Johann Wolfgang von Goethe
Kleinere Novellen
Johann Wolfgang von Goethe

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Der Hausball

Eine deutsche Nationalgeschichte

An den Leser

Die neusten literarischen Nachrichten aus der Hauptstadt unseres Vaterlandes versichern alle einmütiglich, daß daselbst die Morgenröte des schönsten Tages einzubrechen anfange, und ob wir gleich uns ziemlich entfernt von jenen Gegenden befinden, so sind wir doch auch geneigt eben dasselbe zu glauben. Denn gewiß, es kann eine Schar von wilden Sonnenverehrern nicht mit einer größeren Inbrunst, mit einem gewaltsameren Jauchzen und durch alle Glieder laufenden Entzücken die Ankunft der Himmelskönigin begrüßen, als unsere Wiener, freilich auf eine gleichfalls rohe Art, die ersten Strahlen einer gesegneten Regierung Joseph des Zweiten verehren. Wir wünschen Ihm und ihnen den schönsten Tag. Die gegenwärtigen Augenblicke aber gleichen jenen Stunden des Morgens, wo aus allen Tiefen und von allen Bächen aufsteigende Nebel die nächste Ankunft der Sonne verkündigen. Unter vielen unlesbaren fliegenden Schriftchen haben wir eine, gleichfalls unlesbare, vorgefunden, deren Inhalt dennoch lustig und unterhaltend genug scheint, um unsern Lesern im Auszuge mitgeteilt zu werden.

In der Klasse von Menschen, die ohne Einfluß auf die Großen, und ohne von ihnen bemerkt zu sein ihr eignes, oft behagliches, oft unbehagliches Leben führen, ließ sich ein Hauswirt einfallen, im Hornung einen Ball bei sich auf Subskription zu geben. Er wollte nicht, wie er sagte, dadurch irgend einen Profit machen, sondern bloß seine gute Freunde zusammen in seinem Quartiere vergnügen. Er bat die Erlaubnis hierzu von der Polizei und erhielt sie.

Unser Mann hatte viele Bekanntschaft und einen leidlich bürgerlichen Ruf. In kurzer Zeit unterzeichneten sich eine Menge Gäste beiderlei Geschlechts, sein enges Quartier, das durch mancherlei Möbels noch völlig verstellt war, machte die Bewirtung so vieler Personen unmöglich, er sah sich um und fand hinten im Hause einen großen zweideutigen Raum, der das Holz, die Hausgefäße und, was man sonst sich von dieser Art denken mag, bisher in sich gefaßt hatte, ließ geschwind alles auf die Seite schaffen, den Boden aufs möglichste säubern, die Wände abkehren, und brachte nach seiner Art einen ganz schicklichen Platz zurechte.

Jeder von der Gesellschaft hatte zwei Gulden ausgezahlt und unser Ballwerber versicherte dagegen, daß er den Saal wohl beleuchten, das Orchester stark besetzen und für ein gut zugerichtetes Souper sorgen wolle. Kaffee, Tee und Limonade sollten auch bereit sein. Maskenkleider könne ein jedes nach Belieben anziehen, nur die Larven müsse man entbehren, damit der Wirt hierüber nicht zur Verantwortung gezogen und gestraft werden möchte. Auf solche Art war die Anzahl auf hundertsechs Personen festgesetzt, die Kasse, aus zweihundertzwölf Gulden bestehend, war in seinen Händen, als auf einmal ein großes Unheil den gänzlichen Umsturz derselben drohte.

Ein ausgelernter Wucherer hatte unserm teueren Wirt vor einem halben Jahr hundert Gulden dargeliehen, wofür er ihm hundertfünfzig verschreiben mußte, das Präsent einer pinsbeckenen Uhr nicht mitgerechnet, welches er ihm vorher abgereicht hatte. Dieser Wechsel war zur Klage gekommen, die Klage war bis zum Arrest getrieben und der aufmerksame Gläubiger erhielte Nachricht von dem schönen baren Gelde, das sich in des Schuldners Händen befand. Er dringt auf den Gerichtsdiener, und dieser trifft unsern Unternehmer in der Haustüre, als er eben im Begriff ist, mit der Magd auszugehen, um selbst diesmal den Markt zu besuchen. Er kündigt ihm den Arrest an, wenn er die hundertfünfzig Gulden nicht im Augenblicke erlegt.

