Ludwig Ganghofer
Gewitter im Mai und andere Hochlandgeschichten
Ludwig Ganghofer

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Die Mühle am Fundensee

Gegen Westen, jenseits der dunklen Massen des Kranzgebirges und der Palfenhörner, standen am nachtblauen Himmel noch mit sanftem Schein die Sterne, während sich im Osten zwischen tiefgesenkten Felsenscharten schon der erste fahle Schimmer des werdenden Septembertages zeigen wollte.

Höher und höher zog das aufdämmernde Licht. Stern um Stern erlosch. In mattem Glanze tauchten die steilen Kuppen aus dem weichenden Dunkel hervor. Kleine, langgestreckte Wolken säumten sich schon mit blassem Rot, leise rauschend erwachte der Morgenwind, und tief im Tal begannen sich die schweren Nebel zu heben.

Auch auf der schroffen Höhe des Stuhljochs, eines kahlen Ausläufers der Fundensee-Tauern, entwirrte das steigende Licht die hundertfältigen Konturen der klotzigen Steine. Und nun behauchte das flimmernde Frührot den Felsblock, der als höchster über seinen Brüdern thronte. Ihm zu Füßen saß ein junger Jäger. Quer im Schoße lag ihm die Büchse, und die beiden Arme hielt er um die aufgezogenen Knie geschlungen. Das hagere, bartlose Gesicht war gebräunt, doch blaß, mit schmalen, trockenen Lippen. Ein rötlich blondes Haar quoll in schlaffen Strähnen unter dem dunkelgrünen Hut hervor. Der Jäger rührte sich nicht. Nur in seinen Augen war Leben. Das waren große, dunkle Augen, in denen ein heißes, unruhiges Feuer brannte. Zu dem furchtlosen Blick dieser Augen, die dem Gesicht einen kraftvollen Ausdruck gaben, bildete das Knabenhafte der schmalen Wangen und das runde, sanfte Kinn einen seltsamen Widerspruch. Aus diesem Gesicht redeten eine leidenschaftliche Seele und ein weiches, kindliches Herz.

Immer höher stieg der Tag. In langen, farbigen Bändern schwamm das Licht der nahenden Sonne über den Himmel empor. Alle Spitzen waren in rosige Glut getaucht. Und während durch die mächtige Felsenscharte des Wildtores die übergossene Alm herüberblickte wie ein regungsloser Blut-See, deckten violette Tinten die wellige Fläche des Steinernen Meeres.

Schon senkte sich das farbige Frühlicht in das von terrassenförmigen Höhen umschlossene Almental, das, zweitausend Meter über dem Meer, inmitten eines langgestreckten, grünen Weidelandes ein tiefes Becken bildet, in dem der Fundensee seine grünblauen, geheimnisvollen Fluten sammelte.

Graue Nebel dampften von dem stillen Spiegel auf. Je höher sie stiegen, desto leichter wurden ihre Formen. Sie färbten sich violett und wogten im Streit des Morgenwindes hin und her, bis sie in den Lüften zu rosigem Dunst verflossen.

Auf der Kuppe des Stuhljoches saß der junge Jäger noch immer unbeweglich zu Füßen der rotglühenden Steinzinne. Seine Augen hatten keinen Blick für die Schönheit des Morgens. Wohl glitten sie unter den häufig blinzelnden Lidern ruhelos umher, alles Sichtbare überhuschend. Aber das waren nicht Blicke, welche sehen wollten – es waren ziellose Blicke von jenem unbestimmten Ausdruck, wie sie ein gespanntes Lauschen unterstützen.

Nun schwellte ein tiefer, stockender Atemzug die Brust des Jägers. Langsam hob er die Hand und rückte den Hut. Geräuschlos richtete er sich auf, warf die Büchse hinter die Schulter, faßte den am Felsen lehnenden Bergstock und wollte gehen. Aber da stand er wie zu Stein geworden – auf der ihm gegenüberliegenden Felsenhöhe des Klunkerers war ein Schuß gefallen.

Vorgeneigten Halses lauschte der Jäger dem verrollenden Echo. Sein Gesicht war fahl, seine Hände zitterten, und über die zuckenden Lippen klang es in zornbebenden Worten: »Wieder! Und wieder der gleiche Hall! Und wieder da, wo i net bin!«

Noch eine Weile stand er so, als wär' ihm die Gewalt über seine Glieder entflohen. Dann reckte er die schlanke, sehnige Gestalt, hob drohend die Faust und stürmte den felsigen Hang hinunter.

