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Ich war in der Januariuskirche, um das Wunder der Flüssigmachung des Blutes des Heiligen mit anzusehen. Leider konnte ich an dem eigentlichen Festtage, an dem Tage der Übertragung der Reliquien nämlich, nicht zugegen sein, wodurch ich den Hauptgenuß, den ersten Eindruck der Sache auf das Volk zu sehen, versäumte. Ich mußte mich daher mit der kirchlichen Feierlichkeit begnügen. In der Kapelle angelangt, fand ich sie weniger voll, als ich bei der allgemeinen Verehrung der Neapolitaner für ihren Heiligen vermutet hätte. Auf geziemendes Ansuchen bei einem der Bewahrer der Kirche ward mir und mehreren Fremden das Gitter des Altares geöffnet, so daß wir uns auf die Stufen reihen und die ganze Handlung aus der nächsten Nähe betrachten konnten. Während der Messe, die noch nicht zu Ende war, betrachtete ich mir die Kapelle. Geschmacklose Pracht schimmerte ringsherum. Eine Unzahl von Heiligenbüsten, durchaus von Silber, die silbernen Stirnen höchst widrig mit farbigen Infeln geziert, stand an den Wänden herum. Auf den Altären, deren größter gleichfalls massives Silber mit erhabenen Figuren war, wechselten silberne Leuchter mit Blumenstöcken, gleichfalls von Silber, wozu noch silberne ungeheure Kandelaber kamen, so daß das Auge von der Einförmigkeit dieses matt gearbeitet ohnehin nicht sehr gut in die Augen fallenden Metalles bis zum Überdruß ermüdet ward; besonders da der Kunstwert aller dieser Bildwerke nichts weniger als bedeutend ist. Kostbare Marmorgattungen bedecken die Wände, aber ohne daß die Verzierung irgendeinen erfreulichen Anblick gewährte. Endlich war die Messe geendigt, und die Zeremonie ging an. Das Volk, das bisher ruhig gewesen war, geriet nunmehr mit einem Male in Bewegung. Vorzüglich drängten sich die alten Weiber vor, denen man überall Platz machte und die, wie man mir sagte, einen Vorrang auch mit Grund ansprechen, da ein altes Weib es war, die das Blut des Heiligen, als er enthauptet ward, im Sand auffing und so den Schatz auf die Nachwelt brachte. Auch schrie ein solches Weib, das durch seine markierte Physiognomie sowie durch Grimassen und Geschrei während der Zeremonie sich vor allen auszeichnete, als man zögerte, sie vorzulassen: »Via! via! son parente del Santo!« Man brachte nun Blumen und Schmuck, was alles auf dem Altar ausgebreitet wurde. Endlich erschien ein Domherr mit dem Blute des Heiligen. Dieses befindet sich in zwei Phiolen von ungleicher Größe, die wieder beide in einem größern Gefäße eingeschlossen sind, das auf beiden Seiten mit Gläsern versehen ist und an Größe und Gestalt fast unsern Wagenlaternen gleicht. Beim Erscheinen dieses Heiligtums fing das Volk an, unbändig zu schreien, wobei sich besonders die Weiber wie Besessene gebärdeten. Das Blut ward in der Mitte eines Blumenstraußes auf dem Altare dem Anblick freigestellt, bis ein paar andere Geistliche die silberne und vergoldete Büste des Heiligen herbeigebracht und gleichfalls auf den Altar hingestellt hatten. Das Bild ward nun seines einfachen Mantels, seiner Bischofsmütze und eines umgehangenen Perlenschmuckes entkleidet und statt dessen in Goldstoff und Edelsteine gehüllt, aus welchen letzteren die Bischofsmütze ganz zusammengesetzt war, indes eine ungeheure Menge als Halsschmuck, als Sterne und Kreuze von allen Seiten herabhing. Nachdem nun der Heilige im Angesicht seines Blutes hingestellt war, ergriff der Domherr das letztere und zeigte es ringsherum, indem er dazusetzte: »È duro.« Das war es denn auch offenbar. Nach allen Seiten gewendet und geschüttelt, blieb es unverrückt in dem untern Teile der Fläschchen, und so weit war die Sache über alle Kritik. Nun faßte der Fungierende das Gefäß, wobei er den Stiel desselben in der geschlossenen rechten Hand hielt, den Daumen dieser letztern aber über den untern Rand des Gefäßes an die Seite des Glases legte. Dabei stand er auf einem Schemel, ohne Not, da schon die Stufen des Altares ihn hinlänglich erhöhten. (Ich konnte den Schemel nicht näher untersuchen, aber ich habe beinahe auf einen Isolierschemel gedacht.)
