Ludwig Ganghofer
Das Gotteslehen
Ludwig Ganghofer

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1

Mit rotem Laub, in der klaren Sonne standen die herbstlichen Ulmen und Buchen rings um das kleine Blockhaus her und sperrten mit dem Netzwerk ihrer tausend Äste und dem Flammengewirr der farbigen Blätter alle Fernsicht. Man sah nur den blauen Himmel in der Höhe, in weiter Runde nur die weißen Spitzen der Berge.

Über jene steilen Zinnen war, ein Vorbote des nahenden Winters, schon der erste Schnee gefallen, während auf den tieferen Gehängen noch die letzten Blumen des Herbstes blühten. Der kalte Nachtreif hatte die zarten Spitzen ihrer Blätter schon versengt, doch in ihren Kelchen war noch Honig. Die Bienen, deren Stöcke unter dem vorspringenden Moosdach des Blockhauses geborgen standen, flogen emsig ab und zu. Dieser stete Immensang, gepaart mit dem Murmeln eines dünn laufenden Brunnens, umschwebte wie leise Musik das niedere Dach und alle Balkenmauern des kleinen, grau verwitterten Hauses, welches einsam stand, menschenferne, versunken im Bergwald.

Das Haus eines Jägers. Neben dem Brunnen waren Wildfelle zum Trocknen über Stangen gespreitet und über der Tür, zu beiden Seiten eines hölzernen Kreuzes, waren gebleichte Luchsköpfe und Bärenhäupter an die Balken genagelt. Vor der steinernen Schwelle lag ein weiß und braun gefleckter Jagdhund in der Sonne; blinzelnd und mit den Ohrlappen zuckend hielt er in Wohlbehagen den Hals auf die vorgestreckten Pfoten geschmiegt; manchmal hob er den Kopf, spähte funkelnden Blickes in den Wald, als hätte er den Tritt eines ziehenden Wildes vernommen, und blickte zu der alten Frau empor, die spinnend auf der Hausbank saß. Die Greisin achtete des Hundes nicht. Sie spann und spann, mit vorgebeugtem Haupt, so daß ihr die grauen Zöpfe über die Brust hingen. Faltig umschloß eine Kutte aus blauem Hanftuch den von Alter gebeugten Leib. Das Gewand ließ die hageren Arme nackt, und während die eine Hand den halb schon abgesponnenen Rocken hielt, zog die andere ohne Rast den Faden und ließ in der Luft die schwere Spindel tanzen.

Da klang über dem Moosdach ein ächzender Vogelschrei und lautes Flattern. Langsam blickte die Greisin auf und sah einen Habicht mit der weißen Taube, die er geschlagen, im Wald verschwinden. »So fliegt der Tod um und frißt uns auf!«

Als wollte das atmende Leben diesem trübseligen Worte widersprechen, tönte in diesem Augenblick, vom spielenden Windhauch halb verweht und doch getragen, der klare Hall einer singenden Mädchenstimme vom höheren Wald herunter, jeder Laut das Zeugnis einer Herzensfreude, die sich äußern muß, weil ihr die Brust zu eng geworden.

Die Greisin hob lauschend das Gesicht. »Daß die noch singen kann?«

Da ließ sich Geräusch im Haus vernehmen, »So, Herr! Und jetzt das Schießzeug noch!« sagte eine Männerstimme. »Die Bolzen sind geschärft und neu gefiedert, sie fliegen über hundert Gang. Nur gut hinhalten! Und denk, daß der Hirsch im Zwielicht allweil näher steht, als wie's den Anschein hat. Wenn du gut achthast auf alles, mag's wohl gelingen, daß du einen weidgerechtem Schuß tust.«

»Den Schuß ins Herz oder keinen!« erwiderte eine jugendliche Stimme von so versunkenem Klang, wie eine Glocke tönt, an die man sacht mit der Hand geschlagen.

Schwere Schritte kamen zur Tür, und Hilpot, der alte Jäger, trat über die Schwelle. Sein furchiges Gesicht versank in dem grauen Bart, der mit struppigem Haar in eins verwuchs und gleich einer gestutzten Mähne den Kopf umstarrte. Vom Fuchsfell, mit dem die stämmigen Beine umschnürt waren, hingen zerrissene Lappen nieder, und das ärmellose Lederwams war schwarz und brüchig. Eine klobige, schwer gebeugte Gestalt, verwittert vom Winter, vom Sturm der Berge, verwildert in der Einsamkeit. Vor dreißig Jahren hatte Hilpot mit Hanna, seinem Weib, dieses im Wald verlorene Haus bezogen. Weil das Waldgeräumte, auf dem es stand, sich von allen Gehängen des Göhl am weitesten hervorschob, nannten es die Leute das »Vorder Eck«. Und seit dreißig Jahren hütete Hilpot die Gemsen und Hirsche, die in reicher Zahl die Felsen und Wälder des hohen Göhl bewohnten, dessen Wildbann einst der Kaiser Rotbart dem ungetreuen Bischof von Salzburg abgenommen und dem kaisertreuen Kloster zu Berchtesgaden verliehen hatte. In diesen dreißig Jahren war Hilpot nur ins Tal hinuntergestiegen, wenn er an hohen Kirchentagen die Messe hören mußte oder wenn es einen Hirsch, der für Hilpots Söhne zu gewichtig war, in die Klosterküche zu liefern galt – oder wenn er von seinen Buben einen auf dem Totenbrett hinuntertragen mußte zur geweihten Erde. Sechsmal in diesen dreißig Jahren hatte Hilpot solche Last getragen. Das hatte mitgeholfen, um seinen Rücken so tief zu krümmen.

