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Zu den »heiligen drei Königen« hat es heißen wollen und zu den »drei Königen« heißt's. Das »heilig« ist für ein Wirtshausschild zu anstößig befunden und in der schmalen Aufschrift über der Türe wieder ausgewischt worden, freilich so, daß man durchs fehlende Wörtlein eigens aufmerksam gemacht wird und dasselbe unschwer errät, wenn's nicht gar noch aus dem deckenden Klexe golden vorleuchtet. Es hätt' ja ohnehin nur »heil.« lauten wollen, und in Wien gibt es ein Versorgungshaus »zum blauen Herrgott« und ein großes Einkehrwirtshaus »zur heiligen Dreifaltigkeit«, wiewohl man auch dort den Namen Gottes nicht eitel nennen soll. I, wenn halt ein neuer Kaplan just seinen Eifer zeigen will, ist man auf dem Lande und im Gebirge oft heikeliger als in der Stadt.
Und recht ins Gebirge haben sich die drei Könige verirrt; sie sind am Übergangssattel aus dem Steierischen ins Kärntnerische, gleichsam auf der vorletzten Staffel desselben seßhaft geworden, aber ihre Herrlichkeit ist gar nicht weit her. Die Wirtschaft hat sich aus einer Keusche herausgeputzt und räumlich hat diese wenig zuzunehmen gebraucht. Doch blank ist die Schwelle, die Zechstube innen und außen sauber geweißt, und wenn aus den Fensterchen des wettergebräunten hölzernen Obergeschosses ein paar Nelken niedergrüßen, so läßt das auf eine muntere Kellnerin schließen. Die ist aber kurz angebunden, und der alte Dreikönigwirt, der unter seinem grünen Samtkäppchen hervor gar schlau in die enge Welt schaut, hütet sie wie seinen Augapfel. Sie ist seine Tochter – jawohl, seine weitschichtige Tochter, sagen andere und lächeln dazu, was uns aber nichts angeht. Der Alte sagt uns doch auch nicht, woher er ohne Zwischenhändler seinen guten Tropfen bezieht, oder warum er mit seiner Resi ganz allein wirtschaftet, obwohl er ein Knechtlein nebenher leicht auszuhalten vermöchte. Auch ist die Resi guter Dinge und hat doch ihr Lebtag gegen die jungen zutäppischen Mannsbilder eine Igelhaut gekehrt. Er soll sie in sein Testament gesetzt haben, der Alte, falls sie ihm die letzte Treue erweisen würde, was man bei einer richtigen Tochter doch von selbst voraussetzen sollte.
Nicht was der Dreikönigwirt im Keller hat, sondern was ihm vor dem Häuschen sprudelt, macht seinen Segen aus. Es ist dies sein Röhrbrunnen, das beste Wasser weit und breit. Und der Trog, der's auffängt, gestattet bequem zwei Paar Rössern durstige Annäherung. Ein richtiger Fuhrmann sieht aufs Wässern, und wo seine Gäule einen tiefen Trunk tun, da schüttet er ihnen auch gerne auf und rückt ihnen den Futterkorb zurecht. Das geht schön unter einem, und auch ein braves Pferd will seine Hauptmahlzeit haben. Also wo gut wässern, ist gut füttern und wo man füttert, kehrt man selber zu. Der lange Veit im blauen Fuhrmannskittel weiß den mürben Salat und das Geselchte der wirtlichen Resi ebenso zu schätzen wie des Vaters süffigen Schilcher, und für ähnliche Gesellen, ob sie nun Kohl- oder Flossen-, ob sie Salz- oder Getreideführer sind, ist bei den »Dreikönigen« auch der Habersack ergiebig.
Der lange Veit hält also vor der kleinen Wirtschaft. Er kommt vom fruchtbaren Murboden herauf und hat Mehlsäcke, zum Platzen volle, unter seinem Blachendache, nicht so sehr für die Bauern und Bürger der kargeren Gegenden im allgemeinen, denn diese kommen zur Not mit dem aus, was auf ihren eigenen Äckern reift, als vielmehr für den unteren und den oberen Bäcker im nahen Marktflecken, wo die Sensenschmiede einen guten Verdienst und ein leckeres Maul haben. Veits Peitschenknall ist talaus, talein bekannt; seinen Schimmeln hat er das Kummet so reich und glänzend als möglich behängt; »scheppern« muß es, wo er einherzieht; die Achselbörtlein seines Kittels steppt ihm nicht leicht eine Nähterin fein genug ab, und sein Spitz weiß auf der staubigen Straße Bescheid, so daß er nur selten von der Blache herab oder unter der Wage hervor die weißen Zähnlein bleckt.