Nun gingen die Bemühungen an. Der Domherr, das Gefäß, und ein Priester hinter ihm, ein Licht in der Hand haltend, mit dem er manchmal hinleuchtete, den Fortgang der Liquefaktion zu beobachten, beteten laut, wobei das Volk schreiend einstimmte, indem es dem Heiligen alle ersinnlichen Schmeicheleien sagte, um ihn zu bewegen. Besonders wiederholten die Weiber immer in dem widerlichen Tone der aufdringlichsten Schmeichelei: »O che buono, che bello!«, womit sie den Heiligen meinten. Ungefähr zehn Minuten waren vorüber, und das Blut bewegte sich noch immer nicht. Das Volk ward lauter, die Geistlichen anscheinend ängstlicher.
Mir waren die Pfaffen interessant. Der Domherr, der das Blut hielt, war ausgelernt. Er machte eine so verzückte Miene, so begeisterte Augen, zitterte so natürlich und wischte sich so eifrig den Angstschweiß von der Stirne, daß man ihn für wahrhaft hätte halten können, hätte ich nicht bemerkt, wie er in der höchsten Ekstase immer verstohlen nach mir schielte, der ich ihn unverrückt beobachtete, und wie er unter all den Grimassen gewaltsam die Augen zusammenpreßte, um eine Träne herauszupressen, die aber nicht kam, daher er die wegwischte, die nicht da war. Weniger geschickt war sein Assistent, ein wohlgenährter, feister Pfaffe. Auch er drückte die Augen zusammen und tat ängstlich und andächtig, es wollte aber durchaus nicht vonstatten gehen, so widerspenstig war sein mit Fett ausgepolstertes, unbewegliches Gesicht. Nur ganz zuletzt, als es zur Traurigkeit durchaus schon zu spät und das Blut schon flüssig geworden war, erpreßte er eine Träne, mit der im Auge er sich triumphierend gegen die versammelte Menge wandte. Siebenundzwanzig Minuten waren bereits vorüber, und das Volk wurde bereits so laut, daß ich das Geschrei beinahe nicht mehr aushalten konnte, da fingen auf einmal die Gesichter der Priester an, sich zu verklären, das Licht ward hingehalten, und siehe da! das Blut floß. Was das Volk nun trieb, wie es tobte und schrie, davon kann man sich keine Vorstellung machen. Nun ward das Gefäß mit dem Blute im Kreise zum Küssen herumgereicht und jedem einzelnen besonders gezeigt, nach allen Seiten umgekehrt, vornen und hinten beleuchtet, um nur zu überzeugen, daß das Wunder wirklich geschehen sei. Überhaupt war das Betragen dieser Menschen bei der Zeremonie ganz das der Taschenspieler, die vor und nach ihren Kunststücken immer den Ärmel und Schoß sehen lassen und aufmerksam machen, daß alles ohne Betrug abgelaufen sei. Dieses immerwährende Hindeuten auf die Möglichkeit eines Betruges ist überhaupt höchst naiv. Man hat schon früher bemerkt, daß die Flüssigkeit in den Phiolen nicht die Substanz von Blut hat, weil es am Glase nicht anklebt, und so ist es auch. Zudem ward dieses Mal nur die Flüssigkeit in der größern Phiole fließend, die in der kleinern blieb fest, ohne daß jemand daran ein Arges genommen hätte. Merkwürdig war mir die Toleranz der Neapolitaner bei dieser Gelegenheit. Ich und ein paar Engländer, wir betrachteten die Flaschen mit mehr Neugierde und Mißtrauen als Andacht; aber man zeigte uns das Heiligtum darum nicht minder und unermüdlich, sooft wir es nur verlangten. Il miraculo fu fatto, und alles verlief sich.