Eine Weile stand er auf der Schwelle und spähte nach allen Seiten. Dann trat er ein paar Schritte in das Gehöft hinaus. Hanna blickte zu ihm auf und sagte: »Der Stößer hat uns das letzte Täubl davon. Du, Jäger, du! Hütest für ander Leut das Gewild und kannst deine eigene Taub nit hüten.«

Sie nickte. »Solche Jägersleut sind wir Menschen all miteinand!« Hilpot schien nicht zu hören. Lauschend spähte er über den Waldsaum hin und rief dann gegen die Tür: »Komm nur, Herr! Nur die Mutter, sonst ist keine Menschenseel in der Näh. Der Forst ist völlig still, nur droben in der Waldhut, neben dem Gotteslehen hört man das arme Mädel singen.«

Im Rahmen der Tür erschien eine hohe Gestalt, ein junger Jäger, der eben die Armbrust hinter die Schulter nahm. Er war gekleidet wie der Alte, nur daß das Gewand nicht so verwittert und verbraucht war; dazu die Marderkappe mit der Adlerfeder. Das Wams zog Falten, als wär es nicht für diesen schlanken Körper geschnitten worden. Und die schmalen Hände wie auch die nackten Knie waren weiß, als hätten sie die Sonne nicht oft gesehen. Nur wenig lugte das kurz geschnittene Schwarzhaar unter dem Pelz der Mütze hervor. Auf den bleichen Wangen lag ein bläulicher Schimmer. Wie fein und scharf waren in diesem Gesicht alle Züge! Die streng geschwungenen Lippen geschlossen wie in trotzigem Schweigen, das die Rede haßt. Doch ungestüme Sprache leuchtete aus der Nacht dieser großen Augen, über denen die schwarzen Brauen wie mit Kohle gezeichnet waren.

Der Jagdhund erhob sich beim Anblick des jungen Weidmanns und knurrte, als stünde ein Fremder vor ihm. Mit zischendem Laut wies Hilpot das mürrische Tier unter die Hausbank und näherte sich mit ehrfürchtiger Scheu.

»Die Weg verlieren sich im Wald. Soll ich dich nit geleiten, Herr?«

Der andere schüttelte den Kopf. »Ich will nicht, daß du Mühe hast um meinetwegen.« Ein bitteres Lächeln zuckte um seinen Mund. »Man könnte sie dir übel lohnen. Ich danke dir schon den einen Dienst, den du mir bietest gegen deine Pflicht.« Den Bergstock fassend, den Hilpot ihm reichte, trat er aus dem Schatten der Tür in die leuchtende Abendsonne. Bei den letzten Worten, die er gesprochen, hatte die alte Frau einen ernsten Blick auf ihren Mann geworfen. Nun wollte sie den Rocken niederlegen und sich aufrichten. Der junge Jäger winkte mit der Hand. »Bleib, Mutter Hanna! Deine Jahre wollen rasten.« Die alte Frau nickte wortlos vor sich hin und brachte die Spindel wieder in Schwung. Der andere stand vor ihr und betrachtete eine Weile sinnend ihre Züge. Dann sagte er: »Deine Spindel ist heute schwer geworden. Gibt das ein Kleid zur Weihnacht?« »Nein, Herr! Ein Hemd für meinen Buben. Für den letzten, den ich hab. Derweil ich spinn, muß ich allweil sinnen, ob er das neue Hemd wohl tragen wird zur warmen Hochzeit oder zur kalten Freit? Ja, Herr, ich hab gesponnen, derzeit ich leb. Für sieben Buben. Sechs von ihnen haben mein schönes Leinen hinuntergetragen, mannstief unter den Wasen.« Hanna zog den Faden, während Hilpot seufzend das graue Haar mit beiden Händen in die Stirn strich.

