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Anni hatte ein Schwammfraueli, welches es mit besonderer Vorliebe beherbergte. Dasselbe hatte den allerbesten Schwamm, wie Anni sagte, den es auf der Welt gebe; aber das Fraueli kannte Anni und konnte es ihm treffen und brichten wie keine. Das war gar lange nicht da gewesen, kam einmal an einem heissen Sommernachmittage, als alles auf dem Felde war und Anni ganz allein gaumete, schachmatt auf den Knubel.
Der Engel Gabriel hätte Anni in seiner Einsamkeit nicht willkommener erscheinen können, als das alte Schwammfraueli. Es erzählte ihm alles, was es auf dem Herzen hatte, wie Micheli das Wybe in Kopf geschossen, es wisse nicht, warum, und wie es sich gegen ihn verfehlt, es glaube immer, Sami, der Lumpenbub, habe es ihm eingegeben. Es habe in Gottes Namen nachgegeben, von wegen es sei nicht mehr ganz jung, sondern übernächtig, wie Sami, der Unflat, ihm vorgehalten, da möchte es sich doch nicht ein Gewissen machen, wenn es gestorben sei, und Micheli niemand hätte, der zu ihm luege und ihm d'Sach mach; jetzt sollte es ihm eine suchen, das sei ihm ein Tüfelwerk, es könne nirgends eine finden, welche nur halbwegs gut sei. Ehedem sei es doch nicht so gewesen, aber jetzt sei in Gottes Namen nichts mehr, es schicke sich alles besser für das Zuchthaus als für ein Bauernhaus.
«Ich glaube, ich wüsste dir was, das sich nicht übel schickte; begreiflich ist nie alles an einem Orte beisammen, selb musst nie meinen», sagte das Weib. «D's Bure auf dem Hühnersädel, das sind rechte Leute auf die alte Mode, die beten und arbeiten, haben Gott und den Nächsten lieb, haben Sorg zum Geld, halten nichts auf Hoffart und gönnen doch sich und andern, was recht und billig. Sie haben Arbeit und Sachen genug, gerade wie es am besten ist, sind nicht überkindet, es sind ihrer viere, zwei Buben und zwei Meitli. Die wissen, was Folgen und Arbeiten ist, da widerredet keins Vater oder Muttet, und sind nicht verbypäpelet, dass sie beim ersten sauren Luft auf den Rücken liegen; die mögen Regen und Sonnenschein ertragen und sind doch gut gegen die armen Leute. Sie sind aber auch vom rechten Schlag, Bube und Meitli, haben Posturen wie Flüh, und Gringe wie Sonnenblumen, nit so spitzi, bleichi Nähjeregringli, wo einen an nichts besser mahnen als an ermagerte Gufeköpf; die stünden jedem Bauernhof wohl an.»
Man sieht es dieser Rede an, dass das Fraueli Anni besser kannte als die andern. Gerade solche möchte es, sagte Anni, die seien wie gemacht für hieher, wenn alles so sei und nit Schyn dahinter sei, selb müsse man eben probieren.
Sobald Michel heimkam, wurde er nebenausgenommen, der Fund ihm mitgeteilt und so süss ausgestrichen wie Honig aufs Brot, dass Michel die Füsse unter dem Tische nicht mehr stillehalten konnte. Des andern Morgens früh musste das Fraueli ablaufen, dem Hühnersädel zu, welcher glücklicherweise weder im Oberland, noch im Mittelland, noch um Bern herum lag, sondern auf neutralem Gebiete, etwa drei Stunden vom Knubel.
Als das Fraueli wieder kam, hatte es viel zu brichten. Anfangs hätten sie wunderlich getan und nicht gewusst, wollten sie, oder wollten sie nicht. Aber es hätte ihnen brichtet, wie es hier sei, und wie Michel sei, und dazu sei noch ein Schafhändler gekommen, der habe seine Sache bestätigt und gesagt, wie das ein Wesen sei, und wie eine glücklich sei, wenn sie da zuechechönn. Da seien die Mädchen ganz anders geworden, hätten ihr aufgewartet; wenn sie eine vornehme Base gewesen wäre, sie hätten nicht mehr an die Sache tun können, und Vater und Mutter hätten auch angestrengt, und so hätten sie abgeredet, dass man am nächsten Sonntag über acht Tage, wenn es schön Wetter sei, sonst am nächsten Sonntag, wo es schön Wetter sei, beim Bassgeigentürli zusammenkommen wolle, es sei dort eine gute Wirtschaft und doch nicht z'mitts in den Leuten. Es hätte sie wundergenommen, welches von ihnen er lieber wolle, Bäbi oder Eisi. Es hätte das aber nicht gewusst und gedacht, Michel könne selber luegen und jetzt kämen beide.
«Welche meinst, dass sich besser schickte?» fragte Anni.
«Weiss meiner Treu nicht», sagte das Fraueli; «Eisi ist um öppis töller am Gring, Bäbi um öppis bräver am Lyb. Es ist gerade, wie wenn man zwischen zwei zweipfündigen Broten auslesen soll, man nimmt eins ums andere in die Finger, und zuletzt gefallen einem beide so wohl, dass man beide möchte. Es wird Michel sein wie dem Esel zwischen zwei Heuhaufen.»
So lautete der Bericht, der grosse Bewegung brachte in das sonst so gleichförmige Knubelleben. Schneider und Schuhmacher mussten plötzlich herbei. Michels beste Kleidung war seit Ostern nicht mehr standesgemäss, und Sami hatte keine reputierlichen Schuhe. Michel ging es kurios, es wäre ihm jetzt lieber gewesen, er wüsste von allem nichts. Es hatte etwas äusserst Unheimliches für ihn, so an etwas Unbekanntes hinzugehen, so an eine Gschaui. Er hätte sich für sein Leben gern hinter sich drausgemacht und schwer Geld gegeben, es hätte siebenzehn Sonntage hintereinander wie mit Melchtern vom Himmel herabgegossen. Aber Anni trieb, Sami machte Mut und sagte: es werde ihn keine fressen, wenigstens an einem Tage nicht, so dass er immer Zeit zur Flucht hätte.
Am ersten bestimmten Sonntage war der Himmel blank, das Wetter prächtig. Bauer und Bäuerin wissen, was man für Arbeit mit einem Tiere hat, welches man zu Markte bringen oder gar auf eine Gschaui, eine sogenannte Zeichnung, welche mit Preisausteilungen verbunden ist, stellen will. Wie man da riebeln, striegeln, bürsten, waschen, reiben, kämmen, ja, flechten (Roßschweife) muss, bis alles blank wie ein Spiegel ist und glatt wie ein Aal. Bauer und Bäuerin werden daher begreifen, was es bei einem Menschen, der kein Tier ist, sondern viel mehr, für Aufwand von Zeit, Kraft, Geschick, Wasser, Seife samt Striegel und Bürste braucht, um ihn so recht schön und glänzend zu einer Gschaui herzurichten.
Wie es auf dem Hühnersädel zuging, wissen wir nicht, aber wir glauben uns berechtigt, vorauszusetzen, dass sie alles aufgeboten und nichts gespart, was in ihrem Verstand und in ihren Mitteln lag, alles nach dem Grundsatze: «Helf, was helfen mag!» Auf dem Knubelhof hatte Anni gewaltig mit seinem Micheli zu tun, um Sami kümmerte es sich nicht. «Kannst selber sehen, deiner wird sich niemand öppe viel achte», hatte es ihm gesagt. An Micheli wendete Anni in Schweiss und Angst all seine Mühe und Kunst mit Waschen, Bürsten und Kämmen. Es weiss kein Mensch, wie oft es ihm das Haar schön glatt vorne über die Stirne und hinten über den Rockkragen hinabzog, den Hemdekragen schön herauf über die Ohren zupfte. Das Halstuch band es um mit all seiner Macht, dass Michel plötzlich eine auffallende Aehnlichkeit mit dem gewesenen Lällenkönig von Basel bekam, knorzete ihm dann mit grosser Anstrengung einen Lätsch zweg, von dem es meinte, es sei der schönste, der je gewesen, steckte ihm das schönste Nastuch in die Tasche und liess wohlweislich einen Zipfel hervorgucken, damit alle Welt sehe, dass Michel wirklich eins hätte, verwandte zwei Stunden auf Instruktionen und lief ihm noch zweimal nach, dieselben zu ergänzen.
So zogen sie in der schönsten Mittagshitze von dannen, von Bari in weiten Sprüngen umgaukelt, bis er ausgetobt, wo er dann sittig wie ein Kammerdiener seinem Herrn nachschritt. Es war ein grimmig heisser Tag, Michel schwitzte jämmerlich, daran war Anni schuld. Ob dem Riblen und Rüsten war Michel hungrig geworden, hatte tapfer Bohnen und Speck gegessen. Damit er auf dem Wege nicht durstig werde, brachte ihm Anni eine grosse Kachel mit guter Milch, die hatte er ausgetrunken. Darauf brachte es ihm die neue Kutte, und die musste er anziehen. Jeder Fötzel könne ohne Kutte laufen, aber in einer neuen Kutte, mitten im Sommer, dafür müsste es schon jemand sein, sagte es. Michel rauchte wie ein Schmelzofen; wär es Winter gewesen, man hätte ihn von ferne am Rauche erkannt, wie man auf dem Thunersee an der schwarzen Rauchsäule immer weiss, wo das Dampfschiff ist.
Das Bassgeigentürli war ungefähr zwei Stunden vom Knubel weg und, wie man zu sagen pflegt, sehr romantisch gelegen, das heisst in einem schwarzen Tannenwald, nicht in einem eigentlichen Loche, aber wenn es in einem wirklichen Loch gewesen, wäre der Unterschied nicht gross gewesen. Es war eine alte Wirtschaft und an einem Sonntag zuweilen viel Gäste dort, doch nicht wegen Romantischem, sondern weil man ein trinkbares Glas Wein fand, ein reinlich Essen und billig beides. Das Kegelries lag der Seite zu, woher Michel kam. Wie ein alt Husarenross, wenn es die Trompete hört, zuckte Michel zweg und kam fast in Sprung, als er Kugelrollen und Kegelgepolter in die Ohren kriegte. Das waren Töne, welche ihn aus dem Grabe gerufen hätten, und schon manche Wochen hatte er sie nicht gehört, man denke! Man hätte gar nicht denken sollen, wenn man Michel im Zustand der Ruhe sah, dass er einer solchen Bewegung fähig, so rasch auf seinen dicken Beinen sei. Er glich darin einem Elefanten, welche bekanntlich, obschon sie schwer und scheinbar plump sind, denn doch rascher laufen können, als es oft den Jägern lieb ist. Er dachte nicht etwa: «Mädchen hin, Mädchen her!», sondern er dachte gar nicht an sie, steuerte dem Kegeln zu, als wenn er extra deswegen gekommen wäre. Er war mitten im Spiel, ehe er an die Mädchen dachte, und wenn er hinter sich sagen hörte: «Potz, lueget doch, wie der Knubelbauer Schmalz im Arme hat!», so waren ihm dies Töne, über welchen er die ganze Welt vergass.
