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1918
S. Fischer, Verlag, Berlin
Mutter!
Die Handelnden sind sieben Matrosen, die im Panzerturm eines Kriegsschiffs in die Schlacht fahren. Zu Beginn befinden sich alle mit Ausnahme des dritten, fünften und siebenten im Panzerturm; der sechste am weitesten im Hintergrund. Das Stück beginnt mit einem Schrei.
Der erste Matrose: Ein Zeichen! Ein Zeichen!
Der zweite Matrose: Was schreit einer da?
Was für Unsinn schreit einer da!
Der erste Matrose: Ein Zeichen! Ein Zeichen,
ob wir sie treffen und wies ausgeht.
Der zweite Matrose: O alter Narr! Wo denn ein Zeichen?
Der erste Matrose: Ein Zeichen am blauen Himmel,
ob wir sie treffen und wies ausgeht.
Der zweite Matrose: O alter Narr! Sei froh, wenn du nichts siehst
als Blau am blauen Himmel!
War einer mal bei uns,
der sah Zeichen am blauen Himmel.
Sitzt heute hinterm Gitter!
Der sang, der sang hinterm Gitter:
O Himmelsblau! O Himmelsblau!
Meine Blicke irren in Dir
wie Wandrer in der Wüste
und sterben – durstig.
Kläglich klang es. Wir lachten.
Der vierte Matrose: Lachen sollte auch hinters Gitter bringen.
Der zweite Matrose: Kläglich klang es. Wir lachten.
Ist Lachen so ein schlimmes Ding?
Wir haben manch Gelächter auf dem Kerbholz
und müssen große Sünder sein demnach.
Weinen ist besser wohl?
Der vierte Matrose: Weinen – wenns das noch gibt –
sollte bestraft werden.
Der zweite Matrose: Und was belohnt?
Der erste Matrose: Wenn aber einmal klar wird,
was die oberen Mächte mit uns wollen –
Der zweite Matrose: O Weh! Kommst du noch damit, Mann?
Fängst du dir Flöh mit oberen Mächten?
Gingst du drei Schritt allein mit oberen Mächten?
Wie man nur Kinderlippen lügen lehrt
mit diesem oberen Machtgeplapper,
bis dann die bitteren Mäuler schrein, weil sie allein sind!
Wie man den Augen Zutrauen zu sich selber stiehlt!
Und Hinteraugen schafft mit Krötenblicken!
Kein Tag ist heiter durch eine obere Macht!
Oder Freund, hast du hier am Rohr schon mal
so einen richten sehn von auswärts,
unbekannt, nicht von unserer Farbe,
mit Larvenfingern
und geisterhaftem Glimmen übers Meer?
Sahst du schon so was?
Weibergeschwätz. Hutziehen derer,
die nicht wagen! Sei auf der Hut davor!
Der erste Matrose: Du willst nicht leugnen,
daß einer Ahnung haben kann,
daß etwas in uns Zeichen gibt,
aus denen wir, was kommen soll, erfahren?
Der zweite Matrose: Sei einmal ganz still, Junge!
Hörst du es singen?
Nenns Keuchen, wenn du lieber willst.
Keuchen, dem nie der Atem knapp wird!
Sieh mal dahin!
Gefällt nicht auch dir sehr dies Spiel,
leicht, lautlos, katzenhaft und geduldig
der Achsen hier?
Dies Rohr von bestem Fleisch
wie eine Kaiserin bedient!
Das sind Zeichen, aus denen du
ergründen magst, wies uns gehen wird.
Das und die verfluchten Leiber hier,
und was drin blutgenährt ist!
Wenn wir nichts weiter an Bord hier hätten,
als was du sagst, worauf du baust,
behaupte ruhig:
Wir sind Schweine, die zum Metzger fahren.
Doch was für langweiliges Orgeln!
Kannst du tanzen? Konntest dus wenigstens?
Bist Tänzer auch?
Was willst du mehr als Tanz und Schlaf!
Schlacht! Sagt man nicht »heißer Tanz« dafür?
Schlaf! Ist Tod was anderes? ^
Haben wir unsere Köppe zu was Besserem als Trällern?
Ist nicht heut letzter Mai?
Wenn wir an Land auf Dunkel warteten,
anstatt im Wasser hier auf Feind,
es sollte ein lustiger Tanz heut werden!
Weißt du! Du weißt doch!
(Er trällert.)
Der erste Matrose: Mit leisen Laternen schleicht hier oben etwas hin.
Davon kann ich mit dir nicht sprechen,
aus meilenlosen Ländern kommt das.
Das wäre nichts?
Ahnungen gäbs nicht?
O warum bin ich heute schwach und rede!
Der vierte Matrose: Von Zeichen spricht er immer noch?
Der zweite Matrose: Von Ahnung jetzt.
Der vierte Matrose: Ahnung! Morgennebel des Hirns!
Kinder und Weiber stehen darin.
Wenn einmal Sonne Mannheit
aufschwebt zum Mittagspunkt,
ist Ahnung nur ein übler Dunst
im klaren Bau der Welt.
Der zweite Matrose: Was denn für Ahnung, Junge?
Zeig mal!
Der erste Matrose: Daß wir sie diesmal treffen,
und daß keiner zurückkommt.
Der vierte Matrose: Hoho! Du ahnst nach dem Gewitter!
Wir alle, wie wir sind hier,
sind doch ersoffen schon.
Und obs heute der Fall ist?
Wie das wissen?
Was nützt es wissen wollen?
Kommt, wie es kommt.
Was du dir ausdenkst, ist all Märchen.
Man sollte der Märchen einmal müde werden.
Der zweite Matrose: Da hör den Mann!
Ahnung kommt doch nicht gar von Angst?
