Franz Grillparzer
Studien zur deutschen Literatur – Zum eigenen Schaffen
Franz Grillparzer

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Zum eigenen Schaffen

1. Allgemeines.

(1811.)

In meinem Kopfe sieht's aus wie in Ungarn. Roher Stoff im Ueberfluß, aber Fleiß und Industrie fehlt; das Materiale wird nicht verarbeitet. Es gibt unter den Schriftstellern Leute, wie die Fischangelschmiede in England; aus einem Gedanken, den ein anderer als einen derben Barren hingeworfen hatte, schmieden sie 30 000 andere: die sind zwar klein, sehr klein, aber geschliffen und fein. Leider versteh' ich das nicht.


(1820.)

Daß ich bei länger dauernden Arbeiten leicht dem ersten Plane untreu werde, liegt auch mit darin, daß ich Lieblingsthemata und Ansichten in mir herum trage, die sich mir unbewußt einmischen, wo es nur immer möglich ist.


(1822.)

Ich weiß wohl, wie ich's machen sollte! Nicht lang über einem Werke brüten, das Größte und Kleinste, das Oberste und Unterste haarscharf ausrechnen und dann furchtlos beginnen. Viel schreiben sollt' ich, herausgießen die Fülle der Gedanken, wie sie der Gott gibt; unbekümmert über Fehler, wenn nur der Vorzüge mehr sind. Es wäre schlimm, wenn jedermann so arbeitete, aber ich sollte so thun. Jedermann muß seine Art, zu arbeiten, haben, wie jeder seine eigene Art, zu sein hat. Obige ist die meinige.


(1823.)

Ein poetisches Tagebuch zu führen, d. h. keinen Tag vorübergehen zu lassen (ausgenommen, während man mit größern Arbeiten beschäftigt ist), ohne die eben im Gemüt obwaltende Stimmung poetisch auszudrücken, das müßte für vieles helfen und vor allem zu Sammlung, Ruhe und Klarheit führen. Ich will mir's vornehmen.


(1834.)

Ich weiß, daß ich es nie erreichen werde, nach was ich strebe in der dramatischen Poesie: das Leben und die Form so zu vereinigen, daß beiden ihr volles Recht geschieht. Man wird es vielleicht nicht einmal ahnen, daß ich es gewollt, und doch kann ich nicht anders.


(1838.)

Mein Vorsatz ist: der Verstandes- und Meinungspoesie unserer Zeit nicht nachzugeben. Das Bild, die Gestalt, Gefühl und Phantasie festzuhalten und der Unmittelbarkeit der Anschauung zu gehorchen, die splitterrichtende Kritik mag dazu sagen, was sie will.


(1846.)

Die Jugendeindrücke wird man nicht los. Meinen eigenen Arbeiten merkt man an, daß ich in der Kindheit mich an den Geister- und Feenmärchen des Leopoldstädter Theaters ergötzt habe; aus Liszts Klavierspiel schlagen überall die Zigeuner vor.


(1849.)

Was mein – weniger absichtliches, als durch meine Natur gebotenes – Streben war und, wie es scheint, mir nicht gelungen ist, war, die Poesie dem Ursprünglichen, durchaus Bildlichen, die Berechtigung in der Empfindung und nicht im Gedanken Suchenden der alten Dichter näher zu bringen. Die neuern Dichter, so vortrefflich sie sein mögen, hatten mir immer so viel Beimischung von Prosa, so viel Lehr- und Reflexionsmäßiges, daß ich eigentliche Erquickung nur in der alten Poesie fand, wo die Gestalt noch der Gedanke und die Ueberzeugung der Beweis ist. Damit ist nicht jene alte Poesie gemeint, die jene Eigenschaft nur aus Unbeholfenheit und Unfähigkeit hat, wie die mittelhochdeutsche, oder daß ich mich je vom Volksliede angezogen gefunden hätte, sondern jene Dichter waren es, die, mit Talent und Geist begabt, als die Spitze einer an sich poetischeren Zeit jene Einheit abspiegelten, mit der das Leben sie umgab, und die die neuere Zeit im Fortschritt der Entwicklung – vom Standpunkte der Prosa aus: zu ihrem Glücke – längst abgestreift hat. Die Griechen, die Spanier, Ariost und Shakespeare waren die Freunde meiner Einsamkeit, und ihre Darstellungsweise mit der Auffassung der neuern Zeit in Einklang zu bringen, mein halb unbewußtes Streben. Da ich aber mit meiner Ansicht in den letzten zwanzig Jahren so ziemlich allein stand, so war es mir nicht möglich, die Anschauung immer lebendig und rein zu erhalten, um so weniger, als ich, durch die traurige Lage der Welt und meines Vaterlandes vielfach zerstreut und gestört, die Ausführung nicht mehr so in einem Zuge vollenden konnte, als für ein solches Verfahren unter solchen Umständen durchaus notwendig wäre. Der nackte Gedanke mußte zu Hilfe gerufen meiden, der dann die Anschauung, sowie die Anschauung den Gedanken störte. Zwischen dem Anfang und der Beendigung des goldenen Vließes starb meine Mutter, und ich machte die Reise nach Italien. Dann kam jener schändliche Geistesdruck in Oestreich, den ich darum nicht weniger empfand, weil mir nicht jedes Mittel recht war, ihn abzuschütteln. Hero und Leander, Weh dem, der lügt: zwei meiner liebsten Stoffe und von vornherein ganz naiv gemeint, sind nicht das geworden, was sie hätten werden sollen, und nach dem Vorgange meiner frühern Arbeiten auch hätten werden können, und ein paar andere Stücke in meinem Pulte werden, solange ich lebe, das Licht des Tages nie erblicken, weil ihnen jenes Lebensprinzip fehlt, das nur die Anschauung gibt und der Gedanke nie ersetzen kann. Damit will ich nicht mich rechtfertigen und meine Schuld auf die Zeit und die Verhältnisse schieben. Ein wahrer Dichter hätte sich über alles das weggesetzt und einen Mittelpunkt in seiner Begeisterung gefunden. Aber eine zu berührbare Natur, mit einer hypochondrischen Anlage und einem entschiedenen Widerwillen gegen die Oeffentlichkeit, konnte unter den gegebenen Umständen sich nicht viel anders nehmen und fassen. Auch ist dabei keine kleinthuerische Bescheidenheit gemeint. So fühle ich mich gegenüber dem, was sein soll. Gegenüber dem, was sonst in unsern Tagen ist, kenne ich meine Vorzüge sehr gut. Man könnte aber sehr gut der beste Dichter einer gegebenen Zeit und noch immer ein höchst unbedeutendes Licht sein.


(1845–1846.)

Es ist mit den eigenen Gedanken ein eigenes Ding. Erstens ist seit Erschaffung der Welt so viel und mitunter von sehr begabten Leuten gedacht worden, daß man, die Richtigkeit vorausgesetzt, selten etwas denken wird, das nicht einer vor uns auch schon gedacht hätte. Dann gibt es Gedanken, die sich durch ihre Natürlichkeit jedem aufdringen, und bei denen der Letzte so viel Verdienst hat, als der Erste. Und das sind eben die wirksamsten in der Poesie: alte Gedanken an der rechten Stelle. Dann liest man so viel, daß, gerade bei einem schlechten Gedächtnis, man nicht weiß, wie viel von einem Gedachten einem selbst gehört, und was einem andern. Mir wenigstens ist es so oft geschehen, daß ich beim Wiederlesen vor lange gelesener Autoren mit Erschrecken gewahr worden bin, daß Gedanken, auf die ich mir etwas zu gut that, nur geborgt waren, welches Borgens ich mich gewiß enthalten hätte, wäre mir nur eine Ahnung eines solchen Diebstahls im Augenblicke des Niederschreibens gegenwärtig gewesen. Oft habe ich aber auch meine Gedanken, mitunter beinahe mit denselben Worten, bei Schriftstellern gefunden, die früher als ich geschrieben, ich aber viel später gelesen habe. Wie z. B. eben jetzt in Herbart eine Aeußerung über Schelling und Hegel mit denselben Worten, die ich in einem Epigramm über die beiden gebraucht. Was bleibt nun da übrig? In Gottesnamen zu schreiben, was einem Passendes einfällt, und sich damit zu trösten, daß nur der ein leichtsinniger Schuldenmacher ist, der nichts besitzt, als was er erborgt.


2. Zu den einzelnen Werken.

An den Mond.

Es war dieses das erste metrische, oder doch wenigstens das erste gereimte Gedicht, das ich schrieb. Es fällt in das Jahr 1804. Ich hatte bis dahin wenig Sinn für das Versmaß gezeigt. Die Veranlassung war eine Schulaufgabe. Es galt ein deutsches Gedicht über einen beliebigen Gegenstand zu machen. Ich war in Verzweiflung. Der für die Ausarbeitung bestimmte Schulfeiertag hatte schon sein Ende erreicht, es war Abend und noch stand nichts auf dem bereitgelegten Papiere. Ich saß, den Kopf in die Hand gestützt, allein in der Kanzlei meines Vaters und starrte in den Vollmond. Da kam's über mich und die zwei ersten Strophen eines Gedichtes an den Mond wurden im Halbdunkel hingeschrieben, die übrigen sind Ausfüllung, hinzugefügt, nachdem die Stimmung schon vorüber war; ich setze das Ganze aber doch hierher, als erstes Gedicht, und weil der Anfang Tonfall und eine Art Hebung hat.

    Wandle, wandle, holder Schimmer,
Wandle über Berg und Au,
Gleitend wie ein kühner Schwimmer
In des stillen Meeres Blau.

    Sanft mit Silberglanze schwebest
Du so still durchs Wolkenmeer,
Und durch deinen Blick belebest
Du die Gegend ringsumher.
            u. s. w. immer schwächer.

Dieses Gedicht, das mir sehr gut gefiel, munterte mich übrigens nicht auf, mehrere zu schreiben. Nur als wir bei der Schulprüfung im Schullokale selbst pro praemio eine lateinische Fabel: »Der Wolf und das Lamm« ausarbeiten sollten, wozu der Inhalt gegeben ward, schrieb ich die meine übermütig in deutschen Reimen. Da dies gegen die Aufgabe war, so wurde sie nicht beachtet. Die Fabel selbst ist mir mit zwei Heften Jugendgedichte verloren gegangen: was mir leid thut.


Blanka von Kastilien.

(1809.)