Sami war besonnener, hatte den Zweck, um dessentwillen sie da waren, nicht ganz aus den Augen verloren, bemerkte Mädchenköpfe, welche zuweilen an einem Fenster des Wirtshauses erschienen und verschwanden, zog daraus den Schluss, die Bestellten seien bereits da. Er dachte, sie vorläufig und inkognito in Augenschein zu nehmen, könne nicht schaden, tat es und setzte sich zu einem halben Schoppen in ihre Nähe. Sie sassen hinter einem Schoppen und gefielen Sami bsunderbar wohl, töllere Meitli hätte er nicht bald gesehen, und die bräver daherkämen, dachte er, er glaube fast, man könnte eine nehmen ohne Bedenken. Es waren stattliche Mädchen, währschaft gebaut, mit grossen breiten Köpfen, starken Armen, sauber, aber nicht zu hoffärtig und nicht nach der neuesten Mode, kurz, so vom rechten Bauernschlag. Wahrscheinlich hatten sie Michel der Beschreibung nach erkannt oder, ehe Sami kam, Erkundigungen eingezogen. Sami sah, dass sie Michel beobachteten. Bald die eine, bald die andere streckte den Kopf ans Fenster.
«Macht er noch?» fragte die eine.
«Glaub's», sagte die andere, «er steht am gleichen Orte wie ein Oelgötz.»
«Mir erleidet's», sagte die eine.
«Mir auch», antwortete die andere.
«Wär doch nicht gerne d'r Narr im Spiel!» bemerkte eine.
«Ich auch nicht», sagte die andere.
«Weisst was, geh unter die Türe! Wenn er dich sieht, vielleicht kommt er dann.»
«Geh du!» sagte die andere, «ich mag nicht; was frag ich doch so einem Löhl nach! Wenn er nicht bald kommt, so hulf ich weiters.»
«Ho, öppe lang möchte ich auch nicht warten, aber z'hert pressiere auch nicht», sagte die andere. Sami wollte sich mit ihnen in ein Gespräch einlassen, so gleichsam ihnen die Langeweile vertreiben, aber sie fertigten ihn kurz ab, sie mussten sich hüten, mit jemandem sich einzulassen, ehe der Rechte kam, damit der seinen Platz nicht schon eingenommen finde, fuhren mit ihren Glossen fort, als ob Sami nicht da sei, welche sehr zart wurden, als eine unter die Türe sich gestellt, die andere zum Fenster aus die Wirkung beobachtet und Michel der gleiche Oelgötz geblieben war.
Die Stimmung wurde so gefährlich, dass Sami es geraten fand, den Versuch zu machen, Michel vom Kegeln weg in die Stube zu bringen. «Komm doch!» sagte Sami, «sie wollen fort, sie warten schon mehr als zwei Stunden.»
«Ja», sagte Michel, «gleich, sobald ich fertig bin. Sollen nicht Längiziti haben!»
Sami, der wohl wusste, dass Michel, solange jemand mit ihm kegelte, nicht fertig wurde, solange noch ein Stern am Himmel scheine, liess sich nicht abfertigen. Michel musste vom Kegeln lassen, wodurch seine Stimmung ebensowenig holdselig ward als die eines Kindes, welchem man ein liebes Spielzeug aus den Händen reisst.
Anni hatte ihm eingeschärft, dass er eine apartige Stube verlange, damit nicht alle Leute sehen könnten, wie er ihnen aufwarten lasse, und was sie zusammen zu brichten hätten. Aber an das dachte Michel jetzt nicht, er dachte bloss daran, was das für ein verfluchter Zwang sei, dass er jetzt in die Stube müsse, er wollte, er hätte von allem nichts gehört, könnte kegeln nach Belieben; zudem war er noch verlegen. Was sollte er sagen und wie tun? Es ist nichts, was so dumm macht als Verlegenheit, und darauf gründete sich hauptsächlich die Berühmtheit des berühmten Talleyrand, dass er nie verlegen ward, daher allezeit die passende Miene und das rechte Wort bei der Hand hatte. Michel stolperte zum Tische, wo die Mädchen erwartungsvoll wieder sassen, setzte sich ohne alle Umstände und einleitende Redensarten zum Tische, als sei er eben erst da weggegangen. Er sagte nicht einmal: «Mit Verlaub, es macht heiss heute, ihr werdet auch brav geschwitzt haben!» Er rief nach einer Mass Wein und sagte zu den Mädchen: «Es wird euch düechen, ihr möchtet auch was essen?»
Oh, sie hätten da nichts zu befehlen, sagte Bäbi, sie düech's, sie möchten ein wenig an Schatten.
«Ihr werdet doch vom Hühnersädel sein?» fragte Michel halb erschrocken.
«Wo wollten wir sonst her sein?» fragte Eisi.
Das Gespräch stockte oft, Michel war in Gedanken beim Kegeln, und die Meitschi dachten, wie sie es ihm hinreichend z'schmöcken geben könnten, dass sie auch an einem Orte daheim seien und seine Grobheit nicht für Höflichkeit hielten. Sie taten zimpfer, wussten lange nicht, sollten sie sich von Michel einschenken lassen, und als eingeschenkt war, taten sie, als ob sie den Wein nicht trinken könnten. Sami bot allem auf und wollte den Artigen spielen. Aber weil die Mädchen nicht recht wussten, wer er sei, ob ebenbürtig oder nicht, Ansprüche zu machen hätte auf die, welche der Knubelbauer nicht wollte, so benahmen sie sich vorsichtig, nahmen so wenig als möglich Notiz von ihm.
Michel war zu keinen Zeiten ein Redner; war ein Faden abgebrochen, fand er einen neuen nicht. Die Mädchen waren sprützig, kurz, spannen an keinem fort; man kann sich denken, wie belebt das Gespräch war. Michel redete mit Sami, wie er es denen draussen im Kegeln gemacht, trank fleissig, und beim dritten Glas sagte er: «Seh, Gsundheit, treychit doch, sust suuffe ne allein!» Endlich kam Essen, etwas Kraut, Rind- und was von Schweinefleisch. Die Wirtin sagte, sie hätten noch schönen Braten und Schinken, wenn er begehre, und mit Dessert könne sie auch aufwarten, sie hätte bsunderbar schöne Datere im Ofen. Michel sagte, sie solle nur bringen, was sie hätte. Ihretwegen solle er nicht Kosten haben, sagte Bäbi, sie begehrten nichts, pressieren heim, hätten weit, und kühlet werde es haben. «Wirtin, bring!» sagte Michel; «wenn d'Meitschi nit mögen, nimmt's ein anderer und wegen den Kosten plagt euch nicht; der, welcher die zahlt, hat immer noch etwas, wenn er die schon gezahlt hat. Jetzt, wenn es angehen muss, werde ich wohl hören müssen mit Tubaken.» Sprachs, steckte die Pfeife in Sack, zog das Rindfleisch an sich, hieb eine schöne fette Ecke runter, warf sie Bäri dar, nahm ein ähnliches Stück für sich, schnellte den Rest Sami aufs Teller: «Nimm, was d'magst, und gib's weiter!» Sami tat's und was Eisi, welche Sami zunächst sass, aufs Teller kam und mit Bäbi zu teilen war, hätte niemanden mehr grosses Bauchweh gemacht. Mit dem Schweinefleisch beachtete Michel die gleiche Rangordnung, erst er, dann Bäri, auf Bäri kam Sami, auf Sami Eisi, auf Eisi Bäbi, das konnte haben, was überblieb.
Nur mit dem Kraut ging's anders. «Mag nicht», sagte Michel, «hab deren auch daheim im Garten. Bäri nimmt auch nicht, Sami wottsch du?»
«Bi nit Liebhaber», sagte Sami.
«So näht d'ihr, was d'r meut, es wott sust niemere», sagte Michel und schob den Mädchen das Kraut vor ihre Teller, sich zu bedienen nach Belieben. Potz, was die für Augen machten und Köpfe kriegten wie gesottene Krebse! «Essit!, d'Sach ist recht, und man muss sie brauchen, wenn man sie hat. Macht euch nicht eigelig», sagte Michel, als er sah, dass die Mädchen Glotzaugen machten und das Essen darob vergassen. Seine Sache war wohl recht, aber was für die Mädchen abgefallen war, war eben nicht zu rühmen. Die ganze Rede klang ihnen wie Hohn, was sie doch eigentlich nicht war. Michel hatte nur eine Redensart gebraucht, welche ihm geläufig war, da er sie daheim an seinem Tische oft anwendete.
«Häb nit Kummer», sagte Eisi, «m'r hei o nit Ursach. Darauf nahm es eine Gabel voll Kraut, schob das Teller Bäbi hin. Bäbi nahm auch und sagte: «He ja, man kann so unverschämt sein und nehmen, weiss man doch, dass man es niemanden vor dem Maul wegisst.»
«Deretwegen habe nicht Kummer», sagte Michel, «nimm so viel du magst. Habe das Kraut nie geliebet und Bäri auch nicht; ich und er haben es gleich.»
«Mit Schyn ist's nicht bös bei dir Hund sein, wenn du und er es gleich haben», sagte Eisi.
«He», sagte Michel, «es kommt noch darauf an, was es für ein Hund ist. Selb ist wahr, ich und Bäri könnend miteinander, er hat aber auch mehr Verstand, als mancher Mensch.» Und nun ward Michel beredt, denn wenn er auf das Kapitel von Bäri kam, so fehlten ihm weder Stoff noch Worte. Unterdessen war man mit der ersten Auflage fertig geworden bis ans Kraut, zu welchem niemand grosse Lust zeigte.
