Johann Nikolaus Götz
Die Gedichte Anakreons und der Sappho Oden
Johann Nikolaus Götz

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Die Oden der Sappho.

I.
Lobgesang auf die Venus.

Königin von vielen Thronen,
O unsterbliche Cythere,
    Kind des Zevs, das uns bestrickt!
Siehe, wie ich kniend bitte:
O verehrungswerthe Göttin,
    Quäle mich mit Kummer nicht.
                        *
Komme, wenn du je gekommen,Der Herr Le-Fevre hat diese zwote Strophe im Anfange also verbessert:
      Ἀλλα τῇ δ' ἐλϑ' ἄυποτε. Καδ' δ' ἔρωτα
      Τᾶς ἐμᾶς ἀιδᾶς ἄϊ, σὺ πολλακ'
      Ἔκλυες.

Und erhöre meine Bitte,
    Wie du sonst so oft gethan;
Da du den Pallast des Vaters,
Der von Golde stralt, verliesest,
    Und auf deinen Wagen stiegst. 208
                        *
Niedliche geschwinde Spatzen
Zogen ihn mit schwarzen Flügeln,
    Die sie rasch bewegeten,
Vom Olympus durch die Lüfte;
Kehrten aber schnell zurüke,
    Wenn sie dich hieher gebracht.
                        *
Aber du, beglükte Göttin,
Wandtst auf mich dein himmlisch Antliz,
    Lächeltest, und fragtest mich:
Was ich schmerzlichs ausgestanden,
Und was mich bewogen hätte,
    Deinen Beystand anzuflehn.
                        *
Was verlangt, o meine Sappho,
Dein so abgehärmtes Herze?
    Sprachestu mit Freundlichkeit:
Wen willstu mit Schmeichelreden?
Wen im Liebesnetze fangen?Nach eben desselben Lesart:
          -     -     τίνα δ' αὖτε πείϑω
      Κὰι σαγήνευσ' ἂν φιλότητα.

    Sage doch, wer kränket dich? 209
                        *
Flieht er dich: er soll dich suchen.
Nicht von dir Geschenke nehmen;
    Aber dich damit erfreun!
Hat er dich noch nicht geliebet:
Auf der Stelle soll er lieben,
    Und nach deinem Willen thun!
                        *
O so komm auch, holde Göttin,
Itzo wieder! komm und ziehe
    Deine Freundin, die dir ruft,
Aus des Kummers schwerem Arme,
Der sie zu erdrücken strebet!
    Hilf mir: streite neben mir!Dionys von Halikarnaß hat uns in seinem Buche de Structura nominum diesen Lobgesang aufbehalten, und durch einige Betrachtungen über die Sprache desselben gezeigt, daß Sappho, wegen des Wohlklanges, der Zärtlichkeit, der sanften Glut und Anmuth ihrer Verse, den Nahmen einer zehnten Muse verdienet, und durch dieß Lied ihr Andenken länger erhalten habe, als die Münzen, worauf ihre Vaterstadt sie zu verewigen gesuchet, thun können.
    Die Art, womit Sappho die Venus anredet, ist so demüthig, einnehmend und schmeichlerisch; die Beschreibung des Aufzugs der Göttin so edel und voll Pracht; die Vorstellung ihres gnädigen Bezeigens so holdseelig, und süße; der Dichterin Gebeth so feurig und herzlich, daß es alle Leser empfinden müssen. Auch hat die Frau Dacier wohl angemerkt, daß nichts einen vortheilhaftern Begrif von der Sappho machen kann, als die sinnreiche Dichtung, daß Venus, so oft sie sie besuchet, Wagen und Gespann zurücke schicke, weil sie weiß, ihre Gesellschaft sey so angenehm, daß man sich ohnmöglich so gleich davon losreissen könne.
    Sonsten bedaure ich, daß diese, wie die folgende Ode unter den Händen der Kunstrichter und Abschreiber so sehr mißhandelt worden. Wer des Voßius [In seinem Catull, über dessen 48tes Gedicht: Ille mi par esse Deo videtur.] und Baxters Noten gelesen, wird erstaunen, wie man geändert, abgeschnitten, hinzugethan, versetzt, den Aeolismus ausgemerzt, und sich Freyheiten herausgenommen, welche die ächte Kritik niemahls verstatten können. Ohne die alten Manuscripte zum Leitfaden zu nehmen, ists ohnmöglich, aus dem Labyrinthe so vieler Variantium glücklich heraus zu kommen.
212

 