Ich mag thun, was ich will, ich kann über den Charakter der Maria de Padilla nicht einig mit mir selbst werden, bei jeder neuen Rede mißgreife ich ihn. Es ist ausgemacht: ihr hervorstechendster Zug ist Herrschbegierde, nicht Neigung zum Großen; dadurch erklärt sich der Zug, daß sie im zweiten Akt dem König ziemlich unverschämt schmeichelt. Ich stelle sie mir nämlich so vor: Sie war ein Mädchen ohne feste Grundsätze, durch ihren äußerst niederträchtigen Bruder verzogen, und schon früh jeder Keim zum Guten, der wirklich in ihrer Seele lag, erstickt; doch konnte seine Erziehung nie einen gewissen Trieb nach Großem aus ihrem Herzen reißen, der aber durch alle Umstände und Verhältnisse in Herrschsucht und Sucht zu glänzen, Wohlgefallen an phantastisch großen Handlungen ausartete. Es ist nicht sowohl Geldgeiz, Hang zum Laster, was sie gleich anfangs an den König fesselte, als vielmehr eine ungezähmte Begierde, viel zu sein, zu heißen, zu gelten, mit einem Worte bekannt (berühmt oder berüchtigt, einerlei), gefürchtet zu werden, zu herrschen. Diesen ihren Trieb fachte ihr böser Bruder aus Gründen des Eigennutzes noch immer mehr an, und alle Vergehungen, deren sie sich in der Folge schuldig machte, sind bloß Ausflüsse dieses Charakterzuges. Sie will den König verlassen, als sie bemerkt, daß er auf dem Punkte sei, sein Reich zu verlieren; denn das, was sie an ihn fesselte, seine Krone, ist nun verloren. Was konnte sie zurückhalten? Geliebt hatte sie ihn nie; aller Grund fällt weg. Wäre Pedro ein Held gewesen, Padilla würde ihn vielleicht nicht verlassen haben, denn in diesem Falle hätte ihre Phantasie, ihre romanhaften Begriffe sie zum Bleiben genötigt; aber der Tod an der Seite dieses elenden Schwächlings, ein Opfer Pedron gebracht, hat so wenig den Schein von Größe, von Erhabenheit, daß er vielmehr das Gepräge der Schwäche, des Unsinns tragen würde. Ihr Bruder beredet sie durch die Vorstellung, daß Pedros Lage bei weitem noch nicht so verzweifelt sei, als sie denke, durch die Idee, daß in diesen Umständen fliehen ihrer Nebenbuhlerin weichen heiße, zu dem Entschlusse, noch länger auszuharren. Der König sah Blanka nun erst zum erstenmal, und ihre Schönheit machte, wie es jedes andere hübsche Gesicht ebenfalls gemacht haben würde, tiefen Eindruck auf Pedros schlaffe Sinne. Nun muß sich Maria entschließen, Blankan zu ermorden. Verträgt sich dieser Entschluß mit ihrem Charakter? Maria ist nicht grausam, nicht lasterhaft, sie ist nur herrschsüchtig, und eben hieraus, glaube ich, fließt natürlich ihr Beistimmen in den gräßlichen Plan ihres Bruders, – Doch genug, und mehr als genug.


Spartakus.

(1812–1818)

Mit einer eigenen, unendlich traurigen Empfindung denke ich der Plane, die ich einst in bessern Tagen machte. Wenn ich mir jetzt die Idee, die mich bei der Ausarbeitung des Spartakus begeisterte, bedenke, so schaudre ich, und es ist mir kaum begreiflich, sie je gehabt zu haben.


Die Ahnfrau.

(1817)

Das Publikum hat sich wahrscheinlich mit mir darüber gewundert, daß über eine dramatische Arbeit, die bei so vielem Beifall zugleich so viele Gegner gefunden hat, als mein Trauerspiel: Die Ahnfrau, in den allzeit rüstigen Blättern des Tages, außer namenlosen, oberflächlichen Klatschereien und Schmähungen bisher so gar nichts erschienen ist, was der Aufmerksamkeit nur einigermaßen wert wäre und auch nur den geringsten Schein von Gründlichkeit für sich hätte. Diesem Mangel ist gegenwärtig abgeholfen. In der Nummer 24 der Wiener Modenzeitung hat Herr Alois Jeitteles das Schwert gezogen und die arme Ahnfrau mit einem gewaltigen Hiebe ecrasiert (ich entlehne dieses Wort ausdrücklich aus den weiland französischen Bulletins, da ich in der deutschen Sprache vergeblich nach einem gleich kräftigen gesucht habe). Mir ist die Existenz nur eines einzigen Alois Jeitteles bekannt, desjenigen nämlich, der durch eine im Jahrgänge 1816 der Wiener Modenzeitung eingerückte, im – daß es Gott erbarme! – Fouquéschen Tone herabgeleierte Erzählung: Der Schloßhauptmann von Coucy aufs bündigste erwiesen hat, wie der Geist aus dem ansprechendsten Stoff durch eine geistlose Behandlung mit Erfolg gebannt werden könne. In der Voraussetzung nun, daß der neu bestallte Kritiker Alois Jeitteles mit dem Verfasser jener Erzählung eine und dieselbe Person ist, richte ich – ohne ihn übrigens darum als Gegner anzunehmen, da nach dem Duellgesetze sich nur Ebenbürtige schlagen – an ihn folgende, redlich gemeinte Worte: Lieber, junger Mensch, ich finde es sehr recht gethan, daß du Schlegels Werke über dramatische Kunst und Litteratur eifrig liesest; einmal, weil in denselben auch für denjenigen, der in manchem von den Meinungen des Verfassers abweicht, sehr viel Schönes und Lehrreiches enthalten ist; dann besonders aber, weil für denjenigen, der seinen eigenen Füßen nicht trauen kann und doch einmal mitlaufen will, kein anderes Mittel ist, als sich nach einem tüchtigen Laufzaum umzusehen. Wenn du aber deine Lesefrüchte dem Publikum darbietest, so hüte dich künftig vor zweierlei. Gewöhne dir ab, zu sprechen: Ich sage, sondern sprich: Schlegel sagt, wobei du nebst andern auch noch den Vorteil haben wirst, daß der autoritätssüchtige Teil des Publikums Anstand nehmen wird, über deine Aussprüche zu lachen. Ferner mische nicht deinen eigenen Unsinn den Ideen eines Mannes bei, dessen Talent selbst da, wo er einseitig wird, noch achtungswert bleibt.

Was das von dir Gesagte selbst betrifft, so wirst du mir nicht zumuten, in das Einzelne einzugehen, da alles, was du im wesentlichen vorbringst, schon damals, als es Schlegel zum erstenmale sagte, von mehreren Seiten besprochen und geprüft worden ist, es auch überdies hart wäre, im Streit über Meinungen jemand anzugreifen, der daran so unschuldig ist, als du es bist. Zur Feststellung der eigenen Ideen dann rate ich dir, mein unbekannter Freund, außer deinem, oder vielmehr Schlegels Kanon, Aeschylos' Prometheus nämlich, auch die Werke der übrigen Heroen der griechischen Tragödie zu lesen, namentlich des Sophokles herrliche Trias vom Untergange des Labdakosstammes, wodurch sich, vorausgesetzt, daß du nicht bloß nachbeten, sondern denken willst und – kannst, deine Meinung über das antike Fatum und die antike Tragödie berichtigen würde. Was dein zweites Schubfach, in das du alle tragischen Werke einpacken möchtest, die romantische Tragik in deinem Sinne betrifft, so wirst du bei einiger Ueberlegung leicht einsehen, daß es ein leeres Gehäuse ist, das höchstens über Calderons standhaften Prinzen (bei weitem nicht die beste seiner Arbeiten) paßt, und den größten Teil der übrigen Werke der Neuern, besonders Shakespeares Riesenschöpfungen – der wohl weit genug von deinem gepriesenen Ahnen, Sehnen, Untergehen im Absoluten, entfernt ist – isoliert dastehen läßt.

Uebrigens, lieber Freund, lerne einsehen, daß deine zusammengestoppelte Bücherweisheit verkleidete Thorheit ist; gewöhne dich, die Kunst mit der vollen Kraft des Gemütes, statt mit dem grübelnden Verstände aufzufassen, und du wirst einsehen leinen, daß nicht theoretisch erwiesene, sondern praktisch vorhandene Grundlagen es sind, die das Wesen der dramatischen Kunst ausmachen, ja der Kunst überhaupt, deren oberster Begriff, der der Schönheit nämlich, schon ein dunkler ist. Tritt hinaus ins Leben, laß Kummer und Leiden gegen die unbewehrte Brust anstürmen, und es wird dir mit Haarsträuben klar werden, was der Ahnfrau zu Grunde liegt, und daß dieses Etwas, wenigstens subjektiv, kein leeres Nichts sei. Uebrigens hüte dich künftig vor vorlautem Wesen und unberufenem Schwatzen, lerne anspruchsloses, bescheidenes Streben an andern schätzen, und ahme ihnen lieber nach, als sie mutwillig und (bei deiner Unfähigkeit) nutzlos in ihrem stillen Wirken zu stören. Vor allem aber hüte dich, in einem entscheidenden Tone zu sprechen, da, was du sprichst, nichts entscheidet. Und somit denn Gott befohlen! Wir beide werden uns, wie ich hoffe, nicht mehr sprechen. Dein Tadel ist mir gleichgültig, deine Schmähung verachte ich, dich selbst bedaure ich.

Und nun weiter. War mein Erstaunen über Herrn Jeitteles' hirnverbranntes Gewäsch groß gewesen, um wie viel ward es gesteigert, als ich weiter las und fand, Herr Hebenstreit teile diese Ansicht. Herr Hebenstreit, der sich in seinen Theateranzeigen (Kritiken hat er bis jetzt nicht gegeben) immer durch ein gutes Teil gesunden Menschenverstandes auszeichnete, solchen Menschenverstandes nämlich, wie ihn etwa der bessere Teil des zuschauenden Publikums hat, und von dem freilich bis zum Kunsturteil noch ein großer Abstand ist, dieser Herr Hebenstreit unterschreibt, ohne Beschränkung, die Ausgüsse eines träumenden Knabenverstandes? Er hatte mir zwar schon seit längerer Zeit durch verstohlene Ausfälle gezeigt, daß er meinem Trauerspiele oder mir selbst nicht wohl wolle, aber ich hätte nie gedacht, daß ihn seine bisherige Urteilsscheu so sehr verlassen, und er sich durch blindes Unterschreiben einer, und einer solchen Meinung dem Spotte preisgeben würde. Uebrigens danke ich ihm für alles, was er sonst zu meinem Lobe gesagt habe, und bedaure nur, daß ich die hämischen Neckereien in frühem Blättern nicht vergessen kann, ich würde sonst wahrscheinlich seinem treuherzigen Tone geglaubt haben.

Nun noch ein Wort an das Publikum, der eigentliche Zweck der gegenwärtigen Erklärung. Aus der Art, wie mich meine Gegner angreifen, sollte jeder Unbefangene meinen, ich sei ein eitler, aufgeblasener Thor, der in seinem Trauerspiele ein Meisterwerk geliefert zu haben glaubt, jeden Tadel zurückweist und daher auch Züchtigung verdient, so daß nur geschicktere Exekutoren zu wünschen wären, um sie ihm auch wirklich zu geben. Von aller solchen Einbildung bin ich nun himmelweit entfernt. Ich berufe mich auf das Zeugnis aller derjenigen, die mich kennen, mit welchem peinigenden Gefühle ich unmittelbar nach dem Erkalten der mit dem ersten Hervorbringen notwendig verbundenen Wärme die Fehler meines Werkes eingesehen, wie ich selbst der Darstellung auf der Bühne mich so lange widersetzt habe, bis mich erfahrenere Freunde überzeugten, der erste Schritt wolle gethan sein; kein Anfänger habe noch Fehlerfreies geliefert und – so glaubten sie – mein Trauerspiel enthalte mit allen seinen Fehlern doch auch manches, um für diese zu entschädigen; endlich, das Publikum werde einem Anfänger nicht jene Nachsicht entziehen, die von seinen Veteranen so häufig in Anspruch genommen wird. Ich hab's gewagt und bedauere es nicht. Daß Unfähigkeit, Mißgunst und Neid gegen mich ankämpfen, ist in der Ordnung. Ich werde mich durch ihr Geschrei nicht irre machen lassen, meinen Weg fortgehen, eingeschlichene Irrtümer durch eigene Beobachtung berichtigen und mich übrigens fern von dem Treiben einer faselnden, frömmelnden, geistlosen Schule halten, die, wenn sie nicht bald in sich selbst zerfällt, unsere deutsche Poesie in ihr ehemaliges Nichts zurückführen wird, und deren Impotenz und Unfruchtbarkeit am Tage liegt.

