Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Unter den Linden 62« befindet sich das altrenommierte Lokal, welches früher Karl Hiller, jetzt Herrn Adlon gehört. Die Räume sind nicht groß und durchaus nicht von blendender Pracht, aber mit vornehmer Behaglichkeit ausgestattet. Nicht der Luxus, die Größe zieht dort seit Jahrzehnten die große Welt Berlins oder die zugereisten Fremden an. Die gute Küche und die Gemütlichkeit allein! – Man ißt dort gut, und man ist unter sich. –
Doktor Feller reichte seiner Braut den Arm und schritt mit ihr und seinem Paten durch die von einem Diener offengehaltene Thür. Die drei nicht großen Räume schienen beim ersten Blick vollbesetzt. Ein blaubefrackter, mit silbernen Knöpfen besetzter Jüngling nahm den Eintretenden die Garderobe ab. – Lotte sah sich enttäuscht um. Sie hatte in Paris, Petersburg, Wien, kurz in all den anderen europäischen Hauptstädten, welche sie bereits besucht, viel elegantere Restaurants kennen gelernt. Aber sie schwieg! – Der Oberkellner trat heran und verschaffte den neuen Gästen einen kleinen Tisch in dem großen Durchgangszimmer, welches zu dem Korridor führt, an dem die Einzelkabinette liegen. Durch ein Geländer war ihr Tisch etwas geschützt, wenn auch das Vorüberrennen der Bedienten nicht gerade eine ganz ungestörte Behaglichkeit aufkommen ließ. – »Na, zufrieden?« – fragte Krüger. – – »Gewiß, es ist stilvoll. Ich finde die dunkel gehaltenen Farben hübsch gegen die weißen Gedecke. Das Licht ist gedämpft. Gepreßte Tapeten, rot Mahagoni mit Goldleisten und Scheiben zu den grünlich grauen Sammtbezügen ist hübsch. Seht nur da an der Wand Apoll und Diana, den Onyxleuchter flankierend. Wohin geht es dort?« – Sie wies nach dem einige Stufen höher liegenden Korridor.
Krüger drehte sich um. »Soviel ich mich entsinne, ist da ein großes rotes Zimmer für kleine Gesellschaften, ein altdeutsches Rauch- und Trinkzimmer, ein kleines rotes und ein blaues Gemach, nicht wahr, Lüttje?« – – »Ich glaube ja, lieber Onkel! Allerdings war ich nicht allzu oft hier, und wenn ich hier war, so hatten andere Leutchen die Kabinette meist mit Beschlag belegt.« – – »Zu welchem Zwecke?« – – »Um unter sich zu sein! Schade, wenn das kleine rote Zimmerchen frei wäre, könnten wir es uns belegen lassen!« – sagte Willi und sah sich um. »Nein! – erklärte Lotte – Wir bleiben hier. Ich will was sehen, und küssen kannst Du mich zu Haus genug! Hier ist es zu interessant! Seht 'mal die Dame in rot und die Herren, ob das Deutsche sind?« – – »Es ist sowieso nichts frei. Sieh nur, wie voll es ist! – sagte der Gutsbesitzer – Im übrigen bin ich auch dafür, hier zu bleiben!« – – »Wie Ihr wollt!« – gab Willi nach.
