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(Bremens Wohnung.)
Breme. Martin. Albert.
Breme. Sind eure Leute alle an ihren Posten? Habt Ihr sie wohl unterrichtet? Sind sie gutes Muths?
Martin. Sobald Ihr mit der Glocke stürmt, werden sie Alle da seyn.
Breme. So ist's recht! Wenn im Schlosse die Lichter alle aus sind, wenn es Mitternacht ist, soll es gleich angehen. Unser Glück ist's, daß der Hofrath fort geht. Ich fürchtete sehr, er möchte bleiben und uns den ganzen Spaß verderben.
Albert. Ich fürchte so noch immer es geht nicht gut ab. Es ist mir schon zum Voraus bange die Glocke zu hören.
Breme. Seyd nur ruhig. Habt Ihr nicht heute 406 selbst gehört, wie übel es jetzt mit den vornehmen Leuten steht? Habt Ihr gehört, was wir der Gräfinn Alles unter's Gesicht gesagt haben?
Martin. Es war ja aber nur zum Spaß.
Albert. Es war schon zum Spaße grob genug.
Breme. Habt Ihr gehört, wie ich Eure Sache zu verfechten weiß? wenn's Ernst gilt, will ich so vor den Kaiser treten. Und was sagt Ihr zum Herrn Magister, hat sich der nicht auch wacker gehalten?
Albert. Sie haben's Euch aber auch brav abgegeben. Ich dachte zuletzt es würde Schläge setzen; und unsere gnädige Comtesse, war's doch, als wenn ihr seliger Herr Vater leibhaftig da stände.
Breme. Laßt mir das Gnädige weg, es wird sich bald nichts mehr zu gnädigen haben. Seht, hier hab' ich die Briefe schon fertig, die schick' ich in die benachbarten Gerichtsdörfer. Sobald's hier losgeht, sollen die auch stürmen und rebelliren und auch ihre Nachbarn auffordern.
Martin. Das kann was werden.
Breme. Freylich! und alsdann Ehre dem Ehre gebührt! Euch, meine lieben Kinder. Ihr werdet als die Befreyer des Landes angesehen.
Martin. Ihr, Herr Breme, werdet das größte Lob davon tragen.
407 Breme. Nein, das gehört sich nicht; es muß jetzt Alles gemein seyn.
Martin. Indessen habt Ihr's doch angefangen.
Breme. Gebt mir die Hände, brave Männer! So standen einst die drey großen Schweizer, Wilhelm Tell, Walther Staubbach, Fürst von Uri, die standen auf dem Grütliberg beysammen und schwuren den Tyrannen ew'gen Haß und ihren Mitgenossen ewige Freyheit. Wie oft hat man diese wackeren Helden gemahlt und in Kupfer gestochen! Auch uns wird diese Ehre widerfahren. In dieser Positur werden wir auf die Nachwelt kommen.
Martin. Wie Ihr euch das Alles so denken könnt!
Albert. Ich fürchte nur daß wir im Karr'n eine böse Figur machen können. Horcht! es klingelt Jemand. Mir zittert das Herz im Leibe wenn sich nur was bewegt.
Breme. Schämt Euch! ich will aufziehen. Es wird der Magister seyn, ich habe ihn herüber bestellt. Die Gräfinn hat ihm den Dienst aufgesagt; die Comteß hat ihn sehr beleidigt. Wir werden ihn leicht in unsere Partey ziehen. Wenn wir einen Geistlichen unter uns haben, sind wir unserer Sache desto gewisser.
Martin. Einen Geistlichen und Gelehrten.
408 Breme. Was die Gelehrsamkeit betrifft, geb' ich ihm nichts nach, und besonders hat er weit weniger politische Lectüre als ich. Alle die Chroniken, die ich von meinem seligen Großvater geerbt habe, waren in meiner Jugend schon durchgelesen und das Theatrum Europäum kenn' ich in- und auswendig. Wer recht versteht was geschehen ist, der weiß auch was geschieht und geschehen wird. Es ist immer einerley; es passirt in der Welt nichts Neues. Der Magister kommt. Halt! wir müssen ihn feyerlich empfangen. Er muß Respect vor uns kriegen. Wir stellen jetzt die Repräsentanten der ganzen Nation gleichsam in Nuce vor. Setzt Euch.