So will ich's halten und dann sehen, wie weit sich's bringen läßt.

Am Schlusse verspreche ich dem Publikum noch, es künftig mit allen weiteren Behelligungen, Klagen, Streitschriften und dergleichen verschonen zu wollen. Mir ist derlei Geschreibe verhaßt, und wenn ich gegenwärtig meinem sonstigen Grundsatze entgegengehandelt habe, so geschah es nur darum, um meinen Gegnern zu zeigen, daß ich nicht aus Furcht schweige. Sollte es einem von ihnen gelingen, wie es bei langem Herumtappen nicht anders möglich ist, die partie honteuse meines Stückes auszufinden, so soll mich's um der Sache willen freuen; bisher ist es noch nicht geschehen.


(1817)

Woher kömmt wohl die unbeschreiblich widerliche Empfindung, die mich abhält oder es mir vielmehr unmöglich macht, noch einmal einer Vorstellung meiner Ahnfrau beizuwohnen? Teilweise lassen sich wohl Erklärungen geben, aber ganz vermag ich es nicht. Ich werde in meinem Leben nicht vergessen, wie mir bei der ersten Vorstellung zu Mute war. Ich denke, wenn man mir unvermutet mein eigenes lebensgroßes Bild, in Wachs geformt, nach der Natur bemalt, und doch in seiner ganzen toten Starrheit vor die Augen brächte, würde mein Gefühl viel Aehnliches mit jener Empfindung haben. Die Gestalten, die man geschaffen und halb schwebend in die Luft gestellt hat, vor sich hintreten, sich verkörpern zu sehen, den Klang ihrer Fußtritte zu hören, ist etwas höchst Sonderbares, Die Aufführung meines Stückes hat auch offenbar mein Schamgefühl verletzt. Es ist etwas in mir, das sagt, es sei ebenso unschicklich, das Innere nackt zu zeigen, als das Aeußere.


(1817.)

Wenn Müllners BriefMüllners Brief vom 6. Mai 1817 war an Schreyvogel gerichtet. an mich gerichtet wäre, und ich ihm antworten sollte, würde ich es ungefähr folgendermaßen thun: Sie haben in Ihrer Beurteilung der Ahnfrau unwiderleglich bewiesen, daß keine der allgemeinen Ideen, die diesem Stücke zu Grunde liegen könnten und, nach Angabe der Vorrede, wirklich zu Grunde liegen, ausgeführt und gehörig zur Anschauung gebracht seien. Das gebe ich gern zu, ich muß aber nur bemerken, daß die Ahnfrau in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht meine Ahnfrau, die Vorrede, so gut sie auch sein mag, nicht meine Vorrede ist, und daß bei diesem Stücke überhaupt, der ursprünglichen Anlage nach, von Realisierung einer abstrakten allgemeinen Idee nie eine Rede war. Um das alles begreiflich zu machen, muß ich den Hergang der ganzen Sache erzählen. Schon in meinen frühesten Jahren trieb ich mit Leidenschaft die Dichtkunst. Meine Versuche gefielen mir und meinen Freunden und ich verfiel auf den Gedanken, etwas Größeres zu versuchen. Ich warf mich mit aller Lebhaftigkeit der ersten Jugend auf einen tragischen Stoff und unternahm ein Trauerspiel: Blanka von Kastilien (die Gemahlin Pedro des Grausamen) zu schreiben. Sehr bald machte ich die Bemerkung, daß die Ausführung geheime Stacheln habe, wovon ich in der Trunkenheit des Entwerfens nichts geahndet hatte; hierzu kam noch der außerordentliche Abscheu, den ich von Kindheit her vor langem Stillesitzen, besonders aber vor Schreiben hatte, kurz, ehe noch der erste Akt vollendet hatte, brach ich ab, und ließ, ich war damals höchstens fünfzehn Jahre alt, meine Arbeit liegen. Einige Jahre vergingen und ich schien die Poesie ganz unter dem Treiben des neu erwachten Lebens vergessen zu haben. Ein glücklicher Augenblick erschien und ich nahm meine Blanka wieder zur Hand. Natürlich war mir nun bei größerer Reife mein erster Plan nicht mehr genügend. Ich warf zusammen, baute neu auf, schmolz Fakta und Charaktere um, kurz, entwarf einen ganz neuen Plan. Unglücklicherweise konnte ich mich nicht entschließen, den bereits vollendeten ersten Akt zu kassieren, sondern, arbeitsscheu wie ich war, ließ ich ihn stehen und baute weiter, indem ich mir zugleich vornahm, ihn nach Vollendung des ganzen Stückes durchaus umzuarbeiten. Die Arbeit ging langsam, unter tausend Zerstreuungen und Unterbrechungen ward erst nach Verlauf eines vollen Jahres das Stück fertig, das nun alle Merkmale des Zauderns und Unterbrechens an sich trug, und ungeheuer gedehnt, nicht aus einem Gusse, und ohne innern Zusammenhang in seinen Teilen war. Davon ließ ich mir aber damals nichts träumen. Eine Ueberarbeitung des ersten Akts fand ich lästig, und deshalb auch gar bald nicht nötig. Ich begnügte mich, einiges hinzuzuflicken, wobei ich mich jedoch sehr hütete, etwas wegzulassen, da mir alles so sehr gefiel. – Gerade damals traf mich ein harter Schlag, Mein Vater starb, und ließ die Seinigen, die er immer auf einem anständigen Fuße leben gemacht hatte . . . .


Sappho.Entwurf eines Briefes an Müllner

(1818)

Als ich die Sappho schrieb, hatte ich im Grunde eine doppelte Absicht. Erstens lebte der Stoff wirklich in mir und forderte mich auf, ihn nach außen hinzustellen; zweitens aber wollte ich mir dabei selbst eine Aufgabe machen. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß dasjenige, was der Ahnfrau den meisten Effekt verschaffte, rohe, rein subjektive Ausbrüche, daß es immer mehr die Empfindungen des Dichters, als die der handelnden Personen gewesen waren, was die Zuschauer mit in den wirbelnden Tanz gezogen hatte, in dem zuletzt alles sich herumdrehte und der Ballettmeister nach weggeworfenem Taktmesser auch. – Ich schämte mich. – Ich nahm mir vor, mein nächstes Produkt ein Gegenstück dieses tollen Treibens werden zu lassen, und suchte daher, mit absichtlicher Vermeidung effektreicherer, seit lange vorbereiteter Stoffe, nach einem solchen, der es mir möglich machte, mich von den handelnden Personen zu trennen und in der Behandlung eine Ruhe walten zu lassen, die mir des Strebens um so würdiger schien, je fremder sie meiner Individualität ist, und je mehr ich daher verzweifelte, sie je zu erreichen. Ich verfiel auf Sappho: ein Stoff, dessen hervorragende Punkte mich schon in der frühesten Zeit angezogen hatten. Ein Charakter, der Sammelplatz glühender Leidenschaften, über die aber eine erworbene Ruhe, die schöne Frucht höherer Geistesbildung, das Zepter führt, bis die angeschmiedeten Sklaven die Ketten brechen und dastehen und Wut schnauben, schien mir für meine Absicht ganz geeignet. Dazu gesellte sich, sobald das Wort: Dichterin ausgesprochen war, natürlich der Kontrast zwischen Kunst und Leben – (wenn die Ahnfrau unwillkürlich gewissermaßen eine Paraphrase des berüchtigten d'Alembertschen malheur d'être geworden ist, so dürfte wohl die Sappho ein in eben dem Sinne wahres malheur d'être poète in sich fassen). Mit einem Worte, der Gedanke ergriff mich nach all seinen Beziehungen, und ich war, als ich zur Ausführung ging, vielleicht begeisterter, als je in meinem Leben. Aber ich glaubte mich zurückhalten zu müssen. Ich habe die beiden ersten Akte und die erstere Hälfte des dritten, obwohl bei voller Wärme des Gemüts mit einer Besonnenheit, mit einer Berechnung der kleinsten Triebfedern geschrieben, die mir Freude machen würde, selbst wenn ihre Frucht mißglückt wäre, bloß durch das Bewußtsein, daß ich ihrer fähig bin. Es stand übrigens schon vom Anfange her zu befürchten, daß diese durch ein wirkliches Heraustreten aus mir selbst bewirkte Stimmung bei der krankhaften Reizbarkeit meines Wesens von keiner gar langen Dauer sein würde, und diese Besorgnis ward, durch äußere Umstände beschleunigt, gegen das Ende des dritten Aktes wirklich. Ich wurde nämlich krank und mußte mit der Arbeit aussetzen. Als ich wieder daran ging, war meine Stimmung und mit ihr mein ganzer Ideengang geändert. Gerade auf den Punkt, wo ich stehen geblieben, fiel der von vornherein beabsichtigte Wendepunkt in Sapphos Handlungsweise. Ich konnte nicht dazu gelangen, den Faden genau da wieder aufzunehmen, wo ich ihn fallen gelassen, und der vierte Akt kam dadurch in einen ziemlichen Kontrast mit dem früheren. Die Schlußscene des dritten Akts und der größte Teil des fünften war mir schon beim Anfange zu deutlich, als daß meine veränderte Gemütslage darauf einen sehr wesentlichen Einfluß hätte nehmen können.

Das ist in kurzem die Geschichte des minder lebhaften Tons der ersten Akte, der mir in der Freude meines Herzens (wenigstens in Beziehung auf mich, auf die Entwicklung meiner Anlage) beinahe wie ein errungener Sieg vorkam. Ich sah sehr wohl den Kontrast ein, in dem die beiden Hälften des Stücks gegeneinander standen, aber ich war immer bereit, die Partie der geliebten ersten Hälfte gegen die letzte zu nehmen. Daß die ersten beiden Akte nicht genug Beweglichkeit, ja der erste selbst nur wenig eigentlich dramatisches Leben habe (insofern dieses im Gegensatz der Lyra darin besteht, daß die Gesinnung nur als Substrat der Handlung erscheinen darf), mußte ich mir selbst gestehen, aber – der Meister schafft, der Schüler löst Aufgaben! Mich hat überhaupt von jeher bei jeder eigenen Hervorbringung weniger das Produkt als die Kraftäußerung interessiert.

