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Ohne Selbstüberhebung konnte ich mir schmeicheln, daß ich das wesentlichste zu dem durchschlagenden Erfolg des Bildes beigetragen hatte. Es war unleugbar. Ich hatte den Namen Fritz Löhr im besten Sinne des Wortes gemacht. Der Chorus der übrigen Kritik hatte dann allerdings mit eingestimmt. Aber der erste Posaunenbläser war ich gewesen . . . Das ist Fritz Löhr! Mit dem Mann muß gerechnet werden! . . .
Sein Bild war aber auch eigenartig schön. »Klassische Walpurgisnacht« hatte der Maler es betitelt. Die Szenerie aus Faust zweiter Teil . . . Ein antiker Hain mit dem Meer im Hintergrund. Ein halbverfallener Tempel, um den verwilderte Vegetation wuchert. Und über allem gespenstige, geheimnisvolle, still verschwiegene Mondnacht. Man glaubte die Zweige der Zedern rauschen zu hören im leisen Windhauch. Man sah die dunkeln Wipfel der Zypressen schwanken. Man hörte, wie sich friedsam 132 murmelnd die Wellen am Strande brachen. Und dann dieses Mondlicht, das über den Ruinen flirrte und sie mit silbernen Schleiern überzog. Kein Wesen ringsum. Nur die schweigende Natur. Kein Meergreis tauchte aus den Wellen. Kein Nymphlein lugte kichernd aus einem alten Baum. Kein Triton blies sein Horn. Und doch ahnte man in dem zitternden Licht etwas Übersinnliches, Geisterhaftes, allem menschlichen Fernes.
Klassische Walpurgisnacht . . . Ich hatte mehrere Artikel darüber geschrieben. Ich war in das Bild vernarrt. Zu gern hätte ich genaue biographische Daten über den Maler Fritz Löhr gebracht.
Fritz Löhr war aber einfach nicht zu finden. Die Erkundigung bei der Ausstellungskommission ergab die Adresse eines kleinen süddeutschen Nestes. Ein dahin gerichtetes Schreiben kam mir als unbestellbar wieder zurück.
Was mich an der ganzen Sache einigermaßen zu verstimmen begann, war, daß ich nicht einmal wußte, ob der Schöpfer der Klassischen Walpurgisnacht meine begeisterten Feuilletons über sein Bild überhaupt gelesen hatte. Denn auch ein gleichzeitig mit meinem Schreiben abgesandtes Packet Zeitungen hatte ich als unbestellbar wieder zurückerhalten.
133 Aus diesen Zweifeln wurde ich endlich erlöst. Ich erhielt ein verbindliches Schreiben des Künstlers, das mir die Lektüre meiner Artikel dankend bestätigte. Kein Wunsch nach einer näheren Bekanntschaft. Keine Andeutung über Lebensstellung oder weitere Arbeiten. Ja nicht einmal eine Adresse. Kein Datum, kein Ort. Der Poststempel rührte von einer Bahnambulanz her. Da sollte jemand den Absender suchen . . .
Bekanntlich reiten manche Kunstkritiker ihr Steckenpferd. Ich hatte mir auch schon frühzeitig mein Rößlein geschirrt. Es schlug mit allen vier Hufen energisch nach jeder Blaustrümpferei in der Kunst aus. Ich pflegte in verschiedenen meiner Feuilletons eine Malerdilettantin oder Dilettantenmalerin zum Dessert zu verspeisen.
Ich hatte es schon fast aufgegeben, Fritz Löhr in seiner Menschlichkeit zu entdecken. Der Sommer nahte heran. Ich brauchte Ruhe und Ausspannen und beschloß, mich für ein paar Wochen ganz in eine waldige Sommerfrische zurückzuziehen.
Je näher der Zeitpunkt rückte, um so eifriger studierte ich die Anzeigen in den Zeitungen, die lauter irdische Sommerparadiese versprachen. Nach langem Suchen glaubte ich das Geeignete gefunden zu haben.
134 Ein neu entdeckter Sommerkurort, den ich noch niemals vorher gelesen hatte. Bei dem lobenswerten Wettbewerb war es füglich anzunehmen, daß Eggenbach . . . so hieß mein erwähltes Tuskulum . . . nicht an Überfüllung leiden würde. Auch war die nächste Bahnstation mindestens drei Stunden entfernt. Ein kleines Städtchen sollte es sein. Mittelgebirge, viel Wald, Ruhe, Abgeschiedenheit, gute Verpflegung.
Ich packte meinen Koffer mit dem Nötigsten und dampfte in den sonnenhellen Tag hinaus. Die letzte Bahnstation war erreicht. Eine Art vorsintflutlicher Arche Noah, die unter dem pompösen Titel eines Postomnibus segelte, nahm mich, mein Gepäck und zwei Damen auf.
Die beiden Damen, Mutter und Tochter, gehörten zu einem höheren Beamten aus München, der vor einer Woche schon nach Eggenbach vorausgereist war. Die Mama eine fein gebildete Frau. Die Tochter sehr hübsch.
Wir kamen natürlich auf Kunst zu sprechen. Meine Sympathien für meine beiden Reisebegleiterinnen wurden nur um so größer, als es sich herausstellte, daß sie das Bild von Fritz Löhr gesehen hatten. Sie waren mit mir einig in der Bewunderung dieses Kunstwerkes.