Wir hatten einen Plan gemacht, nach dem wir unsere Exkursionen durch die Umgegenden Neapels einrichten wollten, und zufolge desselben sollte der Anfang mit der westlichen Seite gemacht und demnach zuerst der Meerbusen von Bajä mit seinen Trümmern und Naturwundern besucht werden. Am . . . Mai brachen wir, durch Mißverständnisse bis zehn Uhr vormittags verspätet, in zwei Wagen auf. Wir machten eine frohe Gesellschaft von jungen Männern aus, an Büchern und antiquarischen Nachweisungen fehlte es nicht, ebensowenig als an kalter Küche und vielleicht nur zu reichlichem Vorrat von Wein; der Tag war herrlich, kurz, es ließ sich mit Grund aller nur ersinnlicher Genuß im voraus versprechen. Am nordwestlichen Ufer des Golfs von Neapel läuft eine köstliche Hügelkette hin, die man den Posilipp nennt. Mit Landhäusern und anderen Gebäuden sowie mit Weinpflanzungen und Bäumen aller Art überdeckt, an seinem Fuße vom Meere bespült, gewährt er den reizendsten Anblick, den man sich nur irgend denken kann. Da wo seine Seite mit der Verlängerung der herrlichen Straße Chiaja zusammentrifft, ist, man weiß nicht von wem, der Hügel durchstochen und zu einer ungeheuren Pforte ausgehauen, stellt sich ein Durchgang dar, der, von einer Breite, daß drei Wagen nebeneinander ausweichen können, und so hoch, daß die beträchtliche Breite fast eng scheint, den ganzen Berg durchschneidet und nach einer unterirdischen Fahrt von mehr als zehn Minuten auf der andern Seite wieder ans Tageslicht führt. So schauerlich ist der Eingang in eine Gegend, die die Natur schon vor Jahrtausenden zum Schauplatz ihrer Schauerszenen gemacht hat. Nach einer ahndungsvollen Fahrt durch den hallenden Berggang, nachdem der Lichtpunkt, der schon am Eingange vom andern Ende herüberschimmerte, sich nach und nach zur Pforte vergrößert und als Ausgang den Wanderer von sich gelassen hat, stellt sich eine herrliche, üppig blühende Landschaft dem Auge dar. Auf einer vortrefflichen Straße, rechts und links mit Baumreihen und weiter hin mit Pflanzungen bedeckt, wo Weinreben von Ulme zu Ulme sich ihre Gehänge zureichen, dazwischen frischer Mais und Flachs mit blauen Blüten, gelangten wir wieder ans Meer, das, vom unbewölkten Himmel überwölbt, einen zweiten blauen Himmel aus seinen Wellen uns entgegenhielt. Die Wunder des Lago d'Agnano und seiner Umgebungen für den nächsten Tag versparend, schlugen wir den Weg ein, der links am Gestade des Meeres nach Puzzuoli führt. Hier ist die rechte Seite der Straße mit Felsenreihen besetzt, die den Anfang der Phlegräischen Felder machen und ihren vulkanischen Ursprung auf der grau und schwarzen, wild abgerissenen Oberfläche zur Schau tragen. Schauerlich ist der Anblick dieser Massen, deren Rücken aber, so kahl ihre Seiten sind, doch mit mannigfachem Grün und zum Teil selbst mit nutzbaren Pflanzungen bedeckt ist. Endlich, zwischen Meer und Felsen durch graue Staubwolken hingeschleppt, erblickten wir Puzzuoli, das auf einer Anhöhe malerisch daliegt. Diese Stadt, das alte Puteoli, der Schauplatz römischer Üppigkeit und römischen Frevels, ist am linken Gestade des Meerbusens von Bajä.