Fuhrleute sind gewöhnlich beschaulich und wortkarg. Es stößt ihnen viel auf unterwegs und sie gewinnen auch in Dinge Einblick, die man nicht gerne an die große Glocke hängt. Sie haben Zeit, sich über allerlei Gedanken zu machen und, aus der Gemächlichkeit aufgerüttelt, trifft ihr Witz.
Auf diesen ließ es die braunäugige Resi nicht gerne ankommen, seitdem Veit einmal mit seinem spitzen Gesicht, in seiner trockenen Weise höchlich verwundert getan, wie gut der Herr Vater noch beinand' sei und wie er von Glück sagen könne, ein so sauberes Murtaler Kind gefunden zu haben. Das war eitel Teilnahme und Schmeichelei, sollte man meinen. Aber der Resi mußt' es doch anders geklungen haben; denn sie antwortete damals ganz gegen ihre sonstige spöttische Art, kleinlaut, mit einem fast bittenden Aufblick zum Hageren: »Ihr seid von jeher schlecht gewesen, Veit, und habt wohl gar eine Freude dran, ein armes Ding ins Gerede zu bringen.« Drauf jener: »Da kennt mich die Jungfrau schlecht; ich möcht' mir viel lieber ein für allemal ein ›Bildl‹ bei ihr eingelegt haben.« Und sie: »Die ohnehin ein hartes Fortkommen haben, sollten einander nichts in den Weg legen.« Und er: »Ein Fuhrmann auf der Straßen kehrt da und dort zu, möcht' aber nirgends überhalten sein.« Das waren seltsame Redensarten damals, und was sich die beiden darunter gedacht haben, ist niemals recht klar geworden. Aber die Resi soll über die unerwartete Bekanntschaft so erfreut oder verwirrt gewesen sein, daß sie dem hämischen Gast ungeheißen vom Besseren vorgesetzt und sich zu ihrem Schaden in der Rechnung geirrt habe; und der Garstige, heißt es, habe dazu geschmunzelt, statt sie auf den Fehler aufmerksam zu machen. Und seit jener Zeit hat sich Veit überhaupt über die »Dreikönige« nicht zu beklagen gehabt.
Ja, ein Fuhrmann kommt viel herum; er sieht die alten bekannten Gesichter immer wieder gern und weiß danach die Saiten aufzuziehen. Und was soll denn auch Bedenkliches daran gewesen sein, wenn der lange Veit die Resi lieber eine schmucke Murtalerin nannte, während ihres Vaters Anwesen den Eingang in den Schwarzbachgraben hütet? Der alte Dreikönigwirt war vor Jahren sogar im Unterlande kein seltener Gast, und wer hat sich darum zu kümmern, wenn er unterwegs wo zu einem hübschen Kinde gekommen? Und auch das ist begreiflich, daß die Schöne auf ihren Vater steht und, um zu verhindern, daß er in fremde Hände gerate, vorläufig noch nicht ans Heiraten denkt.
Veit war vors Haus getreten und überlegte, ob er nicht schon sein gebieterisches Hü! rufen und wieder die Geißel schwingen solle; der Spitz war bereits auf die Wagendecke gesprungen und spreizte die Beinchen, um leichter den ersten Ruck nach vorwärts zu bestehen. Aber Meister Blaukittel schaute groß auf. Ein fremdes Dirnlein setzte, vom diesseitigen Berghang kommend, eilfertig über den Weg, um in den Graben zur Rechten einzubiegen und sofort an der sonnigen »Leiten« zu den vereinzelten Bauernhöfen emporzusteigen. Es liegt zutage, die Maid will nicht gesehen werden; sie ist müd' und hastet dennoch weiter, die bequemere Straße meidend; sogar vor der Schenke weicht sie aus, auf daß ja nicht deren helle Fensterchen oder die brennenden Nelken nach ihr ausblickten. Sie ist auch nicht des Langen ansichtig geworden, wohl aber er ihrer. Ob er sie erkennt? Noch ist er seiner Sache nicht recht sicher; denn wie ein schlankes wechselndes Reh ist sie über den Weg dahin, und das schwarze runde Gupfhütlein mit den kurzen Flatterbändern rückwärts ließ vom geängstigten Gesichtchen soviel wie nichts unterscheiden.