135 Wir hatten uns unterwegs recht angefreundet. Trotzdem entstieg uns allen ein Seufzer der Erleichterung, als der Marterkasten von einem Postomnibus vor dem Gasthof zur Weißen Rose in Eggenbach hielt, der eine Sommerpension für Fremde eingerichtet hatte.
Die Sensation des beginnenden Fremdenverkehrs schien überhaupt das kleine Nest in einem gewissen Bann zu halten. Man war eine Sehenswürdigkeit in dem Städtchen mit seinen nicht viel mehr als tausend Einwohnern. Man fühlte es ordentlich, wie sich dieses Spießeridyll gehoben fühlte, daß nun ein Stück der großen Welt in seine stillen Gassen flutete.
Eggenbach war entzückend gelegen. Am Fuß eines bewaldeten Hügels, dessen Kuppe die Ruine einer alten Burg krönte. Im Talgrund eine rauschende Ache. Und dann Wald, recht viel Wald und naher Wald.
Einen Teil des nächsten Waldes hatte man zum »Stadtwald« erhoben. Eine Pforte mit entsprechender Inschrift führte in dieses Heiligtum. Man hatte lauschige Wege geebnet und Bänke angebracht.
Ehrsame Gastlichkeit umgab den Fremden auf Weg und Steg. Jeder Mensch grüßte, fragte wohl auch, wie es einem gefiele. Man fühlte es, man war hier eine Persönlichkeit und keine bloße Nummer.
136 Und es schlenderte sich auch so traulich in den schattenkühlen Gassen des alten Nestes. Ein Nervenbad war es. Wenn man auch in einer halben Stunde das ganze Städtchen bequem durchwandert hatte, nach allen Richtungen bis in die letzten Winkel, so unternahm man diese Schlenderwege doch gern immer wieder. Und man spann sich all die kleinen Schicksale aus, die sich hier abspielten und seit Jahrhunderten abgespielt hatten . . . man dachte an all die Menschen, die sich hier Tag für Tag begegneten und sich kannten bis zum letzten Kräutlein im Suppentopf.
Ja, es gibt auch noch größere Kleinstädte als gerade Eggenbach. Kleinstädte mit vielen Tausenden von Einwohnern, die aber beleidigt wären, wenn man sie mit diesem Namen ansprechen würde. Und doch sind sie es. Die Kleinstadt beginnt da, wo der einzelne Mensch mit dem Bewußtsein auf die Straße tritt, daß er gesehen wird. Wo dieses Bewußtsein nicht mehr vorhanden ist, da hört auch die Kleinstadt auf.
Dieses Bewußtsein, gesehen zu werden, erreichte natürlich in Eggenbach den Gipfel der Beschaulichkeit . . . Jene beschauliche Ruhe, die sich selber sagt: hier bist du behütet und bewacht auf Schritt und Tritt. Hier kannst du überhaupt keinen Fuß vor den andern setzen, ohne daß man dich sieht.
137 Untergehen im Gewühl der Großstadt hat sein Gutes. Aber auch dieses fortwährende Wandeln unter bekannten Gesichtern hat seinen eigenen Reiz, wenn es eben nicht zu lange dauert oder gar ein ganzes Leben ausfüllt. Es ist wie ein bequemes Gewand, in das man Tag für Tag schlüpft.
Die gleichen Menschen, die gleichen Gassen, die gleichen Häuser. Die paar Geschäfte mit ihrer gleichen Aufmachung. Die alten Schilder und die alten Erker. Und jedes Haus gewinnt mit der Zeit ein bestimmtes Gesicht. Es kennt dich ebenso gut, wie du es kennst. Es schaut dir nach auf deinen Wegen und begleitet dich mit seinen Blicken, bis du um die nächste Ecke verschwunden bist. Und da nimmt dich schon die andere Gasse in Empfang oder der Hauptplatz.
Und alle nicken dir zu, die Türen und Fenster und Giebel und Dächer . . . Wir kennen dich . . . Gut geschlafen? Gut gegessen? . . . Ja, ja, wir kennen dich. Lasse es dir nur wohl sein . . .
Die Wirtschaft zur Weißen Rose führte eine behagliche dicke Wittib, deren hausmütterliches Aussehen mich von allem Anbeginn über Kost und Wohnung beruhigte.
Papa Mühlmann, das Familienoberhaupt der beiden Damen, ein jovialer alter Herr, bewillkommte mich in der liebenswürdigsten Weise.
138 Wir drei, Mama Mühlmann, Fräulein Hedwig Mühlmann und ich hatten das Dutzend Kurgäste bei der Weißen Rose gerade vollgemacht.
Am nächsten Tag kam ein einzelner Herr. Er war der Dreizehnte. Als wenn es nicht gleich zwei neue Gäste auf einmal hätten sein können . . . beschwerte sich Frau Mühlmann, die etwas abergläubisch war.
Es war schlechtes Wetter eingetreten. Eine volle Woche blieb es bei der Tafelrunde der Dreizehn. Der Dreizehnte, ein Professor der Botanik, hatte ebenfalls von der Klassischen Walpurgisnacht Kenntnis und außerdem noch zwei Damen der übrigen Gesellschaft. Jedenfalls unterlag es keinem Zweifel, daß das Bild bereits berühmt war. Hatte sich doch durch Zufall in dem einsamen Eggenbach eine ganze kleine Fritz Löhr-Gemeinde zusammengefunden.