Aber auch in – mein Gott! Wie werden Sie denn das alles aufnehmen? Wird Ihnen nicht ein Streben, meine Fehler zu verteidigen, dasjenige scheinen, was doch nur eine Darlegung meines Ideenganges, und keine Rechtfertigung, nur eine Entschuldigung desselben sein soll? Doch ins Himmels Namen! Ich mußte entweder nicht bis hierher gehen, oder ich muß weiter! – Selbst in dramatischer Beziehung läßt sich, wie mir dünkt, einiges zu Gunsten der Art sagen, auf welche die ersten Akte behandelt sind.Der Schluß des Aufsatzes ist nur in einem früheren Entwürfe erhalten Wenn die Idee, deren Versinnlichung ich mir vorgenommen hatte, gehörig herausgehoben werden, wenn das Ende Sapphos all den Eindruck machen sollte, den ich mir vorgesetzt hatte, so mußte ihr erstes Auftreten in der Fülle aller inneren und äußeren Bedingungen geschehen, welche das Glück des Menschen sonst begründen. Daher der Triumphzug, daher der Jubel des Volks, daher diese gesättigte Ruhe, mit der sie auftritt. Auf diese Höhe hat sie die Bildung ihres Geistes, die Kunst, gestellt. Sie wagt einen Wunsch an das Leben, und ist verloren. Weiter! Sappho ist Dichterin. Daß das hervorgehoben werde, ist durchaus nötig, die Wahrscheinlichkeit der Katastrophe hängt, wie ich glaube, wesentlich davon ab. Ein Meister hätte vielleicht verstanden, Sapphon selbst im Sturme der Leidenschaften die Farbe, die die Dichtkunst ihrem Charakter gab, sichtbar zu machen; ich, weniger geschickt, mußte vor dem Sturme eine Kraft anschaulich machen, die mit unter die erregenden Kräfte des Sturmes selber gehört. Die Dichtungsgabe ist kein in der gewöhnlichen Menschennatur liegendes Ressort, sie mußte daher herausgehoben werden. Ferner, Sappho ist in der Katastrophe ein verliebtes, eifersüchtiges, in der Leidenschaft sich vergessendes Weib; ein Weib, das einen jüngeren Mann liebt. In der gewöhnlichen Welt ist ein solches Weib ein ekelhafter Gegenstand. War es nicht durchaus notwendig, sie noch vor dem Sturm der Leidenschaften so zu zeigen, wie sie in ihrem gewöhnlichen Zustande war, damit der Zuschauer die Arme bemitleide, statt sie zu verabscheuen. Wenn es mir gelungen ist, den Zuschauer, so sehr er in der Mitte des Stücks geneigt sein muß, die Partie des unschuldigen Paares zu nehmen, dennoch mit seinem Interesse an Sapphon festzuhalten, so gebührt ein Teil des Verdienstes vielleicht auch dem ersten Akt. – Wie ermüdend lange braucht es, bis in Sappho die Eifersucht Oberhand gewinnt! Das Ermüdende daran ist offenbar meine Schuld; daß es lange braucht, bis der Widerstand ihres Geistes gebrochen wird, dünkt mich gut.

Ferner, Phaon und Melitta haben die Partie des Lebens. Es lag in meinem Plane, nicht die Mißgunst, das Ankämpfen des Lebens gegen die Kunst zu schildern, wie in Correggio oder Tasso, sondern die natürliche Scheidewand, die zwischen beiden befestigt ist. Ja, selbst aus dramatischen Gründen mußten Phaon und Melitta rein gehalten werden; das konnte nur geschehen, wenn sie über ihre Empfindungen gegen Sappho und gegen sich so lange ohne Klarheit blieben, bis ihre Empfindungen eine Stärke erreicht hatten, die bei nicht außergewöhnlichen Menschen ein Vergessen höherer Rücksichten verzeihlich macht, bis Sapphos Eifersucht, die in ihrer Überlegenheit zuerst zur Klarheit kommt, eine Stärke gewonnen, die durch verletzende Einwirkung den Trotz Phaons zum Auflehnen bringt und ihn durch die Menschen so gewöhnliche Verwechslung glauben macht, weil er Sapphon unrecht thun sieht, sie sei von jeher gegen ihn im Unrecht gewesen.

Phaon kämpft eigentlich noch nicht, als er auftritt, er ahnet noch nicht, daß die sonderbaren Gefühle seiner Brust je zu einem Kampfe führen könnten. Von Sapphos Ruhm begeistert, wirft er sich in ihre Arme. Der Beifallruf des Volkes in Olympia, die Reise an ihrer Seite, ein fortgesetzter Triumphzug, erhalten ihn im Traume. Nur in Minuten der Einsamkeit fühlt er etwas in sich, das er, weit entfernt, es auf den Gegenstand seiner Liebe zu beziehen, auf seine Liebe selbst, auf einen Mangel an Gefühl, an Sinn für wahre Seelenreinheit schiebt. Der Jubel des Empfangs in Lesbos regt seine Phantasie von neuem auf. Sie macht ihren letzten effort in der dritten Scene des ersten Akts, wo – absichtlich – auch nicht ein Zug vorkommt, der auf eigentliche Liebe schließen läßt, obschon er darin begeistert genug ist, um Sapphos Träume wach zu erhalten. Selbst als er Melitten schon geküßt hat, ist ihm seine neue Leidenschaft noch nicht klar, erst Sapphos Äußerung bei der Erzählung seines Traumes hellt ihn auf, und seine Liebe tritt heraus, als er Melitten vor Sapphos Dolche schützt.

Ein Gleiches gilt von Melitten. Die vorletzte Scene des ersten Akts ist vielleicht die müßigste von allen. Ich wollte jedoch hier, nachdem sich Phaon in der vorigen Scene ausgesprochen, auch Sapphos Erwartungen und Besorgnisse über ihr Verhältnis laut werden lassen, und durch die Art, auf welche Sappho, obgleich poetisierend, ihre Stellung gegen Phaon mit Bangigkeit betrachtet, auf den folgenden Ausbruch vorbereiten. Auch dünkte es mich gut, den Kontrast zwischen Sappho und Melitta deutlich hinzustellen. Ob der unglückliche, weinbegossene Estrich – der wohl füglich hätte wegbleiben können, wenn ich was Besseres dafür gewußt hätte – eine eigene Motivierung durch den Scherz über das Niederschlagen der Augen verdient, weiß ich nicht.

Der Schlußmonolog des ersten Akts könnte leicht mehr dramatisches Leben haben, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, die zweite der beiden übrig gebliebenen Oden Sapphos, die mir zu passen schien, in dem Stücke, das ihren Namen führt, aufzunehmen, damit man mir doch nicht sagen könnte, es sei gar nichts von ihrem Geiste darin.

Die Scene an der Tafel während des Zwischenaktes hat die Liebe noch nicht in Melitten erregt. Sie diente nur dazu, die Aufmerksamkeit des jungen Paares aufeinander rege zu machen und sie in jenen Zustand des Berührtseins zu bringen, das der Liebe den Weg bereitet. Darum machte ich mir auch keine Skrupel, die Scene dazu hinter den Vorhang zu verlegen. Auch reizt er die sanfte Melitta gegen die verletzende Gebieterin, was für die Folge nicht ohne Nutzen ist. Melitta ist bei ihrem Auftreten im zweiten Akte in jenem dumpfen Staunen, das (um mich so auszudrücken) der Dunstkreis der Leidenschaft erregt, ehe ihr eigentlicher Körper uns berührt. Sie denkt nicht an die Liebe. Das Gespräch mit Phaon, der Kuß, den er ihr gibt, ist der Pfeil des Liebesgottes, und man muß so unschuldig, ja geistesarm sein als Melitta, um noch nicht zu merken, woran man ist. Ich wage es kaum, zu gestehen, daß ich mir auf den zweiten Akt etwas eingebildet habe.


Die Ruinen des Campo.Verteidigung des Gedichtes an den Grafen Sedlnitzky gerichtet.

Eure Excellenz!

Eure Excellenz haben mir, als Sie mich vor sich beriefen, und das mir so schmerzliche Mißfallen Seiner Majestät über mein Gedicht an die Ruinen des Campo vaccino zu erkennen gaben, erlaubt, dasjenige, was ich in dieser Sache zu meiner Entschuldigung anzubringen hätte, Eurer Excellenz schriftlich vorzulegen.

Ich hielt das im ersten Augenblicke für sehr leicht; nun aber, da ich zur Ausführung schreite, dünkt mir's immer schwerer. Der Schein spricht gegen mich. Aber glauben Eure Excellenz vor allem nicht, daß, wenn mir um die Sache zu thun gewesen wäre, ich getrachtet und gewußt hätte, den Schein zu vermeiden? Konnte ich, wäre ich mir einer übeln Absicht bewußt gewesen, so unsinnig sein, Worte auszusprechen, die schon beim ersten Blicke auffallen und erst in ihrer Beziehung aufs Ganze ihren eigentlichen Sinn erhalten? Ganz anders müßte jemand verfahren, der seinen Widerwillen gegen eine Sache in einem Lande aussprechen wollte, wo ihre Aufrechthaltung – und mit Recht – erster Grundsatz der Regierung ist; ganz anders sind von jeher diejenigen verfahren, die unter ähnlichen Umständen dieses gewollt haben. Ich kann verlangen, daß man mich, wenn auch nicht von vornherein für gutgesinnt, doch wenigstens nicht für wahnsinnig halte, und das müßte ich denn doch wahrlich sein, wenn ich meine Gegenwart und Zukunft auf eine so lächerliche Art aufs Spiel setzen könnte.

Was war denn nun aber die Absicht des Ganzen? Hier bitte ich Eure Excellenz vor allem im Auge zu behalten, daß von einem Gedichte die Rede ist. Die Sache der Prosa, der Wissenschaft ist es, zu sagen, was wahr ist und was falsch: die Poesie und alle Kunst überhaupt befaßt sich mit Lehren nicht, und wenn sie's thut, hört sie in dem Augenblicke auf, Kunst zu sein. Statt zu sagen, was jeder Gegenstand ist oder sein sollte, denkt sie sich nur verschönernd in denselben hinein und spricht aus ihm in seinem Geiste heraus. Mit andern Worten: ein Gedicht als solches enthält keine Meinung, sondern ist die Darlegung eines Eindrucks, einer Empfindung. Wer nun, der das klassische Altertum kennt und liebt, ist vor den Ruinen des Campo vaccino gestanden, ohne daß ihn ein wehmütiges Gefühl beschlich, ohne daß ihm, voll von dieser Empfindung, in dem Augenblicke der Gedanke kam: daß doch das alles nicht untergegangen wäre und noch dastünde in seiner Herrlichkeit! Daß doch diejenigen, welche das Neue herbeiführten, nicht geglaubt hätten, es nur auf die gänzliche Zerstörung des Alten gründen zu können und stumpfsinnig dieses zertrümmerten, statt beide zu vereinigen und eines durch das andere zu stärken! – Hier ist das Gedicht! – In dieser augenblicklichen Stimmung habe ich es geschrieben, mit Bleistift in den Ruinen des Kolosseums selbst geschrieben, wie ich mich durch die Darlegung der ersten Urschrift ausweisen kann. Daß meine damalige Lage – kurz nach dem Tode einer geliebten Mutter, bedenklich krank so viele Meilen von meiner Heimat entfernt, von meinen Reisegefährten getrennt, allein (mir war damals noch nicht das Glück zu teil geworden, mich dem Reisegefolge Seiner Majestät anschließen zu dürfen) – daß diese meine Stimmung dazu beitrug, dem Ganzen ein düsteres Kolorit zu geben und mein gereizter Körper- und Geisteszustand die Ausdrücke schärfte, ist wohl ebenfalls gewiß. Kurz, so fühlte ich in dem Augenblicke, da ich es schrieb. Ob ich, ausgekühlt und auch die Kehrseite des Ganzen betrachtend, einige Stunden darauf nicht anders gedacht habe, ist damit noch nicht ausgesprochen: denn, wie gesagt, es ist ein Gedicht und keine wissenschaftliche Betrachtung. Aus der Verwechslung dieser beiden Gesichtspunkte ist von jeher alles Mißverstehen und Anfeinden der Dichter und ihrer Werke entstanden. So auch hier. Mein Gedicht ist eine Klage über den Untergang der herrlichen klassischen Zeit. Die Ruinen sind darin personifiziert; sie werden wie übrig gebliebene, halbsterbende Helden jener kräftigen Zeit angesprochen, die unwillig sind über das Neue, das ihnen den Untergang bereitete. Ich lieh ihnen mein Organ, sie mir ihre Gesinnung. Es ist nicht mein Glaubensbekenntnis, was ich da schrieb.

