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Mein Lebensgang.
Von Hans Grasberger

Ich erscheine als am 2. Mai 1886 geboren und getauft; nach mütterlichem Gedenken habe ich aber am 1. Mai an einem Sonntage das Licht der Welt erblickt. Daß ich Gras- und nicht Graßberger schreibe, beruht auf einer Weisung meines Vaters, der mir auch mitteilte, daß diese Grasberger einst ein Wappen geführt und die Werke im Thörlgraben (Obersteiermark) besessen. Ich habe diesen abweichenden Angaben nie näher nachgeforscht. Daß ich mich bald nach den Studentenjahren Hans schrieb, langes Haar trug und nach einem weichen, breitkrempigen Hut griff, hat mir für längere Zeit die polizeiliche Aufmerksamkeit zugezogen. Mein Vater Josef war Weißgerber, ein Gewerbe, das damals, als man sich noch vorwiegend »irchen« (in Fellkleidern) gewandete, eine größere Bedeutung hatte als heutzutage; er hatte in Graz, in verschiedenen Klöstern, im Salzburgischen gearbeitet, ehe er sich in Obdach niederließ. Nen Apotheker Grasberger in der salzburgischen Vorstadt Mülln bezeichnete er mir ausdrücklich als nahen Verwandten, den ich auf meiner ersten größeren Ferienwanderung 1854 ja aufsuchen sollte. Ich stellte mich diesem Herrn Onkel in seiner Offizin auch vor, mit einem stolzen Zeugnis mich ausweisend; als derselbe aber, wie um mich auf die kürzeste Weise abzufertigen, in die Geldlade griff, zog ich mein Papier wieder an mich und sagte, kehrt machend: »So war's nicht gemeint!« Seither hab' ich mich um meine reicheren Verwandten nicht mehr gekümmert, wie auch sie nicht um mich. Um 1816 sollen meine Eltern geheiratet haben und nach Obdach gezogen sein. Sie hatten daselbst ein bürgerliches Anwesen, und ist mir als dasselbe das heutige Nagelschmiedhaus am Bach bezeichnet worden. Feuer- und Wasserschäden sollen sie aber um ihre Habe gebracht haben, so daß sie früh verarmten, ihre Selbständigkeit verloren und »Einwohnerleute« wurden. Fortan brachte sich der Vater als Anstreicher, Aushilfsarbeiter, Taglöhner fort; daß er aber gelegentlich auch Heiligenbilder auf Glas malte, derlei Glasbilder ausbesserte, daß von ihm noch heute ein Herz Jesu-Aquarell vorhanden ist und daß er als Erzähler oder »Lügner« da und dort die langen Winterabende verkürzte, wie er auch Schützenscheiben und Transparente fertigte, das darf vielleicht nicht unerwähnt bleiben. Er mag an die 60 Jahre alt geworden sein; ich erfuhr seinen Tod am Ausgange meiner Studienzeit in Wien. Meine Mutter Anna war eine geborene Retnerin; sie hatte beim Patrimonialgericht Nuthal auf dem Murboden ein kleines Erbe zu erheben und blieb trotz vieler Wanderungen dahin der Meinung, daß sie nie völlig zu dem gelangt sei, was ihr gebührte. Sie starb mit 92, ihrer eigenen Aussage nach mit 94 Jahren. Noch als Achtzigjährige ließ sie die Nadel nicht rasten, Bettdecken abstoppend nach Zieraten, die sie sich selbst mit der Kreide auf den Stoff vorgezeichnet hatte. Sie war arbeitsam, frohmutig, gern gelitten, redegewandt, und ihre Laune, ihr Witz hat selbst in ihrem hohen Alter nicht versagt. Wenn ich Mundartliches dichtete, achtete ich im Geiste immer auf Sang und Klang und Ausdrucksweise meines lieben Mütterchens, das eben nur zur Not Gedrucktes lesen konnte. Von zehn Kindern war ich das vorletzte; der ältere, Alois, ist 1849 in Italien, der jüngere, Romuald oder Roman, 1866 bei Chlum gefallen; von den übrigen Geschwistern habe ich keine Erinnerung.