(Er setzt drey Stühle auf die eine Seite des Theaters, auf die andere einen Stuhl. Die beyden Schulzen setzen sich und wie der Magister hereintritt, setzt sich Breme geschwind in ihre Mitte und nimmt ein gravitätisches Wesen an.)
Die Vorigen. Der Magister.
Magister. Guten Morgen, Herr Breme. Was gibt's Neues? Sie wollen mir etwas Wichtiges vertrauen, sagten Sie.
409 Breme. Etwas sehr Wichtiges, gewiß! Setzen Sie sich.
Magister (Will den einzelnen Stuhl nehmen und zu ihnen rücken.)
Breme. Nein, bleiben Sie dort, sitzen Sie dort nieder! Wir wissen noch nicht ob Sie an unserer Seite niedersitzen wollen.
Magister. Eine wunderbare Vorbereitung.
Breme. Sie sind ein Mann, ein freygeborner, ein freydenkender, ein geistlicher, ein ehrwürdiger Mann. Sie sind ehrwürdig, weil Sie geistlich sind, und noch ehrwürdiger weil Sie frey sind. Sie sind frey, weil Sie edel sind, und sind schätzbar, weil Sie frey sind. Und nun! was haben wir erleben. müssen! Wir sahen Sie verachtet, wir sahen Sie beleidigt; aber wir haben zugleich Ihren edlen Zorn gesehen, einen edlen Zorn, aber ohne Wirkung. Glauben Sie, daß wir Ihre Freunde sind, so glauben Sie auch daß sich unser Herz im Busen umkehrt, wenn wir Sie verkehrt behandelt sehen. Ein edler Mann und verhöhnt, ein freyer Mann und bedroht, ein geistlicher Mann und verachtet, ein treuer Diener und verstoßen! Zwar verhöhnt von Leuten die selbst Hohn verdienen, verachtet von Menschen die keiner Achtung werth sind, verstoßen von Undankbaren, deren Wohlthaten man nicht 410 genießen möchte, bedroht von einem Kinde, von einem Mädchen, – das scheint freylich nicht viel zu bedeuten; aber wenn Ihr bedenkt, daß dieses Mädchen kein Mädchen, sondern ein eingefleischter Satan ist, daß man sie Legion nennen sollte, denn es sind viele tausend aristokratische Geister in sie gefahren; so seht Ihr deutlich, was uns von allen Aristokraten bevorsteht, Ihr seht es, und wenn Ihr klug seyd, so nehmt Ihr unsre Maßregeln an.
Magister. Wozu soll diese sonderbare Rede? wohin wird Euch der seltsame Eingang führen? Sagt Ihr das, um meinen Zorn gegen diese verdammte Brut noch mehr zu erhitzen, um meine auf's Äußerste getriebene Empfindlichkeit noch mehr zu reitzen? schweigt stille! wahrhaftig ich wüßte nicht wozu mein gekränktes Herz jetzt nicht Alles fähig wäre. Was! nach so vielen Diensten, nach so vielen Aufopferungen mir so zu begegnen, mich vor die Thüre zu setzen! und warum? wegen einer elenden Beule, wegen einer gequetschten Nase, mit der so viele hundert Kinder auf und davon springen. Aber es kommt eben recht, eben recht! Sie wissen nicht, die Großen, wen sie in uns beleidigen, die wir Zungen, die wir Federn haben.
Breme. Dieser edle Zorn ergetzt mich, und so frage ich Dich denn im Nahmen aller edlen, 411 freygebornen, der Freyheit werthen Menschen, ob Ihr diese Zunge, diese Feder von nun an dem Dienste der Freyheit völlig widmen wollt?
Magister. O ja, ich will, ich werde!
Breme. Daß Ihr keine Gelegenheit versäumen wollt, zu dem edlen Zwecke mitzuwirken, nach dem jetzt die ganze Menschheit emporstrebt.
Magister. Ich gebe Euch mein Wort.
Breme. So gebt mir Eure Hand, mir und diesen Männern.
Magister. Einem Jeden; aber was haben diese armen Leute, die wie Sclaven behandelt werden, mit der Freyheit zu thun?
Breme. Sie sind nur noch eine Spanne davon, nur so breit als die Schwelle des Gefängnisses ist, an dessen eröffneten Thüre sie stehen.
Magister. Wie?
Breme. Der Augenblick ist nahe, die Gemeinden sind versammelt, in einer Stunde sind sie hier. Wir überfallen das Schloß, nöthigen die Gräfinn zur Unterschrift des Recesses und zu einer eidlichen Versicherung, daß künftighin alle drückenden Lasten aufgehoben seyn sollen.