Wenn nun hierdurch aber auch meine Gesinnung gerechtfertigt ist, so entsteht noch eine andere Frage: Bin ich in der dichterischen Gegenüberstellung der beiden Zeitalter im Feuer des Hervorbringens und durch den halb unbewußten Wunsch, etwas nicht Gewöhnliches, Auffallendes zu sagen, nicht zu weit gegangen? Habe ich nicht meine Ausdrücke so gewählt, daß ein Mißverstehen notwendig entspringen mußte? Auch das nicht. Aber vieles traf zusammen, daß ein Mißverstehen wirklich entsprang. – Vor allem. Niemand hat das Gedicht ohne Prävention gelesen. Ehe es noch erschien, eh sich noch jemand durch den Augenschein vom Gegenteil überzeugen konnte, hatten scheelsüchtige hämische Menschen, die sich vielleicht nur darum so gern mit dem Mantel der Religion bedecken, weil sie viel zu bedecken haben; Eiferer, deren Eifer erst dann klar werden wird, wenn es das geworden ist, was sie dadurch erreichen wollen – diese Menschen hatten von allen Seiten Geschrei erhoben. Gerade die Gutgesinnten waren am wenigsten unbefangen, denn das Aergernis war einmal gegeben; ob durch das Gedicht verursacht oder dadurch veranlaßt, gleichviel, es war da, und daß es vor allem der Regierung am wenigsten gleichgültig sein konnte, begreife ich wohl. Nur möge man nicht mir allein zürnen, sondern auf die Umstände Rücksicht nehmen, die die Sache erst bedenklicher machten.

Um nun von den Ausdrücken des Gedichtes zu reden: Wenn Konstantin darin getadelt wird, so geschah es in der auf historische Beweise sich stützenden Nichtachtung seines Charakters als Mensch; so geschah es in dem gerechten Unwillen, daß er und seine Nachfolger es waren, die, statt durch das Christentum die gesunkene römische Größe wieder aufzurichten und zu veredeln, diese vielmehr ganz zu Boden stürzten und dadurch der Barbarei des Mittelalters mit allen ihren traurigen Folgen Thür und Thor öffneten. Wenn ich dem erschlagenen Remus sagte, er sei an seinem Mörder Romulus dadurch gerächt, daß dessen Reich zerfallen und in dem Tempel, in dem er als Gott verehrt wurde, Priester einer andern Religion einen andern Gottesdienst feierten, so ist es ja allerdings gewiß, daß es für diesen keine empfindlichere Strafe geben könnte, als das zerfallen zu sehen, was er mit Gewaltthaten aufgebaut.

Endlich zu der am meisten mißverstandenen Stelle. Vom Kolosseum, über dessen Eingang höchst unzweckmäßigerweise ein Kreuz gemalt ist (ich wenigstens finde es über den Eingang einer zu wilden Tierkämpfen erbauten Arena aufs geringste ebenso übel angebracht, als wenn mir es in unsern Schauspielhäusern über den Vorhang hinsetzen wollten) – von diesem Kolosseum wird gesagt:

»Und damit, verhöhnt, zerschlagen,
Du den Martertod erwarbst,
Mußtest du das Kreuz noch tragen,
An dem, Herrliche, du starbst.«

Das heißt doch, unbefangen genommen, nichts als: Du stehst da mit dem Kreuz auf der Schulter wie einer, der zum Tode geführt wird und das Werkzeug seiner Hinrichtung noch selbst zum Richtplatz tragen muß. Daß hier das Kreuz nicht in seiner christlich-symbolischen Bedeutung, sondern in seiner natürlichen, als ein im Altertume sehr gewöhnliches Werkzeug der Todesstrafe genommen wird, leuchtet jedem ein, der das Gedicht ohne Prävention liest. Sollte jemand noch zweifeln, so wird die nächste Strophe alles aufklären:

»Thut es weg dies heil'ge Zeichen!
Alle Welt gehört ja dir,
Ueb'rall
, nur bei diesen Leichen,
Ueb'rall stehe, nur nicht hier!«

Wenn man sagt: »Ueberall in der ganzen Welt möge und soll das heilige Zeichen der christlichen Religion stehen, nur nicht am Kolosseum, nur nicht auf diesem Kampfplatz für wilde Tiere, nur nicht an diesem durchaus heidnischen Gebäude, wo es nicht hingehört;« ist das ein Ausfall gegen das Kreuz?

Die nächsten vier Verse sind ebenfalls Anklagspunkt gegen mich geworden und gerade sie sind es, durch welche ich jeden Mißverstand beseitigen wollte, auf die ich mich zu meiner Verteidigung berufe. Sie lauten:

»Wenn ein Stamm sich losgerissen
Und den Vater mir erschlug;
Soll ich wohl das Werkzeug küssen,
Wenn's auch Gottes Zeichen trug?«

Der Sinn dieses Gleichnisses, dieses Bildes, prosaisch dargestellt, ist: Mein Vater geht in den Wald, Ein Baumstamm, vom Winde losgerissen, fällt auf ihn und erschlägt ihn. Werde ich – gesetzt, der Stamm wäre, wie es sich wohl trifft, mit einem Kreuze bezeichnet, – werde ich dieses Kreuz, gerade dieses küssen? Ebenso nun – geht der Sinn des Gleichnisses weiter – wie mir das Kreuz an dem Werkzeuge von meines Vaters Tode kein erfreulicher Anblick sein kann, ebenso wenig kann es mir jenes an dem Eingang des Kolosseums sein. Ich bitte, nach den Aufklärungen, die ich hier gegeben habe, das Gedicht noch einmal zu lesen und alles wird deutlich sein.

Aber wenn zum Verständnis des wahren Sinnes diese Aufklärungen notwendig sind, warum es dem Publikum ohne dieselben in die Hand geben? Diese Aufklärungen sind erst dann notwendig geworden, als durch das Geschrei übelwollender Menschen der klare Sinn des Gedichtes getrübt und jeder Leser unwillkürlich aufgefordert worden war, mehr Bedeutung in den Worten zu suchen, als sie wirklich enthalten. Wäre dies nicht geschehen, das Gedicht würde spurlos vorübergegangen sein. Die wenigen, deren Sache es ist, ein Gedicht als Gedicht zu würdigen, hätten es gelesen, sich vielleicht über die nicht mißlungene Darstellung gefreut! ich wäre durch ihren Beifall für die Mühe, es gemacht zu haben (denn wofür macht man sonst Gedichte) belohnt und die Sache wäre zu Ende.

Manche haben getadelt, daß das Gedicht eben für einen Almanach, für das Taschenbuch Aglaja bestimmt wurde. In einer Sammlung von Gedichten, meint man, wäre es – wenn überhaupt irgendwo – doch noch unbedenklicher gewesen. Ich bin der entgegengesetzten Meinung. Einen Band gesammelter Gedichte, der höchstens ein paar Gulden kostet, kauft jedermann; aber die durch ihre kostbaren Kupfer verteuerte Aglaja, wie viele kaufen sie? wie viele lesen sie? Die Einrückung in dieses Taschenbuch war daher gerade ein Mittel, die Verbreitung des Gedichtes auf ein kleineres ein gewählteres Publikum zu beschränken.

Ferner: Ist das Gedicht auch nur für jemand verständlich, der nicht entweder selbst in Rom war, oder nicht wenigstens seine Ruinen historisch kennt? Von solchen aber war – ohne Prävention gelesen – ein Mißverstehen weniger vorauszusetzen und, im schlimmsten Falle, kein schädlicher Einfluß zu fürchten. Der übrige Teil der wenigen Leser der Aglaja hätte sich wahrlich nicht die Mühe gegeben, in einem für ihn ebenso unverständlichen als uninteressanten Gedichte lange nach zweifelhaften Stellen zu suchen. Nur dem Geschrei unberufener Zwischenträger muß es zugeschrieben werden, wenn diese Hoffnung vereitelt wurde.

Endlich zur Erklärung des Umstandes, warum ich ein Gedicht dieser Art, wenn eine Mißdeutung auch nur entfernt möglich war, überhaupt dem Druck übergab? sei folgendes gesagt. Ich hatte bisher vermieden, in Tagesblätter und Taschenbücher etwas von meinen Arbeiten einzurücken, weil ich einen solchen Kleinbetrieb nach dem Ziel, das ich mir vorgesteckt habe, und nach der Stelle in der litterarischen Welt, auf die ich Anspruch machen zu können glaube, unter meiner Würde hielt. Als ich daher aufgefordert wurde, in die Aglaja, den Musenalmanach von Oestreich, nach dessen Inhalt das Ausland unsere Fortschritte in diesem Teile der schönen Künste beurteilt, Beiträge zu liefern; konnte ich mich nur unter der Bedingung dazu entschließen, wenn mir etwas Ganzes zu liefern vergönnt und eine Gelegenheit gegeben wurde, mich hier in einem größern Umfange als lyrischer Dichter ebenso zu zeigen, wie ich mich früher als dramatischer bereits gezeigt hatte. Ich suchte daher, mit Hintansetzung aller Vorteile, die mir von auswärtigen Verlegern angeboten worden waren, alles zusammen, was ich an Gedichten Vorzügliches gemacht zu haben glaubte, und da das Gedicht auf das Campo vaccino, als Gedicht betrachtet und abgesehen von seinem zum Teile mißverstandenen Inhalt, mir unter meine besten zu gehören scheint, so würde ich es ungern darin vermißt haben und zwar um so mehr, als es mit meinen übrigen in oder über Italien geschriebenen ein kleines Ganzes ausmachte.

Hat es jedoch gegen meine Absicht einen wahrhaft Frommen gekränkt, war ich unglücklich genug, mir dadurch sogar das Mißfallen Seiner Majestät zuzuziehen, so wollte ich es lieber nie geschrieben haben, und ich kann wohl aufrichtig sagen, daß mich die Bekanntmachung desselben wahrhaft und innig reut. Trifft es sich, daß Eure Excellenz in dieser an sich freilich wenig bedeutenden, aber durch die Umstände bemerkenswerter gewordenen und besonders für mich wichtigen Sache, Seiner Majestät noch irgend etwas berichten, so bitte ich, meine Reue über dieses ohne Absicht begangene Versehen Seiner Majestät mit der Versicherung zu Füßen zu legen, daß ich mit meinem Willen in einen ähnlichen Fehler nie mehr zu verfallen hoffe; eine Versicherung, deren Wahrheit meine nicht unbekannte Denkungsart und mein bisheriges Betragen wohl verbürgen dürfte.