Es ward beschlossen, den Vesuv zu besteigen. Man hatte mir so viel von den Beschwerlichkeiten dieser Bergreise gesagt, daß ich, besonders da ich mich eben nicht wohl befand, beinahe Anstand nahm, sie mitzumachen. Nur das Verlangen, das Wunder in der Nähe zu sehen, und die Betrachtung, daß meine Gesundheit wohl während meines ganzen Aufenthaltes in dem mir nicht zuträglichen Neapel dem Unternehmen nie günstiger sein dürfte, bewogen mich, trotz des Abratens aller meiner Bekannten, in guter Gesellschaft es zu wagen. Freitags, am 14. Mai, fuhr ich mit Károlyi und Chialli nach Portici, wo wir bei Esterházy ein fröhliches Mahl einnahmen und dem Vesuv, der in seiner düstern Pracht vor uns lag, aus vollen Champagnergläsern nur allzuhäufige Lebehoch brachten. Endlich kam es zum Aufbruch, den die Freuden der Tafel wohl um zwei Stunden über unser erstes Vornehmen hinausgeschoben hatten, und wir fuhren um vier Uhr in zwei Wagen von Portici ab. In Resina, von wo aus man nicht mehr weiter zu Wagen gehen kann, hielten wir an und waren in einem Augenblicke von einem Haufen zerlumpter Kerls umringt, die, jeder einen gesattelten Esel an der Hand, uns ihr Tier zum Besteigen anboten, wobei sie mit entsetzlichem Geschrei sich bald untereinander wegdrängten und wegstießen, bald sogar an uns selbst Hand anlegten, um uns Zögernde kurz und gut auf die Tiere hinaufzuheben. Ich suchte mir aus dem Haufen den stärksten Kerl samt dem tüchtigsten Esel aus und machte mich so reisefertig. Bald war die ganze Gesellschaft im Sattel, und umringt von Eseltreibern und lärmenden Gassenbuben, die teils Wein und Orangen nachtrugen, teils durch Eselhalten oder andre kleine Handreichungen eine buona mano zu erhaschen hofften, traten wir unsern komisch-romantischen Zug an. Der Berg lag vor uns da, von den Strahlen der dem Untergang nahen Sonne malerisch beleuchtet, und der dicke Rauch, der seinem Gipfel entstieg, ließ auf eine interessante Nacht hoffen, was uns auch unsere Führer in voraus zusicherten. Man kann sich überhaupt nicht leicht etwas Schöneres denken als diesen Vesuv, besonders von der jenseitigen, der Stadt abgewendeten Seite betrachtet. Am Fuße mit herrlichem Grün bedeckt, schneiden sich die scharfen Konturen seiner höhern Teile durch ihr Schwarz herrlich von dem tiefblauen Himmel ab. Dazu die glühende Rauchsäule vom Gipfel und das blaugrüne Meer zu seinen Füßen – ich konnte während meines ganzen Aufenthaltes in Neapel nicht satt werden, ihn zu betrachten und mich zu freuen. Wir nun stiegen eben auf unsern Tieren den sanften Abhang hinauf, der von Resina zu dem Sattel führt, von dem aus die beiden Gipfel des Berges sich trennen und wo die Hütte eines Einsiedlers als Grenzscheide dasteht zwischen dem Gebiete der Menschen und dem freien Reiche der ungebändigten Natur. Anfangs geht der Weg sehr anmutig zwischen Rebengehängen und Baumgruppen, aber bald wirft das Ungeheuer den gleißenden Schein ab und steht da, schroff und kahl und schwarz wie das Verderben. Nun hatten wir einige Höhe erreicht und konnten die veralteten Ströme der Lava verfolgen, wie sie von Epoche zu Epoche ihren verwüstenden Lauf genommen hatten ins blühende Tal. Hier weit verbreitet der Ausbruch von 1794, der Torre del Greco begrub und bis ins kochende Meer hinab sich stürzte, an dessen Ufern er noch gestockt dasteht wie ein gesprengter Fels; dort frühere und spätere, die sich durch Farbe und Dichtigkeit leicht unterscheiden lassen. Gräßlich ist der Anblick dieser Lavafelder, die von nun an, fast durch keine Vegetation unterbrochen, sich schwarz und schroff bis zur Hütte des Einsiedlers hin erstrecken. Aber blickt man hinter sich, dann merkt man wohl, daß man sich trotz all des Greuels doch noch immer auf der schönen Erde befinde, wo das Gräßliche wohl auch vorkommt, aber nur als Ausnahme, unbeschadet der lieblichen Regel. Rechts, tief unten, das herrliche Neapel und der sorgenbrechende Pausilipp, links die reiche Küste von Castell a Mare und Sorrent, samt Vico, von seiner Felsenplatte hinabschauend ins abendbeleuchtete Meer, das sich unermeßlich ausbreitet, mit Inseln gekrönt. Hier begegneten wir der Kaiserin, die, grün verschleiert, auf einem Maultiere reitend, nur von ihrem