Magister. Ich erstaune!
Breme. Da habe ich nur noch ein Bedenken wegen des Eids. Die vornehmen Leute glauben 412 nichts mehr. Sie wird einen Eid schwören und sich davon entbinden lassen. Man wird ihr beweisen, daß ein gezwungener Eid nichts gelte.
Magister. Dafür will ich Rath schaffen. Diese Menschen die sich über Alles wegsetzen, ihres Gleichen behandeln wie das Vieh, ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag hinein leben, solange sie mit Menschen zu thun haben, die sie nicht schätzen, so lange sie von einem Gott sprechen den sie nicht erkennen: dieses übermüthige Geschlecht kann sich doch von dem geheimen Schauer nicht losmachen, der alle lebendigen Kräfte der Natur durchschwebt, kann die Verbindung sich nicht läugnen, in der Worte und Wirkung, That und Folge ewig mit einander bleiben. Laßt sie einen feyerlichen Eid thun.
Martin. Sie soll in der Kirche schwören.
Breme. Nein, unter freyem Himmel.
Magister. Das ist nichts. Diese feyerlichen Scenen rühren nur die Einbildungskraft. Ich will es Euch anders lehren. Umgebt sie, laßt sie in eurer Mitte die Hand auf ihres Sohnes Haupt legen, bey diesem geliebten Haupte ihr Versprechen betheuern und alles Übel, was einen Menschen betreffen kann, auf dieses kleine Gefäß herabrufen, wenn sie unter irgend einem Vorwande ihr 413 Versprechen zurücknähme, oder zugäbe daß es vereitelt würde.
Breme. Herrlich!
Martin. Schrecklich!
Albert. Glaubt mir, sie ist auf ewig gebunden.
Breme. Ihr sollt zu ihr in den Kreis treten und ihr das Gewissen schärfen.
Magister. An Allem was Ihr thun wollt nehm' ich Antheil, nur sagt mir, wie wird man es in der Residenz ansehen? Wenn sie Euch Dragoner schicken, so seyd Ihr Alle gleich verloren.
Martin. Da weiß Herr Breme schon Rath.
Albert. Ja was das für ein Kopf ist!
Magister. Klärt mich auf.
Breme. Ja, ja, das ist's nun eben was man hinter Herrmann Breme dem Zweyten nicht sucht. Er hat Connexionen, Verbindungen, da wo man glaubt er habe nur Kunden. So viel kann ich Euch nur sagen, und es wissen's diese Leute, daß der Fürst selbst eine Revolution wünscht.
Magister. Der Fürst?
Breme. Er hat die Gesinnungen Friedrichs und Josephs, der beyden Monarchen, welche alle wahren Demokraten als ihre Heiligen anbethen sollten. Er ist erzürnt zu sehen, wie der Bürger- und Bauernstand unter'm Druck des Adels seufzt, und leider kann er selbst nicht wirken, da er von lauter Aristokraten umgeben ist. Haben wir uns nur aber erst legitimirt, dann setzt er sich an unsere Spitze und seine Truppen sind zu unsern Diensten und Breme und alle brave Männer sind an seiner Seite.
Magister. Wie habt Ihr das Alles erforscht und gethan und habt Euch nichts merken lassen?
Breme. Man muß im Stillen viel thun, um die Welt zu überraschen. (Er geht an's Fenster.) Wenn nur erst der Hofrath fort wäre, dann solltet Ihr Wunder sehen.
Martin (auf Breme deutend). Nicht wahr, das ist ein Mann!
Albert. Er kann einem recht Herz machen.
Breme. Und, lieber Magister, die Verdienste die Ihr euch heute Nacht erwerbt, dürfen nicht unbelohnt bleiben. Wir arbeiten heute für's ganze Vaterland. Von unserm Dorfe wird die Sonne der Freyheit aufgehen. Wer hätte das gedacht!
Magister. Befürchtet Ihr keinen Widerstand?
Breme. Dafür ist schon gesorgt. Der Amtmann und die Gerichtsdiener werden gleich gefangen genommen. Der Hofrath geht weg, die Paar Bedienten wollen nichts sagen und der Baron ist nur der einzige Mann im Schlosse, den locke ich 415 durch meine Tochter herüber in's Haus, und sperre ihn ein bis Alles vorbey ist.
