Friedrich Gerstäcker
Der Flatbootmann
Friedrich Gerstäcker

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4. Die Exekution

Daß die Alligatoren eßbar seien, hatte Jack schon an Bord von dem alten Poleridge gehört, der ihm versicherte, es gäbe nichts Delikateres auf der Welt. Als er die große Bestie mit ihrem warmen Moschusgeruch aber vor sich liegen sah, verging ihm der Appetit danach, und er beschloß, sich nur ein Stück von der Rückenhaut zu einer Satteldecke mit an Bord zu nehmen. Auf der gegerbten Haut, von der die Schuppen natürlich abgestoßen werden müssen, bleibt doch die Zeichnung derselben in Narben zurück, was sich bei Sattelüberzügen ganz hübsch ausnimmt. Während er damit beschäftigt war, hatte er seine Kleider abgestreift, ausgewrungen und in die Sonne zum Trocknen gelegt, zog sich dann wieder an, rollte das Stück Haut zusammen, hängte es sich mit einer kurzen Schnur um, schulterte seine Büchse und trat mit dem Dackel den Rückweg an.

Am Anfang schien er allerdings noch unschlüssig, wohin er sich wenden solle; der Wunsch aber, das junge Mädchen vielleicht doch noch zufällig einmal wiederzusehen und zu erfahren, wer sie eigentlich sei, bewog ihn endlich, dieselbe Richtung einzuschlagen, der sie gefolgt war. Er tat das, konnte aber dorthin keinen gebahnten Weg erkennen, und an der Fenz hingehend, kam er bald zu einem schmalen Sumpfstreifen, den sie nicht imstande gewesen wäre, zu passieren. In dem weichen Boden ringsum ließen sich auch ihre Fußstapfen nirgends erkennen.

»Die muß, hol's der Teufel, über die Fenz geklettert sein!« brummte er leise vor sich hin und sah dabei die ziemlich hohe Einfassung des weiten Baumwollfeldes kopfschüttelnd an. Das aber ließ sich bald herausbekommen, und Jack war Jäger genug, einer Spur zu folgen. Er ging also wieder zu der Stelle zurück, wo sie von dem Damm aus schräg über die Wiese gegangen war, und hatte dort bald die kleinen zierlichen Fußstapfen im Gras aufgefunden. Diesen jetzt vorsichtig und langsam folgend, brachten sie ihn richtig bis zur Fenz, und im Feld drin, auf dem weichen Boden, ließen sich die Spuren des Mädchens ganz deutlich erkennen.

»Alle Wetter«, lachte Jack leise vor sich hin, »wenn die jungen Damen hier in Louisiana so vortrefflich zu Fuß sind, möchte ich sie einmal im Sattel sehen. Pst!« rief er plötzlich und blieb stehen. »Da war das doch am Ende eine von den Reiterinnen gestern abend – aber was die hier allein im Sumpf zu suchen hat, möcht ich wirklich wissen. Nun, das muß ich wenigstens herausbekommen, und wenn ich den kleinen, niedlichen Fährten nachgehe, find ich sie auch vielleicht da drüben wieder.«

Rasch war er dabei über die Fenz hinüber, wobei er den Dackel wieder auf den Arm nehmen mußte, und schritt dann leicht den hier im weichen Boden deutlich erkennbaren Fährten nach, bis ihn diese zu einem anderen, quer durch die Felder laufenden Weg führten. Hier mußte er noch einmal über die Fenz, sah dann aber auch, daß ihn der Weg gerade auf die Plantage zuführte, deren Außengebäude er nach etwa einer Viertelstunde erreichte.