Endlich begann sich der Himmel wieder aufzuhellen. Die Postkutsche brachte zwei neue Gäste. Offenbar junge Eheleute. Er etwas linkisch in seinem Benehmen. Blonder Schnurrbart. Intelligentes Gesicht. Sie, die neu Angekommene nämlich, ganz außerordentlich hübsch. Eine schlanke Blondine. Graziöser Wuchs. Ein reizendes Gesicht voll Anmut und Jugendfrische. Sie mochte Mitte zwanzig sein. Wunderbare Augen. 139 Sogenannte Märchenaugen. Abgrundtief wie ein Bergsee, und doch so lieb und heimlich vertraut.
Fünf Minuten nach Ankunft der beiden Gäste wußten wir durch die Wirtin, daß es kein Ehepaar, sondern Geschwister waren. Sie hatten zwei Zimmer gemietet.
Also keine junge Frau. Ein junges Mädchen. Ich konnte mir noch keine genügende Aufklärung darüber geben, weshalb mich das so unbändig freute.
Unter dem Reisegepäck der beiden Fremden hatte ich auch einen Malkasten und eine kleine Staffelei bemerkt. Also malte sie? Meinetwegen! Aber warum denn gerade sie? Konnte nicht er auch malen? . . . Was ging mich das übrigens an! . . .
Am folgenden Tage hatten die beiden schon in aller Frühe einen Ausflug unternommen. Zum Mittagessen kamen sie zu spät. Es wurde ihnen nachserviert, als schon alle Gäste den Speisesaal verlassen hatten. Über Nachmittag ebenfalls ein Spaziergang.
Aber wenigstens mußten sie sich jetzt in das Fremdenbuch eingetragen haben. Diese Erkenntnis versammelte alle Dreizehn trotz des schönen Wetters wieder zur Jause, was noch nie der Fall war. Ja, man wird neugierig in kleinen Städten . . .
Was stand also da geschrieben? . . . Fritz Löhr, Referendar und Schwester Friederike Löhr.
140 Selten dürfte eine Eintragung im Fremdenbuch eine derartige Wirkung hervorgebracht haben wie diese. Es war wie eine Bombe. Wir hatten Fritz Löhr in unserer Mitte.
Es unterlag für mich keinen Augenblick irgendwelchem Zweifel, daß es der richtige Fritz Löhr war. Alles stimmte ja wunderbar überein . . . Der Malkasten, die Schüchternheit des jungen Künstlers, der sich sorgfältig verborgen gehalten hatte. Es konnten doch unmöglich Dutzende mit dem gleichen Namen in der Welt herumlaufen, die auch malten. Jetzt war der Schöpfer der Klassischen Walpurgisnacht aufgefunden! . . . Ich triumphierte.
Die übrige Gesellschaft teilte natürlich meine Gefühle, wenn sie auch den Höhepunkt derselben niemals erreichen konnte.
Was sollte also zunächst geschehen? Sollten wir einen Triumphbogen errichten? Unsere dicke Wirtin riet zu einem riesigen Festkuchen für abends. Der Tisch sollte mit Blumen geschmückt werden. Ich wollte, sobald der Festkuchen zum Nachtisch erschien, an mein Glas klopfen und eine Ansprache an den Gefeierten halten.
Knapp vor dem Abendessen traf der Ahnungslose in Begleitung seiner Schwester in der Weißen Rose 141 ein. Wie reizend doch dieses Fräulein Friederike Löhr war! Sie gefiel mir heute womöglich noch besser als bei ihrer Ankunft. Und sie war seine Schwester. Gewiß teilte sie alle seine künstlerischen Pläne, war in alles eingeweiht, was er schuf.
Mit Fritz Löhr hatte ich im Hausflur einige Worte über das Wetter gewechselt, nachdem die gegenseitige formelle Vorstellung erledigt war. Ich hatte aber dabei meinen Namen derart unverständlich in den Bart gemurmelt, daß er ihn unmöglich auffassen konnte. Ich fürchtete immer noch, er könnte plötzlich die Flucht ergreifen, wenn er erfuhr, mit wem er es zu tun hatte.
Die Tafel prangte im herrlichsten Blumenschmuck.
»Sieht es hier alle Tage so festlich aus?« frug mich Fräulein Löhr lächelnd über den Tisch. Wir waren gerade beim Braten.
»Es ist heute allerdings ein besonderer Anlaß!« erwiderte ich.
»Also wohl ein Geburtstag?« meinte sie. »Oder am Ende gar eine Verlobung?« setzte sie schelmisch hinzu, wobei zwei neckische Grübchen in ihren Wangen zum Vorschein kamen. Vielleicht glaubte sie gar, daß ich mich verlobt hatte . . . So was! . . .
Es war höchste Zeit, daß der Festkuchen auf den 142 Tisch kam. Die unmittelbare Nähe des schönen Mädchens machte mich von Minute zu Minute verwirrter. Ich klopfte an mein Weinglas . . .
»Verehrte Damen und Herren! Um die Weihe der gegenwärtigen Stunde gebührend in Worte zu fassen, brauchte es eine größere Beredtsamkeit, als sie mir verliehen ist. Wir haben einen auserlesenen Genius in unserer Mitte, einen Künstler ersten Ranges, dessen herrliche Schöpfung Tausende mit Bewunderung und Entzücken erfüllte. Stoßen Sie mit mir an auf das Wohlergehen und auf alle zukünftigen Werke des genialen Künstlers Fritz Löhr, des Schöpfers der Klassischen Walpurgisnacht! Er lebe hoch, hoch, hoch!«
Fräulein Löhr war bald blaß, bald blutrot geworden. Der Gefeierte selbst hatte sich von seinem Stuhle halb erhoben und schien ernstlich Miene zu machen, auf und davon zu laufen.