Martin. Wohl ausgedacht.
Magister. Ich verwundere mich über Eure Klugheit.
Breme. Nu, nu! wenn es Gelegenheit gibt sie zu zeigen, sollt Ihr noch mehr sehen, besonders was die auswärtigen Angelegenheiten betrifft. Glaubt mir, es geht nichts über einen guten Chirurgus, besonders wenn er dabey ein geschickter Barbier ist. Das unverständige Volk spricht viel von Bartkratzern und bedenkt nicht, wie viel dazu gehört Jemanden zu barbieren, eben daß es nicht kratze. Glaubt mir nur, es wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu putzen, ihnen diese garstigen barbarischen Excremente der Natur, diese Barthaare, womit sie das männliche Kinn täglich verunreinigt, hinweg zu nehmen und den Mann dadurch an Gestalt und Sitten einer glattwangigen Frau, einem zarten liebenswürdigen Jüngling ähnlich zu machen. Komme ich dereinst dazu mein Leben und Meinungen aufzusetzen, so soll man über die Theorie der Barbierkunst erstaunen, aus der ich zugleich alle Lebens- und Klugheitsregeln herleiten will.
Magister. Ihr seyd ein originaler Kopf.
416 Breme. Ja, ja, das weiß ich wohl, und deßwegen habe ich auch den Leuten verziehen, wenn sie mich oft nicht begreifen konnten, und wenn sie, albern genug! glaubten mich zum Besten zu haben. Aber ich will ihnen zeigen: daß wer einen rechten Seifenschaum zu schlagen weiß, wer mit Leichtigkeit, Bequemlichkeit und Gewandtheit der Finger einzuseifen, den sprödesten Bart zahm zu machen versteht; wer da weiß. daß ein frisch abgezognes Messer eben so gut rauft als ein stumpfes, wer mit dem Strich oder wider den Strich die Haare wegnimmt, als wären sie gar nicht da gewesen, wer dem warmen Wasser zum Abwaschen die gehörige Temperatur verleiht und selbst das Abtrocknen mit Gefälligkeit verrichtet, und in seinem ganzen Benehmen etwas Zierliches darstellt, das ist kein gemeiner Mensch, sondern er muß alle Eigenschaften besitzen die einem Minister Ehre machen.
Albert. Ja, ja, es ist ein Unterschied zwischen Barbier und Barbier.
Martin. Und Herr Breme besonders, das ist dir eine ordentliche Lust.
Breme. Nu, nu, es wird sich zeigen. Es ist bey der ganzen Kunst nichts Unbedeutendes. Die Art, den Schersack aus- und einzukramen, die Art, die Geräthschaften zu halten, ihn unter'm Arm 417 zu tragen, – Ihr sollt Wunder hören und sehen, Nun wird's aber Zeit, daß ich meine Tochter vorkriege. Ihr Leute geht an eure Posten. Herr Magister, halten Sie sich in der Nähe.
Magister. Ich gehe in den Gasthof, wohin ich gleich meine Sachen habe bringen lassen, als man mir im Schlosse übel begegnete.
Breme. Wenn Sie stürmen hören, so soll's Ihnen frey stehen sich zu uns zu schlagen, oder abzuwarten, ob es uns glückt, woran ich gar nicht zweifle.
Magister. Ich werde nicht fehlen.
Breme. So lebt denn wohl und gebt auf's Zeichen Acht.
Breme (allein). Wie würde mein sel'ger Großvater sich freuen, wenn er sehen könnte wie gut ich mich in das neue Handwerk schicke. Glaubt doch der Magister schon, daß ich große Connexionen bey Hofe habe. Da sieht man was es thut, wenn man sich Credit zu machen weiß. Nun muß Caroline kommen. Sie hat das 418 Kind so lange gewartet, ihre Schwester wird sie ablösen. Da ist sie.
Breme. Caroline.
Breme. Wie befindet sich der junge Graf?
Caroline. Recht leidlich. Ich habe ihm Mährchen erzählt bis er eingeschlafen ist.
Breme. Was gibt's sonst im Schlosse?
Caroline. Nichts Merkwürdiges.
Breme. Der Hofrath ist noch nicht weg?
Caroline. Er scheint Anstalt zu machen. Sie binden eben den Mantelsack auf.
Breme. Hast du den Baron nicht gesehen?
Caroline. Nein, mein Vater.