Der Kellner fragte, ob sie das Souper nehmen wollten oder à la carte speisen. Sie entschieden sich für das letztere. Schnell legte er ihnen ein großes eingebundenes Buch vor, in dem alles wohl registriert war. Außerdem brachte er noch die große Carte du Jour. – Lotte ergriff die Pappe und überflog sie: »Himmeldonnerwetter, in dem besten Restaurant der deutschen Reichshauptstadt nicht eine deutsche Bezeichnung! Muß man denn immer noch die Franzosen nachäffen? Es ist empörend!« – – »Aber, Kind, die französischen Speisebezeichnungen sind eben international geworden. Und dann bedenke doch die Fremden, welche hier essen!« – – »Ach was, Onkel, Entschuldigungen findet man stets. So etwas lassen nur wir uns bieten. In Rußland sind stets zweierlei Karten, oft noch mehr! Eine aber für die Russen in ihrer Sprache. Warum haben wir das nicht auch? Ich bitt' Euch, trotzdem ich eine ganz firme Französin bin, was das Sprechen anbelangt, so müßte ich hier entschieden mit dem Lexikon arbeiten. Oder irgend ein gewiegter Gourmet, der Bescheid weiß, muß mir alles erklären. Was » Canard« oder » Faisan« oder » Jambon« ist und all das Landläufge weiß ich natürlich! Aber was »Mirabeau« mit Entrecôte und »Rachel« mit » Sole« zu thun hatte, das will mir nicht aufgehen. Waren das Köche oder die Erfinder von den Biestern? Ja, einen Schinken à la Hiller oder eine Pute à la Dressel, dabei kann ich mir vorstellen, daß diese Restaurateure ein neues Rezept ausgeknobelt haben. Jedoch bei einem Lachs à la Duse oder einem Spargel à la Bismarck kann ich mir wirklich kaum etwas denken. Höchstens, daß bei Bismarck und Spargel die Köpfe das Wertvollste sind!« – – »Au, Lotte!' – – »Sei gut, ich hab noch mehr auf Lager. Zum Beispiel einen Hammel à la Tante Frede, denn beide sind belämmert. – Salade à la Wolzogen, beide sind pikant – Roastbeef à la Cousine Frieda, beide sind aus dem Stamme Rindvieh!« – – »Du, hör' auf, es wird fürchterlich!« – lachte Willi. – »O, ich könnte noch mehr!« – – »Na, Lotte, welche Speise würdest Du von dieser Karte auf mich beziehen?« – fragte der Gutsherr von Tannenwalde. »Die Royal Natives, die Austern, Onkel!« – – »Wieso gerade die?« – meinte er. – »Na, beide seid Ihr nobel, beide wohlschmeckend, und beide für mich Leckerbissen!« – erwiderte sie frisch.
»So, Kellner, das muß belohnt werden. Ich muß meinen Ruf erhalten. Schnell drei Dutzend Austern, Kaviar und eine Flasche Heidsiek!« – befahl er lustig. »Himmlisch, Gott erhalte uns Deine Spendierhosen noch lange, Onkel!« – jauchzte sie. Die Platten wurden gebracht. Man versenkte sich in das angenehme Geschäft des Speisens. – – – – – – – »Kellner, ist keins der Kabinette frei?« – – »Nein, Herr Leutnant!« – – »So, das ist recht fatal! Der rote Saal besetzt?« – – »Ja, dort wird die Premiere im Opernhause von den Künstlern gefeiert. Die Herrschaften sind soeben alle durch die Entrée à part gekommen: der Komponist, die Herren von der Direktion und der Intendanz!« – entgegnete der Gefragte. – – »So besorgen Sie uns schleunigst einen andern Tisch; aber nicht in diesem Zimmer, verstanden?« – – »Zu Diensten, ich werde mein Heil versuchen!« – Der Kellner verschwand. – »Warum drängst Du denn so fort, Haffner? Wir sitzen doch hier sehr gut?« – fragte einer der Offiziere erstaunt. – – »Da sitzt eine Bekannte von mir, Fräulein Bach, mit ihrem Bräutigam. Wenn die mich hier sieht und darüber spricht, so daß meine Braut es erfährt, komme ich in Teufels Küche. Ich habe Dienst vorgeschoben!« – – »Also eine regelrechte Flucht, pfui, Kamerad!« – – »Gar kein Pfui! Aber nichts ist schlimmer, als in den Mund einer boshaften kleinen Frau zu geraten! Und Sie kennen die Dame da drüben nicht, sonst würden Sie auch zum Rückzug blasen!« – – »Nun, wie Sie denken, also – – – – Kellner, haben Sie noch Platz?« – – »Ja, meine Herren, im Nebenzimmer ist soeben ein Tisch frei geworden!«
Der Umzug wurde bewerkstelligt, ging aber nicht ohne einigen Lärm vor sich. Dadurch aufmerksam geworden, wandte sich Lotte ein wenig ins Profil und erkannte in dem Fliehenden den Jugendgespielen. Wie ein Blitz so schnell fuhr sie in die Höhe: »Du Willi, das ist Fritz! Ich muß ihm guten Abend sagen, damit er sieht, daß ich auch bei Hiller soupieren kann!« – – Ehe der eifersüchtige Bräutigam sie noch hindern konnte, stand sie neben dem hübschen Offizier und tippte ihn auf den Arm. Zornig erhob sich auch der junge Arzt und folgte seiner Braut. Unmöglich konnte er doch dieses auffallende Benehmen Lottes erlauben, ohne ihr als Herr seinen Schutz angedeihen zu lassen. – Haffner schaute nichts weniger als begeistert drein. Lottes Fragen nach seiner Verlobten, seinem Bruder genierten ihn. Er beantwortete sie kühl und zurückhaltend. Willi knirschte mit den Zähnen. Aber Lotte lachte harmlos: »Nee, nee, Herr Leutnant, die Sache stimmt heute nicht so recht. Sie sehen mir so bekniffen aus wie früher, wenn wir auf Schleichwegen waren und die Entdeckung fürchteten! Sicher haben Sie Ihre Braut angeschwindelt, um sich einen freien Abend zu machen! Sie sind so einer, ja! – – – – Mein Willi thäte das nie! – – – – Na, nun verduften Sie nur, Ihre Bekannten schauen schon nach Ihnen aus! Guten Abend, und grüßen Sie Franz und Ihren lieben Rollmops, und erzählen Sie den Leutchen, daß Sie mich bei Hiller getroffen haben!« – – Er verneigte sich stumm vor beiden und verschwand.
