber artig. Sehr gute Schauspielerin, deren Namen ich vergessen. Früh mit Figdor nach Hause. Vorher aber noch jeder bei Very drei Gläser Eis gegessen, so unerträglich heiß war es.
Donnerstag, 16. Juni. Tag der Abreise. Wieder gepackt, die Rechnung bezahlt, die die gute Frau Williams doch höher angesetzt, als anfangs ausgemacht war. Uebrigens doch billig. Frühstück. Ein junger Deutscher, der im Hause wohnt, Schultze aus Mecklenburg, will die Reise bis Mainz mitmachen. Ist ein artiger Mensch. Figdor kommt. Ein Wagen wird geholt. Abschied. Mistreß Williams hat Thränen in den Augen. Auch die kleine Bella scheint betrübt. Händedruck, Good by! und in den Wagen. Das Custom-house ist erreicht, die Effekten in ein Boot gebracht, wir rudern zum Dampfschiffe. Figdor begleitet uns an Bord. Das Schiff ist keins der hübschesten, auch keins der schnellsten, wie man sagt. Erst vor 14 Tagen mußte es drei Tage bei Vließingen liegen bleiben, weil die Maschine brach. Es heißt »Der Tourist«. Besehe mir die Kajüte, ein Hundestall, obgleich innen von Mahagoni und Bronze. Das Verdeck voll Reisender, fast ausschließlich Engländer.
Ich fürchtete ein wenig das Meer, denn ich war schon beim Einsteigen ins Schiff so gut als seekrank, wahrscheinlich vom gestrigen Champagner. Ich wußte mir in der Eile nicht besser zu helfen, als ein großes Glas Grog zu trinken, was wirklich half.
Um halb eilf Uhr fahren wir ab, bei regnichtem, aber windstillem Wetter. Machen noch einmal, zum letztenmal, die Wasserstraße von London durch. Schon sind die ostindischen Docks erreicht. Die Häuser werden spärlicher, verlieren sich. Die Themse schwillt zum See an, die Ufer weichen immer weiter zurück, werden unscheinbarer; verschwinden. Wir sind in offener See. Man deckt zum Mittagmahle auf dem Verdeck, in den Kajüten. Ich nehme teil und trinke zur Magenstärkung eine Pint Sherry. Der Tag haspelt sich ab. Kurze Konversationen. Ein artiger Schwede, der deutsch spricht. Ein andrer, nur des Französischen mächtig. Eine englische Familie, die mir wohlgefällt. Der Vater ein Lebemann, zwei erwachsene Söhne wie junge Jagdhunde, und die Mutter noch jetzt schön. Ein paar andere nicht üble Frauenzimmer; Abendthee. Es hat geregnet und wird nun immer kälter und kälter. Ich nehme meinen Mantel, und da außer Regen und Kälte auch schon die Nacht anfängt, die Gegenstände unkenntlich zu machen, gehe in die Kajüte, die mit Matratzen und Schläfern besät ist. Krieche in mein Loch. Fange zwei- bis dreimal an, einzuschlafen, werde aber immer wieder durch Lärm aufgeweckt. Wache zum letztenmal auf und kann nun nicht mehr einschlafen. Die Ausdünstung so vieler Schlafenden war unerträglich. Endlich werden die Kajütenfenster licht. Ich gehe aufs Verdeck, es ist halb vier Uhr, Schultze ist schon da. Die hübschesten Weiber und Mädchen liegen in Betten und Mäntel eingehüllt, kreuz und quer auf dem Deck. Die Zimperlichsten lümmeln herum, wie die Lastträger. Die Temperatur erträglich. Feiner Regen rieselt noch immer. Bald zeigt sich rechts ein Streifen Land. Es ist die belgische Küste, links Walcheren, wir laufen in die Schelde ein. Unzahl von Seehunden, die auf einer Sandbank spielen und sich ins Meer stürzen. Vließingen. Holländische Fregatte. Ein neuer Lotse an Bord gebracht, Frühstück, Erwartung. Endlich ein senkrechter Nebelstreif, der Turm der Kathedrale von Antwerpen. Die Schelde verengt sich zum Fluß. Wir sind in der Stadt. Artiges