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5. Kapitel.

a) Der Sonntag gehört Mama!

»Sonntag Mittag habe ich all meine Kinder zum Essen bei mir, liebste Meyer! Und solange ich lebe, werde ich diese schöne Sitte aufrecht erhalten. Erstens sehe ich die Meinen dadurch regelmäßig, und zweitens biete ich dadurch den verschiedenen Familien meiner Nachkommenschaft ein willkommenen Rück- und Zusammenhalt! Sie wissen ja, wie es so ist, wenn viele fremde Elemente sich in eine enge Verwandtschaft zu einander geheiratet haben? Da giebt es so allerlei Meinungsdifferenzen und kleine harmlose Eifersüchteleien! Die Familien würden sich unwillkürlich entfremden, nicht wahr? – Nun, dem beuge ich vor! Sie treffen sich bei mir auf neutralem Gebiet. Ich glätte all kleinen Unebenheiten und setze es durch, daß sie sich nahe bleiben!« – –

»Wie weise ist das gedacht und gehandelt, teuerste Albrecht!« – sagte die Besucherin und setzte das Theeglas aus der Hand. – Sie haben auch das Glück, Ihre fünf Kinder in einer Stadt zu haben! Meine Töchter haben leider in andere Provinzen geheiratet, und Adolfchen lebt in London!« – – »Ja, das ist allerdings traurig. Da habe ich es besser als Sie, liebe Freundin! Ich bin ja auch dem lieben Vater im Himmel so dankbar für seine Gnade. Am Sonntag Vormittag, wenn der Tisch gedeckt und in der Küche alles in Ordnung ist, dann setze ich mich mit meinem Buche behaglich dort auf den Erker. Vor den Mädchen thue ich, als ob ich eifrig lese. Aber in Wahrheit male ich mir immer aus, was die verschiedenen Kinder gerade thun, und wie sie sich auf das gute Essen bei Mutterchen freuen und vorbereiten! – Sitzen sie dann so einig und friedlich um meinen Tisch und mein ältester Enkelsohn spricht das Tischgebet! Sehen Sie, Meyerchen, ich bin eine nüchterne alte Frau und keine Romantikerin; aber dann möchte ich manchmal weinen vor Freude! Es geht nichts über Familienfrieden, über gegenseitige Liebe und Verständnis!! Und das kann eine Mutter so schön pflegen und erzielen!« – – »Es giebt nichts Besseres, da haben Sie recht, liebe Albrecht! Trotzdem ist es garnicht so mein Sport, alles unter eine Kappe zusammenschweißen zu wollen. Möge sich jede Familie nach ihrer Eigenart entwickeln. Ich finde immer, die Liebe bleibt heißer, wenn sich die Leutchen nicht so oft sehen!« – – – – »O nein, sicher nicht! Man entfremdet sich zu leicht im Leben!« – – »So lieben sich Ihre Kinder alle so sehr, daß sie stets gern und ohne Hintergedanken zu Ihnen kommen?« – – »Aber gewiß, welche Frage!« – – »Und der Frieden dauert nicht nur den Sonntag hindurch, solange Sie dabei sind? Er hält an?« – – »Natürlich, Meyerchen, was denken Sie? Das beglückt mich ja grade so sehr!« – – »Dann strecke ich die Waffen vor Ihrer Klugheit! Sie mögen Recht haben! Ich werde meiner Schwester Emilie Ihr Beispiel vorhalten. Sie kann doch auch ihre Kinder und Schwiegerkinder Sonntags bei sich vereinen, vielleicht erreicht sie es dann auch, daß Frieden eintritt?« – – »Aber sicher, grüßen Sie Emilie! Ich lasse ihr sagen: sie solle es thun und diese gemeinsame Familientafel mit eiserner Energie aufrecht erhalten!« – – »Das werde ich, bestimmt thun, denn die arme Frau kommt aus den Nörgeleien und Ärgernissen nicht heraus. Doch nun muß ich gehen, liebe Albrecht, ich habe Sie lange genug aufgehalten! Sie wollen doch noch sicher Kuchen backen für morgen?« – – »Heute noch?! Nein, dann wäre er mir ein wenig zu unverdaulich. Das besorge ich mit meiner Köchin stets am Freitag. Aber ich begleite Sie ein Stückchen, denn ich will aus der Markthalle noch einige Lieblingsobstsorten für meine Enkelchen holen. Die kleine Gesellschaft ist etwas anspruchsvoll bei der Großmama!« – –

Die beiden Damen gingen zusammen fort. Reich beladen kehrte Frau Albrecht zum Abendbrot heim, und sehr befriedigt legte sie sich zur Ruhe. Der Sonntag kam und brachte ihr – ihre Lieben.