Bist doch nicht bange! Wie?
Der erste Matrose: Wenn wir heute abberufen werden,
ist nicht viel Zeit mehr,
sich bereit zu machen.
Der zweite Matrose: Der Mann ist nicht aus dieser Zeit.
Spricht er schon lange so?
Du hast sehr wenig wohl geküßt bis jetzt,
dir tun die Veilchen leid,
die, wie du zu spät siehst, man pflücken kann!
Der sechste Matrose: Vier Uhr. Hört ihr Jungens?
Wir sollen schlafen, schlafen,
damit wir kräftig sind, wenns Ernst wird.
Legt euch hin, Jungens!
(Der dritte Matrose tritt ein.)
Der dritte Matrose: Wetten: Treffen sie!
Wetten, daß wir sie treffen?
Der halbe Tag ist rum,
treffen wir sie, eh er zu Ende ist?
Der zweite Matrose: Wen denn?
Der dritte Matrose: Schiffe! Esel!
Der zweite Matrose: Hoho! Lacht!
So warm sah ich ihn nur,
wenn er nach Freundinnen frug.
In jedem Hafen hat er welche.
Siehst so sehnsüchtig aus, Junge!
Der dritte Matrose: Schiffe! Schiffe!
Der zweite Matrose: Malaische Umarmungen,
die zwei Minuten leben;
bis die Sirene wieder heult;
ohne Gebet noch Andacht; nur die Tat:
Da geht er kälter ran!
Pfui wie der Mann aussieht!
Der dritte Matrose: Schiffe! Schiffe!
Der zweite Matrose: Meister der Hafenliebe,
die unter Püffen reif wird!
Der dritte Matrose: Schiffe! Schiffe!
Laß mich Fleisch Feuer nennen, das weh tut.
Ich will blöd und allein
an Bord bleiben, wenn Ankerketten
in fernen Häfen rasseln,
alles tun, was ihr wollt.
Soll ich nur Schlacht erleben,
Kampf, Probe, Messen,
wer besser ist und meerhafter,
wir oder sie?
Der zweite Matrose: Geduld, Junge.
Der dritte Matrose: Geduld für Affen!
Die Welt ist zu geduldig heute!
Geduld ist kein Merkmal von Schönheit.
Der erste Matrose: Geduld selbst ist schön.
Der dritte Matrose: Schiffe! Schiffe!
Warten, Untätigkeit: Dies
Gift zehrt Männer schneller
als eingesperrte Brunst.
Der zweite Matrose: Geduld! Da ist einer, der hat gesagt,
daß wir sie heute treffen
und daß es Schlacht gibt.
Der dritte Matrose: Wer? Der da? Wie weiß er das?
Der zweite Matrose: Von seiner Tante,
die ihn schon immer warnte
vor dem bösen Mai!
Der erste Matrose: Wilde Gesellen! Hab ich nicht
wie ihr mein Teil gewacht hier
auf dem Wasser und übers Meer geschaut
zu Tag- und Nachtzeit?
Und Schlacht gewünscht wie ihr?
Fern, fern wie Strichchen sah ich
Rauch von Schiffen.
Das konnten Feinde sein.
Wären sies, sprach ich wie ihr!
Doch meine Augen blieben unverführt.
Niemand kann mir nachsagen,
daß ich zu schnell gesehen
oder zu rasch gerufen.
Warum verlacht ihr mich?
Wartet! Ihr werdet manches lernen,
ehs Abend wird!
Der dritte Matrose: Wir lernen nichts mehr!
Mein Kopf als Pfand.
Was hätten wir zu lernen auch!
Der zweite Matrose: Gib acht, wie wir ersaufen können,
wenns sein muß,
als hätten wirs gelernt.
Wie wir die Blicke,
noch voll vom Jugendglanz der Welt,
ins salzige Wasser senken,
salzige Tränen sparend.
Der dritte Matrose: Deshalb Schiffe! Schiffe!
Für alles andre laß uns selber sorgen.
Der zweite Matrose: Frei Meer! Frei Meer!
Gefällt es nicht auch dir
und ists nicht rühmlich,
wenn dann in Sommernächten
die See liebkosend mit dem Sand
ein Danklied uns als den Befreiern singt,
oder die Welle dem spröden Fels
von unseren Taten rauscht.
Solange Welle rollt.
Der sechste Matrose: Schlaft, Männer! Schlaft!
Bald werdet ihr neu gebraucht.
Der vierte Matrose: Durch Glut wie diese
kocht man sich selber weich!
Wenn Schiffe kommen,
wenn erst ein Aug sie ausmacht
und dann von Mann zu Mann die Kunde springt,
wenn Kiele jagen, Rohre schwenken, Schlacht brüllt,
nackte Männer in Kohlenbergen springen
und alles ächzt vor Tat,
sagt mir: was ists weiter,
als wir tun unsre Arbeit,
wie sie uns zufiel?
Was ist so viel geändert?
Der dritte Matrose: Fragst du das uns?
Der vierte Matrose: Ja euch!
Der dritte Matrose: Himmel und Hölle,
wenn Schlacht ausbricht,
Messen, Ernst, Probe,
wer besser ist und meerhafter;
wenn es sich zeigt,
ob wir sind, was wir von uns halten;
wenn Spiel Ernst wird
und Wahrheit vortritt:
Das nennt er: Nichts geändert!
Der vierte Matrose: Nenne ich nichts geändert.
Der dritte Matrose: Und du? Und du? Und du?
Der zweite Matrose: Mich dünkt, alles ist anders
wenn Schlacht anbricht,
wie dieser es voraussagt.
Der vierte Matrose: Und mich: Männer sind solche,
für die, was auch kommt,
nichts ist geändert.
Der sechste Matrose: Schon geht es auf halb Fünf.
