Goethe
Belagerung von Mainz
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Nachmittag ein Donnerwetter.

Holländische Artillerieflottille ist angekommen, liegt bei Ebenheim.

In der Nacht vom 30. zum 31. Mai schlief ich, wie gewöhnlich ganz angezogen, ruhig im Zelte, als ich vom Platzen eines kleinen Gewehrfeuers aufgeweckt wurde, das nicht allzu entfernt schien.

Ich sprang auf und heraus und fand schon alles in Bewegung; es war offenbar, daß Marienborn überfallen sei.

Bald darauf feuerten unsere Kanonen von der Batterie vor dem Chausseehaus, dies mußte also einem herandringenden Feinde gelten.

Das Regiment des Herzogs, von dem eine Schwadron hinter dem Chausseehaus gelagert war, ruckte aus; der Moment war kaum erklärbar.

Das kleine Gewehrfeuer in Marienborn, im Rücken unserer Batterien, dauerte fort, und unsere Batterien schossen auch.

Ich setzte mich zu Pferde und ritt weiter vor, wo ich, nach früher genommener Kenntnis, ob es gleich Nacht war, die Gegend beurteilen konnte.

Ich erwartete jeden Augenblick, Marienborn in Flammen zu sehen, und ritt zu unseren Zelten zurück, wo ich die Leute des Herzogs beschäftigt fand, ein- und aufzupacken, auf alle Fälle.

Ich empfahl ihnen meinen Koffer und Portefeuille und besprach unsern Rückzug.

Sie wollten auf Oppenheim zu; dorthin konnte ich leicht folgen, da mir der Fußpfad durch das Fruchtfeld bekannt war, doch wollt' ich den Erfolg erst abwarten und mich nicht eher entfernen, bis das Dorf brennte und der Streit sich hinter demselben weiter heraufzöge.

In solcher Ungewißheit sah ich der Sache zu, aber bald legte sich das kleine Gewehrfeuer, die Kanonen schwiegen, der Tag fing an zu grauen, und das Dorf lag ganz ruhig vor mir.

Ich ritt hinunter.

Die Sonne ging auf mit trübem Schein, und die Opfer der Nacht lagen nebeneinander.

Unsere riesenhaften, wohlgekleideten Kürassiere machten einen wunderlichen Kontrast mit den zwergenhaften, schneiderischen, zerlumpten Ohnehosen; der Tod hatte sie ohne Unterschied hingemäht.

Unser guter Rittmeister La Viere war unter den ersten geblieben, Rittmeister von Voß, Adjutant des Grafen Kalckreuth, durch die Brust geschossen, man erwartete seinen Tod.

Ich war veranlaßt, eine kurze Relation dieses wunderbaren und unangenehmen Vorfalls aufzusetzen, welche ich hier einschalte und sodann noch einige Partikularitäten hinzufüge.

Von dem Ausfall der Franzosen in der Nacht auf Marienborn vermelde ich folgendes: das Hauptquartier Marienborn liegt in der Mitte des Halbkreises von Lagern und Batterien, die am linken Ufer des Rheins oberhalb Mainz anfangen, die Stadt nicht gar in der Entfernung einer halben Stunde umgeben und unterhalb derselben sich wieder an den Fluß anschließen.

Die Kapelle zum heiligen Kreuz, die Dörfer Weißenau, Hechtsheim, Marienborn, Drais, Gunzenheim, Mombach werden von diesem Kreise entweder berührt oder liegen nicht weit außerhalb desselben.

Die beiden Flügel bei Weißenau und Mombach wurden vom Anfang der Blockade an von den Franzosen öfters angegriffen und ersteres Dorf abgebrannt, die Mitte hingegen blieb ohne Anfechtung.

Niemand konnte vermuten, daß sie dahin einen Ausfall richten würden, weil sie in Gefahr kamen, von allen Seiten ins Gedränge zu geraten, abgeschnitten zu werden, ohne irgend etwas von Bedeutung auszurichten.