Ich vollführte eine rasche Schwenkung um den Tisch und verstellte ihm mit dem Glas in der Hand energisch den Weg . . . »Herr Löhr, auf ein frohes Schaffen für alle Zukunft!« rief ich. »Ich erlaube mich vorzustellen . . . Doktor Robert Fischer.«
Fräulein Löhr wurde wiederum rot bis in die Schläfen. Ihr Bruder stotterte einige unverständliche 143 Worte und machte einen neuerlichen Fluchtversuch, der von mir abermals vereitelt wurde.
Fräulein Löhr flüsterte ihrem Bruder sichtlich erregt etwas ins Ohr. Er nickte zustimmend, während sich in seinen Zügen eine geradezu verzweiflungsvolle Ergebenheit in sein Schicksal malte.
»Ihre Liebenswürdigkeit kam zu überraschend!« sagte das schöne Mädchen, noch immer mit ihrer Verlegenheit kämpfend.
»Zu liebenswürdig!« ließ sich jetzt der schüchterne Herr Referendar vernehmen, indem er mir krampfhaft die Hand drückte. Wie unscheinbar sich der Genius doch oft in seinen äußeren menschlichen Formen darstellt.
Nun durfte sich Fritz Löhr der übrigen Gesellschaft nicht mehr länger vorenthalten. Er wurde an der ganzen Tafelrunde zum Prosittrinken und Händedrücken herumgereicht. Er schluckte ein Glas Wein nach dem andern hinunter und schien dadurch entschieden gesprächiger zu werden.
Ich war völlig im Zauber seiner schönen Schwester. Welchen Geist doch dieses Mädchen besaß, welche hervorragende Bildung! Man konnte keine Saite anschlagen, die nicht einen vollen, echten Ton gab.
In Kunstfragen besaß sie ein geradezu überraschend 144 feines Urteil. Wenn ich jedoch auf das spezielle Gebiet ihres Bruders zu sprechen kam, dann wich sie mir jedesmal vorsichtig aus und sprang gleich auf ein anderes Thema über.
Ich erfuhr, daß sie und ihr Bruder die einzigen Kinder früh verstorbener Eltern waren. Fräulein Löhr war in einer verwandten Familie aufgezogen worden und hatte höhere Schulen besucht. Seit ihr Bruder vor zwei Jahren seine Stellung als Referendar angetreten hatte, war sie zu ihm gezogen, um ihm die Wirtschaft zu führen.
Es ging gegen Mitternacht, als sich die Gesellschaft trennte. Fritz Löhr hatte sich anscheinend an Fräulein Hedwig Mühlmann recht herzlich angeschlossen.
»Sie nehmen mir die improvisierte Feier doch nicht übel?« sagte ich zu Fräulein Löhr, indem ich ihre schmale kleine Hand an die Lippen führte.
»Was soll ich Ihnen übelnehmen?« lächelte sie. »Sie haben tapfer und unerschrocken den Feldzug für ein aufkeimendes Talent unternommen. Uns arme Frauen in der Kunst haben Sie allerdings etwas hart behandelt!« fügte sie spöttisch hinzu.
»Hätte ich Sie früher gekannt, mein Fräulein . . .« sagte ich verbindlich . . . »dann würden meine Ausführungen vielleicht wesentlich anders geworden sein.«
145 »Sie Schmeichler!« lächelte sie. »Ein Kritiker darf doch nicht schmeicheln. Wenn das Ihre Leser wüßten . . . Gute Nacht, Herr Doktor!« . . .
Ich war allein auf meinem Zimmer. Die Fenster standen offen. Eine wunderbar helle Nacht breitete sich über Berg und Wald und über die kleine Stadt im Talgrund. Mir war etwas eigentümlich zumute. Die beabsichtigte Wirkung der ganzen Festfeier war vollständig ausgeblieben. Ein Feuerwerk, das ins Leere verpufft war . . .
Das Interesse für Fritz Löhr und seine Klassische Walpurgisnacht war für mich plötzlich in die zweite Reihe gerückt worden. Fräulein Löhr hatte mit ihrem Liebreiz das Genie ihres Bruders im Tagebuch meines Herzens bedenklich in den Schatten gestellt. Kein Zweifel. Ich war bis über die Ohren in das junge Mädchen verliebt . . .
Als ich am nächsten Morgen die Treppe hinunterstieg, erwartete mich im Hausflur eine große Überraschung. Da stand das Gepäck der Geschwister Löhr. Der Postillon schickte sich gerade an, es zum Omnibus zu tragen.
»Das Gepäck bleibt da!« rief ich und entriß ihm energisch einen Handkoffer. Er starrte mich verdutzt an, zuckte die Achseln und ging seiner Wege.
146 Da hörte ich einen leichten Schritt über die Treppe kommen. Das mußte sie sein. Mein Herz klopfte hörbar. Was sollte ich beginnen, was ihr sagen? . . .
»Ist unser Gepäck noch nicht nach dem Wagen gebracht?« vernahm ich ihre helle Stimme neben mir.
»Wie Sie sehen, noch nicht!« entgegnete ich. »Aber es ist nicht die Schuld des Postillons. Ich verhinderte ihn daran!«
»Wieso?« meinte sie erstaunt.
»Weil ich Sie bitte und beschwöre, hier zu bleiben!« sagte ich mit halb unterdrückter Stimme.