Breme. Er hat dir heute in der Nationalversammlung allerley in die Ohren geraunt?
Caroline. Ja, mein Vater.
Breme. Das eben nicht die ganze Nation, sondern meine Tochter Caroline betraf?
Caroline. Freylich, mein Vater.
Breme. Du hast dich doch klug gegen ihn zu benehmen gewußt?
419 Caroline. O gewiß.
Breme. Er hat wohl wieder stark in dich gedrungen?
Caroline. Wie Sie denken können.
Breme. Und du hast ihn abgewiesen?
Caroline. Wie sich's geziemt.
Breme. Wie ich es von meiner vortrefflichen Tochter erwarten darf, die ich aber auch mit Ehre und Glück überhäuft und für ihre Tugend reichlich belohnt sehen werde.
Caroline. Wenn Sie nur nicht vergebens hoffen.
Breme. Nein, meine Tochter, ich bin eben im Begriff einen großen Anschlag auszuführen, wozu ich deine Hülfe brauche.
Caroline. Was meinen Sie, mein Vater?
Breme. Es ist dieser verwegenen Menschenraçe der Untergang gedroht.
Caroline. Was sagen Sie?
Breme. Setze dich nieder und schreib.
Caroline. Was?
Breme. Ein Billet an den Baron, daß er kommen soll.
Caroline. Aber wozu?
Breme. Das will ich dir schon sagen. Es soll ihm kein Leids widerfahren, ich sperre ihn nur ein.
420 Caroline. O Himmel!
Breme. Was gibt's?
Caroline. Soll ich mich einer solchen Verrätherey schuldig machen?
Breme. Nur geschwind.
Caroline. Wer soll es denn hinüber bringen?
Breme. Dafür laß mich sorgen.
Caroline. Ich kann nicht.
Breme. Zuerst eine Kriegslist. (Er zündet eine Blendlaterne an und löscht das Licht aus.) Geschwind, nun schreib', ich will dir leuchten.
Caroline (für sich). Was soll das werden? Der Baron wird sehen daß das Licht ausgelöscht ist, er wird auf das Zeichen kommen.
Breme (zwingt sie zum sitzen). Schreib! »Luise bleibt im Schlosse, mein Vater schläft. Ich lösche das Licht aus, kommen Sie.«
Caroline (widerstrebend). Ich schreibe nicht.
Die Vorigen. Der Baron (am Fenster).
Baron. Caroline!
Breme. Was ist das? (Er schiebt die Blendlaterne zu und hält Caroline fest, die aufstehen will.)
421 Baron (wie oben). Caroline! sind Sie nicht hier? (Er steigt herein.) Stille! wo bin ich? daß ich nicht fehl gehe. Gleich dem Fenster gegenüber ist des Vaters Schlafzimmer, und hier rechts, an der Wand, die Thüre in der Mädchen Kammer. (Er tappt an der Seite hin und trifft die Thür.) Hier ist sie, nur angelehnt. O wie gut sich der blinde Cupido im Dunkeln zu finden weiß! (Er geht hinein.)
Breme. In die Falle! (Er schiebt die Blendlaterne auf, eilt nach der Kammerthüre und stößt den Riegel vor.) So recht, und das Vorlegeschloß ist auch schon in Bereitschaft. (Er legt ein Schloß vor.) Und du Nichtswürdige! so verräthst du mich?
Caroline. Mein Vater!
Breme. So heuchelst du mir Vertrauen vor?
Baron (inwendig). Caroline! Was heißt das?
Caroline. Ich bin das unglücklichste Mädchen unter der Sonne.
Breme (laut an der Thüre). Das heißt: daß Sie hier schlafen werden, aber allein.
Baron (inwendig). Nichtswürdiger! Machen Sie auf, Herr Breme, der Spaß wird Ihnen theuer zu stehen kommen.
Breme (laut). Es ist mehr als Spaß, es ist bitterer Ernst.
422 Caroline (an der Thüre). Ich bin unschuldig an dem Verrath!
Breme. Unschuldig? Verrath?
Caroline (vor der Thüre kniend). O, wenn du sehen könntest, mein Geliebter, wie ich hier vor dieser Schwelle liege, wie ich untröstlich meine Hände ringe, wie ich meinen grausamen Vater bitte! – Machen Sie auf, mein Vater! – Er hört nicht, er sieht mich nicht an. – O mein Geliebter, habe mich nicht im Verdacht, ich bin unschuldig!