Als Knabe trieb ich mich lieber beim »Pirner-Bäcken«, meinem Paten, als daheim herum, obwohl ich mit der Mutter oft auch in den Wald »Holz klauben« ging, Halterbub war ich in den Vakanzen. Die Trivialschule (Volksschule) behielt mich länger als nötig; im »Ehrenbuch« stand ich obenan; der Kooperator P. Meinrad lieh mir Bücher, und die Rittergeschichten von Cramer, Spieß und Lafontaine verschaffte ich mir um Ministrantengroschen aus dem nahen Judenburg. Der musikeifrige Schulmeister Franz Swoboda lehrte mich, wie andere Kinder, singen, Triangel- und Tschinellenschlagen und auch Waldhornblasen, so daß ich Anno 1848 und 1849 mit Rudolf Falb in der »Banda« der Obdacher Nationalgarde Meinen Mann stellen konnte.

An einem Oktobertage 1849, da gerade im Ort ein Kalb mit drei Hörnern zu sehen war, bestiegen ich, der ältere, und Falb das Steirerwagerl, das uns unter dem Schutze des guten dicken Herrn Schulmeisters als Sängerknaben ins Benediktinerstift St. Lambrecht brachte. Nun, als Sänger und Musiker leistete ich wohl wenig – »unsicher im Treffen, gemütlos im Vortrage«; aber das Studieren machte mir so wenig Schwierigkeiten, daß mir meine geistlichen Lehrer beispielsweise in einem Jahr über die dritte, vierte und fünfte Schule hinweghelfen konnten. Nach vierjährigem Aufenthalte im Kloster konnte ich in Klagenfurt die Aufnahmeprüfung für die siebente Lateinschule bestehen. Die Konviktszeit ist mir ein lichtes, freundliches Erinnerungsgut; Lehrern wie P. Odilo und P. Justus zolle ich dankbares Gedenken; Konrad von Forcher, Landesgerichtsrat Iberer, P. Benno, sind mir Freunde geblieben; wir Konviktsjungen hatten unser eigenes Papiergeld ( § 1 »Die Bank ist eine – Republik«), unsere Fehden, Femen und Gastereien; tolle Streiche, bei denen nichts Böswilliges mit unterlief, wurden gelinde bestraft; wir bekamen kein gehässiges Wort gegen Welsche oder Andersgläubige zu hören und ich durfte – Verse machen, die an Prüfungstagen mitunter sogar herumgezeigt wurden, auch Liebesgedichte, »aber nicht früher, als bis ich wußte, was Liebe sei«.

In Klagenfurt beendete ich das Gymnasium, die Reifeprüfung mit Auszeichnung bestehend. Einen Rückhalt fand ich da an dem studentenfreundlichen Hause des Stadtphysikus Dr. Adam Birnbacher, dessen edle Gattin mir in der Folge den Weg nach Wien bahnte. So kam ich auch zu Freitischen und Lektionen. Bücher über den Schulbedarf hinaus liehen mir Professor Karlmann Flor von St. Paul und der spätere Erzbischof Peter Funder. Ich lernte das kärntnerische Volkslied kennen und lieben – daher so manche Anklänge daran in meinen mundartlichen Schriften.

