Ludwig Ganghofer
Der Ochsenkrieg
Ludwig Ganghofer

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11

Unter den peitschenden Regengüssen und prasselnden Hagelschlägen des Gewitters, das über die bayrischen Lande niederging, jagte Lampert Someiner in klebenden Kleidern auf seinem erschöpften, triefenden Rappen der vieltürmigen Stadt entgegen, die wie ein grauer Schemen hinter den Schleiern des vom Himmel fallenden Wassers lag.

Irgendwo in diesem Grau, ganz nahe und dennoch unsichtbar, rauschte die hochgeschwollene Donau so stark, daß auch der rollende Donner dieses Rauschen nicht völlig übertönen konnte. So oft das blaue oder weißgrelle Leuchten eines Blitzes durch die Lüfte ging, verstärkte sich der in großen Tropfen niederklatschende Regen, oder es prasselte ein neuer Hagelschauer aus den Wolken herunter. Auf der Straße versanken die Hagelkörner in Morast und Pfützen, doch auf den Wiesen und über den zerschlagenen Getreidefeldern neben der Straße lagen sie wie dicker Schnee. Und über diesem Schnee war tischhoch der weißliche Dunst, zu dem die auffallenden Regentropfen auf den harten Eiskörnern zerstäubten.

Moorle jagte mit gesenktem Schädel, keuchend, die Augen vorgequollen, daß man rings um die angstvollen Lichter das blutunterlaufene Weiße sah. Lampert, um sich leicht zu machen und den Winddruck zu verkleinern, lag mit Brust und Gesicht auf der Mähne des Pferdes. Nur sein Schwert hatte er behalten – alles andre, die Packung des Pferdes, den Mantel, die Arm- und Beinschienen, den Plattenküraß und die Stahlhaube, hatte er bei dieser hetzenden Verfolgung fortgeworfen, um die Last für den Gaul zu mindern und diesen sechs rätselhaften Heckenreitern zu entrinnen, die er seit dem Morgen hinter den Fersen hatte. Zwei von den Stiftsgäulen waren niedergebrochen. Nun mußte Moorle seinen letzten Atem hergeben und aushalten bis zum Ingolstädter Tor.

Während Lampert den erschöpften Rappen mit Spornstößen hetzte, wandte er immer wieder das Gesicht. Von seinem Knecht und den sechs Reitern war seit einer Weile nichts mehr zu sehen.

Diese Reiter? Die immer verschwunden waren, um immer wieder aufzutauchen? Lampert wußte nicht, was er von ihnen denken sollte. Manchmal hatte diese Verfolgung sich angesehen wie ein boshafter Narrenstreich, wie ein Blindekuhscherz. Erst waren es nur zwei gewesen, dann viere, dann sechse. Auf offenem Geländ und in der Nähe von Dörfern hatten sie gespielt mit ihm wie Katzen mit der Maus, die nimmer entrinnen kann. Doch so oft sich die Straße in dichtem Wald verlor, war's Ernst geworden, bei keuchendem Jagen. Und im letzten Wald vor Ingolstadt, bei Ausbruch des Gewitters, hatten sie den Knecht eingeholt und aus dem Sattel gerissen.

Strauchdiebe? Die sich mit einem abgeschundenen Pferd, mit Kittel und Hemd eines Knechtes begnügten?

Ein Blitz fuhr nieder, daß Straße und Wiesen wie in Feuer schwammen. Dann ein Gerassel in den Lüften. Moorle scheute, und seine Hufe hämmerten über die Bohlen der Donaubrücke. Aus den grauen Wassergüssen des Gewitters tauchten die schweren Türme heraus, schwarz vor Nässe.

Lampert mußte auf dem zitternden Gaul eine Weile harren, bis im Tor das schwere Balkengatter aufging.

In der Mauthalle drängte sich ein Schwarm von bunten Söldnern um den triefenden Reiter her.

»Botschaft an Herzog Ludwig! Geleit vom heiligen Peter zu Berchtesgaden!«

Lamperts Stimme klang so heiser, daß die Mautknechte über diese krächzenden Laute zu lachen begannen. Man gab ihm zwei Söldner, die ihn zur Burg des Herzogs führen sollten, und versprach ihm, zehn Reiter auf die Suche nach seinem verschwundenen Knecht zu schicken. Er stieg aus dem Sattel, um den zitternden Gaul zu entlasten. Nach diesem mehr als vierzigstündigen Ritte wurde das Gehen für Lampert eine harte Mühe. Den linken Arm, der heftig schmerzte, konnte er kaum bewegen. Auch Moorle war fertig und kroch wie ein zerprügelter Ackergaul über das grobe Pflaster hin. Die enge Straße war leer, doch unter den Torhallen standen buntgekleidete Menschen dichtgedrängt beisammen, um das Ende des in grauen Schnüren fallenden Regens abzuwarten; sie machten Späße, als die zwei Söldner mit dem gewaschenen Fremden zwischen den plätschernden Dachtraufen und unter den Güssen der Wasserspeier vorübertappten.

Nach langem Weg durch winklige, von gelben Bächen überschwemmte Gassen erreichte Lampert das mit reichgekleideten Wachen besetzte Tor der herzoglichen Burg. Er wurde mit höfischer Umständlichkeit salutiert, und viele Diener stellten sich zu seinem Dienst. Lamperts erste Sorge gehörte dem übel zugerichteten Moorle. Als man den Gaul zu gutem Stall geführt hatte, lief einer von den rotgekleideten Leibtrabanten, die man ›Einrösser‹ nannte, flink davon, um dem Herzog die Ankunft des Berchtesgadnischen Herrn zu melden.

Die langen Hallen, die der Trabant durchschreiten mußte, um dem in die Höfe niederprasselnden Regen zu entgehen, wimmelten von rotgewandeten Söldnern, von grün und braun gekleideten Jägern und Falknern, von Herren in Scharlach und Silbergrau, mit der goldenen Edelmannsschnur um die Hüte. In Herzog Ludwigs zahlreichem Hofgesinde diente neben den Soldknechten und Troßleuten ein halbes Tausend von Grafen und Rittern, von beutesüchtigen Abenteurern aus allen Ländern. Neben der heimatlichen Sprache hörte man Italienisch, Flämisch und Ungarisch, das Platt und den schwäbischen Dialekt, die rauhen Laute der Schweizer und am häufigsten das hurtig gleitende Französisch. Zwischen den Herren und Knechten ein Gewimmel von Jagdhunden. Man schwatzte, schrie und scherzte, daß es den Lärm des Regens übertönte; man zechte an langen Tischen bei Saitengeklimper, bei Brettspiel, Karten und Knöchelbecher. Herr Ludwig, der diesen Schwarm von Hofleuten nährte, ließ das viele Gold, das er aus Frankreich nach Ingolstadt verfrachtet hatte und das er im eignen, reichen Lande gewann, durch lockere Finger ins Leere laufen.

In einem kleinen, von hohem Kreuzgang umzogenen Hofe, der mit schönen Steinmetzarbeiten geziert war, standen trotz Regen und Traufe viele Herren, Söldner und Jäger mit Lachen und Schwatzen um große Holzkäfige und Körbe her, in denen Fasanen und ungarische Hirsche gekommen waren, um die Bestände des herzoglichen Tiergartens aufzufrischen. Die Jagdhunde kläfften das Hochwild an und schnupperten gierig den Duft der schönen Vögel.

Der Einrösser eilte durch lichtarme Korridore und über unbequeme Treppen hinauf. Das alte Schloß war düster und winklig in seiner Bauart. Doch die bedrückten Räume waren verschwenderisch ausgestattet, und in allen Gängen standen rotgekleidete Leibtrabanten mit vergoldeten Spießklingen.

Vor der Tagstube des Herzogs lag der einzige große Saal des Schlosses wie eine glitzernde Schatzkammer. Kunstvoll gewebte Bilderteppiche bedeckten die Wände. In verglasten Schränken schimmerte eine Fülle von Kostbarkeiten: Diademe, Gürtel und Kronen aus Smaragden und Saphiren; Heiligenschreine standen umher mit Schnitzereien aus Elfenbein; goldene und silberne Statuen glänzten, Hausaltäre mit Gemälden auf Goldgrund, verschwenderisch umkrustet von Perlen und Edelsteinen; und überall funkelten kristallene Gefäße und emaillierte Geräte, Werke der Schmelzkünstler von Limoges.