Veit schüttelt den Kopf und so sinniert er: Wie wär denn das möglich? Das ist am End' gar die Gertrauder Marie – wie kommt denn die daher und wo soll's hinaus mit ihr? Das müßt' ein schwerer »Binkel« sein, wenn sie »wandern« wollte; denn sie hat ihre Sachen ja immer schön beisammen gehabt. Den Dienst verlassen, um diese Zeit, – von der bravsten Dirn im Lavanttal ist so 'was nicht vorauszusetzen. Und die alte Groggerin hatte sie wohl gar nicht fortgelassen; sie ist bei dieser all die Zeit her wie ein Kind im Haus gewesen. Es muß 'was Besonderes gegeben haben, und ich kann mir's nicht denken, daß die hätt' fort müssen. Sie hat doch auf die Alte geschaut, wie ein anderes auf die eigene Mutter nicht, und so »lüftig« wie sie in der Küche, im Keller und bei den Gästen hab' ich noch keine gesehen; sie hat zu allem eine gute Hand, das muß ihr der Neid lassen; was sie tut oder macht, hat einen besonderen Schick; und es steht ihr halt so viel gut an ... Ich weiß nicht, warum sie mir so ans Herz gewachsen ist, die Gertrauder Marie. Freilich wohl, freilich wohl ... und es kommt mir oft auch selber so für ... und mit der Zeit stimmt es grad auch ... und es hat nur eine so einen Gang gehabt wie die da ... und das gescheiteste ist's gerade nicht gewesen in meinem Leben, daß ich derselbigen so bald die Lieb' aufgesagt ... und es könnt' viel anders sein, mein' ich, wenn ich rechtzeitig dazugeschaut hätt'. Wahr ist's und auch wieder nicht; es kann sein und wieder nicht auch; denn wer kennt sich denn aus in der ledigen Welt? ... Nun ja, ich kann ja heut' in St. Gertraud einstellen, wenn ich mich tummle. Dort wird man wohl wissen, was das arme Kind auswärts sucht. Es muß was abgesetzt haben; denn umsonst verläßt sie einen Platz nicht, wo sie so gut wie daheim ist. Und völlig wie ein Deserteur ist sie auf und fort über die Berg'! ... Hü! Hü sag' ich, und du, Handiger, laß dich nicht nötigen! Wüstahoo!
So brach der lange Veit von den »Dreikönigen« auf. Die Straße stieg noch merklich an und führte bei den Eisenwerken vorüber, deren jedem ein grüßender Knall vermeint war; auf der Rückfahrt konnt' es ja hier ein paar Fässer Sensen und dort Schaufeln oder Hauen zu verfrachten geben.
An beiden Enden des Marktfleckens ward abgeladen. Außen glichen die Semmel- und Mundmehlsäcke einander völlig; aber die weißen Gesellen, welche sich dieselben mit Kraft und Geschick auflüpften, vergriffen sich doch nicht. Veit hatte die Blache abgenommen und richtete die staubausschwitzenden Metzenbündel so auf, daß sie über den Wagenbord emporragten und so leicht von den Schultern des Trägers unterfangen werden konnten.
Nachdem die Säcke geborgen waren, betrat der Fuhrmann die Backstube, in welche der große Ofen wie ein Mauerwürfel vorragte. An diesen schmiegte sich der Trog, welcher einem mächtigen Einbaum ähnlich sah. Der Mischer knetete emsig weiter, aber die Frau Meisterin kam mit aufgeraffter Schürze, darin es schwer niederwuchtete; mit großen Augen schlichen, eins ums andere, Kinder herbei und einmal da, sprangen sie auf die Bank und drängten sich an den Tisch. So was wie heut' gibt's nicht alle Tage zu sehen, und es gilt eine Augenweide, die leider Gottes jedes Menschenherz lüstern macht.
Der Fuhrmann hat den Kittel kopfüber abgestreift und sitzt nun noch einmal so schmal da. Auch die Geldkatz' um seine Mitte sieht noch hungerig aus.
Sie rechnen mit der Kreide, Veit und die Meisterin, jedes für sich eine andere Tischecke bekritzelnd. Die Aufzeichnungen müssen wohl übereinstimmen, denn jetzt beginnt das große Schauspiel, an welchem sich die Kinderaugen kaum ersättigen können.
