Friedrich Gerstäcker
Die Sklavin
Friedrich Gerstäcker

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Friedrich Gerstäcker

Das Mail- oder Postboot war eben von New-Orleans angelangt und über die von demselben an's Ufer geschobene Planke strömten in ununterbrochenem Zuge fast alle Geschäftsleute und Müßiggänger der kleinen Stadt Bayou Sarah an Bord, um theils für sie angekommene Briefe und Packete in Empfang zu nehmen, theils ihre Neugierde zu befriedigen und an dem zierlich ausgeschmückten Schenkstande ein Glas Brandy und Eiswasser zu schlürfen.

Der Capitain des Postboots, ein kleiner Franzose mit grauem Rock, schwarzem Filzhut und außerordentlich blank gewichsten Stiefeln, schien überall zu sein, und während ihm große Schweißtropfen an der gerötheten Stirn glänzten, schimpfte er in fürchterlich gebrochenem Englisch auf Gott und die Welt, vorzüglich aber auf den Postmeister, der ihm aus seinem Comptoir, eben als er kaum den Rücken gewandt, ein Packet Briefe in zu großem Amtseifer entführt und mit hinauf auf die Post genommen hatte.

»God dam him!« wetterte der kleine Mann, mit der Faust auf das grünbeschlagene Pult niederschlagend, daß die Tinte hoch empor spritzte – »was hat der Pflasterschmierer (der Postmeister hatte zu gleicher Zeit eine Apotheke und einen Kramladen und ließ sich gern »Doctor« nennen) in meinem Comptoir zu suchen? Schleppt Briefe hinauf, eh? Denkt nachher Wunder, was er gethan hat; aber wart' – Du kommst mir wieder.«

»Capitain! Briefe für mich angekommen?« fragte ein junger schlanker Mann, dem Erzürnten lachend dabei auf die Schulter klopfend.

»Geht in die Hölle oder zum Quacksalber hinauf!« fluchte dieser weiter, ohne sich nur die Mühe zu nehmen, herumzuschauen, wer ihn angeredet habe.

»Hallo! was ist wieder im Wind?« lachte der junge Pflanzer – »die Kessel voll zum Zerplatzen? Dampf genug, um drei gewöhnliche Boote in die Luft zu blasen! immer noch der Alte. Ihr Franzosen seid doch sonderbares Volk; gleich Feuer und Flamme, wie Dupont's Schießpulver!«

»Der Postmeister hat die Briefe mit hinaufgenommen,« antwortete der Buchhalter statt des Capitains.

»Dam him!« rief dieser und warf die Glasthür hinter sich in's Schloß, daß die Scheiben klirrten.

»Never mind,« sagte der Pflanzer, »er will gern seine Viertel-Dollars dafür ziehen – Alles zu Onkel Sam'sScherzhafter Name der Vereinigten Staaten, von den Anfangsbuchstaben: United States, Uncle Sam. Besten, 's ist ein gar uneigennütziger Mann, ich kenne ihn wohl; wer einen Brief abholt, muß auch eine Kleinigkeit im Laden kaufen, oder eine Schachtel Medicin mitnehmen. Doch ich will hingehen und sehen, ob etwas für mich angekommen ist.«

Damit trat er hinaus auf den Gang, stieg die Kajütentreppe hinunter und war eben über die Planke an's Ufer gesprungen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte und ihn eine freundliche, wohlbekannte Stimme anredete:

»Hoho, Ned, wohin so eilig? rennst Du doch, als ob Du von einer Wahl kämst und die wichtigsten Neuigkeiten mitbrächtest!«

»Guston! bei allen Teufeln und Engeln der vier Elemente,« rief der also Angeredete in freudigem Erstaunen aus, –»Guston! aber wie um des Himmels willen kommst Du denn jetzt hierher, wo ich Dich ehrbar und fest in Connecticut angesiedelt glaubte; hast Du die östlichen Staaten schon satt?«

»Vollkommen, mein alter Junge, vollkommen,« entgegnete Guston – »der Böse hole die freien Staaten; ein Pflanzer kann nun einmal da nicht existiren, wo kein Sclavenhandel ist. Ich hatte erst allerlei phantastische Ideen von der Freiheit und Gleichheit der Menschen,« fuhr er fort, als er seinen Arm in den des jungen Mannes hing und mit ihm an das Ufer hinaufschlenderte – »ich glaubte es eine Sünde, meinen »schwarzen Bruder«, wie die Methodisten sagen, zu schinden und zu plagen, bat daher meinen Alten um Reisegeld und ging nach New-York. Von dort aus schrieb ich Dir, daß ich gesonnen sei, mir ein Landgut zu kaufen und mich im Norden des Staats, oder in Connecticut, zwischen den dort eingewanderten gemüthlichen Pennsylvaniern niederzulassen. Es war damals meine Absicht, und hätte ich es gethan, so ständen wir jetzt nicht hier auf louisianischem Grund und Boden zusammen; gerade damals lernte ich aber einen jungen Mann kennen, dem ich mich anschloß und dessen intimer Freund ich wurde, so daß ich, da er in Geschäften nach Europa mußte, mit ihm ging und mit dem Great Western hinüber nach dem »alten Lande« segelte.«

»So bist Du indessen in Europa gewesen?« unterbrach ihn erstaunt der junge Pflanzer.

»Gewiß,« nickte Guston, »in England, Irland und Deutschland; durch die ersten beiden Länder begleitete ich meinen neugefundenen Freund, bis dieser sich plötzlich in ein irländisches Mädchen, und zwar so rasend verliebte, daß er in vier Wochen Hochzeit hielt, gegenwärtig mit allen möglichen alten Squires und jungen Gentlemen nach Füchsen und Kirchthürmen rennt, über alle nur aufzufindenden Hecken, Gräben und Mauern wegsetzt, und sich jetzt, wenn er nicht unter der Zeit den Hals gebrochen hat, ganz wohl befindet. Ich selbst hatte es da bald satt, ging zurück nach England und ließ mich von da nach Deutschland übersetzen. Dort hatte ich Gelegenheit, das Leben der unteren Volksklassen, das Leben der Armen kennen zu lernen, und, Ned, von dem Augenblick an bedauerte ich unsere Sclaven nicht mehr. Es muß hart sein, die Freiheit zu verlieren und der Willkür eines oft vielleicht zu strengen Herrn preisgegeben zu werden; aber das Elend, das ich dort gesehen, die Nahrungssorgen der Unglücklichen, vor deren Augen die eigenen Kinder darben und verderben; der Frost noch dazu im Winter, wo der Vater, der einzige Brodverdiener, eingekerkert wird, wenn er den Jammer zu Hause nicht mehr mit anschauen mochte und in den Wald ging, um ein paar Zweige abzubrechen und die Seinigen wenigstens zu erwärmen, wenn er sie nicht sättigen konnte – der eingebildete, förmlich wahnsinnige Stolz des Adels dabei, gegenüber den unglücklichen Armen – und außerdem noch eine »gesetzliche« Willkür, die dem Unglücklichen mit dem vollem Pomp und Schein offenbarer Gerechtigkeit mit gierigen Händen das Letzte nimmt und dem Vernichteten in der Pracht und dem Luxus der Großen wie zum Hohn alles Das zeigt, was er eben entbehren muß, nicht einmal im Stande, seine Kinder so zu füttern, wie die Hunde der Großen gefüttert werden – das, Ned, füllte mich mit Ekel und Ueberdruß, und ich kann Dir gestehen, ich war froh, als ich das »alte Land« wieder hinter mir hatte. Es mag denen dort zusagen, die es ihre Heimath nennen, der Eskimo liebt ja seine Eisberge und Thrannahrung, aber dem, für den es diesen Zauber entbehrt, ist es ein trauriger Aufenthalt – ich möchte dort nicht leben. Nach kurzem Aufenthalt in Deutschland kehrte ich über Hamburg nach New-Orleans zurück und bin heut, wie Du mich siehst mit dem Postboot heraufgekommen, um von hier zu Land meines Vaters Plantagen zu erreichen.«

»Das zu lernen, brauchtest Du wahrhaftig nicht nach Europa zu gehen,« lachte Ned – »das weiß jedes Kind, daß es unsere Neger besser haben als die armen Leute in Irland oder Deutschland; hol' sie der Henker, und doch murren die Canaillen. Aber heut Abend bleibst Du bei mir, und morgen früh nimmst Du mein Pferd; Dein Alter hat Dich nun so lange nicht gesehen, daß es auf den einen Tag auch nicht ankommen wird.«

»Topp!« rief Guston, »doch laß uns den Schatten suchen, die Hitze hier am Ufer ist unausstehlich. Du wirst mich übrigens führen müssen, denn ich kenne Bayou Sarah ja gar nicht wieder; kaum zehn Häuser waren's, wie ich fort von hier ging, und jetzt steht eine ordentliche Stadt da.«

»Nun, die Mulattin Nelly lebt immer noch,« lachte Willis, »und führt so guten Brandy wie früher; da wollen wir denn vor allen Dingen einmal einsprechen, vielleicht findest Du dort einige alte Bekannte.«

Mit diesen Worten nahm er seines neugefundenen Freundes Arm wieder in den seinigen und schlenderte mit ihm dem nahen Kaffeehause zu, aus dem ihnen lautes Lachen und Jubeln entgegentönte.

Es war ein nicht sehr großes, nach der Straße zu offenes Zimmer, in das sie traten, und dessen Hintergrund ein langer Schenktisch ausfüllte. Der eigentliche Schenktisch (Bar) bestand aus einem aus gemasertem Holz verfertigten, etwas hohen Aufsatze, über den weiße Marmorplatten gelegt waren, um die darauf verschütteten Flüssigkeiten wieder leicht hinwegwischen zu können. Aus einem großen, mit weißem Tuch überdeckten Präsentirteller standen mehrere Dutzend reiner Trinkgläser, während auf einem andern dicht daneben eine gläserne große Schale mit einem plattirten Deckel, geriebenen Zucker enthaltend, prangte. Neben ihr befanden sich wiederum zwei kleine Fläschchen, die, fest zugekorkt und mit einer durch den Stöpsel laufenden Federspule versehen, dazu dienten, die in ihnen enthaltenen Flüssigkeiten (Staunton-Bitters und Pfefferminze) in die Getränke zu tröpfeln, um diesen einen pikanten Geschmack zu verleihen. Hinter dem Schenktische waren in langer Reihe alle möglichen Arten von Getränken, Weine und Liqueure, in zierlichen, farbigen und feingeschliffenen Flaschen und Caraffen geordnet, und zwischen ihnen Orangen und Zitronen aufgeschichtet, was dem Ganzen einen frischen, heitern Anschein gab. Unter dem Schenktische stand eine große Schüssel mit Eis, das in Stücken in die Gläser geworfen wurde, den Trank abzukühlen, und ein junger Mann in einer weißleinenen Jacke und eben solchen weiten Beinkleidern war emsig beschäftigt, den durstigen Gästen, die sich bei der übergroßen Hitze in beträchtlicher Anzahl eingefunden hatten, einzuschenken. Ein langer Doctor von der andern Seite des Mississippi, von Pointe-Coupé, schien übrigens besonders thätig, sein Glas immer wieder auf's Neue zu leeren, bei welchem Geschäft ihm denn alle Anderen helfen mußten, weil er schwur, daß er nicht allein trinken wollte; und immer wieder ließ er das seinige wie die aller Anwesenden frisch füllen, obgleich er sich kaum noch selbst auf den Füßen halten konnte. Oft zwar versuchte ihm Einer oder der Andere zu entschlüpfen, aber mit Adlerblicken entdeckte und erwischte er die Deserteure, und ein frisches Glas war die Strafe, die ihrer wartete. Mehrere, unfähig noch einen Tropfen zu genießen, saßen in der Ecke, als unsere beiden Freunde zur Verstärkung anrückten und augenblicklich von dem Doctor mit offenen Armen empfangen wurden.