Michel schenkte tapfer ein, besonders sich und Sami, die Mädchen redeten immer strenger vom Heimgehen, die Wirtsleute drehten auf übliche Weise mit dem Auftragen. Lange Pause zwischen den verschiedenen Gerichten sind ein Zeichen, dass der Wirt seinen Gästen das Essen gönnt, von wegen, je langsamer man isst, und je längere Zeit man am Essen sitzt, desto mehr kann man vertragen. Es ist ganz das Gegenteil von den modernen Wirtschaften, wo die Hotelbuben den Gästen die Teller erst zuwerfen, wie man Hunden Beine darwirft, und, ehe dieselben ausgezittert, wieder unter den Händen wegreissen, wie die wilde Jagd um den Tisch fahren und abzuräumen anfangen, ehe man den Sessel warm gesessen, ehe man sich besinnen kann, hat man eigentlich gegessen oder eigentlich nicht gegessen. Die Pausen werden bei jener patriarchalischen, gutmeinenden Weise mit Trinken ausgefüllt, was natürlich des Wirtes Schaden nicht ist.
Endlich rückten Wirt und Wirtin an mit einem schönen Stück Nierenbraten, der ganz prächtig dampfte und roch, so dass ein ganz verklärter Schein sich auf den verstimmten Gesichtern der Mädchen zeigte, ferner mit Salat, Schinken und Datere (Kuchen). Sie entschuldigten sich, dass es ein wenig lange gegangen, aber sie hätten gedacht, junge Leute hätten nicht bald Langeweile beieinander, es werde ihnen jetzt nur um so besser schmecken.
«Mir wei luege!» sagte Michel, steckte seine Pfeife, die natürlich den Zwischenraum verkürzen musste, in die Tasche, zog die Schüssel an sich, hieb ein wackeres Stück mit der halben Niere herunter und sagte: «Lueg, Bäri, wie düecht dich das?», und Bäri tat sein grosses Maul auf und lebte sichtbarlich wohl daran. Das zweitbeste Stück hieb Michel runter für sich und wandte sich mit dem Rest Sami zu. Mit zornfunkelnden Augen hatten die Mädchen dem Spiel zugesehen, und als Sami Bäbi den Rest, den er um ein Beträchtliches beschrotet hatte, auf den Teller legte, stand dasselbe auf und sagte, es begehre nichts davon, sie sollten das für den Hund sparen, oder wenn der es nicht möge, selbsten fressen, und ging der Türe zu, Eisi auf und nach.
Michel war ganz verblüfft und fand das Wort nicht. Sami rief: «Numme hübschli, nit so prüssisch, es ist alles i guter Meinig!»
«Wenn du d'r Löhl machen willst, so mach ihn, aber d'Narre im Spiel sy mer lang gnue gsy, könnt jetzt den Hund dafür haben, wenn ihr wollt!» sagte Eisi, und verschwunden waren die beiden zornigen Schönen.
«Das sind Feurige», sagte Sami, «die brennen ohne Schwefelholz, daneben wären sie brav genug gewesen, hätten tolle Bäuerinnen gegeben. Aber gäb wie eine brav ist, wenn sie ein Fass Büchsenpulver im Leib hat, so ist's ein uchumlig D'rbysy. Es ist gut, hat sich das noch zur rechten Zeit erzeigt, hintendrein ist es zu spät, wie man sagt.»
«Ja», sagte Michel, «es wird so sein. Daneben gefielen sie mir nicht übel, und zwider ist mir, wenn man wieder von vornen anfangen muss.»
«Was Tüfels habt ihr mit euern Meitschene?» rief die Wirtin. «Die fahren die Strass aus, als hätte man sie aus einer Kanone geschossen, und täubbeleten durch den Gang wie Hurnussen, wenn man ihnen im Nest herumgeguselt!»
«Nichts», sagte Sami, «kein ungut Wort hat man ihnen gegeben. Sie tun wie ertaubet Katzen, weil man dem Hund auch Fleisch gegeben, sie haben es ihm nicht gönnen mögen.»
«Mit Schyn vor den Meitschene», sagte die Wirtin. «Es war noch manches andere nicht gerne dem Hunde nachgekommen. Es gibt in der Welt gar viele Gebräuche; wer sich nicht darauf versteht, kann übel fehlen. Hier ist der Brauch, dass die Leute vor den Hunden kommen, bei euch wird es der ander Weg sein; darum sollte man einander brichten, so könnte man einander verstehen. Es gibt kurios Sachen in der Welt.»
Das kam Michel ins Haupt, er sagte, sie seien Menschen wie andere und hätten nichts Apartiges an sich. Aber wer zahle, der befehle und könne machen, was ihm anständig sei; so werde der Brauch sein, so weit er gehört.
«He ja», sagte die Wirtin, «so wird es sein. Jeder kann tun, was er will, dann kann ihn auch jeder halten, für was er will.»
Der Michel machte grosse Augen zu dieser Rede und sagte: «He nun so dann, wenn man niemanden schuldig ist, so kann einem das doch gragglych sein, heige d'Lüt uf eim, was si wei. Was sind wir schuldig, Wirtin?»
«Hab ich euch bös gemacht?» sagte die Wirtin; «es war mir leid. Aber es ist mir doch noch so, wie ich gesagt. Oeppe höflich ist das nicht; wär ich Meitschi gewesen, ich wäre auch gegangen oder hätte vielleicht noch was anderes gemacht. Nehmt's nicht für ungut, aber so junge Burschen muss man brichten und, wenn sie den Verstand nicht haben, ihnen denselben machen.»
«Häb nit Müh!» sagte Sami; «aus dieser Aufwart lösest nicht viel; was man nicht befohlen hat, das zahlt man nicht.»
«Dir habe ich noch nichts gefordert», sagte die Wirtin, deren geübtes Auge gleich Samis Stand erkannt. «Gäb wie leicht ich was forderte, könnte es dir zu viel sein. Und dann ist's nicht, dass ich nichts umsonst zu geben vermag. Ich habe schon manchem aufgewartet; erst sagte er mir wüst und nach einem Halbdutzend Jahren dankte er mir dafür. Es könnte dir auch so gehen, und geht es dir nicht so, so ist's mir leid für dich, und unterdessen nehme ich kein Blatt vors Maul und rede meinem Verstand nach. Daneben ist eure Sache siebenundvierzig Batzen.»
So lief Michels erste Gschaui ab. Anni erschrak darüber sehr; indessen tröstete es sich damit, dass alles in der Welt gelernt werden müsse und Meitleni genug seien, welche man ansehen könne. «Wenn nur das Verbrüllen nicht wäre!» sagte es. Solche Sachen kämen, es wisse kein Mensch, wie weit, besonders da die Wirtin das Maul darein gehängt und andere Gäste mehr in der Stube werden gewesen seien. Richtig, noch in derselben Woche kam das Schwammfraueli daher, tat spröde und sagte: «Nein doch, was du mir für eine Sache angerichtet und für einen Verdruss gemacht hast, ich kann's gar nicht sagen! Ich wusste nicht, ob ich wieder zum Hause kommen wolle oder nicht; so ist es mir doch mein Lebtag nie gegangen, nein, wäger nicht! Aber so geht es einem, wenn man ein gutes Herz hat und den Leuten begehrt zwegzhelfe.» Nun erzählte es, wie es voll Freude auf den Hühnersädel gegangen, in Hoffnung auf eine gute Aufwart und schönes Trinkgeld; denn eher hätte es an den Tod gedacht, als daran, dass dies fehlen könnte. Aber wohl, da sei sie anders brichtet worden, dass sie dem lieben Gott danken konnte, als sie mit dem Leben davonkam. Die Mädchen seien auf sie eingestürzt, als ob sie sie zerreissen wollten, und längs Stückes hätte sie aus dem Geschrei nichts machen können. Endlich habe sie vernommen, wie ihretwegen die Mädchen eine Schande hätten ausstehen müssen, wie sie noch nie erhört worden. Den Hund hätte man gehalten, als sei er ein Meitschi, und sie, als wären sie Hunde. Aber sie hätten das gleich gemerkt, dass etwas gehen sollte: der dicke grosse Löhl hätte sie zwei Stunden warten lassen, ehe er in die Stube gekommen, um ihnen seine Verachtung zu zeigen, dass sie schmöcken möchten, was er auf ihnen hielte. Aber sie hätten feinere Nasen, als das Kalb glaube; er hätte es nicht halb so anzuwenden gebraucht, sie hätten die Nase voll genug gehabt, aber sie wüssten wohl, woher das käme; er hätte ein altes Kindermeitli bei sich, der sei es grusam zuwider, wenn er heirate. Es werde denken, das Stehle höre dann auf; es könne die Gans nicht mehr rupfen und den Kindern Vermögen sammeln, wenn eine Frau zur Sache sehe. Wenn sie noch einmal zu Michel kämen, dem wollten sie die Glare (Augen) auftun, dass er sich verwundere.
Nun war's an Anni, aufzubegehren, zu schreien und wirklich zu heulen; denn Untreue hatte ihm noch niemand vorgeworfen, und den Vorwurf verdiente auch wirklich niemand weniger als es. Wenig fehlte, es hätte sich alsbald nach dem Hühnersädel aufgemacht, um den Verleumderinnen in die Haare zu fahren, wobei es aber übel weggekommen wäre. Das Schwammfraueli begütigte Anni, sagte, wie es das Gegenteil gesagt, aber wie Michel und Sami es auch darnach getrieben, dass doch kein ehrbar Meitschi, von rechten Leuten her, das hätte annehmen können. Unser Lebtag sei es doch der Brauch, dass, wenn man Meitschi bestelle, man zu ihnen gehe, sie nicht einen ganzen halben Tag warten und im Trocknen sitzen lasse. Jedes rechte Meitschi müsse daraus ersehen, dass man das Gespött mit ihm treibe; und selb hätte keines gerne, man könne es ihm auch nicht zumuten. Nach und nach begriff Anni, dass der Fehler auch auf Seite der Burschen sei; aber mit solchen, welche gesagt, es stehle, wollte es auf keine Weise mehr zu tun haben; das sei allweg schlechtes Zeug, sagte Anni, sie dächten sonst nicht einmal solche Sachen, geschweige dass sie davon redeten. Auch meinte das Fraueli, sie hätten den Kopf gemacht, es möchte es nicht wagen, ihnen eine Bestellung zu bringen, es hülfe an einem andern Orte probieren.
