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Diesen Dorfbuben war keine Nacht zu grausig, wenn sie ausgehen wollten, um tolle Streiche zu machen. Heute toste der Frühlingssturm durch die breite östliche Bergluke in das Tal, dass sich vor ihm die Bäume gleich Halmen bogen. Ein schneeschwerer Wolkenschwall nach dem anderen schoss daher und warf von seiner Last so viel ab, als er auf dieser Jagd nur konnte. Der gute Mond konnte nur selten zwischen einem enteilenden und einem heranstürmenden Wolkenungeheuer einen Mitleidsblick zur sturmgeplagten, frierenden Erde gelangen lassen. Den Dorfbuben machte dieses Wetter eitel Spaß, weiter niemandem, sonst wäre den elf Ausbündern gewiss ihr wetterübertäubendes, wildes Lärmen auf dem Ortsplatze verboten worden. Die besser gesitteten Leute schienen lieber alles anzuhören, als dass sie nur einen Augenblick ein Fenster auftaten. Und die Buben hatten es doch nur darauf abgesehen, irgendjemanden, der eben sein Bett über alles liebte, dahin zu bringen, dass er seine Nase dem Wehen dieser Macht aussetzte. Aber es gelang ihnen mit dem gröbsten Unfugtreiben nicht, auch nur den Nachtwächter aus seinem Hause zu bringen.
Nicht einmal die etwas unkluge Schmotzenevi vermochten sie diesmal an das Fenster zu locken. Die fühlte sich sonst über alle Maßen geschmeichelt, wenn bei ihr angefensterlt wurde, und zeigte sich gerne jedem Sänger für sein Lied. Die Elf sangen freilich so rührend, dass bald die Hunde mit heulten. Zu dieser heutigen Lustigkeit hatte zuvörderst ein Fass Bier den Anlass gegeben, das der Fenzlmoz bezahlte, weil er so glücklich war, seine Braut nicht heiraten zu müssen, welche er sieben Jahre mit Hinsprechungen hinhielt. Im heurigen Fasching hätte ihm keine Ausrede mehr geholfen. Aber da kam ihr plötzlich ein anderer unter, der ihr lieber war. Der Fenzlmoz glaubte sich gar nimmer genug freuen zu können. Er hätte diesmal seinen Freunden so viel bezahlt, als sie trinken wollten, wenn dem auf solche Feste unvorbereiteten Dorfwirte das Bier nicht ausgegangen wäre. Gerade als es am Lustigsten werden wollte, hätten nun die Elfe heimgehen sollen. Das taten sie nicht. Im Dorfe gab es kein zweites Wirtshaus. Darum wollten sie nun über den Berg in das nächste Dorf. Durch den finsteren, steinigen Hohlweg zogen sie nun dem Walde zu und sangen:
»Wann nur oani zum Fensterl kam
Blieben ma da,
Und weil koani zan Fensterl kimt,
Fahren ma a.«
Als sie gegen die Mitte des Hohlweges kamen, wurden sie aber alle sonderbar stille. Einer von ihnen wusste nicht, was das zu bedeuten habe. Er war nämlich noch nicht lange im Dorfe. Seine Eltern hatten sich erst vor einem Jahre hier angekauft. Heute war Nazi zum ersten Mal den Lockungen der lustigen Dorfbuben gefolgt. Aber er hatte von dieser Gesellschaft mehr Freude erhofft, als er fand.
Er war viel feiner, verträumter, innerlicher als sie alle. Um es ihnen recht zu machen, stellte er sich fröhlicher, als er war. Sie merkten dabei doch den zwischen ihm und ihnen bestehenden Unterschied. Einige, die das verdross, was ihn der richtigen Kameradschaft mit ihnen unfähig machte, hielten ihm seine Eigenheit auf verschiedene Art vor. Um desto mehr bemühte er sich, ihnen gleich zu erscheinen, und war nun aus Höflichkeit so derb und toll wie möglich.
»Was habt Ihr denn plötzlich?« rief er, als auf dem Wege die seltsame Stille eingetreten war.