Breme. Du unschuldig? Niederträchtige feile Dirne! Schande deines Vaters! Ewiger schändender Flecken in das Ehrenkleid, das er eben in diesem Augenblicke angezogen hat. Steh' auf, hör' auf zu weinen, daß ich dich nicht an den Haaren von der Schwelle wegziehe. die du, ohne zu erröthen, nicht wieder betreten solltest. Wie! in dem Augenblick, da Breme sich den größten Männern des Erdbodens gleichsetzt, erniedrigt sich seine Tochter so sehr!
Caroline Verstoßt mich nicht, verwerft mich nicht, mein Vater! Er that mir die heiligsten Versprechungen.
Breme. Rede mir nicht davon, ich bin außer mir. Was! ein Mädchen, das sich wie eine Prinzessinn, wie eine Königinn aufführen sollte, vergißt 423 sich so ganz und gar? Ich halte mich kaum, daß ich dich nicht mit Fäusten schlage, nicht mit Füßen trete. Hier hinein! (Er stößt sie in sein Schlafzimmer.) Dieß französische Schloß wird dich wohl verwahren, Von welcher Wuth fühl' ich mich hingerissen! Das wäre die rechte Stimmung um die Glocke zu ziehen. – Doch nein, fasse dich Breme! – Bedenke, daß die größten Menschen in ihrer Familie manchen Verdruß gehabt haben. Schäme dich nicht einer frechen Tochter und bedenke, daß Kaiser Augustus in eben dem Augenblick mit Verstand und Macht die Welt regierte, da er über die Vergehungen seiner Julie bittere Thränen vergoß. Schäme dich nicht zu weinen, daß eine solche Tochter dich hintergangen hat; aber bedenke auch zugleich, daß der Endzweck erreicht ist, daß der Widersacher eingesperrt verzweifelt, und daß deiner Unternehmung ein glückliches Ende bevorsteht.
Saal im Schlosse, erleuchtet.
Friederike (mit einer gezogenen Büchse). Jacob (mit einer Flinte).
Friederike. So ist's recht, Jacob, du bist ein braver Bursche. Wenn du mir die Flinte zurecht bringst, daß mir der Schulfuchs nicht gleich einfällt wenn ich sie ansehe, sollst du ein gut Trinkgeld haben.
Jacob. Ich nehme sie mit, gnädige Gräfinn, und will mein Bestes thun. Ein Trinkgeld braucht's nicht, ich bin Ihr Diener für ewig.
Friederike. Du willst in der Nacht noch fort, es ist dunkel und regnicht, bleibe doch bey'm Jäger.
Jacob. Ich weiß nicht wie mir ist, es treibt mich etwas fort. Ich habe eine Art von Ahnung.
Friederike. Du siehst doch sonst nicht Gespenster.
Jacob. Es ist auch nicht Ahnung, es ist Vermuthung. Mehrere Bauern sind bey'm Chirurgus in der Nacht zusammen gekommen; sie hatten mich auch eingeladen, ich ging aber nicht hin; ich will keine Händel mit der gräflichen Familie. Und jetzt wollt' ich doch ich wäre hingegangen, damit ich wüßte was sie vorhaben.
Friederike. Nun was wird's seyn, es ist die alte Prozeßgeschichte.
Jacob. Nein, nein, es ist mehr, lassen Sie mir meine Grille, es ist für Sie, es ist für die Ihrigen, daß ich besorgt bin.
Friederike, nachher die Gräfinn und der Hofrath.
Friederike. Die Büchse ist noch wie ich sie verlassen habe, die hat mir der Jäger recht gut. versorgt. Ja, das ist auch ein Jäger und über die geht nichts! Ich will sie gleich laden und morgen früh bey guter Tageszeit einen Hirsch schießen. (Sie beschäftigt sich an einem Tische, worauf ein Armleuchter steht, mit Pulverhorn, Lademaß, Pflaster, Kugel, Hammer und lädt die Büchse ganz langsam und methodisch.)
Gräfinn. Da hast du schon wieder das Pulverhorn bey'm Licht, wie leicht kann eine Schnuppe herunterfallen. Sey doch vernünftig, du kannst dich unglücklich machen.
Friederike. Lassen Sie mich, liebe Mutter, ich bin schon vorsichtig. Wer sich vor dem Pulver fürchtet muß nicht mit Pulver umgehen.