Die Heimat dieser Kostbarkeiten war Frankreich. Sein halbes Leben hatte Herr Ludwig in Paris und in französischen Königsschlössern zugebracht, wo die prunkvolle Tobsucht des Königs auf alle lebenden und toten Dinge seiner Umgebung abfärbte und aller höfische Brauch eine verrückte Schamlosigkeit atmete, für welche die Königin, Ludwigs Schwester Isabeau, das Vorbild stellte. Und als Herr Ludwig vor Jahren aus Frankreich flüchten mußte, hatte er diese ›Pfandstücke‹, für die er dem König und der Königin bayrisches Geld geliehen, nach Ingolstadt entführt – nicht alle mit gutem Recht. Seine Freunde nannten ihn drum einen ›klugen Kaufmann‹ – sein Vetter Heinrich zu Burghausen sagte: »Der Ingolstädter Dieb!«

In diesem Schimmersaal, bei der Türe, die zur Tagstube des Herzogs führte, saß ein bejahrter Mann, der Kämmerer Wolfgang Graumann, Herrn Ludwigs getreuer ›Wolfl‹. Neben ihm, auf einem großen, roten Kissen, ruhten zwei schöne, starke Hunde, braun und weiß gefleckte Bärenfinder, die aus dem berühmten Jagdhundzwinger des bayrischen Oberstjägermeisters Kaspar Törring stammten und des Herzogs Begleiter auf allen Wegen waren.

Der Einrösser machte seine Meldung, und Wolfl trat durch die Tür. Eine wohnliche Stube. Wertvolle Gemälde an den dunklen, mit goldbedrucktem Leder überspannten Wänden. Auffällig waren die vielen kleinen Statuetten von Bullenbeißern mit gefletschten Zähnen. Sie ersetzten die Spruchbänder, die in Herzog Heinrichs Stube zu Burghausen waren. Auf dem Marmorgesimse des französischen Kamines stand das größte dieser Bluthundbilder, ein schwerer Bronzeguß, auf dessen Sockel die lateinischen Worte zu lesen waren: »Memento, quia canis est!« Nach der Heimkehr vom Konzil zu Konstanz, als ein von schweren Wunden Genesener, hatte Herr Ludwig bei der Aufstellung dieser Gedächtnisstatue lachend gesagt: »Wenn ich den Mörder Heinrich einmal gebunden da herein schleppe, muß er sich das übersetzen lassen: ›Vergiß nicht, was für ein Hund das ist!‹ Selber versteht er's nicht.«

Die Stube hatte nur zwei winzige Fenster, bekam aber eine Fülle von Licht durch den neuen Erker, der aus einer Ecke des Raumes gegen die Donau hinausgebaut war. In diesem Erker hingen zierliche Goldkäfige mit fremdländischen Singvögeln, daneben ein größerer Flugkäfig mit kleinen grünen Papageien, die unter ruhelosem Gezwitscher allerlei wunderliche Maschinerien trieben, wenn sie Futter nahmen. Mit diesem steten Vogelgeschwätz und dem Traufengeplätscher des Regens mischte sich der Klang eines kunstvollen Lautenspiels. Der Musikus, in Scharlachfarbe gekleidet, ein Dreißigjähriger mit verschmitztem Gesicht, saß in einem Polsterstuhl des Erkers, Peter Nachtigall, der Hoflautner des Herzogs, der Vertraute und geheime Briefbote bei seines Herrn verschwiegenen Zärtlichkeiten. In diesem sekreten Dienste hatte Peter Nachtigall viel zu tun, obwohl Herr Ludwig im Bart, der zu Paris seine beiden Gemahlinnen begraben hatte, schon im sechsundfünfzigsten Lebensjahre stand.

In seinem stattlichen Wuchs und seiner strotzenden Lebenskraft sah der Herzog wie ein Vierziger aus. Sein Vater Stephan war ein zierliches Männchen gewesen und Ludwigs Mutter Taddäa Visconti, die Schwester von Heinrichs Mutter Maddalena, eine schlanke, feingelenkige Südländerin. Und dennoch hatte sich der Sohn solcher Eltern, das Bild des kaiserlichen Ahnherrn wiederholend, zu diesem prachtvollen, mit Stolz und Lachen begabten, ritterlich gestalteten Mannsbild ausgewachsen, während alles Kleine und Lebensdunkle der Eltern auf seine an Gesicht und Körper zierliche Schwester Isabeau gekommen war, die auf dem Throne von Frankreich saß als das übelste Weib ihres Landes. Am Pariser Hof hatte Ludwig, der sich Loys zu nennen liebte, den scharmanten Schliff französischer Sitten angenommen und sich geschult in französischem Mutwillen. Doch er hatte bei seiner Flucht aus Frankreich – neben einer kleinen, häßlichen französischen Narbe am Hals – auch eine zweifelhafte Schätzung des deutschen Wesens mit heimgebracht und eine weitgehende Skrupellosigkeit in der Wahl der Mittel bei seinen zahlreichen politischen Händeln. Es mischte sich in ihm viel Gutes mit viel Bedenklichem: ein reizbares und leichtsinniges Blut mit einem lebhaften, für alles Schöne empfänglichen Gemüt, harter Eigenwille mit rascher Barmherzigkeit, hochfahrendes Wesen gegen seinesgleichen mit leutseliger Güte gegen Arme und Niedrige.

Als Wolfl die Stube betrat, fand er den Herzog zu einer Stunde, die in Ludwigs großen, dunkelblauen Augen alles Gute seines Lebens glänzen machte. Neben dem reich geschnitzten Tisch, der viele Laden und Geheimfächer hatte, stand er hoch und stattlich, in einem lose gegürteten, aus Gold und Grün gewobenen Brokatrock, die rote, mit Hermelin verbrämte Sammetmütze über dem braunblonden, nur von wenigen grauen Fäden durchzogenen Haar. Der dunkelblonde, nach französischer Art geschnittene Vollbart umrahmte das kräftig gefärbte Gesicht mit der starken Nase und den roten, sinnlich geschwellten Lippen. Eine dicke Narbe ging schräg über die Stirn, und an den schön gepflegten Händen waren die Male schwerer Schnittwunden zu sehen – die Erinnerungszeichen an jene blutige Rächernacht zu Konstanz.

Mit diesen Händen hielt Herr Ludwig in Zärtlichkeit die Hand eines schönen, zwanzigjährigen Jünglings umschlossen, der in dunklen Reisekleidern vor dem Herzog stand wie ein in Jugend erneutes Ebenbild des Fürsten: Jungherr Wieland, Sohn der schönen Jungfrau Canetta, der Tochter des herzoglichen Rates Wieland Swelher zu Neuburg.

Ohne die Hand des Jünglings zu lassen, hob Herr Ludwig das Gesicht. »Mein guter Wolfl, was bringst du?«

»Ein Bote vom heiligen Peter zu Berchtesgaden ist eingeritten, Herr Lampert Someiner, mit einem Brief, der eilig ist.«

»Keine Botschaft ist so eilig, daß sie der Reinlichkeit nicht Zeit gewähren könnte.« Herr Ludwig sah zum Fenster, vor dem der Regen versiegte. »Der Ärmste hatte böses Reitwetter. Man soll ihm ein heißes Bad richten. Laß ihn essen und trinken, was ihm schmeckt. Dann kleid ihn aus meiner Kammer!«

Wolfl Graumann verschwand.

Herr Ludwig zog die Hand des Jünglings näher an seine Brust und sah ihm herzlich in die Augen. »Jetzt geh, mein lieber Junge! Du wirst zum Anfang deiner Reise noch schöne Stunden haben. Das Wetter hat sich ausgetobt, die Sonne will wieder kommen. Reise gut und bleib gesund! Dein Hofmeister weiß, wie es nach meinem Willen auf der hohen Schule zu Bologna mit dir gehalten werden soll. Sei fleißig und lerne tüchtig! Das Leben ist eine zweifelhafte Sache, die nur erträglich wird und Wert gewinnt durch Schönheit, Wissen und Kunst. Geh auch verständig mit deiner Jugend um! Freu dich, vergeude Gold, wenn es dir Spaß macht, aber schone das Beste deiner Lebenskraft! Tue, was ich selbst zuweilen unterließ: Zügle dein junges Blut! Aus Erfahrung weiß ich, daß Sturm in den Adern immer Gefahr ist. Man kann nie voraussehen, ob das einer Tugend zuläuft oder einem Laster! So, lieber Junge! Und jetzt –« Herr Ludwig zog am Tisch eine Lade auf.