Er gelangte auf einen schmalen Wildpfad, zu dessen linker Seite die nackten Wände steil abfallen in eine Schlucht von schwindelnder Tiefe, in die »Pflaumscharte«, aus der, dem Stuhljoch gegenüber, das zackige Geschröff der Hochscheibe emporsteigt in die Lüfte. Sonst, wenn der Jäger auf stiller Pirsch diesen schmalen, gefährlichen Pfad einherstieg, setzte er achtsam Fuß vor Fuß, häufig mit der Hand an vorspringenden Steinen sich stützend. Nun aber sprang er auf diesem Wege mit tollkühner Eile zu Tal, als träte sein Fuß die breite, sichere Straße. Unter seinen klirrenden Sohlen brachen die Steine und schlugen prasselnd in die Tiefe. Und manchmal bewahrte nur diese stürmende Eile den Jäger vor dem Sturz.

Auf dem Felsgehänge sprang ein Gemsbock aus schartigem Versteck und flüchtete über das rappelnde Geröll der Höhe zu. Der Jäger achtete des Tieres mit keinem Blick – galt es doch für ihn, ein anderes Wild zu jagen, galt es doch die Jagd auf einen Räuber, dessen tückisches Treiben seit Wochen die Qual seiner Tage und die Pein seiner Nächte war.

Rastlos stürmte er vorwärts. Keuchend ging sein Atem, in dicken Perlen rann ihm der Schweiß über die hohlen Wangen, über den nackten Hals, und die Haare klebten an seinen Schläfen.

Da zerschnitt eine breite Felsenschrunde seinen Pfad. Er sprang. Und stürmte weiter. Was kümmerte ihn die Gefahr! Hier stand etwas auf dem Spiel, das ihm mehr galt als sein armseliges Leben: seine Ehre, seine Jägerehre!

Jener Schuß – das war der neunte gewesen in diesem Sommer.

Seit Wochen hatte er sich keine Ruhe gegönnt vom frühen Morgen bis zum Abend. Vergebens. Den Schlaf seiner Nächte hatte er geopfert. Umsonst. Wohl hatte er bald die Rotfährte, bald den Aufbruch des geraubten Wildes gefunden, doch nie eine Spur des Diebes. Die Blässe seiner hohlen Wangen, der heiße Brand seiner Augen, kränkende Mißachtung von Seiten seiner Dienstgenossen und die mit Entlassung drohenden Vorwürfe seines Försters – das war bisher der einzige Erfolg seiner nie ermüdenden Mühe.

Als der Jäger den gefahrvollen Pfad überwunden hatte, warf er sich mit der nach Atem ringenden Brust zu kurzer Rast über einen moosigen Steinblock. Und wieder stürmte er weiter, hinunter über das grobe Geröll des Stuhlgrabens, bis er das Weideland der auf der höheren Hälfte des Fundenseetales liegenden Feldalm erreichte.

Hier blieb er in gedeckter Stellung und überflog mit brennendem Blick die spärlich bewaldete Höhe des ihm gegenüberliegenden Klunkerers. Dort oben rührte sich keine Spur von Leben. Nur Steine sah der Jäger, magere Fichten und von Latschen überwuchertes Felsgehäng.

Jeden Block, jede Rasenwölbung und jeden Busch als Deckung nutzend, huschte er über das Weideland, der Richtung zustrebend, in der er den Hall des Schusses vernommen hatte.

Jetzt erreichte er das unterste Gestrüpp des Berghanges. Schwer atmend schob er den Bergstock unter eine Föhrenstaude. Mit zitternden Händen spannte er den Hahn der Büchse und stieg lautlos der Höhe zu.

Eine Stunde verrann. Er fand weder die rote Schweißfährte eines Wildes, noch die Spur eines menschlichen Fußes.

Als endlich die Sonne mit ihrem weißen Lichte vollends emportauchte über die fernen Berge, schwand dem Jäger der letzte Rest seiner Hoffnung auf Erfolg.