Schlaft Männer, schlaft!
Bald werdet ihr neu gebraucht.
Der dritte Matrose: Wir müssen schlafen jetzt.
Der zweite Matrose: Frühes zu Bett gehen!
Unsere Betten sind Eisenplatten,
wo jeder Kopf schon seine Kaule hat.
Der vierte Matrose: Wie ist die See?
Der zweite Matrose: Still. Ruhig! Wie eine Schafherde.
Wind aus Nordwest kost sie.
Es wäre ein Tag, mit Mädels zu segeln.
Vorhin passierten wir Sylt.
Die feine, blonde Insel
war nie geliebt von sanfterer Welle.
Der vierte Matrose: Sahst du Posten am Land?
Der zweite Matrose: Überall. Und sie wachen!
Sie sahen uns fahren.
Ihr Herz folgt uns und ihr Neid.
Der vierte Matrose: Neid sagst du?
Glaubst du wirklich Neid?
Der sechste Matrose: Schlafen. Die Zeit rinnt!
Bald wird man neu uns brauchen.
Der zweite Matrose: Seht, wie er schon sein Rohr im Arme hat!
Als wollte er Samoa träumen.
Junge, wie wärs, damit wir besser schlafen,
du gäbst uns was zum besten von Samoa!
Wie dort Liebe nordische Keuschheit prellt.
Der dritte Matrose: Samoa! Insel! Soll ich noch schnell erzählen?
Versprecht mir eins:
wenn mich Tod holt,
schreit mir nochmal das Wort ins Ohr!
Der zweite Matrose: Gut, wir versprechens.
Der dritte Matrose: O, haha, Samoa!
Als wir zum erstenmal dort landeten,
glaubten wir, es sei Morgen
und wir besoffen alle.
Kerle, die plärrten in der Sonne
und nannten kühl, närrisch, kalt,
trostlos ihr Heimatland. Schworen,
sie würden nicht mehr atmen können zu Haus.
Was wollt ihr wissen?
Unsere Väter waren
Esel, daß sie nicht hingingen, und Schurken,
daß sie uns dort nicht zeugten!
Wir waren da drei Tage.
Da war uns allen,
als wären wir bis dahin Irrsinnige gewesen,
Esel, die sich selbst beladen
mit Kram und Umständen von anderen,
ganz wertlosem Ballast
und darunter keuchen.
(Der fünfte Matrose tritt ein und geht, ohne jemanden zu beachten in eine Ecke, wo er sich hinsetzt.)
Da kommt einer zur rechten Zeit.
Komm her, Junge, erzähl ihnen von Samoa.
Warst ja dabei.
Wenn sie schreien gleich: ich lüge,
schrei du: Lügt nicht! Hörst du?
Wie? Keinen Gruß?
Stumm wie'ne Wand? Keinen Gruß für uns?
Der vierte Matrose: Den laß schlafen.
Er hat die dritte Wache hinter sich.
Der dritte Matrose: Jung, hör, wir sprechen von Samoa.
Der zweite Matrose: Laß ihn in Ruh. Erzähl uns weiter.
Der dritte Matrose: Weiber gibts da!
Wir nanntens: Dattelnpflanzen!
Haben wir Datteln da gepflanzt!
Einmal – ich lüge nicht – kommen wir ins Dorf.
Zwei Wochen waren wir da.
Da haben wir geglaubt zu leben.
Was wir bis dahin kannten, war krüppelhaft.
Waren freundliche Leute dort,
hatten komische Sitten. Zum Beispiel sagten sie:
Leben ist kurz. Mach dirs nicht künstlich schwer!
Trüb es nicht selbst.
Lieber erhängte einer sich,
als daß er eine Stunde schief sah.
Weiber waren immer zwei und zwei zusammen
und immer zwei zählten für eine.
Ich lüge nicht.
Es waren lustige, flinke Dinger,
halfen sich und den Männern,
und wir sahen niemals eine Gesichter ziehen.
Wir haben Datteln gepflanzt,
so viel wir konnten.
Der zweite Matrose: Aufschneider! Was er uns da vorlügt.
Sollen schlechte Träume haben.
Der vierte Matrose: Wer macht, daß man mal anderes
als Seeschlacht träumt an Bord, den laß lügen!
Der dritte Matrose: Sagt einer da, ich lüge?
Fragt doch den schläfrigen Mann
dort hinter mir. Fragt ihn!
Der vierte Matrose: Macht leise, er schläft schon.
Der zweite Matrose: Die Augen hat er noch auf.
Augen, Fische zu töten damit.
Wie ein Küster, der Beten heuchelt.
Der dritte Matrose: Fragt ihn.
Der zweite Matrose: Heh, Junge!
Der dritte Matrose: (Keine Antwort.)
Der vierte Matrose: Ihr sollt ihn schlafen lassen.
Der dritte Matrose: Halt! Hab ich nicht den Burschen so gesehen?
Wenn da in einem Hafen was besonders Nettes stand,
wo es geschrieben war im Aug,
um den gerafften Rock, auf lockrem Strumpf,
in losem Ausschnitt, den Nacken kitzelnd,
dann war der Bursch genau so.
Sah hin, als hing er fest da.
Ging nicht ran. Stand wie ein Pfosten.
Plötzlich erinnert sich,
daß er an Bord noch was zu tun hat,
und stürmt weg. So war der Mann.
Holla, Junge!
Der zweite Matrose: (Hört nicht.)
Der erste Matrose: Lauscht anderen Stimmen als den euren.
Der zweite Matrose: Wird nicht viel hören dann.
Der erste Matrose: Oder denkt an Mutter,
Freund oder Braut.
Der zweite Matrose: Haben Mütter auch und Freunde
und was wie Braut aussieht.