»Das war höchst überflüssig, meine liebe Lotte! Eine Dame attackiert keinen Herrn in einem öffentlichen Lokal. – meinte Willi leise und scharf – Aber Du scheinst Dein Interesse für den Bengel nie verleugnen zu können!« – – »Quatsch mit Sauce, als ob das Interesse wäre, wenn ich mit einem Spielkameraden spreche. Ich habe früher mit ihm Obst gemopst und halb unreif verspeist. Da bin ich froh, wenn ich ihm jetzt beweisen kann, daß ich auch bei Hiller sitze!« – – »Ausreden hast Du immer bei der Hand. Wenn man aber zuschaute, mit welcher Wonne Du aufsprangst und sans gêne zu ihm stürztest, da muß man ja auf ganz andere Gedanken kommen!« – – »So, muß man? – fragte Lotte kaltblütig – Ich denke, man muß nur, wenn man einen kleinen Piep hat vor lauter Eifersucht! Sonst muß man nicht!« – – Sie setzten sich nieder und konnten ihren Streit vor dem Onkel nicht weiter ausfechten. Eine leise Verstimmung herrschte, bis Lotte sich von dem Champagner einen kleinen Spitz angetrunken hatte. Im Wein herrscht Wahrheit! Und aus ihrem Sekt-Schwips heraus lachte sie ihren Zukünftigen so selig an und machte ihm solche herzige Liebeserklärungen, daß sein Ärger verschwand, und ein heißer Jubel seine Brust schwellte. – »Na, siehst Du, mein Lüttje, wenn Du Deine Lotte klein kriegen willst, so gehst Du mit ihr einfach zu Hiller und läßt ihr Sekt geben!« – riet Krüger lachend. – »Au feste, Schatz, das machen wir! Wir zanken uns und versöhnen uns dann hier bei Champagner und gutem Essen! Ich bin dafür!« – erwiderte sie weinselig. –
Trotz ihrer leichten, champagnergefärbten Stimmung blickte Lotte scharf beobachtend umher. Sie sah die Ausländer, welche hier das Berliner Leben kennen lernen wollten und dabei ungerührt einen Leckerbissen nach dem andern verzehrten. Sie hatten Geld, waren an alles Beste gewöhnt, und die Welt gehörte ihnen. Sie beobachtete die Provinzler, welche, in mehr oder weniger schönen Kostümen, laut schwatzend um die Tische saßen und sich sehr wohl fühlten in ihrer Reichshauptstadt. Mit naiver Freude betrachteten diese Leute den stilvoll behaglichen Komfort des Lokales genossen sie das gute Essen, die trefflichen Weine. »Siehst Du, Onkelchen, Ihr, die Ihr nur ab und zu nach Berlin und in die vornehmen Restaurants kommt, und ich, der es ebenso geht, wir haben wenigstens Freude daran! Nun schau Dich aber einmal um!« – – Herr Krüger that nach ihrem Geheiß. – »Sieh mal diese blasierten Lebegreise da in der Ecke am Fenster. Pfui, sitzen da und schmausen, als gehörte das zu ihrem täglichen Brot. Als könnte es garnicht anders sein! Dabei haben die alle noch nichts verdient, sondern leben aus Papas Tasche. Bah, sowas kann mir nich' imponieren! – – – Dort die Herrschaften, da, Onkelchen, die Damen in den kostbaren Toiletten, siehst Du? Denen ist Hiller auch etwas Alltägliches! Und den Übrigen auch! Sind die Menschen nun eigentlich beneidenswert, welche das Beste vom Guten immer genießen können?« – – »Na, wie stehst Du zu der Frage, Lotte?