Das war eben auch Annis Meinung, und es pressierte um so mehr mit ihrer Ausführung, seit es gehört, was die Mädchen gesagt. Die Lausmeitscheni müssten doch noch erfahren, zu ihrer eigenen Schande, was sie für Verleumderinnen und Ehrabschneiderinnen seien. Salomo sage, ein Dieb sei ein schändlich Ding, aber ein Verleumder sei noch viel schändlicher. Das Fraueli entschuldigte seine Hühnersadlerinnen bestmöglichst, war aber vollkommen bereit, Hand zu bieten zu was Neuem. Annis Zutrauen zu ihr hatte einen sehr merklichen Stoss bekommen. Die Frau hatte zum erstenmal nicht die gleiche Meinung wie es und verteidigte Leute, welche es für die schlechtesten hielt, die auf dem Erdboden herumliefen. Man muss nämlich nicht glauben, nur Könige und Aristokraten könnten Widerspruch nicht ertragen und namentlich nicht dulden, dass man über den Wert von Personen ein ander Urteil habe, rühme, wen sie hassen, und umgekehrt. Durchaus im gleichen Spital krank sind Demokraten, alte Weiber und rote Republikaner; denn dieser Fehler ist weder ein königlicher noch ein aristokratischer, sondern er liegt in unserer sündigen Natur, und, je sündlicher dieselbe ist, desto absoluter und leidenschaftlicher gestaltet sich dieser Fehler und tritt in die Welt hinaus. Und sehr merkwürdig ist, wie, je roher die Menschen werden, je ungebildeter und beschränkter, die verschiedene Wertung der Menschen weit empfindlicher, giftiger empfunden und gerügt wird als Verschiedenheit in Meinungen und Ansichten. Darin liegt kein Kompliment für unsere Zeit im allgemeinen und den Kanton Bern insbesondere und kein Zeugnis von humaner, umsichtiger Bildung und für den so gerühmten entschiedenen Fortschritt. Da ist ja das Unding so weit getrieben, dass die Masse der Feiglinge kaum mit jemanden zu reden wagt, mit ihm nicht hundert Schritte zu gehen wagt, den die Mächtigen, das heisst, welche Pöstlein auszuteilen, Gnaden zu spenden haben, geächtet, geschweige dass man ihn in Schutz zu nehmen, gegen die ausgesprochene Acht zu verteidigen wagte. So miserabel ist der Zeitgeist. Warum sollte man es also dem armen Anni verargen, wenn es Verdacht fasste gegen das Schwammfraueli, weil es die Hühnersädeltöchter verteidigte?
Doch brach Anni nicht ganz, sondern hörte auf neue Vorschläge und fand sich namentlich durch einen angesprochen. Im Sternengaden sei ein Mädchen, gerade wie gemacht für hieher; es nehme das Fraueli wunder, dass ihm dies nicht gleich in Sinn gekommen, das werde sich in alles schicken und gerade sein, wie man es haben wolle. Dasselbe habe eine handliche Stiefmutter und einen Trupp Stiefgeschwister, ziemlich viel Muttergut und sollte doch nirgends sein, das Wüstest machen, und wenn es gemacht, sei es doch nicht recht; es werde plaget, es sei ein Graus. Es hätte ihm schon machmal geklagt, es hätte müssen mit ihm pläre, so hätt's es duret. Oeppe d's Feissist sei es nicht, aber d's Meitschi hätte es bös, man glaube es nicht. Wenn es an bessere Kost käme und vom Verdruss weg, so lasse es sich zweg und werde von den Brävsten eine. Arbeiten könne und tue es gerne; aber es meine, wenn es mache, was ihm möglich sei, sollte man dann mit ihm auch zufrieden sein.
Das gefiel Anni; so eine sei sicher am besten zu halten und tue viel besser, als wenn sie es vorher zu gut gehabt. Das sei, nicht zusammengezählt und eure Ehre vorbehalten, ganz wie mit dem Vieh. Es heisse nicht umsonst, mit Küherschweinen, Müllerrossen und Wirtstöchtern müsse man sehen, wie man es mache. Es hülfe da probieren, wenn Michel wolle. – Michel sagte, es sei ihm recht, nur damit das Gestürm bald aufhöre. Zuwider sei es ihm, der Sache so nachzulaufen und d'r Löhl z'machen, aber es werde sein müssen. So mir nichts, dir nichts zum Hause zu gehen, wo man dann schon halbers gefangen sei, d'Sach mög einem gefallen oder nicht, selb möchte er doch auch nicht.
Die Botschaft ward ausgerichtet, und das Fraueli brachte die Nachricht, den und den Sonntag werde das Meitschi ins Lausbad kommen, wenn es entrinnen könne. Nicht weit dort weg wohne ihm die Gotte, die wolle es z'Wort haben, damit man ihns gehen lasse. Aber das hätte Mühe gekostet, bis es ein vertraut Wort mit dem Meitschi hätte reden können. Da hätte die Alte aufgepasst wie eine Katze vor dem Mauseloch, und, wo sie nicht selbst hätte sein können, da hätte sie eins von ihren kleinen Unfläten hingestellt. Es sei sich nicht zu verwundern, wenn sie ihm vor dem Heiraten zu sein suchten; es sei ihnen wegem Muttergut, und es gehe ihnen nebenbei für eine Magd, und dazu hielten sie es so schlechtlich in den Kleidern, dass sie es vor Gott und Menschen nicht verantworten könnten. Denen sei es jedoch schlau genug gewesen, habe dem Meitschi es können zu verstehen geben, dass es ihm im Wäldchen warte. Darauf habe sie Abschied genommen, sei einen ganz andern Weg fortgegangen und zuletzt doch mit ihm zusammengekommen, wo sie die Sache hätten abreden können. Da hätte ihm das Meitschi Sachen erzählt, es hätte ihm bald die Haare bolzgerad aufgestellt.
Das Sternengaden zog sich gegen Thun hinauf, gehörte ebenfalls weder zum Oberland noch zum Unterland, war auch nicht um Bern herum, war also auch in dieser Beziehung Anni ganz anständig. Das Lusbädli lag in gleicher Richtung ungefähr drei Stunden weit vom Knubel. Anni war viel daran gelegen, dass die Sache sich mache. Es gab seinen beiden Jünglingen strenge Instruktionen. «Machit d'Sach nit z'guet, öppe luege, wie es es Gmüet het, selb ist recht, aber d'Sach übertrybe treit o nüt ab; mi cha's zwänge, dass die Freinste brüele, wie wenn me se am Messer hätt. Und das Kegeln lasst mir sein; das ist denn gerade für gleich anfangs den Kübel auszuleeren. Es wäre mir zuwider, wenn's wieder nüt war; man würde verbrüelet, so weit der Himmel blau ist.»
«Brüelen sie doch», sagte Michel; «was frage ich dem nach! Habe schon manchen z'brüelen gmacht; mir tat's nicht weh, aber ihm wohl. Sagen doch die Leute, was sie wollen, ich bin deswegen doch Michel auf dem Knubel und bleibe ihn einstweilen noch; mit Brüelen bringen mich die Leute noch lange nicht runter.»
Am genannten Sonntag, nachdem Anni auf die Toilette von Michel unsägliche Mühe gewandt, liefen also die beiden Jünglinge ab und Bäri frohlockend mit. Diesmal war es nicht so heiss, und sie hatten sich früh auf den Weg gemacht, schlenderten in behaglichem Schritt ihres Weges dahin. Auf dem Wege trug jemand Michel eine Kuh an, ein Ausbund von Schönheit und Güte, und nur eine Viertelstunde abseits stehe sie. Michel ward hitzig, lief der Kuh zu; aber die Viertelstunde ward eine gute halbe Stunde lang, der Bauer nicht gleich daheim. Die Kuh gefiel ihm sehr, er wartete, er märtete, er kaufte; das gab eine Säumnis von gut zwei Stunden. So war es nicht sehr früh, als Michel ins Lusbädli kam, Käthi, das Meitschi, schon lange da und mit ihm die fragliche Gotte. Käthi war ein langes, mageres Käthi mit gelber Haut und dunklen Augen, die Base eine kleine handliche Frau, welcher die Worte vom Maul gingen wie das Wasser vom Brunnen. Sie sass mit Käthi vor dem Hause und redete Michel und Sami, welche wieder rauchend dahergerudert kamen, an, ob sie etwa vom Knubel kämen? Sami antwortete und redete etwas von Verirren. «Das ist schon mehr begegnet, wenn man den Weg noch nie gegangen», antwortete die Gotte. «Wir wussten nicht, was das bedeuten solle, dass wir so warten mussten, ob d'Sach nit gut sei verrichtet worden oder es sonst etwas gegeben, jemand dem Meitschi z'Böst gredt, oder sust was Tüfels. Wir wollen, denk, hinein; die Wirtin hat wohl ein Stübli, wo wir ruhig sein können.» Und als sie in einem sassen und die Wirtin fragte: «Womit kann ich aufwarten, was soll ich bringen?» sagte die Base zu Michel: «Befiehl du, du wirst wohl auch zahlen wollen, dem an kann man gleich sehen, wie du einer bist, e Hundshäärige oder öppe e Mönsch, wo es andern auch gönnt und nicht meint, er wolle alles alleine.»
