Johann Wolfgang von Goethe
Reineke Fuchs
Johann Wolfgang von Goethe

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Sechster Gesang

   

So gelangte Reineke wieder zur Gnade des Königs.
Und es trat der König hervor auf erhabene Stätte,
Sprach vom Steine herab und hieß die sämtlichen Tiere
Stille schweigen; sie sollten ins Gras nach Stand und Geburt sich
Niederlassen. Und Reineke stand an der Königin Seite;
Aber der König begann mit großem Bedachte zu sprechen:

Schweiget und höret mich an, zusammen Vögel und Tiere,
Arm' und Reiche, höret mich an, ihr Großen und Kleinen,
Meine Baronen und meine Genossen des Hofes und Hauses!
Reineke steht hier in meiner Gewalt; man dachte vor kurzem,
Ihn zu hängen, doch hat er bei Hofe so manches Geheimnis
Dargetan, daß ich ihm glaube und wohlbedächtlich die Huld ihm
Wieder schenke. So hat auch die Königin, meine Gemahlin,
Sehr gebeten für ihn, so daß ich ihm günstig geworden,
Mich ihm völlig versöhnet und Leib und Leben und Güter
Frei ihm gegeben. Es schützt ihn fortan und schirmt ihn mein Friede;
Nun sei allen zusammen bei Leibesleben geboten:
Reineken sollt ihr überall ehren mit Weib und mit Kindern,
Wo sie euch immer bei Tag oder Nacht künftig begegnen.
Ferner hör ich von Reinekens Dingen nicht weitere Klage;
Hat er Übels getan, so ist es vorüber; er wird sich
Bessern und tut es gewiß. Denn morgen wird er beizeiten
Stab und Ränzel ergreifen, als frommer Pilger nach Rom gehn
Und von dannen über das Meer; auch kommt er nicht wieder,
Bis er vollkommenen Ablaß der sündigen Taten erlangt hat.

Hinze wandte sich drauf zu Braun und Isegrim zornig:
Nun ist Mühe und Arbeit verloren! so rief er: o wär ich
Weit von hier! Ist Reineke wieder zu Gnaden gekommen,
Braucht er jegliche Kunst, uns alle drei zu verderben.
Um ein Auge bin ich gebracht, ich fürchte fürs andre!

Guter Rat ist teuer, versetzte der Braune: das seh ich.
Isegrim sagte dagegen: Das Ding ist seltsam! wir wollen
Grad zum Könige gehn. Er trat verdrießlich mit Braunen
Gleich vor König und Königin auf, sie redeten vieles
Wider Reineken, redeten heftig; da sagte der König:
Hörtet Ihrs nicht? Ich hab ihn aufs neue zu Gnaden empfangen.
Zornig sagt' es der König und ließ im Augenblick beide
Fahen, binden und schließen; denn er gedachte der Worte,
Die er von Reineken hatte vernommen, und ihres Verrates.

So veränderte sich in dieser Stunde die Sache
Reinekens völlig. Er machte sich los, und seine Verkläger
Wurden zuschanden; er wußte sogar es tückisch zu lenken,
Daß man dem Bären ein Stück von seinem Felle herabzog,
Fußlang, fußbreit, daß auf die Reise daraus ihm ein Ränzel
Fertig würde; so schien zum Pilger ihm wenig zu fehlen.
Aber die Königin bat er, auch Schuh ihm zu schaffen, und sagte:
Ihr erkennt mich, gnädige Frau, nun einmal für Euren
Pilger; helfet mir nun, daß ich die Reise vollbringe.
Isegrim hat vier tüchtige Schuhe, da wär es wohl billig,
Daß er ein Paar mir davon zu meinem Wege verließe;
Schafft mir sie, gnädige Frau, durch meinen Herren, den König.
Auch entbehrte Frau Gieremund wohl ein Paar von den ihren,
Denn als Hausfrau bleibt sie doch meist in ihrem Gemache.