Die Meisterin langt nämlich in die Schürze und zählt drei Silberzwanziger auf den Tisch und darunter reiht sie drei andere, und wieder andere marschieren auf, drei Mann hoch, und wieder andere rücken in Reih' und Glied, und nun ist schon die zehnte Lage fertig. Aber es nimmt noch lange kein Ende. An die erste dreizeilige Säule setzt sich von oben niederwärts die zweite, an die zweite die dritte und vierte an. Der halbe Tisch ist schon silbern gepflastert. Den ausleerenden Fingern wird die Arbeit sauer; die Kinder staunen, wie reich die Frau Mutter ist, doch der garstige Mann tut noch immer nicht dergleichen, als ob er genug bekommen könnte. Mit seinen beiden gierigen Händen scharrt er den blinkenden Reichtum zusammen und füllt die Katze damit, als wären ihm solche Einnahmen so wenig etwas Neues wie dem Mesner der Groschen oder Kreuzer in den Klingelbeutel. Merkwürdig, daß es auch solche Raubvögel geben kann!
Und ihr Merkwürdiges hatte die gute Silberzwanzigerzeit immerhin. Es gab Bargeld und Barzahlungen; Kredit und Wechsel waren schier unbekannte Dinge.
Nachdem Veit seinen Ranzen leidlich gefüllt und den blauen Kittel wieder angezogen hatte, setzte er sich unter die Blache und fuhr zum Märktlein hinaus, der kärntnerischen Grenze zu. Er selber hatte es schwerer, die Rößlein aber leichter; sie mußten noch ein paarmal bergan, aber dann war der Grenzsattel überwunden, und ins freundliche Lavanttal hinab mußte sogar der Radschuh eingelegt werden; ebenaus ging's wie geschmiert. In Reichenfels gab es kurzen, in St. Leonhard längeren Aufenthalt – da ließ sich ja vielleicht schon als Rückfracht alter Most erfragen. Niemals leer fahren, war Veits Lieblingssprüchlein.
Er konnte sich streckenweise einem gemächlichen Duseln überlassen; einige Male tauschte er auch wegen säumigen Ausweichens oder unrechten Fürfahrens mit seinesgleichen saftige Grobheiten aus, und von solchen weiß man, daß sie oft länger als der Donner im Gebirge nachgrollen. Als aber die Schatten des Twenggrabens näher und näher rückten, als es zwischen den Bergwänden, welche da und dort kaum dem jungen Fluß und dem Sträßlein Raum gewähren, doppelt zu dunkeln begann, hielt der Fuhrmann wie sein treuer Spitz die Augen offen. Der Graben erfreute sich eben nicht des besten Rufes, und mit einem vollen Beutel reist man weniger sicher als mit schweren Mehlsäcken.
Längst hatte der lange Veit St. Gertraud glücklich erreicht, seinen Wagen unter Dach gebracht und dem klugen Spitz sein nächtliches Wächteramt eingeschärft; längst auch im Stalle nachgesehen, ob seine Schimmel zu ihrem wohlgemessenen Teil kämen, – nicht als ob auf den Roßknecht Michel kein Verlaß gewesen wäre, sondern weil ein ordentlicher Fuhrmann seinen gefütterten und gestriegelten Tieren zu guter Nacht noch gerne mit schmeichelnder Hand übern Rücken fährt; und nun hatte er in der Zechstube schon eine gute Weile das Glas vor sich, machte aber noch immer keine Miene, sich nach der flüchtigen Marie zu erkundigen und so seine Neugierde zu befriedigen. Es galt erst wahrzunehmen, wie's jetzt im Hause zugehe, und das Fuhrwerken macht ja bedächtig.
In der Herrenecke hatte der ein' und andere Schreiber des Verwesers Platz genommen; in der Nähe des Kachelofens saßen ein paar rußige Gesellen, Werksarbeiter, und »dem Veit deck' da auf,« hatte die Frau Groggerin ihrer neuen Kellnerin bedeutet; »Fuhrleute haben gerne die Türe im Auge;« auf diese Art ist der staubige Gast an den Mitteltisch zu sitzen gekommen.