I.

Bei Herrn Friedrich Albrecht und seiner Gattin, geborenen Henneberg.

Frau Toni Albrecht saß am Nähtisch und stichelte. Indessen balgten sich ihr Sohn und ihr Töchterchen unter einem wahren Höllenlärm auf der Erde herum. Plötzlich öffnete sich die Thür zum Salon, und der Vater erschien: »Potzdonnerschock, könnt Ihr denn nicht eine halbe Stunde ruhig sein, Jöhren? Bei dem Radau kann ich nicht einen Satz herausbringen. Dieser Leitartikel muß aber noch in die Redaktion. Der Setzer wartet schon in der Küche!« – – »Wir haben unsere Sonntagsanzüge noch nicht an, Papa! Mama näht mir noch eine Schärpe ans Kleid. Da dürfen wir Buren und Engländer spielen, nicht wahr Mama?« – – – – »Keilt Euch, wo Ihr wollt, nur nicht im Wohnzimmer!« – rief er zornig. – – »Aber, Fritz, die Kinder wollen auch ihr Sonntagsvergnügen haben. Im Kinderzimmer sind sie die ganze Woche.« – entschuldigte die Gattin. – »Na, ich denke, sie hätten genug Vergnügen. Sie können zur Großmama, wo all die kleinen Vettern und Basen sind. Erst werden sie mit allem Guten vollgestopft, und dann spielen sie bis zum Abend umher, erhalten Gewinne und werden verwöhnt. Schöneres giebt es wohl für Kinder nicht?«

»Ach, bei der Großmama in den guten Kleidern dürfen wir nicht mucksen. Immer sieht uns Tante Fränze mit so großen Glotzaugen an. Und beim Essen sagt Onkel Doktor, wir überfüttern uns. Und nachher die ollen Pfänderspiele und Vorleserei wächst einem auch schon zum Halse heraus!« – erklärte der Stammhalter energisch. »Ich kann Friedchen und Selma und Hugo und all die andern nicht ausstehen! Bei Großchen ist es immer gräßlich langweilig. Zu Haus ist's viel schöner!« – sagte das Mädelchen. »Ja, zu Haus ist viel schöner!« – wiederholten beide plärrend.

»Wenn ich bis drei gezählt habe, und Ihr seid nicht in der Kinderstube, dann hole ich den Stock!« – schalt der Redakteur. – »Untersteht Euch, und heult Euch noch die Augen rot, damit die gute Großmama sich ängstigt. Und nehmt Euch dort in Acht! Wenn ich eine einzige Klage über Euch höre, dann schlage ich Euch morgen windelweich, verstanden?« – – Schleunigst trollten sich die Kleinen.

Frau Albrecht seufzte: »Anstatt, daß der Sonntag für die Schulplagen der Woche den Würmern eine Erholung und Freiheit bringt, wird er ihnen zur Tortur. Solche wilden, gesunden Kinder – – – –« – – »können sich auch gesittet amüsieren. Mama läßt ihnen genug Freiheit, dächte ich! Du bist sonderbar, Toni! Die ganze Woche hast Du Zeit; aber nein, die Toilette der Jöhren wird immer erst am Sonntag in Angriff genommen und beendet. Ihr könntet schon lange mit Doktors spazieren gehen!« – – – – »Wenn ich Fränze und Bruno von halb drei bis abends neun Uhr genieße, dann bin ich befriedigt! – entgegnete die Gattin abwehrend. – »Wenn Deine Schwestern nicht ihre Kinder immer wie die Affen herausputzen würden, dann brauchte ich auch nicht die ewigen Nähereien. Ich ließe Julius und Rosy in ihren Matrosenanzügen gehen! Aber das wage ich nicht! Um Gotteswillen! Weil Du bei der Zeitung bist, und bei uns soviel Künstler verkehren, glauben die kritischen Damen ja so schon, daß bei uns eine böhmische Wirtschaft herrscht!« – – »Dir ist ja nur wohl, wenn Du auf meine Schwestern schelten kannst!« – sagte Herr Albrecht. – »Im Anfang warst Du über diese Sonntage sehr froh und konntest die Ersparnis am Wirtschaftsgeld nicht genug rühmen!« – – Sie stand auf und legte das weiße Kleid des Töchterchens, welches sie mit blauen Schleifen benäht hatte, fort. Dafür ergriff sie Julius Waschanzug, um den Matrosenkragen daran zu befestigen. »Ja, im Anfange! Da war es auch so! Und Mama mit ihrer Engelsgüte verdient, weiß Gott, nicht, daß man noch ihre guten Absichten verkennt. Aber jeden Sonntag in der Familie zu versimpeln, diese Zusammenkünfte zum Gesetz erheben, von dem man aus X-Rücksichten nicht abweichen darf, das geht mir doch zu weit! Die ganze Woche bist Du beschäftigt oder rennst mit mir in Theater und Conzerte, immer präokkupiert und abgehetzt! Nie habe ich etwas von Dir, nie! Sonntag wäre der einzige Tag, wo wir es uns hier behaglich machen könnten, um einmal für einander leben! Der einzige Tag, wo Du wirklich Vater sein könntest und mit den Kindern spielen! Aber nein, Fritz, wir müssen zu Mama. – – – – – Es ist mir auch schon über. Ich würde Gott danken, wenn Dir ein annehmbarer Posten in der Provinz geboten würde! Trotzdem ich die Meinen hier am Orte habe und eingefleischte Berlinerin bin, wahrhaftig, um dieser Sonntage willen packte ich eher heute als morgen meine Wirtschaft ein!« – –