»Willis – eh?« redete er diesen an, »durstig? immer durstig?«

»Hier, Doctor, ist ein Freund von mir, ein gewisser –«

»Ein Freund von Euch? er muß mit mir trinken. Sir, geben Sie mir Ihre Hand – so – ich bin der Doctor Siel von Pointe-Coupé, Sie müssen von mir gehört haben. Was wollt Ihr trinken? Hier, Barkeeper, schnell, hier ist ein Mann, der durstig ist – so recht, Gläser, und Eis hinein, – mir aber kein Eis, ich will's heiß haben, heiß wie Lava, will Hitze mit Hitze curiren. Zum Henker, wem gehört das lange Gesicht, was da zum Fenster hereinstiert? kommen Sie herein, Sir; was wollen Sie trinken?«

»Danke, danke,« sagte der Neuangekommene, indem er rasch in die Thür trat und sich ohne weitere Umstände sein Glas füllen ließ.

Es war ein Mann von außergewöhnlicher Länge, der noch um mehrere Zoll über den schon ungeheuer langen Doctor hinausreichte, mit vorstehenden Backenknochen und grauen, scharf und klug umherblickenden Augen, dessen ganze Gesichtszüge aber den Yankee nicht verkennen ließen. Ein blauer langschößiger Frack war trotz des heißen, schwülen Wetters fest zugeknöpft, und ein hoher weißer Filzhut, den er etwas nach hinten gedrückt auf dem Kopfe trug, machte die lange Gestalt noch länger. Seine Stiefeln waren nach der modernsten Façon gearbeitet und ganz neu, mochten ihn aber wohl gedrückt haben, denn auf beiden hatte er, gerade über den Zehen, mit einem Messer einen Kreuzschnitt gemacht, um seinen Füßen Raum zu gewähren; überhaupt schien er das Bequeme zu lieben, denn er setzte sich augenblicklich mit größtmöglicher Gemüthsruhe auf den Ladentisch, wobei ihm seine Ausdehnung sehr zu statten kam, und leerte das ihm mit Wachholder und Wasser dargereichte Glas.

»Gentlemen,« begann jetzt der Yankee, nachdem er einige Kreuz- und Querfragen des Doctors mit eben so vielen anderen Fragen beantwortet hatte, »ich denke, wir können ein Geschäft zusammen machen.«

»Ihr habt doch um Gottes willen keine Wanduhren zu verkaufen?« fragte mit komischem Schrecken der Doctor.

»Nein,« entgegnete lachend der Yankee; »damit befasse ich mich nicht.«

»Ihr Herren scheint Euch sonst nicht gerade an etwas Bestimmtes zu binden,« wandte Guston ein, indem er dem Langen näher trat.

»Für diesmal doch,« antwortete der Yankee, »ich habe mich auf den Menschenfleischhandel gelegt und mit dem läßt sich nicht gut ein anderer vereinigen, Vieh- und Pferdehandel ausgenommen; doch habe ich meine letzten Mustangs in Baton rouge verkauft und nur noch ein Negermädchen von ungefähr fünfzehn Jahren übrig behalten, die ich heute Nachmittag um vier Uhr in Müller's Kaffeehaus ausspielen will, um am Mittwoch wieder mit dem Mailboot nach New Orleans und von da nach meiner Heimath zurückkehren zu können.«

»Und was kostet das Loos?« fragte Willis.

»Fünf Dollars – wir wollen sie auswürfeln!« lautete die Antwort; »es ist ein capitales Mädchen, gesund und kräftig, und die schönste Negerin, die Ihr je gesehen habt.«

»Aber wo steckt denn die Dirne?« unterbrach ihn der Doctor; »schafft sie doch einmal her, und sieht sie gut aus, so nehme ich drei oder vier Loose.«

»Sie ist nur wenige Schritte von hier entfernt,« sagte der Yankee, von seinem Sitz aufstehend – »warten Sie einen Augenblick, ich bringe sie herüber; es wollen sie überdies noch einige Herren hier ansehen.« Mit diesen Worten verließ er das Schenkzimmer und kehrte bald mit einem schönen jungen Negermädchen zurück.

Das kurze, wollige Haar hatte Rabenschwärze; die Nase war, ihrer äthiopischen Abkunft treu, breit gedrückt, aber klein und zierlich, und nur leicht aufgeworfen zeigten sich die kirschrothen Lippen, zwischen denen, wenn sie sprach, ein Paar blendend weiße Reihen Zähne sichtbar wurden und um so mehr gegen die sammetartige, schwarze Haut und die dunkeln, glühenden Augen abstachen. Sie war nicht groß, aber schlank gewachsen und ungemein zierlich gebaut, so daß selbst der seiner Sinne kaum noch halb mächtige Doctor einen Fluch ausstieß und schwur, sie wäre eine verteufelt hübsche kleine Hexe.

Mehrere Pflanzer aus der Umgegend waren jetzt noch hinzugetreten, von denen fast Alle Loose genommen hatten, und der Yankee führte das Mädchen wieder fort, um in St.-Francisville oben noch mehr Theilnehmer für das Würfelspiel um ein menschliches Wesen zu finden.

Unmittelbar hinter dem Mädchen war, als ihr Herr sie zur Schau in die Schenkstube führte, ein junger blasser, aber sehr anständig gekleideter Mann eingetreten, der mit gespannter Aufmerksamkeit den ganzen Verhandlungen horchte und zuletzt, als jeder ein Loos nahm, seine Baarschaft ebenfalls hervorholte. Unstreitig hatte er beabsichtigt, zwei Loose zu kaufen, denn er überzählte sein Geld mehrere Mal; es mußte aber wohl nicht zureichen, denn seufzend schob er einige Dollarnoten wieder in sein schmächtiges, stark abgenutztes Taschenbuch zurück und löste für fünf einzelne derselben ein einziges Loos.

Bald darauf, als sich der Doctor wieder nach ihm umsah und bei Allem, was im Himmel und auf Erden lebe, schwur, daß er mit ihm trinken oder sich mit ihm schlagen müsse, war er verschwunden.

Unterdessen rückte die vierte Nachmittagsstunde heran und eine große Anzahl von Menschen hatte sich vor dem eben erwähnten Kaffeehause versammelt, wo sie ungeduldig den Yankee erwarteten. Endlich kam er – an seiner Seite ging das Negermädchen und nicht weit von ihr entfernt, doch etwas Zurück, der bleiche junge Mann.

Lärmender Jubel empfing die Neuankommenden und der Doctor war der Ausgelassenste und Lustigste von Allen. Das Billard im großen Schenkzimmer wurde jetzt schnell zum Würfeltisch hergerichtet, die Liste der Würfelnden noch einmal verlesen, und der Wirth postirte sich dann mit einem Stück Kreide an die Billardtafel, um den Namen Dessen, der den höchsten Wurf thun würde, aufzuschreiben und die Zahl der geworfenen Augen dabei zu bemerken. Das Mädchen stand in einer Ecke auf einem zu diesem Zweck erhöhten Platz, um von Allen gesehen zu werden, und zwei große helle Thränen hingen an ihren dunkeln, niedergeschlagenen Wimpern.

Ein Herz nur, in all' dem Drängen und Treiben, fühlte ihren Schmerz und theilte ihn – es war der bleiche junge Mann, der, nur wenige Schritte von ihr entfernt, an ein Fenster gelehnt, mit zusammengepreßten Lippen und für den Augenblick von Fieberhitze gerötheten Wangen, die Arme fest ineinander verschränkt, da stand, vor sich niederstarrte und nur dann und wann schnell und mit einem die höchste Angst verrathenden Blick das große, dunkle Auge zu ihr erhob. Als aber das Zeichen zum Anfang gegeben wurde und Aller Aufmerksamkeit sich dem Billard zuwandte, als selbst das Opfer einen Moment schüchtern und bebend aufschaute, begegneten sich ihre Blicke; im Nu war er an ihrer Seite und flüsterte ihr, dicht bei ihr vorbeistreichend, zu. »Muth, Selinde, Muth, Du sollst mein werden und wenn ich Dich aus ihrer Mitte stehlen müßte!«

Ein mattes Lächeln überflog für einen Augenblick das thränenfeuchte Antlitz des armen Kindes, bald aber schwand es wieder und traurig senkte sie das Köpfchen und weinte still.

Das Spiel hatte unterdessen seinen Anfang genommen, dicht um das Billard gedrängt standen die Theilnehmer, mit gespannter Aufmerksamkeit die rollenden Würfel betrachtend, um schnell die fallenden Augen zu zählen.

»Fünfundvierzig!« rief Willis, als sein dritter Wurf gefallen war – »überbietet das, Doctor, wenn Ihr könnt.«

»Nun, ich habe fünf Loose und kann es schon eine Weile mit ansehen,« entgegnete dieser; »aber einmal will ich es doch jetzt auch versuchen.«

Er nahm die drei Würfel in den Becher, schüttelte sie und warf drei Einer.

»Das ist ein guter Anfang!« rief er ärgerlich, als lautes Gelächter ihn von allen Seiten begrüßte – »aber laßt nur, für dies erste Loos werfe ich nicht mehr; könnte ja so nur, im günstigsten Fall, neununddreißig bekommen – ich will unterdessen Eins trinken.

Er trat vom Billard zurück, Andere drängten sich hinzu, und eine Zeit lang herrschte ein gespanntes, ängstliches Stillschweigen, das nur von dem Klappern des Elfenbeins unterbrochen wurde. Der bleiche junge Mann, den Niemand im Zimmer zu kennen schien, trat jetzt hinzu und rief mit leiser, aber fester Stimme: »Mir die Würfel!«

Nur schwach war der Laut, mit dem diese Worte gesprochen wurden; wie ein elektrischer Schlag aber durchzuckten sie den Körper des jungen Mädchens, das krampfhaft emporfuhr und mit geöffneten Lippen und angehaltenem Athem aufmerksam dem geringsten Laut horchte.