»Klag nicht um die Toten, Mutter! Denen ist wohl!« sagte der junge Jäger. »Freu dich an dem einen, der euch geblieben ist.«

Hanna netzte die Finger. »Was ist Freud, Herr? Was ist Weh? Schier weiß ich's nimmer. Es ist mir so gekommen mit der Zeit, daß ich Weh und Freuden allweil spür, als wär's ein gleiches.«

»Dann bist du eine weise Frau.« Der junge Jäger atmete tief. »Das Leben halten auf ruhiger Hand? Schmerz und Wonne wie ein gleiches wägen? Seit ich denke, quäl ich mich um diese Kunst.«

Ein halbes Lächeln glitt um die welken Lippen der alten Frau. »Hab nur Geduld, Herr! Du stehst noch in der unrechten Lehr. Wieviel Jährlein hast du über die zwanzig? Schau nur, schau! Der warme, grüne Mai will es dem Winter neiden, daß er weiß und kalt ist.« Nickend sah sie an der hohen Gestalt des jungen Mannes hinauf. Ihre Augen blieben an seinem ledernen Wamse haften. »Das hat mein ältester Bub getragen am selbigen Tag, an dem der Baum ihn erschlagen hat.«

Hilpot winkte seinem Weib, als wär es ihm unlieb, daß Hanna solche Dinge schwatzte; und ein Blick seiner scheuen Augen streifte das bleiche Gesicht des jungen Jägers.

Der lächelte. »Ich danke dir, Hanna, für dieses Wort! Es gibt mir für meinen einsamen Weg einen stillen Gesellen, mit dem sich's plaudern läßt, ohne daß ich reden muß.« Er nickte grüßend, und seine Stimme klang freundlicher. »Gehab dich wohl, gute Mutter! Dir zuliebe möcht ich wünschen, du hättest deinen Buben noch und ein anderer läge, wo der Baum gefallen ist. Dann wäre zweien geholfen.«

Er wandte sich ab und schritt den Bäumen zu.

Da trug der Abendwind den lieblichen Hall jener singenden Mädchenstimme über den goldleuchtenden Wald herunter, deutlicher als zuvor. Man konnte die Worte verstehen:

»Es lachet um und um der Wald,
Es blumet auf der grünen Hald,
Und nieder zu den Auen
Steigen die Maiden und Frauen.«

Der junge Jäger verhielt den Schritt und lauschte, während Hilpot zur Hausbank trat und seinem Weibe zuflüsterte: »Weswegen hast du's ihm sagen müssen? Jetzt wird er über die schiechen Wänd ein ungutes Steigen haben, weil er allweil denken muß, er tragt einen Kittel, in dem schon einer verbluten hat müssen. Es hat ihm kein anderes Wamset passen mögen. So schlachtig und hoch ist er gewachsen. Und mein altes Schmierzeug kann ich doch so einem Herren nit umhängen. Schau, Mutter, hättst es ihm doch verschweigen sollen!« Hanna erwiderte kein Wort; sie netzte die Finger und spann. »Was hat er denn sagen wollen mit dem stillen Gesellen?« flüsterte Hilpot. »Wen hat er gemeint?«

»Den Tod.«

Der Alte schüttelte den grauen Kopf. »Geh, Mutter! So ein junges Blut? Und soll einen Gesellen suchen, vor dem alles ein Grausen hat, was lebt?«

»Du bist mir einer!« Hanna zog den Faden lang und lächelte. »Sechsmal hast du den Tod schon getragen auf deinem Buckel. Und noch allweil hast du ein Grausen vor ihm?« Ein matter Seufzer schwellte die Brust der Greisin. »Mir grauset nimmer. Sooft ich denk an ihn, seh ich allweil nur ein Gesichtl, das mir lieb ist.«

Mit dem müden Geflüster der alten Frau vermischte sich der helle, jugendfrohe Klang des Liedes, das über die leis bewegten, leuchtenden Wipfel heruntertönte:

»Gegangen kommet Paar um Paar,
Und Blumen tragen all im Haar.
Sie heben an zu singen
Und schlingen
Den liebelichen Reien,
Und preisen all den Maien:
Huliadei!
Sei willkommen, süßer Mai!«

Der jubelnde Laut verschwamm im wachsenden Wehen des Abendwindes und ging unter im Rauschen des Waldes, wie eine Kinderstimme versinkt, wenn rauhe Männer zu reden beginnen. Aus seinem Lauschen erwachend, blickte der junge Jäger auf. Sein Gesicht hatte sich warm gerötet. Oder war es nur die Glut des Abends, deren Widerschein auf seinen bleichen Wangen lag? Er deutete auf einen Pfad, der emporführte gegen die Waldhöhe, von der das Lied geklungen, und über die Schulter blickend, fragte er: »Geht hier mein Weg?«

»Nein, Herr!« erwiderte Hilpot. »Das Steigl führet hinauf zum Gotteslehen. Den Weg zur Linken mußt du nehmen.« Der Jäger folgte dem schmalen Pfad, auf den der Alte ihn gewiesen hatte, und verschwand im farbigen Schatten des Waldes. Da klang aus der Schlucht, zu der die talwärts sinkenden Waldgehänge sich verengten, ein heller Jauchzer. Betroffen blickte Hilpot auf, und halb in Freude und halb verwundert wandte er sich zu seinem Weib. »Hörst du ihn, Mutter?«

Hanna nickte. »Unser Bub!«

»Was kann ihn heraufführen, jetzt, wo er Falkendienst haben muß einen Tag um den andern? Was meinst du, daß er bringt?«

»Eine Sorg! Was sonst? Mit der Freud werden die Kinder allweil selber fertig. Da brauchen sie nit zu Vater und Mutter laufen.«