Der Schütze, der jenen Schuß getan, konnte lange schon über der nahen Grenze sein. Denn daß es einer von da drüben war, einer von den Tiroler Viehhirten des Steinernen Meeres, das stand in des Jägers Meinung wie beschworen.

Die Tränen eines ohnmächtigen und schmerzenden Zornes traten ihm in die Augen, als er müde hinunterstieg ins Tal. Während des Abstieges peinigten ihn die Gedanken an den Empfang, der ihn im Forsthaus erwartete, wenn er am Abend hinunterkäme, um diesen neuen Schuß zu melden.

Schon hatte er das Almental erreicht und wanderte, nachdem er seinen Bergstock wieder hervorgesucht, über den sanft geneigten Weidehang dem See entgegen.

Plötzlich hielt er inne. Schwach abgedrückt im feuchten Sande, doch für sein scharfes Auge immer noch erkenntlich, sah er die Spur eines Trittes – die Spur eines nackten Frauenfußes.

»Was hat denn die schon wollen da heroben, so früh am Morgen?«

Er kannte diesen Fuß. Drunten in den Hütten am See, da hausten sieben Sennerinnen. Doch nur eine unter ihnen hatte solch einen Fuß, so kräftig und dabei so weich gerundet.

Die Stellung des Trittes zeigte gegen die Stuhljochwände. Und als der Jäger in dieser Richtung über das Weideland spähte, sah er zwischen den Büschen und Steinklötzen des ansteigenden Hanges einen weißen Schimmer und das Aufleuchten eines roten Rockes. Langsam löste sich aus dem dunklen Grün der Latschen die Gestalt eines Mädchens. Der Jäger atmete tief. Ein schmerzliches Lächeln zuckte um seinen Mund, und ein dürstendes Feuer glomm in seinen Augen.

Langsam kam die Dirn gegangen: eine schlanke Gestalt mit festen Hüften und vollen Brüsten. Sie trug nur das Hemd und einen kurzen, aus roter Wolle grob gestrickten Unterrock. Braun waren die nackten Füße und braun die Arme, die sich aus den aufgestülpten Ärmeln senkten. Ein dicker Zopf von silberweißem Blond umschlang die Stirne. Auch das runde, ruhige Gesicht war von der Sonne stark gebräunt und hatte schwellend rote Lippen. Im Kontrast zu den hellen, über der Nase dicht verwachsenen Brauen und unter den langen, weißglänzenden Wimpern erschienen die dunkelblauen Augen beinahe schwarz; ihre Lichter waren matt und feucht, wie an Augen, die von scharfem Spähen müde geworden.

»Grüß dich Gott, Burgei!« sagte der Jäger, als das Mädel sich genähert hatte. »Zeitlich bist auf!«

»Ja!« Sie ließ unter leichtem Lächeln die blinkenden Zähne gewahren. »Weißt, ein Kalbl geht mir ab. Gestern am Abend hab ich schon gsucht. Und heut in der Früh hab ich mir denkt: Schaust einmal über d' Feldalm eini und gegen d' Stuhljochwänd zu. Gfunden aber hab ich nix. Warst am Klunkerer? Hast mein Kalbl net gspürt? Das Dapperl liegt halt wo drin, wo's ihm grad taugt. Wann's Durst kriegt, nachher kommt's schon wieder. Aber nachschauen muß man halt doch ein bißl.«

Der Jäger nickte, und seine Augen glitten über die Gestalt des Mädchens.

»Gelt, ich schau noch net recht anzogen aus?« Burgei lachte und zog mit der Hand die Falten des Hemdes höher an den Hals, wodurch sich die Brüste schärfer in das weiche Linnen prägten. »Aber du, Gaby?« Sie musterte den Rucksack des Jägers. »Wo is denn der Gamsbock? Ich hab dich ja schießen hören.«

»Wo warst denn, wie der Schuß gfallen is?«

»Daheim in der Hütten. Grad bin ich aufgstanden, da hat's gschnallt. Aber geh, scham dich, triffst ja nie was!« Lachend puffte sie dem Jäger die Faust an die Schulter und wandte sich zum Heimweg.

Eine Weile schritt Gaby schweigend neben dem Mädel, den Blick zu Boden gesenkt. Dann fuhr es aus ihm heraus: »Burgei! Der Schuß war net von mir!«

»Geh!« Halb war es neugieriger Schreck und halb ein freundliches Bedauern, was aus diesem Worte sprach.