Da wir vermuten können, daß alle unsere Leser sich einen solchen Vorfall vergegenwärtigen können, wo ein Mann, der zweihundertzwölf Gulden in der Tasche hat, sich mit hundertfünfzig Gulden vom Arreste befreien kann, so begeben wir uns des rühmlichen Vorteils der Darstellung und sagen nur, daß er diese Summe nach manchem Kampf mit Tränen erlegte und noch dazu dreiundvierzig Gulden vorläufig moderierte Kosten bezahlte.

Unser lieber Wirt saß voller Verzweiflung auf seinem Stuhle, als eben ein junger Mensch voll Respekt hereintrat und um sechs Billetts zu dem Ball bat. Er legte einen Souverain d'or demütig auf das Tischeck, nahm sechs Billetts und empfahl sich, ohne auf die Verhaltungsordnung und erlaubten Gebrauch der Masken viel zu hören.

Der Anblick des Souverains d'or, den der junge Geck gebracht hatte, in dem Augenblick, da der Unglückliche von den Dienern der gesetzlichen Ordnung ausgezogen worden war, brachte den halb Verzweifelten wieder zu sich selbst, er zählte sein Geld. Es belief sich noch auf einunddreißig Gulden vierzig Kreuzer. Jetzt wohin damit? sprach er, und dachte nach. Könnt ich nur so viel erborgen, um meinen Ball zu geben! wär' der Kredit hier zu Lande nicht so auf Schrauben gesetzt, lieh' mir nur einer fünfzig Gulden auf mein ehrlich Gesicht, ich wollte ihm gern zweimal so viel dafür verschreiben.

Und sogleich sprangen zwei lustige, junge Bürschchen ins Zimmer, fragten um Erlaubnis, von dem Ball sein zu dürfen, legten Geld hin, er gab die Billetts dagegen, erlaubte ihnen in Maskenkleidern zu kommen, sie eilten fort und er wünschte sich noch viel solcher Gäste.

Das Glück, das unsern Patron wieder anlächelte, ermunterte seinen Geist zu neuen Gedanken und Erfindungen, wie er sich weiter helfen könne. Es fiel ihm ein, jedermann werde en masque erscheinen und er bedürfe also seines Galakleids mit goldnen Tressen nicht, womit er sich herauszuputzen gedacht hatte. Vielmehr würde es anständiger sein, wenn er sich gleichfalls maskiert sehen ließe. Seinen Rock, dem er Uhr und Schnallen nebst einer Dose zur Gesellschaft zu geben sich entschloß, wollte er bei einem benachbarten, diensthülflichen Manne versetzen und hoffte mit dem darauf erhaltenen Gelde hinlänglich zu reichen. Die Magd wird gerufen, die Stücke werden ihr eingehändigt. Eilt was Ihr könnt, sagt der Patron, sie behende zur Tür hinaus, und stürzt unvorsichtig die dunkle Treppe hinunter. Ein entsetzliches Geschrei macht ihren Unfall und ein übel verrenktes Bein der ganzen Nachbarschaft kund. Und ehe der Hausherr es gewahr wird und hinabeilt, hat man sie schon aufgehoben und zurecht gebracht. Er übernimmt sie aus den mitleidigen Händen und fragt eifrig nach den zu verpfändenden Sachen. Wehe ihm! Sie waren der Unglücklichen im Schreck aus den Händen gefallen und nicht mehr zu finden. Den Rock erblickte er noch, als ihn eben einer unter den Mantel schieben und forttragen wollte. Er fiel den Räuber mit großer Wut an, und als er die übrigen Sachen von den Umstehenden gleichfalls mit Heftigkeit verlangte und sie als Diebe behandelte, so entstand ein großes Murren, das sich bald in Schelten verwandelte und mit Schlägen zu endigen drohte, wenn nicht ein vorübergehender Prokurator, ein guter Freund, sich drein gemischt und die Aufgebrachten besänftigt hätte.