Eine kurze Weile, und unter den Bäumen trat ein junger Bursch hervor, stämmig und gesund, ohne viel Gedanken im harmlosen Blick der blauen Augen, doch mit der Farbe lachender Jugend auf den Wangen, um die sich das Blondhaar ringelte. Er trug das bunte Falknerkleid, das über die Brust herunter in die Farbe geteilt war, zur Hälfte rot und zur Hälfte grün. Der spielende Wind rollte ihm das gezaddelte Tuch der langen Schlitzärmel um die Hüften und machte die Strähnen seines Haares wehen. Auf der linken Faust, die in grobem Handschuh steckte, trug er einen isländischen Weißfalken, dem der Kopf mit der Falkenhaube bedeckt und die Schwingen mit der hirschledernen Kreuzfessel gebunden waren, so daß er keine Feder bewegen konnte. Als Hilpot den Falken sah, wußte er gleich, weshalb der Bub aus dem Tal heraufgestiegen war. »Tu dich nimmer sorgen, Mutter«, sagte er, »ich denk, der Falk hat eine WannSchwungfeder gebrochen, die ich spulen muß.«

Mutter Hanna atmete auf, während Hilpot seinem Buben entgegenging, den der Hund mit freudigem Gebell umsprang. »Gottes Gruß, Reinold!« sagte der Alte und bot seinem Buben die Hand. »Tust du dich auch wieder einmal anschauen lassen bei uns daheim?«

Reinold konnte den Gruß nicht erwidern, denn der Falke, den das Gebell des Hundes unruhig machte, zerrte mit den gebundenen Schwingen an der Fessel. Scheltend jagte Reinold den Hund zurück, nahm die Schwanenfeder vom Käppl und strich sie dem Falken ein paarmal schmeichelnd über den Rücken; das schien dem Vogel wohlzutun; er wurde ruhig. Verschnaufend nickte Reinold dem Vater zu. »Da schau, was ich bring! Mit dem hat mich der Herr heraufgeschickt, weil keiner das Spulen so gut versteht wie du.«

»Hat er eine Wann gebrochen?« Hilpot nahm seinem Buben den Falken von der Faust.

»Wenn's nur eine wär! Zwei Wannen sind wurzab, und die dritte hat einen Letz gekriegt. Wie der Herr den Falken so gefunden hat, ist ihm das Weinen nah gewesen.« Reinold wischte mit dem Ärmel über die Stirn. Der rasche und steile Aufstieg hatte ihm warm gemacht. »Ich sag dir's, Vater, wenn du die Wann nimmer spulen kannst, so kriegen wir Trauerzeit im Kloster und sehen bei unserem Herren kein Lachen nimmer, wer weiß wie lang!« Reinold zog die beiden Daumen ein und spuckte über die Schulter, um das gefürchtete Unheil zu beschwören. Dann ging er auf die Mutter zu. »Grüß dich! Hast du allweil gute Zeiten?«

»Wie's der Tag bringt und nimmt.« Hanna legte die Spindel in den Schoß und faßte Reinolds Hand. Matte Röte stieg ihr in die verhärmten Wangen, als sie ihren Buben, den letzten von sieben, so vor sich stehen sah in lachender Jugend, strotzend von Gesundheit. »Und du? Wie geht's dir?« »Allweil gut! Bei einem Herren, der die Falken lieb hat, haben die Falkner sieben Feiertag in jeder Woch. Und Wein und Met und Mahlzeiten, daß man auseinand geht wie Hefenteig in der Wärm.« Er schlug sich lachend mit den Fäusten auf die Rippen und wandte sich an den Vater, der den Falken zur Hausbank trug. »Was sagst du?«

»Ein Falk, wie ich meiner Lebtag keinen zweiten gesehen hab, so schön und stark und stolz! Ich kann's deinem Herrn nachspüren, daß ihm der Vogel wie sein Leben gilt. Schau her, Mutter«, auf der Faust hielt der Alte seinem Weib den Falken hin, »hätten wir den Haufen Gold, den der da gekostet hat, wir wären reiche Leut. Hundert Heimwesen wie das unsrige könntest du kaufen dafür, und es tat dir noch allweil ein Herrengut übrigbleiben.« Hilpot ließ sich auf die Hausbank nieder, nahm den Falken auf den Schoß, löste ihm die Kreuzfessel und begann die gebrochenen Schwungfedern zu untersuchen. Um den Falken bei Ruhe zu erhalten, streichelte ihm Reinold mit der Schwanenfeder den Rücken und plauderte dazu. Den Falken, erzählte er, hätte Herr Friedrich, der Propst zu Berchtesgaden, auf billige Weis erworben. »Wie unser Kloster in alter Kaisertreu nach dem Fall des Welfenfürsten Otto dem jungen Herren im Deutschen Reich die Huldigung schickte, hat der neue Kaiser unsere Stiftsherren gefragt: ›Wie heißt euer Propst?‹ Und wie sie ihm gesagt haben: ›Friedrich, wie du!‹, da hat der junge Kaiser gemeint: ›Wer Friedrich heißt, dem müssen die Falken lieb sein, so wie mir!‹ Und gut getroffen hat er's.« Reinold lachte. »Die Stiftsherren haben ihm sagen können, daß es für unseren Fürsten liebere Kurzweil nimmer gab als Beiz und Federspiel. Und da hat der Kaiser, um dem Kloster alle Treu zu lohnen, unserem Propst den schönsten Eisländer aus seinem Falkenhof geschickt.«