Einen Blick nur warf der Spieler auf die vorgebeugt lauschende Gestalt, einen andern an die Decke, wie um da Hülfe zu erflehen, und dann rasselten mit fester Hand die entscheidenden Würfel auf das grüne Tuch – zwei Sechsen und eine Vier. »Sechzehn!« zählte monoton der Anschreiber; »noch einmal!« – wieder lagen dieselben Augen – zum dritten Mal warf er die Würfel in den Becher, schüttelte und – drei Zweien rollten hervor. »Achtunddreißig! – schlecht!« schrie der Ausrufer, und leichenblaß trat der Unglückliche vom Billard zurück. Ein Anderer nahm seinen Platz ein, und in sich zusammenschaudernd hielt die Negerin kaum ihre zitternde Gestalt aufrecht; doch ermannte sie sich nach wenigen Augenblicken wieder, und bat mit leiser Stimme einen nicht sehr entfernt von ihr stehenden weißen Mann um ein Glas Wasser.

»Verdamm' Dich – hol es selber; glaubst Du, daß ich Dein Nigger bin!« rief dieser, sich unwirsch von ihr abwendend. Ohne ein Wort zu erwidern, schwankte sie zum Schenktisch, nahm ein dort stehendes Glas, füllte es mit dem kühlenden Eiswasser und trank es leer; neugestärkt hierdurch, schritt sie leichten, fast elastischen Schrittes zu ihrem Platz zurück und barg, an die Wand gelehnt, das Gesicht in ihren Händen: sie nahm sichtbar keinen weiteren Theil an ihrem ferneren Geschick, und nur manchmal, wenn der rohe, freudige Ausruf eines glücklichen Würflers an ihr Ohr drang, schien eine plötzliche Angst ihr ganzes Innere zu durchbeben, und ein leichtes Zittern überflog ihre Glieder.

Wohl eine halbe Stunde mochte das Spiel so ununterbrochen fortgedauert haben und näherte sich jetzt seinem Ende, als der bleiche Mann, der sich auf kurze Zeit entfernt hatte und dem so viel an dem Besitz des jungen Mädchens gelegen zu sein schien, plötzlich zu dem Sclavenhändler wieder herantrat und ihn leise, mit verhaltener, aber zitternder Stimme um ein anderes Loos bat.

»Gut, mein Herr, ich habe gerade noch zwei, wollte sie selbst werfen, aber um Ihnen einen Gefallen zu thun, ist hier eins davon,« antwortete dieser artig; »jedoch,« fuhr er, sich höflich verneigend, fort – »werden Sie einsehen, daß ich eine Gelegenheit, mein Eigenthum selbst wieder zu gewinnen, nicht ganz umsonst aus den Händen geben sollte – ich kann Ihnen jetzt das Loos nur für zehn Dollars lassen.«

»Mann,« fuhr der Unglückliche empor, indem er krampfhaft seine Schulter faßte, »ich habe Alles veräußert, was ich bei mir hatte, um die lumpige Summe von fünf Dollars zu erschwingen, und jetzt wollt Ihr zehn; ich habe es nicht, mein ganzes Vermögen besteht in sechs Dollars.«

»Freilich kaum bedeutend genug, ein Geschäft anzufangen,« bedauerte der Yankee; »doch erinnere ich mich, daß mein Bruder Jesaiah einst –«

»Hier ist noch ein Ring,« unterbrach ihn plötzlich der Andere, indem er einen einfachen goldenen Reif von seinem Finger zog; »nehmt ihn und gebt mir ein anderes Loos. – Er ist das Doppelte werth,« fuhr er ungeduldig fort, als er sah, daß ihn der Yankee mißtrauisch und aufmerksam in der Hand wog und dann betrachtete; es bedurfte jedoch keiner weiteren Betheuerung. Der Sclavenhändler kannte zu gut den Werth des Goldes, um nicht augenblicklich sich überzeugt zu haben, daß der junge Mann die Wahrheit rede, und reichte ihm eins seiner Loose, während er selbst an das Billard trat und seine drei Würfe that. Das Glück war ihm nicht hold, und ruhig das Resultat des Spiels abwartend, zog er sich in eine Ecke des Zimmers zurück.

Der Doctor hatte jetzt seinen letzten Wurf gethan und rief triumphirend: »Sechsundvierzig! – Das Mädchen ist mein!«

»Sechsundvierzig! bester Wurf!« schrie der Anschreiber eintönig nach.

»Halt! ich habe noch ein Loos!« rief jetzt der junge Mann und drängte sich zur Tafel.

»Warum habt Ihr denn da nicht schon lange geworfen?« entgegnete ärgerlich der Doctor.

»Hatte ich nicht das Recht so gut wie Ihr, bis zuletzt zu warten?« fragte ihn dieser empfindlich.

»Meinetwegen,« lachte der Doctor jetzt dagegen, »Ihr werft doch keine Sechsundvierzig und hättet Eure fünf Dollars sparen können; aber halt!« rief er aus und erfaßte den Arm des jungen Mannes, der eben würfeln wollte – »die Dirne gefällt mir, sie hat ein verdammt hübsches Gesicht – ich gebe Euch fünfzig Dollars, wenn Ihr zurücktretet.«

»Die Würfel mögen entscheiden!« rief der junge Fremde, indem er sich von der Hand des Doctors losmachte und ihm für einen Augenblick das Blut so in die Schläfe trat, daß es ihm die Adern zu zersprengen drohte; in derselben Minute kehrte es aber zu seinem Herzen zurück und ließ nicht einen Tropfen in seinen Wangen. Die Würfel rasselten und eintönig zählte der Wirth die Augen.

»Siebzehn!«

»Beim Himmel, ein guter Wurf!« riefen Alle, die jetzt mit gespannter Erwartung die grüne Tafel umstanden.

Wieder rasselten die verhängnißvollen Stücke Elfenbein in dem ledernen Becher. Todtenstille herrschte und Aller Augen hingen an der Hand des Werfenden, während das arme geängstigte Mädchen betend in die Kniee gesunken war und ihr Gesicht mit den Händen bedeckt hielt. Ihr verhaltenes Schluchzen war das Einzige, was die grabesähnliche Stille unterbrach. Die Würfel lagen.

»Siebzehn! noch einmal!«

»Verdammt!« brummte der Doctor.

»Den dritten Wurf, den dritten Wurf!« riefen Alle ungeduldig, als sie sahen, daß der Fremde ängstlich sinnend einen Augenblick einhielt. Fast krampfhaft faßte er zweimal den Becher, jedesmal wie zusammenschaudernd vor dem entscheidenden Wurf – aber er konnte nicht länger warten – die halb trunkene Schaar wurde ungeduldig, und wieder rasselte der Becher; vorgebeugt umdrängten Alle das Billard, die Würfel fielen – es waren nur elf.

»Hurrah!« jubelte der Doctor, sich auf das Billard wälzend in widerlicher Lust – »ich habe gewonnen! Wer will trinken? ich tractire Alles, was im Hause ist. Müller, he! holla! hierher! füllt die Gläser, gebt Jedem so viel, als er trinken will, ich bezahle Alles!« Und sich dann auf dem Billard niederlassend, rief er aus: »Bringt das Mädchen her, ich will sie betrachten!«

Als Selinde den jubelnden Triumphruf des Doctors hörte, wollten sie fast ihre Kräfte verlassen, und sie wäre gesunken, hätte sie nicht der Fremde unterstützt; doch jetzt ermannte sie sich mit wunderbarer Kraft und flüsterte nur, ehe sie dem Befehl ihres neuen Herrn Folge leistete, ihrem Beschützer leise zu: »Fliehe, Alfons, fliehe, ehe man Dich entdeckt!« und trat dann festen und sichern Schrittes vor ihren Gebieter, seine Befehle zu vernehmen.

»Sie ist ein hübsches Mädchen!« lallte dieser, von heftigem Schlucken unterbrochen, indem er sich mit dem rechten Ellbogen auf den Billardrand legte und mit gläsernen Augen zu ihr aufsah – »gut, gut – meine Frau wird scheel sehen, wenn ich ihr den Nigger in's Haus bringe, aber –«

Er konnte nicht vollenden; die geistigen Getränke, die er an diesem Tage genossen hatte, gewannen durch die letzte Aufregung endlich die Oberhand, und bewußtlos sank er auf's Billard zurück, von dem er fortgetragen und in ein Bett gelegt wurde, um seinen Rausch auszuschlafen.

Der Wirth nahm die Negerin in seine Obhut und schloß sie in ein Zimmer ein, um sie ihrem Herrn nach dessen Erwachen zu überliefern.

Indessen hatten einige junge Leute, unter denen sich auch Willis befand, eifrig mit einander geflüstert und forschende Blicke auf den bleichen jungen Mann geworfen, den die Negerin Alfons genannt und der theilnahmlos in einer Ecke lehnte. Sein krauses, rabenschwarzes Haar hing ihm in langen Locken über die bleiche Stirn herunter, seine Lippen waren bleich und seine Augen geröthet; plötzlich trat Einer der jungen Leute auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und rief in barschem Ton: »Alfons!«

Wie von einer Schlange gebissen, sprang bei dem Klange dieses Namens der Unglückliche empor und starrte wild umher, auf den Kreis fremder, unbekannter Gesichter, die ihn umgaben, bis seine umherirrenden Blicke auf dem des ihm Gegenüberstehenden haften blieben, der ihn fest und durchdringend betrachtete. Als ihm aber dessen Züge klarer und deutlicher aufdämmerten, schlug er sich mit der geballten Faust vor die Stirn, stieß einen tiefen Seufzer aus und sank wie vernichtet auf seinen Stuhl zurück. Der junge Mann dagegen, der solche Veränderung in seinem ganzen Wesen hervorgebracht hatte, wandte sich triumphirend nach seinen Kameraden um und rief:

»Ich kannte den Burschen, und Ihr mögt mich einen Schurken nennen, wenn es nicht ein erbärmlicher Nigger ist.«

»Was, ein Neger?« riefen Alle, sich um den regungslos Dasitzenden drängend, »ein Neger? und mischt sich zwischen Weiße?«

»Hinaus mit ihm! schlagt ihn zu Boden, den Hund! werft ihn aus dem Fenster!« Das waren die Ausrufungen, die mit Blitzesschnelle einander folgten, und nicht allein bei Ausrufungen blieb es, sondern in demselben Augenblick fühlte sich auch der Unglückliche von kräftigen Händen gefaßt, zu Boden geworfen, wieder aufgerissen und dem Fenster zugeschleppt, aus dem er wenige Secunden später auf die Straße geschleudert wurde. Die Höhe, von der er hinunterstürzte, betrug jedoch kaum sieben Fuß und nur wenig beschädigt fiel er zu Boden; schon aber hörte er das Rachegeschrei der Verfolger, die nicht gedachten, ihr Opfer so leichten Kaufs entwischen zu lassen, auf der Hausflur.

