Nikolaus Gogol
Phantastische Geschichten
Nikolaus Gogol

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Wie Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten

I.

Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch

Was für eine herrliche Pekesche Iwan Iwanowitsch doch hat! Diese Pelzverbrämung –Teufel auch – diese Pelzverbrämung! Bläulichgrau, mit einem weißlichen Schimmer! Bei Gott – ich will ein Schuft sein, wenn es noch einen zweiten solchen Pelzrock gibt. Ich bitte Sie, sehen Sie sich das einmal an – besonders, wenn Iwan Iwanowitsch mit jemand spricht – betrachten Sie ihn nur im Profil: was ist das für eine Pracht! Es ist ganz unbeschreiblich: das leuchtet wie Samt und Silber und Feuer! Bei Gott, heiliger Wundertäter Nikolaus, frommer Knecht Gottes, ich bitte dich: Warum habe ich nicht solch eine Pekesche! Er hat sie sich schon damals machen lassen, als Agafja Fedossejewna noch nicht so oft nach Kiew reiste. (Sie kennen doch Agafja Fedossejewna? Dieselbe, die dem Assessor das Ohr abgebissen hat.)

Und was für ein Prachtmensch Iwan Iwanowitsch ist! Wie stattlich ist sein Haus in Mirgorod! Rundherum hat es ein Schutzdach auf eichenen Pfosten, und darunter stehen überall Bänke. Wenn es zu heiß wird, zieht er Pelzrock und Hose aus, legt sich im bloßen Hemd unter das Schutzdach und beobachtet, was im Hofe und auf der Straße vorgeht. Und was für herrliche Apfel- und Birnbäume vor dem Fenster stehen! Bitte, öffnen Sie nur die Fenster, sofort stecken sie ihre Zweige bis ins Fenster; aber das ist bloß vor dem Hause. Sehen Sie sich mal erst den Garten an! Was gibt es da nicht alles! Pflaumen, Kirschen, Weichsel, allerlei Gemüse, Sonnenblumen, Gurken, Melonen, Erbsen – sogar eine Tenne und eine Schmiede gibt es da.

Was für ein Prachtmensch Iwan Iwanowitsch ist! Besonders gern ißt er Melonen, das ist sein Lieblingsgericht. Gleich nach dem Mittagessen begibt er sich im Hemd unter das Schutzdach und befiehlt Gapka, zwei Melonen aufzutragen, die er eigenhändig zerlegt. Dann nimmt er die Kerne heraus, wickelt sie in ein Papier und macht sich daran, die Melonen zu verzehren; Gapka muß ihm das Tintenfaß bringen, und er schreibt eigenhändig auf das Päckchen mit dem Samen: »Diese Melone wurde an dem und dem Tage gegessen.« War irgendein Gast dabei, so wird hinzugefügt: Der und der hat teilgenommen.

Der verstorbene Richter von Mirgorod freute sich immer von Herzen beim Anblick von Iwan Iwanowitschs Haus. Ja – das Haus kann sich auch sehen lassen! Vor allem gefallen mir die vielen Balkone und Erkerchen, die von allen Seiten angebaut sind; wenn man es von ferne erblickt, so sieht man die Dächer, die übereinanderliegen – das erinnert mich immer an einen Teller voll Pfannkuchen, oder besser an Pilze, die an- und übereinander um einen herum wachsen. Übrigens sind die Dächer mit Binsen gedeckt, über die eine Weide, eine Eiche und zwei Apfelbäume ihre üppigen Zweige ausbreiten. Durch das Geäst aber gucken die kleinen Fensterchen mit ihren geschnitzten, weißen Läden munter auf die Straße hinaus.

Was für ein Prachtmensch ist doch Iwan Iwanowitsch! Der Herr Kommissar aus Poltawa ist sein guter Bekannter. Dorosch Tarassowitsch Puchiwotschka besucht ihn stets, wenn er aus Chorol hierherkommt, und Vater Peter, der in Koliberda wohnt, pflegt, wenn einmal fünf Mann hoch bei ihm zu Gaste sind, stets zu erwähnen, daß er niemand kennt, der seine Christenpflicht so gut erfüllt und so zu leben versteht wie Iwan Iwanowitsch.

Mein Gott, wie doch die Zeit vorbeieilt. Damals waren schon zehn Jahre verflossen, seit er Witwer geworden war. Er hatte keine Kinder. Dafür hat Gapka, die Magd, welche, die im Hofe spielen. Iwan Iwanowitsch gibt gewöhnlich jedem Kinde eine Brezel, ein Stückchen Melone oder eine Birne. Gapka hat auch die Schlüssel zu den Kammern und Kellern: Nur der Schlüssel zu dem großen Kasten, der in seinem Schlafzimmer steht, und der zu der mittleren Vorratskammer befindet sich bei ihm; denn Iwan Iwanowitsch liebt es nicht, jemand dort hineinzulassen. Gapka ist ein kräftiges Mädel, mit einer großen Schürze, drallen Waden und roten Backen.

Und was für ein gottesfürchtiger Mensch Iwan Iwanowitsch ist! Jeden Sonntag zieht er seine Pekesche an und geht in die Kirche. Nachdem er sich nach allen Seiten verneigt hat, nimmt er gewöhnlich auf dem Chor Platz und unterstützt den Baß auf das schönste. Ist der Gottesdienst zu Ende, so unterläßt es Iwan Iwanowitsch nie, der Reihe nach an allen Bettlern vorbeizugehen. Vielleicht hat er oft gar keine Lust, sich mit so langweiligen Sachen abzugeben, aber seine natürliche Gutmütigkeit läßt ihm keine Ruhe.

Gewöhnlich sucht er sich das allerarmseligste Weib, in einem zerfetzten, aus Lumpen zusammengeflickten Kleide aus und wendet sich teilnahmsvoll an sie: »Nun, wie geht es, Ärmste? Woher kommst du, Mütterchen?«

»Ich komme vom Dorf, Herr, seit drei Tagen habe ich weder gegessen noch getrunken. Meine eigenen Kinder haben mich fortgejagt.«

»Du arme Seele! Und warum bist du hierher gekommen?«

»Ach, Herr, ich stehe hier und bitte um ein Almosen, vielleicht gibt mir jemand etwas Geld, damit ich mir Brot kaufen kann.«

»Hm. So. Du möchtest also Brot haben?« fragt Iwan Iwanowitsch gewöhnlich.

»Wie sollte ich nicht? Ich bin hungrig wie ein Hund.«

»Hm, hm«, sagt Iwan Iwanowitsch gewöhnlich weiter. »Vielleicht möchtest du auch Fleisch haben?«

»Ja, alles, was Euer Gnaden mir geben wollen, ich bin mit allem zufrieden.«

»Hm, hm – ist denn Fleisch besser als Brot?«

»Ein Hungriger ist nicht wählerisch, Herr. Wir sind mit allem zufrieden, was Sie geben.« Hierbei streckt sie ihm gewöhnlich die Hand entgegen.