Gräfinn. Sagen Sie mir, lieber Hofrath, ich habe es recht auf dem Herzen: könnten wir nicht einen Schritt thun, wenigstens bis sie zurückkommen?
Hofrath. Ich verehre in Ihnen diese Heftigkeit das Gute zu wirken und nicht einen Augenblick zu zaudern.
426 Gräfinn. Was ich einmahl für Recht erkenne, möcht' ich auch gleich gethan sehn. Das Leben ist so kurz und das Gute wirkt so langsam.
Hofrath. Wie meinen Sie denn?
Gräfinn. Sie sind moralisch überzeugt, daß der Amtmann in dem Kriege das Document bey Seite gebracht hat. –
Friederike (heftig). Sind Sie's?
Hofrath. Nach allen Anzeigen kann ich wohl sagen, es ist mehr als Vermuthung.
Gräfinn. Sie glauben, daß er es noch zu irgend einer Absicht verwahre?
Friederike (wie oben). Glauben Sie?
Hofrath. Bey der Verworrenheit seiner Rechnungen, bey der Unordnung des Archivs, bey der ganzen Art, wie er diesen Rechtshandel benutzt hat, kann ich vermuthen, daß er sich einen Rückzug vorbehält, daß er vielleicht, wenn man ihn von dieser Seite drängt, sich auf die andere zu retten, und das Document dem Gegentheile für eine ansehnliche Summe zu verhandeln denkt.
Gräfinn. Wie wär' es? man suchte ihn durch Gewinnst zu locken. Er wünscht seinen Neffen substituirt zu haben; wie wär' es, wir versprächen diesem jungen Menschen eine Belohnung, wenn er zur Probe das Archiv in Ordnung brächte, 427 besonders eine ansehnliche, wenn er das Document ausfindig machte. Man gäbe ihm Hoffnung zur Substitution. Sprechen Sie ihn noch ehe Sie fortgehen, indeß, bis Sie wieder kommen, richtet sich's ein.
Hofrath. Es ist zu spät, der Mann ist gewiß schon zu Bette.
Gräfinn. Glauben Sie das nicht. So alt er ist, paßt er Ihnen auf, bis Sie in den Wagen steigen. Er macht Ihnen noch in völliger Kleidung seinen Scharrfuß und versäumt gewiß nicht sich Ihnen zu empfehlen. Lassen wir ihn rufen.
Friederike. Lassen Sie ihn rufen, man muß doch sehen wie er sich geberdet.
Hofrath. Ich bin's zufrieden.
Friederike (klingelt und sagt zum Bedienten, der herein kommt). Der Amtmann möchte doch noch einen Augenblick herüber kommen!
Gräfinn. Die Augenblicke sind kostbar. Wollen Sie nicht indeß noch einen Blick auf die Papiere werfen, die sich auf diese Sache beziehen?
Friederike (allein). Nachher der Amtmann.
Friederike. Das will mir nicht gefallen. Sie sind überzeugt, daß er ein Schelm ist, und wollen ihm nicht zu Leibe. Sie sind überzeugt, daß er sie betrogen, ihnen geschadet hat und wollen ihn belohnen. Das taugt nun ganz und gar nichts. Es wäre besser daß man ein Exempel statuirte. – Da kommt er eben recht.
Amtmann. Ich höre daß des Herrn Hofraths Wohlgeboren noch vor Ihrer Abreise mir etwas zu sagen haben. Ich komme dessen Befehle zu vernehmen.
Friederike (indem sie die Büchse nimmt). Verziehen Sie einen Augenblick, er wird gleich wieder hier seyn. (Sie schüttet Pulver auf die Pfanne.)
Amtmann. Was machen Sie da, gnädige Gräfinn?
Friederike. Ich habe die Büchse auf morgen früh geladen, da soll ein alter Hirsch fallen.
Amtmann. Ey, ey! schon heute geladen und Pulver auf die Pfanne, das ist verwegen! wie leicht kann da ein Unglück geschehen.
Friederike. Ey was! Ich bin gern fix und 429 fertig. (Sie hebt das Gewehr auf und hält es, gleichsam zufällig, gegen ihn.)
Amtmann. Ey, gnädige Gräfinn, kein geladen Gewehr jemahls auf einen Menschen gehalten! Da kann der Böse sein Spiel haben.
Friederike (in der vorigen Stellung). Hören Sie, Herr Amtmann, ich muß Ihnen ein Wort im Vertrauen sagen: – daß Sie ein erzinfamer Spitzbube sind.