Die Frau war Michel eine grosse Erleichterung; sie machte zu allem vorab den Verstand, ersparte ihm das Denken und manche Verlegenheit. Während man auf das Essen bei einem Glase Wein wartete, sagte die Gotte: «Nun, da wären wir, und jetzt wird es um d'Sach z'tue sy; ehe man es richtig macht, muss man doch ein Wort reden. Luegit, das ist d's Meitli; schon hundertmal hätte es heiraten können, wenn es ihm angst darum gewesen wäre, von wegen es hat Verfallnigs, und, was es noch bekommt, wenn es gut tut, das ist noch viel mehr; vom Vater ein Schönes, dann bin ich auch noch da und hocke nicht auf dem Blutte. Und wenn es etwa einen Burschen heiratet, der mir recht ist, zugehe ich zu ihnen, und meine Sachen könnten sie schon bei Lebzeiten nutzen. Dann ist dies ein Meitschi, wie es sie nicht häufig gibt im Land. Es kann alles, und ist ihm nichts zu wüst; ans Böshaben ist es gewöhnt, d's Guthaben wird ihm desto werter sein. Wege d'r Hübschi ist öppe nit viel zsäge, d'rnebe ist es toll gwachse. Aber wart nur, wenn das einmal an gute Speise kommt und zur Ruhe, wie es sich gehört, so gibt das von den bravsten Bäuerinnen eine im ganzen Emmental. Was hat man so von einem angestrichenen Ditti, wo von der Hochzeit weg alle Tage abschiesst und wüstet, bis man es ins Grab legt? Da ist's doch vernünftiger, man nehme eine, wenn auch nicht die Schönste, von der man denken kann, aus der gebe es noch was und zletzt noch e Hungs e Schöni, wo zum Speck kommt und, wenn sie unter einer Türe steht, nicht die ganze Haushaltung neben ihr Platz hat. Nein, sieh, wenn du das Meitschi kriegst, gibst du ein Bauer, bsunderbar wenn ich mitkomme, und mein' nit etwa, d'r Gotteswille. Ich bin auch schon dabeigewesen und weiss, was zu machen ist auf so einem Höflein; zähl drauf, hundert Kronen will ich dir nützen, du merkst es nicht. Nit, das Meitschi ist abgrichtet wie nicht bald eins, aber d'Sach lernt sich doch nicht eines Tages.»
So sang die Alte ein Loblied über das andere und hatte Zeit dazu, indem man im Lausbädli, eben nicht eingerichtet auf solche Gäste, nicht mit besonderer Schnelligkeit bedient ward und diesmal aus Grundsatz, damit die Leute die Sache richtig machen könnten, vielleicht noch einmal so lange drehte als bei ordinärer Gastig. Käthi kam nicht viel zu Worten; doch sagte es, es sei dann nicht, dass es heiraten müsse und einen jeden nehmen wolle, wenn es es nicht besser machen könne. Aus dem Regen wolle es nicht unter das Dachtrauf. Es sei ihm geraten worden, sein Muttergut herauszubegehren; der Vater sei es schuldig, mit dem könnte es sein, wo es wollte. Aber es möchte den Vater nicht ertäuben, der sei ohnehin ein geschlagener Mann und wisse längs Stücks nicht, wie sich kehren. Nit, dass er nicht bei schönem Vermögen sei, aber die Stiefmutter habe den Bösen im Leib, treibe ihn immer zum Landkaufen an und wisse nicht, was sparen sei. Sie sei imstande, siebenmal im Tag Kaffee zu machen, aus Eier und Butter löse sie keinen Kreuzer, mit den Schweinen mache sie auch nichts; wenn es dieselben füttern dürfte, fünfzig Kronen im Jahr sollten ihm nicht fehlen. Aber es habe nichts zu befehlen und sollte doch alles machen. Bis dahin habe es eine Flachsere haben dürfen und immer Flachs gehabt, die Leute seien stillgestanden dabei. Wenn sie dann der Stiefmutter ihren gesehen, hätten sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt: «Ist das doch möglich auf dem gleichen Herd!» Aber es wisse die guten Zeichen und spare die Mühe nicht; es wisse noch manches, und wenn es an einen Ort käme, wo es was zu befehlen hätte, es wollte zeigen, dass es die Augen mitten im Kopfe habe und nicht erst heute erwachet sei.
Michel sagte nicht viel; er dachte der Kuh nach, welche er gekauft, und was der Melker sagen werde, wenn man ihm so ungsinnet eine in den Stall bringe, und zwischen welche hinein er sie binden werde. Selbst in den Ställen und bei den Kühen ist eine Rangordnung: die schönsten kommen vornen in den Stall, die wüstesten und leichtesten hinten. Bei den Menschen ist's oft verkehrt: man stellt das Gesindel voran und verwundert sich hintendrein, wenn man das ganze Volk, welches das Gesindel vorangestellt, für Gesindel hält, nach dem natürlichen Grundsatz, dass der Mensch naturgemäss lieber die bessere Seite zeigt als die schlechtere.
Sami führte von der männlichen Seite das Gespräch und rühmte den Knubel, was da für Land sei, und was man für Sachen mache; und wenn der Mist nicht wäre und das Jäten nicht, so könnte man Flachs pflanzen für Frankreich und England. Wenn da eine rechte Bäuerin sei, so hätte sie mehr zu bedeuten als ein Landvogt. Ihm wäre es ein Ausgemachtes, ob er Knubelbauer sein wolle für sein Lebtag oder Landvogt für ein paar Jahre, wo er die ersten Jahre den Narr machen müsse und, wenn er wieder wäre wie ein anderer Mensch und etwas an der Sache begriffen hätte, davonmüsste.
Die Zeit rutschte ziemlich rasch, da sie mit ziemlichem Weine gesalbet ward; wie lange die Lusbädliwirtin kochte, merkte man kaum, so kurze Zeit hatten alle. Endlich schien es zu rücken. Ein Tischtuch wurde ausgebreitet; nach einer Viertelstunde kamen Messer und Gabeln, endlich auch Teller, und jetzt werde das Essen nachrücken mit Macht, hofften alle. Da kam aber bloss die Wirtin und sagte mit eingesetzten Armen, sie habe fragen wollen, ob sie Grünes liebten auf der Suppe. Von wegen die einen liebten es, und die andern liebten es nicht, und da sei es besser, man frage erst, ehe man Mühe habe und es doch nicht recht mache. Michel war hungrig, und rascher als sonst sagte er, sie solle nur drein machen, was gut sei, und d'Sach bringe, es blange ihn. Auf der Stelle, sagte die Wirtin; sie müsse aber doch noch sagen, wie es ihr einmal gegangen sei mit dem Grünen. Nun fing sie eine lange Geschichte an von einem Herrn und einer Suppe, wo sie das Grüne alles beim Stäubeli habe wieder herausfischen müssen und er sie dann doch nicht gegessen, weil sie die böse Kust davon schon habe. Seither frage sie allemal zuerst, von wegen mit dem Fischen möge sie nichts zu tun haben. Wahrscheinlich erzählte sie auch allemal die Geschichte dazu.
Erst als sie auserzählt und die gehörige Portion dazu gelacht hatte, ging sie ins Grüne dem Grünen nach, und behaglich musste es ihr sein in demselben, denn lange ging's, ehe sie aus demselben wiederkehrte und die Suppe brachte, mit Grünem wohl versehen. Nach der Suppe kam Voressen: Hirn an einer gelben Saffransauce und saure Leber. Michel hielt dem Bari die saure Leber dar. Dieser verzog missfällig die Nase und drehte verächtlich den Kopf. «Magst nicht?» sagte Michel; «he nun, so nimmt's jemand anders», und streckte der Gotte die Leber dar, nahm aus der Schüssel mit Hirn ein schön Stück, hielt's an der Gabel dem Bäri dar, welcher es mit Behagen in würdiger Gelassenheit versorgte. «Wirst meinen», sagte die Base, «was der Hund nicht möge, sei gut für uns? Du wirst auch noch anders müssen dressiert werden, zähl darauf! Im Welschland wirst nicht gewesen sein, wirst nicht dreinwollen; mangelst es auch nicht, man kann es dir hier auch sagen, was üblich und bräuchlich ist.»
Es gebe an jedem Orte andere Bräuche, habe er gehört, sagte Sami; und es frage sich, wer den andern z'brichten hätte, der, welcher frisch an einen Ort käme, oder der, welcher dort sesshaft sei. Von wegen ein Brauch sei wie der andere; es frage sich nur, welcher dort der Brauch sei; der sei der beste.
«Du bist ein Sturm», sagte die Gotte, «du wirst auch noch anders müssen brichtet sein, sehe ich. Es ist kurios, es dünkt mich immer, wenn ich von daheim wegkomme, sei die Welt ganz anders und die Leute so grob und unmanierlich, dass es gar keine Art habe. Erst dem Hund darzuhalten und dann mir zu geben, dass het ekei Gattig. Wart aber nur, du wirst wohl noch z'brichten sein!»
«Weiss nicht», sagte Michel, «bin wohl alte, und ich vermag zu machen, was mir gfällt.»
«Kannst dann sehn», sagte die Gotte; «es hat mancher den Löhl gemacht, aber wohl, die Frau hat ihn anders brichtet, und hintendrein war er sich froh dessen. Lue, Käthi weiss, was ins Mäss mag und öppe recht und bräuchlich ist; dem musst folgen, und wenn ich dann zu euch komme, will ich auch helfen, was mir möglich ist. Du musst dich lassen brichten; du weisst noch nicht, zu was für einer schönen Sache du kommst; du tust es nicht umsonst, zähl darauf! Nit, Donner, nit!» schrie sie plötzlich auf; «da, das Kraut gib ihm, Kabis kann der Uflat fressen, aber nit die schönsten Bissen Fleisch vorab, das hat doch uf my Seel kei Gattig!» Es war nämlich Rindfleisch gekommen, und Michel hatte Bäri mit dem schönsten Stück bedient. «Wenn d'r Hund muss g'fresse ha, so gib ihm Kraut, das ist für die Uflät gut genug.»
«Nimmt nit, luegit!» sagte Michel, hielt Bäri das Kraut unter die Nase. Missfällig verzog Bäri die Nase, drehte verächtlich den Kopf, damit ihm auch nichts von dem fatalen Geruch zu nahe komme.
«Der lernt gewiss noch Kraut fressen, ehe ihn der Schinder nimmt», sagte die Gotte zornig, «oder, Käthi, was meinst?»
Käthi, welches unterdessen mit Appetit gegessen hatte, was übrig blieb, sogar Kraut, sagte: «Däweg wär's nit bös, Hung z'sy; es wird aber vielleicht auch noch anders zu machen sein. Man kann luegen, es wird nirgends geschrieben stehn, dass immer alles im gleichen bleibe. So ist's besser Hung sy als Stieftochter.» Nun kam auch Käthi flüssiger ins Reden, und bitter und ungut quoll es über seine Lippen, als wäre einem Tintenfass der Zapfen ausgegangen.
Sami blickte Michel immer an; der merkte aber wenig. Er dachte an die gekaufte Kuh, und in Erwartung weiterer Gerichte schmauchte er sein Pfeifchen, sah auf den schönen Pfeifenkopf und trachtete zu erforschen, ob dieser Tabak, von welchem das Viertelpfund vier Kreuzer kostete, wirklich um einen Kreuzer besser sei als sein früherer, von welchem die gleiche Portion nur drei Kreuzer gekostet. Das war ein schwer Kalkulieren für einen Michel.