»Nun, Gott mit dir«, sagt Iwan Iwanowitsch. – »Ja, was stehst du denn noch da? Ich schlage dich doch nicht!« Und in gleicher Weise wendet er sich an den zweiten und dritten Bettler, und geht endlich nach Hause, zu seinem Nachbar, Iwan Nikiforowitsch, oder auch zum Polizeimeister, um einen Schnaps mit ihnen zu trinken.

Iwan Iwanowitsch liebt es auch sehr, daß man ihm Geschenke macht oder ihm Leckerbissen bringt. Das letztere hat er besonders gern.

Auch Iwan Nikiforowitsch ist ein ganz prächtiger Mensch. Sein Hof grenzt an den Iwan Iwanowitschs. Zwei solche Freunde wie diese beiden hat die Welt sicher noch nicht gesehen. Anton Prokofjewitsch Pupopus, der bis zum heutigen Tage noch einen braunen Rock mit hellblauen Ärmeln trägt und des Sonntags beim Richter zu Tisch geladen ist, pflegte gewöhnlich zu sagen: Der Teufel habe in höchsteigener Person Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch mit einem Schnürchen zusammengebunden: wo der eine erscheint, da folgt der andere auf dem Fuße.

Iwan Nikiforowitsch war nie verheiratet. Man hat wohl davon gesprochen, er wäre einmal verheiratet gewesen, doch das ist eine gemeine Lüge. Ich kenne Iwan Nikiforowitsch sehr genau und kann beschwören, daß er niemals auch nur die Absicht gehabt hat, sich zu verheiraten. Wie solch ein Klatsch nur entsteht! Einmal hieß es, Iwan Nikiforowitsch sei hinten mit einem Schwanz auf die Welt gekommen. Aber dies ist eine Erfindung, die so dumm und dabei so abscheulich und unanständig ist, daß ich es nicht einmal für nötig halte, sie vor meinen aufgeklärten Lesern zu widerlegen, denen es sicher bekannt ist, daß nur die Hexen, und auch die nur, sofern sie weiblichen Geschlechts sind (aber selbst diese bloß in Ausnahmefällen), hinten einen Schwanz haben. Übrigens gehören ja die Hexen überhaupt mehr dem weiblichen als dem männlichen Geschlecht an. Trotz der gegenseitigen Zuneigung waren diese beiden Freunde doch von der Natur recht verschieden bedacht. Am besten lernt man ihren Charakter durch eine Nebeneinanderstellung kennen. Iwan Iwanowitsch besitzt die seltene Gabe, sehr angenehm zu sprechen. Herr Gott, wie kann er sprechen! Wenn Sie ihm zuhören, haben Sie eine Empfindung – nein, die läßt sich nur mit dem Gefühl vergleichen, wenn man Ihnen den Kopf kraut, oder mit dem Finger leise, ganz leise über die Fersen streicht. Man lauscht und lauscht . . . der Kopf sinkt einem herab . . . so angenehm, so ungeheuer angenehm ist das! . . . Wie ein Schläfchen nach einem Bade. Iwan Nikiforowitsch hingegen ist das gerade Gegenteil. Er liebt es, zu schweigen – aber wenn er einmal ein Wörtchen sagt, dann heißt es: Feststehen – das sitzt, das schneidet schärfer wie das feinste Rasiermesser! Iwan Iwanowitsch ist mager und von hoher Statur; Iwan Nikiforowitsch ist kleiner und geht mehr in die Breite. Iwan Iwanowitschs Kopf gleicht einem Rettich mit dem Schwänzchen nach oben. Iwan Nikiforowitsch dagegen einem Rettich mit dem Schwänzchen nach unten. Iwan Iwanowitsch liegt nur nach dem Mittagessen im bloßen Hemde unter dem Schutzdach, – abends zieht er seine Pekesche an und geht irgendwohin, entweder in das Stadtmagazin, an das er Mehl liefert, oder ins Feld, um Wachteln zu fangen. Iwan Nikiforowitsch liegt den ganzen Tag im Flur; wenn es nicht gar zu heiß ist, legt er sich mit dem bloßen Rücken in die Sonne und will sich gar nicht vom Fleck rühren. Wenn es ihm gerade einfällt, macht er morgens eine Runde durch den Hof, sieht sich alles an und legt sich dann nieder. Früher ging er wohl auch einmal zu Iwan Iwanowitsch hinüber. Iwan Iwanowitsch ist ein sehr feiner Herr, nie gebraucht er ein schmutziges Wort, auch nicht im gewöhnlichsten Gespräch, und daher ist er auch sofort verletzt, wenn er ein solches hört. Iwan Nikiforowitsch aber läßt sich mitunter etwas gehen. Gewöhnlich steht dann Iwan Iwanowitsch auf und sagt: »Genug, genug, Iwan Nikiforowitsch, legen Sie sich doch lieber schnell wieder in die Sonne, statt solche gottlose Reden zu führen!« Iwan Iwanowitsch wird sehr böse, wenn er eine Fliege in der Suppe findet – er gerät außer sich, wirft den Teller hin, und der Wirt bekommt etwas zu hören. Iwan Nikiforowitsch badet ungemein gern, und wenn er bis zum Halse im Wasser sitzt, liebt er es sehr, sich ein Tischchen mit der Teemaschine ins Wasser stellen zu lassen und in der kühlen Flut Tee zu trinken. Iwan Iwanowitsch rasiert sich zweimal wöchentlich, Iwan Nikiforowitsch nur einmal. Iwan Iwanowitsch ist sehr neugierig, Gott bewahre einen jeden davor, ihm etwas zu erzählen und nicht bis zum Schluß zu kommen. Ist er unzufrieden, so sieht man es ihm sogleich an. Äußerlich ist es Iwan Nikiforowitsch sehr schwer anzusehen, ob er zufrieden oder ärgerlich ist – selbst wenn er sich über etwas freut, so läßt er es sich nicht merken. Iwan Iwanowitsch hat einen etwas ängstlichen Charakter – ganz anders als Iwan Nikiforowitsch, der so faltenreiche Pluderhosen trägt, daß sie, wenn man sie aufblasen wollte, den Hof mit allen Scheuern und Wirtschaftsgebäuden in sich fassen würden. Iwan Iwanowitsch hat große, ausdrucksvolle, tabakfarbene Augen und sein Mund hat die Form des Buchstabens V. Iwan Nikiforowitsch hat kleine, gelbliche Augen, die ganz zwischen den dicken Backen und den buschigen Brauen verschwinden, und seine Nase gleicht einer reifen Pflaume. Wenn Ihnen Iwan Iwanowitsch eine Prise anbietet, leckt er erst den Deckel der Tabaksdose ab, klopft mit dem Finger auf sie, reicht sie Ihnen hin und sagt, wenn Sie gut mit ihm bekannt sind: »Mein Herr, darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!« Sind Sie ihm dagegen fremd, so spricht er: »Mein Herr, ich habe nicht die Ehre, Ihren Rang und Namen zu kennen, darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!« Iwan Nikiforowitsch dagegen gibt Ihnen einfach die Dose in die Hand und sagt ganz kurz: »Bedienen Sie sich!« Beide – Iwan Iwanowitsch sowohl wie Iwan Nikiforowitsch – mögen die Flöhe nicht leiden, und lassen daher nie einen Handelsjuden vorübergehen, ohne ihm ein Elixier oder ein Pulver gegen diese Insekten abzukaufen – natürlich erst, nachdem sie ihn gehörig wegen seines Glaubens ausgescholten haben.