Wohl sprang er empor und wandte das blutende Antlitz seinen Feinden entgegen, aber nicht Todesfurcht, nein, kalter Trotz und Verachtung des Schrecklichen, was ihm begegnen könnte, lag in dem Blick, mit dem er seine Peiniger zu erwarten schien. Da scholl aus einem der oberen Fenster die Stimme Selinde's, die ihm, den Untergang des Geliebten voraussehend, in Todesangst zurief:

»Flieh, Alfons, flieh – um meinetwillen!«

Einen Blick warf er hinauf zu der halb aus dem Fenster gebogenen schlanken Gestalt des armen Mädchens, einen Blick voll Liebe, Angst und Trotz; dann aber, wie von einem neuen Gedanken durchzuckt und ehe ihn noch der heranstürmende Haufe erreichen konnte, floh er mit Windesschnelle die Straße hinauf und war bald in den ihn verbergenden Baumgruppen, welche die Stadt umgaben, verschwunden.

Taumelnd und fluchend folgten ihm wohl noch einige der Nüchternsten eine kurze Strecke, gaben es aber bald auf, den schnellfüßigen Flüchtling zu erreichen, und kehrten in das Wirthshaus zurück, indem sie schwuren, dem verdammten Neger, wo er sich nur wieder blicken ließe, Füße und Hände zu binden und ihn in die Bayou zu werfen.

Guston hatte an dem ganzen Vorgange keinen Antheil genommen und ruhig, in einem Fenster lehnend, dem Auftritt zugesehen; einmal zwar, gerade als der Haufe den Unglücklichen auf die Straße schleuderte, war er zusammengezuckt, als ob er im Begriff gewesen wäre, ihm beizuspringen; hatte es aber nur so den Anschein gehabt, oder er sich eines Bessern besonnen, er fiel wieder in seine nachlässige Stellung zurück und blieb bei dem Ganzen ein unthätiger, ja, wie es fast schien, theilnahmloser Zuschauer. Nur erst als die Gemüther sich wieder beruhigt hatten und der lärmende Haufe zum erneuerten Trinken in die Gaststube zurückgekehrt war, entfernte er sich leise, selbst nicht von Willis bemerkt, und ging nachdenkend die Straße nach St.-Francisville hinauf.

Die Sonne war indessen untergegangen und tiefe Dämmerung lagerte sich über das Thal, als Guston den Fuß des Hügels erreichte, auf dem das Nachbarstädtchen erbaut ist. Zu seiner Linken sah er ein mattes Licht zwischen den Spalten eines kleinen Blockhauses hindurchschimmern, das, wie er noch von früher wußte, von zwei Mulattinnen, Mutter und Tochter, bewohnt war. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, daß sich dorthin der Verfolgte geflüchtet haben könne, und obwohl sich keines klaren Zwecks bewußt, ging er schnell an dem sanften Abhang des Hügels hinauf und stand bald an der von innen verriegelten Thür des kleinen Hauses, aus dem leise flüsternde Stimmen heraustönten.

Guston legte sein Ohr an eine der Spalten und unterschied bald die tröstende Stimme des Mädchens, die jemandem Muth zusprach und dabei selbst dann und wann einen recht tiefen, tiefen Seufzer ausstieß. Guston war überzeugt, daß der Unglückliche hier Schutz gefunden hatte, aber noch unschlüssig, wie er sich Eingang verschaffen wollte, da die Inwohnenden in ihm unmöglich einen freundlich Gesinnten vermuthen konnten, als er die Stimme der Alten hörte, die, an die Thür tretend, zu ihrer Tochter sagte:

»Ich muß nur noch die Wäsche hereinnehmen, die draußen hängt, sonst dürfte morgen früh wenig davon übrig geblieben sein; setze Du indessen den Kessel auf's Feuer – der arme Mensch wird Nahrung und Ruhe bedürfen.« Zu gleicher Zeit wurde der große, schwere eiserne Riegel zurückgeschoben, und die alte Frau trat in die Thür, erblickte aber in demselben Augenblick den jungen Pflanzer und wollte, zurückschreckend, dieselbe wieder zuschlagen, als Guston schnell vorsprang und das Verriegeln derselben hinderte.

Die Frauen stießen einen Angstschrei aus, und Alfons, der sich matt und erschöpft auf's Bett geworfen hatte, sprang erschrocken empor und riß ein verborgen gehaltenes Messer aus seinem Gürtel; Guston aber hob die Hand zum Zeichen des Stillschweigens, half selbst die Thür verriegeln und dann einen Stuhl an den Tisch rückend, setzte er sich mit einer solchen Ruhe und Kaltblütigkeit nieder, als ob nicht das Geringste vorgefallen sei.

»Mr. Guston,« rief die alte Mulattin, die ihn erst jetzt erkannte, ganz erstaunt aus, »Mr. Guston! wie um des Himmels willen kommen Sie wieder nach Louisiana und in unsere Hütte? Sie wollen doch nicht dem armen Mann da –?«

»Sei nicht bange, Alte,« unterbrach sie der junge Pflanzer, »ich habe keine bösen Absichten, ich komme einzig und allein aus Neugierde und kann dem armen Menschen sogar nützlich sein. Wie aber konntest Du es wagen,« – wandte er sich jetzt an den stumm und regungslos vor sich hinstierenden Quadroon – »Dich so dreist zwischen Weiße zu drängen und mit ihnen zu spielen und zu trinken?«

»Ich habe nicht mit ihnen getrunken,« antwortete eintönig Alfons.

»Gleichviel,« entgegnete Guston, »Du mußtest recht gut wissen, welcher Gefahr Du Dich aussetztest, und das ohne irgend einen Zweck oder Nutzen davon zu haben; denn wenn Du wirklich das Mädchen gewannst, so wäre sie Dir, unter den Verhältnissen, doch nicht gelassen worden.«

Alfons seufzte tief auf.

»Aber sage mir, wo bist Du her? Du bist so weiß wie irgend Einer von uns; ich selbst würde nie einen Verdacht geschöpft haben, daß Du von schwarzem Blute abstammtest. In welchem Verhältnisse stehst Du zu der Negerin? denn einen geheimen Grund mußt Du gehabt haben, Du hättest sonst nie etwas so Tollkühnes unternommen.«

»Und was hülfe es mir und Euch, wenn ich die Geschichte meiner Leiden erzählte?« sagte Alfons traurig, »es ist die Geschichte Tausender meiner Brüder, und Ihr mögt dieselbe in all' den südlichen Staaten dieses freien, gesegneten Landes finden! Oh, ein freies Land ist es!« fuhr er, mit beiden Händen krampfhaft seine Schläfe fassend, fort.

»Du selbst bist doch kein Sclave?« fragte, schnell vom Stuhl aufstehend, der Pflanzer.

»Nicht ich,« murmelte, traurig mit dem Kopf schüttelnd, der Unglückliche; »doch überzeugt Euch,« fuhr er, mehrere Papiere aus seiner Tasche hervorlangend, fort – »überzeugt Euch selbst. Mein Vater schenkte mir die Freiheit; oh, ich glaubte es damals ein schönes Geschenk, ich wurde nicht mit den anderen Negerkindern wie die jungen Mustang-Füllen aufgezogen, ich durfte lesen und schreiben lernen und glaubte mich, durch die Weiße meiner Haut getäuscht, so frei und glücklich wie die Amerikaner. Es war ein kurzer, aber schöner Jugendtraum; überall kannte man mich, wußte, daß meine Mutter eine Mulattin sei, und der »verdammte Neger« durfte sich an keinem Orte, wo sich Weiße aufhielten, sehen lassen, ohne die schmerzlichsten Kränkungen und Demüthigungen zu erfahren.

»Mit leichtem Herzen würde ich auch das Land meiner Geburt verlassen haben, hätte nicht eine Sclavin meines Vaters – dasselbe junge Mädchen, welches heute ausgewürfelt wurde,« – fuhr er mit leisem, zitterndem Tone fort – »mein Herz und meine Seele auf jener Pflanzung gefesselt gehalten. Selinde liebte mich wieder und Priesterhand sollte uns vereinigen, denn mein Vater hatte mir versprochen, sie frei zu geben und mir zu schenken. Da entriß mir der Tod plötzlich das einzige Wesen, das noch einen schützenden Einfluß auf mich ausgeübt hatte, denn auch meine Mutter war ein Jahr vorher gestorben, und Fremde nahmen das Eigenthum in Besitz, das durch unvorsichtige Spekulationen, wie mir gesagt wurde, verschuldet und verpfändet war. Ich wurde mit wenigen Dollars in die Welt hinausgestoßen, und Selinde, mit anderen Sclaven und Sclavinnen, da der neue Eigenthümer selbst deren einige fünfzig aus Georgien mitgebracht hatte, an einen Sclavenhändler verkauft. Dieser verließ Alabama und wandte sich nach New-Orleans, um dort für einen höheren Preis die billig eingehandelten Schwarzen zu verkaufen, was ihm auch mit allen gelang, Selinde ausgenommen, die er für sich behalten wollte, bis er mit ihr hier nach Bayou Sarah kam und es ihm einfiel, sie auszuwürfeln.

»Ich war ihnen von meinem Geburtsort aus gefolgt und hatte oft mit Lebensgefahr das Mädchen, an dem mein Herz hing, zu sehen getrachtet; da hörte ich heute Morgen, hier eben angelangt, von dem beabsichtigten Würfelspiele. Neue Hoffnung belebte mich, ich glaubte mich hier von Niemandem gekannt, der weißen Farbe meiner Haut vertrauend, wagte ich mich in das Wirthshaus und wendete meinen letzten Cent, selbst einen Ring daran, den mir meine Mutter auf dem Sterbebette gegeben, um zwei Loose zu kaufen. Sie wissen das Uebrige. Der junge Mann, der mich erkannte, ist ein Neffe meines Vaters – mein eigener Vetter.«

Alfons schwieg, die beiden Frauen aber saßen in der Ecke und schluchzten; selbst Guston war gerührt.

»Wie aber entgingst Du der Aufmerksamkeit des Sclavenhändlers?« fragte er endlich nach einer Pause; »der mußte Dich doch auf Deines Vaters Pflanzung gesehen haben.«

»Oft genug,« fuhr Alfons fort; »da ich aber mit im Herrenhause schlief und von den Sclaven stets als »Mr. Alfons« angeredet wurde, hatte er nicht den leisesten Verdacht geschöpft, daß ich selbst zu jener verachteten Race gehören könne.«

»Und was denkst Du jetzt zu thun?« fragte Guston teilnehmend, als er ihm die schnell durchgesehenen Papiere zurückgab.