»Und wieder nix hab ich gfunden! Wieder nix! Heut zum neuntenmal, seit ich heroben bin! Burgei, das bringt mich noch um!«

»Geh, Gaby, schau, du nimmst die Sach viel ärger, als wie's is! Mit Recht kann dir doch kein Mensch ein' Vorwurf machen. Laufst dir ja die halbeten Füß ab, und Tag und Nacht vergönnst dir kein Ruh!«

»Und was hilft's? Was hilft's? Und is denn das alles net wie verhext? Bin ich da drüben, so schießt er herüben, und bin ich herüben, so schießt er da drüben, der Lump! Ich muß schon bald denken, daß die Sach net zugeht mit rechte Ding. Sonst müßt ich doch einmal hinrennen an den Kerl.« Gaby blieb stehen und ließ das Mädel voranschreiten auf dem schmal werdenden Wege, der über einen steilen Weidehang zum See hinunterführte. »Es ist grad, als ob's der Lump jedesmal wüßt, wo ich bin! Und abpassen kann er mich doch net! Ich bin ja lang allweil schon droben in der Höh, eh der Tag kommt.«

»Hast denn überhaupt ein Verdacht?«

»Verdacht! So viel kann ich mir schon denken, daß 's ein anderer net sein kann, als wie einer von die Schafhüter am Steinernen Meer. Ein anderer, der net da in der Näh wo haust, der könnt's doch so unverschämt net treiben! Der einzige Hüter am Fundensee, der von der Stasi, das is ein alter Depp. Und der Hüter drunt, am Grünsee is ein Bub von vierzehn Jahr. Es is schon einer von über der Grenz her. Und ich kann mir schiergar auch denken, was für einer!«

»Wen meinst denn? Geh, sag's?«

»Den mit dem schwarzgrauen Bart mein' ich, der den Messerschnitt überm Backen hat. Aber was hilft der Verdacht, wann ich den Kerl net erwisch, mit der Büchs in der Hand! Und allweil muß ich mich wieder fragen, wie er's macht, daß er jedesmal den Platz trifft, wo ich net bin. Schau, Burgei, du bist die einzig, die manchmal weiß, wohin ich mein Gang nimm. Und von dir kann ich doch net denken . . .«

»Was?«

Scharf klang dieses Wort an Gabys Ohr, während Burgei den Schritt verhielt und das Gesicht wandte. In Zorn blickten ihre Augen, ihr Mund war schmal, und in die braune Stirn war eine Furche gesenkt.

Betroffen sah Gaby in das verwandelte Gesicht der Sennerin. Dann senkte er die Augen, während auf seinen blassen Wangen ein mattes Rot erschien. »Mußt net harb sein! Hättst mich ausreden lassen, so hättst es ghört, daß ich dich net beleidigen will. Es trifft sich ja diesmal, daß eine Sennerin ein Schatz hat, der ein Lump is, und daß ihm d' Sennerin dem Jäger seine Weg verrat'. Aber du hast ja kein Schatz . . .«

Burgeis Gesicht hatte sich aufgehellt, und lächelnd fragte sie: »Daß ich kein Schatz hab? Weißt es denn so gwiß?«

»Wenn's anders wär, müßt ich einmal was gmerkt haben. Ich hab dir aufpaßt gnug. Warum? Das kannst dir denken. Es is dir ja nix Neus!«

»Was?«

»Wie ich bin zu dir.«

Nun lachte Burgei, und lachend schritt sie weiter, mit den lustigen Worten: »No ja, ich bsteh's ein, ich hab kein Schatz. Es is eigentlich eine Schand für mich. Es wär an der Zeit, daß ich mir ein anschaff.«

»Schau, da brauchst net weit suchen!« Herzliche Wärme sprach aus Gabys Worten.

Burgei lachte und blickte zwinkernd über die Schulter zurück.

Die beiden hatten den See erreicht, der sich hier in flachem Boden dem Anstieg der waldigen Höhe nähert, die den Klunkerer und Deltstein miteinander verbindet. Und so weit tritt das Ufer an die aufragenden Felsen heran, daß auf eine lange Strecke nur knapp noch Raum verbleibt für einen schmalen Pfad.

Von einer nahen Stelle dieses Pfades klang den beiden ein dumpfes Brummen und Poltern entgegen.