Übrigens sind beide, sowohl Iwan Iwanowitsch als auch Iwan Nikiforowitsch, abgesehen von einigen Verschiedenheiten, ganz prächtige Menschen.

II.

Aus dem man erfahren kann, was Iwan Iwanowitsch sich wünschte, worüber Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch miteinander sprachen, und wie das Gespräch endete.

Eines Morgens – es war im Juli – lag Iwan Iwanowitsch unter seinem Schutzdach. Der Tag war heiß, und die Luft war trocken und flutete in feinen Strömen auf und ab. Iwan Iwanowitsch war schon außerhalb der Stadt und im Dorf bei den Schnittern gewesen und hatte schon alle Bauern und Bäuerinnen, die ihm begegneten, nach dem Woher, Wohin und Warum ausgefragt; dabei hatte er sich müde gelaufen und wollte nun ausruhen. Im Liegen betrachtete er lange den Hof, die Vorratskammern und die im Hofe herumlaufenden Hühner und dachte sich: »Herr Gott, was bin ich doch für ein guter Wirt! Was habe ich nicht alles! Speicher, Gebäude, Vögel, alles was das Herz begehrt, Schnäpse und Liköre, einen Garten mit Birnen und Pflaumen, Mohn, Kohl und Erbsen . . . was fehlt mir noch? Wirklich, ich möchte wissen, was mir fehlt?«

Mit dieser tiefsinnigen Frage beschäftigt, versank Iwan Iwanowitsch in tiefes Nachdenken, unterdessen aber suchten seine Augen nach neuen Gegenständen, schweiften über den Zaun nach Iwan Nikiforowitschs Haus und wurden unwillkürlich von einem merkwürdigen Schauspiel gefesselt.

Ein altes hageres Weib trug verschlissene Kleidungsstücke auf den Hof, um sie eins nach dem andern zum Auslüften auf eine ausgespannte Leine zu hängen. Bald streckte ein alter Waffenrock mit abgeschabten Aufschlägen seine Ärmel in die Luft und umarmte ein Jackett aus Brokatstoff; neben ihm kam eine Livree mit Wappenknöpfen und einem von den Motten zerfressenen Kragen zum Vorschein; ferner ein Paar fleckige weiße Kaschmir-Beinkleider, die einst Iwan Nikiforowitschs Beine umspannt hatten, jetzt aber bestenfalls für seine Finger reichen würden; dann wieder hing ein anderes Paar in Form eines A da, dann ein blauer Kosakenrock, den sich Iwan Nikiforowitsch vor 20 Jahren hatte machen lassen, als er in die Miliz einzutreten gedachte und sich sogar einen Schnurrbart wachsen ließ. Zuletzt kam zu all diesen schönen Sachen auch noch ein Degen hinzu, der einer Turmspitze glich, die in die Luft starrt – dann wieder flatterten die Rockschöße eines graugrünen Kaftans mit talergroßen kupfernen Knöpfen im Winde, und zwischen den Schößen lugte eine mit Goldborte verzierte, stark ausgeschnittene Weste hervor. Aber bald wurde die Weste durch einen alten Unterrock der Großmutter verdeckt, in dessen großen Taschen man ruhig je eine Melone hätte verstecken können. Dies ganze Durcheinander gewährte Iwan Iwanowitsch einen höchst unterhaltenden Anblick. Die Strahlen der Sonne beleuchteten bald einen dunkelblauen oder grünen Ärmel, einen roten Aufschlag und einen Teil des Goldbrokats oder sie spielten plötzlich um die Degenspitze und gaben ihr ein ganz ungewöhnliches Aussehen. Dieses bunte Allerlei weckte Erinnerungen an die Weihnachtskrippe, die umherziehende Tagediebe in den Dörfern aufstellen: Die herandrängende Volksmenge betrachtet den Kaiser Herodes mit der goldenen Krone, oder den Antonius, der eine Ziege mit sich führt; hinter der Krippe quietscht eine Geige, ein Zigeuner ahmt mit seinen Lippen eine Trommel nach, die Sonne geht allmählich unter und die angenehme Kühle der südlichen Nacht schmiegt sich verstohlen um die frischen Schultern und hochatmenden Busen der drallen Bäuerinnen.

Nach einiger Zeit kam die Alte wieder stöhnend aus der Vorratskammer und trug keuchend einen altmodischen Sattel mit abgerissenen Steigbügeln, abgeschabten ledernen Pistolentaschen und einer Schabracke auf dem Rücken heraus, die einst purpurrot gewesen und mit Goldstickereien und Blechplatten verziert war.

»So ein dummes Weib,« dachte Iwan Iwanowitsch, »bald wird sie auch noch Iwan Nikiforowitsch in eigener Person herausschleppen und auslüften.«

Und in der Tat, Iwan Iwanowitschs Vermutung war nicht so ganz unrichtig. Nach kaum fünf Minuten erschienen Iwan Nikiforowitschs Pumphosen, die fast die ganze Hälfte des Hofes einnahmen. Dann schleppte sie noch seine Mütze und eine Flinte heran.

»Was soll das bedeuten«, dachte Iwan Iwanowitsch. »Ich habe früher nie eine Flinte bei ihm gesehen! Ja, was fällt ihm ein! Er schießt doch gar nicht, und hält sich doch eine Flinte! Was will er mit ihr? Es ist übrigens ein gutes Gewehr! . . . ich wollte mir schon lange ein solches anschaffen. Ich wünschte sehr, so eine Flinte zu haben . . . ich spiele zu gern mit so einem Flintchen . . . He, Alte, Alte!« schrie Iwan Iwanowitsch und winkte mit dem Finger.

Die Alte kam an den Zaun.

»Was hast du da, gute Alte?«

»Sie sehen doch selbst, eine Flinte.«

»Was für eine Flinte?«

»Was weiß ich. Wenn sie mir gehörte, würde ich vielleicht wissen, woraus sie gemacht ist, aber sie gehört doch dem Herrn.«

Iwan Iwanowitsch stand auf, besah sich die Flinte von allen Seiten, und vergaß ganz, die Alte deswegen auszuschelten, daß sie auch Degen und Flinte zum Lüften herausgebracht hatte.

»Wahrscheinlich ist sie aus Eisen«, meinte die Alte.

»Hm, hm, aus Eisen. Warum sollte sie gerade aus Eisen sein?« murmelte Iwan Iwanowitsch. »Hat dein Herr sie schon lange?«

»Vielleicht – es ist möglich, daß er sie schon lange hat.«

»Ein vortreffliches Gewehr«, fuhr Iwan Iwanowitsch fort. »Ich werde es mir von ihm ausbitten. Wozu braucht er eine Flinte? Oder ich tausche sie gegen etwas anderes ein. Sag mal. Alte, ist dein Herr zu Hause?«

»Freilich.«

»Er hat sich wohl hingelegt?«

»Jawohl.«

»Gut. Ich werde zu ihm gehen.«

Iwan Iwanowitsch zog sich an und nahm einen Knotenstock mit sich, den er als Waffe gegen die Hunde brauchte; denn in Mirgorod begegnet man auf der Straße mehr Hunden als Menschen. Dann machte er sich auf den Weg.

