Stefan George
Das jahr der Seele
Stefan George

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Nach der Lese

Komm in den totgesagten park und schau :
Der Schimmer ferner lächelnder gestade ·
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimm das tiefe gelb · das weiche grau
Von birken und von buchs · der wind ist lau ·
Die späten rosen welkten noch nicht ganz ·
Erlese küsse sie und flicht den kranz ·

Vergiss auch diese lezten astern nicht ·
Den purpur um die ranken wilder reben ·
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.

Ihr rufe junger jahre die befahlen
Nach IHR zu suchen unter diesen zweigen :
Ich muss vor euch die stirn verneinend neigen ·
Denn meine liebe schläft im land der strahlen.

Doch schickt ihr SIE mir wieder die im brennen
Des sommers und im flattern der Eroten
Sich als geleit mir schüchtern dargeboten
Ich will sie diesmal freudig anerkennen.

Die reifen trauben gären in den bütten ·
Doch will ich alles was an edlen trieben
Und schöner saat vom sommer mir geblieben
Aus vollen händen vor ihr niederschütten.

Ja heil und dank dir die den segen brachte !
Du schläfertest das immer laute pochen
Mit der erwartung deiner - Teure - sachte
In diesen glanzerfüllten sterbewochen.

Du kamest und wir halten uns umschlungen ·
Ich werde sanfte worte für dich lernen
Und ganz als glichest du der Einen Fernen
Dich loben auf den sonnen-wanderungen.

Wir schreiten auf und ab im reichen flitter
Des buchenganges beinah bis zum tore
Und sehen aussen in dem feld vom gitter
Den mandelbaum zum zweitenmal im flore.

Wir suchen nach den schattenfreien bänken
Dort wo uns niemals fremde stimmen scheuchten ·
In träumen unsre arme sich verschränken ·
Wir laben uns am langen milden leuchten

Wir fühlen dankbar wie zu leisem brausen
Von wipfeln strahlenspuren auf uns tropfen
Und blicken nur und horchen wenn in pausen
Die reifen früchte an den boden klopfen.

Umkreisen wir den stillen teich
In den die Wasserwege münden !
Du suchst mich heiter zu ergründen ·
Ein wind umweht uns frühlings-weich.

Die blätter die den boden gilben
Verbreiten neuen wolgeruch ·
Du sprichst mir nach in klugen Silben
Was mich erfreut im bunten buch.

Doch weisst du auch vom tiefen glücke
Und schätzest du die stumme träne ?
Das auge schaltend auf der brücke
Verfolgest du den zug der schwäne.

Wir stehen an der hecken gradem wall
In reihen kommen kinder mit der nonne.
Sie singen lieder von der himmelswonne
In dieser erde sichrem klarem hall.

Die wir uns in der abendneige sonnten
Uns schreckten deine worte und du meinst
Wir waren glücklich bloss solang wir einst
Nicht diese hecken überschauen konnten.

Du willst am mauerbrunnen wasser schöpfen
Und spielend in die kühlen strahlen langen ·
Doch scheint es mir du wendest mit befangen
Die hände von den beiden löwenköpfen.

Den ring mit dem erblindeten juwele
Ich suchte dir vom finger ihn zu drehen ·
Dein feuchtes auge küsste meine seele
Als antwort auf mein unverhülltes flehen.

Nun säume nicht die gaben zu erhaschen
Des scheidenden gepränges vor der wende ·
Die grauen wölken sammeln sich behende ·
Die nebel können bald uns überraschen.

Ein schwaches flöten von zerpflücktem aste
Verkündet dir dass lezte gute weise
Das land (eh es im nahen sturm vereise)
Noch hülle mit beglänzendem damaste.

Die wespen mit den goldengrünen schuppen
Sind von verschlossnen kelchen fortgeflogen ·
Wir fahren mit dem kahn in weitem bogen
Um bronzebraunen laubes inselgruppen.

Wir werden heute nicht zum garten gehen ·
Denn wie uns manchmal rasch und unerklärt
Dies leichte duften oder leise wehen
Mit lang vergessner freude wieder nährt:

So bringt uns jenes mahnende gespenster
Und leiden das uns bang und müde macht.
Sieh unterm baume draussen vor dem fenster
Die vielen leichen nach der winde Schlacht!

Vom tore dessen eisen-lilien rosten
Entfliegen vögel zum verdeckten rasen
Und andre trinken frierend auf den pfosten
Vom regen aus den hohlen blumen-vasen.

Ich schrieb es auf: nicht länger sei verhehlt
Was als gedanken ich nicht mehr verbanne ·
Was ich nicht sage · du nicht fühlst: uns fehlt
Bis an das glück noch eine weite spanne.

An einer hohen blume welkem stiel
Entfaltest du's · ich stehe fern und ahne . .
Es war das weisse blatt das dir entfiel
Die grellste farbe auf dem fahlen plane.

Im freien Viereck mit den gelben steinen
In dessen mitte sich die brunnen regen
Willst du noch flüchtig späte rede pflegen
Da heut dir hell wie nie die Sterne scheinen.

Doch tritt von dem basaltenen behälter!
Er winkt die toten zweige zu bestatten ·
Im vollen mondenlichte weht es kälter
Als drüben unter jener föhren schatten . .

Ich lasse meine grosse traurigkeit
Dich falsch erraten um dich zu verschonen ·
Ich fühle hat die zeit uns kaum entzweit
So wirst du meinen traum nicht mehr bewohnen.

Doch wenn erst unterm schnee der park entschlief
So glaub ich dass noch leiser trost entquille
Aus manchen schönen resten - strauss und brief -
In tiefer kalter winterlicher stille.


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