Einer gab ihm die Erklärung: »Weißt Du, Nazi, wir kommen jetzt an der Spottmirl ihrer Hütte vorbei. Da vorne ist ihr Bau in den Stauden am Wege.«
Nazi lachte. »So? Vor allen Häusern getraut Ihr Euch zu singen, nur vor dem Ihren nicht?«
»Ja, weil uns nirgends so scharf zurückgesungen werden könnte«, entgegnete einer der Burschen. »Wenn die Spottmirl einmal anfängt, der wird das Lied sein Lebtag nimmer los. Man bleibt von ihrem Spott gezeichnet wie einer, der mit Scheidewasser beschüttet worden ist. Wenn man noch jung ist, muss man sich schon gar vor einer solchen Entstellung fürchten, die einem das ganze Leben vergällen könnte. Gar manchem seine schöne Grabschrift wird nimmer zu lesen sein, aber den bösen Vers, den ihm die Spottmirl gestiftet hat, werden noch alle Kinder wissen.«
Nazi staunte. »Wie ist denn die gar so arg geworden?«
»Ganz aus freien Stücken«, wurde ihm geantwortet. »Das liegt ihr schon so in der Natur wie der Brennnessel das Brennen und der Distel das Stechen. Darum muss man nicht ankommen an sie.«
»Die möchte ich doch kennen lernen«, sagte Nazi voller Neugier.
»Verlang Dir das nicht«, entgegneten die Burschen. »Die Spottmirl kennen lernen wollen, das wär gar ein gefährlicher Übermut.«
»Ich muss sie kennen lernen!« rief Nazi. Es reizte ihn, einen recht kecken Wagemut zu zeigen, wo alle so furchtsam waren.
»Schrei doch hier nicht«, wurde er gebeten. »Wenn die Spottmirl darauf kommt, dass wir in ein anderes Tal fensterln gehen, verhilft sie dieser Nacht zu einem Angedenken, das uns die Dorfdirndeln immer vorhalten würden.«
Aber Nazi ließ sich nicht abschrecken. Es war wirklich ein ganz ungewöhnlicher Übermut in ihn gefahren. »Geht Ihr nur ruhig weiter«, sagte er. »Ich fürchte die Spottmirl nicht. Ich will es ihr sagen, dass ich in ein anderes Tal fensterln gehe, diese Meldung ist wohl ein heilsamer Spott für sie. Wenn sie sich, wie Ihr sagt, keine Gelegenheit zum Spotten entgehen lassen will, so mag ich mich jetzt nicht so an ihr vorüber stehlen. Sie soll wissen, was ich tun will, und ich will hören, was sie darauf zu sagen hat. Vielleicht wäre es schon immer möglich gewesen, dem Weibe auf die Art manches Schlimme abzugewöhnen.« Die anderen lachten. »Versuch's.« Nur einige, die es etwas besser mit ihm meinten, rieten ihm von seinem kecken Vorhaben ab. Aber er war nicht umzustimmen.
Es gefiel ihm, ihnen seine Willenskraft zu zeigen. Und es schien ihm auch ganz geziemend, mit der Spottmirl so anzubinden, wie er sich's dachte. Seine Kameraden flüchteten förmlich dem Walde zu, als er über die Wegböschung auf die kleine, einschichtige Hütte losging.
Er klopfte an eines der beiden Fenster, durch welche es höllenschwarz heraus gähnte.
»Mirl!« rief er. »Ich hab Dir was zu sagen.«
Es erfolgte keine Antwort aus dem Stubenraume.
»Mirl!« wiederholte er nun. »Spottmirl!«
Da hörte er drinnen einen Schrei der Wut. Und bald sah er auch eine weiße Gestalt hinter den Fensterscheiben.
»Ich hab Dir was Wichtiges zu vermelden«, hob er an. »Wer ich bin, wirst Du wohl schon wissen.«
Sie nickte lebhaft. »Jawohl, Du bist der größte Narr, der da, seit ich denke, vorübergegangen ist.«
»Wieso?«
»Weil Du mich schimpfst, eh Du mich kennst.«
»Ist denn Spottmirl nicht Dein richtiger Name?« fragte er, sich kindsunschuldig stellend.
»Nein«, sagte sie. »Du bist freilich so dumm, dass Du glauben könntest, ich bin auf den Namen getauft.«
»Es heißen Dich doch alle Leute so«, entschuldigte er sich.