Ein leises Knirschen an der Türe. Auch die Vorhänge bewegten sich. Doch niemand kam. Peter Nachtigall hob den Kopf und unterbrach sein träumerisches Saitengezirp durch kräftige Baßklänge. Herr Ludwig, von der Erregung des Augenblicks umfangen, überhörte den klirrenden Wink. Er nahm aus der Lade eine Goldkette heraus, an der ein Taubenblutrubin von seltener Schönheit blitzte. Diese Kette legte er um den Hals des jungen Wieland. »Nimm das! Als Geschenk zum Abschied. Das ist des heiligen Ludwigs achteckiger Rubin, den ihm ein Engel brachte – sagte man.« Der Herzog fand sein frohes und starkes Lachen. »So kommen des Himmels Güter auf uns irdische Sünder.«

»Herr«, stammelte Wieland in Freude, die auch Bestürzung war, »Ihr verschwendet der Güte zu viel an mich Unwürdigen.«

»Unwürdig? Manchmal bist du's! Es fehlt dir an Stolz und Selbstbewußtsein, zu dem du als mein Sohn ein Recht hast. Drum mißfällst du mir oft. Aber ich liebe dich. Zärtlichkeit, die ihren Gegenstand mit Lügen umschleiert, ist Schwäche. Liebe, die jeden Fehler des geliebten Menschen erkennt und dennoch liebt, ist Kraft.«

In tiefer Bewegung küßte Wieland die Hand des Fürsten. »Herr – wie soll ich danken –«

»Sag Vater zu mir! Mein Sohn bist du! Der andre ist mein Erbe, Gott sei's geklagt!«

Peter Nachtigall spielte eine sehr lärmende Weise, während die Papageien schrill zu schwatzen begannen.

»Du wirst in kommenden Zeiten nicht gut fahren mit meinem Erben, diesem Höckerlein von Gottes Gnaden. Drum hab ich für alle Fälle gesorgt.« Der Herzog sprach immer rascher. »Ich habe dir das Donaumoos verliehen. Die Feste Hohenstein sollst du haben. Auch sind zwölftausend rheinische, sechstausend ungarische Gulden und dreitausend Dukaten bei der Stadt Regensburg hinterlegt für dich. Und zwanzigtausend Gulden liegen bei den Stadtvätern in Lauingen, leider in Landshuter Silber. Die kleine Burghausener Laus versteht sich darauf, mir Nissen in den Pelz zu legen. Aber noch besser versteht sie sich auf schlechtes Münzen. Um den Schaden für dich auszugleichen, hab ich dir zu Straßburg etliche Kostbarkeiten hinterlegt, die meine Schwester an mich verpfändete: die Krone vom Tag, der Königin Schapel mit sechzig Rubinen und zweihundert Perlen, der Königin Rosenkranz und Gürtel. Urkund über alles liegt zu Neuburg bei deinem Großvater Swelher. Nein – du sollst nicht danken! Ich gebe, weil ich liebe. Laß dich küssen! Und geh!«

Herr Ludwig faßte den schönen Jüngling mit beiden Händen am Blondhaar, zog ihn ungestüm zu sich her, küßte ihn auf beide Wangen, schob ihn heftig von sich fort, wandte sich ab und trat zum Fenster. Der junge Wieland ging mit glühender Stirn zur Türe. Als er die schweren Vorhänge beiseite schob, erschrak er, daß sein Gesicht sich entfärbte. Peter Nachtigall ließ crescendo die Laute schnurren. Und da wurde Herr Ludwig aufmerksam. Er wandte sich vom Fenster und sah, wie der junge Wieland sich gegen den Türbehang verneigte und mit jagendem Schritt davonging. Der Herzog warf einen fragenden Blick zu Peter Nachtigall hinüber, trat auf die Türe zu und guckte hinter den Vorhang. »Du! – – Was machst du da?«

Eine hohe, glatte Knabenstimme: »Ich habe der holden Musik deines Peter Nachtigall gelauscht. Freude an schönen Klängen – du weißt doch, das ist das einzige, worin ich dir gleiche.«

Dem Herzog stieg es heiß in die Stirne. »Stehst du schon lange da?«

»Schon ein hübsches Weilchen.«

Herr Ludwig, gegen das Fenster schreitend, sagte mit unverhehlter Verachtung: »Lungern und lauschen! Wer auf der faulen Haut liegt, kommt zu bösen Gedanken.« Er drehte das zornrote Gesicht über die Schulter. »In deinem Alter, mit achtzehn Jahren, hab ich meinen ruhmvollen Feldzug gegen Flandern ausgefochten.«

»Du hattest gerade Glieder.«

Aus den Vorhängen, die sich beiseite schoben, trat in reicher Kleidung ein junger mißgestalteter Mensch hervor, mit großem Kopf, der von dünnen, braunen Haarsträhnen umhangen war, mit kleinem, hinter den Schultern wunderlich gehörntem Rumpf und mit langen, mageren Beinen – ähnlich einem langfüßigen Käfer, der aufrecht schreitet. Aus dem breiten, blassen, immer lächelnden Gesichte sprach eine frühreife Klugheit. Und unheimliche Dinge blitzten in diesen dunklen, spähenden Augen.

Das war Prinz Ludwig, den sie den ›Buckligen‹ und ›Ludwig Höckerlein‹ nannten, des Herzogs Erbe, der eheliche Sohn seiner ersten Gemahlin Anna von Bourbon.

Das Volk erzählte: Als Herzog Ludwig um der Sünden seiner Schwester willen vor einer Meuterei des französischen Adels flüchten mußte, hätte man das Knäblein Ludwig in einem kleinen, engen Maultierkorbe von Paris bis Ingolstadt gesäumt; bei diesem wochenlangen, gekrümmten Liegen in dem drückenden ›Kretzen‹ hätte sich das Körperchen des Knaben so häßlich entstellt. Aber die Ärzte des Herzogs wußten es anders. Sie wußten auch, daß der schöne Sohn der Jungfrau Canetta zwei Jahre vor Ludwig Höckerleins Geburt zur Welt gekommen war, als Herzog Ludwig – damals noch Prinz – die heimatlichen Lande bereiste und an seinem Hals die häßliche französische Narbe noch nicht hatte.

Nach dem Wort des Buckligen – »Du hattest gerade Glieder!« – war langes Schweigen in der Stube. Ludwig Höckerlein blieb unbeweglich neben der Türe stehen, in den Augen die Pein seines entstellten Lebens, seinen funkelnden Haß und seine brennende Eifersucht. Der Herzog stand bei dem kleinen Fenster und sah in Mißmut zu, wie die goldschöne Abendsonne aus den verziehenden Wetterwolken blinzelte. In weiter Ferne – von Süden her, wo die Berge lagen – klang zuweilen noch ein Murren des Donners.

Herr Ludwig fragte heftig: »Was willst du jetzt? Bleiben? Oder gehen?«

Der Prinz lächelte steinern. »Bleiben. Meister Nachtigall hat wieder eine süße Weise gefunden – nach jenem lärmenden Zwischenspiel.« Er ging mit langen, langsamen Spinnenschritten auf den Tisch zu. »Es war nicht lärmend genug.« Sein Gesicht verzerrte sich, während seine Stimme glatt und freundlich blieb. »Ich konnte bemerken, daß heute bei dir ein Schenktag ist. Willst du deinen einzigen Sohn nicht auch bedenken?«

Herr Ludwig fuhr auf: »Deinen ewigen Geldhunger vergnüg ich mit keinem Pfennig.«

»Schade! Einer liebt zu sagen: Geld ist Macht.«

Jetzt brannte der Zorn im Herzog. »Mahne mich nicht an diesen Filz!«

»Die Leute sagen, er hätte viel Macht in seinem Schatzturm.«

»Meinst du?« Herr Ludwig wurde ruhig. »Aber frag nicht, wie er zu solcher Macht gekommen. Einer hat Gold aus einem Federbett gestohlen. Als er flüchten mußte, warf er den Raub ins Wasser. Die Goldstücke sanken unter, die Flaumen schwammen. So kommen die Wertlosen obenauf. Ein Witz des Lebens.«

»Ich danke dir.«

»Weshalb?«

»In deinem Gleichnis ist eine Hoffnung für die Stiefkinder des Glücks.« Der Bucklige fand ein spielendes Lächeln, das sein Gesicht beinahe männlich machte. »Du bist Gold. Ich bin ein Fläumchen. Wenn ein helfender Wind bläst, will ich fliegen.«

Der Herzog sah den Lächelnden forschend an. »Höckerlein! Du weißt, ich mag dich auch um deiner übelsten Bosheit willen nicht strafen. Ich spreche keinen Verbrecher zum Tode. Soll ich nicht geduldig sein gegen meinen Sohn? Aber eine Wespe, die stechen will, verscheucht man.«

»Oder man beschäftigt sie und legt ihr eine süße Birne hin – süß, auch wenn sie schon ein bißchen faul ist.« Mit einem wunderlichen Schupf des mißförmigen Körpers setzte sich Prinz Ludwig auf die Lehne eines Stuhles, der vor dem Tische stand. »Vater?«