Obersthofmeister und einigen Frauen begleitet, den Berg hinabstieg und sich fast feenhaft ausnahm, so beritten und begleitet mitten im Zauber dieser Wunderwelt. Symbolisch bedeutend dünkte uns allen das Erscheinen der herrlichen Frau gerade auf diesem Platze, der als ein versöhnender Vermittler daliegt zwischen des Berges schroffer Größe und der anmutigen Milde des Tales. Wir aber ritten aufwärts. Die Sonne senkte sich glühend ins glühende Meer, vor uns begann's zu dämmern, schon leuchteten die Rauchsäulen des Vesuvs, und die Lava brannte. Endlich war des Berges Sattel erreicht, und wir sahen die Hütte des Einsiedlers, wo das Pflanzenleben als Laub und Gras zum letzten Male sich zeigt und Abschied nimmt von dem Wanderer zur Behausung des Feuers. Ohne uns aufzuhalten, setzten wir unsern Weg weiter fort, um noch vor einbrechender Nacht den Gipfel zu erreichen, der bei völliger Dunkelheit beschwerlich zu erklimmen ist, und bald war der Ort erreicht, wo der Berg so schroff sich emporhebt, daß an kein Reiten mehr zu denken ist und man sich den eigenen Füßen vertrauen muß. Auf dem Wege dahin begegnete mir, vom Berg herabkommend, ein einzelner Wanderer, der mich beim Namen rief und mühsam sein Reittier auf mich zuzulenken suchte. Ich hielt an. Es war der preußische Major Seidel. Allein mit einem Führer und totenblaß. »Um's Himmels willen«, rief er mir zu, »wenn Ihnen Ihre Gesundheit lieb ist, kehren Sie jetzt noch um, da es Zeit ist! Man kann sich den Tod holen auf dem Berge!« – Ich, die leuchtenden Flammen des Vesuvs vor mir und von brennender Begierde angespornt, dachte weder an Gesundheit noch Gefahr, und mit lustigem Übermut für die Warnung dankend, ritt ich davon, dem allanziehenden Magnetberge entgegen. Jetzt waren wir am Fuße der letzten Spitze, auf deren Gipfel der Krater sich befindet. Wir stiegen von den Tieren, ergriffen mächtige Stöcke und folgten jeder unserm Führer, die, Gürtel um den Leib geschlungen, an denen man sich auf den beschwerlichsten Stellen anhalten kann, den Berg zu erklimmen begannen. Das ist nun wirklich ein höchst mühevolles Beginnen. Einmal ist der Berg ungemein steil, so daß, wenn nicht das lebhafte Interesse wäre, das er einflößt und das jede andere Betrachtung verschlingt, es einem manchmal schauerlich zumut werden müßte; dann wird das Klettern selbst noch dadurch sehr beschwerlich, daß man teils auf lockerm Geschiebe fortklimmt, das dem Tritte nachgibt und hinabrollend den Fuß nach sich zieht, teils in Sand und Asche, in der man waten muß bis an die Knöchel, teils endlich auf fester Lava, die durch ihre Zacken und Unebenheiten sehr beschwerlich wird. So klettert man wohl eine Stunde. Ich aber war so begeistert von dem, was ich sah, daß ich oben auf dem Gipfel mich kräftiger fühlte als unten am Fuß des Berges. Es war bereits dunkel geworden, als ein uns entgegenwehender schweflichter Dunst uns ankündigte, daß wir uns dem Feuerherde näherten. Zugleich fing der Boden unter unsern Füßen an warm zu werden; denn da der Lavastrom sich erst vor einigen Tagen geändert und aus der Richtung von Portici sich nach der Gegend von Torre del Greco hingezogen hatte, wandelten wir auf Lava, die nicht älter war als drei Tage und die erst auf der Oberfläche etwas abgekühlt war, unten aber noch glühte, wie wir leicht durch die tiefen Ritzen sehen konnten, die allenthalben klafften. Man sagte mir, das sei grausenhaft anzusehen, ich fand es nur begeisternd und erhaben. Habe Dank, Natur, daß es ein Land gibt, wo du herausgehst aus deiner Werkeltagsgeschäftigkeit und dich erweisest als Götterbraut und Weltenkönigin, habe Dank! Und mir sei vergönnt, dich von Zeit zu Zeit zu schauen in deiner Majestät, wenn du mich lange genug ermüdet hast in deiner Alltäglichkeit! – Dichter und dichter wurden die Dämpfe, heißer und heißer der Boden, da quoll's rechts hervor wie ein leuchtender Strom, und es war die Lava, die durch eine Seitenöffnung des Berges tief unter dem Krater sich glühend ergoß. Wir darauf hin über Rauch und Qualm. Der feurige Strom hatte sich eine Rinne gebildet aus seiner eigenen gestockten Masse, in dieser Rinne wälzte er sich nun, etwa ellenbreit, weitleuchtend fort. Wie geschmolzenes, schwerflüssiges