Obwohl die Höfe Iwan Iwanowitschs und Iwan Nikiforowitschs aneinander grenzten und man aus dem einen in den anderen hinübersteigen konnte, ging Iwan Iwanowitsch doch über die Straße. Nach dieser Straße mußte er eine kleine Gasse passieren, die ganz ungewöhnlich schmal war; wenn es geschah, daß zwei Einspänner sich hier begegneten, so konnten sie nicht aneinander vorbei und mußten so lange stillstehen, bis sie jemand an den Hinterrädern packte und in die Straße zurückzog. Der Fußgänger aber kam wie mit Blumen geschmückt aus dieser Gasse heraus, da zu beiden Seiten des Zaunes die Kletten aufs schönste gediehen. An diese Gasse stieß sowohl die Scheune Iwan Iwanowitschs als auch ein Kornspeicher Iwan Nikiforowitschs, und ebenso sein Tor und sein Taubenschlag. Iwan Iwanowitsch trat ans Tor und drückte lärmend die Türklinke herunter. Aus dem Innern erscholl Hundegebell, als aber die buntscheckige Gesellschaft sah, daß ein guter Bekannter den Hof betrat, zog sie sich schweifwedelnd zurück. Iwan Iwanowitsch durchschritt den Hof, auf dem ein buntes Durcheinander herrschte: Indische Tauben, die der Besitzer eigenhändig zu füttern pflegte, Melonen- und Wassermelonenschalen, verstreutes Gemüse, ein zerbrochenes Rad, ein Faßreifen, dazwischen ein kleiner Junge in einem schmutzigen Hemdchen – mit einem Wort, ein Anblick, wie die Maler ihn lieben! Die ausgehängten Kleider hüllten den ganzen Hof in ihren Schatten ein und verliehen ihm eine gewisse Kühle. Die Alte begrüßte Iwan Iwanowitsch mit einer Verbeugung, rührte sich aber nicht vom Flecke und gähnte. Vor dem Hause befand sich eine zierliche Treppe mit einem Schutzdach, das von zwei Eichenpfosten gestützt wurde: übrigens ein sehr unzureichendes Mittel gegen die Sonne, denn Frau Sonne liebt um diese Zeit in Kleinrußland nicht zu spaßen, und badet den Spaziergänger von Kopf bis zu Fuß in Schweiß. Dies zeigt übrigens, wie groß das Verlangen Iwan Iwanowitschs nach dem so unentbehrlichen Dinge war, da er sich um diese Zeit hinausgewagt hatte und somit seiner Gewohnheit, das Haus erst des Abends zu einem Spaziergang zu verlassen, untreu geworden war.

Das Zimmer, das Iwan Iwanowitsch betrat, war ganz dunkel, und die Läden waren geschlossen. Nur durch das Guckloch im Laden fielen ein paar Sonnenstrahlen, spielten in Regenbogenfarben und malten eine bunte Landschaft an die gegenüberliegende Wand: da sah man binsengedeckte Dächer, Bäume, die ausgehängten Kleidungsstücke usw. – alles natürlich auf den Kopf gestellt, und das Zimmer wurde in ein wundersames, helles Dämmerlicht gehüllt.

»Gott helf«, sagte Iwan Iwanowitsch.

»Guten Tag, Iwan Iwanowitsch«, antwortete eine Stimme aus der Zimmerecke. Erst jetzt bemerkte Iwan Iwanowitsch Iwan Nikiforowitsch, der auf einem ausgebreiteten Teppich am Boden lag.

»Entschuldigen Sie bitte, daß ich mich Ihnen im Adamskostüm präsentiere.«

Iwan Nikiforowitsch lag ganz nackt und ohne Hemd da.

»Bitte, bitte. Haben Sie gut geschlafen, Iwan Nikiforowitsch?«

»Ausgezeichnet. Und Sie, Iwan Iwanowitsch?«

»Ich habe auch gut geschlafen.«

»Sie sind wohl erst eben aufgestanden?«

»Was? Ich soll erst eben aufgestanden sein? Gott behüte, Iwan Nikiforowitsch, wie kann man so lange schlafen. Ich komme eben aus dem Dorf zurück – überall wo man hinkommt – gibt's herrliches Getreide, großartig sag' ich Ihnen! Auch das Gras ist lang, weich und saftig.«

»Gorpina,« schrie Iwan Nikiforowitsch, »bring' Iwan Iwanowitsch einen Schnaps und ein paar Rahmkuchen.«

»Ein herrliches Wetter heut.«

»Ach loben Sie es doch nicht, Iwan Iwanowitsch. Hol's der Teufel – man kommt ja um vor Hitze.«

»Ist es denn durchaus nötig, den Teufel anzurufen? Ach, Iwan Nikiforowitsch, Sie werden noch an mich denken, wenn es zu spät sein wird. Jawohl, Sie werden im Jenseits für Ihre gottlosen Reden büßen müssen.«

»Womit habe ich Sie denn beleidigt, Iwan Iwanowitsch? Ich habe doch weder Ihren Vater noch Ihre Mutter beschimpft. Ich verstehe nicht, wodurch ich Sie gekränkt haben könnte.«

»Lassen wir das, Iwan Nikiforowitsch, lassen wir das.«

»Bei Gott, ich wollte Sie nicht kränken, Iwan Iwanowitsch.«

»Merkwürdig, daß die Wachteln noch immer nicht ins Rohr gehen.«

»Wie Sie wollen, Iwan Iwanowitsch, denken Sie, was Sie wollen – ich hatte wirklich nicht die Absicht, Sie zu kränken.«

»Ich begreife nicht, warum sie nicht hineingehen«, sagte Iwan Iwanowitsch, als habe er die Worte gar nicht gehört. »Vielleicht ist die Zeit dazu noch nicht gekommen, aber mir scheint, es wäre jetzt die rechte Zeit.«

»Sie sagen, daß das Getreide gut steht?«

»Herrlich, ganz herrlich!«

Nun folgte eine lange Pause.

»Iwan Nikiforowitsch, warum lassen Sie denn plötzlich alle Ihre Kleider heraushängen«, fragte endlich Iwan Iwanowitsch.