»Was?«

»Gefällt dir die Wickerspacherin noch immer?«

»Welche meinst du?« Herr Ludwig lachte kurz. »Die Mutter oder die Tochter? Schön sind beide.«

»Welche du willst.« Die Stimme des Prinzen zitterte von einer dürstenden Gier seines Blutes. »Laß mir die andre!«

Der Herzog wurde heiter. »Höckerlein, du redest Unsinn. Such dir was Eignes!«

»Ich finde nichts. Die Häßlichen mag ich nicht. Die Schönen nimmst du!« Der Blick des Prinzen glänzte von Bosheit. »Nun bist du schon bald ein Greis. Dich sollte der Liebe genügen. Leidenschaft in deinen Jahren ist noch drolliger als mein Höcker. Laß die Jungen werben!«

Da stieg dem Herzog der Ärger in die Kehle. »Wirb! Ich selber möchte das erleben, daß dich eine nimmt. Dann wollte ich versuchen, dich mit ihren Augen zu sehen, damit du mir besser gefällst. Du bist mein Sohn. Gott und mein Herz sagen: Ich muß dich lieben. Aber du hinderst mich.«

Von diesen heftigen Worten des Vaters schien Prinz Ludwig nur das erste gehört zu haben. »Werben? Ich bin ungeschickt. Es wäre deine Pflicht, mich in die Schule zu nehmen. Du bist sehr erfahren in diesen Dingen.« Der Bucklige drehte das entstellte Gesicht zur Türe hin, durch die der junge Wieland verschwunden war. Dann lächelte er wieder, mit einem Lauern in den Augen. »Ist das wahr, Vater, was die Mägde von dir erzählen?«

»Was erzählen sie?«

»Daß du das Unmögliche wahr machen kannst. Unter den zahllosen Mädchen, die du verführtest, soll auch eine Cisterciensernonne gewesen sein?« Im Blick des Buckligen war Freude, als er sah, wie tief er den Vater verwundet hatte.

Herr Ludwig hob die Faust, als möchte er sie niederschmettern auf die Stirn seines Sohnes.

Der Bucklige saß unbeweglich und sah den Vater neugierig an.

Mühsam sagte der Herzog: »Ich glaube stark zu sein wider eine Welt. Gegen deine kindische Schamlosigkeit bin ich machtlos.« Er tat einen Gang durch die Stube und blieb beim Erker stehen. »Nachtigall? Hast du das gehört? Was der Junge in seiner bösen Knabentorheit schwatzt, ist eine Komödie, daß meine Pariser Fratzenschneider mir keine lustigere vorspielen könnten.«

Langsam streckte sich der Bucklige. Seine Zunge, wie die Zunge eines Dürstenden, leckte über die bläulichen Lippen. Und seine Augen brannten. »Ich wüßte dir eine, die noch lustiger wäre.«

»Spiele sie!« schrie Herr Ludwig.

In die Wangen des Prinzen stieg eine krankhafte Röte. »Um diese Komödie für deine heiteren Nächte schreiben zu können, müßt' ich erst wissen, wie es der Oheim Galeaz Visconti machte, als er zu Mailand deinen Großvater Barnabas von der Herrschaft wegschob. Hat er ihn nicht auch im Kerker erwürgen lassen?«

Herr Ludwig stand eine Weile regungslos, in Entsetzen den Sohn betrachtend. Dann drehte er das Gesicht zum Erker. »Schweig, Nachtigall!« Die Laute verstummte. »Und verhänge die Käfige! Meine Vögel sollen nimmer singen. Aber bleibe bei mir! Ich mag nicht allein sein – mit diesem Kind!«

Während Peter Nachtigall mit dunkelroten Tüchern die Käfige verhängte, ging Herzog Ludwig rasch auf den Prinzen zu und schrie: »O du Laus du!« Er wurde ruhig. Die Kraft seines Lieblingswortes schien den wühlenden Zorn in ihm beschwichtigt zu haben. Ernst, beinahe traurig, sagte er: »Höckerlein! Laß dich warnen! Die Geschichte ist ein Schulmeister. Ermuntern soll das Vorbild der Guten. Das Schicksal der Bösen soll abschrecken.«

Der Bucklige lächelte fein. »Das ist eine bequeme Lehre für solche, die bös gewesen. Wenn die Maus satt ist, erzählt sie, das Mehl wäre bitter.«

Die Augen des Herzogs erweiterten sich. »Was soll das heißen?«

»Ich habe heut in alten Pergamenten gekramt. Da fand ich eine Urkund, in der sich dein Vater eidlich von dir versprechen ließ, daß du ihn zeitlebens ungekränkt bei Gewalt und Fürstentum lassen solltest.«

Dem Herzog fuhr eine heiße Blutwelle ins Gesicht.

Und freundlich fragte Prinz Ludwig: »Ist diese Urkund eine Fälschung?«

Ein wühlender Kampf im Herzog. »Nein.«

»Also hatte dein Vater Ursache, sich das von dir versprechen zu lassen? Wenn es dich beruhigt, Vater, unterschreib ich dir das gleiche Pergament.«

In der Stube war dumpfe Stille. Verschwommen klang aus den Höfen das Geläut der Jagdhunde und die lärmende Heiterkeit eines großen Menschenschwarmes. Sich nach vorne beugend, sagte Herr Ludwig mit zerdrückter Stimme: »Kind! Sieh meine Augen an! Sind sie naß?«

Heiter lächelte der Bucklige. »Ich weiß ein Sprichwort: Besser, es weint der Vater als das Kind. Oder heißt es anders?«

Lange schwieg der Herzog. Dann sagte er, äußerlich ruhig, doch mit einem Beben in der Stimme: »Höckerlein! Mir graut vor deiner Seele. In dir verbindet sich mein Mutwille und meine Gewalttätigkeit mit Vetter Heinrichs Niedertracht und Schläue. In jeder List und Verschlagenheit bist du so wohl unterrichtet wie deine Tante in Frankreich. Du kannst ein Fürst werden, von dem die nachkommenden Geschlechter viel erzählen.«

»Meinst du, viel Gutes?«

»Nein! Empörung und Meineid stehen auf deiner Stirne. In seltener Mischung! Die solltest du fortpflanzen. Um der Rarität willen! Wirb! Wirb! Wirb! Es wäre möglich, daß eine dich nimmt. Dir fehlen Herz und Bauch, du hast nur Hirn und Geschlecht. Für gesunde Weiber ist das zu wenig. Aber ich habe Weiber kennen gelernt, die am kranken Grauen und am körperlichen Widersinn eine Freude hatten. Ein Weib wirst du also finden. Aber keine wird dich mit einem Sohn beschenken. Das Weib, das du zur Mutter machst, wird Katzen gebären. Oder sie müßte dich mit ihrem Koch betrügen. Da gibt es Beispiele.« Herr Ludwig atmete tief. »Böse? Ja, mein zärtliches Kind! Man darf böse sein. Wenn das Notwendige nicht im Guten vorwärts will. Aber können muß man's. Nicht schwach darf man sein. Wie die kleine Laus von Burghausen. Fäuste muß man haben und Herz und Blut und Knochen! Und ein Lachen muß man besitzen, das die guten, dummen Menschen versöhnt. Du bist ein armseliger Tropf im schwächlichen Hunger deiner kranken Knabensinne, die faul geworden, ehe sie noch reif wurden. Geh aus meiner Stube! Flink! Und greif dir eine von meinen Badmägden, die mir nur die Waden kneten dürfen und die Sohlen schaben. Geh! Ich mag dich heut nimmer sehen.«

Mit aschfarbenem Gesicht, doch immer lächelnd, machte Prinz Ludwig seinen langsamen, wippenden Käferschritt und verließ die Stube.

»Nachtigall, spiele mir was, und laß die Vögel wieder singen!« Herr Ludwig ging erregt in der Stube auf und nieder. »Drei Kinder wurden mir in Paris geboren und starben jung. Ihre zwei Mütter hatten zu wenig Sonne im Leib, um meine Kinder für das Leben reif zu machen. Nur diesen einzigen, der noch lebt –« Der Herzog sprach den Satz nicht zu Ende. Seine Schritte wurden schneller, und in Zorn murrte er vor sich hin: »Allerlei Kostbarkeiten hab ich aus Paris davongetragen.« Er sah zur Türe hinüber. »Um eine zu viel!« Ein schwerer Atemzug hob seine breite Brust. »Wahr ist's, Nachtigall! Ich hab viel gesündigt an meinem Haus.« Er deutete nach der Türe. »Der da sieht aus, als sollte er's vergelten an mir.«

Die Vögel zwitscherten wieder, und Nachtigall spielte die zärtlichste seiner Weisen. Herr Ludwig schüttelte den Kopf: »Laß gut sein! Mein Gehör ist verdorben, alles klingt mir falsch.«

Der Kämmerer Wolfl brachte eine Meldung. Und dann trat ein kleiner, hochbejahrter Mann mit weißem Faltengesicht in die Stube, dunkel gekleidet, mit einer seidenen Schaube: Herzog Ludwigs Geheimschreiber, der Stadtpfarrer Gabriel Gleslin. Ihm folgte ein Laienpriester, vierzigjährig, in langem Schwarzkleid; eine gesunde, derbe Gestalt war's, mit sonnverbranntem Gesicht und groben Fäusten; doch unter der braunen Haut an Stirn und Wangen war dem Manne das Blut entronnen, eine wehe Angst bettelte in seinen Augen, und seine Fäuste zitterten. Er neigte sich tief.