»Den hat der Kaiser schon auf der Hand getragen?« fragte Mutter Hanna. »Der Kaiser?«

Seltsam hörte das Wort sich an auf diesen, welken Lippen, und hier in der Öde des Waldes, in diesem verlorenen Winkel der Berge. Weit draußen in der Ferne ging das wirre Leben einer stürmischen Zeit seinen eisernen Schritt, und nur selten brandete eine schon halb verrauschte Welle seines Lärmes in die verborgenen, von himmelhohen Felsen umschützten Täler. Ein Wort aber hat zu allen Zeiten seinen Weg auch zur entlegensten Hütte gefunden, wenn deutsche Herzen unter ihrem Dache schlugen.

»Der Kaiser!«

»Ja, Mutter!«

»Der mit dem roten Bart?«

»Aber Mutter! Der Rotbart ist doch lang schon tot.«

»Tot?« Sinnend schwieg Mutter Hanna.

Da sagte Hilpot: »Droben der Gotteslechner meint, das wär eine Lug. Der Kaiser Rotbart tät noch allweil leben. Daß er gestorben wär und im Judenland versunken in einem reißenden Wasser, das täten nur die anderen sagen, die Schiechen, die den Unfried machen in der Welt. Die sollten nur achthaben, meint der Gotteslechner. Eh die schiechen Unfrieder sich umschauen, wär der alte Kaiser wieder im Land und tät die guten Zeiten wieder aufrichten und jedem geben, was sein Recht ist.«

»Geh, Vater, das ist unsinniges Gered. So was müssen doch wir im Kloster wissen. Seit der alte Rotbart tot ist, haben wir schon den dritten Kaiser im Land. Aber ich weiß schon, wie die Leut reden. Droben der Gotteslechner sagt: ›Der Rotbart.‹ Und drunten im Tal die bäurischen Dickschädel, die das rechte Frommsein noch allweil nit lernen wollen, die sagen: ›Der König Wute im Untersberg.‹ Jeder möcht, daß einer käm und tät ihm helfen wider den Klosterzins. Und der Gotteslechner?« Mit einem Seufzer spähte Reinold gegen den höheren Wald empor. »Wenn der auf einen Helfer denkt, ich mein, der wird seine guten Gründ haben.« Hilpot, der auf das Geplauder seines Buben nur halb geachtet hatte, erhob sich und setzte den Falken auf Reinolds Arm. »Ich spul ihm die Wannen wieder und mach ihn wieder heil zum hohen Flug, daß unser Herr seine Freud dran haben soll.« Er trat in die Hütte.

Freudenröte schlug über Reinolds Wangen; er wußte, daß ihm klingender Dank bevorstand, wenn er den verletzten Falken wieder flugfähig hinunterbrachte ins Kloster.

Da fragte Mutter Hanna in Unruh: »Was hast du sagen wollen vom Gotteslechner?«

Reinold zögerte mit der Antwort, »Ich fürcht, der Gotteslechner ist Freibauer gewesen die längste Zeit. Morgen kommen sie und büßen ihn um den Albenzins, als ob er ein höriger Bauer wär.«

»Der wird sich wehren.«

»Wie lang? Er sollt ein Einsehen haben.« Mit scheuem Ernst, als ginge ihm das Schicksal nahe, das dem Gotteslechner bevorstand, blickte Reinold wieder zur Höhe hinauf, um deren Wipfel das Gold des Abends in leuchtenden Wogen brandete. »Mutter? Wenn ich hinaufspringen tät und gäb ihm heimlich eine gute Rede, daß er sich fürsehen möcht?«

Erschrocken umklammerte sie Reinolds Arm. »Bub! Bist du gescheit? Willst du reden gegen deine Herrenleut? Tu deiner alten Mutter die Lieb und laß deine Händ von aller fremden Sorg! Schau lieber, daß dir selber kein widriges Steinl auf deinen jungen Weg fallt.« Sie erhob sich, und leise Worte murmelnd, bekreuzte sie ihm die Stirn und den Mund.