»Ich verstehe Sie nicht!« erwiderte sie ebenfalls halblaut.
»Hier ist nicht der Platz zu solchen Erörterungen . . .« sprach ich. »Darf ich Sie einladen, mit mir in den Speisesaal zu kommen?«
»Sie setzen mich wirklich in Erstaunen!« Dabei sah sie mich mit ihren großen Augen halb ängstlich, halb vorwurfsvoll an.
Sie folgte mir in den Speisesaal. Wir waren allein. Die Frühstücksgäste hatten sich bereits zurückgezogen.
»Warum wollen Sie so plötzlich abreisen, Fräulein Löhr?« ging ich geradewegs auf mein Ziel los. »Das sieht ja völlig einer Flucht ähnlich.«
147 »Und wenn es eine solche wäre?« entgegnete sie lächelnd.
»Sie wollen uns entfliehen! Am Ende bin sogar ich daran Schuld?«
»Vielleicht. Ich beuge mich dem Willen meines Bruders!« erwiderte sie zögernd.
»Ihres Bruders?«
»Ja. Er wollte hier Ruhe und Zurückgezogenheit finden. Und da kam die rauschende Ovation . . .«
»Und da war ich so taktlos . . .« fuhr ich fort . . . »Ihre Ruhe zu stören.«
»Es tut mir in tiefster Seele leid . . .« sagte sie . . . »Ihnen eine Kränkung bereiten zu müssen für so viel Liebenswürdigkeit und Güte.«
Ein plötzlicher Einfall durchzuckte mein Hirn. »Schließen wir ein Kompromiß!« rief ich. »Sie wollen abreisen, weil ich Ihren Bruder zum Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit machte. Wenn ich mich nun aber verpflichte, mit keinem Wort mehr seinen Beruf als Maler zu berühren, mit keiner Silbe sein Bild zu erwähnen. Ich will auch die Sorge auf mich nehmen, daß Ihr Bruder von den übrigen Sommergästen gleichfalls nicht mehr mit künstlerischen Fragen behelligt wird. Machen wir einen ehrlichen Pakt, gnädiges Fräulein! Ich bin doch kein Unmensch, 148 der Sie mit seiner unzeitigen Begeisterung aus diesem herrlichen Sommeridyll vertreiben will. Schlagen Sie ein, Fräulein Löhr! Topp! Es gilt!«
Sie sah mich eine Weile wie zweifelnd an. Dann lachte sie neckisch und schlug in meine dargebotene Rechte.
In diesem Augenblick erschien Fritz Löhr unter der Türe des Speisesaales. Es gelang mir, indem das schöne Mädchen ihre Bemühungen mit den meinen vereinte, den Herrn Referendar umzustimmen und zum Bleiben zu bewegen. Als er die Gewißheit erlangt hatte, daß ich niemals wieder den leisesten Anlaß zu Festkuchen und Blumenspenden geben würde, war er ganz aufgeräumt und schien sich von da an völlig behaglich zu fühlen . . .
Der bisher so launenhafte Himmel begnadete uns seit der Ankunft der Geschwister Löhr mit durchaus günstigem Wetter. Es gewann fast den Anschein, als wenn mit Fräulein Löhr heller, flutender Sonnenschein in die Gegend gezogen wäre. Ein Tag schöner als der andere . . .
Fast drei Wochen waren seitdem verflossen. Über meine Beziehungen zu Fräulein Löhr befand ich mich noch immer im Unklaren. Bald glaubte ich zu bemerken, daß ich ihr doch nicht so völlig gleichgültig 149 sei. Bald sanken aber meine kühnen Hoffnungen wieder auf den Gefrierpunkt herab.
Mich ihr gegenüber auszusprechen wagte ich noch immer nicht. Eines fiel mir auf. Wenn ich mit ihr zufällig allein war, brachte sie das Gespräch regelmäßig auf meine Polemik gegen die Frauen in der Kunst. Bereitete es ihr Vergnügen, mich damit zu necken oder hatte sie wirklich die ernste Absicht, mich von dem Wert der Frauenarbeit in der Kunst zu überzeugen? . . .
Das Herz Fritz Löhrs schien übrigens auch nicht mehr frei zu sein. Die hübsche Hedwig Mühlmann hatte es ihm angetan. Frau Mühlmann ging schon fast mit der Miene einer zukünftigen Schwiegermutter herum. Hedwig und Fräulein Löhr waren gute Freundinnen geworden. Nur ich stand noch immer außerhalb dieses magischen Bannkreises von Liebe und bevorstehender Verlobung . . .
Es war ein warmer Sommernachmittag, da ich allein in den Eggenbacher Stadtwald schlenderte. Als ich etwa eine halbe Stunde gegangen sein mochte, bemerkte ich plötzlich einige Schritte vor mir ein helles Kleid, das durch die Bäume schimmerte. Mein Herz begann unwillkürlich schneller zu schlagen. Das mußte Fräulein Löhr sein. Es war ihr Kleid.
150 Ich schlich mich vorsichtig näher. Mit Mühe unterdrückte ich einen lauten Ruf der Überraschung. Sie saß auf einem niederen Feldsessel und . . . malte. Sie war in ihre Arbeit ganz vertieft und hörte meine Annäherung nicht. Ich war dicht hinter sie getreten und sah ihr über die Schultern. Eine Studie nach der Natur. Geradezu meisterhaft!
Ich machte einen Schritt an ihr vorbei. Sie sah von ihrem Bild empor und erblickte mich. Ein jähes Erschrecken spiegelte sich in ihrem Gesicht. Sie war aufgestanden und schloß die Skizze hastig in den Malkasten.