Mit Hochachtung und Ergebenheit
Eurer Excellenz

Wien, am 1. Dezember 1819

gehorsamster

Franz Grillparzer,                  
Konzeptspraktikant der allgemeinen Hofkammer.


(1838.)

Nun, nach Jahren, erfahre ich erst den Zusammenhang jener Erbitterung über das Gedicht: »Die Ruinen des Campo vaccino« und die kaiserliche Entrüstung, deren Wirkungen bis jetzt fortdauern. Der Almanach, in dem das Gedicht stand, ward vom Buchhändler, was ich nicht wußte, der Königin oder irgend einer Prinzessin von Bayern dediziert und das Dedikationsexemplar nach München gesendet, ehe noch der Almanach in den Buchhandel kam. Dort nun nahm man es übel, daß ein solches Gedicht unter der Aegide einer bayerischen Prinzessin in die Welt gelangen sollte. Die Gesandtschaft erhielt Auftrag, gegen den Verstoß der östreichischen Zensur zu reklamieren. Die Staatskanzlei gerät in Feuer und Flammen. Die Polizei- und Zensurhofstelle wollte den schwarzen Fleck nicht auf sich sitzen lassen, und so gelangte er denn von Stufe zu Stufe bis an mich, der ich ihn niemand weiter mehr mitteilen konnte, denn der Zensor war Schreyvogel gewesen, um dessen bürgerliche Existenz es sich handelte. Seitdem dauert die Anfeindung etwa 15 Jahre bis jetzt.

Ich bin nicht der Narr, der von Verfolgungen träumt, um sich eine Wichtigkeit beizulegen; aber ich weiß, daß eine Verschwörung gegen mich existiert, die jetzt eben damit umgeht, mich aus dem Staatsdienste zu entfernen. Die Sache in ihren Folgen ist mir gleichgültig, denn ich möchte wissen, wie sie's anstellen wollten, aber die Gehässigkeit und ihre weite Verbreitung kränkt mich ins Innerste der Seele. Ich bin ein inoffensives Wesen.


Das goldene Vließ.

(1819)

Wenn ich mir recht überlege, warum mir nur Arbeiten, die sich rasch in einem Zuge vollenden lassen, gelingen, hingegen andere von größerer Ausdehnung, zu deren Zustandebringung ein längerer Zeitverlauf erforderlich ist, so leicht mißraten, so finde ich den Grund in dem ewigen Wechsel der Empfindungen, dem mich mein reizbares, unstetes Wesen aussetzt. Ich verliere bei lang anhaltender Beschäftigung mit einem Werke weder den Mut zur Vollendung, noch den eigentlichen Faden der Verknüpfungen; aber, so wie jetzt dieser, jetzt jener Zustand des menschlichen Lebens mich am meisten interessiert, trage ich unbewußt, so viel nur irgend möglich, von jenem Interesse in meine Hauptpersonen und ihre Schicksale, und so kommt es, daß, bei sonst unverrücktem Gang des Ganzen und Beibehaltung der Motive selbst, doch eine Ungleichheit im Ton entsteht, deren ich mir bald dunkel bewußt werde und die, zu Deutlichkeit gekommen, mir, und mit Recht, alle Lust und Freude an dem Werke nimmt. So ging es mir mit dem Goldenen Vließ. Ich muß es für ein verunglücktes Werk halten, und weiß Gott, ob es mir je gelingen wird, es mir wieder als ein Ganzes vor die Anschauung zu bringen und aus einem Gusse zu vollenden Ich verzweifle daran.


(1821)

Ich hatte heute nacht einen sonderbaren Traum. Ich träumte ein Vorspiel zur Medea, von dem ich mich jetzt nur noch erinnere, daß es ganz allegorisch war, daß darin Medea auf einem bettartigen Wagen liegend erschien und von einer weiblichen Figur an einem Seile gehalten und geleitet wurde, auch daß im Laufe des Stückes mich einmal als höchst passend überraschte, daß bei einer Stelle Medea mit den Händen eine Bewegung machte, als ob sie flöge oder schwämme. Das Ganze hatte mich entzückt und nun träumte ich fort, ich sei erwacht und bei dem Theatersekretär Schreyvogel, dem ich den Traum erzählte und meine Absicht, nach diesem mein Stück zu ändern. Ich konnte mich nicht mehr auf die einzelnen Umstände meines Traumgesichtes erinnern, dachte nach, suchte mir's zu vergegenwärtigen, fand endlich das Ganze wieder zusammen, und hatte die größte Freude darüber, als höchst poetisch und sinnreich. Räsonnierte auch mit einem scheinbar viel klareren Bewußtsein über meinen Traum und Träume überhaupt, und das alles im Traum. Als ich aus diesem höchst lebhaften Traum erwachte, bemeisterten sich meiner zwei Empfindungen. Erstens kam mir mein wachender Zustand gegen den vorigen vor wie eine Zeichnung gegen ein Gemälde, ein neblichter Tag gegen einen sonnenhellen; dann hatte ich ein eigenes unangenehmes Gefühl der Zeitbegrenzung, da mir früher so vieles, so im Flug und in so kurzer Zeit begegnet war.


(1822.)

Als Motto zum Vließ die Stelle aus Rousseaus Confessions L. IX, p. 226: L'on a remarqué que la plupart des hommes sont dans le cours de leur vie souvent dissemblables à eux mêmes, et semblent se transformer en des hommes tout différents.


(1822.)

Das, worauf es bei dem Goldenen Vließ ankommt, ist wohl dieses! Kann das Vließ selbst als ein sinnliches Zeichen des Wünschenswerten, des mit Begierde Gesuchten, mit Unrecht Erworbenen gelten? Oder vielmehr: ist es als ein solches entsprechend dargestellt? Wenn es das ist, so wird dieses dramatische Gedicht mit der Zeit wohl unter das Beste gezählt werden, was Deutschland in diesem Fache hervorgebracht hat. Ist aber die Darstellung dieses geistigen Mittelpunktes nicht gelungen (und so scheint es mir), so kann das Gedicht als Ganzes freilich nicht bestehen, aber die Teile wenigstens werden noch lange dessen harren, der's besser macht. Ich weiß wohl, daß meine Gemütsstimmung jetzt getrübt ist, aber ich glaube doch, das Werk ist mißlungen.

Sollte ich jetzt hintreten, wie so mancher, und versuchen, den Leuten das Verständnis zu eröffnen, und sagen: so hab ich's gemeint, das habe ich mir dabei gedacht? Was heißt das? Eine Maschinerie, an die man nicht glaubt, ist schon darum schlecht, denn sie ist poetisch unwahr, wäre sie auch metaphysisch unwiderleglich. Es bleibt nichts übrig, als zu warten, ob die Leute nicht von selbst daran glauben wollen.


(1822.)

Ich habe seit dem Vließ eine eigene Hinneigung zu großen, zusammengesetzten, ins Weite gehenden Kompositionen. Davor muß ich mich hüten, das ist nicht meine Sache. Wenn meine Phantasie die Schranken nicht fühlt, geht sie aus dem Weiten ins Weitere, und ermattet sie bei der Länge des Weges nur für einen Augenblick, so faßt die Hypochondrie Posto und zerstört mit ihrer Selbstkritik alles Gewonnene wieder. Man erzählt von einem General, daß er gesagt haben soll: Eine Armee von vierundzwanzigtausend Mann kann ich kommandieren, eine von hunderttausend kommandiert mich. Das sollte für alle Dichter gesagt sein, vornehmlich aber für mich. Die Ahnfrau, Sappho, das waren meine Stoffe!


König Ottokars Glück und Ende.

(1825.)

Mein neuestes Trauerspiel hat, wie man mir sagt, in einem der hiesigen Blätter einen herben Tadler gefunden. Was nun die Sache selbst, den Grund oder Ungrund des Tadels, betrifft, so fällt mir nicht ein, darüber ein Wort zu verlieren, denn sein eigenes Werk loben, ist beinahe ebenso albern, als das eines andern unbefugt verunglimpfen. Nur in Bezug auf die Form glaube ich Rezensenten von dieser Sorte darauf aufmerksam machen zu müssen, daß in der litterarischen Welt dieselben Anstandsregeln gelten, wie in der bürgerlichen, und daß, wenn die Herren einmal irren, die Lakaien zwar allerdings das Recht haben, darüber ihre Meinung zu sagen, aber mit dem Hut in der Hand.


(1825.)

Ich habe mich selbst bei Gelegenheit der vielen Mißverständnisse über König Ottokar auf die Vorrechte des historischen Trauerspieles berufen, auf den Unterschied zwischen demselben und jenem von erdichtetem Stoff. Worin liegt denn derselbe nun aber eigentlich? Wenn ich mir's recht zu verdeutlichen suche, so ist dieser Unterschied kein anderer, als der zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, zwischen Gedenkbarkeit und Existenz, zwischen Handlung und Begebenheit. Die Tragödie mit erfundenem Stoff hat kein höheres Gesetz als strenge Ursächlichkeit. Da ihre letzte Aufgabe ist, einem Gedenkbaren den Schein der Wirklichkeit zu geben, so kann sie sich nie von der genauesten logischen und psychologischen Stetigkeit lossagen, und nur, was sich völlig erklären läßt, wird ihr zugegeben; denn ihre Aufgabe ist Menschenwerk, und was der menschliche Verstand ersinnt, muß der menschliche Verstand begreifen, allseitig und jederzeit verfolgen können. Das Letzte der historischen Tragödie aber ist Gottes Werk: ein Wirkliches: die Existenz. Nur ein Thor konnte glauben, daß dem Dichter hier die Verknüpfung von Ursache und Wirkung erlassen wäre. Aber wie in der Natur sich höchst selten Ursache und Wirkung wechselseitig ganz decken, so ist, in der Behandlung eine gewisse Inkongruenz beider durchblicken zu lassen, vielleicht die höchste Aufgabe, die ein Dichter sich stellen kann. Allerdings eine höchst gefährliche Klippe! Die Unverständlichkeit, der Unsinn lauern geschäftig auf jeden Fehltritt, und nur die Anschauung kann retten, indes der Begriff rein nutzlos wird und zurückbleibt. Da aber, wie oben gesagt, der Mensch (und mit Recht) dem Menschen nichts glaubt, als was der Mensch begreift, so kann diese Art der Behandlung auch nur in rein historischen Stoffen mit Glück versucht werden, weil nur hier ein höherer Geist, der Weltgeist, den Begebenheiten die Gewähr leistet und für die Endpunkte einsteht. Es müssen ferner die gewagten (scheinbaren) Inkonsequenzen eigentlich Inkonsequenzen der Natur sein, und der Zuseher muß das Gesetz der Kausalität fühlen, wenn er es auch nicht nachweisen kann. Der Zuseher muß sich aber auch in diesem Sinne der Handlung hingeben wollen, und selbstgefällig kritische Bestrebungen reduzieren ein solches Stück nur gar zu leicht ad absurdum. Es lebt kein Stümper, der daher so leicht lächerlich zu machen wäre, als Shakespeare, der große, oder vielmehr einzige Meister in dieser Gattung; und Voltaire z. B. hat es mit vielem Erfolge gethan. Noch einmal! ein gefährliches Feld! Man muß auf: Siegen oder Sterben gefaßt sein, wenn man es betritt. Mich aber hat schon seit lange ein gewisser Ekel vor dem eng-psychologischen Anreihen und Anfädeln erfaßt – vaincre ou mourir! Was ich da niedergeschrieben, klingt wohl ein bißchen wie Unsinn; ich bin mir aber nur noch nicht klar genug, und will das Ganze wohl einmal in der Folge ausführen.