Mit großer Heftigkeit und gewaltsamer Betrübnis erzählte nun unser Ballmeister den Unfall dem neuen Ankömmling. Die Knaben, durch die Neugierde herbeigelockt, hielten das Pathetische des Ausdrucks für Wirkung der Trunkenheit, sie zischten und lachten ihn aus, wodurch die beiden Freunde genötigt wurden sich in das obere Zimmer zu begeben. Hier wurde dem Prokurator der Vorfall umständlich erzählt und ihm zuletzt das Kleid mit der Bitte vorgewiesen, sechzig Gulden, so viel als es unter Brüdern wert seie, darauf nur acht Tage lang zu borgen. Der Freund bedachte sich und willigte endlich ein unter der Bedingung, daß ihm noch für seine Familie gratis die nötigen Billetts abgegeben werden sollten. Der gedrängte Ballgeber, dem das Gewissen wegen der zu viel ausgegebenen Billetts erwachte, der einen Augenblick die Menge der Personen und die Enge des Platzes gegeneinander maß, willigte nur gezwungen drein. Er ging nach dem Kästchen und glaubte seinen Freund mit drei oder vieren abzufertigen, wie erschrak und erstaunte er aber, als dieser für sich, seine Frau, sieben Kinder, drei Dienstboten, eine Schwester, ihren Mann, Hausleute und einige Bekannte, in allem sechsunddreißig Billetts verlangte. Der Verdruß, den der Meister beim Darzählen empfand, die Angst, die ihn überfiel, da er wieder allein war, wurden bald durch die sechzig Gulden verscheucht, die der Prokurator in lauter Groschen überschickte. Mit so viel barem Gelde versehen ging er von einem alten Knechte begleitet, denn die Magd konnte noch nicht wieder auftreten, in die Gewürz-, Kram- und Zuckerläden, bezahlte das eine, ließ das andere aufschreiben und bestellte Wein in einem Kloster, wo er bekannt war. Nachmittags erschien ein abgedankter Hofkoch mit seiner Frau, die das Nötige zu der Mahlzeit vorbereiten sollten. Sie brachten in kurzer Zeit eine Menge Eßwaren zusammen, man rupfte die Vögel, spickte die Braten, sott Schinken ab und beschäftigte sich, eine Unzahl Backwerk und viele Pasteten hervorzubringen. Die Krankheit der Magd, die Ungeschicklichkeit des Knechts hatten unsern Herrn genötigt, selbst eine Schürze vorzubinden und bald hier bald da behülflich zu sein. Es war schon zwei Uhr nach Mitternacht und die Pfanne hatte noch nicht geruhet. Die alte Kochfrau, die sie bisher traktieret hatte wurde auf eine andere Seite hingerufen und vertraute unserm Herrn auf einen Augenblick den heißen Stiel. Es schmerzte ihn an seinen zarten Händen, die Butter lief ins Feuer und in dem Augenblick stand das übrige Fett in Flammen. Es spritzte, platzte, er warf die Pfanne weg und sah mit Entsetzen den Ruß in der übel geputzten Esse brennen. Er hielte nun alles für verloren. Die strenge Polizei und die akkurate Feuerordnung fielen auf seine bewegte Einbildungskraft. Er hörte die Trommeln schon gehen, sahe sein Haus umringt, das Wasser triefte ihm um die Ohren, und da er das eifrige Gießen der Spritzenleute kannte, so sah er schon seinen schön aufgetischten Vorrat in gleichem Augenblick in Gefahr zu brennen und zu schwimmen.

Die resolutere Kochfrau hatte indes einen Essenkehrer herbeigeholt, man versiegelte seinen Mund mit einem Dukaten, und ein Junge, der auf einem nassen Pfühl die brennenden Rußstücke und viel Qualm und Unrat herunter auf den Herd brachte, endigte das ganze Übel auf einmal.

Die neue Arbeit, die nunmehr entstand die Küche zu reinigen und die Ordnung herzustellen, brachte zugleich mit dem Schrecken unsern Hausherrn so außer sich, daß er gegen sechs Uhr halb ohnmächtig auf das Bette sinken mußte und dort in einem Zustande einschlummerte, den wir unsern Lesern sich vorzustellen überlassen.


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