Diese Forderung fand die Königin billig. Sie können
Jedes wahrlich ein Paar entbehren! sagte sie gnädig.
Reineke dankte darauf und sagte mit freudiger Beugung:
Krieg ich doch nun vier tüchtige Schuhe, da will ich nicht zaudern.
Alles Guten, was ich sofort als Pilger vollbringe,
Werdet Ihr teilhaft gewiß, Ihr und mein gnädiger König.
Auf der Wallfahrt sind wir verpflichtet, für alle zu beten,
Die uns irgend geholfen. Es lohne Gott Euch die Milde!

An den vorderen Füßen verlor Herr Isegrim also
Seine Schuhe bis an die Knorren; desgleichen verschonte
Man Frau Gieremund nicht, sie mußte die hintersten lassen.

So verloren sie beide die Haut und Klauen der Füße,
Lagen erbärmlich mit Braunen zusammen und dachten zu sterben;
Aber der Heuchler hatte die Schuh und das Ränzel gewonnen,
Trat herzu und spottete noch besonders der Wölfin:
Liebe, Gute! sagt' er zu ihr: da sehet, wie zierlich
Eure Schuhe mir stehn, ich hoffe, sie sollen auch dauern.
Manche Mühe gabt Ihr Euch schon zu meinem Verderben,
Aber ich habe mich wieder bemüht; es ist mir gelungen.
Habt Ihr Freude gehabt, so kommt nun endlich die Reihe
Wieder an mich; so pflegt es zu gehn, man weiß sich zu fassen.
Wenn ich nun reise, so kann ich mich täglich der lieben Verwandten
Dankbar erinnern; Ihr habt mir die Schuhe gefällig gegeben,
Und es soll Euch nicht reuen; was ich an Ablaß verdiene,
Teil ich mit Euch, ich hol ihn zu Rom und über dem Meere.

Und Frau Gieremund lag in großen Schmerzen, sie konnte
Fast nicht reden, doch griff sie sich an und sagte mit Seufzen:
Unsre Sünden zu strafen, läßt Gott Euch alles gelingen.
Aber Isegrim lag und schwieg mit Braunen zusammen;
Beide waren elend genug, gebunden, verwundet
Und vom Feinde verspottet. Es fehlte Hinze, der Kater;
Reineke wünschte so sehr, auch ihm das Wasser zu wärmen.

Nun beschäftigte sich der Heuchler am anderen Morgen,
Gleich die Schuhe zu schmieren, die seine Verwandten verloren,
Eilte, dem Könige noch sich vorzustellen, und sagte:
Euer Knecht ist bereit, den heiligen Weg zu betreten;
Eurem Priester werdet Ihr nun in Gnaden befehlen,
Daß er mich segne, damit ich von hinnen mit Zuversicht scheide,
Daß mein Ausgang und Eingang gebenedeit sei! So sprach er.
Und es hatte der König den Widder zu seinem Kaplane;
Alle geistlichen Dinge besorgt er, es braucht ihn der König
Auch zum Schreiber, man nennt ihn Bellyn. Da ließ er ihn rufen,
Sagte: Leset sogleich mir etliche heilige Worte
Über Reineken hier, ihn auf die Reise zu segnen,
Die er vorhat; er gehet nach Rom und über das Wasser.
Hänget das Ränzel ihm um und gebt ihm den Stab in die Hände.
Und es erwiderte drauf Bellyn: Herr König, Ihr habet,
Glaub ich, vernommen, daß Reineke noch vom Banne nicht los ist.
Übels würd ich deswegen von meinem Bischof erdulden,
Der es leichtlich erfährt und mich zu strafen Gewalt hat.
Aber ich tue Reineken selbst nichts Grades noch Krummes.
Könnte man freilich die Sache vermitteln, und sollt es kein Vorwurf
Mir beim Bischof, Herrn Ohnegrund, werden, zürnte nicht etwa
Mir darüber der Propst, Herr Losefund, oder der Dechant
Rapiamus, ich segnet ihn gern nach Eurem Befehle.