»Wer ist das?« fragte der Herzog.

Gleslin erwiderte: »Einer, der den gnädigsten Herrn um Gnade bitten möchte.«

Herr Ludwig betrachtete den Mann, schickte den Meister Nachtigall mit einem stummen Wink aus der Stube und fragte wieder: »Wer ist das?«

»Der Pfarrer von Kösching.«

»Sooo?« Der Herzog nickte heiter. »Von Kösching? Der, als der Papst den Bann über mich verhängte, so flink seine Kirche schloß, die Lichter ausblies und das Sakrament versperrte?«

»Ich mußte, Herr!« Der Pfarrer kämpfte um jedes Wort. »Als Priester! Nach meinem Eid!«

»Sooo? Und wie hältst du denn sonst deinen priesterlichen Eid? Du bist doch wohl der Pfarrer von Kösching, der eine Kebsin mit drei Kindern in seinem Widum hält? Hat deine sakramentlose Gemeinde dich verklagt?«

Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Bloß mein Kaplan. Meine Pfarrkinder mögen mich leiden. Mich und – ach, gnädigster Herr, mein Trinle ist so ein gutes, barmherziges Weibl!«

»Gut oder boshaft, das macht für die Weiber keinen Unterschied. Ein Weib zieht immer den kürzeren. Ist sie boshaft, so hilft es ihr nichts. Ist sie barmherzig und geduldig, so geschieht ihr unrecht.« Herr Ludwig wandte sich an Gleslin. »Wie denkst denn du über dieses verbotene Zuckerbrot in den Pfarrhöfen?«

Der Greis schmunzelte. »Da hab ich kein zutreffendes Urteil mehr. In drei Jahren bin ich achtzig.«

»Ja, Gleslin, alte Bäcker verstehen sich nimmer auf neues Brot.« Herr Ludwig betrachtete den Inkulpaten. »Jetzt bist du verklagt. Du mußt das Weib mit den Kindern fortschicken aus deinem Widum. Oder ich muß dich strafen. Gesetz ist Gesetz.«

In den Augen des Dorfpfarrers irrte eine hilflose Verzweiflung. Er preßte vor der Brust die Fäuste aneinander, daß er weiße Knöchel bekam, und stieß die Worte rauh heraus: »Ich möcht dem Gesetz gehorchen, Herr, und bring's nit fertig. In meinem Innern ist beständiger Krieg. Oft lauf ich in meiner Gewissenspein hinaus in den Wald und tu einen Eid um den andern, daß ich umkehren will auf dem Weg meiner Sünden. Und komm ich wieder heim, und treten mir Weib und Kinder entgegen, dann regt sich in mir die Lieb zu ihnen mächtiger als die Lieb zum Guten. Und da muß ich wieder ein Meineidiger sein und bring's nit fertig, daß ich mich selber überwind.« Er konnte nimmer weiterreden. Seine Zähne knirschten.

Da sagte Herr Ludwig rasch: »Du bist ein Mensch. Sei im übrigen, was du magst! Ich bin kein Heiliger, der zu richten kam. Drum sag ich dir: Geh hin und sündige!«

Der Mann von Kösching riß die Augen auf und konnte dieses Wort der Gnade nicht gleich begreifen. Als er es verstand, wollte er sich aufs Knie werfen. Doch Herr Ludwig, mit seiner starken Faust, hielt ihn aufrecht und sagte ruhig: »Ein Pfarrer, der seinen Eid hält, darf nicht knien vor einem, den der Papst in den Bann getan. – Gleslin! Führ diesen Menschen hinaus! Das Ding ist erledigt.«

Als der Greis wieder in die Stube kam, sagte er: »Der Himmel segne Eure Barmherzigkeit!«

Herr Ludwig schüttelte den Kopf. »Barmherzigkeit ist keine Eigenschaft der Menschen. Die kommt zuweilen, ich weiß nicht, von wo. Vielleicht von dort her, wo der Ewige wohnt, von dem wir alle wissen und den noch keiner gesehen. – Gleslin!«

»Was, gnädigster Herr?«

»Ich glaube: Er lebt! Und gut ist er. Zu ihm kehrt, wenn ein Körper verdirbt, der menschliche Geist zurück, sei er von Sünden befleckt oder nicht, seien die Werke des Menschen gut oder bös gewesen.«

Wieder schmunzelte Gleslin. »Sagt solche Dinge nur zu mir, gnädigster Herr! Sonst verbrennt man Euch wie den Hus.«

Der Herzog lachte: »Das Feuer ist für die Kleinen. Wenn ein Ketzer den Purpur zur Entschuldigung hat, dann ist er sicher.« Verstummend hob er den Kopf und betrachtete den Greis, der aus seiner Schaube ein Pergament herausholte. »Gleslin? Du machst dein Rätselgesicht? Bringst du was Dummes?«

»Das hat mir vor einer Viertelstunde ein Freund geschickt.«

Herr Ludwig las. Dunkel fuhr ihm der Zorn ins Gesicht. »Ach, guck doch! Die schöne Else rührt ihre weißen Muhmenhände! Die will wohl meinen Mist auf ihres Bruders Acker fahren?« Er warf das Pergament auf den Tisch und ging mit jagendem Schritt durch die Stube. »Da muß man zuvorkommen.«

»Seid bedächtig, Herr! Was der Brief da meldet, muß uns wachsam machen. Das geb ich zu. Aber schwören möcht ich, daß der Zollern von diesem Kunkelspiel in seiner Frauenstube keine Kenntnis hat. Seit dem Herbste ist er in seiner Brandenburger Mark –«

»Die er von unserm Haus gerissen!«

»Nein, Herr! Die der König ihm verliehen hat für treue Dienste. Der Zollern hat immer zum König gehalten und ans Reich gedacht –«

»Reich! Reich! Was Reich! Mir liegen Paris und Mailand näher als Prag und Wien. Ich bin Fürst auf meinem Boden, will's bleiben und wehre mich meiner Haut.« Weil Herr Ludwig die Stimme so zornig schraubte, fingen die kleinen grünen Papageien schrill zu kreischen an.

Gleslin ging zum Erker und deckte die dunkelroten Tücher über die Käfige. Die starke Abendsonne, die durch das Fenster hereinfiel, umglänzte den blassen Greis.

Immer heißer erregte sich der Herzog. »Meine Haut kann erzählen! Sieh meinen Kopf an, meine Hände! Ich will Sühne haben. Und Fritz von Zollern hindert sie mir. Hat er nicht das Gericht wider diesen fahrigen Mörder verzögert, der sich von Bayern nennt? Hat er ihm nicht die Verzeihung des geldnotigen Königs erwirkt?«

»Solchen Vorschub um der Verschwägerung willen hab ich nie gebilligt. Aber zieht auch in Rechnung, gnädigster Herr, was Ihr ihm getan habt.«

»Ich zähle, was mir in die Rechnung paßt.«

»Ihr habt ihm vergangenes Jahr seine fränkischen Lande verwüstet, habt ihm die Stammburg seines Geschlechtes niedergeworfen. Und immer zögert Herr Friedrich noch, wider Euch in den Kampf zu treten.«

»Weil er mich fürchtet.«

»Nein, Herr! Weil er im Reich der einzige ist, der auf die Friedensmahnung des deutschen Königs hört. Und sollte Frau Else, verhetzt von ihrem Bruder, Landshut wider Ingolstadt rüsten, so dürft Ihr dessen versichert sein, daß ihr Gemahl solchen Anschlag vereiteln wird.«

Nichts an diesen ruhigen Worten des Greises rechtfertigte den maßlosen Jähzorn, in dem Herr Ludwig aufbrauste: »Gleslin! Bist du mein Rat? Oder bist du bezahlt vom Fritz von Zollern?«

Dem alten Mann stieg eine dünne Röte ins Gesicht. »Wer und was ich bin, gnädigster Herr, das wißt Ihr so gut wie ich. Aber ich sehe wieder: Es ist ein fahrvolles Geschäft, einem Fürsten die Wahrheit zu sagen.«

Rasch faßte Herr Ludwig den Greis an den Schultern und sagte herzlich: »Nimm's nicht übel! Ich hab's nicht bös gemeint. Aber vieles brennt und wühlt in mir –« Der Herzog ging zum Erker und blieb in der schönen Sonne stehen.