»Der Gotteslechner möcht wohl den Schnabel halten, wenn ich ihn warnen tät. Ich steh in linder Gunst bei meinem Herrn. Was könnt denn Übles kommen über mich?«

»Was über den lieben Tag kommt, wenn die Sonn versinkt. Und was ich fürchten muß bei Licht und Finsternis, wenn ich denk, daß ich sechs verloren hab und du der letzte bist.«

»Geh doch, Mutter!« Ein Schauer rann über Reinolds Schultern. Dann reckte er lächelnd die jungen Glieder, hob den Falken hoch und schüttelte das Blondhaar. »Was tust du dich allweil sorgen? Ich leb doch und lach.«

Kalter Schatten fiel über Gehöft und Hütte; die Sonne war über die Wälder niedergetaucht, und nur um die Höhe, auf der das Gotteslehen stand, und um die beschneiten Berggipfel schimmerte noch der rote Glanz. Verschwommen hörte man die singende Mädchenstimme. Lauschend blickte Reinold auf. »Hörst du, Mutter? Sie singt.« Sein Blick begegnete dem ihren, und da wurde er verlegen. »Warum soll ich's hehlen? Was tät mich der Gotteslechner kümmern! Aber mir bangt um das liebe Mädel!«

»Lieb und gut, ja, Bub, das ist sie. Aber kannst du ihr helfen?« Hanna legte den Arm um Reinolds Schulter. »Sei gescheit, Bub! Du hast lichte Augen, such dir eine lichte Freud!«

Reinold schwieg.

Zärtlich rüttelte ihn die Mutter. »Bleib daheim und schau dem Vater zu, wie er dem Falk die Wannen spult. Da lernst du was! Und essen und trinken mußt du auch. Hast du Hunger, Büebli?«

Reinold lachte schon wieder. »Allweil, Mutter!«

»Sollst was haben!« nickte sie ihm zu. Als sie zur Tür gehen wollte, hörte man von der steilen Waldhöhe den polternden Fall von Steinen. Im gleichen Augenblick trat Hilpot aus der Hütte.

»Sell droben steigt einer umeinand«, meinte Reinold, »da kriegen wir noch einen Haingart auf den Abend.«

Der Alte schüttelte den Kopf, nahm den Falken und setzte sich auf die Hausbank.

»Der kommt nit, Bub», sagte Mutter Hanna auf der Schwelle, »heut nimmer, aber morgen wieder, wenn er müd ist von der heimlichen Pirsch, zu der ihn der Vater gewandet hat.«

Reinold schien zu erraten, von wem die Rede war. Erschrocken stammelte er: »Vater! Wenn sie's merken drunten? Sie büßen dich, weil du ihm hilfst.«

Der Alte schwieg.

Mutter Hanna trat mit einem schweren Seufzer in die Hütte. »Sie suchen ihn drunten schon seit dem Morgen«, flüsterte Reinold dem Alten hastig zu, »und wenn sie's ausspüren, daß du ihm wieder geholfen hast, das könnt schief ausfallen. Keiner im Kloster mag ihn leiden, alle Herren stehen im Zorn wider ihn.«

Hilpot nickte. »Mir ist er lieb. Er hat Jägerblut. Und geh's, wie's mag, ich muß ihm zu Willen sein. Er hat mir's angetan mit seinen Glutaugen. Dem seine Seel ist kerzengerad gewachsen. Wenn ihn die anderen schelten, tun sie's bloß, weil er besser ist als sie. Aber komm, Bub, tu mir helfen und leg den Falken in Zwang.«

Scheu blickte Reinold noch einmal über den Waldhang hinauf. Dann trat er zum Vater, faßte mit kundigem Griff den Falken an beiden Fängen und schwang ihn, daß der Vogel mit dem Rücken auf Hilpots Schoß zu liegen kam; der Falke flatterte und wollte sich wehren. Reinold gab ihm den Daumen und den kleinen Finger zwischen die greifenden Fänge und preßte ihm die drei Mittelfinger auf die Brust; nun lag der Vogel, ohne sich zu regen, nur die Spitzen der gespreizten Schwingen zitterten leise. Hilpot lächelte. »Recht so, Bub! Das Zwingen hast du mir gut abgeschaut. Und jetzt paß auf, das richtige Spulen mußt du noch lernen!« Mit bedächtiger Ruhe begann er an den gebrochenen Schwungfedern das Heilwerk, das in der ganzen Falknerei des Klosters keiner so sicher zu üben wußte wie der alte Hilpot.

Den Falken mit pressender Hand im Zwang haltend, kauerte sich Reinold auf die Erde nieder. In stummer Achtsamkeit verfolgte er jeden Handgriff des Vaters, der mit scharfem Messer eine der geknickten Schwungfedern an der Bruchstelle entzweischnitt und die beiden Teile der Federspule mit schief geschnittenen Rändern wieder aneinanderfügte, indem er eine leichte, mit Wachs überzogene Stahlnadel als Halt in das Innere der Spule schob.