Und der König versetzte: Was soll das Reimen und Reden?
Viele Worte laßt Ihr uns hören und wenig dahinter.
Leset Ihr über Reineke mir nicht Grades noch Krummes,
Frag ich den Teufel darnach! Was geht mich der Bischof im Dom an?
Reineke macht die Wallfahrt nach Rom, und wollt Ihr das hindern?

Ängstlich kraute Bellyn sich hinter den Ohren; er scheute
Seines Königes Zorn und fing sogleich aus dem Buch an
Über den Pilger zu lesen, doch dieser achtet' es wenig.
Was es mochte, half es denn auch; das kann man sich denken.
Und nun war der Segen gelesen, da gab man ihm weiter
Ränzel und Stab, der Pilger war fertig; so log er die Wallfahrt.
Falsche Tränen liefen dem Schelmen die Wangen herunter
Und benetzten den Bart, als fühlt' er die schmerzlichste Reue.
Freilich schmerzt' es ihn auch, daß er nicht alle zusammen,
Wie sie waren, ins Unglück gebracht und drei nur geschändet.
Doch er stand und bat, sie möchten alle getreulich
Für ihn beten, so gut sie vermöchten. Er machte nun Anstalt,
Fortzueilen, er fühlte sich schuldig und hatte zu fürchten.
Reineke, sagte der König: Ihr seid mir so eilig! Warum das? –
Wer was Gutes beginnt, soll niemals weilen, versetzte
Reineke drauf: ich bitt Euch um Urlaub, es ist die gerechte
Stunde gekommen, gnädiger Herr, und lasset mich wandern.
Habet Urlaub! sagte der König, und also gebot er
Sämtlichen Herren des Hofes, dem falschen Pilger ein Stückchen
Weges zu folgen und ihn zu begleiten. Es lagen indessen
Braun und Isegrim, beide gefangen, in Jammer und Schmerzen.

Und so hatte denn Reineke wieder die Liebe des Königs
Völlig gewonnen und ging mit großen Ehren von Hofe,
Schien mit Ränzel und Stab nach dem Heiligen Grabe zu wallen,
Hatt er dort gleich so wenig zu tun, als ein Maibaum in Aachen.
Ganz was anders führt' er im Schilde. Nun war ihm gelungen,
Einen flächsenen Bart und eine wächserne Nase
Seinem König zu drehen; es mußten ihm alle Verkläger
Folgen, da er nun ging, und ihn mit Ehren begleiten.
Und er konnte die Tücke nicht lassen und sagte noch scheidend:
Sorget, gnädiger Herr, daß Euch die beiden Verräter
Nicht entgehen, und haltet sie wohl im Kerker gebunden.
Würden sie frei, sie ließen nicht ab mit schändlichen Werken.
Eurem Leben drohet Gefahr, Herr König, bedenkt es!