Sie schüttelte den Kopf. »Mir in das Gesicht nicht. Das hast nur Du in Deiner Dummheit wagen können. Aber Dir verzeih ich's. Narren strafen hat selten einen Sinn. Die Dorfleute werden dafür büßen, dass Du mir das sagtest, was sie aufbrachten. Wenn sie Dich dann aus Wut erschlagen, fällt die Verantwortung dafür wieder auf sie. Gegen mich können sie niemals in Ehren gewinnen.«
Ihre stolze Sicherheit flößte ihm nun Achtung ein. Auch die mutige, ruhige, heitere Überlegenheit, die sich in ihrem jugendfrischen, hübschen Gesichte ausdrückte, gefiel ihm so sehr, dass er über seine eigene Eindrucksfähigkeit erstaunt war. Er war am allerwenigsten auf das vorgesehen, was ihm jetzt hier geschah.
Vorderhand wollte er aber das junge Weib noch in dem früheren lustig spöttischen Tone weiter aushören.
»Du tust, als ob Du immer im Recht gegen alle anderen wärest«, sagte er, nur auf ihre letzte Rede eingehend.
»Wenn ich das nicht wär', täten sie mich wohl nicht fürchten«, entgegnete sie.
»Sag', musst denn überhaupt mit aller Welt so im Streit liegen?« fragte er nun.
»Ja«, antwortete sie. »Derweil bin ich noch zum Friedenhalten mit dieser Welt nicht geeignet. Vielleicht werd' ich das später, bis mir aller rechte Zorn ausgegangen ist, alles richtige Empfinden, aller Geist und Witz; aber derweil ich fühl' und denk' wie jetzt, zieh' ich gehörig gegen das los, was mir nicht gefällt. Wenn ich ein Mann wär', ging ich noch ganz anders zu Feld gegen die Dummheit. Da wär' ich vielleicht gar ein rechter Held. Als Weib kann ich das, was ich möcht', nicht richten. Aber in Respekt hab' ich mich doch so weit gesetzt, dass sich bisher keiner so keck an mich gewagt hat wie jetzt Du.«
»Was haben denn Dir die Leut' getan, dass Du so geworden bist?«
»Mir gar nicht viel«, sagte sie. »Ich hätt' mir auch nie viel antun lassen. Bin ziemlich frei von Natur aus so streitbar geworden, wie ich bin. Wer nicht so willens- und charakterlos richt', wie's die Masse unter sich gewohnt ist, der kommt bald mit allen übers Kreuz. Aber zu meinem Schaden ist doch kein Strauß ausgangen, den ich anbunden hab. Na, und jetzt sag' Du, was Du mir zu vermelden hast.«
Er getraute sich nun wirklich mit der geplanten Meldung nicht hervor.
»Na? Ist Dir jetzt das Herz in die Hosen gefallen?« höhnte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, etwas anderes ist mit meinem Herzen geschehen, Du gefällst mir jetzt«, sagte er ehrlich, wie er das nun auch tatsächlich empfand.
Sie sah ihn scharf forschend an. Ihr Blick stach förmlich die Fensterscheiben durch.
Und dann schien sie sich plötzlich unsäglich über ihn zu wundern. Es war ihr bisher nicht zugestoßen, dass jemand von einem Gefühle für sie sprach.
Aber plötzlich schüttelte sie heftig den Kopf, als ob sie das, an was sie einen Augenblick gerne geglaubt hätte, nicht stark genug verneinen könnte.
»Nein, nein«, sagte sie dabei zu Nazi. »Du musst doch ein Narr sein. Geh', sag' mir's doch, was Du mir hast vermelden wollen, damit ich es bewiesen hör', dass Du wirklich ein Narr bist.«
»Nein, Du darfst mich für keinen ansehen«, sagte er lachend und doch im vollen Ernste. »Und wenn ich wirklich kurz zuvor noch einer war, so will ich jetzt keiner mehr sein.«
Sie lachte scheinbar harmlos, aber dabei sah sie ihn doch immer tiefer und fragender an.