»Himmel, der Setzer wartet, ich muß eilen! In einer Viertelstunde bin ich fertig. Tonichen, wir können ja zu Fuß nach der Kurfürstenstraße gehen, ja? Dann haben wir doch noch etwas von einander! Willst Du? Gut, mein Herz, ich bin in kurzer Zeit bereit!« – sagte er sanft und versöhnlich. Dann begab er sich an seinen Leitartikel.

Aber über seine Glossen zur Tagespolitik fort, wanderten feine Gedanken. Die Worte der teuren Gattin hallten in ihm nach. Zum ersten Male hatte sie das ausgesprochen, was er eigentlich schon längst dunkel empfunden. Wie schön und traulich wäre es hier gewesen! Im Sammetjacket mit der gemütlichen Pfeife, so allein mit Toni und den beiden Kleinen! Er seufzte, während die Feder über das Papier raste. Man sah die Geschwister zu häufig! Man kannte sich zu genau! –

II.

Bei Doktor Bruno Brüllow und Frau Fränze, geborenen Albrecht.

»Mutta, Hugo kneift!« – – »Mutta, Frieda steckt mir imma de Zunge raus!« – – »Nein, Mutta, er hat angefangen, ich habs gesehen!« – – »Selma schwindelt!« – – »Du altes Schaf, ich lüge nie!«

So scholl es der Eintretenden entgegen. Rasch entschlossen versetzte sie kurz jedem eine Ohrfeige, dann zog sie die heulenden Kinder der Reihe nach ans Tageslicht und beäugte sie auf ihr Aussehen hin. – »Schämt Ihr Euch denn garnicht! Ihr beiden Großen seid am allerschlimmsten. Erst bringt Ihr Tadel aus der Schule nach Hause, und dann benehmt Ihr Euch wie die Babys! Na, wartet! Heute erzähle ich es Julius und Rosy und den andern Verwandten, damit sie Euch auslachen und verachten, Euch, die Ältesten! Großchen darf Euch keinen Nachtisch geben, dafür werde ich sorgen, ich!« – – »Jule kann mir den Buckel langrutschen!« – – »Ich Pfeife auf die dumme Baisertorte. – – – Großchen giebt uns ja doch heimlich!« – – »Mutta, Du sagst doch nichts, Du schämst Dich ja doch vor all den Tanten und Onkels!« – Tante Else hat zu Onkel Martin gesagt: »Du bist eine Affenmutter!« – triumphierte Selmchen.