»Sie haben mir aufgelauert!« stieß sie hervor, während sie mit dem Weinen kämpfte.
»Ich kam gewiß nur zufällig!« suchte ich sie zu beruhigen. »Ihre Arbeit verrät überraschendes Talent.«
»Es überrascht Sie also noch immer, daß ein Mädchen auch etwas leisten kann?« entgegnete sie herb.
»Aber . . .« wandte ich ein.
»Pst!« machte sie und legte den Finger auf den Mund. »Schluß der Debatte!«
Ich wagte keinen Widerspruch; denn ich fürchtete, sie abermals zu erzürnen. Schweigend griff ich nach ihrem Malkasten, um ihn zu tragen. Dann traten wir zusammen den Heimweg an.
151 Es ging recht einsilbig zwischen uns her. Und droben in den Wipfeln der Waldbäume sangen die Vögel von Sommerlust und junger Liebe. Ach, wer doch für ein paar Augenblicke eine solche Kehle hätte, um es hinauszuschmettern in den hellen Tag . . . Ich liebe dich . . . Ich liebe dich . . .
Ich saß wieder auf meinem Zimmer, als es klopfte. Fritz Löhr trat herein. Er sah ganz verstört aus. Ich bot ihm einen Stuhl. Er ließ sich mit einem schweren Seufzer darauf nieder.
»Du lieber Gott!« stieß er hervor.
»Was ist denn los?« frug ich erschrocken.
»Es ist schrecklich!« stöhnte er. »Einmal muß die ganze Geschichte doch herauskommen. Ich bin nämlich verliebt.«
»Und das ist alles!« lachte ich hell auf.
»In Fräulein Hedwig Mühlmann!« fügte er hinzu. »Mir ist wirklich nicht mehr zu helfen, Herr Doktor. Ich bin ein verlorener Mann!«
Er sprang von seinem Stuhle aus und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer. Sollte es bei ihm nicht mehr richtig im oberen Stockwerk sein? . . . Ich begann ihn mit einem gewissen pathologischen Interesse zu betrachten.
152 »Daß meine Liebe erwidert wird, weiß ich ja!« sagte er und setzte seinen Spaziergang fort. »Aber ich weiß nicht, ob sie meiner eigenen Person gilt oder dem unglückseligen Bilde.«
»Welchem Bilde?«
»Der Klassischen Walpurgisnacht!« stieß er hervor. Er schien tatsächlich an einer geistigen Störung zu leiden.
»Aber Fräulein Hedwig kann doch kein Bild heiraten, wenn dessen Existenz auch von Ihrer werten Person untrennbar ist.«
»Wenn sie aber doch trennbar wäre!« erwiderte er mit einer düstern Hamletmiene. Er faßte mich an beiden Schultern und sah mir starr ins Gesicht. »Meine Lage ist eine wahrhaft schreckliche!« sagte er. »Denken Sie sich nur, Herr Doktor, ich soll sie malen!«
»Wen?«
»Hedwig!« stöhnte er schrecklich auf. »Morgen soll die erste Sitzung stattfinden. Es wird mein Tod sein.«
»Ich begreife Sie nicht.«
»Aber ich kann ja gar nicht malen!« rief er verzweifelt aus. »Ich habe in meinem Leben keinen Pinsel in der Hand gehabt. Ich bringe nicht einmal eine ordentliche Linie zustande.«
153 Jetzt war es entschieden. Ich hatte es mit einem Wahnsinnigen zu tun. Ich durfte ihn nicht reizen, ihm vor allem nicht widersprechen. Verrückte geraten dadurch oft genug in einen Anfall von Tobsucht.
»Gut! Ich glaube es Ihnen ja, Herr Referendar!« sagte ich milde. »Wer hat denn aber Ihr Bild gemalt?« Ich unternahm mit dieser Frage einen letzten Versuch, seine Zurechnungsfähigkeit doch noch zu retten.
»Meine Schwester!« erwiderte er. »So! Jetzt ist das auch heraus!«
War das ein neuer Ausfluß seines Irrsinns, oder sprach er die Wahrheit?
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Meine Schwester hat es gemalt!« wiederholte er vollkommen ruhig.
Es mußte doch richtig sein. Er machte mir wieder den Eindruck eines ganz normalen Menschen. Ich konnte meine Fassung momentan nicht gewinnen. Ich war sprachlos.
»Woher aber dann Ihr Name?« brachte ich endlich hervor.
»Das war eben die unglückselige Idee meiner Schwester!« sagte er. »Sie wagte sich mit ihrem Mädchennamen nicht an die Öffentlichkeit, weil . . . weil . . . nun, Sie wissen es ja selbst, Herr Doktor, 154 weil die Kritik weiblichen Schöpfungen mitunter nicht besonders grün ist . . .«
»Klassische Walpurgisnacht . . . Fräulein Löhr . . .« ging es in meinem Kopf herum.
»Und da mußte ich meinen Namen dazu hergeben!« fuhr er fort. »Es war ja nicht viel Unterschied. Wir hatten ja keine Ahnung, daß das Bild solches Aufsehen machen würde. Da kamen Ihre Artikel, die durch verschiedene Auslassungen die Furcht meiner Schwester Fritzi bestätigten. Dann kam mein Urlaub. Wir gingen nach Eggenbach. Alles Weitere wissen Sie ja. Jetzt können Sie sich beiläufig meine Verzweiflung vorstellen, daß ich morgen Hedwig Mühlmann malen soll! Ich bin unsterblich blamiert!«
»Der blamierte Mitteleuropäer bin ich und kein anderer!« rief ich aus.