Von der Frau Groggerin geht die Rede, daß sie dem Gesinde auf Holz, den Fuhrleuten auf Zinn und den Herrschaften auf Silber auftragen lasse. Das hat seine Richtigkeit, und das viele Porzellan und Glas im Wandschrank ist just auch nicht schlechter Herkunft, und auf schöne Tischwäsche sieht jede richtige Wirtin und Witfrau. Aber freilich, die Kerzen auf den Tischen sind im Hause selbst gezogen worden; sie lassen die Lichtputze nicht wohl entraten, denn es ist nicht jedermanns Sache, mit benetztem Daumen und Zeigefinger in die Flämmchen zu greifen, und der Fidibusbecher um den Leuchter gilt für eine neuartige Erfindung.
Die Gäste fühlten sich nicht recht behaglich; denn diejenige, welche geräuschlos kam und ging, und, allen eine liebliche Erscheinung, für jeden einen aufmerksamen Blick und ein freundliches Wort hatte, war nicht da; ihre Stellvertreterin glich einer Hummel, die, von ungefähr hereingeraten, brummend mit dem Kopf gegen Wand und Fenster fährt, ehe sie den Ausgang findet. Daher kamen häufiger als sonst die grauen Schläfen, die weiße Haube und die guten Augen der Frau Mutter am Küchenschalter zum Vorschein; häufiger als sonst rief sie auch ein weisendes Wort zur halbgeöffneten Türe herein; es klang nicht herrisch, nicht ungeduldig, aber ein leiser Ärger zitterte doch durch dasselbe.
Zuerst brachen die rußigen Gesellen auf; sie mochten müde sein. Der eine Schreiber hatte noch keinen Silberzehner verzehrt und ging; der andere blieb noch, schien aber eigenen Gedanken nachzuhängen, und das vermehrte noch den gewinnenden Ausdruck seines Gesichtes; für einen stillen Zecher war er offenbar noch zu jung.
Und still war es nun, recht still im Gastzimmer; die Kellnerin machte sich lieber draußen zu schaffen als herinnen, der Schreiber brauchte zur Zwiesprache mit sich selber kein lautes Wort, und der lange Veit wartete geduldig, als sähe er seinen Rössern beim Fressen zu. Seine Anwesenheit mußte der Wirtin zu denken geben, das wußte er; und wie er selbst derselben kommen wollte, das zu überlegen hat er Zeit genug gehabt. Und jetzt kann er seine Frage auch wohl schon anbringen, denn die alte Groggerin betritt eigens seinethalb die Stube.
Sie ist ein rühriges Weiblein. Es gibt auch eine herbstliche Frische, eine milde Spätjahrsblüte und diese ist ihrem Gesichte eigen; kein Fältlein darin ist bösartig, und so viele deren auch sind: sie bilden keine harte, keine eigensinnige Schicksalsschrift. Und die Nettigkeit selbst ist die alte Frau; nett ist ihr hausmütterlicher Anzug, nett ihr Leibhaftiges wie ihr Wesen. Ihre grauen Augen blicken noch ebenso scharf als klar; ein gutmütiger Blick, ein deutsamer Blick fällt an denselben sofort auf. Bei ihrem Anblicke fragt man nicht weiter, wer dem ansehnlichen Hauswesen vorsteht, wer es im richtigen Gang erhält.