Dazwischen kam die Wirtin und erbat sich neue Instruktionen, was gar nicht modern ist, von wegen, in vornehmen Wirtshäusern wird ohne Instruktionen, ganz nach den Köpfen der Köche gekocht. Sie kam und fragte, wie sie den Braten gerne hätten, ob ganz lind, oder aber dass man dran zu beissen hätte. Die Leute seien gar wunderlich, darum frage sie lieber. Dann komme es noch darauf an, wie man zweg sei; die einen hätten Zähne einem Hund z'Trotz, die andern nur so Storzen wie verbrannte oder verkohlte Zaunstecken.
«He, da kannst du befehlen», sagte die Gotte zu Michel. «Es kommt darauf an, für wen du es willst, ob für die Leute oder für deinen Uflat da.»
«Ho», sagte Sami zur Wirtin, «ich wollte es so eben recht machen, dass es allen dient und es alle mögen. Hund oder nicht Hund.»
Nun, sagte die Wirtin, so könne sie es bald bringen; sie frage gerne zu rechter Zeit. Es wäre schade, wenn sie mit dem Braten fehlte, es sei ein verflümert schön Stück von einem raren Kalb, öppis ganz Scharmants. Es sei ein Kalb vom Oberherrn, der hätte immer die schönsten Kälber und die bleichsten, magersten Töchter dazu. Es sei schade, dass er den Kälbern nicht früher abbreche und die Milch an die Töchter wende; die hätten es grausam nötig, und sie glaube, es schlüge an bei ihnen. Es sei schade, dass die nicht ein Küher zu Töchtern hätte, es gäbte von den tollsten Wybervölkern, welche man Land auf, Land ab zu sehen bekäme. Jetzt hätten sie eine Farbe wie abgestandene Sauerrüben und Posturen wie Storchenbeiner. Sie sollten nicht Langeweile haben, sie komme gleich mit dem Braten; sie wolle nur noch in den Garten, Salat abzuhauen. Wenn der geputzt, gewaschen und angemacht sei, so komme sie.
Sie hülf doch pressiere, sagte die Base; und wenn sie Fleisch habe und es ihr nicht jemand anders vorwegfresse, frage sie dem Kraut, sage man ihm Geköch oder Salat, d's Tüfels viel nicht nach.
Unterdessen unterhielt sich Käthi ferner mit seinen Heldentaten in Feld und Haus, und wie es ihm einmal gehen müsse, wenn es es einrichten könne nach seinem Kopf. Trotz diesen Mitteilungen von Käthis Plänen gestaltete sich ihr Beisammensein immer mehr zu einer sehr langwierigen Fröhlichkeit. Die Wirtin musste ihren Salat sehr sauber putzen, denn es verging eine halbe Ewigkeit, ehe sie wieder erschien und den oberherrlichen Braten brachte. Es war wirklich ein schönes Stück; Bäri bekam ein ganz saftiges Maul, legte gravitätisch eine Tatze auf Michels Schenkel und warf süsse, glänzende Liebesblicke über den Tisch. Er liebte Kalbfleisch sehr, besonders gebraten. Michel hatte es ungefähr ebenso, nahm seine Pfeife aus dem Maul, wollte sie anderwärts versorgen und Platz im Maul für was anderes machen.
Die Gotte war akkurat von den gleichen süssen Gefühlen durchdrungen. Während Michel seine Pfeife ausklopfte, zog sie die Schüssel an sich und sagte: «Von dem will ich auch, und da wird es gut sein, wenn ich was bekommen will, wenn ich selbst zugreife und nicht warte, bis die andern gehabt; da könnte ich wieder vorlieb nehmen mit dem, was der Hund nicht mag.» So sprach sie und schnitt mit tapferer Hand ein kühnes Stück sich ab, schob den Rest Käthi zu und sagte: «Nimm, was magst! Diesmal können sie haben, was überbleibt; von wegen es geht kehrum in der Welt.» Michel machte stotzige Augen über diesen unerwarteten Handstreich. Bäri hob sich höher, und aus seinem geöffneten Maule grollte es wie ferner Donner.
He ja, sagte Sami, schüch sy, sei eine schöne Sache, trage aber oft nicht viel ab; sie werde es haben, wie es im Sprichwort heisse: «Wer uverschamt ist, lebt dest bas.»
Ho, sagte die Gotte, sie könne beidweg sein; sie richte sich immer, nachdem es der Gebrauch sei. Hier habe sie es so gefunden: wer z'erst ist, nimmt d's Best; darein hätte sie sich nun auch geschickt. «Das Weibervolk ist überhaupt nicht auf der Welt, um sich vom Männervolk zum besten haben und kujonieren zu lassen, und wenn dasselbe es einmal probiert, treibt man es ihm zehnmal ein!» sprach sie mit einem Heldenangesicht. «Dem muss man den Marsch machen und ihm gleich zeigen, wie man es haben will.»
«He ja», sagte Sami, «das ist kommod, weiss man so doch gleich, woran man ist, und kann sich darnach richten.»
Die Wirtin hatte dem Spiel mit Erstaunen zugesehen; sie wusste nicht, was sie daraus machen solle, und ging stillschweigend ab. Draussen sagte sie zu ihren Mägden, drinnen gehe es kurlig, sie könne sich nicht darauf verstehen. Das werde d'r neu Bruch sy, dass man einander die Schüsseln aus den Händen reisse und vor dem Mund wegfresse, was man könne und möge. Wo sie ein Meitschi gewesen, da sei es doch noch nicht so gegangen, sondern manierlich. Da hätte man gewartet, bis die Buben einem das Fleisch mit Gewalt auf den Teller getan, und dann habe man es noch nicht angerührt, sondern zugewartet, bis die Buben es einem fast mit Gewalt in den Hals gestossen. Damals sei es doch noch zugegangen, dass man dabei hätte sein dürfen; jetzt gehe es, es grus eim drob. Es nehme sie wunder, wie es jetzt mit der Datere gehe; da werde wohl schon eins bei der Türe warten und sie ganz schlucken, nur damit die andern nichts kriegten. Die Wirtin täuschte sich; das Wetter hatte mit jenem Handstreich sich entladen. Die Datere blieb ganz ruhig stehen, bis Michel sie der Gotte zuschob und sagte: «Nehmt, ich will dann auch, wenn was übrigbleibt.»
«Das kommt mir nicht drauf an; es ist allweg gescheiter, selbst nehmen als nichts kriegen», sagte die Gotte.
Unterdessen war es spät geworden und Sami unruhig. Die Sonne war niedergegangen; im Lusbädli ward sie selben Tags nicht mehr gesehen, und sämtliche Lusbädler sagten: «Die Sonne scheint nicht mehr», während die Sonne strahlte in immer gleicher Herrlichkeit, aber anderwärts. Alles, was die Lusbädler nicht sahen, nahmen sie einfach als nicht existierend an. Es ist die einfachste Manier, über die sämtlichen Existenzen ins reine zu kommen, wird wirklich auch immer gebräuchlicher, besonders bei den Gelehrten und Gebildeten von der Sorte, wie sie in den Sümpfen, Gräben und Krachen um Rütschelen und ums grosse Moos wachsen. Die guten Burschen merken aber nicht, wie sie mit diesem System in die Quere kommen bei den Ansprüchen auf ihre werten Personen. Sie können nach demselben niemandem zumuten, an die Existenzen von Religion, Humanität, Bildung und Verstand bei ihnen zu glauben, so lange dieselben weder in ihren Worten noch in ihren Werken sichtbar werden.
Also die Lusbädler sahen die Sonne nicht mehr, und Sami dachte, wenn er nur daheim im Bette läge, kehrte sich immer gegen die Fenster und sagte einmal über das andere: «Es finstert, vielleicht donnert es noch.»
«Es scheint mir», sagte die Gotte, «du habest das Courage weit unten; wirst vielleicht nicht das sauberste Gewissen haben? Daneben ist's mir recht, aber mehr als eine halbe Stunde ist nicht zu meinem Hause, und so wäre das Pressieren nicht so nötig.»
Das sei gut für sie, sagte Sami; sie aber hätten mehr als drei Stunden bis heim, und der Mond scheine nicht.
«Du kannst auch mitkommen», sagte die Base, «und morgen mit dem Meister heim; bsunderbar wenn du dich fürchtest, soll dir das anständig sein.»
Allweg gehe er mit dem Meister, sagte Sami; wo der hingehe, dahin gehe auch er.
«He nun», sagte die Gotte, «so kann man. Schaff ab, so wei m'r!» Ganz ungeniert nahm die Gotte an, Michel mache den Säckelmeister; sonst ist's noch jetzt Sitte, dass man sich wenigstens stellt, als wolle man helfen am Zahlen, nicht so unverschämt schmarotzen. Die Base verstellte sich nicht; weil sie Hoffnungen zum Erben erwecken konnte, nahm sie getrost an, es sei allen alles recht, wie sie es mache. Haben's noch viele so. Es war viel gemacht von ihr, dass sie Michel nicht den Antrag machte, er solle noch einige Mass zahlen und mitnehmen, damit sie auch daheim noch ein Vergnügen hätten. Michel zahlte; sie protzten auf, die Wirtin leuchtete bis unter die Türe, wünschte viel Vergnügen und gute Verrichtung.
«Adie wohl und zürnet nüt!» sagte Michel einige Dutzend Schritte vom Hause bei einem Scheideweg, blieb stehen und stopfte an seiner Pfeife.
«Was soll das», sagte die Gotte, «willst nicht mit?»
«Hab's nicht im Sinn», sagte Michel; «es düecht mich, ich möchte heim. Habe auf dem Wege eine Kuh gekauft, die kommt mir morgen früh; da sollte ich daheim sein.»
«Das wäre mir eine saubere Sache; wirst doch nicht zur Kuh das Kalb sein! Für was hast du uns hieherkommen lassen, wirst doch was im Sinn gehabt haben?»
«Allweg!» sagte Michel.
«He nun sodann», sagte die Gotte, «so komm, so kann man noch darüber reden und d'Sach z'Bode machen, dass man weiss, woran man ist, und sie abtreiben kann.»