Frau Doktor schlug wieder. Die Kinder heulten, aber sie blieben frech. Endlich drohte sie mit dem Vater. Vor dem hatten die drei Racker eine heillose Angst. Sie wurden sogleich verständig. Ihre höchst unverständige Mama dagegen hielt ihnen eine lange Rede und schloß mit den Worten: »Also blamiert uns nicht vor Redakteurs. Die schwören darauf, daß Ihr die Musterkinder von Berlin seid. Und wenn Ihr unartig seid, dann erzählt Onkel Fritz es seinem Freunde Ernst Georgy. Ihr wißt doch, der bringt Euch in sein Buch: »Die Berliner Range« und dann seid Ihr ewig blamiert wie die böse Lotte Bach und ihre Freundinnen.« – – »Lotte Bach ist ein Wonnevieh!« – – »Himmlisch süß!« – – »Lotte Bach liebe ich am meisten von der Welt!« – – Frau Doktor seufzte: »Wenn Ihr Euch heute wieder brav benehmt, dann sage ich Papa nichts von den Tadeln, und jeder von Euch bekommt abends 5 Pfennige!« – – »Hurrah! Dürfen wir uns davon kaufen, was wir wollen?« – – »Gewiß!« – –

Diese Bestechungen halfen stets. Die Kinder gelobten, vernünftig zu sein. Die Mama erhob sich und begab sich ins Schlafzimmer. Ihr Gatte stand im schwarzen Gehrock vor dem Spiegel und knüpfte eine weiße Kravatte vor. »Bruno, so nobel?« – sagte sie erstaunt. – »Ja, dann glauben die Leute wenigstens, daß wir im Verein eine Sitzung haben, denn als Spezialist kann ich mich nicht so oft abrufen lassen wie die praktischen Ärzte!« – – »Willst Du schon wieder fort?« fragte sie vorwurfsvoll. – – »Schon wieder? Ich danke! Dreimal habe ich den Familienklatsch und Tratsch geduldig ertragen. Heute halte ich es nicht aus. Seit Martin verlobt und verliebt, kommt nicht einmal ein anständiger Skat zustande. – Ich geh zu Otten, da schmeißen wir ein paar Partieen, abends hole ich Dich ab!« – – »Was wird Mama sagen?« – – »Garnichts, wenn Du keine Dummheiten machst, sondern mich ruhig nach Tisch gehen läßt. Sie glaubt ja alles, die gute Alte! Sogar, daß ich die hyperkluge Toni und die unausstehliche, dumme Else mag! Nicht sehen kann ich diese Weiber!« – –

Frau Fränze schlüpfte in ihr schwarzseidenes Kleid: »Ja, die Else ist mir auch nicht sehr sympathisch. Aber bei ihrem klotzigen Reichtum nimmt man sie eben in Kauf. Martin war doch sehr klug! Jedenfalls nehme ich die Brillantbrosche vor, sonst denkt die verwöhnte Prise noch, wir armen Doktors können uns so etwas nicht leisten!« – – »Komm, es ist bald zwei Uhr!« – – »Schade, heute sind wir um unsern Spaziergang gekommen! Aber die Anzieherei der Kinder nimmt soviel Zeit in Anspruch! Julius und Rosy erscheinen natürlich wieder in weiß!« – – »Natürlich, Ihr verdrehten Mütter macht aus Mamas Sonntagen immer die reinen Rennen. Nächstens muß Mama noch die artigsten und bestangezogensten Kinder prämieren!«

* * *

III.

Beim Herrn Kaufmann Albert Stengel und Frau Hetty, geborenen Albrecht.

»Heute gehe ich noch, Hetty; aber das erkläre ich Dir, die nächsten drei Male bekommst Du mich auf keinen Fall mehr hin. Ich habe einen wahren Haß auf die ewige Familientratscherei. Jeden und jeden Sonntag, ächh! Will Mama uns sehen, so soll sie herkommen, und ich werde mich herzlich freuen! Aber fürs Erste nicht mehr zu ihr! Fritz, Bruno und Martin sehen mich, den Kaufmann, nicht einmal für voll an. Immer lächeln sie, wenn ich mir erlaube, eine Ansicht auszusprechen! Ich habe es bis dahin! Verstanden?« – –

»Aber liebster, bester Mann, was thue ich nur? Ich kann doch die gute Mama nicht beleidigen. Sie wäre kreuzunglücklich!« – jammerte die hübsche Frau. – »Du schickst das Fräulein mit Kurt und Gustel wie immer hin. Für uns schützt Du Einladungen vor. Einmal essen wir hier. Der reine Hohn, zum ersten Mal seit Jahren, daß wir Sonntags daheim speisen! – Einmal gehen wir ganz allein ins Palasthotel, und das dritte Mal fahren wir nach Potsdam! Das ist mein letztes Wort! Und ich verlange nachdrücklichst, daß Du kein Wort Deinen Geschwistern verrätst. Die Abende werden verbummelt! Ich will 'mal die Sonntage für mich haben und wissen, daß meine Frau mir gehört!« – – Er nahm das blaß gewordene Weibchen in seine Arme und küßte sie herzlich ab. Sie lachte ärgerlich und klappste ihn auf die Wange: »Du Böser wirst uns schön 'was einbrocken! Wenn es herauskommt, giebt es Mord und Totschlag! Wie leiten wir es bloß schlau ein?« – – »Ach, Du süße, dumme Hetty, das überlegen wir uns nachher in der Droschke. Heute spendiere ich eine, die Kinder fahren so gern. – – – – Dann nehmen wir uns Sonntagsferien, hurrah!« –

IV.