Und die gute Frau ließ sich neben Veit, der sich auf der langen Bank noch kaum gerührt hatte, auf einen Stuhl nieder. So ist's sonst ihre Art, wenn sie ein bißchen das weiße Linnen aufhebt und auf der Tischplatte mit der Kreide die Rechnung ansetzt. »Mir scheint,« hebt der Lange an, »die arme Marie geht der Frau Mutter überall ab.«
»Ja, Veit, ja,« erwidert die Wirtin lebhaft; »ich hab' mir gleich gedacht, Ihr wißt 'was von ihr. Die braven Schimmel haben's entgelten müssen; Ihr stellt sonst lieber in St. Leonhard oder Frantschach ein. Und laßt mich nicht länger zappeln, Veit! Wenn sie mein eigenes Töchterlein wär', ich hätte mich die Tag' her nicht mehr ängstigen können.« »Wie denn? Sie wird ja doch nicht ohne der Frau Mutter ihrem Wissen auf und davon sein?« »Völlig aus der Weis ist's, wie ich Euch sag'! Ein bißchen eigen und so für sich hin ist sie wohl alleweil gewesen; aber man hat sie auch um das lieber haben müssen, wenn ihr 's Herz aufgegangen ist. Daß sie mich ohne Vergelt's Gott, ohne Behüt' dich Gott, Mutter! verlassen, daß sie mir das antun könnt', hätt' ich mir mein Lebtag nicht verhofft. Ich hab' sie ja ans der Tauf' gehoben, und aufgewachsen ist sie bei mir, und geschaut hab' ich auf sie wie auf ein goldenes Lamberl (Lämmchen), und sie hat auch bis zum letzten Tag gut getan, das muß ich sagen; und ja, wie man sich schon so seine Gedanken macht, und Euch darf ich's ja verraten, der Ihr so viel hört und seht: wenn mein Hans einmal aus der Fremd' zurück wär', wenn's zur Übergab' hätt' kommen sollen und wenn er just einen Gefallen gefunden hätt' an der Marie, ich hätt' nicht nein gesagt, wiewohl sie nur ein Dienstbot' und ein armes lediges Kind ist. Jetzt ist freilich das alles aus.« – »Na, na, liebe Frau Mutter! Ein durchgegangenes Rößl gehört nicht gleich fürn Schinder. Und einen Tuck hat ein jeder Mensch, und 's junge Weibervolk gar. Ein bißchen ›verübelhaftig‹ ist sie gewiß auch, und hat's vielleicht einen kleinen Verdruß gegeben?« – »Nicht ein krummes Wörtl meinerseits! Und es hat ihr auch sonst niemand 'was in den Weg gelegt, denk' ich. Wer könnt' ihr denn feind sein? Das heißt, jetzt ist's wohl anders.«
»Und wie lang', wenn ich so fragen darf, ist sie denn schon aus dem Haus?«
»Eine kleine Ewigkeit, kommt's mir für; denn mit der andern, der Lies', kann man doch keine Ehr' aufheben. Also, am letzten Sonntag hat sie noch geschafft, als ginge nichts vor in ihr. Ein genötiger Tag ist's gewesen und hart ist's ihr angekommen, wie's spät und später geworden ist. So viel hab' ich ihr schon angekannt; denke mir aber: das sind Zuständ', wie sie kommen und aufhören, und wie sie ein junges, gesundes Ding noch allezeit überstanden hat. Mir selber, aufrichtig gesagt, ist's aber doch zu viel geworden. Ich bin gewiß gerne die erste auf und die letzte im Bette, und es muß arg sein, wenn mir einmal beim Herd die Augen zufallen. Schon um Mitternacht aber hätt' ich die tollsten Schreier und Saufhäls' zu allen Geiern wünschen können. Ich leg' mich also schlafen; auf die Marie hab' ich mich ja ganz verlassen können ... Gestern in der Früh, wie ich Umschau halte: wer nicht beim Aufräumen ist, das ist die Marie. Das hätt' mir auffallen sollen. Ich vermein' aber, sie hat sich verschlafen und es ist ihr zu gönnen, sie hat sich ja viel zu plagen gehabt. Wie's aber später wird, frag' ich denn doch die Len', ihre Schlafkameradin, und ich glaubt', mich trifft der Schlag, wie die mir erzählt, die Marie müßt' längst herunten gewesen sein, und dieselbe hätte sich besser angezogen, und es hätt' ganz den Anschein gehabt, als wie wenn sie einen Gang zu machen hätt' für mich. Wer? – Sie, die Marie! Jetzt schwant mir gleich nichts Gutes und ich nehme die Len' schärfer ins Gebet. Die ist aber maulfaul und auch sonst kein Kirchenlicht. Mit Not bring' ich aus ihr heraus: schon längere Zeit sei ihr die Marie etwas wunderlich vorgekommen; und sie hätt' immer einmal im Schlaf aufgeredet und geseufzt, die Marie; und sie hätte sich im Bette immer gleich zur Wand hinüber gedreht und nichts reden mögen, die Marie. So die einfältige Leni; ich weiß jetzt noch nicht, was ich davon denken soll. Und zuerst haben wir doch wohl das ungeratene Kind suchen müssen. Das ganze Haus haben wir umgekehrt, aber gefunden haben wir's nicht. Bei mir hat sie noch den ganzen Lohn stehen, und ihre Sachen hat sie in schönster Ordnung zurückgelassen, und nicht einen Gruß ist ihr all die Lieb' wert gewesen, die man zu ihr gehabt hat.... Verzeih mir's Gott, wenn ich ihr unrecht tu', aber sagt selbst, Veit, ob Euch so etwas schon untergekommen?