Eine Weile war Gaby, schweigend an den Lippen nagend, hinter dem Mädel einhergeschritten. Nun fing er wieder zu sprechen an, langsam. »Jetzt bin ich ganz abkommen von der Red. Ich hab auch net sagen wollen, als hättst es mit Wissen oder Willen tan. Aber schau, du bist die einzig, die mehr von mir erfahrt, als ich vielleicht von Dienst wegen sagen sollt. Aber wann ich halt so drin sitz bei dir in deiner Hütten, da druckt's mir alles raus, weil's mir wohltut, wenn ich mir 's Herz ein bißl leichtern kann. Und schau . . .« Gaby stockte.

»Vielleicht hast halt doch, wann so einer einkehrt is in deiner Hütten, und wann grad gwußt hast, wo ich passen will, diemal ein paar Wörtln so rausgredt. Man redt ja diemal so eini in' Tag, ohne daß man viel denkt dabei. Und schau, da kann's dir ja passiert sein . . .«

Burgei wandte sich und streckte dem Jäger die braune Hand entgegen. »Na, Gaby! Nie! Von dem, was du mir gsagt hast, hat kein Mensch ein Wort erfahren. Kein Mensch! Da hast d' Hand drauf! Der Teufel soll mich holen an dem Platzl, wann's net wahr is!« Und lachend fügte sie bei: »Das is grad der richtige Platz für so ein Schwur. Da hat der Teufel schon einmal ein' gholt!« Der Erde lauschend den Kopf entgegenneigend, raunte sie: »Horch, Gaby, wie's tut da drunt'.«

Es war ein seltsam unheimliches Tönen, das sich unter der Stelle rührte, auf der die beiden standen.

Da baute sich aus der Felswand in das schwarzgrüne Wasser hinein ein hoher Steinblock, durch den in der Breite des Pfades eine torförmige Lücke gesprengt war. Gegen den See hin zeigte der Stein die Form einer tief gehöhlten Muschel. Und das Wasser, das draußen im See sich still von Ufer zu Ufer dehnte, senkte sich im Schatten dieser Nische zu einem kreisenden Trichter, der die Grasbüschel, das welke Laub und die dürren Äste, die ihm aus dem nächsten Umkreis des Seespiegels hurtig entgegenschwammen, in gurgelndem Wirbel mit hineinriß in das Innere des Berges.

Als zwängten und drängten sich die verschwindenden Wassermassen im Grund der Felsen durch enge Klüfte und als stürzten sie hinunter in bodenlose Tiefen, so klang ein dumpfes Brausen empor durch das ruhelos rüttelnde Gestein. Es war ein Lärmen und Tosen, ähnlich dem Brummen und Rumpeln eines Mühlwerks.

Und es heißt auch dieser Ort im Volksmund die Mühle – die Teufelsmühle.