Und so ging er dahin mit stillen, frommen Gebärden,
Mit einfältigem Wesen, als wüßt ers eben nicht anders.
Drauf erhub sich der König zurück zu seinem Palaste,
Sämtliche Tiere folgten dahin. Nach seinem Befehle
Hatten sie Reineken erst ein Stückchen Weges begleitet;
Und es hatte der Schelm sich ängstlich und traurig gebärdet,
Daß er manchen gutmütigen Mann zum Mitleid bewegte.
Lampe, der Hase, besonders war sehr bekümmert. Wir sollen,
Lieber Lampe, sagte der Schelm: und sollen wir scheiden?
Möcht es Euch und Bellyn, dem Widder, heute belieben,
Meine Straße mit mir noch ferner zu wandeln! Ihr würdet
Mir durch eure Gesellschaft die größte Wohltat erzeigen.
Ihr seid angenehme Begleiter und redliche Leute,
Jedermann redet nur Gutes von euch, das brächte mir Ehre;
Geistlich seid ihr und heiliger Sitte. Ihr lebet gerade,
Wie ich als Klausner gelebt. Ihr laßt euch mit Kräutern begnügen,
Pfleget mit Laub und Gras den Hunger zu stillen, und fraget
Nie nach Brot oder Fleisch, noch andrer besonderer Speise.
Also konnt er mit Lob der beiden Schwäche betören;
Beide gingen mit ihm zu seiner Wohnung und sahen
Malepartus, die Burg, und Reineke sagte zum Widder:
Bleibet hieraußen, Bellyn, und laßt die Gräser und Kräuter
Nach Belieben Euch schmecken; es bringen diese Gebirge
Manche Gewächse hervor, gesund und guten Geschmackes.
Lampen nehm ich mit mir; doch bittet ihn, daß er mein Weib mir
Trösten möge, die schon sich betrübt; und wird sie vernehmen,
Daß ich nach Rom als Pilger verreise, so wird sie verzweifeln.
Süße Worte brauchte der Fuchs, die zwei zu betrügen.
Lampen führt' er hinein, da fand er die traurige Füchsin
Liegen neben den Kindern, von großer Sorge bezwungen:
Denn sie glaubte nicht mehr, daß Reineke sollte von Hofe
Wiederkehren. Nun sah sie ihn aber mit Ränzel und Stabe;
Wunderbar kam es ihr vor, und sagte: Reinhart, mein Lieber,
Saget mir doch, wie ists Euch gegangen? Was habt Ihr erfahren?
Und er sprach: Schon war ich verurteilt, gefangen, gebunden,
Aber der König bezeigte sich gnädig, befreite mich wieder,
Und ich zog als Pilger hinweg; es blieben zu Bürgen
Braun und Isegrim beide zurück. Dann hat mir der König
Lampen zur Sühne gegeben, und was wir nur wollen, geschieht ihm.
Denn es sagte der König zuletzt mit gutem Bescheide:
Lampe war es, der dich verriet. So hat er wahrhaftig
Große Strafe verdient und soll mir alles entgelten.
Aber Lampe vernahm erschrocken die drohenden Worte,
War verwirrt und wollte sich retten und eilte, zu fliehen.
Reineke schnell vertrat ihm das Tor, es faßte der Mörder
Bei dem Halse den Armen, der laut und gräßlich um Hilfe
Schrie: O helfet, Bellyn! Ich bin verloren! Der Pilger
Bringt mich um! Doch schrie er nicht lange: denn Reineke hatt ihm
Bald die Kehle zerrissen. Und so empfing er den Gastfreund.
Kommt nun, sagt' er: und essen wir schnell, denn fett ist der Hase,
Guten Geschmackes. Er ist wahrhaftig zum erstenmal etwas
Nütze, der alberne Geck; ich hatt es ihm lange geschworen.
Aber nun ist es vorbei, nun mag der Verräter verklagen!
Reineke machte sich dran mit Weib und Kindern, sie pflückten
Eilig dem Hasen das Fell und speisten mit gutem Behagen.

Köstlich schmeckt' es der Füchsin, und einmal über das andre:
Dank sei König und Königin! rief sie: wir haben durch ihre
Gnade das herrliche Mahl, Gott mög es ihnen belohnen!
Esset nur, sagte Reineke, zu! es reichet für diesmal;
Alle werden wir satt, und mehreres denk ich zu holen:
Denn es müssen doch alle zuletzt die Zeche bezahlen,
Die sich an Reineken machen und ihm zu schaden gedenken.

Und Frau Ermelyn sprach: Ich möchte fragen, wie seid Ihr
Los und ledig geworden? Ich brauchte, sagt' er dagegen,
Viele Stunden, wollt ich erzählen, wie fein ich den König
Umgewendet und ihn und seine Gemahlin betrogen.
Ja, ich leugn es Euch nicht, es ist die Freundschaft nur dünne
Zwischen dem König und mir und wird nicht lange bestehen.
Wenn er die Wahrheit erfährt, er wird sich grimmig entrüsten.
Kriegt er mich wieder in seine Gewalt, nicht Gold und nicht Silber
Könnte mich retten, er folgt mir gewiß und sucht mich zu fangen.
Keine Gnade darf ich erwarten, das weiß ich am besten;
Ungehangen läßt er mich nicht, wir müssen uns retten.