Metall war sein langsamer Lauf, der in der Dunkelheit der bereits hereingebrochenen Nacht einen fürchterlich schönen Anblick darbot. Wir traten hinzu, ungeachtet der Hitze, die der im Innern eines Schmelzwerkes gleichkam und den Schweiß am ganzen Körper ausbrechen machte. Die Masse war so hochglühend, daß ein hineingestoßener Stock sich auf der Stelle entzündete, und so zäh und dicht, daß man nicht ohne Mühe tief hineinstechen konnte. Dabei war der Boden so heiß, daß man kaum einige Sekunden auf derselben Stelle stehen konnte und immer den Platz wechseln mußte. Meine Füße waren durch die Sohlen meiner ungewöhnlich starken Stiefel halb gebraten, als wir endlich uns entfernten, nachdem wir vorher sämtlich allerlei Münzen in herausgeholte Lava getaucht und diese zum Andenken mitgenommen hatten.
Nun galt es, den letzten Aschenhügel zu erklimmen, auf dessen Spitze sich der Krater befindet. Dieser letztere liegt eigentlich, von Portici aus betrachtet, etwas tiefer und wird von einer Spitze gedeckt, die, mit ihm zusammenhängend, ihn überragt.
Eine dritte Spitze desselben Lavahügels liegt fast in gleicher Höhe mit dem Krater weiter links. Wir begannen die obengenannte zweite Spitze zu erklettern, von der man, da sie höher liegt, den Krater übersehen und auch zu demselben hinabsteigen kann. Bis dahin hatte sich der Berg ziemlich ruhig verhalten. Regelmäßige Ausbrüche, von mäßigen Steinwürfen begleitet, die alle größtenteils wieder in den Krater zurückfielen, schienen unserm Unternehmen günstig zu sein. Aber eben, als wir nun hinaufzusteigen begannen, änderte sich die Szene. Nach einer Stille, die länger dauerte als sonst gewöhnlich, erdonnerte es tief unten, und mit einer hoch emporschlagenden Flamme flogen Hunderte von Steinen nach allen Richtungen durch die Luft. Noch erreichte uns zwar der Wurf der Steine nicht, aber wenn sie am Hügel niederfielen, sprangen die größten davon in weiten Sätzen den Abhang hinunter, so daß man kaum ausweichen konnte und statt auf den Weg immer in die Luft sehen mußte. Von diesen Steinen, die bis zu unsern Füßen fielen und wohl noch tiefer hinabrollten, waren einige größer als ein Menschenkopf und nicht etwa ausgebrannte leichte Schlacken, sondern dichte Felstrümmer, die wir kaum mit unsern Stöcken vom Platze fortschieben konnten, dabei so glühend, daß an einem derselben, der einen von uns beinah am Fuße beschädigt hatte, unsere Führer die Fackel anzündeten. Diese Ausbrüche wiederholten sich ohne Aufhören, so daß die glühenden Steine allenthalben herumflogen und wir zurückweichen mußten. Zugleich erklärten unsere Führer, daß sie um keinen Preis weiter vorgehen würden, da jeder Schritt todesgefährlich sein könne. Güte und Drohen war vergebens. Da es nun überdies wirklich Tollkühnheit gewesen wäre, sich in dunkler Nacht, auf einem unsichern Wege, Gefahr von unten und oben, dem fortwährenden Steinregen auszusetzen, so blieb nichts übrig, als das Besteigen des Kraters auf einen ruhigern Tag zu verschieben und sich für jetzt mit der Betrachtung der Ausbrüche zu begnügen, zu welchem Ende wir die Spitze links vom Krater bestiegen und nun in das uns gegenüberliegende Flammenmeer hineinsahen, ohne daß die Steinwürfe uns erreichen konnten. Unausgesetzt, als wollte er uns ein Fest geben, fuhr der Berg in seinen Ausbrüchen fort, die mit ungewöhnlicher Stärke jedesmal die ganze Gegend in Flammen setzten und ein Schauspiel darboten, mit dem nichts verglichen werden kann. Nachdem wir eine Stunde uns an der Herrlichkeit geweidet und vergeblich erwartet hatten, daß ein Nachlassen der Ausbrüche uns Gelegenheit verschaffen würde, dennoch den Krater zu besteigen, traten wir unsern Rückweg an, der auf einer andern Seite steilrecht durch Asche und Gerölle geht, in der man ganz eigentlich bis über die Knie waten muß. Wie wir nun mit großer Beschwerlichkeit beim Schein der Fackeln hinabglitten, die Hütte des Einsiedlers erreichten, ohne uns aufzuhalten, fortritten, um eilf Uhr nachts in Portici angelangt, die Bergfahrt – ebenso, wie wir sie begonnen – mit einem fröhlichen Mahle schlossen und endlich ziemlich ermüdet nach Neapel zurückkehrten, beut nichts dar, was einer besondern Erinnerung würdig wäre.