II.
An ihre Freundin.

Wie Götter glücklich, scheinet mir der Jüngling,
Dem du vergönnest, stets vor dir zu sitzen;
Der deine süse Stimme hört; dem alle
            Begierden erwachen,
Wenn du ihm lächelst.Ein Liederdichter aus den Zeiten der schwäbischen Kayser [Chunzo von Rosenberg] hat gewußt, was ein solches Lächeln auf sich hat.
      So si in einest angelachet,
      So das es von herzen gat,
      So ist sin drizec jahric leit
                Mit liebe hin.
Dieß wühlt mir das Herze
Im innern Grund auf. Augenblicklich, wenn ich
Mein Licht, dich sehe, tritt mir Sprach und Rede
            Vom Schlunde zurücke.Ein anderer hat dieß Verstummen bey Erblickung der Geliebten also sehr natürlich ausgedrückt:

      Ich unverdahlter man,
      War tuon ich wort, war tuon ich sinne,
      Swanne ich bi der Schonen bin,
      Das ich nicht recht reden kan.
      So gar verstummet mich ir minne
      Das ich bin gar ohne sin.
      Swanne ich sprechen soll ze not
      So kan ich barle kleine des mich vromme.
      So wird ich blug von schame rot.
      Darnach besunder
      Kan ich wunder,
      Swanne ich von ihr kumme.

Sappho litt eine beschwerliche Ohnmacht, so oft sie ihre Geliebte sah; der von Trosberg [Gleichfalls ein alter deutscher Minnesinger.] aber gerieth in die holdeste Entzückung. Ein heutiger Dichter hat seine Worte nachgeschildert:

      Daphne muß den Sieg gewinnen!
      Himmel, ach! als ich sie sah,
      Wollte mir die Seel entrinnen,
      Und entzücket stand ich da.
      Wer kann ein Gesicht so schön,
      Und so holdes Lächeln sehn,
      Und nicht ganz entzücket stehn!

Watteau[Ein französischer Mahler, der die Schönen gern verschönerte, und im Holden, und Angenehmen eben das war, was Teniëres im Grotesken gewesen.] könnte sie nicht mahlen.

      Ihres Mundes rother Schein
      Sandte gleichsam warme Strahlen
      In mein kaltes Herz hinein.
      Und es ward so freudenreich,
      Als thät ich auf sie zugleich
      Einen Blick ins Himmelreich.

Longin bewies durch diese Ode der Sappho, daß eine geschickte Wahl und Verbindung der Umstände die Rede erhaben machen könne. Er sagt also: »bewunderstu nicht, wie Sappho bey einer einzigen Sache die Seele, den Leib, das Gehör, die Zunge, die Augen, die Farbe mit einmahl herzuhohlet, als ob es so viele verschiedene Personen wären, die gleich den Athem ausblasen wollten? Von was für widrigen Bewegungen wird sie nicht zugleich eingenommen? Sie frieret, ihr ist heiß, sie ist thöricht, sie ist klug, sie ist entweder ganz auser sich, oder sie ist beynahe todt. Kurz: man könnte sagen, sie wäre nicht von einer Leidenschaft allein eingenommen, sondern ihr Herz wäre ein rechter Kampf- und Sammelplaz [συνόδος] aller Leidenschaften. Und dieses begegnet den Verliebten in der That. Du siehest also, daß hier eine kluge Wahl, und geschickte Verbindung der Umstände das Erhabene zuwege gebracht habe.
    Uebrigens gestehe ich, daß folgende Uebersetzung eines Ungenannten von dieser sapphischen Ode, so schön ist, daß die Meinige ganz entbehrlich gewesen. Ich kann nicht angenehmer schliesen, als mit ihr:

      Der ist den Göttern gleich zu schätzen,
      Der sich dir ins Gesichte setzen,
          Die Stimme, die so süse klingt,
          Das Lächeln, das die Seele zwingt,
          Recht hören, und betrachten kann.

      Dies dringt mir oft durch Herz und Sinne;
      Und wenn ich dich zu sehn beginne,
          Erstickt die Rede in dem Schlunde,
          Die Zunge stirbt mir in dem Munde,
          Die Glut durchläuft mir Mark und Bein.

      Mein Auge hat sein Licht verlohren;
      Ein Brausen fällt mir vor die Ohren;
          Ich schwitze kalt; die Glieder beben;
          Die Farbe welkt; bald geht das Leben
          Mir vollend mit dem Odem aus.

Die Zung erstirbt mir; scharfe Flammen rinnen
Durch mein Gebein durch; Finsternisse decken
Mein Augenlichter; und der Ohren Drommeln
            Erklingen von selbsten. 213
Eiskalter Angstschweis flieset aus mir; Zittern
Ergreift mich; bläßer werd ich, als verwelktes
Weinlaub, und scheine, weil kein Puls mehr hüpfet,
            Der Parce verfallen.

 


 


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