»Gleich drei Wannen auf einmal!« sagte Hilpot, während er einen haarfeinen Leinenzwirn in eine dünne Nähnadel faßte und den Faden, um ihn zäher zu machen, mehrmals durch einen geschmeidigen Harzbrocken zog. »Das ist viel, Bub! Wie ist denn das Unglück geschehen?«

»Wie's geschehen ist, weiß ich nit. Ich bin erst dazu gekommen, wie Herr Friedrich den Falken schon wieder auf der Faust gehabt hat. Und du kannst mir's glauben, vor Kummer über seinen Liebling sind dem Herrn die Zähren im Aug gestanden. Wer hätt auch denken mögen, daß die heutige Freud ein so trauriges End nimmt? Die ganzen Wochen her, derweil der Falk in der Mauser war, ist der Herr alltag ein paarmal in die Falkenstub gekommen und ist vor der Stang gestanden, als hätt er darauf warten können, daß dem Falk ein Federl wachst. Ehgestern hat unser Meister ihm melden können, daß der Eisländer ausgemausert hat und wieder fertig ist zum Flug. In der ersten Freud hat der Herr für heut im Untersteiner Moor auf Reiher und wilde Schwäne ein großes Beizen angesagt. In der Nacht noch haben wir hinausreiten müssen zu den Grenzburgen und die Burgherren und Frauen laden. Die frommen Schwestern im neuen Klösterl haben Verlaub erhalten, daß sie mitreiten dürfen. Gestern auf den Abend sind von Salzburg die fahrenden Leut gekommen, ein ganzer Haufen, und drei ritterliche Singer sind im Kloster abstiegen, jeder mit seinem Falken und seinem Spielmann. Da hat's im Refektori ein Liedersingen und eine Kurzweil abgesetzt, daß der Bruder Glöckner aufs Mettenläuten vergessen. Und draußen auf dem Untersteiner Anger haben die Küchenbrüder schaffen müssen die ganze Nacht, haben die Zelte aufgeschlagen und den Herd gemauert, und einen Karren um den anderen haben sie hinausgefahren mit Freßwerk und Wein und Gutigkeiten zum Beizmahl. Heut in aller Gottesfrüh sind drunten im Kloster schon alle Leut auf den Füßen gewesen, Herr Friedrich selber hat das große Hochamt abgehalten, und weil er seinem Lieblingsfalken eine reche Ehr hat antun wollen, hat er ihn vom Kredo bis über das Sanktus sitzen lassen zwischen Kelch und Meßbuch.«

Hilpot brummte ein paar unwillige Worte in seinen Bart. »Was meinst du?« Reinold sah verwundert auf.

»Ich mein, du solltest lieber schweigen und achthaben, wie man die Spul bindet.«

Reinold schien den Ärger des Vaters nicht zu begreifen. Wenn seine Aufmerksamkeit nicht durch den Duft des schmorenden Wildbrets abgezogen wurde, der aus Mutter Hannas Herdstube quoll, war er mit achtsamen Augen bei der Sache. Er sah es wohl nicht zum erstenmal, wie eine gebrochene Wanne »gespult« und »gebunden« wird, aber ihm fehlte die Ruhe und die geschickte Hand, um dem Vater dieses Falknerkunststück nachzumachen: die Bindnadel so sacht durch die Feder zu stechen, daß der Schaft nicht zersprengt wurde und jeder Stich eine Öse der in das Innere des Kiels geschobenen Spulnadel traf, und eine bindende Fadenschlinge so fest und gleichmäßig neben die andere zu legen, daß die zerschnittenen Teile der Feder unverrückbar wieder aneinander hafteten, und das klebende Harz so kundig zu mischen, daß es den Bart der Feder nicht verpichte, sondern an der Luft eintrocknete, sobald die Fadenschlinge gelegt war. Jedes kleinste Versehen machte die ganze Arbeit unnütz, und saßen die gebundenen Federn nicht wie angewachsen, so steuerte der Falke schlecht im Flug und war unbrauchbar für die Jagd.

Auf dem beschneiten Grat der Berge war der letzte Sonnenschein erloschen, und es fiel schon die Dämmerung über den Wald, als Hilpot die Arbeit vollendet hatte. Sich aufrichtend, hob er auf der Faust den Falken empor, der mit ausgespannten Schwingen schlug, als möchte er das Heilwerk seines Arztes erproben. »Der Schlag ist gut und sicher«, sagte der Alte, »ich mein, daß ich nichts versehen hab.«

Während die beiden mit prüfenden Augen den flatternden Falken musterten, ließ sich klirrender Hufschlag von einem steinigen Pfad des Waldes vernehmen. Sie blickten auf, und erschrocken stotterte Reinold: »Um Gottes Lieb, Vater, da kommt der Herr!«

 