Benehmen der Zollbeamten. Keine Frage nach einem Passe. Wir beschließen, samt den beiden Schweden, ins Gasthaus St. Antoine zu gehen, von welchem aus ein Aufwärter zum Menschenfang aufs Schiff gesendet worden ist. Wandelte durch die altertümliche Stadt. Nur halb altdeutsch, halb vielleicht spanisch. Gute Zimmer im Gasthof. Sogleich in den Dom. Wunderschön. Der Turm scheint aus der Ferne größer, ist aber von herrlicher Arbeit. Das Aeußere schwunghafter als Notre Dame, das Innere mit fünf fast gleichbreiten Schiffen (und darin Notre Dame nachstehend, wo das Hauptschiff breiter ist), durch Anweißen verdorben. Sonst herrlich. Und was für Gemälde: Rubens' Kreuzabnahme, gewiß das edelste Bild dieses Malers, an die besten Italiener erinnernd. Die Himmelfahrt Mariä, an der die Jungfrau selbst der schwächste Teil. Noch mehrere gute, ja vortreffliche Sachen. Die Kirche selbst durch eine Kuppel merkwürdig, was sonst bei altdeutschen Kirchen nicht der Fall ist. Nach Tisch ins Museum. Ein vortrefflicher Quentin Metsys. Mehrere vortreffliche Sachen. Der bekannte Christus, auf Marias Schoße liegend, von Van Dyk. Ausgezeichnetes von de Voß. Die einbrechende Dunkelheit verbot längere Besichtigung. Ein wenig durch die Stadt. Das schöne Rathaus, durch Abbildungen bekannt. Die Stadt scheint sehr herabgekommen, oder ist es der Abstich von dem lauten, riesenhaften London, was diesen Eindruck macht? In drei Stunden nicht eine Kutsche gesehen. Nach Hause. Thee getrunken, um zehn Uhr zu Bette.
Samstag, 18. Juni. Gut, aber kurz geschlafen. Um halb vier Uhr wach und um halb sechs aufgestanden. Nach langer Zeit wieder einmal zum Frühstück Kaffee genommen, der mir nicht behagt. Freilich ist auch der hiesige Thee nicht der englische.
Hierauf fort in die St. Jakobskirche. Zu sagen, was da für Schätze von Gemälden sich vorfinden, scheint unmöglich: Ein toter Christus von Van Dyk. Rubens: als heiliger Georg mit seinen drei Weibern. Christus und die Ehebrecherin, von Rubens' Lehrmeister, wo, wie mir dünkt, Christus' Charakter besser getroffen ist, als in irgend einer andern Darstellung dieser Art. Eine Innigkeit in Blick und Stellung, die, bei all seiner Größe, Rubens ihm nicht abgelernt hat. Eine Versuchung des heiligen Antonius mit der Chiffre Albrecht Dürers. Vortrefflich, aber, wie mir scheint, nicht in der Manier dieses Malers. Gemalte Fenster, die ihresgleichen in der Welt nicht haben. Die Geschichte von Rudolf von Habsburg und dem Priester, von Albrecht und seiner Gattin Isabella gestiftet. Es ist ein Reichtum zum Erdrücken. Maler, größer als ihr Name, und solche, deren Name größer ist als sie. Antwerpen ist, außer den italienischen Städten, die merkwürdigste in Kunstrücksicht, weil all das weder gekauft, noch gestohlen ist, sondern hier gewachsen.
Darauf in die Citadelle. Die Belagerungsgeschichte im Detail angehört. Wenn Chassé seine Drohung erfüllt und diese Kunstsachen zerstört hätte, man müßte ihn mit den türkischen Helden in Athen in eine Reihe stellen. Darauf in die Franziskanerkirche. Die berühmte Geißelung von Rubens. Eine Kreuztragung von Van Dyk, nicht vollendet, verderbt. Der Kopf des Erlösers unübertrefflich. Am Hochaltar drei Marmorgruppen, darunter eine Jungfrau Maria, die, nicht im Stil, aber in der Lebendigkeit des Ausdrucks, nicht ihresgleichen hat. Nach Tisch auf der Eisenbahn nach Brüssel. Das Land ein Garten. Niemand fragte nach unseren Pässen.