So viel wir wollen.
Hören deshalb doch, wenn man ruft,
und sagen: Guten Tag.
Der dritte Matrose: Was hilft schreien nach der Mutter.
Genug, wenn sie nach uns schreien.
Von Kommandant bis Koch gibt es nur einen Gedanken jetzt
und den hat er:
Paßt auf wie es ihn hochbringt.
Junge: Schiffe! Feindliche Schiffe!
Der zweite Matrose: Hier ist einer, der ahnt, daß es heute losgeht.
Wir sollen viel lernen noch
und dann ersaufen.
Steht so im blauen Himmel.
Der vierte Matrose: Verdammte Schreier,
wollt ihr den Mann in Ruh lassen,
der euch zwei Wachen abnahm!
Der erste Matrose: Der sieht vielleicht, was wir nicht sehen;
in dem geht vor, was in uns unten bleibt.
Der zweite Matrose: Solche Käuze gibts.
Doch der ist keiner davon.
Der erste Matrose: Wie willst du das wissen?
Der zweite Matrose: Der lacht den ganzen Tag.
Das ist ein Lustiger wie wir!
Der dritte Matrose: Wecken wir ihn.
Bei allen feinen Tagen, die wir hatten,
und feineren, die wir haben werden,
was ist in dich gefahren, Junge?
Willst du was tun, und bist unschlüssig?
Packs bei der Gurgel. Frag nicht lang!
Nicht erst das Wort suchen,
das sagt: 's ist gut! Frei weg getan!
Willst du schlafen? Dann Augen zu!
Erst eins dann auch das andere!
Uns friert sonst.
Es muß Glanz sein in Augen,
sonst taugt das Essen nicht.
Der vierte Matrose: Halb fünf!
Nun ist es Zeit und ich befehle:
Hinlegen, schlafen und kein Wort mehr!
Gehorcht.
Der dritte Matrose: Wird wieder nichts aus dieser Meerfahrt.
Hole der Deubel so ein Leben!
Der zweite Matrose: Wenigstens haben wir gelernt diesmal:
das blaue Himmelsalphabet,
und daß es Leute gibt,
die in die Luft starren, hören nichts
und sagen auch nicht guten Tag.
(Die Leute legen sich hin und schicken sich an einzuschlafen. Der dritte Matrose macht nach einer Weile einige Bewegungen mit den Armen.)
Der zweite Matrose: Verdammt!
Da fängt er an zu hampeln.
Der dritte Matrose: Laß ihn hampeln und strampeln.
Können ihm nicht helfen.
Der zweite Matrose: Haut sich mit Geistern.
Der dritte Matrose: Macht wenig Lärm das.
Der zweite Matrose: Wischt sich Mücken aus dem Auge.
Der dritte Matrose: Wir haben keine drin.
Vielleicht sieht er auch Männerchens
wie neulich einer,
der Leute übers Wasser kommen sah.
Der zweite Matrose: Krank also?
Der dritte Matrose: Geht uns jetzt nichts an.
Der erste Matrose: Was ihr für starre Kerls seid!
Was für harte Kerls! Ich wundere mich.
Der dritte Matrose: Uns wundert nichts.
Da beginnt der Mensch.
Hör lieber jetzt die Wellen. Heia Popeia.
Die Wellen wundern sich auch über nichts.
Hörst du?
Der erste Matrose: Was seid ihr wilde Kerls!
Der dritte Matrose: Machen wenig Umstände.
Das ist alles. Gewöhn dirs auch an,
dann gehts dir besser.
Heiapopeia, hör auf die Wellen.
Machen auch wenig Umstände.
(Die Leute schicken sich wieder an zu schlafen, nach einer Weile beginnt der fünfte Matrose zu murmeln.)
Der zweite Matrose: Schockschwerenot,
da fängt er an zu predigen.
Der dritte Matrose: Desto besser werden wir schlafen.
Der zweite Matrose: Sieh ihn dir doch mal an.
Hör doch mal.
Der dritte Matrose: Warum so feierlich?
Was ist denn los mit ihm?
(Sie hören sich eine Weile das Murmeln des fünften Matrosen an, dann steht der dritte Matrose auf.)
Der dritte Matrose: Flagge,
verzeihe, was ich jetzt sage!
Doch gesagt muß es werden.
Hier an Bord ist einer,
der Angst vorm Sterben hat.
Wollt ihr wissen, wo er sitzt?
Da! Verzeih mir, Flagge,
daß ich es sagen muß.
Grundlos beschuldige ich niemand.
Der Mann hat Furcht vor Tod, das ists.
Der vierte Matrose: Furcht vor Tod ist eine Sage geworden.
Der dritte Matrose Ich habe eben gehört,
wie er: Tod, Tod,
weiter nichts als das murmelte.
Einer, der Seeschlacht nicht wünscht,
der lieber nach Haus führe,
der Tod murmelt, Tod, Tod.
Der vierte Matrose: Furcht vor Tod gibts nicht mehr.
Der zweite Matrose: Wer sie hatte, hat sie verlernt.
Der vierte Matrose: Ein Wort!
Denken kann er sich nichts dabei.
Der dritte Matrose: Soviel ist sicher:
Platz ist hier nicht mehr für den.
Oder sollen wir einen hier drin haben,
der uns vor Angst stirbt,
ehe ein Schuß gefallen ist?
Der vierte Matrose: Unsinn, das tut keiner.
Der dritte Matrose: Was willst du mit ihm anfangen?
Der vierte Matrose: Was ich mit ihm anfangen will?
Mit dem da?
Nichts.
Der zweite Matrose: Nichts ist wenig.
Der dritte Matrose: Bei der Angst, die er im Kopp hat?