Bei Fräulein Else Gewald in der Villa, wo ihr Bräutigam erscheint, um sie abzuholen.

»Darf ich Dich bitten, Herzliebchen? Der Wagen hält schon vor der Thür. Die Pferde sind ungeduldig, Johann kann sie kaum bändigen.« – – »Gleich, Martin, nur noch den Schmuck!« – – »Aber, Elselein, daran liegt garnichts! Wir lieben Dich auch ohne den Putz. Du weißt doch, wie gut Dir Mamachen ist, und wie einfach sie veranlagt ist!« – – »Ja, all die Deinen sind schrecklich einfach, lieber Martin, viel zu bescheiden! Dabei seid Ihr doch ganz wohlhabend? Deine Mama hält doch immerhin zwei Dienstboten!« – –

Der schöne, junge Offizier biß die Zähne zusammen. Dann beherrschte er sich und entgegnete fest und freundlich: »Ich dächte, Du könntest sehr zufrieden sein mit der Familie, in die Du eintrittst!« – – »Ach ja!« – – »Warum dies, ach, wenn sie Dir gefallen?« – fragte er ärgerlich. – – »O? Sagte ich ach? Das weiß ich garnicht. Du bist der Beste von allen, Martin! Aber die Andern sind auch recht lieb! Bitte, hilf mir in den Mantel!« – –

Sie rollten einige Minuten später in der schönen Equipage durch die Straßen. »Weißt Du, Martin, ich wollte Dir übrigens mitteilen, daß meine Eltern später entschieden nicht erlauben werden, daß wir alle Sonntag bei Mama speisen! Alle vierzehn Tage müssen wir auch zu ihnen kommen! Und dann, sagen die Eltern ganz richtig, wir sind jung und sollen uns amüsieren und nicht nur in der Familie verkommen!« – – »Verkommen ist ausgezeichnet!« – rief er zornig und sah verstimmt auf die Straße. – – »Wie Du auch immer gleich bist!« – meinte sie ablenkend. – »Ich spreche nicht von »verkommen« im eigentlichen Sinne, sondern wollte sagen: langweilen! Und langweilig ist es doch, das mußt Du selbst zugeben?« – – »Wir sind angelangt!« – sagte er kurz und dachte an die teure, alte Frau, die da oben die Ihren so voll überströmender Liebe empfing. Dann hob er die seidenrauschende Braut in ihrem prachtvollen Zobelpelz seufzend aus dem Wagen.

V.

Bei Herrn Eugen Albrecht.

»Die ganze Woche muß ich im Laden stehen und verkaufen. Und wenn Du mich des Abends in die Theater und Restaurants schleppst, dann bin ich am nächsten Tage totmüde. Es wäre viel schöner, wenn Du mich in der Woche abends bei dem Vater ließest und lieber mit mir Sonntags zusammenbleiben könntest, Eugen!« – klagte Tilly vorwurfsvoll. – – »Aber, Kind, Du weißt, Sonntag gehört Mama und der Familie. Sei vernünftig, Liebchen, und finde Dich endlich in das Unvermeidliche!« – sagte er, – – »Na, ist es Dir selbst nicht schon über? Es muß doch gräßlich sein!« – – »Ist es auch!« – – »Na, dann mach Dich doch frei! Ich hätte es längst gethan! Pah!« – – – »Das geht nicht, Mama – – –« – – »Deine Mama scheint eine furchtbare Tyrannin, und Du ein gehorsamer Sklave zu sein!« – – »Ich und Sklave?« – – »Sicher, Eugen, Du wagst ja nicht zu mucken! So etwas Hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen!« – –

Das niedliche Mädchen war eine kleine Diplomatin. Sie hetzte den jungen, fünfundzwanzigjährigen Bankbeamten so lange auf, bis er einsah, daß sie recht hatte und nachgab. Nach vielem Hinundher verpfändete er ihr sein Wort, daß er sich für die nächsten Sonntage freimachen wollte. Dann aber sollte es schön werden! Tilly wurde sofort das leibhaftige Engelchen, als sie ihren Willen durchgesetzt hatte. Eugen kam zur Mama mit einem gutgelernten und durchgedachten Schlachtplan.