Zuerst kam er an eine große Baumwoll-Reinigungsmaschine, auf der die Baumwolle von den Kernen gesäubert wurde. Haushohe Berge von Kernen lagen hier zusammen aufgeschichtet und kündeten den reichen Ertrag der Felder. Dann standen eine Menge kleiner, niederer Hütten ziemlich unordentlich dort herum, deren Zweck Jack nicht kannte, und zuletzt kam er an einigen Ställen vorüber, neben denen eine Anzahl von Negerhütten standen, zu dem eigentlichen Negerdorf, das in regelmäßigen Straßen und mit vollkommen gleichgebauten, numerierten Hütten ausgelegt war. Die kleinen weiß und sauber angestrichenen Häuser sahen nett und reinlich aus, und außen herum verrieten eine Anzahl abgeteilter Gärtchen, daß sich die Neger dort auch für sich selber beschäftigen durften. Vor mehreren Hütten saßen alte oder kranke Männer und Frauen, und um sie her spielten kleine nackte Kinder in der Sonne, haschten sich und lachten und jubelten dabei.

»Hm«, brummte Jack, der sehr gern mit sich selber sprach, leise vor sich hin, »das hier sieht eigentlich gar nicht so übel aus, und wenn ich auch eben nicht mit ihnen tauschen möchte – habe ich mir diese Negerdörfer doch eigentlich viel schlimmer gedacht. Guten Tag, Alter!« nickte er dabei freundlich einem der alten Leute zu, der mit schneeweißen Haaren nicht etwa im Schatten des Hauses, nein, an der brennenden Sonnenseite kauerte und dabei einen Haufen lärmender kleiner Burschen zu überwachen schien. »Wie geht's? Hast dir einen warmen Platz da ausgesucht.«

Der Alte sah ihn etwas erstaunt an, erwiderte aber kein Wort, machte eine demütige Verbeugung mit dem Oberkörper und schaute dann wieder still vor sich hin, während die Kleinen bei dem plötzlichen Erscheinen des fremden weißen Mannes, erschreckt auseinanderstoben und hinter oder in die verschiedenen Häuser fuhren.

»Hallo«, lachte der Bootsmann, erstaunt den kleinen Burschen nachschauend, »gebissen hätt ich euch nun gerade nicht. Wie die Kerle springen können! Der Alte ist aber zu faul, das Maul aufzutun, und brät sich hier in der Sonne noch den letzten Tropfen Fett aus, den er auf den mageren Rippen sitzen hat.«

Hier und da blieb er noch ein paarmal stehen, wo er solche einzelne Gruppen versammelt sah. Sein Erscheinen hatte überall denselben Erfolg, und er gab es zuletzt auf und schritt, ohne sich weiter um die Schwärme von kleinen schwarzen Gestalten zu kümmern, langsam zwischen ihnen hin. Da er sich jetzt dem Herrenhaus näherte, wurde seine Aufmerksamkeit auch mehr dorthin gelenkt, denn unwillkürlich suchten seine Augen wieder die schlanke, weißgekleidete Gestalt des jungen Mädchens, die er jedenfalls irgendwo auf der Veranda zu erblicken hoffte. Er war ziemlich fest entschlossen, den Platz nicht eher wieder zu verlassen, bis er sie wirklich noch einmal gesehen hätte, und mit weiter keiner bestimmten Beschäftigung für den heutigen Tag, blieb ihm Zeit genug dazu. Einmal mußte sie ja hier wieder irgendwo zum Vorschein kommen!

In der Nähe des Hauses glitten ein paar Neger scheu und rasch an ihm vorüber, aber er achtete nicht besonders auf sie. Andere sah er in einer niedrigen Einfriedung, die den Garten zu umschließen schien, versammelt, und hier mußte jedenfalls irgend etwas Außergewöhnliches vorgehen, denn er hörte auch ein paar ärgerliche Stimmen und bittende Laute einer Frauenstimme dazwischen. Jack kannte dabei die Gebräuche des Südens nicht: daß es Pflanzer dort nicht gern sehen, wenn sich Fremde in ihren eingefaßten Grundstücken herumtreiben, und daß es sogar streng verboten ist, mit den Negern zu verkehren. Im Norden geht jeder, wohin es ihm gerade gefällt; und so schlenderte denn auch Jack, ziemlich unbekümmert darum, ob das jemandem recht war oder nicht, langsam dorthin zu, wo er die lauten Stimmen hörte und wo ihn bald Staunen und Überraschung an die Stelle fesselten.

