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Als der Chansohn in der nämlichen Weise wie früher die drohenden Worte gesprochen, kam Siddhi-Kür wieder herabgestiegen. Er steckte ihn in seinen Sack, band diesen mit dem Seile fest, verzehrte sein Mahl und wanderte, den Toten auf dem Rücken, seines Weges dahin. Siddhi-Kür wiederholte die Worte wie früher und der Chansohn gab mit dem Haupte das Zeichen, worauf Siddhi-Kür abermals wie folgt anfing:
»Früh vor Zeiten herrschte in einem großen Reiche ein Chan, der den Beinamen ›der Erleuchter‹ führte. Nach seinem Hinscheiden kam sein Sohn zur Regierung, ein holder Jüngling, der eine Königstochter der Südgegend zur Frau genommen hatte, die er aber nicht liebte. In einiger Entfernung von seinem Schlosse gewahrte er einmal, als er sich auf der Jagd befand, ein an Wuchs und Gestalt reizendes, vollendet schönes Mädchen. Er fragte, wer sie sei, und erfuhr, daß ihre Eltern schlichte Leute wären, die in der Nähe ihren kleinen Acker bestellten, worauf er sich sagte, daß Liebreiz und Treue ein Geschenk der Götter sei, das unabhängig sei von Reichtum und allem Glanze. Er lernte sie kennen und faßte Liebe zu ihr und sie liebte ihn auch, ohne zu wissen, daß es der Chan sei und daß ihm eine Gemahlin zu Hause weinte.
Aber da erkrankte er eines Tages schwer und schied aus dem Leben. Sie hatte auch davon keine Ahnung und da er durch einige Nächte wegblieb, sagte sie sich, daß ein Mann ja in der Welt viel zu tun habe, das ihn hindere zu tun wie er will und so wartete sie seiner. Da nachts, als es dunkel geworden war, klopfte es beim Strahle des Mondes an ihre Türe und als sie hinaussah, stand er draußen. Sie ging ihm zum Willkomm entgegen und führte ihn ins Haus. Dort fragte sie:
›Warum trägst du heute deine gewohnten Kleider nicht, mein Teurer?‹
Sie bat ihn, sich zu setzen, er tat es nicht und sie fragte:
›Warum setzest du dich nicht, mein Teurer?‹
Dann stellte sie Obst, Brot und Getränke vor ihn hin, doch er rührte nichts an und sie fragte:
›Warum issest du nichts, mein Teurer?‹
Darauf sagte er:
›Komm, Geliebte, komm heraus‹ und als sie ins Freie kamen, bat und lockte er: ›Komm weiter . . ., komm doch weiter.‹
So gelangten sie bis in die Nähe der Königsburg, aus deren Innern jetzt der laute Schall der Becken und Trompeten und Trauergesänge hervordrang. Sie fragte, was das zu bedeuten habe.
›Weißt du das nicht?‹
Sie sagte:
›Sie veranstalten ein Totenopfer darin. Ist denn dem Chansohn etwas geschehen?‹
Er antwortete:
›Der Chansohn ist gestorben und der Chansohn bin ich. Es ist mein Totenopfer, das sie veranstalten‹
Sie stürzte zu Boden. Er sagte:
›Jetzt ist dazu nicht die Zeit. Du wirst in Kürze einen Sohn bekommen und ich will, daß du dann in dem Hause, wo meine heiligen Tiere sind, weilst. Dort ist ein Opfertisch, unter ihm liegt ein Edelstein, den ich dort verborgen habe. Laß meine Mutter holen und gib ihr den Stein zum Zeichen, daß alles wahr ist und sag ihr, daß ich sie bitte, den Stein meiner Frau zu geben. Man entlasse sie, wenn sie will, zurück in ihr Heimatland und wenn sie nicht will, nicht. Wenn sie aber wegzieht, dann falle der Thron an unser Kind und bis es herangewachsen, sollst zusammen mit meiner Mutter du die Regierung führen.‹
Nach diesen Worten verschwand er.