»Es wäre freilich schön, wenn Du meinetwillen gescheit werden tätest«, sagte sie. »Aber an so ein Wunder kann ich gar nicht glauben. So schnell ist so was gar nicht möglich. Ich hab' ja noch gar nichts versucht zu Deiner Heilung.«
»O doch«, entgegnete er. »Damit Du's kennst, dass Du mich wirklich schon viel gescheiter gemacht hast, will ich Dir's jetzt sagen, was ich Dir früher vermelden wollte.«
»Na?«
»Einen recht groben Spott hatt' ich mir vorgenommen, dass ich in ein anderes Tal fensterln gehen will, hätt' ich Dir gerne gemeldet.« »Spottmirl!« wollte ich schreien, »dass Du's nur weißt, ich geh' jetzt über den Berg in das Gillmtal fensterln. Damit Dir ja nichts entgeht, sag' ich Dir das. Du hättest es sonst vielleicht übersehen. Ich will Deine Schonung nicht, Spottmirl. Was ich tun will, kannst sogar Du wissen – so ein mutiger, freier Bursch bin ich! Sollst einmal sehen, dass es auch einen gibt, der sich vor Deinem Schnabel nicht fürchtet. Sollst sehen, was ich mir daraus mache, wenn Du auf mich loshackst. Allen anderen will ich ein Beispiel geben, dass sie sich dann auch nichts aus Dir machen sollen. Ja, so und ähnlich wollt' ich da zu Deinem Fenster herumschreien, Mirl – so recht beschämen wollt ich Dich und…« Er stockte jetzt und senkte den Kopf ganz wie einer, der erst mit dem rechten Mute gebeichtet hat und nun mit der rechten Demut auf die Verzeihung wartet.
Sie sah ihn voll und groß an, während er so vor ihr die Augen senkte. Und in ihrem Gesichte strahlte dabei ein schönes, glückliches Lächeln. Als er dann erwartungsvoll emporblickte, wollte sie schnell ihren Gesichtsausdruck ändern. Aber die geplante spöttische Miene gelang ihr nicht, sondern fiel zu gutmütig aus. Sie fühlte das und ärgerte sich zunächst über ihr so seltsam verändertes Wesen.
»So geh' nur jetzt«, antwortete sie ihm rasch. »Geh', sonst werden die Spatzen munter, ehe Du in das andere Tal zum Anfensterln kommst und pfeifen Deine Ehr' noch früher aus als ich.«
»Nein, nein«, antwortete er. »Du hast mich von dem Gang über den Berg recht gründlich abgebracht, Mirl. Ich geh' heut' vor kein anderes Fensterl mehr.«
»So?!« rief sie und gab sich Mühe, ein recht erschrecktes und beleidigtes Gesicht zuwege zu bringen. »Willst Du jetzt am End' herumschreien, dass Du bei der Spottmirl angefensterlt hast? Wenn Du es vielleicht abgesehen hättest, einen solchen Spott mit mir zu treiben, da wirst Du sehen, dass ich recht ohne Scham zurückhau', wenn ich ohne Scham angegriffen werd'.«
Er lächelte begütigend. »Kannst Du denn wirklich nicht glauben, dass einer im Ernst bei Dir anfensterln möcht'?«
Sie schüttelte den Kopf. »Zu der Spottmirl wagt sich keiner so im Ernst – weder heimlich noch vor der Welt.«
»Ich will«, entgegnete er so ruhig und fest, dass sie nun in all ihrem Staunen kaum mehr an seiner Rede zweifeln konnte. »Mir gefallen gerade die Eigenschaften, derentwegen Du am meisten in Verruf bist. Auch nicht ein bisschen fürcht' ich Dich, das möcht' ich Dir wohl gerne beweisen und auch der Welt.«
Sie hielt einen Augenblick den Kopf gesenkt. Dann sagte sie zögernd: »Wundershalber möcht' ich wohl sehen, wie Du das anfangen tätest.«
»So?« rief er freudig. Im nächsten Augenblick hatte er das Fenster aufgerissen. Ehe sie recht begriff, wie er dabei zu Werke gegangen war, hielt er sie schon in den Armen und küsste sie. Da wusste sie nun deutlich, dass er keinen bösen Spott mit ihr trieb und dass auch sie mit ihm keinen treiben würde.