Sie habe es gehört, sagte Michel, er müsse ohne anders heim. Gut Ding wolle Weile haben; manchmal komme einem was Neues in Sinn, und manchmal gehe was Altes draus.
«Du wirst mit Schein nichts davon wollen», sagte Käthi, «hast uns für nichts und wieder nichts hierhergesprengt. Bist du auch einer von denen, welche nichts anderes begehren, als Meitscheni zum Narren zu halten und ins Unglück zu sprengen?»
Er wollte niemanden sprengen, sagte Michel; aber er blange heim, und man komme ja deretwegen zusammen, um zu sehen, was man wolle, und ob es einem anständig sei oder nicht.
«Und ich bin dir dann nicht anständig?» fragte Käthi. «Leibshalb bin ich so brav als eine; blutt komm dir auch nicht, und wegen Arbeiten und d'Sach machen fürchte ich keine das Land auf und ab. Und mein' nicht, du könntest auslesen, und an dir sei nichts zu scheuen! Du bist ein Reicher, ja freilich; aber eine jede nimmt dich doch nicht. Es muss eine wissen, was Geduldhaben ist, von wegen bis du geleckt bist, dass du bist wie ein anderer Mensch, selb brucht Zyt u git mängi bösi Kust. Ich weiss, was Geduld ist, und an Guthaben bin ich nicht gewöhnt; es wär nur, dass ich daheim wegkäme; ich könnte mich in alles schicken, bis es geändert ist. Drum stürm nit, du wirst dich nicht reuig; ich will tun an dir, was ich kann, und mich stellen wie keine.»
«Halt doch dem Maulaff nicht so an», sagte die Gotte, «lah du ne gheie! Wenn er nit will, so het er gha; settig Möff findst in zwanzig Jahren noch. Seh, tue nit dumm und chum; will er, so chan er; will er nit, nu so de, so lay er's hocke!»
«He nu so de, so bhüt ech Gott und lebit wohl!» sagte Michel, den Sami immer am Rock gezupft, der sonst wahrscheinlich durch die guten Worte von Käthi weich geworden und hinter ihm hergezottelt wäre.
«Es wird d'r nit Ernst sy», sagte Käthi, «sövli wyt u mi vergebe z'sprenge. Komm allweg mit uns, kannst ja immer noch machen, was d'wottsch!»
«I möcht emene sellige Fülli aha, jawolle! «Will er, so chan er ja cho; will er nit, so lauf er! Chumm jetzt, u bis m'r nit d's Herrgotts, sust dräye-n i d'r d'r Hals um. Wo-n i jung gsy bi, ha-n i allemal g'juchzet, we-n i amene sellige Moloch d'r Rücke g'seh ha. So bhüt ech d'r lieb Gott, d'r heit's nötig; dernebe z'danke hei m'r nit viel, d'r Hung het meh Ursach. U jetzt, Meitschi, chumm, wottsch oder wottsch nit? Es düecht mi, es sott d'r im Hals bis zum Zäpfli cho, we d'r vo dene Mondskälbere noh eis vor d'Auge chunnt. Mira, wenn d'nit witt, so blyb; i gah, aber de chumm m'r nimme zum Hus!» So begehrte die Base auf.
Nun wandte sich Käthi und ging der Base nach, nachdem es noch einige Worte verblümt Michel zugeworfen, welche derselbe aber vertubakte und nicht einmal recht verstand. Hinter der Base her weinte Käthi bitterlich. Sobald sie es merkte, schalt die Gotte gröblich, was aber Käthi wenig achtete. Wem die Hoffnung, aus einer Stieftochter Knubelbäuerin zu werden, in Trümmer gegangen, wird Käthi vollständig begreifen. Wer aber nie in diesem Falle war, versuche, sich an Käthis Platz zu setzen! Dieses sich an Platz eines andern Setzen ist eine Haupteigenschaft eines Christen, welche aber selten gefunden wird, denn sie ist nur eine Blume der unverfälschten Liebe. Ach, so ein arm Kind und noch dazu ein ungebildetes, das heisst ungefähr von der Bildung eines Ratsherrn, der auf das Diesseits alles setzt, bloss von klingenden Schätzen einen Begriff hat und ungefähr auch einen Begriff von den Farben, das heisst bloss von den politischen, wie muss es ihns klemmen im Herzen, wenn es wieder ins Joch muss und hatte seine Flügel schon ausgespannt und seine Füsse gesetzt an des Thrones Stufen, an sein höchstes Glück, an das Regiment über einen reichen Bauer und dessen grossen Hof! Und dafür hatte es keinen Trost, weder in sich noch ausser sich, als die Hoffnung auf irgend einen andern reichen Bauer. Aber, du mein Gott, wie unsicher sind solche Hoffnungen! Mit den reichen Bauern ist's wie mit den Hasen und anderm Gewild: sie werden immer rarer. Die, wo noch übrig seien, dachte Käthi, seien Kolder, hätten weder Verstand noch Manieren; mit ihnen sei nichts zu machen. Ach, das arme Käthi wäre sicher umgekehrt, dem Michel nach, hätte ihn am Kuttenfecken hinter sich hergezerrt, ungefähr auf die Weise, wie man die Hunde zerrt aus zu engen Fuchsgängen, wenn die Gotte nicht gewesen wäre. Ach, so eine alte Gotte hat auch keinen Begriff mehr von einem jungen Herzen, und wie es ihm drum sein muss, eine böse Stiefmutter an einen reichen Mann zu tauschen; da kann man doch wirklich die halbe Welt auslaufen, ehe man einen besseren Tausch zu machen imstande ist. Sollte man ihn daher so leichtlich aufgeben, wenn man so nahe am Abschlusse gewesen? Aber so was begreift eine alte Gotte mit ihrem verknöcherten Herzen nicht, besonders wenn sie dazu noch einen bösen Kopf hat. Käthi musste ihr hintendrein und zwar mit dem scharfen Gebot: an den verfluchten Uflat solle es ihr nie mehr denken, sonst drehe sie ihm den Hals um.
Michel und Sami aber machten sich davon mit einer Eilfertigkeit, als ob nicht bloss Käthi samt der Gotte, sondern der wilde Jäger mit dem Wütisheer und allen bösen Geistern hinter ihnen her seien. Weitab vom Schauplatz ihrer Taten waren sie, ehe sie ihren Rückzug mässigten und Atem fanden, ihr Glück zu preisen, solch Ufläten und wüsten Zungen entronnen zu sein. Da, wenn sie nicht gscheiter gewesen, hätten sie einen rechten Schuh voll herausnehmen können, dass es ihnen besser gewesen, sie hätten das Haus verbrannt und darauf sich gehängt, als solche Geister hinein- und sich auf den Hals zu ziehen. Aber untersuchen sei gut, das hätte man jetzt abermal sehen können. Nun erzählten sie sich alles Schreckliche, welches sie an Gotte und Käthi gesehen, alle Greuel, welche sie getan, und war einer fertig, fing der andere an, und während dieser erzählte, kam dem andern immer noch was in Sinn, was vergessen worden. Sie hatten so kurze Zeit in ihrer Glückseligkeit, dass sie daheim waren, ehe sie daran dachten, und Michel seine schöne Kuh rein vergessen hatte.
«Ist's aber nüt?» fragte am Morgen Anni.
«Aber nüt», antwortete Michel und erzählte, wie glücklich sie gewesen, keinen Schuh voll herausgenommen zu haben; da hätte es ihnen schön ergehen können.
Anni war auch froh, dass sie mit heiler Haut und allen Haaren davongekommen; aber fatal war es ihm doch auch, dass nichts mit der Sache war, dass es neu ans Suchen musste. Das heutige nütnutzige Weibervolk musste es entgelten; es war kein Laster, welches Anni ihm nicht andichtete, und keine Stunde manchen Tag lang liess es vorüber, in welcher es nicht über dasselbe geschimpft und gelästert hätte. Wenn Anni nicht einen so heillos eigensinnigen Kopf gehabt hätte, hätte es sich die Mühe des Suchens vollständig ersparen können. Bekannt ist, wie die Franzosen und Engländer sich im Auge haben, auf die gegenseitigen Bewegungen lauern. Schicken die Franzosen eine Flotte ins Stille Meer, flugs segeln die Engländer mit Fregatten und Linienschiffen mit Dampf und ohne Dampf hinter ihnen her. Rückt ein Regiment Franzosen an die Pyrenäen, flugs putzen die Engländer in Gibraltar die Kanonen und verstärken die Besatzung von Malta. Haben die Franzosen einen Stein im Brett in Aegypten, sitzen die Engländer ab am roten Meer. Ungefähr gleich oder doch fast so werden von den Müttern sämtlicher heiratslustigen Töchter die Bewegungen heiratsfähiger Jünglinge beobachtet und besonders reicher Jünglinge, mit Höfen oder andern Gütern behafteter. Wird auf einem Hofe so eine Junge flott, flugs ist's bekannt sieben Stunden in der Runde, und es wird auf ihn gebeizt, als wäre er ein Marder oder gar ein Dachs; auf seine Gänge wird gelauert, die Fallen darnach gestellt. Nach welcher Gegend er seinen Strich hat, streichen auf einmal Rudel von Mädchen, welche sonst ganz anderswohin strichen. Wird es gar bekannt, dass einer nicht so bloss ins Blaue streife, sondern wirklich in allem Ernste um eine Frau aus, ja, dann ist's Wetter los, Schuhmacher und Näherinnen haben gute Tage; die gliedersüchtigsten Mütter kriegen flinke Beine und Unterhändler von allen Sorten guten Verdienst – es wird ganz bewegt im Lande. Man muss sich nur wundern, dass nicht irgendein schlotternder Bürgermeister von Aargau, Freiburg, meinethalben auch von Bern hinter einer solchen Bewegung nicht Reaktion gesehen und Bataillone hingeschickt hat, um sie zu unterdrücken. Es wäre doch wirklich verflümert fatal, wenn die natürlichsten von allen Bewegungen politisch verdächtig würden und als gefährlich, wie gesagt, schlotternden Staatshäuptern zu Nase steigen sollten.