Laßt uns nach Schwaben entfliehn! dort kennt uns niemand; wir halten
Uns nach Landes Weise daselbst. Hilf Himmel! es findet
Süße Speise sich da und alles Guten die Fülle:
Hühner, Gänse, Hasen, Kaninchen und Zucker und Datteln,
Feigen, Rosinen und Vögel von allen Arten und Größen;
Und man bäckt im Lande das Brot mit Butter und Eiern.
Rein und klar ist das Wasser, die Luft ist heiter und lieblich,
Fische gibt es genug, die heißen Gallinen, und andre
Heißen Pullus und Gallus und Anas, wer nennte sie alle?
Das sind Fische nach meinem Geschmack! Da brauch ich nicht eben
Tief ins Wasser zu tauchen; ich hab sie immer gegessen,
Da ich als Klausner mich hielt. Ja, Weibchen, wollen wir endlich
Friede genießen, so müssen wir hin, Ihr müßt mich begleiten.

Nun versteht mich nur wohl: es ließ mich diesmal der König
Wieder entwischen, weil ich ihm log von seltenen Dingen.
König Emmerichs herrlichen Schatz versprach ich zu liefern;
Den beschrieb ich, er läge bei Krekelborn. Werden sie kommen,
Dort zu suchen, so finden sie leider nicht dieses, noch jenes,
Werden vergeblich im Boden wühlen, und siehet der König
Dergestalt sich betrogen, so wird er schrecklich ergrimmen.
Denn was ich für Lügen ersann, bevor ich entwischte,
Könnt Ihr denken; fürwahr, es ging zunächst an den Kragen!
Niemals war ich in größerer Not, noch schlimmer geängstigt,
Nein! ich wünsche mir solche Gefahr nicht wiederzusehen.
Kurz, es mag mir begegnen, was will, ich lasse mich niemals
Wieder nach Hofe bereden, um in des Königs Gewalt mich
Wieder zu geben; es brauchte wahrhaftig die größte Gewandtheit,
Meinen Daumen mit Not aus seinem Munde zu bringen.

Und Frau Ermelyn sagte betrübt: Was wollte das werden?
Elend sind wir und fremd in jedem anderen Lande;
Hier ist alles nach unserm Begehren. Ihr bleibet der Meister
Eurer Bauern. Und habt Ihr ein Abenteuer zu wagen
Denn so nötig? Fürwahr, um Ungewisses zu suchen,
Das Gewisse zu lassen, ist weder rätlich noch rühmlich.
Leben wir hier doch sicher genug! Wie stark ist die Feste!
Überzög uns der König mit seinem Heere, belegt' er
Auch die Straße mit Macht, wir haben immer so viele
Seitentore, so viel geheime Wege, wir wollen
Glücklich entkommen. Ihr wißt es ja besser, was soll ich es sagen?
Uns mit Macht und Gewalt in seine Hände zu kriegen,
Viel gehörte dazu. Es macht mir keine Besorgnis.
Aber daß Ihr über das Meer zu gehen geschworen,
Das betrübt mich. Ich fasse mich kaum. Was könnte das werden!

Liebe Frau, bekümmert Euch nicht! versetzte dagegen
Reineke, höret mich an und merket: besser geschworen,
Als verloren! So sagte mir einst ein Weiser im Beichtstuhl:
Ein gezwungener Eid bedeute wenig. Das kann mich
Keinen Katzenschwanz hindern! Ich meine den Eid, versteht nur.
Wie Ihr gesagt habt, soll es geschehen. Ich bleibe zu Hause.
Wenig hab ich fürwahr in Rom zu suchen, und hätt ich
Zehen Eide geschworen, so wollt ich Jerusalem nimmer
Sehen; ich bleibe bei Euch und hab es freilich bequemer;
Andrer Orten find ichs nicht besser, als wie ich es habe.
Will mir der König Verdruß bereiten, ich muß es erwarten,
Stark und zu mächtig ist er für mich: doch kann es gelingen,
Daß ich ihn wieder betöre, die bunte Kappe mit Schellen
Über die Ohren ihm schiebe, da soll ers, wenn ichs erlebe,
Schlimmer finden, als er es sucht. Das sei ihm geschworen!