»Ach, die verfluchte Alte hat meine guten und fast neuen Kleidungsstücke verschimmeln lassen, jetzt lasse ich alles auslüften; das Tuch ist noch fein, es ist noch ganz ausgezeichnet, einiges braucht man nur wenden zu lassen, dann kann man es wieder tragen.«

»Etwas hat mir besonders gefallen, Iwan Nikiforowitsch.«

»Was denn?«

»Sagen Sie bitte, wozu brauchen Sie diese Flinte? Da ist doch eine Flinte mit herausgehängt!« Bei diesen Worten reichte Iwan Iwanowitsch seinem Freunde eine Prise. »Darf ich Sie bitten, sich zu bedienen?«

»Bitte bedienen Sie sich selbst, ich nehme von meinem eigenen«, dabei tastete Iwan Nikiforowitsch, mit den Händen umher und fand endlich seine Dose. »So ein dummes Weib! Sie will die Flinte also auch auslüften? Der Jude in Sforotschintzy stellt einen ausgezeichneten Tabak her. Ich weiß nicht, was er hineintut – es ist so etwas Aromatisches, und erinnert ein wenig an Krauseminze. Aber bedienen Sie sich doch.«

»Hm, sagen Sie doch, Iwan Nikiforowitsch, um wieder auf die Flinte zurückzukommen, was wollen Sie mit ihr anfangen? Sie brauchen sie doch nicht?«

»Ich brauche sie nicht? Ja, und wenn ich nun einmal schießen will?«

»Gott behüte Sie, Iwan Nikiforowitsch, wann wollen Sie denn schießen? Vielleicht beim Jüngsten Gericht? Soviel ich weiß und von anderen erfahren konnte, haben Sie noch nie eine Ente getötet, ja, Gott der Herr hat Ihnen auch gar nicht die Natur dazu gegeben, daß Sie schießen sollten. Sie haben eine stattliche Figur, ein elegantes Auftreten: wie wollen Sie in den Sümpfen umherwaten, wenn das Kleidungsstück, das ich aus Anstandsrücksichten nicht nennen möchte, schon jetzt ausgelüftet werden muß? Was wird erst dann sein? Was Sie brauchen, ist Ruhe, Erholung.« (Wir haben schon oben erwähnt, daß Iwan Iwanowitsch ungewöhnlich schön sprechen konnte, wenn es galt, jemand zu überzeugen. Nein, wie er redete, Herrgott, wie er redete!) »Ja, ja, Ihnen stehen nur edle Handlungen an. Was meinen Sie, wie wär's, wenn Sie mir die Flinte geben würden?«

»Wie könnte ich! So eine teure Flinte! So eine ist für kein Geld mehr zu haben. Die stammt noch aus der Zeit, als ich in die Miliz eintreten wollte. Da habe ich sie von einem Tataren erstanden, und jetzt sollte ich sie so mir nichts dir nichts weggeben? Ich bitte Sie, das ist doch ein unentbehrliches Instrument.«

»Unentbehrlich? Wozu?«

»Wozu – wozu? Und wenn nun Räuber mein Haus überfallen! Ausgezeichnet! Nicht unentbehrlich! . . . Gottlob, jetzt bin ich ruhig und fürchte mich vor nichts; denn ich weiß, in meiner Kammer steht eine Flinte!«

»Eine nette Flinte, Iwan Nikiforowitsch, der Hahn ist ja total verdorben!«

»Was macht denn das? Und wenn der Hahn nun wirklich verdorben wäre! Man kann ihn doch reparieren lassen! Man muß ihn nur ein bißchen mit Hanföl einschmieren, damit er nicht rostet!«

»Nach Ihren Worten könnte man vermuten, daß Sie nicht die geringste Freundschaft für mich hegen, Iwan Nikiforowitsch. Sie wollen mir durchaus kein Zeichen Ihrer Sympathie geben?«

»Iwan Iwanowitsch, wie können Sie sagen, daß ich Ihnen kein Zeichen meiner Sympathie gebe. Schämen Sie sich! Ihre Ochsen weiden auf meiner Wiese, und ich habe sie noch nie zum Pflügen benutzt. Jedesmal, wenn Sie nach Poltawa fahren, bitten Sie mich um meinen Wagen, und habe ich es Ihnen je abgeschlagen? Ihre Kinder klettern über den Zaun, springen in meinen Garten und spielen mit meinen Hunden – und ich sage nichts; mögen sie doch spielen, solange sie nur nichts anrühren; mögen sie doch spielen . . .«

»Nun, wenn Sie mir Ihre Flinte durchaus nicht verehren wollen – so wollen wir tauschen.«

»Und was würden Sie mir dafür geben?« Bei diesen Worten stützte sich Iwan Nikiforowitsch auf seinen Arm und sah Iwan Iwanowitsch ins Gesicht.

»Ich würde Ihnen das braune Schwein dafür geben, das ich in meinem Stall gemästet habe. Eine großartige Sau! Passen Sie auf – im nächsten Jahre wirft sie Ihnen schon Ferkel.«

»Ich verstehe nicht, Iwan Iwanowitsch, wie Sie so sprechen können. Was soll ich mit Ihrem Schwein? Soll ich etwa dem Teufel ein Fest geben?«

»Schon wieder! Sie können nicht reden, ohne den Teufel anzurufen. Es ist eine Sünde, Iwan Nikiforowitsch, bei Gott, es ist eine Sünde!«

»Sie sind mir der Rechte, Iwan Iwanowitsch! Für eine Flinte bieten Sie mir weiß der Teufel was – eine Sau!«

»Warum ist eine Sau ›weiß der Teufel was‹, Iwan Nikiforowitsch?«

»Warum? Bitte urteilen Sie doch selbst: Eine Flinte – da weiß doch jeder, was das für ein Gegenstand ist – und Sie bieten mir weiß der Teufel was – eine Sau! Wären Sie es nicht, der mir diesen Vorschlag machte, ich könnte es wahrhaftig für eine Beleidigung halten.«

»Was finden Sie denn so Schlimmes an einem Schwein?«

»Ja, für was halten Sie mich denn eigentlich, daß ich ein Schwein . . .«

»Bitte setzen Sie sich, setzen Sie sich, ich rede nicht mehr davon. Behalten Sie Ihre Flinte; möge sie in irgendeinem Winkel Ihrer Kammer verrosten und verderben – ich rede kein Wort mehr davon.«

Hier trat eine lange Pause ein.

»Man spricht davon,« begann endlich Iwan Iwanowitsch, »daß drei Könige unserm Kaiser den Krieg erklärt haben.«

»Ja, Peter Fjodorowitsch erzählte mir davon. Was ist das für ein Krieg? Warum führt man ihn?«

»Das kann ich nicht genau sagen, Iwan Nikiforowitsch,« antwortete Iwan Iwanowitsch, »ich glaube, die Könige verlangen von uns, daß wir alle den türkischen Glauben annehmen sollen.«

»Sieh einer an, was die Narren ausgeheckt haben«, sagte Iwan Nikiforowitsch und hob den Kopf in die Höhe.

»Verstehen Sie? Der Kaiser aber hat ihnen den Krieg erklärt. Nehmt mal lieber selber den christlichen Glauben an! sagte er.«

»Was meinen Sie, Iwan Iwanowitsch, die Unsern werden sie doch besiegen?«

»Ganz sicher, Iwan Nikiforowitsch! Sie wollen mir also Ihre Flinte nicht eintauschen?«

»Ich bin wirklich erstaunt, Iwan Iwanowitsch, ich glaubte immer, Sie seien ein Mann von einer gewissen Bildung, und heute reden Sie wie ein Kind. Bin ich denn ein Narr?«

»Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen, Gott mit ihr, mag sie verrosten, ich sage kein Wort mehr.«

In diesem Augenblick wurde der Imbiß aufgetragen.