Er hatte sich jetzt dem eigentlichen Hauptgebäude der Plantage, dem Herrenhaus, genähert, das mit seiner luftigen, blumengeschmückten Veranda unendlich freundlich aus dem dunklen Laub der Orangen, Granaten und den tausend Blüten der Tulpen und Chinabäume hervorschaute. Oben auf der Veranda erkannte sein rasch und forschend dort hinaufgeworfener Blick auch gleich zwei hellgekleidete Frauengestalten, die eine ein junges, blühendes Mädchen von kaum sechzehn Jahren, die andere, augenscheinlich ihre Schwester, aber vielleicht sechs Jahre älter als sie. Das junge Mädchen aus dem Sumpf war nicht zwischen ihnen, er konnte sie auch nirgendwo oben an einem der Fenster entdecken.

»Oh, schlagt mich nicht!« bat da eine leise, klagende Stimme, gar nicht weit von ihm entfernt aus der Gruppe heraus, die im Garten stand, und die er bis jetzt noch gar nicht beachtet hatte, und ein erschrecktes »Alle Teufel!« entfuhr fast unwillkürlich den Lippen des Bootsmannes, als er das schöne Mädchen aus dem Sumpf dort mit tränenden Augen und gebundenen Händen, unter den rohen Fäusten von ein paar Negern sah. Die scheu in der Nähe stehenden Schwarzen schauten sich allerdings rasch und erstaunt nach ihm um, aber er sah und hörte in diesem Augenblick nichts weiter als die zitternde Gestalt der Maid, und das Blut schoß ihm dermaßen aus dem Herzen hinauf ins Angesicht, daß es ihm vor den Augen flimmerte, während die Rechte fast krampfhaft die auf der Schulter liegende Büchse umklammerte.

»Schlagt mich nicht, ich bin ja unschuldig!« bat da das Mädchen noch einmal. »Der Alligator lag dicht vor mir ich hatte ihn nicht gesehen, und wie er, von der Kugel eines fremden Mannes getroffen, nach mir hieb, ließ ich in Angst und Schreck den armen kleinen Hund los.«

»So will ich dich künftig lehren, die Augen offenzuhalten!« rief die ältere der beiden Damen von der Veranda nieder. »Macht die Sache ab, Mr. Hoof, wenn ich bitten darf, die Sonne fängt an mich zu genieren.«

»Oh, Miß Eugenie, bitten Sie für mich!« flehte die Unglückliche, die gebundenen Hände zu dem jüngeren der beiden Mädchen aufhebend.

»Nein, du häßliche Sally«, rief aber diese mit fast noch kindischem Trotz, »weil du so schlecht auf meinen armen kleinen Joly achtgegeben, verdienst du auch Strafe. Ich möchte mir die Augen aus dem Kopf weinen, daß den einer von den garstigen Alligatoren gefressen hat – das arme, arme kleine Tier!«

Mr. Hoof, der Aufseher, stand, wie Jack jetzt sah – und das Ganze kam ihm immer noch wie ein toller, wahnsinniger Traum vor –, dicht neben dem Mädchen und hielt seine Negerpeitsche in der rechten Hand. Mit der linken faßte er jetzt die Schulter der Unglücklichen und wollte zu einem Schlag ausholen.

»Halt!« schrie da der junge Bootsmann und sprang in Angst und Wut mit einem Satz über das Geländer, das ihn von dem Garten trennte. »Halt! Wollt Ihr ein weißes Mädchen hier eines verdammten Hundes wegen peitschen?«

Der Aufseher hielt allerdings ein, aber nur, um sich erstaunt und ärgerlich nach dem umzusehen, der es hier wagte, sich in seine Autorität zu mischen.

»Was will der fremde Mann hier in unserem Garten?« rief da die ältere Dame von der Veranda zornig nieder. »Mr. Hoof, ersuchen Sie ihn, daß er augenblicklich den Platz verläßt.