»Was kann ich thun?« hauchte leise der Quadroon.

»Sei morgen Abend wieder hier in diesem Hause,« sagte Guston aufstehend, »ich will mit dem Doctor morgen früh reden, vielleicht kann ich Dir helfen.«

Alfons schüttelte, bitter lächelnd, den Kopf.

»Heute ist so nichts mehr zu hoffen,« fuhr Guston, mehr zu sich selbst als zu dem Andern redend, fort, »um zehn Uhr fährt der Doctor mit der Dampffähre nach Pointe-Coupé, und da wird für diesen –«

»Heut Abend um zehn Uhr?« fragte Alfons hoch aufhorchend.

»Die Dampffähre geht doch bei diesem niedrigen Wasserstande nicht mehr so spät in der Nacht?« sagte die alte Mulattin, sich die Augen trocknend.

»Es sind, wie ich eben hörte, Damen von Taylor's Pflanzung auf dieser Seite des Flusses, und die verlangen noch übergesetzt zu werden,« erwiderte Guston; »da wollen sie den Doctor so lange schlafen lassen und dann mitnehmen; bis dahin ist er nüchtern und kann auf seine Sclavin Acht geben. Doch genug für heut Abend,« unterbrach er sich selbst, »ich habe vielleicht Unrecht gethan, Dir so theilnehmend zuzuhören, da Du nach den Gesetzen des Staates, in dem wir nun einmal leben, eigentlich eher Strafe als Mitgefühl verdient hättest; doch wollen wir das für jetzt dahingestellt sein lassen; also leb' wohl, bis morgen Abend will ich sehen, was sich für Dich thun läßt, und halte Dich ein wenig verborgen, daß Du Deinem Vetter nicht wieder vor die Augen kommst, er scheint keinen großen Gefallen an seiner Verwandtschaft zu finden. – Schon gut,« sagte er, etwas zurücktretend und eine abwehrende Bewegung machend, als er sah, daß Alfons seine Hand ergreifen wollte – »schon gut, Du bist mir weiter keinen Dank schuldig, als daß ich Dich nicht verrathe, und dazu fühle ich nicht die mindeste Lust. Also gute Nacht, Alte, gute Nacht, Anna;« und den Riegel wieder zurückschiebend, sprang er von der hohen Schwelle hinunter und war bald in der Dunkelheit verschwunden.

Er hatte aber kaum die nach Bayou Sarah führende breite Straße wieder erreicht und war auf dieser einige Schritte fortgegangen, als aus dem dichten Gestrüpp, das zu beiden Seiten des Weges wuchs, zwei dunkle Gestalten auf ihn zusprangen und ihn festhielten. Schon hatte er sein Messer ergriffen und wollte sich, nichts Gutes erwartend, Bahn machen, als er Willis' Stimme erkannte, der, ihn loslassend, lachend, aber mit unterdrückter Stimme ausrief:

»Zum Henker! Einen von unseren Flüchtlingen haben wir gefangen, aber nicht den rechten; wie um Gottes willen kommst Du hierher?«

»Ich wollte erst nach St.-Francisville gehen, habe mich jedoch anders besonnen,« sagte Guston; »aber was im Namen alles gesunden Menschenverstandes thut Ihr hier, wie Straßenräuber auf dem breiten Fahrweg? Ich glaubte wahrhaftig im ersten Augenblick, ich wäre einigen entlaufenen Negern in die Hände gefallen, und wollte schon anfangen, mir mit meinem Messer Bahn zu hauen, als ich noch glücklicher Weise Deine Stimme erkannte. Wer sind Diese und was wollt Ihr Alle hier?« fuhr er, erstaunt umherblickend, fort, als er eine Menge Menschen nahen hörte, die in wenigen Secunden an seiner Seite waren und in denen er die ganze Würfelgesellschaft erkannte. Der lange Sclavenhändler und der Ankläger und Vetter des Entflohenen schienen sie anzuführen.

»Still,« sagte Willis, »wir wissen, daß der freche Schuft, der sich so schändlicher Weise zwischen uns eingeschlichen hatte, hier links am Wege bei Mutter Hoyer sitzt, wir wollen jetzt das Haus umzingeln und den Burschen fangen; er soll doch auch wissen, wie Peitschenhiebe in Louisiana schmecken.«

»Wozu den armen Teufel noch einmal aufsuchen?« fiel Guston gutmüthig ein, »Ihr habt ihn einmal abgestraft, laßt ihn laufen; er wird sich so bald nicht wieder zwischen weiße Männer hineinwagen.«

»Still, Mann, aus Dir spricht der Europäer,« entgegnete trocken Willis; »mit so leichter Strafe kommt kein Neger davon, wenn ich's verhindern kann.«

»Es thut mir nur leid, daß wir ihn nicht gleich banden und in den Fluß warfen,« fiel ärgerlich, doch mit unterdrückter Stimme der Vetter des Unglücklichen ein – »ich konnte den Jungen nie leiden; aber kommt, wir verlieren unsere Zeit und dort schimmert das Licht.«

Guston drehte den gefühllosen Menschen verächtlich den Rücken und wandte sich nach der Stadt, während der Haufe leise gegen das kleine Blockhaus hinanschlich; plötzlich aber, wie von einem andern Gedanken ergriffen, kehrte er schnell um und folgte seinen Freunden, leise dabei vor sich hinmurmelnd: »Sie sollen ihn doch wenigstens nicht tödten!«

Wenige Schritte nur war er nach der Hütte zurückgegangen, als es ihm schien, als ob eine dunkle Gestalt über den Weg glitte. Er blieb stehen und rief sie mit unterdrückter Stimme an, aber keine Antwort erfolgte und bald hatte er das Häuschen erreicht, das schon von den Männern geräuschlos umzingelt war, während die nichts Böses ahnenden Bewohner sich noch bei dem matten Schein der Lampe mit leiser Stimme unterhielten und dann und wann ein leises Schluchzen durch die Nacht drang. Willis trat jetzt vor und mit dem starken Ende einer ungeheuren ledernen Negerpeitsche, die er unterwegs mitgenommen, an die Thür schlagend, verlangte er Einlaß. Einen Augenblick herrschte Todtenstille; erst auf seine zweite Aufforderung ertönte die Stimme der Alten, die ihn ruhig bedeutete, weiter zu gehen – es sei Nacht und sie mache keinem Fremden die Thür auf, da sie nur zwei einzelne Frauen wären.

»Das wissen wir besser, Du verwünschte Hexe!« rief jetzt Willis mit voller Stimme, indem er mit aller Kraft einen Schlag gegen die Thür führte – »öffne augenblicklich, oder wir reißen Dir Dein morsches Dach über dem Kopfe zusammen.«

Die Uebrigen waren jetzt ebenfalls von allen Seiten hinzugetreten, und das Haus eng einschließend, schienen sie die Drohung im wahren Sinne des Worts ausführen zu wollen, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Ohne das Oeffnen der Thür abzuwarten, sprang Willis mit aller Gewalt gegen dieselbe und sie aufstoßend, warf er sie mit solcher Gewalt gegen den Kopf der Mulattin, daß die Unglückliche, von dem Schlage betäubt, besinnungslos zurücktaumelte und niederstürzte. Laut aufschreiend, warf sich das Mädchen über den Körper der Mutter; ihrer jedoch wenig achtend, stürmte, so schnell es ihnen der enge Eingang erlaubte, ein Theil der Verfolger in das Gemach, um ihr Opfer zu erfassen.

Vergebens sahen sie sich indessen nach ihrer Beute um, vergebens leuchteten sie in jeden Winkel, hinter jeden Kasten, vergebens warfen sie selbst die Betten der armen Frauen auf den Boden, den vielleicht darunter Versteckten zu entdecken, er blieb spurlos verschwunden, und drohend wandte sich jetzt Willis an die arme Alte, die sich, noch betäubt von dem Schlage, erschöpft an die Schulter ihrer Tochter lehnte.

»Wo ist der Bursche, der noch vor wenigen Minuten hier war? Willst Du reden, Alte, oder ich drehe Dir den Hals um.«

»Laßt meine arme Mutter, Herr!« rief das Mädchen, den schon nach ihr ausgestreckten Arm des wüthenden Willis zurückstoßend – »laßt sie, Ihr habt sie ja schon beinahe getödtet.«

»Nigger!« rief dieser, sich zornig emporrichtend, »willst Du mir sagen, was ich thun oder lassen soll?« und mit der Peitsche ausholend, wollte er eben das furchtlos ihm gegenüberstehende junge Mädchen niederschlagen, als er seinen Arm von Guston gefaßt und festgehalten fühlte, der ihm leise zuflüsterte: »Du schlägst das Mädchen nicht, oder Du hast es mit mir zu thun!«

»Was zum Henker mischest Du Dich in mein Thun?« fuhr Willis heftig gegen den Freund herum; aber dessen ernstem Blicke begegnend, ließ er den Arm sinken und sagte halb lachend, halb ärgerlich: »Warum ist das dumme Ding so trotzig? ich wollte ihr übrigens kein Leid thun; sie soll nur sagen, wo der Bursche ist, der noch vor wenigen Minuten hier war!«

Einen ängstlichen Blick warf das junge Mädchen auf Guston, um zu erforschen, ob er sie verrathen habe; bald aber schien sie diese Furcht aufzugeben, denn sie schüttelte leise mit dem Kopfe und hauchte: »Ich habe Niemand gesehen.«

»Lügen!« riefen jetzt mehrere Stimmen aus dem Haufen – »er war hier, wir wissen es; seit wann ist er fort?«

»Ich habe Niemanden gesehen,« wiederholte leise das zitternde Mädchen.

»Gentlemen!« sagte jetzt Guston, sich an die ihn dicht umdrängenden Männer wendend – »Sie sehen, der Mann ist fort, wohin? darf uns für den Augenblick sehr gleichgültig sein, denn wie könnten wir dem Einzelnen in der stockfinstern Nacht folgen? Also kommen Sie mit mir in die Stadt zurück und wir wollen noch ein halb Stündchen zusammen trinken, ich tractire; morgen haben wir vielleicht mit dem Auffinden des Burschen mehr Glück. Wer geht mit mir?«

»Nun, ich denke,« sagte der Sclavenhändler, indem er sich mit großer Seelenruhe von einer breiten Tafel Kautabak ein ungeheures Stück abschnitt und in den Mund schob – »wir gehen Alle.«

»Ja, laßt uns gehen; zum Teufel mit dem Nigger!« riefen Alle untereinander und drängten sich wieder aus der Thür hinaus, um im Wirthshause ihr Gelage auf's Neue zu beginnen. Guston verließ das Haus zuletzt, und das Mädchen folgte ihm mit dem thränenden, dankbar ihm zugekehrten Blick – sie sah in ihm den Retter ihrer Mutter.