Zu Brüssel im Hôtel de Suède abgestiegen, unsern schwedischen Reisebegleitern zuliebe. Abends noch mit Schultze die Stadt durchstreift. Einige schöne Straßen. Der Park sehr angenehm. Schöner botanischer Garten, einer Privatgesellschaft angehörig. Das Gebäude zweckmäßig und schön. Früh zu Bette.
Sonntag, 19. Juni. Gut geschlafen. Vielleicht eine Folge des vortrefflichen Bettes, das, weiß wie Schnee, das Darinliegen zu einem wirklichen Genuß machte. Um zehn Uhr zu vieren ausgegangen. Zuerst ins Museum. Ein Reichtum von vortrefflichen Sachen. Die Bekanntschaft eines Malers, wie mir wenigstens scheint, vom ersten Range gemacht. Kaspar de Crayer, von dem eine Masse ausgezeichneter Bilder hier sind. Rubens nicht besser als überall. Van Dyk sich selbst beinahe unähnlich. Sehr gute Jordaens. Ein merkwürdiger Ruysdael u. s. w., an vierhundert Stück, sehr gut erhalten. Meine Begleiter hatten weniger Geduld als ich, mußte daher die älteren Sachen ziemlich schnell abfertigen. Von ganz neuen ein nach meinem Urteil vortreffliches Stück, die Revolution von 1830 darstellend. Ich weiß kein Bild, neue Ereignisse darstellend, das ich diesem vorziehen, ja nur gleichstellen möchte, höchstens die Farbe gegen den Vordergrund zu etwas bleich, aber komponiert, gedacht, gefühlt, wie wenig. Der Meister ist wahrscheinlich in der Kunstwelt allbekannt, ich weiß ihn nicht.
Darauf in den Palast des Prinzen von Oranien. Mußten bei einer Stunde warten, bis man uns einführte, uns Pantoffel anziehen ließ und durch einige Prachtzimmer hetzte, so daß man einen Raphael, Paul Veronese, Perugino nur im Fluge sehen konnte. Der Führer vertröstete auf einen künftigen Tag, da heute der Zudrang zu groß war. Für mich gibt's hier leider keinen künftigen Tag, besonders da, wenn man auch noch einen zugeben wollte, der Montag ebenso tumultuarisch sein soll. Dann zerstreuten sich meine Begleiter, und ich besah allein das Hôtel de ville, ein imposantes Gebäude, und die Kirche St. Gudule mit den vortrefflichsten Fenstergemälden, besonders, wie mir schien, auf der rechten Seite des Presbyteriums. Meisterhaftes Schnitzwerk unter der Kanzel: Adam und Eva mit dem Apfel, Engel und Tod dabei, das schönste Laubwerk mit Vögeln und Tieren, Suchte auch eine Kirche der Notre Dame, die in Büchern gerühmt wird, konnte sie aber nicht finden, weil es drei Kirchen dieses Namens mit verschiedenen Beinamen in Brüssel gibt. Fragte mich sterbensmüde in den Gasthof zurück.
Die Stadt recht hübsch, nur unbequem wegen der Ungleichheit des Bodens. Ganz nach Pariser Sitte alle Buden am Sonntag offen.