* * *

VI.

Das Mittag bei der alten Frau Albrecht.

Es war ein recht langer Tisch, um den die Großmama ihre Kinder und Enkel, sowie die beiden Kinderfräulein, versammelt hatte. Die ganze Woche lebte sie äußerst einfach und gönnte sich nichts extra Gutes. Jedoch am Sonntag, für ihre achtzehn Gäste – – –? Da wurde reich aufgetafelt! Wahre, kleine Diners, bei denen die Lieblingsspeisen der Einzelnen immer nach Möglichkeit berücksichtigt wurden! Strahlend vor Freude schaute sie in dem Kreise umher. Man aß und trank ihre guten Weine, ihre vortrefflichen Speisen. Die Gesichter waren heiter erregt. Lebhaftes Geplauder erfüllte den großen Raum.

Plötzlich fielen ihr Frau Meyers Worte ein, daß sich die Geschwister nur vor ihr und um ihretwillen so friedlich zeigten! Ihr wurde ganz elend bei dem Gedanken; aber das Mißtrauen war einmal erwacht. – Nicht mehr unbefangen, sondern etwas argwöhnisch lauschte sie den Gesprächen, spähte sie nach dem Ausdruck der verschiedenen Gäste. – Und siehe! – Heute, zum ersten Male fielen ihr gewisse Anzüglichkeiten, kleine Eifersüchteleien, versteckte Spöttereien auf. Heute erst bemerkte sie, daß die Geschwister grundverschieden waren. Nur um ihretwillen beherrschten sie sich. Nur um ihretwillen ließen sie sich, unter eine Kappe zusammendrängen.

Ein tiefer Schmerz und eine traurige Enttäuschung setzten sich in ihr im Laufe des Nachmittags fest. War sie denn blind gewesen? Und dann kamen die einzelnen Parteien, und unter zahllosen Koseworten und Zärtlichkeiten logen und trogen ihre Kinder, um sich für die nächsten Sonntage freizumachen? Sollte sie dem nicht vorbeugen? Aber wie? Sollte sie verletzt sein? Nein, dazu war sie zu stolz! Es galt wohl auch nicht ihr! –

Sie gab ihre Kinder, unter dem Vorwande, daß sie sich selbst matt fühle, für einige Zeit frei! – Brüllows und Stengels, das Brautpaar und Redakteurs trafen sich an den nächsten Sonntagen verschiedentlich. Im Metropoltheater und bei Kempinsky. Im Wintergarten und in andern Restaurants. Keiner stellte sich erstaunt. Sie lächelten sich verständnisinnig an, wechselten einige Worte und trennten sich dann erleichtert. Entschieden hatten sie nie so harmonisch für einander gefühlt wie in dieser »Ferienzeit ihrer verwandtschaftlichen Zusammenkünfte.« –

Am nächstfolgenden Sonntag war Frau Albrecht jedoch auch nicht allein geblieben. Lotte Bach und Doktor Willi Feller leisteten ihr den Nachmittag über Gesellschaft. »Na, wird Ihr Freund Georgy etwa noch einen Band seiner Berliner Rangen veröffentlichen und Sie, meine Lieben, ausschlachten?« – fragte die alte Dame lächelnd. – – »Aber natürlich, gnädige Frau!« versicherte Lotte lachend. – Erstens hat sich wieder in meinem Freundeskreise eine Unmenge ereignet! – Ich darf es bloß noch nicht verraten, um ihm nicht die Schlager zu nehmen! Und zweitens hat er in seinem sechsten Bande doch mehr das gesellschaftliche Treiben im Hause geschildert. Er will noch einen siebenten Band: über das Berliner Leben außerhalb des Hauses schreiben. Wir helfen ihm beim Stoff sammeln wie stets!« – – »Ja, aber mein lieber Herr Doktor, werden Sie nicht eifersüchtig auf ihr Bräutchen und den Schriftsteller werden?« – rief Frau Albrecht.

Doktor Feller lachte: »Was würde es mir helfen? Ich, meine gnädige Frau, muß mich schon einmal daran gewöhnen. »Meine« Lotte und Ernst sind nun einmal ein Herz und eine Seele!«

 

» Fine«

* * *


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