»Das nützt mir aber nichts!« meinte er. »Was soll aus mir und Hedwig werden!«
»Ein glückliches Brautpaar!« rief ich und schlug ihm auf die Schulter. »Vertrauen Sie mir Ihre Sache bei Fräulein Hedwig an. Ich will alles vermitteln.«
»Doktor, Sie sind ein Goldmensch!« umarmte er mich stürmisch und eilte zur Tür hinaus.
Ich war allein mit meinen Gedanken . . . 155 Allmählich blühte ein frühjahrsseliger Jubel in meinem Herzen auf, nachdem ich mich von der ersten Überraschung erholt hatte . . . Sie hatte das Bild geschaffen. Sie war das gottbegnadete Talent, für das ich ins Feld zog . . .
Jetzt wurde mir so manches aus unserm Umgang klar, was mir bisher rätselhaft erschien. Und wieder erhob sich eine Stimme in meinem Innern, daß sie mich doch liebte, daß dieses herrliche Mädchen doch mein werden sollte . . .
Ein ungeahnter Heldenmut kam über mich. Morgen wollte ich für ihren Bruder den Brautwerber machen und mir bei der Schwester endgültige Gewißheit verschaffen, ob ich etwas für mich hoffen durfte oder nicht . . .
Am nächsten Vormittag verfügte ich mich kurz vor elf Uhr nach den Zimmern der Familie Mühlmann. Die Sache ging leichter als ich sie erwartet hatte. Fräulein Hedwig war wirklich nicht in die Klassische Walpurgisnacht, sondern in den Referendar Löhr selbst verliebt.
Ich traf das Glückskind im Speisesaal hinter einem Zeitungsblatt kauernd. Mit wenigen Worten teilte ich ihm alles mit. Er frohlockte. Dann nahm ich ihn am Arm, führte ihn bis vor die Tür der Mühlmanns, 156 klopfte für ihn an, schob ihn über die Schwelle, schloß die Tür wieder hinter ihm und überließ ihn getrost seinem weiteren Schicksal.
Ich hatte ihn nach seiner Schwester gefragt. Sie sei in den Stadtwald spazieren gegangen, sagte er mir. Das genügte mir. Ich wußte ja ihren Lieblingsweg. Ich holte meinen Hut und eilte durch das Städtchen dem Walde zu.
Herrlicher Sonnenschein lag über der ganzen Gegend. Keine Wolke war am Himmel.
Ich brauchte nicht lange zu suchen. Fräulein Fritzi hatte sich auf einer Bank gleich am Eingang des Waldes niedergelassen. Bei meiner Annäherung war sie erschreckt aufgestanden. Sie schien einen Augenblick fliehen zu wollen. Dann blieb sie wie angewurzelt stehen und sah mit angstvollen Augen auf mich.
Ich zog den Hut und war an ihre Seite getreten.
»Gnädiges Fräulein,« sagte ich, »ich erlaube mir, Ihnen die soeben stattfindende Verlobung Ihres Herrn Bruders mit Hedwig Mühlmann mitzuteilen.«
Sie hatte offenbar etwas ganz anderes erwartet. Der unbefangene Ton, in dem ich sprach, schien eine beruhigende Wirkung auf sie auszuüben.
»Also ist es schon entschieden?« meinte sie lächelnd. »Mein armer Bruder hat in letzter Zeit viel gelitten.«
157 »Durch meine Schuld!« sagte ich. »Aber dafür habe ich jetzt wenigstens einen Teil meines Vergehens wieder gut gemacht.«
»Sie haben ihn verlobt!« scherzte sie.
Wir schlugen den Weg in den Wald ein. Halbe Dämmerung. Da und dort fielen Sonnenstrahlen über den Weg. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her. Sie sah mich nicht an. Wir fühlten es wohl beide, wie das Unausgesprochene zwischen uns wandelte.
»Fräulein Fritzi . . .« begann ich . . . »wollen Sie mir nicht Gelegenheit geben, auch den andern Teil meiner Schuld zu sühnen?«
Sie sah mich groß und fast flehend an.
»Fürchten Sie nichts!« fuhr ich fort. »Ich will nicht über Ihr Bild sprechen. Was ich Ihnen darüber zu sagen hatte, das habe ich Ihnen ja schon längst gesagt. Nur, daß es an die falsche Adresse gerichtet war. Ich spreche jetzt nicht zu der Künstlerin. Ich spreche zu dem Mädchen, ob es mir all das vergeben kann, womit ich sie gekränkt habe.«
»Ja, Sie haben mich gekränkt!« stieß sie fast heftig hervor. »Ich wußte wirklich nicht, ob ich Ihnen mehr danken oder mehr zürnen sollte. Aber nein, ich bin 158 ungerecht. Ich bin Ihnen Dank, nur Dank schuldig. Ich bin ja nicht die Herrin und Richterin Ihrer Überzeugungen, die ja wieder viel Wahres für sich haben können.«
»Wenn ich Sie aber trotzdem als meine Herrin und Richterin anerkenne!« rief ich. »Wenn ich zur Einsicht gekommen bin, daß meine Überzeugungen falsche waren, daß Genie und Talent auf Erden nicht abhängig sind von dem Geschlecht des Trägers!«
»Sollten Sie diese Überzeugung wirklich gewonnen haben?« lächelte sie.