»Herr! Nun dien ich Euch dreißig Jahre. Viel habt Ihr getan, wozu ich den Kopf habe schütteln müssen, Doch verstanden hab ich Euch stets. Ihr seid mir als Mensch und Fürst noch immer ein helles Gefäß gewesen. Aber so oft Ihr vom Zollern redet, seh ich etwas Dunkles in Euch, das ich nicht begreife.«

»Dann schweig davon! Es könnte auch sein, daß ich heut ein andrer bin als sonst.« Herr Ludwig sah über die Schulter zur Tür hinüber. »Heut ist mir eine Niedertracht des Lebens über das Herz getrampelt.« Er lachte hart. »Vielleicht war's auch eine Gerechtigkeit. Man sät, man erntet!« Jetzt ein Lachen in Heiterkeit. »Guck nur, Gleslin, ich werde noch abergläubisch auf meine alten Tage!«

Nach kurzem Schweigen sagte Gleslin ernst: »Herr! Soll ich Euch nützlich raten, so laßt mich die Wahrheit sehen! Warum hasset Ihr diesen festen Mann, den Ihr klugerweise zu Eurem Freunde machen solltet?«

Mit jähem Schritt ging Herr Ludwig auf den Alten zu. »Jetzt bist du beim rechten Wort. Ja, Gleslin! Diese Landshuter Laus will ich nur zertreten, weil sie für mich ein lästiges Ungeziefer ist. Aber den andern hasse ich.«

»Warum?«

Die Stimme des Herzogs wurde rauh. »Ich kann es dir sagen. Aber du wirst es nicht begreifen.«

»Warum hasset Ihr ihn?«

»Weil ich nur das Leben habe, in dem ich stehe – solang ich es vor meinen fernen und nahen Feinden zu wahren vermag. Der andre – den du einen festen Mann nennst – nicht mit Unrecht – dieser andre hat gesunde Söhne und hat die Zukunft. Darum hasse ich ihn. Fortleben! Warum er? Warum ich nicht?«

»Herr!« Bekümmert sah der kleine, greise Mann zu seinem stattlichen Fürsten auf. »Solche Gedanken solltet Ihr dem Neid Eures Vetters Heinrich überlassen. Eurer Hoheit sind sie nicht würdig.«

Der Herzog ging eine Weile stumm in der Stube auf und nieder. Dann sagte er mürrisch: »Lassen wir's gut sein! Bäslein Else soll spinnen, was sie mag. Ich will's überschlafen. Heut hab ich Gift im Ohr und Essig im Herzen. Da ist man kluger Dinge nicht fähig.«

Gleslin atmete auf.

Und der Herzog rief mit lauter Stimme: »Nachtigall!« Der Lautner huschte durch ein niederes Türchen herein. »Ich reite zum Tiergarten und will zusehen, wie man die ungarischen Hirsche aus dem Käfig läßt. Freiheit ist erquicklich in jeder Form. Um zehn bestelle mir das Mahl bei den zwei schönen Wickerspacherinnen –« Da ging's wie Widerwille über das Gesicht des Herzogs. »Nein! Zu diesen beiden mag ich nimmer hin. Man soll sie beschenken. Reich! Ich speise bei der roten Bärbel. Geh!«

Noch ehe Peter Nachtigall verschwunden war, kam der Kämmerer Wolfl mit einem der Söldner, die beim Donautor die Wache hatten. Der Söldner meldete, man hätte den Knecht des Berchtesgadnischen Herrn bei der Straubinger Straße im Wald gefunden, ohne Roß und ohne Kleider; und der Knecht schwöre, die sechs Gewaffneten, die seinem Herrn seit dem Morgen hinter den Fersen jagten, wären Landshutsche Harnischreiter gewesen; die hätten ihm Sattel und Hemd genommen und wären in argen Zorn geraten, weil sie bei ihm den Brief nicht gefunden, den sie hätten fangen sollen.

»Fangen? Einen Brief? Warum?« Herr Ludwig streckte sich. »Was für eine Botschaft mag es sein, die der zärtliche Vetter Landshut meinem Herzen ersparen wollte?« Mit einem Handwink schickte er den Söldner fort. Dann klammerte er die Faust um den Arm des Kämmerers. »Hol mir diesen Berchtesgadner! Und sitzt er noch im heißen Wasser, so lupf ihn nackicht heraus und bring ihn im Badmantel her zu mir!«

Wolfl Graumann sprang zur Türe.

»Gleslin, paß auf!« Herr Ludwig lachte. »Wir werden Großes von kleinen Läusen hören. Es juckt mich schon in allen Haaren.«

Zwischen den Vorhängen der Türe erschien das Gesicht des Kämmerers. »Gnädigster Fürst, da kommt der Jungherr –«

In einem kostbaren, weinrotfarbenen Hofkleide, das Gesicht noch glühend von der Dampfhitze des Bades, trat Lampert Someiner in die Stube und neigte sich vor dem Herzog.

Herr Ludwig begrüßte den jungen Mann mit gewinnender Höflichkeit und schien dabei so guter Laune zu sein, als hätte ihm dieser Tag nur lachende Sonne gebracht.

»Berchtesgaden? Solcher Heimat darfst du dich rühmen, Jungherr! Ist Rom das Herz der Welt und Paris ihr küssender Mund, so ist Berchtesgaden eines von ihren schönen Augen. Ein Name, der Sehnsucht in mir weckt. Ich sehe friedliche Menschen –« Dem Herzog entging der wehe Zug nicht, der sich um Lamperts Lippen schnitt. »Sehe stille Berge, sehe Gemsen springen und muß an röhrende Hirsche denken. Und Freund Pienzenauer? Wie geht es ihm?«

Lampert wollte antworten. Seine Stimme erstickte in einem heiseren Laut.

»Jungherr! Bei diesem nassen Ritt scheint deine Stimme gelitten zu haben?«

»Schon früher, Herr!«

»So? – Nun? Was macht Herr Pienzenauer?«

»Mein Fürst hat schwere Sorgen.«

»Die haben wir alle. Ein bißchen mehr, ein bißchen weniger, das macht bei Menschen keinen Unterschied. Sorge hin oder her, wir Menschen haben es immer noch am besten auf Erden. Stirbt der Mensch, so begräbt man ihn zuweilen ohne Kopf, doch immer mit der Haut. Das tut man bei Ochs und Esel nicht. Die müssen vor der letzten Ruhe das Leder lassen. Ich preise mich glücklich, ein Mensch zu sein. Und hoffe bei dir, mein lieber Jungherr, die gleiche Wertschätzung des Lebens zu finden.«

Das tändelnde Geplauder schien auf Lampert wie eine Marter zu wirken.

Herr Ludwig betrachtete ihn mit Wohlgefallen. »Ich sehe, Freund Pienzenauer wollte mich ehren, als er für mich zum Botschaftsträger den Schmucksten aus seiner adeligen Jugend wählte.«

»Herr, dieses Lob gebührt Eurer Hofkammer, aus der ich gekleidet wurde.«

»Fein gesagt! Bescheidenheit ist ein köstlich Ding. Manchmal überflüssig. Und? Wie sagtest du, lieber Jungherr? Freund Pienzenauer hätte Sorgen? Drückt ihn die Last des Alters?«

»Nein, Herr! Ein schweres Elend seines Landes.« Lampert wühlte aus dem reichen Kleide, das er trug, den Brief heraus, der in dünnes, verlötetes Silberblech eingeschlossen war.

Der Herzog gab den Brief an Gleslin, der mit einer Schere die verlötete Kante abzuzwicken begann. Herr Ludwig plauderte freundlich weiter, obwohl seine Züge sich seltsam spannten.

»Fürst Pienzenauer hat feste Schultern. Aber völlig spurlos werden auch an ihm die achtzehn Jahre nicht vorübergegangen sein, seit wir selbander nach Rom geritten, um Berchtesgaden durch des Heiligen Vaters Hilfe aus der Salzburger Pfandschaft herauszuschälen. Das waren schöne Tage! Hinter den Bergen im Blau! Er ein guter Priester, ich ein mißratener Prinz! Er mußte meinetwegen sehr oft zur Beichte gehen.« Herr Ludwig lachte, während seine heiß funkelnden Augen an Gleslin hingen, der den Brief des heiligen Peter las. »Wir beide, dein prächtiger Fürst und ich, wir haben im ewigen Rom viel sterbliche Torheit getrieben.« Das frohe Lachen des Herzogs verstummte. »Gleslin?« Er bohrte den Blick in das ernste Gesicht des Greises und riß ihm das Blatt aus den Händen. »Gib her!« In Hast begann er zu lesen.