Iwan Iwanowitsch nahm einen Schnaps und aß einen Rahmkuchen dazu. »Hören Sie, Iwan Nikiforowitsch, ich gebe Ihnen außer dem Schwein noch zwei Säcke Hafer; Sie haben ja keinen gesät. Sie müssen also dieses Jahr sowieso welchen kaufen.«

»Bei Gott, Iwan Iwanowitsch, um mit Ihnen zu reden – muß man Erbsen gefressen haben.« (Das war noch gar nichts, Iwan Nikiforowitsch konnte noch ganz andere Sachen vom Stapel lassen.) »Wo in aller Welt ist es erhört, daß man eine Flinte für zwei Säcke Hafer eingetauscht hätte? Ihre Pekesche werden Sie mir wohl nicht anbieten, da bin ich sicher.«

»Sie vergessen, Iwan Nikiforowitsch, daß Sie noch das Schwein dazu bekommen.«

»Was, zwei Säcke Hafer und ein Schwein für eine Flinte?«

»Ist das vielleicht zu wenig?«

»Für eine Flinte?«

»Jawohl, für eine Flinte!«

»Zwei Säcke für eine Flinte?«

»Die Säcke sind doch nicht leer, sondern voll Hafer. Und das Schwein – das Schwein haben Sie vergessen?«

»Geben Sie doch Ihrem Schwein einen Kuß, ober wenn's Ihnen besser paßt: dem Teufel.«

»Weh dem, der mit Ihnen anbindet! Warten Sie ab, für solche gottlose Reden wird man Ihnen in jener Welt die Zunge mit glühenden Nadeln spicken! Wenn man mit Ihnen gesprochen hat, muß man sich wahrhaftig Kopf und Hände waschen und den ganzen Körper ausräuchern!«

»Gestatten Sie, Iwan Iwanowitsch, eine Flinte ist ein nobler Gegenstand, mit dem man sich aufs schönste unterhalten kann, und zugleich der angenehmste Zimmerschmuck . . .«

»Iwan Nikiforowitsch, Sie sprechen von Ihrer Flinte grad wie der Narr von seinem Futtersack«, sagte Iwan Iwanowitsch, der allmählich anfing, ärgerlich zu werden.

»Und Sie, Iwan Iwanowitsch, Sie sind ein rechter Gänserich!«

Hätte Iwan Nikiforowitsch nur gerade dies Wort nicht gebraucht, die beiden Freunde hätten sich gestritten und wären dann wie immer in aller Freundschaft geschieden; jetzt aber passierte etwas ganz anderes. Iwan Iwanowitsch wurde feuerrot. »Was haben Sie da gesagt, Iwan Nikiforowitsch?« fragte er mit erhobener Stimme.

»Ich sage, daß Sie einem Gänserich gleichen, Iwan Iwanowitsch.«

»Was wagen Sie, mein Herr! Sie vergessen allen Anstand, Sie vergessen alle Achtung, die Sie meinem Stande und meiner Familie schuldig sind! Wie können Sie es wagen, einen Menschen mit einem so schimpflichen Namen zu belegen?«

»Was ist denn Schimpfliches daran? Und was fuchteln Sie so mit den Händen, Iwan Iwanowitsch?«

»Ich wiederhole. Wie konnten Sie es wagen, den Anstand so gröblich zu verletzen und mich einen Gänserich zu nennen?«

»Ich huste Ihnen was, Iwan Iwanowitsch! Was gackern Sie denn so?«

Jetzt konnte sich Iwan Iwanowitsch nicht länger beherrschen. Seine Lippen zitterten, sein Mund verlor die gewöhnliche Form (aus dem V wurde ein O), er blinzelte so mit den Augenwimpern, daß einem angst und bange werden konnte. Das passierte Iwan Iwanowitsch äußerst selten, er mußte schon außerordentlich erzürnt sein. »So erkläre ich Ihnen hiermit,« rief Iwan Iwanowitsch, »von heute ab kenne ich Sie nicht mehr!«

»Großes Unglück! Bei Gott, das soll mir keine Träne auspressen«, antwortete Iwan Nikiforowitsch. – Aber er log, bei Gott, er log. Es tat ihm schrecklich leid.

»Ich werde nie wieder die Schwelle Ihres Hauses betreten!«

»Aha!« rief Iwan Nikiforowitsch; er wußte vor Verdruß nicht, was er tun sollte – und sprang ganz gegen seine Gewohnheit auf.

»Hallo, Alte.«

In der Tür erschienen das alte dürre Weib und ein kleiner Junge, der in einem großen langen Rock steckte und sich beständig darin verwickelte.

»Nehmen Sie Iwan Iwanowitsch bei der Hand und führen Sie ihn hinaus!«

»Was? Mich? Einen Edelmann?« rief Iwan Iwanowitsch voller Würde und Entrüstung. »Wagt es nur, in meine Nähe zu kommen. Ich vernichte euch samt eurem dummen Herrn. Und keine Krähe soll euer Grab finden!« (Iwan Iwanowitsch konnte sehr wuchtig sprechen, wenn er bis in die tiefste Seele erschüttert war.)

Die ganze Gruppe hatte etwas Imposantes an sich. In der Mitte des Zimmers stand Iwan Nikiforowitsch in seiner ganzen nackten Schönheit ohne jede Dekoration; dazu die Alte mit aufgerissenem Munde, einem dummen Gesicht und geängstigter Miene! Iwan Iwanowitsch aber stand da wie ein römischer Tribun mit erhobener Rechten – es war ein gewaltiger Augenblick, ein Schauspiel von wunderbarer Größe! Und doch war nur ein Zuschauer da: der Knabe in dem Uniformrock, der ruhig dastand und sich mit dem Finger die Nase putzte. Endlich ergriff Iwan Iwanowitsch seine Mütze. »Sie benehmen sich sehr vornehm, Iwan Nikiforowitsch, sehr vornehm. Ich werde es nicht vergessen.«

»Gehen Sie, Iwan Iwanowitsch, gehen Sie! Sehen Sie sich vor, daß Sie mir nicht in den Weg kommen, sonst . . . ich könnte Ihnen, Iwan Iwanowitsch . . . ich könnte Ihnen Ihre ganze Visage verbläuen!«

»Daraus mache ich mir soviel, Iwan Nikiforowitsch«, antwortete Iwan Iwanowitsch, drehte ihm eine lange Nase und warf die Türe ins Schloß. Man hörte sie jedoch sofort wieder knarren, sie öffnete sich, und Iwan Nikiforowitsch erschien in der Türöffnung. Er wollte noch etwas sagen – aber Iwan Iwanowitsch eilte davon, ohne sich umzusehen.

III.