Ungeduldig begann Bellyn am Tore zu schmälen:
Lampe, wollt Ihr nicht fort? So kommt doch! lasset uns gehen!
Reineke hört' es und eilte hinaus und sagte: Mein Lieber,
Lampe bittet Euch sehr, ihm zu vergeben, er freut sich
Drin mit seiner Frau Muhme, das werdet Ihr, sagt er, ihm gönnen.
Gehet sachte voraus. Denn Ermelyn, seine Frau Muhme,
Läßt ihn sobald nicht hinweg; Ihr werdet die Freude nicht stören.

Da versetzte Bellyn: Ich hörte schreien, was war es?
Lampen hört ich; er rief mir: Bellyn, zu Hilfe! zu Hilfe!
Habt Ihr im etwas Übels getan? Da sagte der kluge
Reineke: Höret mich recht! Ich sprach von meiner gelobten
Wallfahrt; da wollte mein Weib darüber völlig verzweifeln,
Es befiel sie ein tödlicher Schrecken, sie lag uns in Ohnmacht.
Lampe sah das und fürchtete sich, und in der Verwirrung
Rief er: Helfet, Bellyn! Bellyn! o säumet nicht lange,
Meine Muhme wird mir gewiß nicht wieder lebendig!
Soviel weiß ich, sagte Bellyn: er hat ängstlich gerufen.
Nicht ein Härchen ist ihm verletzt, verschwor sich der Falsche;
Lieber möchte mir selbst als Lampen was Böses begegnen.
Hörtet Ihr? sagte Reineke drauf: es bat mich der König
Gestern, käm ich nach Hause, da sollt ich in einigen Briefen
Über wichtige Sachen ihm meine Gedanken vermelden.
Lieber Neffe, nehmet sie mit, ich habe sie fertig.
Schöne Dinge sag ich darin und rat ihm das Klügste.
Lampe war über die Maßen vergnügt, ich hörte mit Freuden
Ihn mit seiner Frau Muhme sich alter Geschichten erinnern.
Wie sie schwatzten! sie wurden nicht satt! Sie aßen und tranken,
Freuten sich übereinander; indessen schrieb ich die Briefe.

Lieber Reinhart, sagte Bellyn: Ihr müßt nur die Briefe
Wohl verwahren; es fehlt, sie einzustecken, ein Täschchen.
Wenn ich die Siegel zerbräche, das würde mir übel bekommen.
Reineke sagte: Das weiß ich zu machen. Ich denke, das Ränzel,
Das ich aus Braunens Felle bekam, wird eben sich schicken,
Es ist dicht und stark, darin verwahr ich die Briefe.
Und es wird Euch dagegen der König besonders belohnen;
Er empfängt Euch mit Ehren, Ihr seid ihm dreimal willkommen.
Alles das glaubte der Widder Bellyn. Da eilte der andre
Wieder ins Haus, das Ränzel ergriff er und steckte behende
Lampens Haupt, des ermordeten, drein und dachte daneben,
Wie er dem armen Bellyn die Tasche zu öffnen verwehrte.

Und er sagte, wie er herauskam: Hänget das Ränzel
Nur um den Hals und laßt Euch, mein Neffe, nicht etwa gelüsten,
In die Briefe zu sehen; es wäre schädliche Neugier:
Denn ich habe sie wohl verwahrt, so müßt Ihr sie lassen.
Selbst das Ränzel öffnet mir nicht! Ich habe den Knoten
Künstlich geknüpft, ich pflege das so in wichtigen Dingen
Zwischen dem König und mir; und findet der König die Riemen
So verschlungen, wie er gewohnt ist, so werdet Ihr Gnade
Und Geschenke verdienen als zuverlässiger Bote.