Lampert wurde in diesem Schweigen von einer Erregung befallen, daß man an seinem Hals die Pulse pochen sah. Auch Gleslin, der keinen Blick vom Herzog wandte, schien von einer schweren Sorge bedrückt.

Da legte Herr Ludwig enttäuscht das Blatt aus der Hand. »Was soll mir das? Der heilige Zeno scheint dem heiligen Peter eine mißvergnügte Woche zu bereiten. Aber wenn zwei Heilige sich an den Haaren ziehen, soll sich ein irdischer Sünder nicht einmischen. Der Himmel ist allein verantwortlich für die Konduite seiner Benedeiten. Ja, ja, ja – daß der Reichenhaller den vorsichtigen Schläfer von Burghausen aufstöbern möchte, ist möglich. Aber was helfen mir Möglichkeiten? Ich brauche, was sich mit Fäusten greifen läßt.« Der Herzog sah den Brief wieder an. Dann wandte er sich rasch an Lampert. »Wie war das heute? Mit diesen Harnischreitern? Die deinen Knecht aus dem Sattel rissen? – Beruhige dein gutes Herz! Dein Knecht ist schon gefunden. Ein bißchen Adam, aber sonst gesund! – Sag mir! Wie war das?«

Lampert erzählte mit jagenden Worten und führte an, was ihn am Ernst dieser Hetze hatte zweifeln lassen.

»Strauchdiebe?« Herr Ludwig schüttelte den Kopf. »Nein! – Gleslin? Was meinst du?«

Der Greis wollte antworten. Da erhoben die zwei Bärenrinder im Prunksaal, draußen ein wütendes Gekläff.

Der Herzog sagte lachend: »Die wittern, was für ihre Nase nicht lieblich ist. Was mag da kommen?« Er ging zur Türe.

Wolfl trat in die Stube, auf silbernem Teller ein gerolltes Blatt, das grau und zerknittert war. Flüsternd sprach er unter dem Lärm der Hunde zu seinem Herrn, der diese leise Meldung mit halblauten, abgerissenen Worten unterbrach: »Ein Bettelmönch? – Staatsgeschäfte? Mit mir? – Was sagst du? Verfolgt? Der auch?« Er warf einen schnellen Blick auf Gleslin und fragte den Kämmerer laut: »Warum hast du ihn nicht hereingeführt?« Eine leise Antwort. Und Herr Ludwig sagte lachend: »Wahrhaftig? So schrecklich ist das? Dann begreif ich die Hunde. Die lärmen ja wie toll. Geh, Wolfl, entführe den Schmutzfink ihrem Witterungsvermögen! Meine Badstube bewahre vor ihm! Schick ihn zu den Grobmägden in die Waschküche! Da findet er Schmierseife, Bimsstein und etwas Humor dazu.« Als der Kämmerer die Stube verlassen hatte, beugte der Herzog seine Nase mit Vorsicht über das zerknüllte Röllchen. »Ja! Das riecht sehr schlecht! Aus dieser Botschaft quillt mir alle dunstende Schwäche der Menschheit entgegen. Wenn die Seele, die in diesem üblen Körper steckt, nicht besser riecht –« Mit achtsam zugreifenden Fingerspitzen entrollte er das graue Blatt.

Draußen wurden die Hunde still.

Dem Herzog, kaum er zu lesen begonnen hatte, fuhr das Blut in die Stirne. Seine Augen blitzten. Und mit einer Stimme, in der sich Zorn und Jubel mischten, schrie er ins Leere: »O du Laus du!«

Erschrocken trat Gleslin auf Lampert zu und flüsterte: »Ich bitt Euch, Jungherr, verlasset die Stube!« Er legte den Arm um Lampert, ging mit ihm bis zur Türe, wandte sich und tat einen mühsamen Atemzug.

»Gleslin!« schrie der Herzog. »Lies das! Lies, lies, lies! Dieses stinkende Blatt ist drei von meinen Burgen wert! Lies das! Ich hab ihn! Schlecht ist er immer gewesen. Jetzt ist er dumm. Das soll ihm den Hals brechen.«

Der Greis hatte die lateinischen Zeilen des Franzikopus Weiß mit raschem Blick überflogen und stammelte: »Herr, laßt Euch warnen! Das sieht der Schlauesten von seinen Listen ähnlicher als einer Dummheit.«

»Nein! Was er da beginnt, liegt außerhalb seiner Schläue. Das kommt aus seiner Habgier. Die macht ihn blind. In Blindheit schwächt er sich. Ein großer Heerhauf unter seinem besten Hauptmann, Kammerbüchsen und Antwerke unter seinem besten Schießmeister – und das alles festgelegt auf Wochen hinaus! Jetzt hab ich ihn. Jetzt schlag ich los. Trommle die Schreiber zusammen! Die Briefe an die Meinen müssen fort, noch heut in der Nacht!«

»Herr, gnädigster Herr«, der Greis zitterte und hob die Hände, »ich beschwör Euch, Herr, geduldet Euren Zorn! Mißtraut dieser Sache! Er will Euch reizen, Euch überrumpeln. Ihr seid nur halb gerüstet. Das weiß er. Drum lockt er Euch. Kommt zur Besinnung, Herr! Eure Macht ist ungenügend –«

Heftig unterbrach der Herzog die stammelnden Worte des Greises: »Wahr! Ich bin an Land der schwächste unter Bayerns Fürsten. Man hat meinen Vater und mich bei der Teilung brüderlich bestohlen um Städte und Burgen. Was verschlägt's! An Gehirn bin ich der Reiche. Mein Witz wird ausreichen, um die Vettern nach meinem Willen zu meistern. Die zu München sind deutsche, redliche Biederleut. Also ungefährlich. Und den Landshuter Maulwurf, der mir den Boden untergraben will, zerstampf ich.«

»Herr, Herr, wie dürfet Ihr vergessen, daß Ihr dem König geschworen habt, den Frieden zu wahren? Soll Herr Sigismund Euch wieder den Vorwurf machen, daß Ihr vor bayrischen Stauden den deutschen Wald nicht seht?«

Dieses mahnende Wort hatte eine Wirkung, daß Gleslin erschrak und stumm wurde.

»Wer? Wer bricht den Frieden?« schrie Herr Ludwig in einem Zorn, der sein Gesicht verzerrte. »Soll ich von meinem eignen Diener hören müssen, daß ich mein Wort nicht halte? Und wenn es so wäre? Mein Wort ist mein Wort. Ich richt es auf und brech es entzwei. Wie's mir beliebt. Aber so ist das nicht. Jetzt nicht. Er ist der Meineidige.«

Der Herzog ging zum Erker und stand umgossen von der rotgewordenen Sonne, die schon sinken wollte. Unter den dunklen Tüchern zwitscherte ein Vogel, in dessen verhangenen Käfig ein Strahlensplitter dieses glühenden Lichtes fiel.

Höhnend schrie Herr Ludwig über die Schulter: »Guck nur, guck! Will den heiligen Peter in seinen gierigen Sack stecken und Salzburg in den Hintern zwicken. Ist das nicht Friedensbruch? Kommt er da nicht in mein Gehege? Bin ich nicht Patron und Stifter von Berchtesgaden? Bin ich nicht verpflichtet, dem heiligen Peter nach Kräften beizuspringen? Und Salzburg? Mit dem ich verbündet bin? Nun, Gleslin? Warum redest du jetzt nicht von deiner berühmten deutschen Treue? Jetzt will ich einmal ein Deutscher sein. Ich will. Und da sollst mich du nicht hindern. Und keiner!«

»Ach, Herr«, klagte der Greis, »wie soll man aufkommen wider Euch? Ihr schreiet. Und da muß man schweigen, weil man den Kräften Eurer Lunge nicht gewachsen ist.«

»Gut! Schweige! Das Ding bedarf keines Rates mehr. Gestern hat der Landshuter mit diesem Zug wider Berchtesgaden das Wort gebrochen, das er dem König gab. Wer gegen den heiligen Peter schlägt, trifft mich. Da wehr ich mich meiner Haut. Das ist mein Recht. Und für die Spitzfindigen wahre ich auch den Schein. Zu deiner Beruhigung. Den Esel von Burghausen mein' ich. Drum mache ich den Anfang mit seinem Helfer Zollern und schlage morgen los auf den Brandenburger Sack.« Herr Ludwig schritt vom Erker hinüber zum Tisch.