Lachend und jubelnd wanderten die Männer der Stadt zu und erreichten bald wieder das Haus, wo Guston, seinem Versprechen gemäß, sie auf seine Kosten trinken ließ, so viel sie wollten. Die Unterhaltung war sehr laut und besonders schimpfte und fluchte der Sclavenhändler auf den Entflohenen, den er versicherte, mehr als zwanzigmal gesehen, immer aber für einen Weißen gehalten zu haben, als plötzlich der Doctor mit verschlafenem, bleichem Gesicht, sich dehnend und streckend, in der Thür erschien.

Mit allgemeinem Jubel wurde er empfangen und vernahm jetzt, mit Erstaunen über die unerhörte Frechheit des Niggers, die Erzählung dessen, was, während er schlief, vorgefallen war.

»Der Nigger!« rief er endlich ganz entrüstet aus. »Ich glaubte selbst, er sei einer jener dunkelhäutigen Creolen, die man oft kaum von Mulatten, viel weniger von Quadroonen unterscheiden kann – aber Ihr habt ihn doch gleich geknebelt und abgestraft, oder wenigstens in Sicherheit gebracht?« Etwas kleinlaut erzählte jetzt Willis, daß er ihnen entkommen sei, sie aber ernstliche Nachforschungen am andern Morgen anstellen wollten. »Ich habe einen vorzüglichen Negerhund,« fuhr er in seinem Argumente fort – »und wenn wir den auf die Spur bringen –«

»Bah,« rief der Doctor ärgerlich, »glaubt Ihr, der wird sich lange hier in den Büschen oder Sümpfen herumtreiben, wo so viel Boote am Ufer liegen? Der stiehlt diese Nacht eins, wenn das nicht schon jetzt geschehen ist, und hat bis morgen Früh wenig Spuren zurückgelassen, dafür steh' ich. Nun« – tröstete er sich endlich – »er kommt uns vielleicht ein ander Mal wieder in den Wurf, und – »wir kennen den Burschen jetzt. – Aber glaubt Ihr, ich sei ein Pulvermagazin, daß Ihr Euch hier Alle um mich her drängt und mich so trocken haltet, als ob mich ein Tropfen Spiritus verderben könnte? Heh, Wirth! etwas zu trinken! Ihr habt doch mein Mädchen ordentlich aufgehoben?«

»Alles in Sicherheit,« entgegnete dieser, dem Doctor ein Glas und eine Flasche hinschiebend; »aber, Doctor, die Fährleute werden gleich zum letzten Mal hinüberfahren, Punkt zehn Uhr will Mr. Taylor am Ufer sein.«

»Mr. Taylor,« sagte der Doctor, sein Glas halb füllend und leerend, »mag zu – Grase gehen! – – Es wird aber doch besser sein, ich fahre mit; so bringt das Mädchen herunter und laßt sie sich bereit halten.«

»Ihr Bündel liegt in der Küche,« sagte der Yankee; – »viel hat sie zwar nicht, aber –«

»Ihr Yankees werdet auch einen Sclaven viel Plunder mitnehmen lassen!« unterbrach ihn lachend der Doctor, »da müßte man Euch nicht kennen; nun, wenn sie fleißig und ordentlich ist, kaufe ich ihr ein paar neue Fähnchen.«

Guston hatte, an das Billard gelehnt, eine Zeit lang starr vor sich niedergesehen und dem Gespräch gehorcht; als er aber hörte, daß das Mädchen vor die Thür geführt ward und der Doctor sich selbst zum Ueberfahren rüstete, trat er auf diesen zu und bat ihn, einen Augenblick mit ihm zu gehen, da er ihm etwas zu sagen habe. Der Doctor folgte und Beide standen bald in der sternhellen Nacht auf der offenen, menschenleeren Straße unfern des unglücklichen Mädchens, das, die Hände auf dem Rücken befestigt, an einen Balken, der eigentlich zum Anhängen der Pferde diente, gebunden war und, an diesen gelehnt, in ihrem dünnen weißen Kleide traurig empor zu den goldenen Sternen blickte.

»Nun, was wollen Sie von mir, Sir?« fragte endlich der Doctor, nur wenige Schritte von der Sclavin stehen bleibend.

»Ich wünsche Ihnen dies Mädchen abzukaufen,« antwortete Guston fest und ruhig.

»Den Teufel auch!« rief erstaunt der Doctor; »was fällt Ihnen auf einmal ein?«

»Sie gefällt mir,« entgegnete in gleichgültigem Ton der junge Pflanzer.

»Mir auch,« sagte der Doctor lachend, »und ich verkaufe sie nicht wieder; nein, meine Frau wollte lange ein Hausmädchen haben und die scheint mir wie geschaffen dafür: leicht, behende, hübsch und stark.«

»Doctor, es kommt mir auf einige Dollars nicht an; ich möchte aber das Mädchen haben und wenn Sie nicht einen zu horrenden Preis fordern, so –«

»Nein, nein,« unterbrach ihn der Doctor, »aus unserem Handel wird nichts; wenn ich das Geld nöthig brauchte, ja, dann wär' es vielleicht etwas Anderes, ich habe aber just gestern einen Wechsel von tausend Dollars bekommen, gut wie Silber und da ist mir jetzt das Mädchen nicht feil. Fragt jedoch Weihnachten einmal wieder nach und – ich stehe Euch nicht dafür, daß das Geld so lange ausreicht – vielleicht noch früher; nur für den Augenblick wird nichts daraus.«

Das Mädchen hatte im Anfang, da sie hörte, wie nahe sie die Unterhaltung anging, erschrocken aufgehorcht, und versuchte vergebens, eine Zeit lang mit ihren scharfen Augen die Finsterniß zu durchdringen, um die Züge Dessen zu erforschen, der sie zu erhandeln wünschte; da sie das aber unmöglich fand, verfiel sie wieder in ihre träumerische Stellung, wenig den Fortgang des Gesprächs und die Folgen, die es für sie haben mußte, beachtend. Sie war daran gewöhnt, als ein Stück Waare betrachtet und verhandelt zu werden, und ihr schien es gleichgültig, wer von den Beiden ihr neuer Herr werde, da Alfons doch unwiederbringlich für sie verloren war; nur zwei große Thränen traten ihr in die dunkeln Augen und fanden, von anderen gefolgt, ihre Bahn die sammetweichen Wangen der Unglücklichen hinab. – Sie konnte sie nicht abtrocknen, ihre Hände waren gebunden.

Jetzt traten auch die übrigen Pflanzer und Kaufleute aus dem Hause und wanderten zusammen dem nicht fernen Flußufer zu, um den Doctor noch auf das Boot zu begleiten. Guston wandte sich ab und schritt schweigend an Willis' Seite, der ihm tausend tolle Streiche und Schwänke erzählte und sich wenig darum bekümmerte, ob sein Gefährte ihm zuhörte oder nicht, dem kleinen Städtchen St.-Francisville zu, um dort zu übernachten und am nächsten Morgen seines Vaters Pflanzung zu erreichen.

Das Schicksal der beiden Unglücklichen hatte Guston, da er lange Zeit von den Sclavenstaaten entfernt gelebt, wirklich geschmerzt und manch' gutmüthiger Plan für die Zukunft der Beiden seinen Kopf durchkreuzt, als er dem Doctor das Mädchen abkaufen wollte. Da dieser aber nicht darauf eingegangen war, so glaubte er das Seinige gethan zu haben und vergaß bald das Unglück von Leuten, denen er doch nicht helfen konnte. Noch hatte er nicht die Höhe des Hügels und mit ihm die ersten Häuser des Städtchens erreicht, als er schon ganz in Willis' Laune einstimmte und diesem von seinen Reisen und Wanderungen erzählte.

Unterdessen waren die Passagiere, die noch nach Pointe-Coupé übersetzen wollten, auf der Dampffähre eingeschifft und Selinde wurde ebenfalls an Bord gebracht, jetzt jedoch, als das Boot vom Lande abstieß, losgebunden, und sie stand vorn am Bugspriet des kleinen, breiten Fahrzeugs, schaute über das niedere Geländer hinab in den dunkeln, reißenden Strom und hing ihren trüben, traurigen Gedanken nach.

In der Kajüte hatte sich indessen der Doctor mit noch zwei anderen Pflanzern zu Taylor's Familie gesellt und erzählte diesen von den heutigen Vorfällen, während das Boot langsam am Ufer hinauflief und eben vor der kleinen Bayou, von der das Städtchen seinen Namen hat, vorüberfahren wollte.

»Geht denn der Herr nicht mehr mit, der da noch am Ufer steht?« rief plötzlich der Steuermann, ein Deutscher, dem Master des Boots zu, der unten, unfern der Sclavin, am Geländer lehnte.

»Nein, hat sein eigenes Boot,« war die lakonische Antwort, und der Ingenieur, der auch zugleich die Stelle des Feuermanns mit vertrat, gab dem Boote die ganze Kraft, um so schnell wie möglich die nächtliche Fahrt zu beenden.

Das Boot erreichte jetzt die ungefähre Höhe, von der aus sie hoffen durften, die gegenüberliegende Landung zu gewinnen; der Steuermann ließ also den Bug nach der Backbordseite abfallen, und bald zeigte das stärkere Rauschen am Bugspriet, daß es in reißendere Strömung gerathen sei. Langsam bewegte es sich der Sandbank zu, die sich in den Sommermonaten, mitten im Flusse von einer kleinen Insel unterhalb ausgehend, wohl zwei Meilen hinauszieht, und welche die Fähre, um an dem gewöhnlichen Landungsplatze in Pointe-Coupé anzulegen, umfahren mußte. Das Boot mochte kaum dreihundert Schritt von dem waldigen Ufer ab sein, als von der Mitte des Stromes aus dreimal der Ton eines LoonLoon (Wassertruthahn), eine Art Taucher, der sich in großer Anzahl in den südlichen Bewässern Nordamerikas, besonders auf dem Mississippi aufhält. klagend über die glatte Wasserfläche herüberschallte. Der Master schien die oft gehörten Töne wenig zu beachten; Selinde aber fuhr schon beim zweiten Rufe, wie von einem plötzlichen Schreck durchschauert, auf und lauschte mit verhaltenem Athem dem dritten. Wenige Minuten war Alles still, und dann schallten wieder dieselben drei wehmüthigen Rufe des menschenscheuen Wasservogels zu ihr herüber, während sie mit vorgebeugtem Oberkörper und weitgeöffneten Augen die Finsternis zu durchdringen suchte, wie um den Urheber dieser Töne zu entdecken.