Ja, sobald Ihr den König erblickt und wollt noch in beßres
Ansehn Euch setzen bei ihm, so laßt ihn merken, als hättet
Ihr mit gutem Bedacht zu diesen Briefen geraten,
Ja, dem Schreiber geholfen; es bringt Euch Vorteil und Ehre.

Und Bellyn ergötzte sich sehr und sprang von der Stätte,
Wo er stand, mit Freuden empor und hierhin und dorthin,
Sagte: Reineke! Neffe und Herr, nun seh ich, Ihr liebt mich,
Wollt mich ehren. Es wird vor allen Herren des Hofes
Mir zum Lobe gereichen, daß ich so gute Gedanken,
Schöne, zierliche Worte zusammenbringe. Denn freilich
Weiß ich nicht zu schreiben, wie Ihr; doch sollen sies meinen,
Und ich dank es nur Euch. Zu meinem Besten geschah es,
Daß ich Euch folgte hierher. Nun sagt, was meint Ihr noch weiter?
Geht nicht Lampe mit mir in dieser Stunde von hinnen?

Nein! versteht mich! sagte der Schalk: noch ist es unmöglich.
Geht allmählich voraus, er soll Euch folgen, sobald ich
Einige Sachen von Wichtigkeit ihm vertraut und befohlen.
Gott sei bei Euch! sagte Bellyn: so will ich denn gehen.
Und er eilete fort; um Mittag gelangt' er nach Hofe.

Als ihn der König ersah und zugleich das Ränzel erblickte,
Sprach er: Saget, Bellyn, von wannen kommt Ihr? und wo ist
Reineke blieben? Ihr traget das Ränzel, was soll das bedeuten?
Da versetzte Bellyn: Er bat mich, gnädigster König,
Euch zwei Briefe zu bringen, wir haben sie beide zusammen
Ausgedacht. Ihr findet subtil die wichtigsten Sachen
Abgehandelt, und was sie enthalten, das hab ich geraten;
Hier im Ränzel finden sie sich; er knüpfte den Knoten.

Und es ließ der König sogleich dem Biber gebieten,
Der Notarius war und Schreiber des Königs, man nennt ihn
Bokert. Es war sein Geschäft, die schweren, wichtigen Briefe
Vor dem König zu lesen, denn manche Sprache verstand er.
Auch nach Hinzen schickte der König, er sollte dabei sein.

Als nun Bokert den Knoten mit Hinze, seinem Gesellen,
Aufgelöset, zog er das Haupt des ermordeten Hasen
Mit Erstaunen hervor und rief. Das heiß ich mir Briefe!
Seltsam genug! Wer hat sie geschrieben? Wer kann es erklären?
Dies ist Lampens Kopf, es wird ihn niemand verkennen.

Und es erschraken König und Königin. Aber der König
Senkte sein Haupt und sprach: O Reineke! hätt ich dich wieder!
König und Königin beide betrübten sich über die Maßen.
Reineke hat mich betrogen! so rief der König. O hätt ich
Seinen schändlichen Lügen nicht Glauben gegeben! so rief er,
Schien verworren, mit ihm verwirrten sich alle die Tiere.

Aber Lupardus begann, des Königs naher Verwandter:
Traun! ich sehe nicht ein, warum Ihr also betrübt seid,
Und die Königin auch. Entfernet diese Gedanken,
Fasset Mut! es möcht Euch vor allen zur Schande gereichen.
Seid Ihr nicht Herr? Es müssen Euch alle, die hier sind, gehorchen.