Amtmann. Welche Ausdrücke, meine Gnädige! – Thun Sie die Büchse weg.
Friederike. Rühre dich nicht vom Platz, verdammter Kerl! Siehst du, ich spanne, siehst du, ich lege an! Du hast ein Document gestohlen –
Amtmann. Ein Document? ich weiß von keinem Documente.
Friederike. Siehst du, ich steche, es geht Alles in der Ordnung, und wenn du nicht auf der Stelle das Document heraus gibst, oder mir anzeigst, wo es sich befindet, oder was mit ihm vorgefallen; so rühr' ich diese kleine Nadel und du bist auf der Stelle mausetodt.
Amtmann. Um Gottes willen!
Friederike. Wo ist das Document?
Amtmann. Ich weiß nicht – Thun Sie die Büchse weg – Sie könnten aus Versehen –
430 Friederike (wie oben). Aus Versehen oder mit Willen bist du todt. Rede? wo ist das Document?
Amtmann. Es ist – verschlossen.
Gräfinn. Hofrath. Die Vorigen.
Gräfinn. Was gibt's hier?
Hofrath. Was machen Sie?
Friederike (immer zum Amtmann). Rühren Sie sich nicht, oder Sie sind des Todes? wo verschlossen?
Amtmann. In meinem Pulte.
Friederike. Und in dem Pulte! wo?
Amtmann. Zwischen einem Doppelboden.
Friederike. Wo ist der Schlüssel?
Amtmann. In meiner Tasche.
Friederike. Und wie geht der doppelte Boden auf?
Amtmann. Durch einen Druck an der rechten Seite.
Friederike. Heraus den Schlüssel!
Amtmann. Hier ist er.
431 Friederike. Hingeworfen!
Amtmann (wirft ihn auf die Erde).
Friederike. Und die Stube?
Amtmann. Ist offen.
Friederike. Wer ist drinnen?
Amtmann. Meine Magd und mein Schreiber.
Friederike. Sie haben Alles gehört, Herr Hofrath. Ich habe Ihnen ein umständliches Gespräch erspart. Nehmen Sie den Schlüssel und hohlen Sie das Document. Bringen Sie es nicht zurück, so hat er gelogen, und ich schieße ihn darum todt.
Hofrath. Lassen Sie ihn mitgehen, bedenken Sie was Sie thun.
Friederike. Ich weiß was ich thue. Machen Sie mich nicht wild und gehen Sie.
Hofrath (ab).
Gräfinn. Meine Tochter, du erschreckst mich. Thu' das Gewehr weg!
Friederike. Gewiß nicht eher als bis ich das Document sehe.
Gräfinn. Hörst du nicht? deine Mutter befiehlt's.
Friederike. Und wenn mein Vater aus dem Grabe aufstände, ich gehorchte nicht.
Gräfinn. Wenn es los ginge.
432 Friederike. Welch Unglück wäre das?
Amtmann. Es würde Sie gereuen.
Friederike. Gewiß nicht. Erinnerst du dich noch, Nichtswürdiger, als ich vor'm Jahr, im Zorn, nach dem Jägerpurschen schoß, der meinen Hund prügelte, erinnerst du dich noch, da ich ausgescholten wurde und alle Menschen den glücklichen Zufall priesen der mich hatte fehlen lassen, da warst du's allein, der hämisch lächelte und sagte: was wär' es denn gewesen? Ein Kind aus einem vornehmen Hause! das wäre mit Geld abzuthun. Ich bin noch immer ein Kind, ich bin noch immer aus einem vornehmen Hause, so müßte das auch wohl mit Geld abzuthun seyn.
Hofrath (kommt zurück). Hier ist das Document.
Friederike. Ist es? (Sie bringt das Gewehr in Ruh.)
Gräfinn. Ist's möglich?
Amtmann. O ich Unglücklicher!
Friederike. Geh! Elender! daß deine Gegenwart meine Freude nicht vergälle.
Hofrath. Es ist das Original.
Friederike. Geben Sie mir's. Morgen will ich's den Gemeinden selbst zeigen und sagen, daß ich's ihnen erobert habe.
433 Gräfinn (sie umarmend). Meine Tochter!
Friederike. Wenn mir der Spaß nur die Lust an der Jagd nicht verdirbt. Solch ein Wildpret schieß' ich nie wieder!