»Der Loon schreit recht kläglich heut Abend!« rief der Steuermann.

»Ja, wir bekommen Regen,« sagte der Master, indem er einen prüfenden Blick nach oben warf. Der Himmel schien aber seine Wetterprophezeiung nicht zu rechtfertigen, denn kein Wölkchen umhüllte die Myriaden Sterne, die in glühender Pracht von dem dunkelblauen Firmament herniederschimmerten.

Das Boot durchschnitt jetzt, in die Nähe der Sandbank und dadurch in etwas stilleres Wasser kommend, mit größerer Schnelle den Strom, während der Loon noch zweimal in kurzen Zwischenräumen seinen Ruf ertönen ließ, aber schwieg sobald die Fähre heranrauschte.

»Halte stromauf!« rief der Master jetzt dem Steuermann zu, »Du rückst dem Sande zu nahe. So – das wird genug sein!«

Sie liefen von da an ziemlich geschwind in ganz todtem Wasser an der Sandbank hinauf und näherten sich mehr und mehr der Spitze, als der Steuermann ausrief, er sähe etwas Schwarzes vorn auf dem Wasser, das einem Kahne gliche.

»Ich kann nichts erkennen,« rief der Master, seine Augen anstrengend und sich vorn überbiegend.

»Kommt hierher, es muß ein losgerissenes Boot sein, was dort auf den Sand getrieben ist. Wenn wir unsere Jolle mit hätten, könnten wir es fangen.«

»Schändlich!« rief der Master ärgerlich, »die Burschen, die hinter uns mit dem Ruderboote kommen, werden es jetzt finden; wir dürfen aber nicht näher hinfahren, sonst bleiben wir sitzen.«

Sie waren unterdessen in gleiche Höhe mit dem dunkeln Gegenstande gekommen, der sich wirklich als ein Kahn auswies, aber nicht als ein leerer, sondern ein einzelner Mann saß darin und ruderte, etwas vor dem Boote, auf dasselbe zu, als ob er dicht an demselben vorüberfahren wollte. In demselben Augenblick ließ sich auch der Loonruf, doch ganz in der Nähe und äußerst leise hören.

»Habt Acht! Ihr kommt unter die Fähre!« schrie der Master vom Verdeck aus dem einsamen Ruderer zu, der jetzt fast auf Kahnlänge herangekommen war; die Warnung wurde aber nicht beachtet, und – »Selinde!« rief der fremde Mann leise herüber. In dem Augenblick berührte auch sein Kahn die Dampffähre, und mit einem Sprung lag das Mädchen an der Brust des Geliebten, glitt aber, wohl wissend, daß dieser seine Arme jetzt nöthiger brauche, als sie zu umfassen, behende in den Stern des Boots, und dasselbe mit einem dortliegenden kurzen Ruder abstoßend, trieb der kleine Nachen, ehe sich die Fährleute nur von ihrer Ueberraschung erholen konnten, schnell in das Fahrwasser des Dampfers.

»Halt! verdamm' Euch! Hülfe! haltet sie!« riefen der Master und Steuermann zu gleicher Zeit, und ersterer sprang, mit Hintansetzung der Furcht für seine Gliedmaßen, mit einem Satz vom Steuer aus das untere Deck hinunter, um das Entkommen des Boots zu verhindern; aber zu spät, schon verschwand es in der dichten Finsterniß, und deutlich hörten sie, wie es, von kräftigen, regelmäßigen Ruderschlägen getrieben, schnell über die Fläche des Stromes dahinschoß.

»Was schreit Ihr denn so, als ob Ihr am Spieße stäkt?« rief der Doctor, als er jetzt mit den anderen Männern aus der Kajüte kam – »ist das nicht ein Höllenlärm –«

»Die Negerin ist fort!« rief der Master.

»Was ist sie?« schrie der Doctor und war mit wenigen Schritten an der Seite des selbst zum Tode erschrockenen Masters, der seinem Steuermann nur schnell zurief, das Boot zu wenden und stromab den Flüchtigen zu folgen, und dann dem Doctor mit wenigen Worten den ganzen Vorfall erzählte. Fluchend und tobend aber sprang dieser zum Steuer, bot dem Steuermann zehn Dollars, wenn er die Entflohenen wieder einhole, und vertrieb sich dann die Zeit damit, daß er, auf- und abgehend, überdachte, wie er die Beiden, wenn er sie erst wieder eingefangen hätte, züchtigen wollte.

Der Master war indessen auch zu ihm herangetreten, und den Doctor in seinem Eifer und seinen Gesticulationen unterbrechend, rief er ihm zu, einen Augenblick ruhig zu sein, denn er glaube, er höre Ruderschläge. Sie horchten jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit und vernahmen deutlich das regelmäßige Einschlagen von Rudern in das Wasser; es konnten aber nicht die Flüchtlinge sein, denn es kam von Bayou Sarah herüber, und der Steuermann brach endlich das Schweigen, indem er versicherte, daß es das Segelboot wäre.

»Gut,« rief der Master, »die wollen wir doch bei unserer Jagd zu Hülfe rufen, es müßte dann mit dem Bösen zugehen, wenn wir das Pärchen nicht einfingen, ehe es Waterloo erreichen kann.« Und die Hände trichterförmig an den Mund haltend, schrie er mit kräftiger Stimme sein »Boot ahoy-y!« über die ruhige Stromfläche hinüber.

Schon sein zweiter Ruf wurde von drüben beantwortet, und bald tönte auch auf sein langsam und deutlich ausgestoßenes »Kommt herüber!« ein befriedigendes»Ay – Ay!« zurück.

Die Dampffähre schoß unterdessen mit bedeutender Schnelle an der Sandbank hin, gleichwohl immer sich etwa hundertfünfzig Schritt von ihr entfernt haltend, um nicht aufzulaufen, und aufmerksam beobachteten die Männer den zwischen ihnen und der Bank liegenden Wasserstreifen, da sie nicht ohne Grund vermutheten, daß der Entflohene eher versuchen würde, ihnen unter dem Schutze der Nacht zu entgehen, als sich auf seine eigene Kraft zu verlassen und die Mitte des Stromes zu suchen, wo ihm, wenn entdeckt, auch nicht die mindeste Hoffnung auf Entrinnen geblieben wäre.

Schon hatten sie sich auf wenige hundert Schritt der kleinen Insel genähert, als der Master plötzlich des Doctors Arm faßte und gerade sich gegenüber nach der Sandbank deutend, die hier etwa drei Fuß über die Wasserfläche herausragte, ausrief: »Dort sind sie, so wahr ich ein Christ bin; seht Ihr dort?«

»Wo? wo?« rief der Doctor, der nur das dunkle Boot mit den Augen gesucht hatte.

»Dort der weiße Punkt,« rief der Master – »das Kleid des Mädchens!« und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, sprang er mit einem Satz an das Steuerrad, und das Boot schnell wieder stromauf wendend, führte er es gerade auf den weißen Punkt zu. Der Flüchtige war aber hier allerdings in der Hoffnung angelaufen, unter dem mehrere Fuß hohen steilen Sandufer unbemerkt liegen zu bleiben und, wenn die Fähre vorbeigefahren wäre, schnell die Mitte des Stroms zu erreichen, wonach er dann, stromab, bald aus dem Bereiche augenblicklicher Verfolgung kommen konnte.

»Jetzt haben wir sie!« rief der Master aus, als er sich, etwas näher rückend, wirklich überzeugt hatte, daß es die Flüchtigen waren; »hier ist das Wasser tief und ich müßte mich sehr irren, wenn wir nicht an den Burschen dicht heranlaufen könnten; auf alle Fälle wollen wir's versuchen.«

Die armen Flüchtigen befanden sich unterdessen in einer gar mißlichen Lage, denn in der That hätte die nicht sehr tief im Wasser gehende Dampffähre gerade an dieser Stelle an sie heranlaufen können. In diesem kritischen Augenblick verließ aber den in der Schule des Unglücks Gestählten die so nöthige Geistesgegenwart nicht; mit raschen Ruderschlägen flog er, etwa fünfzig Schritt, seinen Verfolgern gerade entgegen, und als diese schon, in der Hoffnung, ihn bald in ihrer Gewalt zu haben, laut aufjubelten, der Doctor sogar ein Tau zurechtlegte, um den »damned nigger,« wie er sich ausdrückte, zu knebeln, schoß dieser plötzlich, einen schmalen Streifen seichten Wassers benutzend, der sich zwischen zwei langen Sandzungen hinzog, in seinem kleinen Boote rechts von der Fähre ab, die gleich nachher, durch das nur wenige Zoll tief gehende Boot irre geführt, in zu seichtes Wasser kam und auflief. Im nächsten Augenblick waren die Flüchtigen in der Alles umlagernden Finsternis verschwunden.

Da schallte plötzlich ein nahes deutliches »Hallo!« herüber, und das angerufene, von Bayou Sarah kommende Segelboot lag wenige Augenblicke später neben dem auf dem Sande sitzenden Dampffährboote.

»Hallo!« rief noch einmal der im Stern des ersteren behaglich hingestreckte Creole – »was flucht Ihr denn hier so gotteslästerlich durch die stille Nacht? Das ist der Doctor, nicht wahr?«

»Beauvais!« rief dieser, »Euch sendet uns der Himmel!«

»Wohl durch Euer Beten erweicht?« lachte Beauvais.

»Kommt schnell heran, nehmt uns auf; mein Negermädchen ist mir hier vom Boote weg durch den weißen Nigger gestohlen, und vor kaum drei Minuten sind sie erst fort, wir müssen sie einholen.«

»Kommt herein denn, schnell!« rief der Creole, das Boot an die Fähre anlenkend – »und wenn meine vier Burschen den bleichen Schurken nicht in zehn Minuten haben, so will ich mein Leben lang keinen Gumbo mehr anrühren und, Doctor,« fuhr er lachend fort, »das würde mir so sauer werden, als Euch, wenn Ihr dem Brandy entsagen solltet.«

Mit unglaublicher Schnelle verließ das Segelboot, das den Doctor, den Master und den andern Pflanzer aufgenommen, die gestrandete Fähre und flog der Mitte des Stromes zu, um die Flüchtigen einzuholen.

»Ich höre das Ruder!« rief der Master, der, die Hände hinter die Ohren haltend, einen Augenblick gelauscht hatte – »ich höre das Ruder deutlich, gerade unter jenem hellen Stern. So – noch ein wenig rechts!« rief er, als Beauvais schnell seinen Lauf danach änderte – »so – jetzt sind wir auf der Spur; nun, meine Burschen, streckt Euch!«

Das Boot berührte kaum die Wasserfläche und hochauf spritzte der weiße Schaum am Bugspriet.