Eben deswegen, versetzte der König: so laßt Euch nicht wundern,
Daß ich im Herzen betrübt bin. Ich habe mich leider vergangen.
Denn mich hat der Verräter mit schändlicher Tücke bewogen,
Meine Freunde zu strafen. Es liegen beide geschändet,
Braun und Isegrim; sollte michs nicht von Herzen gereuen?
Ehre bringt es mir nicht, daß ich den besten Baronen
Meines Hofes so übel begegnet, und daß ich dem Lügner
So viel Glauben geschenkt und ohne Vorsicht gehandelt.
Meiner Frauen folgt ich zu schnell. Sie ließ sich betören,
Bat und flehte für ihn; o wär ich nur fester geblieben!
Nun ist die Reue zu spät, und aller Rat ist vergebens.

Und es sagte Lupardus: Herr König, höret die Bitte,
Trauert nicht länger! was Übels geschehen ist, läßt sich vergleichen.
Gebet dem Bären, dem Wolfe, der Wölfin zur Sühne den Widder;
Denn es bekannte Bellyn gar offen und kecklich, er habe
Lampens Tod geraten; das mag er nun wieder bezahlen!
Und wir wollen hernach zusammen auf Reineken losgehn,
Werden ihn fangen, wenn es gerät, da hängt man ihn eilig;
Kommt er zum Worte, so schwätzt er sich los und wird nicht gehangen.
Aber ich weiß es gewiß, es lassen sich jene versöhnen.

Und der König hörte das gern; er sprach zu Lupardus:
Euer Rat gefällt mir; so geht nun eilig und holet
Mir die beiden Baronen, sie sollen sich wieder mit Ehren
In dem Rate neben mich setzen. Laßt mir die Tiere
Sämtlich zusammenberufen, die hier bei Hofe gewesen;
Alle sollen erfahren, wie Reineke schändlich gelogen,
Wie er entgangen und dann mit Bellyn den Lampe getötet.
Alle sollen dem Wolf und dem Bären mit Ehrfurcht begegnen,
Und zur Sühne geb ich den Herren, wie Ihr geraten,
Den Verräter Bellyn und seine Verwandten auf ewig.

Und es eilte Lupardus, bis er die beiden Gebundnen,
Braun und Isegrim, fand. Sie wurden gelöset; da sprach er:
Guten Trost vernehmet von mir! Ich bringe des Königs
Festen Frieden und freies Geleit. Versteht mich, ihr Herren:
Hat der König euch Übels getan, so ist es ihm selber
Leid, er läßt es euch sagen und wünscht euch beide zufrieden;
Und zur Sühne sollt ihr Bellyn mit seinem Geschlechte,
Ja, mit allen Verwandten auf ewige Zeiten empfahen.
Ohne weiteres tastet sie an, ihr möget im Walde,
Möget im Felde sie finden, sie sind euch alle gegeben.
Dann erlaubt euch mein gnädiger Herr noch über das alles,
Reineken, der euch verriet, auf jede Weise zu schaden:
Ihn, sein Weib und Kinder und alle seine Verwandten
Mögt ihr verfolgen, wo ihr sie trefft, es hindert euch niemand.
Diese köstliche Freiheit verkünd ich im Namen des Königs.
Er und alle, die nach ihm herrschen, sie werden es halten!
Nur vergesset denn auch, was euch Verdrießlichs begegnet,
Schwöret, ihm treu und gewärtig zu sein, ihr könnt es mit Ehren.
Nimmer verletzt er euch wieder; ich rat euch, ergreifet den Vorschlag.

Also war die Sühne beschlossen; sie mußte der Widder
Mit dem Halse bezahlen, und alle seine Verwandten
Werden noch immer verfolgt von Isegrims mächtiger Sippschaft.
So begann der ewige Haß. Nun fahren die Wölfe
Ohne Scheu und Scham auf Lämmer und Schafe zu wüten
Fort, sie glauben das Recht auf ihrer Seite zu haben;
Keines verschonet ihr Grimm, sie lassen sich nimmer versöhnen.
Aber um Brauns und Isegrims willen und ihnen zu Ehren
Ließ der König den Hof zwölf Tage verlängern; er wollte
Öffentlich zeigen, wie ernst es ihm sei, die Herrn zu versöhnen.


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