Welch Aufsehen Michels Expeditionen und Exkursionen machten, kann man sich denken. So was wird natürlich auf dem Lande so gut ohne Zeitungen bekannt als in London alle Klatschgeschichten durch die Zeitungen. Michels Zusammenkünfte wurden bekannt, die abenteuerlichsten Gerüchte über dieselben liefen durchs Land; man sprach von Prügeln, Brandschatzen, Hungerleiden, Hundhetzen und weiss Gott, was alles. Aus dem allem ward soviel klar, dass Michel eine Frau suche; das war die Hauptsache, und dass er plump dabei tat, war Nebensache. I, was schadet ein wenig Plumpheit, wenn sie an einem reichen und noch dazu grossen Manne hängt? Michel sei daneben der beste Tropf von der Welt, sagten alle Weiber, welche in der Nähe wohnten; eine helle Schande wär's, wenn der eine Fremde kriegte. Das sei nur Schüchternheit, er schäme sich, fürchte das Auslachen; das müsse man ihm vertreiben, es lohne sich wohl der Mühe.
Nun ging es auf dem Knubel ungefähr wie im Herbste, wenn die Nüsse reifen an einem grossen Haselhag. Anni war auf einmal die Hauptperson in weitem Umkreis; denn wer mit den Verhältnissen näher bekannt war, betrachtete Anni richtig als die Türe, welche in Michels Stübchen führte. Die einen Weiber kamen, rühmten ihm seine Sachen oder fragten ihns um Rat; so alt Anni war, hatte es doch nie so schöne Sachen gehabt als in diesem Jahr. Es musste ein ordentliches Register führen über die Sämereien von allen Sorten, welche bei ihm bestellt wurden. Von allem, was grün war, vom Schnittlauch und der Münze weg bis zu Kabis und Bohnen – von Hanf und Flachs wollen wir nicht einmal reden – war seine Sache immer die schönste im ganzen Lande, und alle Welt schrie nach Samen viel lauter als ein Hirsch nach einer Wasserquelle. Die Weiber weit umher kamen und wollten mit Anni Eier tauschen, um Gluggern unterzulegen, waren erbötig, ihm immer zwei an eins zu tauschen, ja, stellten Anni alle möglichen Bedingungen frei. Solche Hühner, hiess es, habe man noch nie gesehen, in Ansehen von Legen und wegen der Schöni, es sei eine ganz apartige Rasse, wahrscheinlich in einem besondern Zeichen untergelegt. Um dieses Zeichen von Anni zu erfahren, waren die Weiber zu allem möglichen erbötig; sie hätten plotonsweise rings um einen Kleeacker gepurzelt, wenn Anni diese Bedingung gestellt hätte. Es liess keine ein Stück Tuch machen, welche nicht Anni konsultiert hätte, welches Garn sich besser zum Zettel und welches besser zum Eintrag sich eigne. Sie vertrauten ihm ihre Geheimnisse an, ihre Kümmernisse des Mannes wegen, ihre Hoffnungen auf Erbschaften, ihre verborgen gehaltenen Reichtümer. Sie krameten Anni: eine kam hier mit einem weissen Brötchen, dort eine mit einer Flasche Roten oder eine andere mit einem Hals- oder Nastuch. «Ich weiss wohl, dass du es mir nichts schätzest; hast solche Sachen nicht nötig, hast ja, was du begehrst auf der Welt; es ist nur ein Zeichen meiner Gutmeinenheit, ich wollte dir zeigen, wie lieb du mir bist, und wenn ich dir einmal was dienen kann, sei es Tag oder Nacht, so sprich zu!»
«Danke fürs Anerbieten!» sagte Anni, «es hätt sich dessen nicht gebraucht. Es ist mir leid, dass du meinetwegen so Kosten gehabt; ich weiss nicht, wie ich dir das vergelten soll; was hat so eine arme, alte Frau wie ich zu geben?»
Man kann sich denken, was dann darauf für eine Antwort kam, und wie die Frau auf ihre Tochter kam oder ein ander Meitschi, welches ihr am Herzen lag, und wie sie dieses zu rühmen und alle andern auszumachen wusste, dass kein guter Fetzen an ihnen blieb!
Aber nicht bloss die Mütter machten sich an Anni, auch die Töchter selbst taten das möglichste, um Michel in die Augen zu fallen; aus den Augen in die Arme dachten sie sich den Weg ganz kurz. Sie hatten immer was zu verrichten auf dem Knubel: bald hatte sie die Mutter geschickt, bald suchten sie die Mutter, bald bettelten sie Anni Blumen, weil sie zu Gevatter stehen mussten, bald brachten sie Anni ein Nelken- oder Myrtenstöcklein von einer ganz aparat schönen Art, hüpften dann und standen dann und kicherten und wieherten ums Haus herum wie ein Jäger um eine Tanne, auf welcher ein Eichhorn sitzt, das er aber nicht zu Gesichte kriegen kann, ihn um jeden Preis vor die Augen bringen will. Gelang es mal einer, den Michel vors Haus in Schussweite zu bringen, dann brachte man keine mehr weg. Es nahm Anni manchmal wunder, ob sie Wurzeln an die Füsse gekriegt und durch dieselben am Boden festgeheftet seien.
Wenn Anni einmal zu Markte ging mit Butter und Eiern, hatte es Schreiss den schönsten Mädchen z'Trotz. Mit den einen sollte es fahren, andere wollten ihm Wein zahlen, andern sollte es warten, sie wollten mit ihm heimgehen. Wenn Anni dann beim Wein, der bekanntlich Traulichkeit erzeugt und die Herzen öffnet, erwarmete, so begann man zu frägeln und schlug ringsum auf den Busch, um zu vernehmen, wie Michel eine Frau wolle, was er an einem Mädchen liebe und was er an ihm scheue, warum er es im Lusbädli und so weiter nicht richtig gemacht? Er hätte aber recht gehabt, hiess es gewöhnlich; warum in der Weite suchen, was man in der Nähe besser haben könnte? Das heisse ja die Katze im Sacke kaufen, und man wisse nicht, was man habe, bis man sie heimbrächte und laufen liesse, dann sei es aber auch zu spät. – Aber, so redselig Anni wurde, man fing es nicht; es sagte, es sei nicht dabeigewesen, und Michel habe ihm nicht Bericht gegeben. Er habe gar einen wunderlichen Gring, es lasse ihn machen, frage nicht einmal; es denke, es werde es früh genug erfahren. Die einen glaubten ihm: wenn es was wüsste, ihnen hätte es es ganz sicher gesagt, meinten sie. Andere glaubten ihm nicht: Anni sei eine alte Hexe, sagten sie, hätte alle zum besten, bis eine über ihns komme, welche noch listiger sei als es, und ihm dann, wie recht und billig, zehnfach vergelte, was es an andern sich versündigt. D's Kürzest wär', die Alte fiele ins Wasser oder täte sonst den Hals brechen; mit Michel wär's dann bald gewonnen. Anni aber dachte: «Flattiert ihr nur, es hilft euch doch nichts; jetzt wäre ich euch gut genug, aber wie lange? Bis ihr den Fuss im Hafen hättet; dann setztet ihr mir den Stuhl vor die Türe, und ob ich erfröre oder verhungerte, dem fragtet ihr wenig nach, und wenn Micheli schon nicht wollte, was wollte es machen? Er ist gar zu gut und frein, und das Wybervolk so wüst und schlecht und falsch, pfy Tüfel! Es nimmt mi wunder, dass es d'r Tüfel mah; wahrschynlich macht er Wedele drus u heizt d'r Grossmutter d'r Ofe d'rmit, Gott verzieh m'r my Sünd! Aber allweg muss zur Sach ta sy, sust näh si m'r d'r Michel ab d'r Gass oder vor dem Haus weg, so nötlich tun sie, die Uflät; und geschieht das nicht, so sprengen ihn die Landjäger ins Unglück und er muss z'Krieg. Sie können ihn nicht ruhig lassen und er kann sich nicht hüten; und Sami ist doch d'r Wüstest: statt abz'wehre, strengt er an. Da musste am letzten Markt das Spiel wieder angehen, und Michel konnte Gott danken, dass er mit einem schönen Haufen Neutaler davonkam. So kann das nicht immer gehen; es könnte ung'sinnet genug sein, und dann könnte man lange plären, d'Sach änderte man doch nicht mehr.»
Zum Schwammfraueli hatte Anni kein Vertrauen mehr; die Freundschaft war gegenseitig erloschen. Das Schwammfraueli hatte von Käthi gar einen bedenklichen Abputzer erhalten, dass es ihm einen solchen Unmenschen zugereiset und ihm einen solchen Verdruss angerichtet und z'letzt an der ganzen Sache nichts gewesen. Das Fraueli wollte Anni auch einen Teil davon abgeben; aber potz, da kam es übel an und musste über seinen Geschmack und seine Weiberkunde Dinge hören, die selbst für ein Schwammfraueli zu hart waren.
«Lue», sagte das Fraueli, «nimm's nit für ungut; aber dy Michel muss doch gar e Ugattliche und Uschafeliche sy, mit dem nüt z'gattige ist. Glaube nur: die Meitscheni wären recht gewesen, aber will man einem solchen eine zuhaben, so erlebt man nichts als Schande, dass man weiss kein Mensch was gäbe, man hätte nichts mit der Sache zu tun gehabt, und denken muss, man wolle sich vor solchem hüten sein Lebtag.» So nahm es Anni aber nicht; das liess es an Michel nicht kommen, und dem Schwammfraueli verdeutete es, dass es seinetwegen nicht Kummer haben solle; es werde ihm sein Lebtag nichts mehr der Art zumuten, und lieber wäre es ihm, wenn es ein andermal einen andern Weg ginge; mit einem solchen Unmenschen werde es doch nicht unter einem Dache sein wollen. So ging die alte Freundschaft auseinander für einstweilen und zwar zu gegenseitigem Schaden. Dem Fraueli ging sein bestes Haus ab; dafür liess es Anni und seinen Michel liegen, dass es keine Art hatte, brachte Anni alles aus, was es wusste, machte Michel lächerlich, erzählte, wie er gerne eine Frau möchte, aber wie es eine sein sollte, dass sie Anni, Bäri, Sami und zuletzt auch ihm recht sei.
Anni suchte andere Vertraute und fand sie leicht; es wurden noch mehr Zusammenkünfte veranstaltet, ja, es kamen eine oder zwei direkt zur Gschaui auf den Knubel; allein es wollte sich nichts anziehen, es zerschlug sich immer alles, die Welt wusste nicht, wie. Deretwegen gab es ein grosses Gerede in der Welt, dass Anni sich zu schämen anfing und Michel ganz massleidig wurde.