Indessen waren die Vorposten um Bretzenheim und Dalheim, Orte, die vor Marienborn in einem Grunde liegen, der sich nach der Stadt zieht, immer aneinander, und man behauptete Bretzenheim diesseits um so eifriger, als die Franzosen bei Zahlbach, einem Kloster nahe bei Dalheim, eine Batterie errichtet hatten und damit das Feld und die Chaussee bestrichen.

Eine Absicht, die man dem Feinde nicht zutraute, bewog ihn endlich zu einem Ausfall gegen das Hauptquartier.

Die Franzosen wollten, so ist man durch die Gefangenen überzeugt, den General Kalckreuth, der in Marienborn, den Prinzen Ludwig, Ferdinands Sohn, der auf dem Chausseehause einige hundert Schritte vom Dorfe in Quartier lag, entweder gefangen fortführen oder tot zurücklassen.

Sie wählten die Nacht vom 30sten zum 31sten, zogen sich, vielleicht 3000 Mann, aus dem Zahlbacher Grunde, schlängelnd über die Chaussee und durch einige Gründe bis wieder an die Chaussee, passierten sie wieder und eilten auf Marienborn los.

Sie waren gut geführt und nahmen ihren Weg zwischen den östreichischen und preußischen Patrouillen durch, die leider, wegen geringen Wechsels von Höhen und Tiefen, nicht aneinander stießen.

Auch kam ihnen noch ein Umstand zu Hülfe.

Tags vorher hatte man Bauern beordert, das Getreide, das gegen die Stadt zu steht, in dieser Nacht abzumähen; als diese nach vollendeter Arbeit zurückgingen, folgten ihnen die Franzosen, und einige Patrouillen wurden dadurch irre gemacht.

Sie kamen unentdeckt ziemlich weit vorwärts, und als man sie bemerkte und auf sie schoß, drangen sie in der größten Eile nach Marienborn vor und erreichten das Dorf gegen ein Uhr, wo man sorglos entweder schlief oder wachte.

Sie schossen sogleich in die Häuser, wo sie Licht sahen, drängten sich durch die Straße und umringten den Ort und das Kloster, in welchem der General lag.

Die Verwirrung war groß, die Batterien schossen, das Infanterieregiment Wegner rückte gleich vor, eine Schwadron des Herzogs von Weimar, die hinter dem Orte lag, war bei der Hand, die sächsischen Husaren desgleichen.

Es entstand ein verwirrtes Gefecht.

Indessen hörte man im ganzen Umkreis des blockierenden Lagers das Feuern von falschen Attacken, jeder wurde auf sich aufmerksam gemacht, und niemand wagte, dem andern zu Hülfe zu eilen.

Der abnehmende Mond stand am Himmel und gab ein mäßiges Licht. Der Herzog von Weimar nahm den übrigen Teil seines Regiments, das eine Vietelstunde hinter Marienborn auf der Höhe lag, und eilte hinzu, Prinz Ludwig führte die Regimenter Wegner und Thadden, und nach einem anderthalbstündigen Gefechte trieb man die Franzosen gegen die Stadt. An Toten und Blessierten ließen sie 30 Mann zurück, was sie mit sich geschleppt, ist unbekannt.

Der Verlust der Preußen an Toten und Blessierten mag 90 Mann sein.

Major La Viere von Weimar ist tot; Rittmeister und Adjutant von Voß tödlich verwundet.

Ein unglücklicher Zufall vermehrte den diesseitigen Verlust: denn als sich die Feldwachen von Bretzenheim auf Marienborn zurückziehen wollten, kamen sie unter die Franzosen und wurden zugleich mit ihnen von unsern Batterien beschossen.

Als es Tag ward, fand man Pechkränze und mit Pech überzogene Birkenwellen an allen Enden des Dorfes; sie hatten die Absicht, wenn der Coup gelänge, zuletzt das Dorf anzuzünden.


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