Das Mädchen irrte, nachdem sie wieder zu sich gekommen war, mit dem Rufe: ›O Chan, mein Chan!‹ durch die Wälder. Als sie sich wieder beruhigt hatte, begab sie sich in das Haus, wo die heiligen Tiere waren, ließ sich nahe dem Opfertisch nieder und bekam in der Nacht einen Knaben. Keiner der Wärter war da, nur die Tiere sahen auf sie herab und waren voll Mitleid. Des Morgens, als die Wärter kamen, sagten sie:
›Wahrlich, daß hier bei den heiligen Tieren ein Kind zur Welt kam, das ist nicht in Ordnung und wird den Tieren nicht recht sein.‹
Aber diese sahen vorwurfsvoll zu ihnen auf und knieten neben die Mutter und das Kind hin, worauf die Wärter sprachen:
›Das haben wir ja noch nicht gesehen, das ist ein Wunder.‹
Und jetzt sahen sie nach der jungen Mutter, bis sie wieder zu sich kam und reichten ihr das Kind und sie sagte:
›Wo ist dein Vater und wer wird um dich sein, wenn ich ihm auch nachfolgen muß, du mein in Verlassenheit Geborener?‹
Aber nun erinnerte sie sich, was ihr der tote Chan gesagt hatte und bat die Wärter, hinzugehen und seine Mutter zu holen, worauf diese rasch herbeieilte und beim Anblick des Edelsteins erkannte, daß alles wahr war.
Als die Schwiegertochter davon hörte, verbarg sie das Gesicht in den Händen und wollte den Stein, den die Mutter ihr schenken wollte, nicht nehmen. Aber die Mutter bat und so sagte sie, gut und erklärte, daß sie zu ihrem Vater heimzukehren wünsche. Aber zuvor ließ sie sich noch zu den heiligen Tieren führen. Dort im Hause der Tiere trat sie hinter den Opfertisch und blickte eine Weile lang ungesehen auf das junge Mädchen und ihr Kind, die dort noch auf dem Fußboden lagen. Dann wandte sie sich, bestieg den Wagen und kehrte in ihre Heimat zurück, während das Kind in den Palast gebracht wurde und seine Mutter zusammen mit der Großmutter die Regierung führte.«
Hier unterbrach sich Siddhi-Kür und sprach: »Will der Chansohn nicht wissen, wie es weiter war? Sie erzählen die Geschichte bald so, bald so, aber wie es wirklich war, weiß niemand.«
Der Chansohn schwieg. »Und gibt mir also der Chansohn,« sagte Siddhi-Kür, »nicht einmal mit dem Kopfe das Zeichen, daß er vernehmen will, wie es wirklich gewesen?«
Darauf nickte der junge Chan und der Leichnam sprach weiter: »Also die Mutter und die Geliebte pflegten mit Liebe das Kind, bis die Großmutter starb und bald darauf geschah wieder etwas, was der Chansohn vielleicht nicht glauben wird. Als nämlich die Witwe des jungen Chans zu ihrem Vater heimgekehrt war, hatte sie sich in ihr Zimmer eingeschlossen und lange Zeit, bis auf die Dienerin, die um sie war, niemanden gesehen, so daß sich ihr Vater sehr kränkte. Er schickte ihr Geschenke und Edelsteine und sprach durch die Tür zu ihr, aber sie wollte nichts hören. Da, in einer Nacht, als alle schliefen und sie allein noch wach war, klopfte es am Fenster und wie sie es öffnete, stand da eine Gestalt im Mondenschein und sie konnte nicht sehen, wer die Gestalt war, weil sie ganz verhüllt war. In der folgenden Nacht und dann noch ein drittesmal kam die Gestalt wieder; und da nahm sie den Edelstein, den sie aus dem Lande ihres Gemahls mitgebracht hatte, aus der Truhe, aus der sie ihn seitdem nicht wieder hervorgezogen hatte und sagte, indem sie ihn vor sich hinlegte: ›Edelstein, Edelstein, wer ist die Gestalt?‹