«
Der Lange hatte aufmerksam zugehört und darüber hinaus noch ein Stück geschwiegen. Sodann meint' er: »Ich mag's drehen wie ich will, ich bring' nichts anderes heraus, als daß sie kleinverzagter Weis' der ganzen Welt den Rücken hat kehren wollen. Wer hineinschauen könnt' in ihr armes Herz! Leicht wohl hat sie einen großen Kummer mit auf die Reis' genommen. Hat man nie was von einer Liebschaft gehört?«
»Sie hat's selber nie verwinden können, daß sie ein lediges Kind ist, und lieber alles in der Welt, lieber sterben, als ein so unglückseliges Geschöpf in die Welt setzen: ist ihre Red' gewesen, wenn man sie mit dem ein' oder anderen aufgezogen hat. Aber ja,« fuhr die alte Frau fort, einen scharfen Blick dem einsamen Gast am Herrentisch zuwerfend, »der Herr Kohlschreiber könnt' vielleicht was wissen; er ist ihr schon eine Zeit her nachgestiegen. Ja, Herr Huber, und mit Verlaub: für leicht, für ein bißchen leicht halt' ich Sie, aber nicht für schlecht – hätt' auch noch keinen Beweis dafür.«
Auf das hin sprang der junge Mensch auf, blutrot im Gesichte. Das war ein persönlicher Anwurf. Vielleicht hatte er mehr erlauscht, als man drüben voraussetzte – oder sollte die kluge Frau auch eigens ihm zu Gehör gesprochen haben?
»Frau Mutter,« stammelt' er heftig, »das verbitt' ich mir! Nicht auch ich. bin Ihr Pflegekind. Wenn ich und die Marie so zueinander stünden, hätt' sie sich wohl wenigstens bei mir empfohlen. Ich kann aber beschwören, daß ich nicht weiß, wo sie steckt.«
Damit brach er auf, hinter sich die Türe zuschlagend. Sein Glas war erst halb geleert, seine Zeche unbeglichen.
Nun waren sie völlig allein, die Wirtin und der Fuhrmann. Letzterer hatte den Burschen gut aufs Korn genommen und damit, daß er den Kopf schüttelte, mocht' er andeuten wollen, daß er denselben keineswegs für unverfänglich halte.
»Ich hab' ihm schon längst einen ›Deuter‹ geben wollen,« sagte die alte Frau; »er hätt' auch dagegen aufbegehren dürfen; aber ohne diese gemachte Hitz' hätt's mir besser gefallen. Er ist ein geschickter Mensch sonst, aber die blauen Fürtücher haben ihm's angetan, oder er ihnen, wie man's nimmt. Wollte Gott, daß ich zu schwarz sähe! Wenn sie nur ein Vertrauen zu mir hätt' haben wollen, das arme Kind! Aber, was auch geschehen ist, ich will die Hand nicht ganz von ihr abziehen. Und nun erzählt, Veit, wo sie ist und was sie macht – es ist eh besser, daß der Kohlschreiber schon fort ist.«
»Ja, viel kann ich der Frau Mutter nicht sagen. Gesehen hab' ich sie, oder ich glaub' wenigstens, daß sie's gewesen ist. Und dann hab' ich sie mehr an ihrem Gang erkannt, als daß ich ihr liebes Gesichtl ausgenommen hätt'! Oberhalb Kathal ist's gewesen und beim Dreikönigwirt heißt's, wo ich gewässert und gefüttert hab'. Und wie ich so bei meinem Wagen steh', kommt 's Hascherl aus dem Walde herfür und ist auch schon wieder drüben auf der anderen Seiten im Wald. Ich hab's nicht anreden, nicht fragen können; denn grad' verkehrt: meine Schimmel haben ins Kärntnerische müssen und sie, die's da so gut gehabt hat, sucht draußen auf dem Murboden wo eine Zuflucht. Hat sie vielleicht Verwandte noch draußen?«
»Daß ich nicht wüßt'! Eine Steirische ist allerdings ihre Mutter gewesen. Und nicht wahr, Veit, Ihr schaut Euch weiter um sie um und laßt mir Post sagen, wenn Ihr selber nicht kommt? Jetzt aber gute Nacht, Veit! Spät ist's worden, und morgen ist Frauentag.«