Ein treuer Diener seines Herrn.

(1827.)

Wenn nicht aus dem Betragen Ernys hervorgeht, daß sie früher doch einiges, wenngleich unschuldiges Wohlgefallen an dem Prinzen gehabt, so handeln die ganzen drei ersten Aufzüge de lana caprina.

Ich habe das Trauerspiel: »Ein treuer Diener seines Herrn« der Theaterdirektion übergeben. Der Theatersekretär Schreyvogel besteht darauf, daß ihm das Stück nicht gefalle. Ich halte viel auf des Mannes Urteil, und mein innerstes Gefühl gibt ihm recht. Aber mißfällt auch jetzt das Stück, so war es ja doch einmal anders. Als ich es schrieb – freilich kann das täuschen! Auch bin ich mir bewußt, während der Arbeit am Plane geändert zu haben, und da kann leicht etwas Unübereinstimmendes in die Teile gekommen sein. Ich fühle meine Kraft versiegen. Mein Herz ist betrübt bis in den Tod. Ἀλλ' ἐπιχειροῦντι τοῖς καλοῖς, καλῶς καὶ πάσχειν ὅ τι ἄν τῳ ξυμβῇ παϑεῖν.


(28. Februar 1828.)

Aufführung des Dramas: »Ein treuer Diener seines Herrn«. Stürmischer Beifall. Es ist gut, wenn wirkliche Dichter von Zeit zu Zeit dem Publikum zeigen, daß sie die sogenannten Theaterwirkungen hervorzubringen verstehen, damit dasselbe einsehen lerne, daß, wenn sie ein andermal diese Wirkungen beiseite lassen, es aus Absicht und höheren Zwecken zuliebe geschehe, nicht aber aus Unvermögen. Man wird das Bunte dieser Produktion sehr tadeln, aber, außer dem schon erwähnten Grunde trieb auch noch der Umstand zu dieser Art der Behandlung, daß ich seit einiger Zeit ein Abnehmen an intensiver Kraft der Phantasie bei mir zu bemerken glaubte, und ich mich daher gewissermaßen probieren wollte, wie weit sich die Spannung noch treiben lasse. Auf dem Wege fortzufahren wäre freilich nicht rätlich.


Des Meeres und der Liebe Wellen.

(20. April 1831.)

Am 5. dieses Monats Hero und Leander aufgeführt; nicht gefallen. Die ersten drei Akte wütend applaudiert, die letzten zwei ohne Anteil vorübergegangen. Traurig, daß die Stimme des Publikums mit meinen eigenen Zweifeln so sehr zusammentrifft. Der fünfte Akt ist zwar leider nur zu wirksam, zu theatralisch (weshalb ich ihn auch immer ändern wollte), er litt aber offenbar unter der Wirkungslosigkeit des vierten Aktes, denn auf einmal Zerstreute wirkt nichts mehr. Sonderbar! Diesen vierten Akt schrieb ich gerade mit der meisten Innigkeit, dem nächsten Einleben, und er schien mir vom ersten Augenblicke sehr gelungen, aber schon bei der zweiten Ueberarbeitung, ein Jahr später, konnte ich mich selbst nicht mehr darein finden. Das Ganze ist offenbar mit zu wenig Folge, abgerissen und mehr mit einer allgemeinen als mit einer besonderen, mit einer Stoffbegeisterung geschrieben. Mehr Skizze als Bild. Die Aufgabe war ungeheuer. Wenn die Lösung gelang, war der Gewinn groß für die Poesie. Sie gelang nicht. Und doch! und doch! Wenn ich durch ein paar noch folgende gelungene Leistungen mich in der Zahl der bleibenden Dichter erhalten kann, möchte leicht eine Zeit kommen, wo man den Wert des wenn auch nur halb Erreichten in diesem vierten Akte einsehen dürfte.

Sonderbar die Wirkung, die dieses Mißlingen auf mich machte. Anfangs höchst unangenehm, wie natürlich; aber schon den zweiten Tag gewann ein höchst beruhigendes Gefühl die Oberhand.

Aus der Knechtschaft des Publikums und des Beifalls gekommen zu sein, wieder mein eigener Herr, frei zu schreiben oder nicht, zu gefallen oder zu mißfallen, kein obligierter Schriftsteller mehr, weil ein Mensch, ein innerlicher, stille Zwecke verfolgender, nicht mehr an Träumen, an Wirklichkeit Anteil nehmender Mensch. Ja, wenn ich es wieder dahin bringen könnte! Jede Demütigung der Eigenliebe sollte mir für den Preis willkommen sein!


(1837.)

Man hat sonderbar gefunden, daß ich dem aus dem Stoffe von Hero und Leander gezogenen Stücke den Titel: »Des Meeres und der Liebe Wellen« gegeben. Mir lag aber daran, gleich von vornherein anzudeuten, daß die Behandlung, obgleich mit antiker Färbung, doch romantisch gemeint sei. Es war überhaupt ein Versuch, beide Richtungen zu vereinigen. Die Ausführung mag zurückgeblieben sein, oder vielmehr, ich weiß, daß sie es ist; aber das Vorhandene scheint mir noch immer beachtenswert. Die Fehler sind im vierten Akte aber leider von der Art, daß sie nicht wegzuschaffen sind. Das pflegt immer so zu gehen, wenn man an einem in früherer Zeit unreif, aber warm gedachten Plan später bei der Ausführung ändert und umstellt. Vor allem ist die Figur des Priesters dabei zu kurz gekommen.


Der Traum ein Leben.

(4. Oktober 1834.)

Aufführung des dramatischen Märchens: »Der Traum ein Leben«. Vollkommener Succeß.

Die Geschichte dieser Arbeit ist sonderbar genug. Die erste Idee dazu entstand in mir unmittelbar nach Aufführung der Sappho, und den Anlaß dazu gab Voltaires Erzählung: Le blanc et le noir. Ich sprach mit dem Schauspieler Heurteur über den Gedanken, der dabei entzückt war und seinen Kameraden Küstner (Reichart) zu mir brachte, der bald darauf im Theater an der Wien eine Einnahme zu erwarten hatte und mich dazu um dieses Stück bat. Ich war bereit, da durch Heurteur und Küstner sich die beiden Hauptrollen des Stückes vortrefflich besetzt fanden. Bald aber trat eine Stockung ein. Küstner, der sich (zum Teil mit Recht) auf seine Mimik viel zu gute that, wollte durchaus jenen Zanga nicht als Schwarzen spielen. Mir hatte sich diese Form aber schon so eingeprägt, daß es mich in meinem Ideengange störte, und da zugleich Freund Altmütter, dem ich von dem Stücke erzählt hatte, davon halb im Scherze nur als von einem Unsinn sprach, statt der handelnden Personen vielmehr das Publikum träumen zu lassen, ward ich verdrießlich, legte den vollendeten ersten Akt hin und erklärte Küstner, auf mein Stück habe er für seine Einnahme nicht zu rechnen, er möge sich um ein anderes umsehen. Das that er denn auch, und als der Tag kam, gab er ein Stück, das – eben auch auf einen Traum basiert war, der vor dem Zuseher sich objektiviert und die Sinnesänderung des Helden bewirkt. Das Zusammentreffen war um so merkwürdiger, da bis auf jenen Tag eine ähnliche Idee nie dramatisch behandelt worden war. Aber wie auch immer, das fremde Stück war da, und ich verlor nun alle Lust, an dem neuen weiter zu arbeiten, ja, ich gab jeden Gedanken an die Vollendung desselben so sehr auf, daß ich bald darauf den fertigen ersten Akt in einem Wiener Theateralmanach unter dem damaligen Titel: »Des Lebens Schattenbilder« drucken ließ. Börne sprach damals in der »Wage« von diesem Akte mit großem Lobe. Viele Jahre vergingen, und ich dachte nicht mehr an das Bruchstück. Nach vielen Jahren – ich hatte eben die erste skizzierte Bearbeitung von Hero und Leander vollendet – fiel mir das längst Vergessene wieder in die Hände.


(1834.)

Herr Pitznigg, der unter dem Namen Ermin seit längerer Zeit den hiesigen Blättern die stehenden Artikel der Theaterkritik liefert, hat in einer Nummer des Sammlers meine letzte dramatische Arbeit »Der Traum ein Leben« bedeutend angegriffen. Ich habe bis diesen Tag auf Kritiken nie geantwortet, ja sie nur selten gelesen. Nun erlaubt sich aber Herr Pitznigg-Ermin (Catalani-Valabrègue; Fodor-Main-vielle) einen Herrn Seydel, den ich übrigens nicht kenne, der aber in einer Zeitschrift die Partei meines Stückes genommen hat, vornehm abzufertigen, ihn de haut en bas zu traktieren, kurzum litterarisch auszurotten, wobei verstockterweise wieder dieselben Wunderlichkeiten über das Stück wiederholt werden. Das verändert die Sache. Ich muß meinem Alliierten zu Hilfe kommen, der (um in Herrn Pitzniggs Turniersprache zu sprechen) gegen ihn wenigstens darin im Vorteil steht, immer offenen Helmes gegangen zu sein und keine Narben zu haben.

Indem ich aber meinen Alliierten verteidige, muß ich ihn zuerst selbst angreifen. Er schiebt Herrn Pitzniggs Tadel einer Feindschaft gegen mich zu. Das ist lieblos. Fehler des Herzens entehren; warum den Grund nicht lieber in Unkenntnis und Urteilslosigkeit suchen, wobei doch der Charakter unbefleckt bleibt! Dann: Feindschaft! Hat Herr Seydel vergessen, daß der Begriff des Wortes Feind ein Korrelatum ist, wie der von Freund? Feindschaft ist nicht bloß ein hingeworfener, sie ist der aufgehobene Handschuh, eine erwiderte Empfindung. Ich kann den König von England oder den Kaiser von Rußland lieben oder hassen, loben oder tadeln, sie beneiden oder ihnen wohlwollen; aber ihr Feind kann nur ein anderer Potentat, einer ihresgleichen sein. Nein, nein, Herr Pitznigg ist nicht der Feind des Verfassers der Ahnfrau und Sappho, der Medea und des Ottokar und so fort bis auf das gegenwärtige Stück, das nun gar das schönste von allen ist. Ei, ei, Herr Seydel, Sie sind mein Freund, aber wo bleibt die Logik?