Der vierte Matrose: Ist doch gleich, was einer im Kopp hat.
Darauf kommts doch nicht an.
Der zweite Matrose: Ist krank, habe ich gesagt.
Der vierte Matrose: Die Krankheit kennen wir.
Sobald es zu bummen anfängt, ist sie vorbei.
Seid doch nicht so besessen, Jungens.
Ist das der erste, den es anfällt?
Geht eben allen so,
die nicht warten können.
Der dritte Matrose: Wie ein Schlag ins Gesicht
ist mir der jetzt.
Der vierte Matrose: Nehmt euch doch nicht so wichtig, Kerls!
Bleibt sonst euer Leben lang Anfänger.
Der dritte Matrose: Der Mann muß raus!
Wollt ihr? Wir schaffen ihn raus.
Der vierte Matrose: Langsam. Übereilt euch nicht.
Einen Augenblick.
Zu befehlen habe ich,
glaube ich wenigstens.
Hinlegen schlafen! Es ist Befehl.
Und ein für allemal: Ruhe.
Du da, warte darauf,
bis du abbitten wirst.
Der dritte Matrose: Abbitten!
Das müßte wunderbar kommen.
Der vierte Matrose: Was ist die Zeit?
Der zweite Matrose: Dreiviertel Fünf! Wir müssen
nicht weit vom Skagerrak jetzt sein.
Die See ist ruhig.
Ab und zu nur ein Klatsch.
Der erste Matrose: Bald wird manch glasiger Mann
am Land der Jüten aus dem Wasser steigen,
Der zweite Matrose: Glasiger Mann?
Was schwätzt du da?
Der erste Matrose: Bald wird manch glasiger Mann
am Land der Jüten aus dem Wasser steigen.
(Die Leute schlafen nun ein. Das Murmeln des fünften Matrosen hebt wieder an und wird verständlich.)
Der fünfte Matrose: Was tun?
Es ist wie Schnaken,
die einen nicht schlafen lassen.
Die lauter summen, wenn man still liegt.
Hat eine sich hergefunden,
gleich sind tausend da.
Vielleicht besser: sich stechen lassen,
als rumhauen so! Mein Vater, dessen Vater,
kannten das noch nicht. Sie hatten nur Gedanken, die ihnen nützlich waren.
Ihr Hirn war ihnen,
was dem Hund die Nas ist.
Sie rochen denkend.
Uns stehen Schwärme
mit tausend Stacheln um den Kopf.
Wenn da Blut ist, das fault im Schädel
wie Wasser im alten Schwamm:
Daraus mögen Blasen aufsteigen
noch so schillernd:
es ist Verwesung.
Blase oder Licht: das entscheidet! Fort über das Meer, zur Nacht,
zu den Wellen, wo euer Geschwister sich wiegt,
unfaßbar ungreifbar,
doch so, daß wir träumen,
wenn wir lang hinschauen.
Ganz neue Blume? Hat man die schon werden sehen?
Die Welt trottet zum selben Stall?
Ist da aber etwas schwebend zwischen uns,
das plötzlich einen anfällt,
wie Pest Bauer und Herrn schlägt: Dann lieber doch,
sich verkriechen, betäuben,
schreien: Nicht ich, nicht ich!
Ehe es einen ansteckt. Sind wir nicht gesattelt
mit Lederglaubensartikeln,
die Sturm und Wetter überdauern?
(Die schlafenden Matrosen haben zu träumen begonnen und unterbrechen jetzt den fünften.)
Der zweite Matrose: Mein Arm? Laß los!
Der dritte Matrose: Mein Knie? Geh runter!
Der dritte Matrose: Siehst du Strichchen?
Der zweite Matrose: Strichchen?
Gebt einmal noch zu essen jedem Mann.
Langt zu. Schlingts in euch. Freßt.
Der dritte Matrose: Wozu mästet man uns?
Der zweite Matrose: Freßt! Schmeckts? Freßt!
Der dritte Matrose: Hat nicht Geschmack.
Der zweite Matrose: Schmeißt allen Dreck von Deck.
Der dritte Matrose: Nichts.
Der zweite Matrose: Siehst du Strichchen?
Der vierte Matrose: Nicht schlafen.
Kann nicht schlafen.
Hilf einer schlafen mir!
(Der zweite Matrose erhebt sich halb.)
Der zweite Matrose: Noch nicht?
(Er sinkt wieder hin; der dritte tut wie er.)
Der dritte Matrose: Noch nicht?
Der zweite Matrose: Wann hört das Warten auf?
Der dritte Matrose: Wann hört das Warten auf?
Der vierte Matrose: Ich kann nicht schlafen.
Hilf einer schlafen mir.
(Die Leute sind wieder still, machen aber noch Bewegungen.)
Der fünfte Matrose: Euer Traum? Ja. Meiner auch?
Kommt ihr hoch Kerls?
Liegt wieder auf dem Ohr!
Seemannsblut,
das wie die Welle jäh steigt und fällt.
Was zuckt und ruckt ihr?
Was ist euer Wille? Schlacht.
Dreimal Schlacht, ohne warum noch wie.
Nur her damit. Schlacht!
(Liegt wieder auf dem Ohr.)
(Der fünfte Matrose tritt vor den vierten.)
Der fünfte Matrose: Und dieser will, daß man ihm schlafen hilft.
Schläfst du denn nicht?
Ein Toter schliefe nicht besser.
Und schreit doch: gebt mir Schlaf?
(Der fünfte Matrose tritt vor den ersten.)
Der fünfte Matrose: Aber dieser! Sagt gar nichts?
Schläft! Als wollte er sagen:
Ich bin geborgen.
Schlaf süß! Schlaf süß!
(Er tritt weg.)
Der fünfte Matrose: Schlaft alle.