Nach Tisch ein wenig die Stadt durchstrichen. Nahmen Abschied von unsern schwedischen Freunden, die ins Theater gingen. (Einer ist ein Graf Rosen, der andere ein Baron. Seinen Namen habe ich nicht behalten, obschon er der Liebenswürdigere war. Beide Offiziere.) Nahmen Thee. Um acht Uhr auf die Post und fort nach Lüttich. Fanden einen recht angenehmen Deutschen mit seiner Frau. Noch einen Deutschen, der besoffen war, von einem auf den andern fiel und stets zu speien drohte. Die kalte Nacht schlaflos vorübergegangen. Gegen acht Uhr Ankunft in Lüttich. Hübsche Stadt. Wenn Hoffnung gewesen wäre, jenes berühmte große Fabriksetablissement zu sehen, wären wir geblieben. Man sprach uns aber alle Hoffnung ab. Wir wollten die Sehenswürdigkeiten der Stadt betrachten, es regnete in Strömen. Da beschlossen wir, nach zwei Stunden wieder fortzufahren. Da wir nicht wußten, wo der Ort des Einsteigens war und im Thore des Posthauses stehen blieben, fuhr mit einemal der Wagen an uns vorüber, und kaum konnten wir ihn laufend einholen. Die Spitzbuben hatten, statt uns, eine ganze belgische Familie mit zwei ungerechneten Kindern aufgenommen, die nun im Wagen standen, saßen, wie es gehen wollte. Ein Engländer mit dem deutschen Namen Meyer und seine artige Frau fuhren mit. Ein Frankfurter Goldarbeiter, aufgeweckt und gescheit. Die Unterhaltung war ganz angenehm. Preußische Grenze; Paßabgabe. Endlich Aachen. Höfliche, nachahmenswürdige Behandlung auf dem Zollhause. Wir kehren im Gasthofe zur Kaiserkrone ein. Notmittagsmahl, durch eine große Flasche Rheinwein verbessert. Darauf ausgegangen. Das Rathaus besehen mit dem Krönungssaale, wo der König von Preußen in knapper Lieutenantsuniform an der ehrwürdigen Stelle hängt. Haben denn diese Diebe gar kein Schicklichkeitsgefühl. Es war zu spät, den Dom anders als von außen zu besehen. Gingen auf einen artig bepflanzten Hügel am Rande der Stadt, besahen im Abendgrauen die wunderschöne Gegend, nahmen Thee und gingen zu Bette.
Dienstag, 21. Um fünf Uhr aufgestanden, da die Post nach Köln um halb sieben Uhr abgeht. Finden auf dem Posthause unsern Engländer mit seiner Frau wieder, auch das deutsche Ehepaar, mit dem wir die Fahrt nach Lüttich gemacht. Ein nicht übles Frauenzimmer aus Köln, wozu endlich ein zierlich in eine Blouse mit Perlenschnüren und Puffärmeln gekleideter junger Mensch kam, der eine erbärmliche Geschichte erzählte, wie er, längere Zeit in Rußland abwesend, als Konskriptionsflüchtiger citiert, eingesperrt, bedroht, und was weiß ich alles, worden sei. Er gehe jetzt nach Köln, in ein Regiment eingereiht zu werden. Das Mitleid mit ihm ward durch seine unverkennbare Geckerei geschwächt. Die Engländerin ist offenbar ungehalten, daß Schultze, der ein hübscher Bursche ist, mit der Kölnerin spricht, statt mit ihr. Eine Meile vor Köln wird noch zu Mittag gegessen, obgleich es erst zwölf Uhr ist. Köln. Wir kommen mit Regen an, und es regnet noch jetzt in Strömen, wo ich, den alten Rhein mit der Schiffbrücke unter mir, auf der Stube sitze und dieses niederschreibe. Beim Rheinberg eingekehrt. Hübsche Stuben, herrliche Aussicht. Gleich nach der Ankunft gehe ich mit dem Engländer und seiner Frau, den Dom zu besehen. Herrlich. Ich weiß nicht, ist ein Teil der Vorhalle nicht ausgebaut oder zerstört. Das Schiff von einer erstaunlichen Höhe. Die Säulen schön. Die Fenstergemälde des Presbyteriums vortrefflich, doch meiner Meinung nach unter denen in den niederländischen Kirchen. Leider überall durch Baugerüste der Eindruck gestört oder genommen. Von Bildern ein einziges altes merkwürdiges, dessen Meister mir entfallen ist. Besehen für zwei Thaler die Schätze. Unendlich reich, sehenswert, damit man sie gesehen habe. War wegen der Regengüsse und der einbrechenden Dunkelheit unmöglich, jenes berühmte Rubenssche Bild in einer der hiesigen Kirchen zu besehen. Habe ihrer genug gesehen.