Um nun von der Kritik selbst zu sprechen, so weiß ich nicht, was Herr Pitznigg von Allegorie träumt? In dem ganzen Stücke ist keine Spur davon, er müßte denn die beiden Genien meinen, die ohne Einfluß auf den Gang der Handlung mehr wie lebende Dekoration anzusehen sind, andeutend, daß die Traumwelt beginne und daß sie ein Ende habe. Allegorien oder verkörperte Begriffe (das Hilfsmittel schlechter Dichter) kommen sonst nirgends vor, wodurch nicht ausgeschlossen wird, daß man sich bei einzelnen Figuren und Erscheinungen etwas Tieferes denken könne. Nicht allegorisch, aber gewissermaßen symbolisch ist alle echte Poesie, und hinter dem Geist in Hamlet und den Hexen in Macbeth liegt allerdings eine unübersehbare Ferne, ohne daß darum (wenn auch nur in der Supposition) der Geist minder ist und die Hexen weniger sind. Bei Gelegenheit des Macbeth fällt mir ein, daß Herr Pitznigg, als Erweis, daß man den Weg eines Ehrgeizigen auch mit natürlichen Mitteln darstellen könne, dieses letztgenannte Meisterwerk Shakespeares anführt. Er rechnet also die Hexen unter die natürlichen Mittel! Ich möchte wissen, ob der Kritiker sich des Nachts über einen Kreuzweg zu gehen getraut?

Ganz spezios ist der Einwurf: es sei ja nicht gerade notwendig, daß jeder Ehrgeizige gerade solche Greuel begehen müsse! Gewiß nicht. Der eine vergiftet einen König, der andere läßt ohne Urteil und Recht einen Enkel von Königen hinrichten, der dritte – aber ich sehe schon, das Märchenhafte, das Allegorische blendet die Kritik, wir wollen den Fall ganz aufs Natürliche zurückführen, vielleicht kommen wir so leichter zum Verständnis.

Gesetzt, es schriebe einer ein Gegenstück, eine – Parodie dieses: Traums ein Leben, der Traum kein Traum. Er führte darin einen jungen Menschen auf von leidlichen Fähigkeiten und ziemlich gutem Willen, den, wie so manchen andern, die Süßigkeit der Litteratur, noch mehr aber die Aussicht auf ein beschäftigungsloses, lockeres Leben anziehen und der im Zweifel ist, ob er der Lockung folgen soll. Er geht zu einem erfahrnen, als gutmeinend erprobten Mann und trägt ihm sein Anliegen vor. Der warnt ihn, zeigt, wie die Litteratur nur den Begabtesten Ehre und selbst diesen kaum Vorteil bringe; wie kläglich der Lauf, wie schmählich das Ende unberufener oder nur halbberufener Litteraturmenschen u. s. w. Der junge Mensch geht gedankenvoll nach Hause. Er ist schläfrig (nämlich: als Mensch, nicht bloß als Schriftsteller). Er legt sich zu Bette. Da erscheinen zwei Genien, der eine durch ein buntilluminiertes Modenkupfer, der andere durch einen schwarzen Holzschnitt repräsentiert, über seinem Haupte. Die Wand des Hintergrundes öffnet sich . . . .


(1834.)

Neben manchem Vortrefflichen und unendlich vielem Guten in unserer lieben Vaterstadt gibt es auch ein unendlich Schlechtes, und das ist, mit wenigen ehrenhaften Ausnahmen, der Zustand der Kunst-, namentlich der Theaterkritik. Der Grundfehler liegt dabei hauptsächlich in dem Umstande, daß diese Kritik nicht von eigentlichen Litteratoren ausgeübt wird, sondern meistens von Leuten, die halb zufällig hineingeraten und nur aus Not, aus Liebe zum Müßiggange, Unfähigkeit zu etwas anderem und zuletzt aus einer Art Verzweiflung darin beharren.

Sie fangen in den Schuljahren, zum Nachteil ihrer Sonntagskompositionen und Hausaufgaben, an, sich dem süßen Reize des Besserwissens zu überlassen, vernachlässigen das Nötige über dem Höchstentbehrlichen, bis endlich zur Zeit der österlichen oder Herbstprüfungen eine dritte Fortgangsklasse der Musaget wird, der sie auf immer der Litteratur in die Arme führt. Die schlechten Studenten gehen unter die Kritiker, wie ehemals unter die Soldaten.

Anfangs fühlen sie sich höchst glücklich in der neuen Halbbeschäftigung. Aus dem Konzert ins Schauspiel, aus dem Tanzsaale in die Oper, von schlechten Schriftstellern und wohl auch hie und da von einem Schauspieler gehätschelt, fließt das Leben, ein ewiges Fest, hin. Nach und nach – meistens zugleich mit dem Mangel – kommt aber doch das Bewußtsein des verfehlten Lebenszweckes über sie. In einer Welt voll nützlicher Bestrebungen sehen sie sich allein zigeunerhaft ausgeschlossen. Der Gewinn ist spärlich, an bürgerliche Achtung nicht zu denken. Da kommt ein bitterer Ingrimm über sie, der sich auf keine andere Art Luft zu machen weiß, als durch Herabwürdigung des in früherer Zeit geträumten, nun aber für immer versagten Besseren, indem sie zugleich durch Emporhebung des kongenial Schlechten ihrer Stellung Kraft und Anhänger zu verschaffen suchen.Der Schluß des fragmentarischen Aufsatzes liegt nur in einem früheren Entwurfe vor.

Solange nun die Anfeindung gegen das Gute nur in kritischen Ausfällen laut wird, läßt der vernünftige Mann (man verzeihe, daß ich mich selbst lobe) derlei mit stiller Verachtung an sich vorüberziehen, geht aber die Schamlosigkeit bis zur Entstellung von Thatsachen, dann wird es gewissermaßen Pflicht, die rüttelnde Hand auszustrecken und ein bannendes Halt! den Menschen entgegenzusetzen.

Es hat sich nämlich ein Ungenannter in den von einem sicheren Herrn Pitznigg redigierten »Mitteilungen aus Wien« erfrecht, eine historische Darstellung der Entstehung meiner letzten dramatischen Arbeit »Der Traum ein Leben« in die Welt zu senden und zwar mit Anführung von Umständen, die, wären sie wahr, niemand anders als aus meinem eigenen Munde wissen könnte, ein Weg der Belehrung, der, wie Herr Pitznigg sehr wohl weiß, ihm und seinen Freunden durchaus nicht offen steht.

Statt nun diese ekelhafte Mitteilung aus einem Winkel Wiens punktweise zu durchgehen, finde ich es am geratensten, die in der That sonderbaren Schicksale dieses mit so vieler Teilnahme aufgenommenen Stücks selbst bekannt zu machen, und zwar um so mehr, als nur dadurch der eigentliche Standpunkt zur Beurteilung mancher Einzelheit gewonnen werden kann, und vielleicht manche jetzt oder künftig entstehende Streitigkeit über Plagiat und Priorität erst auf diese Art mit einemmale sich entschieden findet.


Theater-Nachricht.

Ich habe in Erfahrung gebracht, daß mehreren deutschen Bühnen diebischerweise genommene Abschriften von meinem Schauspiele: »Der Traum ein Leben« angeboten worden sind. Ich erkläre demnach, daß derlei Abschriften rechtmäßigerweise nur von mir, mit meiner Handunterschrift und der ausdrücklichen Benennung der Bühne versehen, für welche das Exemplar bestimmt ist, bezogen werden können. Das Honorar setze ich mit 20 Dukaten für größere Residenz- und Hauptstädte, mit 12 Dukaten für die übrigen fest, gegen deren Erlag oder sichere Anweisung das Manuskript ausgeliefert werden wird. Ob viele oder wenige Direktionen hiervon Gebrauch machen wollen, ist mir völlig gleichgültig. Unbefugte Aufführungen aber werde ich ebenso sehr im Interesse der deutschen Gesamtlitteratur, als in meinem eigenen, durch die jedem k. österr. Unterthan offenstehenden Mittel, unnachsichtlich, ja mit eigenen Opfern verfolgen.

Wien, am 28. Oktober 1834.

Franz Grillparzer.


Weh dem, der lügt.

(März 1838.)

Wenn wir an dem Werke des ofterprobten Mannes einzelne Fehler bemerken, so können und werden wir oft recht haben; wenn wir aber glauben, er habe sich völlig und im ganzen Umfange geirrt, so sind wir in Gefahr, gar nicht zu wissen, um was es sich handelt.


(1839.)

Der Schauspieler, der in dem verunglückten Lustspiele: Weh dem, der lügt! den Galomir gab, glaubte ihn gar nicht genug als Idioten, als Kretin halten zu können. Ganz unrichtig. Galomir ist so wenig dumm, als die Tiere dumm sind; sie denken nur nicht, Galomir kann darum nicht sprechen, weil er auch nicht denkt; das würde ihn aber nicht hindern, z. B. in der Schlacht den rechten Angriffspunkt instinktmäßig recht gut herauszufinden. Er ist tierisch, aber nicht blödsinnig.


(Um 1840.)

En vérité le mentir est un maudit vice. Nous ne sommes hommes, et ne nous tenons les uns aux autres que par la parole. Si nous en connoissions l'horreur et le poids, nous le poursuivrions à feu, plus justement que d'autres crimes.  Montaigne des Menteurs. Wer wird nicht glauben, daß ich diese Gedanken von Montaigne entlehnt habe? Und doch war jener Monolog des Bischofs in »Weh dem, der lügt!«, der genau dasselbe ausspricht, schon vor fünf Jahren geschrieben, und den Montaigne lese ich heute.


Der arme Spielmann.

(1848.)

Ich habe vor einiger Zeit in einem hiesigen Blatte, von einem hiesigen – Kritiker eine Beurteilung von Goethes Geschwistern gelesen. Da war nun die Meinung, daß an einer so einfachen Geschichte inner den Wänden einer bürgerlichen Wohnung, an der Liebe eines unbedeutenden Mädchens für einen ebenso unbedeutenden Mann, der sogar vor dem Laden einer Käsehändlerin stehen bleiben und dabei bewundernde Betrachtungen über die menschliche Gewerbsthätigkeit anstellen könne, gar nichts Besonderes und es daher unbegreiflich sei, wie man derlei Armseligkeiten einem an große Ideen gewohnten Publikum vorführen könne. Ich erinnerte mich dieser Rezension bei Gelegenheit einer andern von einem ähnlichen – Kritiker über meine Erzählung: ein alter Spielmann. Es geht eben mit der Betrachtung von Kunstwerken, wie mit der Beschauung von Naturgegenständen. Während der stumpfe Sinn des gewöhnlichen Hinschlenderers beim Anblick eines Baumes eben nichts bemerkt, als daß er grün sei, sieht das scharfe, wohl gar kunstgeübte Auge eine solche Welt von Abstufungen der Farbe und des Lichts, daß er stundenlange stehen und immer wieder den Baum betrachten kann, ja, wenn er Maler ist und eine Nachbildung versuchen will, gerät er in Verzweiflung, auf der Palette jene Farben zu finden, die der andere mit der allgemeinen Bezeichnung »grün« so schnell abgefertigt hat. Es soll hier nicht eine Parallele zwischen jener anspruchslosen Erzählung und einem Meisterwerke Goethes gezogen, sondern nur darauf aufmerksam gemacht werden, welch ungeheurer Unterschied bei den einfachsten Gegenständen zwischen einem sinnigen Betrachter sei und einem Dummkopf.

 


 


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