Unterdessen war Alfons nicht müßig gewesen; große Schweißtropfen perlten ihm an der durch die übermäßige Anstrengung des Ruderns erhitzten Stirn, und lange war kein Wort zwischen den Liebenden gewechselt; jetzt brach Selinde das Schweigen und flüsterte leise und bebend:

»Ich habe Dich verrathen, Alfons, mein weißes Kleid zeigte den Verfolgern unser Versteck; – oh, wie bin ich unglücklich!«

»Mein armes Mädchen,« tröstete sie Alfons, ohne einen Augenblick in seiner Arbeit nachzulassen, »beruhige Dich, ich entgehe ihnen dennoch; wäre nur das Segelboot nicht; ich hörte aber, wie sie es anriefen, und ich fürchte, wir werden landen und uns im Sumpfe verbergen müssen. Ich möchte ihnen nicht gern auf dem Wasser in die Hände fallen.«

»Aber sie müssen uns hören, Alfons,« seufzte das Mädchen, »die bösen Ruder knarren so, das tönt gar weit über das Wasser; ich höre das Boot ebenfalls hinter uns.«

»Ich habe nichts, um die Ruder zu umwickeln, – jeder Augenblick, den ich verzögere, bringt uns dem gewissen Verderben näher,« sprach leise Alfons.

»Mein Kleid hat uns verrathen, mein Kleid mag uns retten,« lächelte das Mädchen unter Thränen hervor, riß das dünne Zeug in Streifen herunter und legte es unter die Ruder. Geräuschlos glitt jetzt das Boot über die ruhige Wasserfläche, und leise betend sank die schlanke Gestalt des armen Kindes im Stern des kleinen Boots nieder.

»Verdamm' die Hunde!« rief der Doctor, als die Neger einen Augenblick rasteten und Alle aufmerksam, aber vergebens horchten, um auf's Neue einen Ruderschlag der Entflohenen zu hören – »nichts rührt sich mehr.«

»Dort unten treibt ein Flatboot,« rief der Master, »vielleicht haben die Leute darauf etwas von den Flüchtigen gesehen.«

Sie steuerten, als kein Laut weiter gehört ward, schnell auf das unbehülfliche Fahrzeug zu, das sie auch gar bald erreichten, und der Doctor rief es ohne Weiteres an:

»Habt Ihr ein Boot gesehen?«

»Etwa hundert Schritt an uns vorbei ruderte eines.«

»Welche Richtung?«

»Mehr nach dem Lande zu.«

»Wer saß darin?«

»Weiß nicht,« rief der Flatbootmann. »Ihr sucht einen weggelaufenen Sclaven?«

»Ja wohl, Freund,« antwortete Beauvais; »woher wißt Ihr das?«

»Gut, ich denke, Ihr seid auf der rechten Fährte; der Bursche, der hier hinunterging, hatte die Ruder umwickelt, kam mir gleich verdächtig vor.«

»Sie sind es!« schrie der Doctor; »jetzt tapfer, meine Burschen, streicht aus!«

»Ihr sagtet, sie hielten sich nach dem Lande zu?« frug der Master noch einmal zurück, als das Segelboot von dem Flatboot hinweg schoß.

»Ja,« lautete die Antwort; und zum dunkeln Ufer hin, aber immer noch in etwas die Strömung benutzend, eilten die Verfolger dem unglücklichen Alfons nach, der sich wirklich näher dem Lande zugewendet hatte, um im Nothfall das schützende Dunkel des Waldes zu erreichen.

Mehrere Minuten war das Segelboot so im wahren Sinne des Worts über die Stromfläche fortgesprungen, als der Master, der im Vordertheil kauerte und aufmerksam über den Wasserspiegel hinschaute, in die Höhe sprang und ausrief:

»Dort sind sie, ich sehe das Boot!«

»Hurrah, meine Burschen, greift aus!« schrie der Doctor, »und Ihr, Master, gebt mir Euer Messer, ich will dem bleichen Nigger einmal zeigen, was es zu bedeuten hat, in Louisiana einen Neger zu stehlen.«

Der Angeredete griff auch, ohne weiter ein Wort zu erwidern, unter seine Weste, holte sein langes Jagdmesser hervor und reichte es dem Doctor, der es aus der Scheide riß und jubelnd schwang.

Alfons hatte mit fast übermenschlicher Anstrengung seine Bahn verfolgt, als er aber die Ruderschläge der Verfolgenden immer näher und näher kommen hörte und nun einsah, daß er selbst nur noch eine kurze Zeit das seine Kräfte übersteigende Rudern würde aushalten können, wandte er sich näher zum Ufer. Hatte er den Wald einmal erreicht, so war alle Verfolgung im Dunkeln und ohne Hunde unmöglich gemacht. Da – als Alfons seine letzten Kräfte anstrengte, das Werk zu vollenden, als er die Verfolger schon dicht hinter sich sah – brach ihm das rechte Ruder und sein Boot flog herum.

Beauvais und der Master erkannten augenblicklich, daß der Flüchtling in ihren Händen sei, und stießen ein Freudengeschrei aus. Der Erstere wandte sich nur noch an den Doctor und rief diesem ermahnend zu: »Bringt ihn nicht um!« als das Boot auch schon an das andere hinanschoß und jener mit erhobenem Messer jubelnd hinübersprang.

Er sollte aber seinen Triumph nicht lange genießen; Alfons, wohl wissend, daß für ihn alle Hoffnung verschwunden sei, und fest entschlossen, nicht lebendig in die Hände seiner Peiniger zu fallen, war, mit dem Ende des abgebrochenen Ruders in der Hand, das er hochgeschwungen über seinem Kopfe hielt, auf das Sitzbrett gesprungen, und von schwerem Schlage getroffen stürzte der Doctor rückwärts in das Boot, während das Messer seiner Hand entfiel und in die Fluthen versank.

Beauvais, der im Begriff war, dem Doctor zu folgen, würde ein gleiches Schicksal mit dem Ersteren getheilt haben, hätte nicht der Master, der sich wohl hütete, in den gefährlichen Bereich des Ruders zu kommen, eine Pistole gezogen und sie schnell und besonnen auf den frei Dastehenden abgedrückt.

Beim Krach des Gewehres zuckte der Schwergetroffene zusammen, das wiedererhobene Ruder entfiel seiner Hand, und für einen Augenblick stand er aufrecht da, starr und fest zum Himmel emporsehend, dann stöhnte er »Selinde!« und sank rückwärts in die Fluth.

»Alfons!« rief das Mädchen mit herzerschütterndem Schrei und folgte mit Gedankenschnelle dem Sinkenden, aber Beauvais, dies noch zur rechten Zeit gewahrend, sprang in das kleine Boot und das weiße flatternde Unterkleid erfassend, ehe es verschwand, zog er mit Hülfe seiner Leute die Ohnmächtige an Bord zurück.

Vierzehn Tage waren nach diesem Abend verflossen, als der Doctor zuerst wieder nach Bayou Sarah hinüberfuhr, sich aber dort sehr mäßig hielt, seine Geschäfte schnell besorgte und dann wieder hinüber nach Pointe-Coupé fahren wollte. Er sah sehr blaß aus, und eine breite, noch nicht ganz zugeheilte Narbe zog sich über seine Stirn.

Als er dem Flußufer zuschritt, um das Fährboot zu erreichen, das eben anlandete, hörte er seinen Namen rufen, und sich umwendend, erkannte er Guston, der ihm winkte und bald an seiner Seite war.

»Nun, Doctor, wie geht's?« fragte er diesen, die ihm entgegenstreckte Hand schüttelnd, »was macht die Stirn? Das muß ein höllischer Schlag gewesen sein!«

»War's auch, Guston, war's auch; warf mich nieder wie ein Stück Holz; der Hund hat aber seine Bezahlung bekommen.«

»Er soll über Bord gefallen und ertrunken sein?« fragte Guston, den Doctor von der Seite fixirend.

»Verdammt will ich sein, wenn ich weiß, wie er fortgekommen; als ich ihn zuletzt sah, stand er noch fest genug auf der Ruderbank, um mich mit dem scharfkantigen Holz zu Boden zu schlagen, aber der brave Master – Ihr geht mit nach Pointe-Coupé, nicht wahr?« unterbrach er sich plötzlich selbst.

»Der Master soll ihn erschossen haben – wie mir gesagt wurde,« fuhr Guston, die Zwischenfrage nicht beachtend, fort.

»Die Neger wissen nichts und können kein Zeugniß vor Gericht ablegen; ich wollte übrigens, ich hätte an jenem Abend Euern Vorschlag angenommen und Euch das Mädchen überlassen; ich wollte, ich hätte es!«

»Nun, seid Ihr nicht mit ihr zufrieden? Ich nehme mein Wort selbst jetzt noch nicht zurück – wenn auch nicht mehr aus derselben Ursache wie neulich.«

»Leider,« fuhr der Doctor ärgerlich heraus – »habe ich sie heute Morgen begraben lassen.«

»Begraben?« frug Guston, erstaunt einen Schritt zurücktretend; »begraben? das junge kräftige Mädchen?«

»Lieb wär' mir's, ich hätte weder sie noch den nichtswürdigen langen Yankee je mit Augen gesehen; die Dirne kostet mich ein schmähliches Geld, und dann legt sich der kleine weibliche Teufel hin und wird krank. Erst glaubte ich, sie wolle mich nur zum Narren haben, und ließ sie auf Anrathen meiner Frau züchtigen, sie mukste aber nicht und wurde zuletzt ohnmächtig; nun ließ ich sie in ein Krankenhaus bringen und gab ihr eine alte Frau zur Pflege; ich mochte sie doch nicht gern verlieren, sie war wenigstens ihre fünfhundert Dollars werth. Da setzt sich der schwarze Racker in den Kopf, nichts mehr zu essen, legt sich hin und liegt da und rührt sich nicht. Umsonst ging ich selbst zu ihr und versuchte Alles, um sie wieder zur Vernunft zu bringen, umsonst drohte ich ihr mit den fürchterlichsten Strafen und ließ ihr wirklich, nur um ihr zu beweisen, daß es mein Ernst sei, einige Hiebe geben; es blieb vergebens; sie ließ Alles ruhig mit sich anstellen und gestern Mittag, als ich zu ihr ging, um noch einmal zu versuchen, ob stärkere Drohungen vielleicht einen größeren Einfluß auf sie haben möchten, richtet sie sich plötzlich auf ihrem Bette in die Höhe, schwatzt allerlei dummes Zeug von Alfons, Vater und Mutter, und fällt um – sie war todt.«

»Ich wollte doch, Ihr hättet sie mir damals überlassen,« sagte Guston, nachdenkend und verstimmt vor sich niedersehend – dann wandte er sich von dem Doctor ab und schritt langsam nach Bayou Sarah zurück.


 << zurück