Denn einer wacht ja hier.
Wenn der jetzt schliefe,
wäre es weiter nichts als Feigheit.
(Der erste Matrose erhebt sich, tritt hinter den fünften und legt ihm die Hand auf die Schulter.)
Der erste Matrose: Ich schlafe auch nicht, Kamerad.
Der fünfte Matrose: Gespenst!
Der erste Matrose: Verzeih, wenn ich dich erschreckt habe.
Der fünfte Matrose: Hölle und Teufel,
ein Gespenst könnte nicht leiser sich erheben
und tonloser ächzen wie du jetzt.
Was willst du?
Der erste Matrose: Sagen, daß ich nicht schlief.
Der fünfte Matrose: Tatst aber so!
Schienst doch so süß zu schlafen.
Spieltest also?
Was willst du jetzt bei mir hier spielen? Rede.
Der erste Matrose: Nichts spielen, Kamerad.
Der fünfte Matrose: Wie er das sagt: Nichts spielen.
Was willst du dann?
Warum schläfst du nicht?
Der erste Matrose: Mir war eben, als hörte ich einer Beschwörung zu.
Als riefest du irgendwelche Geister an
oder obere Mächte.
Der fünfte Matrose: Falsch. Ganz falsch.
Mich selber rief ich an.
Obere Mächte sind mir ganz unbekannt.
Wer solche ehrt, heftet sich selbst den Draht an,
der ihn zur Puppe macht.
Der erste Matrose: Puppen sind wir doch all.
Der fünfte Matrose: Meinst du?
Das nackte Leben, wie?
Rede nicht weiter, Mann!
Der erste Matrose: Wie du dich quälst.
Der fünfte Matrose: Ließ ich dichs sehen?
Der erste Matrose: Immer vergeblich.
Der fünfte Matrose: Glaubst du?
Der erste Matrose: Weiß.
Der fünfte Matrose: Was willst du also?
Der erste Matrose: Das ist ein Rätsel.
Der fünfte Matrose: Was vermöchtest du?
Der erste Matrose: Dinge gibt es, die in der Luft liegen.
Wenn ihre Zeit kommt,
gehen sie durch jedes offne Fenster,
ganz gleich, wer in dem Haus wohnt.
Sie gehen auch durch geschlossene Fenster.
(Der fünfte Matrose springt zurück.)
Der fünfte Matrose: Mann, das ist wahr.
Der erste Matrose: Ist Wahrsprechen ein solches Ding,
daß man davor erschrickt?
Der fünfte Matrose: Man sollte nicht.
Der erste Matrose: Was habe ich so Schreckliches gesagt?
Der fünfte Matrose: Wir beide werden nicht weiter reden.
Leg dich schlafen wieder.
Der erste Matrose: Ich gehorche.
(Der erste Matrose geht und legt sich wieder hin.)
Der fünfte Matrose: Gehorcht! Was ist das nun?
Habe kein Haar Recht an diesen Mann
und er gehorcht mir, nennt es gehorchen.
Dinge gibts, die in der Luft liegen, sagte er.
Kennt er sie auch?
Heh, du da, Kamerad!
Schläfst du schon wieder?
Komm bitte! Steh auf, es muß gesprochen werden.
Die Zeit brennt.
Wir müssen Rauch von Feuer scheiden.
Die Zeit ist spaßig.
Wir müssen Kerne fassen, Schalen lassen.
Locken und Lappen unsrer Person abschneiden.
Nackt, frei von Eitelkeit durch den Strudel schwimmen.
Ich will also beginnen. Komm!
(Der erste Matrose erhebt sich wieder.)
Der erste Matrose: Ich komme wie du rufst, doch
du weißt wohl, jeder, ob er will
oder nicht, ist für sich selbst.
Der fünfte Matrose: Ich weiß nichts. Wollens abwarten.
Der erste Matrose: Was willst du also von mir?
Der fünfte Matrose: Sag mir mit einem Wort,
was in der Luft liegt.
Der erste Matrose: Unmögliches verlangst du.
Der fünfte Matrose: Sprich! Rede frei heraus.
Es hört uns keiner.
Der erste Matrose: Unmögliches verlangst du, sage ich.
Der fünfte Matrose: Die Art, wie du kamst eben,
was du sagtest, wie du dich legtest und wieder kommst,
erfüllt mich mit Erwartung.
Täusche sie nicht.
Der erste Matrose: Vielleicht,
wenn wir ganz ruhig und einfach sprächen,
kämen wir mit vielen Worten
zu irgendeinem Ziel.
Der fünfte Matrose: Viele Worte sind nicht mein Fall.
Beginne gleichwohl!
Der erste Matrose: Was in der Luft liegt, fragst du mich?
Hast du aufs Meer gesehen?
Da liegt es auch.
Der fünfte Matrose: Das ist wahr, Mann!
Das ist wieder wahr!
Der erste Matrose: Wir fahren hier schon lange auf dem Meer,
Wasser unter und Himmel über uns.
Das ist nicht gleichgültig für uns.
Der fünfte Matrose: Dies endlose Gewässer
und dieser ewige Himmel regen die Seelen auf
und lassen uns nicht zur Ruhe kommen.
Die Seele wacht, wenn sie auf Wellen starrt
und wenn der Wind
öde im Takelwerk singt.
Der erste Matrose: Wenn wir an solchen Mächten unsre Pläne prüfen
und unsre Kraft an Kräften
die mit uns spielen.
Der fünfte Matrose: Was ist dann, Kamerad?
Der erste Matrose: Ja, was?
Der fünfte Matrose: Mann, wieder entschlüpfst du mir.
Gib acht! Spürst du nicht,
wie ich innerlich schon bebe
und mich fast fürchte,
mehr zu reden.