Auf bunt geschirrtem Maultier, das von einem Knecht am Zügel geführt wurde und von der Mühsal des steilen Weges keuchte, kam Propst Friedrich unter den Bäumen hervorgeritten. Sein braunes Samtgewand, dessen Säume mit dem zarten, goldgelben Pelzwerk von der Kehle des Edelmarders verbrämt waren, glich einem ritterlichen Kleid, nicht der Tracht eines Priesters, den nur das goldene Kreuz verriet, das an breitem Seidenbande um den Hals geknüpft war. Der Abendwind, der dem Reiter entgegenwehte, lüftete das gestickte, von der Pelzkappe über die Ohren niederhängende Nackentuch und zeigte am Hinterhaupt den Halbmond einer spiegelglatten Glatze. Auch unter dem Rand der Kappe stahl sich kein Härlein hervor, die breite Stirn und die glatt rasierten Wangen des runden, lebensfreudigen Gesichtes glänzten wie poliert, und die kleinen flinken Augen blitzten in hellem Glanz. Klugheit und Erfahrung redeten aus dem Blick dieses Fünfzigjährigen, der dem Heil seiner Seele mit allen Mitteln gedient haben mochte, nur nicht mit Fasten und Pönitenz. Um die leicht aufgeworfenen Lippen lag der spöttische Zug des Mannes, welcher Welt und Menschen kennt und nicht sonderlich viel von ihnen hält. Dennoch sah man es diesem Gesichte an, daß es freundlich und in Nachsicht lächeln konnte. Jetzt freilich war es gerötet von der Mühe des Rittes, jeder Zug war in Erregung um das Schicksal des geliebten Falken. Diese ungeduldige Sorge hatte etwas von der Unruhe eines Kindes, das sich um ein zerbrochenes Spielzeug kümmert, weil es ihm lieb gewesen. Noch ehe das Maultier hielt, ließ sich Propst Friedrich schon aus dem Sattel gleiten. Ohne auf Reinold zu achten, der seinem Herrn mit scheuem Gruß den Saum des Ärmels küßte, rief er dem alten Jäger zu: »Wie steht es, Hilpot? Wirst du ihn heilen können? Oder ist er verloren für die Jagd?« Dabei streckte er nach dem Falken schon die Hände, die mit blitzenden Ringen besteckt und so schlank waren, so weiß und wohlgepflegt wie Frauenhände.

»Gottes Gruß, mein guter Herr!« Hilpot schwang den Falken. »Ich mein, er ist wieder heil zum hohen Flug.«

»Reinold!« rief der Propst in heißem Eifer, während er den Falken von der Faust des Jägers nahm. »Gib ihm das Spiel!«

Der Falke drückte ihm die Fänge tief in das Fleisch der ungeschützten Hand, doch Herr Friedrich achtete des Schmerzes nicht. »Das Spiel! Und wirf, was du werfen kannst!«

In Erregung hatte Reinold aus seiner Falknertasche das Federspiel hervorgerissen – einen weißen Ball mit kleinen bunten Flügeln – und seine junge Kraft zusammennehmend, schleuderte er das Spiel hinauf in die dämmerige Luft. Der wehende Abendwind erfaßte das bunte Ding und trieb es den Bäumen zu.

»Falko! Huliiih!« Mit diesem jauchzenden Rufe nahm der Propst dem Falken die Haube ab und schwang ihn. Gellend tönte der Schrei des Falken durch die Stille, mit hastig flatternden Schwingen stieg er senkrecht empor, ein sausender Stoß, und ehe das Federspiel noch zwischen die Wipfel der Bäume gaukelte, hatte der Falk schon seine Fänge in den Ball geschlagen. »Hilpot, das will ich dir danken!« rief Herr Friedrich. Er wollte einen der blitzenden Ringe lösen, doch vom Griff des Falken waren ihm die Finger aufgeschwollen, daß die Ringe wie angewachsen saßen. Da faßte er das goldene Kreuz auf seiner Brust, riß es vom Hals, daß das breite Seidenband in Fetzen ging, und warf das Kleinod dem Jäger zu. »Nimm!«

»Herr Jesus!« stammelte Hilpot erschrocken und streckte die Hände, denn er fürchtete, daß das Kreuz zur Erde fallen könnte. Er haschte es noch, bevor es den Boden berührte.

Mit hellem Lockruf war Herr Friedrich auf den Waldsaum zugesprungen und hob dem niederschwebenden Falken die Hand entgegen. Reinold kam gelaufen und wollte ihm helfen. Mit eigener Hand löste der Propst das Spiel aus den Fängen, stülpte ihm die Haube über den Kopf und nickte gnädig dem jungen Falkner zu. »Bleibe bei deinem Vater! Ich gebe dir freien Tag für morgen.« Den Falken streichelnd und zärtlich mit ihm plaudernd, wandte er sich seinem Maultier zu und ließ sich von dem Knecht in den Sattel heben. Ohne Gruß ritt er davon.

Hilpot blickte ihm nach, und als er den Herrn im Wald verschwinden sah, hob er scheu das Kreuz an seine Lippen und sagte leis: »Komm, Bub, wir wollen's der Mutter zum Kuß hineintragen. Die hat vor lauter Sieden und Braten gar nit gemerkt, daß der Herr gekommen ist.«

»Du!« Reinold hatte den Arm des Vaters umklammert und flüsterte: »Wenn sie hören drunten, daß du demselbigen da droben Gewand und Wehr gegeben hast, und sie wollen dich büßen, so sag dem Herren: ›Ich hab dir den Eisländer heil gemacht!‹ Und er bietet dir eine Gnad, statt daß er dich büßt.«

Der Wind, der über die Wipfel der Bäume strich, drückte den blauen Rauch zu Boden, der aus allen Lücken des Schindeldaches quoll, und spannte ihn gleich einem dünnen Schleier über das ganze Gehöft. Stärker hörte man die Bäche der höheren Berge rauschen, und von den Almen tönte ein langgezogener, dumpf murrender Laut – der ferne Schrei eines brünstigen Hirsches.

 


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