Mittwoch, 22. Morgens um halb sieben Uhr besteigen wir das Dampfschiff Concordia bei drohendem Wetter. Die Einrichtung des Schiffes hübsch, die Kajüte offenbar zu klein für so viele Passagiere. Der behagliche Engländer mit seiner ganzen Familie und seinem Bedienten, in dem ich bald einen Oestreicher erkenne, ist da, meine neue englische Bekanntschaft. Ein junger Indier, der – etwas deutsch spricht. Ein Berliner Kaufmann und ein Mecklenburger Arzt, letzterer ein liebenswürdiger Mensch, mit welch beiden ich bald in nähere Berührung komme. Die Ufer von Köln aus unbedeutend, das Wetter immer schlechter, endlich in einen Platzregen übergehend, der der Schirme und Mäntel spottet und uns in die Kajüte zurückjagt. Unterhalte mich mit meinem Lütticher Engländer und seiner Frau. Er ist, wie ich erfahre, ein Musiker, Harfenspieler, den ein Armbruch zwingt, sich zurückzuziehen. Man ist froh, die Langeweile durch das Mittagmahl unterbrochen zu sehen. Endlich Bonn erreicht. Wunderschöne Lage. Der Engländer mit seiner Frau verläßt uns. Oder war das vor dem Mittagsessen. Von Bonn an verschönern sich die Ufer. Das Wetter wird etwas leidlicher, man kann mit dem Regenschirm auf dem Verdecke aufhalten. Doch ist an der Gegend eben nicht so viel Besonderes. Rolandseck. Das große Schloß Rheineck, das ein Prinz von Preußen herstellen ließ und bewohnt. Schöne Lage von Andernach. Endlich Koblenz mit der Festung Ehrenbreitstein. Schlechte Zimmer im Gasthause. Das Wetter hatte sich aufgeklärt. Wir bestiegen den Ehrenbreitstein, ohne aber ins Innerste der Festung zu gelangen, da nach sieben Uhr keine Erlaubnis mehr gegeben wird. Abendessen. Schlechte Nacht, durch die dumpfe Feuchtigkeit des Zimmers veranlaßt.
Donnerstag, 23. Früh morgens auf das Dampfschiff gestiegen. Der herrlichste Tag. Schultze nimmt Abschied, er geht von Koblenz nach Ems. Mein erster Blick trifft auf jenen wunderlichen Schnurrbart, den ich in Antwerpen an der Wirtstafel für einen Oestreicher erkannt hatte. Er nähert sich uns. Nach den ersten Späßen zeigte sich gar bald, daß das ein völlig gescheiter Mensch ist, voll guter Einfälle und nichts weniger als kenntnislos. Er machte uns die ganze Fahrt zu einer eigentlichen Lustpartie, fast mehr, als mir lieb war. Der Eindruck des Tages wird mir nie verlöschen. In orientalischer Behaglichkeit etabliert, die wunderschöne Gegend an sich vorübergleiten zu lassen. Endlich auf dem Verdeck getafelt, ohne durch die Rheinweingläser an irgend einer Aussicht gehindert zu sein. Das Außerordentliche der Lage ist auch die Hauptwürze, denn die Gegenden, so schön sie sind, haben doch ihresgleichen gar viel in der Welt, mit Ausnahme der Ruinen, die nirgends so schön und so häufig anzutreffen sind. Die Brüder, Katze und Maus, Rheinfels, St. Goar, vornehmlich Bacharach. Bei Bingen verliert sich die Schönheit, und man ist, vom Sehen müde, endlich froh, Mainz zu erreichen, das wunderschön daliegt. In Mainz noch herumgeschlendert. Die Rheinbrücke besehen. Zu Tische. Vortrefflichen Hochheimer getrunken. Unser Wiener, ein Sohn des vormaligen Stabsarztes Zang, erheitert fortwährend die Gesellschaft und söhnt unsern Berliner Kaufmann mit den Oestreichern aus.
Freitag, 24. Juni. Morgens die Domkirche besehen. Wunderliches Gebäude, schon durch seinen Turm von allen ähnlichen verschieden. Von innen nur ein Teil alt, der übrige unbedeutend. Grabmal Frauenlobs. Nach den sogenannten Anlagen, gegenüber dem Einflusse des Mains in den Rhein. Schöne Aussicht. Um eilf Uhr in den Wagen und nach Wiesbaden. Große Hitze. Wiesbaden schöner Badeort. Hazardspiele im herrlichen Kursaale. Nach Tische fort nach Frankfurt, drohende Gewitter. Die Gesellschaft ist höchst aufgeräumt. In Frankfurt beim Schwan eingekehrt.