Was nach dem Streit zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch geschah

So entzweiten sich die beiden Ehrenmänner, Mirgorods Stolz und Zierde; sie entzweiten sich – und warum? Wegen einer Kleinigkeit! Wegen eines Gänserichs! Sie mieden sich und brachen alle Beziehungen zueinander ab, sie, die doch früher als unzertrennliches Freundespaar gegolten hatten! Früher hatten sie jeden Tag zueinander geschickt und sich gegenseitig nach ihrem Befinden erkundigt, oder auf ihrem Balkon ausgestreckt miteinander geplaudert und sich so viel Angenehmes gesagt, daß es ein Vergnügen war, ihnen zuzuhören. Des Sonntags gingen sie oft – Iwan Iwanowitsch in seiner vornehmen Pekesche und Iwan Nikiforowitsch in seinem gelblich-braunen, leinenen Kosakenrock – Arm in Arm zur Kirche; und wenn Iwan Iwanowitsch, der sich durch sein scharfes Auge auszeichnete, zuerst eine Pfütze oder einen Schmutzhaufen auf der Straße erblickte – was auch in Mirgorod manchmal vorkommt –, dann sagte er immer zu Iwan Nikiforowitsch: »Geben Sie acht, bitte, treten Sie nicht hierher, hier ist etwas nicht ganz in Ordnung.« Aber auch Iwan Nikiforowitsch ließ es nicht an rührenden Freundschaftsdiensten fehlen. So weit entfernt er auch von Iwan Iwanowitsch stehen mochte, stets hielt er ihm die Dose hin und murmelte: »Bitte, bedienen Sie sich.« Und welch herrlichen Hausstand hatten beide! . . . Und diese beiden Freunde . . .! Als ich es erfuhr, war ich wie vom Blitz getroffen. Ich wollte es lange Zeit nicht glauben. Gerechter Gott! Iwan Iwanowitsch hat sich mit Iwan Nikiforowitsch entzweit! Diese Ehrenmänner! Was ist noch von Dauer auf dieser Erde?

Als Iwan Iwanowitsch nach Hause kam, war er in heftiger Erregung. Sonst ging er gewöhnlich in den Stall, um nachzusehen, ob die junge Stute auch ihr Heu fraß (Iwan Iwanowitsch hatte eine hellbraune Stute mit einem weißen Fleck auf der Stirn – ein reizendes Pferdchen), dann fütterte er eigenhändig die Truthühner und die Ferkel und ging endlich wieder ins Haus zurück, um Holzgeschirr zu schnitzen (er war äußerst geschickt und stellte die verschiedensten Gegenstände aus Holz her wie der gewandteste Drechsler), oder er las in einem Buche, das bei Ljubij, Gary und Popow gedruckt war (an den Titel erinnerte sich Iwan Iwanowitsch nicht mehr, die Dienstmagd hatte vor längerer Zeit die obere Hälfte des Titelblattes abgerissen und einem Kinde zu spielen gegeben), oder er legte sich unter das Schutzdach und ruhte aus. Heute aber tat er nichts von alledem. Im Gegenteil, er schalt Gapka, die ihm gerade entgegenkam, aus, weil sie müßig umherschlendere, obgleich sie Grütze nach der Küche trug, und warf einen Stock nach einem Hahn, der bis an die Treppe herangekommen war, um das gewohnte Futter in Empfang zu nehmen. Und als ihm der kleine schmutzige Junge im zerrissenen Hemdchen entgegenlief und »Papa, Papa, einen Kuchen« zu schreien begann, drohte er ihm mit dem Finger und stampfte so laut mit dem Fuße, daß der erschreckte Knabe sich schleunigst aus dem Staube machte.

Endlich besann er sich jedoch und nahm seine gewohnte Beschäftigung wieder auf. Er aß sehr spät zu Mittag, und es dämmerte schon, als er sich auf der Veranda zur Ruhe niederlegte. Die ausgezeichnete Rübensuppe mit Täubchen, die Gapka zubereitet hatte, verbannte die Ereignisse des Morgens vollständig aus seinem Gedächtnis.

Wieder begann Iwan Iwanowitsch mit Vergnügen nach allem zu sehen, was in seinem Haushalt vorging, und als seine Augen über des Nachbars Hof glitten, sagte er, wie im Selbstgespräch zu sich: »Heut war ich ja noch nicht bei Iwan Nikiforowitsch, ich muß doch mal rübergehn.« Hierauf nahm er seine Mütze und seinen Stock und ging auf die Straße, aber kaum hatte er das Haustor verlassen, als ihm sein Streit mit dem Nachbar einfiel. Ärgerlich spuckte er aus und ging wieder in das Haus hinein. Ein ähnlicher Vorgang spielte sich auf dem Hofe Iwan Nikiforowitschs ab. Iwan Iwanowitsch sah, wie die Alte schon den Fuß auf den Zaun setzte, um in seinen Hof zu klettern, als plötzlich Iwan Nikiforowitschs Stimme erscholl: »Zurück, zurück, es ist nicht nötig.« Iwan Iwanowitsch wurde sehr traurig. Es ist sehr möglich, daß sich die beiden Ehrenmänner schon am nächsten Tage wieder versöhnt hätten, wenn nicht ein ganz besonderes Ereignis im Hause Iwan Nikiforowitschs jede Hoffnung auf eine Einigung vernichtet und Öl in die schon verglimmende Flamme der Feindschaft gegossen hätte.

Am Abend dieses Tages kam Agafja Fedossejewna zu Iwan Nikiforowitsch. Agafja Fedossejewna war weder verwandt noch verschwägert mit Iwan Nikiforowitsch, sie war nicht einmal seine Gevatterin. Eigentlich hatte sie also gar keinen Grund, ihn zu besuchen, und er war auch nicht sonderlich erfreut über ihre Anwesenheit: aber nichtsdestoweniger kam sie öfters zu ihm und blieb mitunter einige Wochen und noch länger bei ihm. Dann nahm sie die Schlüssel und die ganze Wirtschaft unter ihre Obhut. Das war nun Iwan Nikiforowitsch sehr unangenehm, aber zum allgemeinen Erstaunen gehorchte er ihr wie ein Kind, und so oft er mit ihr in Streit geriet, zog er immer den kürzeren.

Ich muß gestehen, ich begreife es nicht, warum es in der Welt so eingerichtet ist, daß uns die Frauen so geschickt an der Nase zu packen wissen wie eine Teekanne am Henkel. Sind vielleicht ihre Hände besonders dazu geeignet, oder taugen unsere Nasen zu nichts anderem? Obschon Iwan Nikiforowitschs Nase eine große Ähnlichkeit mit einer Pflaume hatte, packte sie ihn doch an dieser Nase und zog ihn wie ein Hündchen hinter sich her. Während ihrer Anwesenheit veränderte er sogar unwillkürlich seine gewohnte Lebensweise: er lag nicht soviel in der Sonne, und wenn er es tat, nicht mehr nackt, sondern mit Hemd und Hosen bekleidet da, obwohl Agafja Fedossejewna gar keinen Wert darauf legte; sie liebte es, keine Umstände zu machen, und als Iwan Nikiforowitsch einmal das Fieber bekam, rieb sie ihn eigenhändig vom Kopf bis zu den Füßen mit Terpentin und Essig ein. Agafja trug eine Haube auf dem Kopfe, hatte drei Warzen auf der Nase, und ging in einem kaffeebraunen Morgenkleid mit gelben Blumen einher. Ihre Figur ähnelte einem Faß, und darum war es ebenso schwer, ihre Taille zu entdecken, wie ohne Spiegel seine eigene Nase zu sehen. Ihre Beinchen waren kurz und hatten die Form zweier Kissen. Des Morgens aß sie gesottene Rüben, sie verstand es, zu klatschen und meisterlich zu schimpfen, aber während all dieser mannigfaltigen Betätigungsweisen veränderte sich ihr Gesichtsausdruck nicht einen Augenblick – eine Erscheinung, die nur bei Frauen zu beobachten ist.