Gleslin ging hinter ihm her und sagte: »Herr! Wollt Ihr schon nicht Besinnung zeigen, so seid in dieser mörderischen Stunde doch wenigstens bis zu nützlichem Maße abergläubisch! Laßt den Zollern in Ruhe! Den allgewaltigen Günstling des Königs und solch ein Kind des Glückes greift man nicht an.«

Dieses ruhige Wort schien den Herzog stutzen zu machen. Aber da kam sein Lachen, jenes starke und frohe Lachen, mit dem er auf der Stechbahn loszurennen pflegte, um dem Gegner wie in heiterem Spiel auf den Sand zu werfen.

»Günstling? Das mag stimmen, Gleslin! Ein Kurfürst von Königs Gnaden. Aber ein Glückskind? Mit leeren Taschen? Im Purpur, dem die Knöpfe fehlen? Nein, Gleslin! Das geliebteste Kind des Glückes ist der Starke. Nun soll es sich weisen, bei wem die Kraft ist. Schweige! Kein Wort mehr! Bei meiner Ungnad! Ich will's. Und was ich will, das tu ich.« Lachend legte Herr Ludwig seine zerschnittene Hand auf die Schulter des alten Mannes. »Sorge dich nicht! Ich spüre in mir das Glück und die Gunst der Stunde. Den Vorteil und die Gelegenheit wittern, das ist die Eigenschaft aller wahren Kinder des Glücks. Es wäre möglich, Gleslin, daß in dieser Stunde, die du mörderisch nanntest, eine neue Kaiserkrone geschmiedet wird.« Der Herzog guckte lachend in der Stube herum. »Wo ist der Gadnische Jungherr?« Er ging zur Türe.

Gleslin nahm den weißen Kopf zwischen die zitternden Hände. »Weh uns! Weh über unser schönes Land! Ihr Herren, ach, ihr Herren, ihr traget einen Kretzen voll Elend um! Über wen wird man ihn ausschütten?«

»Über den Schwächeren.« Herr Ludwig rief in den Prunksaal hinaus: »Jungherr Someiner?«

Lampert kam.

»Es tut mir leid, mein lieber Jungherr, aber ich kann deiner beschädigten Kehle keine ausreichende Erholung vergönnen. Vor dem Morgen wirst du reiten müssen. Dein müder Gaul kann leer laufen. Ich gebe dir ein gutes Roß, Geld, Kleider, Waffen, was du brauchst. Der Wunsch deines Fürsten, der mich um Beistand bittet, ist erfüllt.«

Eine heiße Blutwelle schoß in Lamperts Gesicht. Doch gleich erblaßte er wieder, als hätte ihm eine Sekunde des Denkens die jähe Freude in Sorge verwandelt.

»Ich gebe dir dreißig von meinen Besten mit«, sagte der Herzog, »da kannst du schnurgerade auf guter Straße reiten, gleichviel durch wessen Land. Zehn sollst du zum Bischof von Chiemsee schicken, zehn zu meinem treuen Kaspar Törring. Die beiden sollen ausrücken und die Laus, die dem heiligen Peter auf den Pelz gekrochen, von hinten fassen. Und du –«

Der Herzog setzte sich an den Tisch, warf in Hast einige Zeilen auf ein Blatt, unterschrieb mit großen Zügen: »Loys« – und machte jenen wunderlichen französischen Schnörkel drunter, der das Gespött seiner deutschen Vettern war.

»Du reite mit dem Geleit, das dir bleibt, nach Salzburg! Hier ist mein Auftrag. Salzburg wird deinem Fürsten Beistand leisten.«

Lampert neigte sich. Als er wieder aufrecht stand, haftete sein ernster Blick an den Augen des Herzogs. »Eure Hoheit erfüllen die Bitte meiner Heimat«, sagte er mit entfärbten Lippen, »und ich muß Euch danken. Das muß ich, Herr! Ich danke. Aber –«

»Was aber?« fragte der Herzog verblüfft. Er machte ein paar Schritte, und die rotvioletten Lichtstreifen, die durch den Erker hereinfielen, lagen wie lange, gerade Blutbäche um ihn her, durchschnitten von seinem großen Schatten.

»Herr –« Lampert kämpfte. »Eine schmerzende Sorge bedrückt mich –«

»Oh? – Nun! Rede! Du machst mich neugierig, Jungherr!«

»Was da um eines nichtigen Anfangs willen aufsteigt über Land und Menschen meiner Heimat – Herr – das ist eine Wetterwolke, aus der es Geißelschläge regnen wird. So, Herr, wie heute der Hagel über die Früchte von tausend Äckern fiel.«

Erheitert lachte Herr Ludwig. »Mein lieber Jungherr Someiner! Gedulde dich in deinem heldenhaften Erbarmen, bis du weißt, wer die Hiebe bekommen hat.« Er rief mit starker, ungeduldiger Stimme: »Wolfl!« Der Kämmerer trat in die Stube. »Bringe diesen müden Jüngling zu einem guten Bett! Fünf Stunden kann er schlafen. Alles Weitere hörst du noch.« Und zu Lampert, der bleich geworden war bis hinter den goldbetreßten Halsrand des roten Hofkleides, sagte der Herzog liebenswürdig: »Gott befohlen, Jungherr! Es war mir eine Freude, dich kennenzulernen. Die Gelegenheit wird sich ergeben, daß wir uns wiedersehen, um tapfere Worte zu wechseln. Grüße mir das schöne Berchtesgaden!«

Während Lampert zur Türe ging, hörte er den alten Gleslin flüstern: »Herr! Das war keine Stimme der Furcht. Das ist Herz und ehrlicher Mut gewesen.«

Der Herzog lachte. »Ja, ja, ja, lieber Gleslin! Du hast recht, ich weiß. Du bist ein großer Menschenkenner. Ich bin das Kind! Aber Kinder wollen ihren Willen haben. Komm und schreib die Briefe an meine Hauptleute, an den Balthasar Muracher von Aichach, an den Frauenberger, an den Pfleger von Wasserburg –«

Draußen im Prunksaal, ganz verloren, streichelte Lampert mit seiner zitternden Hand die Stirnen der beiden Hunde, die ihm ihre Köpfe hinstreckten.

Man führte ihn zu einer hübschen Stube, in der ein Mahl bestellt und ein Bett gerichtet wurde.

Mit seinem Arm war's besser seit dem heißen Bad. Aber seine Kehle schmerzte, immer mußte er husten.

Als er allein war, stand er noch lang an dem kleinen Fenster und sah über das Gewirr der spitzen Dächer, über Mauern und Basteien, über das bleiche Band der Donau und über Felder und Wälder hinaus in den sinkenden Abend. Die südliche Ferne, in der seine Heimat lag, war überhangen von einem Wuste finsteren Gewölks.

In der dunkel gewordenen Stube warf er sich auf die Polster hin.

Unter einem Wirbel schmerzender und sehnsüchtiger Gedanken drückte ihm die körperliche Erschöpfung einen bleiernen Schlaf auf die Lider.

Während der ganzen Nacht ging über das kleine Fenster ein mattes, vom Mondschein gedämpftes Wetterleuchten des nach Süden gezogenen Gewitters.

Um die dritte Morgenstunde ritt Lampert Someiner mit den dreißig Gepanzerten durch das Donautor. Der steife Moorle zottelte leer zwischen den schweigenden Reitern. Lampert saß auf einem guten Gaul, und über den eignen Kleidern, die wieder trocken waren, trug er als Botengabe des Herzogs eine feingeschmiedete, flämische Plattenrüstung, dazu einen Helm mit zwei Fasanenflügeln.

In der dunstigen, vom Mondschein grünlich getönten Höhe funkelten noch die letzten müden Sterne. Gegen Osten und Süden standen dicke Wolkenwände, von den glühenden Streifen des Morgenrotes gesäumt und durchädert.

Als hinter den Reitern das Rauschen der Donau versank, war in der grauen Morgenstille nur noch Lamperts bellender Husten, das Hufgeklapper der schweren Rosse und das taktmäßige Klirren des vielen Eisens. Bald näher, bald wieder ferner, sah man auf dem sanft gebügelten Gelände einzelne Reiter jagen, die zwischen dunklen Waldflecken auftauchten, sich schwarz vom hell werdenden Himmel abhoben und wieder verschwanden.

Das waren Herzog Ludwigs Boten, die mit den Briefen zu seinen Städten und Burgen ritten und nach allen Richtungen die Funken des aufbrennenden Krieges trugen.

 


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