»Soll auch geschehen, Miß«, rief der Bootsmann trotzig zurück, »sobald ich nur erst einmal erfahren habe, wer Euch ein Recht in Louisiana gibt, ein weißes Mädchen zu peitschen. Verdammt will ich sein, wenn ich...«

»Seid so gut und spart Eure Redensarten, mein Bursche«, unterbrach ihn aber mit einem verächtlichen Blick der Aufseher. »Es fällt hier niemandem ein, ein weißes Mädchen zu peitschen, die Dirne hier stammt von Niggerblut, und Ihr seid so gut und macht, daß Ihr fortkommt, denn zu Eurem eigenen Besten will ich hoffen, daß Ihr nicht mit zu den Abolitionisten gehört.«

»Von Negerblut?« rief Jack, der wirklich halb betäubt war von der neuen Nachricht. »Und eine Haut wie frischgefallener Schnee?«

»Wünscht Ihr sonst noch was?« sagte der Aufseher mit spöttischer Höflichkeit.

»Warum geht er nicht?« rief von oben die ältere Dame nieder, während das junge unglückliche Mädchen mit todbleichen Wangen unter dem Griff des rohen Aufsehers zitterte.

»Und wenn auch zum Teufel noch einmal!« rief da der junge Mann, als er den angstvoll bittenden Blick der Unglücklichen auf sich geheftet sah. »Allerdings will ich noch etwas, du verdammtes Schielauge du, und wären die Damen nicht hier, wollt ich dir Faust zu Faust beweisen, daß du ein nichtsnutziger, diebischer Halunke bist. Jetzt aber habe ich keine Zeit dazu, kann aber bezeugen, daß das arme Mädchen da unschuldig ist.«

»Wir brauchen Eure Beweise nicht, Sir«, sagte aber hochmütig die Schöne oben auf der Veranda. »Seid so gut und verlaßt den Garten und mischt Euch nicht in Sachen, die Eures Amts nicht sind. Hat sie den Hund etwa nicht verloren?«

»Allerdings«, rief der Bootsmann, »aber ich war dabei, wie es geschah. Der Alligator lag in ihrem Weg – sie trat fast auf ihn, und meine Kugel traf ihn hinten in den Kopf. Wie er aber mit dem Schwanz zurückschlug, fehlte kein Zoll daran, daß er sie mit sich hinab ins Wasser nahm. Er muß sie fast gestreift haben, und daß sie den kleinen Köter da fallen ließ, ist natürlich. Sie hätten ein Kind fallen lassen, wenn Sie es dort im Arm gehalten.«

»Welche Roheit!« rief die Dame empört. »Fort mit Euch, oder meine Leute sollen Euch lehren, was hier Sitte in Louisiana ist. Wenn er nicht gutwillig geht, Mr. Hoof, schicken Sie augenblicklich nach dem Sheriff.«

Jack stand wie vor den Kopf geschlagen – das Mädchen von Negern abstammend, und jetzt, nicht einmal eines Vergehens wegen, um eines Unglücksfalles nur, an dem er selber vielleicht die Schuld trug, in der Gewalt ihrer Henker. Wie mit eisernen Fingern hielt er den Lauf seiner Büchse umspannt. Was aber konnte er hier, nicht allein gegen die Menge, der hätte er vielleicht getrotzt, nein, auch gegen das Gesetz ausrichten? Dem Herrn stand das volle Recht, die volle Gewalt über seine Sklavinnen zu, und Erbarmen? War von den Henkern Erbarmen zu hoffen? Die Negertreiber, von einer Anzahl Sklaven unterstützt, kamen jetzt ebenfalls auf den Wink des Aufsehers herbei, und Jack gedachte der Warnung der Mrs. Poleridge: sich um Gottes willen in nichts einzumischen, was die Gesetze und Einrichtungen der Sklaverei betraf. Er war auch klug genug, einzusehen, daß er hier weder mit Gewalt noch Überredung etwas ausrichten könne, warf deshalb noch einen verächtlichen Blick über die ganze Szene und stieg dann langsam wieder über die Fenz zurück, an der auswendig ein schmaler Weg vorbeilief. Dort aber blieb er stehen, fest entschlossen, das Ende dieses Treibens abzuwarten.


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