Der erste Matrose: Dann wollen wir lieber abbrechen,
denn auch mir ist es neu,
was jetzt die Stunde uns tun heißt.
Ich bin wie ein Kind auf diesem Wege.
Der fünfte Matrose: Kinder gehen sicher, wo Große straucheln.
Laß uns sein wie zwei Kinder
und wie zwei Wanderer im Nebel,
die nicht sich und den Weg verlieren wollen.
Laß uns reden.
Der erste Matrose: Wie du willst.
Vielleicht, daß wir, was wir direkt nicht nennen können,
an seinen Wirkungen erkennen
und dann auch Worte dafür finden.
Hör also. Es ist uns doch befohlen jetzt zu schlafen.
Diese gehorchen, wie es Pflicht ist.
Warum schlafen wir beide nicht?
Der fünfte Matrose: Weil wir nicht schlafen können.
Man kann uns wohl befehlen
wie Schlafende zu liegen,
doch Schlaf selbst kann niemand zwingen.
Der erste Matrose: Warum denn können wir nicht schlafen?
Der fünfte Matrose: Weil uns etwas anderes wach hält.
Der erste Matrose: Anders als was?
Der fünfte Matrose: Als was diese zu gehorchen antreibt.
Der erste Matrose: Sollten wir denn in unserer Seele
nicht das nur dulden,
was uns gehorsam macht?
Der fünfte Matrose: Wir sollten wohl.
Der erste Matrose: Doch unsre Seele weigert uns selbst den Gehorsam,
weil sie von etwas anderem besessen ist.
Kein Wunsch, keine Begierde macht uns zu Ungehorsamen.
Sondern ein unnennbares Geschick der Seele.
Der fünfte Matrose: So ist es. Doch warte hier.
Graust dir nicht auch? Wohin kann uns das führen.
Sollen wir hier nicht lieber aufhören.
Und noch gehorchen und hin uns legen.
Der erste Matrose: Wie du meinst. Wie du willst.
Der fünfte Matrose: O Mann, hältst du mich für so feig,
daß ich nicht weiter zu gehen wagte,
wo ich doch schon fast sicher bin,
wir kommen zu einem schönen Ziele so. Ich will, daß wir fortfahren
und wenn daraus auch
Allerschlimmstes für uns entstünde.
Der erste Matrose: Wir sind jetzt Kletterer,
die sich allein auf eigene Gefahr
auf höchste Gipfel wagen. Laß uns, ehe wir gehen,
die Mächte anrufen,
die über uns unsre Tritte lenken.
Der fünfte Matrose: Halt, Mann! Nein! Tue du das allein.
Das Mark in meinen Knochen ist dies:
daß wir allein auf uns stehen
in allen Welten und nur dahin kommen,
wohin uns unser Fuß mit ruhigem Schritte trägt.
Ich sauge Kraft daraus.
Wir selbst sind unser Schicksal.
Ich wollte lieber noch glauben:
Daß wir Glas, Spielzeug, Puppen
in eines irren Riesen Hand
sind, als daß Sinnvolles waltet
über uns.
Der erste Matrose: Ich habe gefleht. Wir können weiter gehen.
Der fünfte Matrose: Furchtbar ist die Macht eines Wortes und der Gedanken.
Ins Irre und ins Rechte
führen sie einen allein und ganze Völker.
Wir können vorsichtig sein.
Der erste Matrose: Wenn wir den Kern des Lebens halten,
dann kann uns Nachdenken nur fördern,
dann schließt es uns nur unser Wesen auf,
wie Straßen und Kanäle ein reiches Land.
Wir wären Tote, wenn wir nicht dächten,
und viel ist tot,
weil keiner es zu denken lehrte.
Der fünfte Matrose: Antworte mir nun!
Der erste Matrose: Was willst du fragen?
Der fünfte Matrose: Keiner hört uns?
Der erste Matrose: Die schlafen alle.
Der fünfte Matrose: Doch nicht mehr lang.
Wir müssen uns kurz fassen
und die Zeit nutzen.
Was unser Land von uns verlangt,
müssen wir tun, nicht wahr?
Der erste Matrose: Gewiß.
Der fünfte Matrose: Denn es ist immer gut,
was unser Land von uns verlangt?
Der erste Matrose: Aber tun müssen wir, was es befiehlt,
denn alles danken wir ihm.
Der fünfte Matrose: Was danken ihm die Ärmsten denn?
Der erste Matrose: Unendlich viel mehr als es Worte gibt,
es aufzuzählen.
Der fünfte Matrose: Leben ist schön und süß.
Die Sonne wirft uns Goldtage zu;
aus den Wäldern lacht Mutwille.
Liebe schmückt sich mit Blumen;
Jugend tanzt berauscht auf den Wiesen.
Da plötzlich trommelts.
Alles ist aus!
Leben gilt nichts mehr;
einer nach dem andern tritt vor den Tod.
Zwei Jahre schon schweigt die frohe Weise.
Zwei Jahre irren wir hier auf dem Wasser
blind und besessen, tötend, Tod findend.
Keiner entsinnt sich mehr eines anderen,
keiner weiß anderes mehr,
keiner kann anderes mehr,
als Töten und Sterben.
Der erste Matrose: Wenn es das Land befiehlt, muß es so sein.
Der fünfte Matrose: Sterben ist nicht so schlimm.
Aber wer sind wir denn und wer waren wir?
Siehst Du mit eigenen Augen noch?
Weißt du, was dich ergriff?
Der erste Matrose: Wenn es das Land befiehlt,
muß es so sein.
Der fünfte Matrose: Warum befiehlt es das Land?
Der erste Matrose: Weil es notwendig scheint.