Samstag, den 25. Frankfurt besehen. Den Römer mit seiner ehrwürdigen Halle und abgeschmackten Sälen. Die Erinnerung ausgenommen. Danneckers Ariadne. Schönes Werk. Der Kopf ohne Ausdruck. Der Leib höchst lobenswert, nur, wie mir scheint, ohne jene feinen Nuancen des Lebendigen, das die Antiken so sehr auszeichnet. Die Bildergalerie verschlossen. In Goethes Haus Eintritt zu erhalten, war nicht möglich, begnügte mich, das Aeußere anzustarren. Mittagsessen. Die Gesellschaft trennt sich. Ich nehme einen Platz nach Stuttgart. Zang und der Arzt nach Würzburg. Rosenberg, der Berliner, bleibt, geht aber Geschäften nach. Herzlicher Abschied. Ich durchstreife allein die Stadt, immer mit Bezug auf Goethe. Von wo der Mensch ausgeht, dahin kömmt er endlich zurück. Goethe fing mit den Ritterburgen und Naturschönheiten seines Jugendgesichtskreises an, kam bald in das bereits Förmliche der Nachahmung der Antike und hörte mit den Schnörkeln und der Steifheit seines Geburtsortes auf. Ehre und Bewunderung ihm, wo er das Rechte im Mittel traf, wo er abirrte und selbst, wo er's irgendwo verfehlte. Um acht Uhr nach Stuttgart.
Sonntag, 26. Die Nacht hindurch erlaubte der Mond, die Schönheit der Bergstraße zu genießen. Merkwürdige Gleichförmigkeit der links fortlaufenden Berge. Gegen Morgen etwas Schlaf. Um vier Uhr in Heidelberg angekommen. Ging sogleich, das Schloß zu besehen. Es zu besteigen, verbot die Zeit. Schöne Lage, doch weniger grandios, als die Abbildungen versprechen. Um fünf Uhr fort mit einem dicken Irländer und einem recht angenehmen Belgier. Lästiger Reisetag, obgleich die Gegend schön genug. Mittagmahl zu Heilbronn, ohne Käthchen. Um sechs Uhr in Stuttgart angekommen, wo einer meiner Reisegefährten mich verleitet, im Schwan einzukehren, das ein ziemlich schlechter Gasthof scheint. Allein die Stadt durchstrichen. Altes königliches Schloß, merkwürdig nur seine Altertümlichkeit. Das neue schön genug. Die Anlagen unendlich lieblich. Blühende Orangenbäume, alles nach Wunsch. Um neun Uhr zu Tische. Nicht ganz gut gestimmt, wegen der Besuche, die es morgen zu machen gibt.
Montag, 27. Juni. War um zehn Uhr morgens bei Uhland, den ich der Kammersitzung wegen nicht zu Hause antraf. Ging in die Sitzung. Der Anblick des Saales würdig. Auch Uhland sprach, nicht ganz geläufig. Man sah, daß er es selbst fühlte und nicht mit sich zufrieden war Ueberhaupt die ganz kurzen Reden nicht bündig. Die Partei der Regierung und die Beamten sprachen am besten. Nach Tische wieder zu Uhland. Fand ihn mit seiner liebenswürdigen Frau. Er so einfach und gutmütig, als man sich ihn vorstellt. Anfangs etwas gepreßt, dann immer gemütlicher und freier. Gingen beide mitsammen in den Museumgarten und blieben bei einer Flasche Wein bis viertel auf zehn Uhr. Vorher besuchten wir Schwab, der aber nicht zu Hause war. Unsere Gespräche drehten sich um Litteratur, besonders alte deutsche und die neueste lyrische, die ihm nicht ganz so abschmeckend zu sein scheint, als mir, so daß ich geradezu Uhland für den einzigen echt lyrischen Dichter unserer Epoche halte. Abends nach Hause, von Uhland begleitet. Fand eine Karte von Schwab, der den Besuch bereits erwidert hatte, mich aber nicht zu Hause fand.
In München angekommen, fand ich Briefe mit der Nachricht, daß mein Bruder Karl Weib, Kinder und Amt verlassen, und die Amtskasse sich leer befunden habe. In Wien angekommen, klagte er sich eines Mordes an und gab alle Zeichen des Wahnsinnes. Es schließt sich somit mein Tagebuch.