Wien betrat ich am 3. Oktober 1855. Ich hörte Jus ohne sonderlichen Herzensdrang, doch war ich kein schlechter Student, und die theoretischen, die geschichtlichen Fächer hatten viel Reiz für mich. Freundliche Aufnahme fand ich in den Familien des Teehändlers Carl Trau, des Oberfinanzrates v. Hausegger, des Direktors v. Plenker, des Kaufmannes Franz Breither, der in der konservativen Welt eine hervorragende Rolle spielte, und anderer Gönner, Der letztgenannte war ein Bruder des Lambrechter Geistlichen P. Rudolf, der mich getauft hatte; er vermittelte meine Teilnahme (»gleichsam an seiner Statt«) an der österreichischen österlichen Pilgerfahrt nach Jerusalem 1859; er nahm meine Reisebriefe in sein Tagesblatt »Österr. Volksfreund« auf; er machte mich zum Mitarbeiter, ja selbst zum Leiter dieses Organes – ein Verhältnis, das über 1864 hinaus gedauert hat. Im Jahre 1859 erschienen auch meine ersten Gedichte, enthalten in dem von Wiener Studierenden herausgegebenen »Album zur Schillerfeier«. Nach der Orientfahrt kam ich zunächst als Hofmeister und Konzipient ins Haus des Advokaten Dr. Wolfgang Tremmel; aber ich schickte mich schlecht in die Kanzleipraxis, so daß ich bald lieber ganz der Tagesschriftstellerei angehörte. Ich hab' es demnach auch nicht völlig zum Doktor gebracht. 1865 und 1866 gehörte ich der Redaktion der »Presse« an. Ich wollte heiraten, aber ehe ich dazu kam, war ich wieder ohne Stelle, Dreimal hab' ich mich auf Grund meiner » Sonette aus dem Orient« und anderer schriftstellerischer Anläufe um ein Dichterstipendium beworben, aber vergebens. In den ersteren Monaten von 1862 beredete mich der mir wohlwollende Dichter Carl Beck zu einer gemeinschaftlichen Fahrt nach Italien. Das machte sich überraschend leicht; die Regierung gab mir als gewesenem »Volksfreund«-Redakteur einen Vorschuß von 300 fl. auf Berichte, die ich für die »Wiener Zeitung« schreiben sollte, und auch andere Blätter versprachen, ihre Spalten meinen Reisebriefen zu öffnen. Ich strebte denn auch bald weiter, als meinem Reisegefährten lieb war; ich trennte mich in Venedig, besah mir Bologna und Florenz, verweilte in Rom, drang nach Neapel vor und blieb sieben Monate aus.

Die zweite Romfahrt erfolgte schon im nächsten Oktober; ich weilte über ein Jahr in der ewigen Stadt, schrieb für ein halb Dutzend deutscher Blätter und ließ mir's sauer werden. Nachdem ich so bereits die Zentenar- und Kanonisationsfeier, sowie die Garibaldinische Invasion miterlebt hatte, traf ich daselbst zum drittenmal, und zwar als Konzilsberichterstatter der »Presse« ein. Auch das war ein anstrengender und heikler Dienst. Im Jahre des Krachs und der Wiener Weltausstellung war ich neun Monate lang in Italien, und anläßlich der slawischen Pilgerfahrt sah ich die Siebenhügelstadt wieder.

Dies meine italienischen Wanderjahre. Die freie Zeit widmete ich Kunststudien; zunächst hatte mir's die Malerei, sodann die Architektur, und zuletzt erst die Plastik angetan. Mit Künstlern verkehrte ich viel und gern, in den Ateliers war ich wohl gelitten, aber das ungebundene Leben machte ich nur wenig mit, denn ich hatte mein Herz in Wien zurückgelassen; es gehörte einer selbständigen Frau, die nach der Wanderschaft mir eine sorgsame Hauswirtin geworden und trotz allem Wandel eine edle Freundin geblieben ist bis zu ihrem letzten Atemzuge. In Rom begann ich meine Nachdichtungen der »Rime di Michelangelo«, von Franz Liszt ermutigt und unterstützt.