Es war aber ein Stein, wenn man ihn ansah, zog sich das Herz zusammen und mußte an Vergangenes denken. So begab sie sich denn frühmorgens zu den heiligen Tieren, deren ihr Vater ebenfalls eine Anzahl in einem eigenen Hause hatte. Er freute sich als er hörte, daß sie doch einmal wieder ihr Gemach verlassen hatte, und sagte, vielleicht sei es ein Zeichen, daß sie wieder gesund werden würde. Umsomehr betrübte es ihn aber, als er hörte, daß sie dort in dem Hause schweigend hinter dem Opfertisch gestanden sei und dann wieder in ihr Gemach zurückkehrte. Und neuerdings ließ sie niemand zu sich, bis die Nacht kam. Da erhob sie sich von ihrem Sitze, schritt über die Geschmeide, die ihr der Vater geschenkt hatte und die alle auf dem Boden lagen, hinweg und legte wieder den Stein, den sie aus dem Lande ihres Gemahls mitgebracht hatte, vor sich hin und sprach: ›Edelstein, Edelstein, was hast du mir zu sagen?‹
Da begann er zu leuchten und es sprach aus ihm heraus: ›Weißt du es nicht? Die Mutter des Kindes ist gestorben und jetzt ist es allein. Das habe ich dir zu sagen.‹
Sie rang die Hände und fragte, was tun? und wieder sprach es aus dem Edelstein: ›Das sagt dir kein Mund. Aber du bist vielleicht schwach. Nur ein Weib, das stark ist, kann etwas tun, damit das Kind nicht allein bleibt.‹
Da sagte die Prinzessin:
›Ich überwinde alles, sollten selbst mein Fleisch und meine Knochen darüber auseinander gehen,‹ worauf die Stimme sprach:
›Nun so geh künftigen Monat, am fünfzehnten, in der Nacht, wenn der Mond sein Licht verbreitet, eine Meile weit allein nach der Südgegend vom Palaste deines Vaters weg. Dann wirst du dort etwas finden, das dich zu einem magischen Zauberkreis führen wird, an dessen Rande lauter weinende Herzen stehen. Nimm mich, nimm mich, schreit jedes Herz und du mußt erraten, welches das richtige ist und es zurücktragen zum Kinde. Dann wird das Wesen wieder vom Tode erwachen, dem dies Herz gehört und von dem du wünschest, daß es beim Kinde bleibe.‹
Da sagte die Frau, gut und machte sich des künftigen Monats, am fünfzehnten in der Nacht, auf den Weg nach der Südgegend: und ging und ging, bis sie zu einer Stelle kam, da leuchtete etwas schwach. Und als sie sagte, daß sie die Prinzessin sei, ging ihr das Licht voran und geleitete sie zum Zauberkreise, an dessen Rande die weinenden Herzen alle standen. Da waren viele, die sie nicht kannte und andere, die sie kannte und alle riefen: nimm mich, nimm mich. Nur eines schwieg, weil es vor Weh kein Wort hervorbringen konnte. Da neigte sie sich hinab und erkannte, daß es das Herz des jungen Mädchens war, die dort ihr Kind in der Ferne allein hatte zurücklassen müssen und griff nach dem stummen Herzen und trug es zum Kinde zurück. Dann wandte sie sich und kehrte wieder zurück zu ihrem Vater.«
»O, die liebte ihren Gemahl und er liebte sie nicht,« rief mit Tränen im Auge der Chansohn.
»Wieder hat sich der Chansohn Worte entschlüpfen lassen,« rief der Geist und mit den Worten:
»In der Welt nicht zu bleiben ist gut,« entschwand er.