Der fünfte Matrose: Kann nicht Wahnsinn herrschen
unter einem ganzen Volk
und denen zumal, die es leiten?
Was Wahnsinnige wollen,
müssen wir tun dann?
Der erste Matrose: Müssen wir tun.
Der fünfte Matrose: Für was kämpfen wir jetzt?
Der erste Matrose: Für freies Meer.
Der fünfte Matrose: Dafür also nährte die Mutter dich.
Das also ist der Sinn deiner Seele,
dazu ward dir der Leib.
Der erste Matrose: O nein, davon wußte weder meine Mutter
noch ich die ganze Zeit.
Der fünfte Matrose: Was denn wuchs
mit dir auf als Sinn?
Der erste Matrose: Dies: Gott zu dienen.
Der fünfte Matrose: Wehe, o weh! Ich stürze.
Aus welchen Wolken stürzst du mich!
Bis nah ans Richtige war das Gespräch geführt,
Schritt für Schritt stieg es weiter.
Ich glaubte schon, bald können wir es nennen,
und nun du schmetterst mich hinab!
Wo ist dein Gott?
Welch anderer?
Welcher, der immer ausweicht?
Nahe dem einen Ziel,
das greifbar ist, irrst du vorbei
in um so schlimmeren Dunst.
Der erste Matrose: Kenntest du Gott und seinen Dienst!
Der fünfte Matrose: Kenntest du dich!
Der erste Matrose: Wer ihn hat, der hat alles.
Der fünfte Matrose: Wer sich hat, der hat alles.
Doch so steht es,
daß ich, seitdem ich ahne,
was wirklich ist,
an mir selbst zweifle und frage,
ob ich bei Sinnen bin.
Bin ich wahnsinnig denn,
irrsinnig, toll oder seid ihrs,
ist es die Zeit?
Du wirst der Richter sein!
Deshalb mußtest du wachen vorhin,
deshalb mit deinen Worten wecken,
was ich vielleicht eingeschläfert hätte.
Deshalb bist du jetzt hier.
Der erste Matrose: Glaubst du mich abzubringen
von meinem Grund?
Der fünfte Matrose: Ja, abbringen will ich dich
und werde ich dich!
Der erste Matrose: Du willst erschüttern,
was Jahre meines Lebens und Not vor allem
nur mehr in mir gefestigt haben?
Der fünfte Matrose: Ich will dran blasen und es soll fallen!
Der erste Matrose: Du bist wahnsinnig.
Der fünfte Matrose: Höre!
Der erste Matrose: Sprich!
Der fünfte Matrose: Glaubst du,
daß unter Menschen alles schon erfüllt ist,
was zwischen Mensch und Mensch sein kann?
Der erste Matrose: Sprich deutlicher,
daß ich nicht mißverstehe.
Der fünfte Matrose: Es gibt doch Dinge zwischen Mensch und Mensch?
Der erste Matrose: Freilich.
Der fünfte Matrose: Glaubst du,
daß wir von diesen Dingen etwas wissen?
Der erste Matrose: Zuviel.
Der fünfte Matrose: O Mann, höre mich: Nichts.
Ist es uns nicht das Nächste?
Antworte mir weiter.
Der erste Matrose: Das Nächste freilich.
Der fünfte Matrose: Uns aber ist es fern noch,
ferner als fernste Sterne.
Nenn mir etwas, wofür man Leute lobt.
Der erste Matrose: Für Macht.
Der fünfte Matrose: Für Macht durch Macht?
Der erste Matrose: Freilich.
Der fünfte Matrose: Kennst du wohl eine Macht, die so erfleht ist,
wie Macht durch Macht gehaßt?
Die wirkend erzeugt,
daß sie stets mehr begehrt wird
und wächst durch solche Begierde?
Nenn etwas anderes.
Der erste Matrose: Besitz.
Der fünfte Matrose: Kennst du wohl einen Besitz,
der unerschöpfbar an Weite und Inhalt ist,
an dessen Summe
die Sterne von kleiner Zahl erscheinen?
Der erste Matrose: Was wirst du weiter reden?
Der fünfte Matrose: Könntest du ahnen nur,
was zwischen Mensch und Mensch sein kann,
dann wäre dir,
als stritten wir um Schaufeln Sand,
als wäre eine Schaufel Sand
nicht blind wie wir.
Der erste Matrose: Von Ahnung ist leicht reden.
Wissen tust du wohl nichts?
Der fünfte Matrose: Ich weiß. Ich weiß.
Das ist es ja, ich weiß es ganz bestimmt!
Der erste Matrose: Was weißt du so bestimmt?
Der fünfte Matrose: Daß etwas zwischen Mensch und Menschen ist,
das macht zu Wahnsinn alles,
was wir tuen und dies besonders.
Was die auch sagen,
die uns dazu verleiten.
Der erste Matrose: Wieder willst du beschuldigen,
die uns führen?
Der fünfte Matrose: Sie und uns selbst und alle Zeit.
Wir waren Feiglinge
und wagten nicht zu hören
noch zu sehen.
Der erste Matrose: So sprichst du jetzt!
Der fünfte Matrose: Ich weiß, Wahnsinn und Verbrechen ist es,
was wir tun,
und nur aus diesem Grunde ist es so:
weil es Dinge gibt zwischen Mensch und Mensch,
die zu erfüllen
heiligere Pflicht den Menschen ist
als jeder andere Kampf.
Der erste Matrose: Und woher weißt du das?
Der fünfte Matrose: Ich weiß es.
Und nicht ich allein nur.
Der erste Matrose: An Bord hier welche?
Der fünfte Matrose: Ich kenne einen.
Er weiß nicht,
daß ich es weiß von ihm.
Der erste Matrose: Mir bangt, was werde ich hören.
Gefährlich sprichst du.