1871 war ich überflüssiger Kriegskorrespondent der »Presse«; ich sollte mich nämlich ausschließlich auf deutschem Boden herumtreiben. 1873 erschien mein »Karneval der Liebe« – der naive Mensch hatte ja doch auch schon manchen Tiefblick ins gesellschaftliche Leben getan. Ich hatte nun als Kunstreferent und Feuilletonredakteur der »Presse« einen ruhigen Dienst. Da mir aber die nationale Bedrängnis nicht gleichgültig bleiben konnte, verließ ich das genannte Blatt im Jahre 1883, als Kunstreferent bei der »Deutschen Zeitung« eintretend. An förderlichem Umgang hat es mir in Wien nie gefehlt; Ferd. Kürnberger, Friedr. Uhl, C. Oberleitner, Ludwig Speidel, Karl v. Thaler und in früherer Zeit der Komponist Winterberger, der Dramatiker Schneegans, die »Wartburg-Brüder« u. a. haben mit mir verkehrt. Deutschland habe ich zumal auf verschiedenen Ausstellungsfahrten kennen gelernt. Was jetzt noch mein Leben verschönt oder erfreut, gehört nicht hierher.

An die fünfzehn Jahre hatte ich die heimatlichen Berge nicht wiedergesehn. Als in den Ferienmonaten 1876 Steirisches, Kärntnerisches mir aufs neue traut zu Ohren klang, kam etwas zum Durchbruch, das ich in mir gar nicht vermutet hatte – meine Dialektpoesie, ein Tribut, den ich der lieben Heimat zollte! Und auf diesem Gebiete ist mir Roseggers Zuspruch zustatten gekommen.

Ähnlich wollen alle meine Schriften aufgefaßt sein: als Dank an das Leben, soweit es mich berührt hat, als Dank an den Boden, darauf ich Gastfreundschaft gefunden. Wie » Sonette aus dem Orient«, die Novellen » Aus der ewigen Stadt«, die Geschichten » Auf heimatlichem Boden« sprechen dies klar und offen aus. Anderes begreift sich unschwer daraus, daß meine Denkweise mehr geschichtlich als philosophisch, meine Anschauung mehr realistisch als idealistisch und mein Wesen mehr hingebend als selbstsüchtig, mehr beschaulich als tätig ist. Ob, was das Pult birgt, bei meinen Lebzeiten noch ans Tageslicht gelangen kann, weiß ich nicht. Ich darf mich eines arbeitsamen Lebens rühmen, sowie auch, meinen Namen nie feilgeboten oder preisgegeben zu haben. Das übrige steht in Gottes Hand.« Soweit Hans Grasberger über sich selbst. Das war 1891. »Vielleicht,« setzte ei mir damals bei, »gilt dieses Bekenntnis bald als Nekrolog.« Das Geschick hatte ihm Besseres zugedacht. Noch in demselben Jahre hielt er Hochzeit mit Emilie von Domazewsky, die ihm zwei Jahre später ein herziges Töchterlein geschenkt hat. Aber großes Glück ist nicht von Dauer. Wenige Jahre nachher begann er zu kränkeln und am 11. Dezember 1898 ist er in Wien gestorben.

Was seine Freunde persönlich an Hans Grasberger verloren haben, darüber ist wehes Schweigen beredteste Kunde. Nun wollten sie ihm ein Denkmal stiften, indem sie das Seine ihm geben und – der Literatur das Ihre. So ist nach manchen äußerlichen Widerwärtigkeiten, die zu überwinden waren, eine ausgewählte Ausgabe von Hans Grasbergers Werken zustande gekommen, der dieses Büchleins Inhalt entnommen wurde. Wohlgemut legen wir sie in die Hände des deutschen Volkes, und zwar ohne kritische Deutung und Erläuterung. Ohne daß ein Dritter dazwischen tritt, unmittelbar und unbefangen sollen Dichter und Leser sich nahe treten. So wie von allen, die diesen Mann gekannt, keiner je wieder von ihm loskam, so wird auch die warme freundliche Dichtergestalt ihre Leser festhalten und sie nie mehr ganz entlassen. Und daher wird und muß auch die zu München zu den verdienten Ehren kommen,

Krieglach, im Herbst 1904.

Peter Rosegger.


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