Seit sie angekommen war, ging alles drunter und drüber. »Iwan Nikiforowitsch, versöhne dich nicht mit ihm, bitte ihn nicht um Verzeihung, er will dich ins Unglück stürzen, das ist so ein Mensch! Du kennst ihn noch nicht!« Und das verdammte Weib schwatzte und lag ihm fortwährend in den Ohren, und die Folge war, daß Iwan Nikiforowitsch nichts mehr von Iwan Iwanowitsch wissen wollte.

Alles nahm jetzt ein anderes Aussehen an; wenn der Hund des Nachbarn auf den Hof kam, griff man zum ersten besten Gegenstand, den man in die Hand bekam, und verabfolgte ihm eine Tracht Prügel; wenn einmal ein Kind über den Zaun kletterte, kam es heulend zurück, hob das Hemdchen in die Höhe und zeigte die Striemen auf seinem Rücken; selbst die Alte betrug sich so unanständig, daß Iwan Iwanowitsch, dieser delikate Mensch, als er eines Tages eine Frage an sie richtete, nur auszuspucken vermochte, und vor sich hinmurmelte: »Ein widerliches Weib – die ist noch schlimmer als ihr Herr.«

Und endlich, um das Maß der Kränkungen vollzumachen, baute der verhaßte Nachbar, gegenüber Iwan Iwanowitschs Haus, gerade an der Stelle, wo man so bequem hinübersteigen konnte, einen Gänsestall, nur, um seine Beleidigung noch besonders zu verschärfen. Dieser für Iwan Iwanowitsch so peinliche Bau wurde mit geradezu diabolischer Schnelligkeit, im Laufe eines Tages, hergestellt.

Iwan Iwanowitschs Mut war grenzenlos, er sehnte sich nach Rache. Übrigens ließ er sich seinen Ärger nicht merken, obgleich der Stall sogar einen Teil seines Terrains einnahm. Aber sein Herz pochte so heftig, daß es ihm ungemein schwer fiel, die äußere Ruhe zu bewahren.

So verbrachte er den Tag, und die Nacht kam heran . . . Oh, wenn ich ein Maler wäre, – wie wollte ich die Herrlichkeit der Nacht auf die Leinwand bannen. Ich würde darstellen, wie ganz Mirgorod schläft, wie zahllose Sterne unbewegt herniederblicken, wie nahes und entfernteres Hundegebell die tiefe Stille durchbricht, wie der verliebte Küster heibeigelaufen kommt und mit ritterlicher Furchtlosigkeit über den Zaun klettert, wie die weißen Häuser im Mondschein noch viel weißer und die sie beschattenden Bäume noch viel dunkler erscheinen; schwärzer als sonst ruht der Schatten der Bäume auf der Erde, Blumen und Gräser beginnen stärker zu duften, und die Heimchen, diese unermüdlichen Ritter der Nacht, lassen von allen Seiten ihre schrillen Lieder erklingen. Ich würde darstellen, wie in einer der niedrigen Lehmhütten die schwarzgelockte Bewohnerin auf einsamem Lager hingestreckt, mit wogendem Busen von einem Husaren mit Sporen und Schnurrbart träumt, während die Strahlen des Mondes auf ihren Wangen spielen. Ich würde malen, wie der dunkle Schatten einer Fledermaus über den weißen Weg huscht und sich auf den weißen Schornsteinen der Stadt niederläßt. Allein Iwan Iwanowitsch zu malen, der in dieser Nacht mit der Säge in der Hand aus seinem Hause trat, das würde mir kaum gelingen. Zu zahlreich waren die Gefühle, die sich in seinem Antlitz spiegelten! Leise, ganz leise schlich er zum Gänsestall. Iwan Nikiforowitschs Hunde wußten noch nichts von dem Streit ihrer Herren und erlaubten ihm daher als einem alten Freunde, dicht an den Stall heranzuschleichen, der auf vier Eichenpfählen stand. Als er sich an den einen Pfosten herangedrängt hatte, legte er die Säge an und begann zu sägen. Der Lärm, den die Säge verursachte, zwang ihn, sich in einem fort umzusehen, aber der Gedanke an die erlittene Schmach gab ihm immer wieder neuen Mut. Der erste Pfahl war durchgesägt, und Iwan Iwanowitsch machte sich an den zweiten. Seine Augen brannten, und vor Angst vermochte er nichts zu sehen. Plötzlich schrie Iwan Iwanowitsch auf, er erstarrte und glaubte einen Leichnam vor sich zu sehen, aber er ermannte sich bald wieder, als er sah, daß es nur eine Gans war, die den Hals nach ihm ausstreckte. Ärgerlich spuckte Iwan Iwanowitsch aus und setzte seine Arbeit fort. Der zweite Pfahl war durchgesägt, – der Bau erzitterte. Als Iwan Iwanowitsch den dritten Pfosten in Angriff nahm, schlug sein Herz so heftig, daß er seine Arbeit einige Male unterbrechen mußte. Schon war mehr als die Hälfte des Pfahles durchgesägt, als plötzlich das ganze schwankende Gebäude zu erzittern begann – Iwan Iwanowitsch hatte kaum Zeit, beiseite zu springen, – da stürzte es auch schon krachend zusammen. Die Säge krampfhaft in der Hand haltend, lief er tödlich erschreckt in sein Haus und warf sich auf sein Bett; er hatte nicht den Mut, vom Fenster aus die Folgen seiner furchtbaren Tat zu beobachten. Ihm schien, als ob alle Knechte und Mägde Iwan Nikiforowitschs sich versammelt hätten – das alte Weib, Iwan Nikiforowitsch, der Junge in dem unendlichen Rock, sie alle kamen mit Keulen bewaffnet und von Agafja Fedossejewna geführt, heran, um sein Haus zu zertrümmern.

Den ganzen folgenden Tag brachte Iwan Iwanowitsch wie im Fieber zu. Er glaubte, daß seine verhaßten Gegner ihm aus Rache mindestens das Haus anzünden würden, und daher befahl er Gapka in einemfort, überall nachzusehen, ob nicht irgendwo trockenes Stroh herumliege. Um jeder Gefahr vorzubeugen, beschloß er endlich, Iwan Nikiforowitsch zuvorzukommen und beim Mirgoroder Kreisgericht eine Klage gegen ihn einzureichen. Worin diese Klage bestand, – das kann der Leser aus dem nächsten Kapitel erfahren.


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