»Ja!« entgegnete ich einfach.
Wir waren beide stehengeblieben. Die Waldbäume wölbten ihr grünes Dach über uns. Die Sonnenschimmer flogen durch das Gezweige. Eine Tannenmeise ließ ihren muntern und neckischen Gesang zu unseren Häupten hören.
»Ich bin Ihnen nie recht böse gewesen!« sagte sie. »Und seitdem ich Sie kennenlernte, keine Minute mehr.«
Ich ergriff ihre beiden Hände und drückte sie in den meinen.
»Ich danke Ihnen, danke Ihnen tausendmal!« sprach ich. »Und ich bin ein anderer Mensch geworden, seit ich Sie zum erstenmal gesehen habe, Fräulein Fritzi. 159 Mit Ihnen ist etwas in mein Leben getreten, das der Pinsel des Malers, das Lied des Dichters tausendfach verherrlicht und doch noch nie in seinem vollen Glanze gestaltet hat. Weil eben die Wirklichkeit schöner ist als alle Dichtung.«
Sie hatte die Augen niedergeschlagen. Ihre Brust hob und senkte sich wie unter einer tiefen seelischen Erregung.
Ich hatte sie langsam an mich gezogen. »Fräulein Fritzi . . .« fuhr ich fort . . . »Ihnen, die alles Schöne und Herrliche auf Erden erfaßt hat, die selbst ein leuchtender Spiegel der Gottheit ist, brauche ich wohl nicht viele Worte zu machen. Ich bete Sie an. Ich liebe Sie. Fritzi, kannst du mir ein wenig gut sein? Willst du mein Weib werden, Fritzi?«
Sie lehnte den Kopf an meine Schultern. Eine ihrer reichen blonden Flechten hatte sich losgelöst und fiel ihr über das Gesicht.
Ich drückte sie stürmisch an die Brust. »Fritzi! Du einziges, herrliches Mädchen, du liebst mich! Du bist mein!« jubelte ich.
Da schlang sie die Arme um meinen Nacken. »Ich bin dein . . . Ich hab' dich lieb . . . so lieb . . .« flüsterte sie an meinem Ohr.
160 Ich hob ihr Gesicht und drückte den ersten Kuß auf ihre frischen Lippen. Ich fühlte, wie sie in meinen Armen zitterte.
Das Glück hatte uns heimgesucht mitten im Wald unter den rauschenden Bäumen. Und von da sollte es hinauswandern in die Welt . . . für ein Menschenleben . . . im Sonnenschein . . . mein Weib . . . mein Himmel . . . meine Seligkeit . . .
Droben im Wipfel pfiff ein Fink mit der Tannenmeise ein Duett . . . als ob die beiden Waldmusikanten uns einen Hochzeitsmarsch spielen wollten . . .
Am Abend gab es eine doppelte Verlobung in Eggenbach. Unsere gute Wirtin hatte einen Festkuchen von geradezu ungeheuren Dimensionen hergestellt. Die Tafel prangte in noch viel herrlicherem Blumenschmuck wie damals, als ich meine denkwürdige Festrede gehalten hatte.
Die Fritz Löhr-Gemeinde, außer der Familie Mühlmann, hatte ich noch im Laufe des Nachmittags von dem wahren Sachverhalt verständigt.
Mein zukünftiger Schwager, der Herr Referendar Fritz Löhr war äußerst aufgeräumt und guter Dinge. Keine Spur der früheren Schüchternheit war mehr an ihm zu bemerken. Wie sich doch ein Mensch plötzlich umwandelt, wenn er liebt . . . und nicht malen kann! 161 An dem Verlobungsabend hielt Fritz Löhr sogar eine längere und ganz vorzügliche Tischrede. – – –
Fritzi ist seitdem meine Frau geworden. Eine große Schwierigkeit blieb noch zu lösen. Sollte ich dem Publikum wirklich meine eigene Blamage in Sachen der Klassischen Walpurgisnacht enthüllen? . . . Fritzi widersprach dem energisch. Aber an die Öffentlichkeit mußte die ganze Geschichte doch kommen. Ich schrieb sie daher in diesen Blättern wahrheitsgetreu nieder.
Mein Schwager, der bald nach seiner Verlobung Assessor wurde und mit seiner Frau sehr glücklich lebt, protestierte zwar dagegen. Denn er ist noch immer von einer unbezwingbaren, wenn auch begreiflichen Furcht vor aller Öffentlichkeit durch die Druckerschwärze beseelt.
Ich konnte ihm jedoch das feierliche Versprechen ablegen, daß ich mit dieser Geschichte in Sachen Fritz Löhrs zum letzten Male an die Öffentlichkeit trete. Denn ich kann doch nicht über die Bilder meiner eigenen Frau schreiben.
In Eggenbach haben wir uns angekauft. Ein kleineres Haus mit einem großen Obstanger. Dahin wollen wir jährlich für einige Zeit flüchten, um recht ruhig unter den braven Spießern zu leben und den Staub der Großstadt abzuschütteln. Und wenn wir 162 aus der Haustüre treten, wissen wir genau, daß wir von allen gesehen und gekannt werden und daß nichts unbeobachtet bleibt. Und daß ein neues Kleid meiner Frau tagelang ein Stadtgespräch bilden wird. Und wenn dann gewisse freudige Familienereignisse zu erwarten sein sollten, dann werden sie es in Eggenbach unter Umständen sogar früher und genauer wissen als wir selber. 163