« – gegenfragte der Onkel gespannt. »Ich weiß nicht recht, Du! Schön ist es ja, sich vom Leben stets nur das Schönste leisten zu können. Aber es darf nicht zur Gewohnheit werden! Man muß immer das haben, was man braucht! Und außerdem soviel extra, daß man sich von Zeit zu Zeit etwas Besonderes spendieren kann! Dann genießt man dies Besondere auch mit dem richtigen, angemessenen Verständnis!« – – »Eine sehr billige Weisheit und dennoch eine sehr brauchbare Philosophie!« – sagte Willi. – – »Billig ist diese Weisheit nur für uns! Gelt, Onkel, für Dich weniger? Aber ich möchte dennoch einen Wunsch aussprechen!« – – »Na, kleine Range?« – – »Weißt Du, unsere Magen sind sehr gut im Stande. Wir können häufiger besondere Leckerbissen vertragen. Komm' Du also recht oft wieder nach Berlin – – – –« – – »Und führe uns zu Hiller! So wolltest Du doch sagen, nicht?« – ergänzte der Onkel lachend. – »Weißt Du, wir sind sehr entzückt von diesem Lokal; aber wir kaprizieren uns nicht darauf, es kann auch mal Uhl oder Dressel oder Bristol oder sonst ein Hotel sein!« – sagte sie. »Lotte, sei kein Frechdachs!« – warnte Willi. – – »Laß sie doch, Lüttje! Ich habe ihr doch nur für die Marschroute zu danken und sehe mit Freuden, daß sie ein gutes Herz hat. Sie setzt der Wohlthätigkeit keine Schranken!« – – »Nie, Onkel, wie würde ich denn auch Deine guten Impulse hindern wollen?« – – »Richtig, Kind! Thue das nie! Aber es ist spät geworden. Mein nächster Impuls wird daher eine Droschke sein, mit der ich Fräulein Bach heimfahre! – – – – – – Kellner, die Nota!« – –
Diese wurde auf einem silbernen Tablettchen gereicht. »Himmeldonnerwetter! – entfuhr es Lotte, die entsetzt die Ziffer überflog – das dicke Ende kommt nach. Armer Onkel, dieses sündhafte kleine Vermögen haben wir drei so in aller Eile verschmaust? Du wirst eine Hypothek aufnehmen müssen!« – – »Na, beim nächsten Mal, Kind, diesmal geht es noch allenfalls!« – meinte Herr Krüger. In dem Wagen saß Lotte sinnend da. »Wißt Ihr, Sonntag eßt Ihr ja bei uns. Ich werde sehen, daß mein geliebtes Dickes Euch ein ähnliches Menu vorsetzt. Zwar ohne elektrisches Licht, Kellner und sonstigen Klimbim, mit einfach deutschen Namen. Aber paßt mal auf: Es wird »Euch« ebenso schmecken, »uns« noch nicht den dritten Teil kosten und »auch« gut bekommen! Es ist doch wirklich alles Illusion im Leben! Setzt man sich da gut gekleidet und aufrecht mitten unter fremde Menschen, so daß eine rechte Gemütlichkeit garnicht aufkommen kann! Ißt und trinkt auf gut Glück und macht sich von Wirt, Küche und Bedienenden abhängig! Zuletzt bezahlt man das Gehabte noch dreifach, und im Grunde – – – – –«
»Ja, Liebstes, da kann ich Dich nur mit Deinem eigenen Wort schlagen! C'est le ton, fait la qui musique. Ich will Dir die Beethovenschen Sonaten glatt vorspielen, ohne daß Du zu zahlen brauchst! Hörst Du sie aber von d'Albert, so ist das eben doch etwas Anderes! Und Du zahlst gern das Entree! – Gerade so ist es mit einer Mahlzeit daheim und einer solchen bei Hiller. Der ganze Apparat – – – – –« – – »Ich weiß ja, kleiner Schöps, habe auch garnichts dagegen! »Willst Du in ein nobles Restaurant mit mir gehen, so oft Du willst, Du sollst bereit mich sehen!«