Als wir den Vesuv bestiegen, stießen wir auf eine Gesellschaft, die anfangs weit vor uns voraus war und nun, da wir bessere Kletterer waren, hinter uns zurückblieb. Unsere Führer, selbst Neapolitaner, wiesen hohnlachend auf die Zurückbleibenden, indem sie sagten: »È gente napolitannaccio, non hanno coraggio!«
Wir waren zur Revue aufs Campo di Marte gefahren. Daselbst angelangt, stiegen wir aus und hießen den Mietwagen warten. Die Musterung verspätete sich, und erst nach drei Stunden kehrten wir zum Wagen zurück. Schon von weitem winkte uns freudig der Kutscher, wie von einer großen Angst befreit. Wir stiegen ein. »Siehst du«, sagte der Kamerad unsers Kutschers zu diesem, »daß die Herren zurückgekommen sind! Du glaubtest schon, sie würden sich fortmachen, ohne zu zahlen! Sind's doch Fremde! Ja, wenn's Neapolitaner gewesen wären!« – Was soll man denken, wenn das Volk selbst von sich so urteilt! – So haben mich ganz unbekannte Leute auf der Straße erinnert, den aus der Tasche heraushängenden Zipfel des Schnupftuches einzustecken, damit es nicht gestohlen werde: »Es gibt gar schlechte Leute hier«, sagten sie.
Der König von Neapel befindet sich in einer komischen Verlegenheit. Er hat zur Zeit seiner höchsten Bedrängnis gelobt, dem heiligen Franz von Padua eine Kirche zu bauen. Kaum nach Neapel zurückgekehrt, fängt er an, auf einem dazu bereiteten Platze, dem königlichen Schlosse gegenüber, das Werk nach einem weitläuftigen Plane ausführen zu lassen. Nun wird ihm aber prophezeit, daß der Tag, an dem die Kirche vollendet sein werde, sein Todestag sei. Was nun tun? Dem Heiligen das Wort brechen? oder es erfüllen und sterben? – Es wird fortgebaut, durch drei Arbeiter nämlich, so daß der sechzigjährige König, was die Vollendung der Kirche betrifft, leicht noch einmal so alt werden kann, als er ist. – Noch ist zu merken, daß diese Kirche von dem Ertrag der Pacht der Hazardspiele gebaut wird. Ein wahrhaft gottgefälliges Werk!
In der hiesigen sehr elenden Kunstausstellung hat eines der bessern Bilder den Besuch des heiligen Franz von Paula in einem Nonnenkloster zum Gegenstand. Nonnen und Zöglinge der Schule umringen den Heiligen, der durch das Frische seiner Züge mich gleich beim ersten Anblick in Erstaunen setzte. Endlich löste man mir das Rätsel. Das Bild stellte eigentlich einen Besuch Murats in dem Kloster vor, und der Maler, besorgt, seine Mühe zu verlieren, übermalte die Figur des Exkönigs und kanonisierte ihn zum Heiligen.
Pulcinella versichert Kolombinen, er sei gar zu sehr in sie verliebt. Er habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Das machten die Flöhe, meint sie. »Gewiß nicht«, versichert er. »Ich habe mein Bett untersucht; es war rein, obschon ich die ganze Nacht von dir geträumt.«
Der Chirurg versicherte mich, es gäbe nie so viele Beinbrüche als in den Monaten Juli und August. Da sei die Zeit der Melonen. Diejenigen nun, welche derlei Früchte essen, würfen die abgenagten Schalen vor sich hin auf die Straße. Die Vorübergehenden treten auf die schlüpfrigen Schalen, gleiten aus und brechen zu Dutzenden die Beine. – O Polizei! Kannst du denn nur zuviel und zuwenig sein und nie genug!
Der Pulcinella der Neapolitaner hat eine Natürlichkeit und Gutmütigkeit, die dem Arlechin der Franzosen und übrigen Italiener fremd ist. Dasselbe gilt von der neapolitanischen Kolombine, die mit ihrer brausenden Lebhaftigkeit und ihrer spitzbübischen Naivetät ohne Arg eine sehr anziehende Figur macht. Die vorherrschende Gutmütigkeit in diesen beiden Nationalmasken läßt einen günstigen Schluß auf den Volkscharakter tun.
Wir waren auf Capo di Chino in Herrn Heugelins Villa, eine Stunde von der Stadt. Was sich doch der gute Mann Mühe gegeben hat, den herrlichen Hügel, den er an sich gebracht und der schon als der schönste Park aus den Händen der Natur hervorging, nach Möglichkeit zu verunstalten. Da hat er ein kleines Pompeji zusammenkleben lassen und kleine Tempel und kleine Katakomben, und das alles in einer Gegend, wo einem die großen Originale vor der Nase liegen. Da ist ein Tempel aller Religionen, in dem kaum ein einzelner Glaubensgenosse der katholischen, ich nämlich, sich umkehren konnte. Da ist alles Große im kleinen, daß einem angst und bange dabei wird und man beinahe den Maßstab aller Dinge darüber verliert. Auf der schönsten Aussicht des Gartens steht eine halblebensgroße Puppe in rotem altfränkischem Kleide, eine Knotenperücke auf dem Kopf und den Hut unterm Arm.
Im Zurückfahren befahl mein Begleiter dem Kutscher, uns über ponte scuro zu führen. Da ist in einer Gasse, die an einem Ende die Aufschrift »vico delle feminelle« und am andern »vico cavalcatori« führt, unfern von der porte capuana, der privilegierte Aufenthalt der gemeinen Huren. Diese Verworfenen, großenteils sehr hübsche Geschöpfe, sitzen da reihenweise auf Stühlen vor den nur ein Stockwerk hohen schmutzigen Häusern und rufen auffordernd die Vorübergehenden an. Soldaten, Matrosen und Kerls der niedrigsten Klasse stehen herum und erlauben sich alles. An der Ecke der Straße steht ein gefängnisartiges Haus, an dessen engvergitterten Fenstern gleichfalls Haufen von Dirnen standen, die noch ausgelassener uns anriefen als die frei herumgehenden. Es waren die Kranken, die, da hineingesperrt, mit frechem Lachen ihrem gänzlichen Verderben entgegensahen, dem sie, bei der Einrichtung des Hauses und dem Zustande der Arzneikunde in Neapel, kaum entgehen werden. Und im Angesichte dieses Hauses, dem gewissen Ziel aller dieser Unglücklichen, treiben die noch Verschonten sorglos ihr entsetzliches Handwerk fort. Wie wenig einträglich es ist, beweist die Erzählung eines östreichischen Hauptmanns, der mich versicherte, daß während des Aufenthaltes der Östreicher in Neapel die Gemeinen mit einem Laib Kommißbrot unter dem Arme in diese Gasse gegangen seien. Für die eine Hälfte des Brotes büßten sie auf der Stelle ihre Lust, für die andere Hälfte erhielten sie einen Schein, der noch für einmal freien Genuß gab.
Pharao ist ein eigentlich schändliches Spiel. Mit der brennenden Begierde im Busen in einer scheinbaren Ruhe dazusitzen und zu warten, bis die zögernden Verbindungen des langweiligen Spieles sich ergeben haben, hat etwas Empörendes und muß auf die Länge schlechte, heimtückische Menschen machen. Rouge et noir mag man spielen, wenn man sich selbst trauen darf. Da ist nichts zu verlieren als Geld, und um ein stagnantes Dasein aufzurühren, mag es unter Umständen nicht übel sein.