Vor vielen hundert Jahren – so berichtet die Sage – stand an der Stelle, die nun das dunkle Wasser deckt, eine Sennhütte auf grünem Weideland. Hier hauste ein reicher Senn, der, noch nicht zufrieden mit seinem Gut, einen Blutbund mit dem Bösen schloß. Doch sollte er, das bedang er sich aus, nur dann verdammt sein, wenn er am Sonnwendtage des dreißigsten Jahres den Weg in die Hölle fände, ohne daß ihn der Böse mit seinen Klauen berühre. Das war dem Teufel recht. Und so vermehrten sich die Kühe des Sennen wie die Hasen auf dem Felde. Es häufte sein Gut sich von Tag zu Tag. Bald wußte er nicht mehr wohin mit dem überreichen Almgewinn. Er wusch mit der Milch die Geschirre, schmierte mit Butter die Schuhe, pflasterte mit Käslaiben den Hüttengrund und konnte schließlich die vielen Kühe gar nimmer melken. Da gaben die Tiere von selbst ihre Milch, die sich zu Bächen sammelte und zu einem Strom ineinanderfloß, der seine weißschäumende Flut durch die Lahnergräben und das Schreintal auf stundenlangem Wege hinuntertrug in den Königssee. Als dann der Sonnwendtag des dreißigsten Jahres nahte, wurde dem Sennen bang um seine Seele. Er ließ einen geistlichen Bruder rufen, der ein großes Ansehen als Teufelsbanner genoß, und bestellte zwanzig Träger, die in Tragbutten das Weihwasser heraufschleppen sollten, damit der Pater Kapuziner ihn, die Hütte und die vielen Kühe tüchtig weihen und feien könnte. Der Morgen des Sonnwendtages brach an. In Grauen und Bangen harrte der Senn des geistlichen Erlösers. Er stieg auf das Dach der Hütte, um den Kommenden früher zu gewahren. Endlich, als schon die Sonne emporstieg über die östlichen Berge, erschien auf der Paßhöhe der Pater mit den zwanzig Trägern. Nun merkte aber auch der Teufel, daß er um eine wohlverdiente Seele betrogen werden sollte, und mit einem Hieb seines höllischen Schürhakens schlug er von unten her den Erdgrund entzwei, so daß der Senn mitsamt seiner Hütte und seinen Kühen in die Hölle versank. Da wollte dann der Teufel das Loch wieder schließen. Doch einer der Träger hatte vor Schreck über den grausigen Vorgang seine Butte mit dem Weihwasser fallen lassen. Das heilige Naß war hineingeflossen in den Erdriß und war hinuntergesickert bis in die tiefste Hölle, so daß dem Teufel alle Macht versagte. Er mußte die Spalte bestehen lassen. Das Schneewasser füllte im Lauf der Jahrhunderte das gähnende Becken. Und heutigentags noch muß es der Teufel dulden, daß ihm durch jene Lücke das kalte Wasser in die heiße Hölle läuft.

An diese Sage dachte Burgei, als sie ihrem Schwur die Worte beifügte: »Das is grad der richtige Platz, da hat der Teufel schon einmal ein' gholt.«

Dem Jäger schien dieses lustige Wort nicht zu gefallen. Stumm ließ er Burgeis Hand aus seinen Fingern gleiten.

Schweigend schritten die beiden am Ufer hin.

Es zweigte sich der Pfad, linker Hand am Wasserrande weiterführend nach Burgeis einsam liegender Hütte, rechter Hand emporleitend zur Höhe eines latschenbewachsenen Hügels, der das kleine, weißblinkende Jägerhäuschen trug.

Hier wandte sich Burgei. »Jetzt wirst auch froh sein, daß du heimkommst und ein paar Stund rasten kannst?« Die ruhige Gleichgültigkeit stimmte nicht zu ihrem forschenden Blick. »Schlafst ein bißl?«

»Wenn ich's fertigbring, ja! Z'erst aber muß ich mir was kochen. Seit gestern z' Mittag hab ich kein Bissen net gessen. No, ich sieh dich nachher schon. Bhüt Gott derweil!«

»Bhüt dich, Gaby!« Burgei nickte lächelnd. Sie bückte sich, riß aus dem feuchten Ufergras ein Büschel der halbverwelkten Ranunkeln, und langsam hinschreitend, zerzupfte sie die Stengel und Blüten und warf eine Handvoll der kleingerissenen Blumen hinaus auf das stille, schwarzgrüne Wasser.

Gaby sah ihr nach. Ein Seufzer schwellte seine Brust. Und müde stieg er den Hügel hinauf. Droben angelangt suchte er den unter der Hüttenschwelle versteckten Schlüssel hervor, öffnete die Tür, durchschritt den Küchenraum und betrat die kleine Jägerstube. Er legte Gewehr und Rucksack ab. Den Hut über die Tischplatte schiebend, ließ er sich schwer niedersinken auf die Holzbank.

So saß er lange, vor sich niederstarrend. Endlich erhob er sich wieder, um draußen in der Küche auf dem offenen Herd ein Feuer anzuschüren. Als dann die dampfende Pfanne vor ihm auf dem Tische stand, vermochte er kaum zu essen. Kein Bissen schmeckte ihm, und dennoch würgte er das Zeug hinunter, weil es ihm leid gewesen wäre, wenn die Speise hätte verderben müssen.

Säuberlich räumte er das Geschirr in den Schrank. Und die schweren Schuhe von den Füßen streifend, streckte er sich auf das ächzende Heubett.

Doch er fand weder Schlaf noch Ruhe. Mit wirrem Trubel kreuzten sich die Gedanken und Empfindungen in seinem Hirn und Herzen. Manchmal überkam ihn für Minuten ein dumpfer Halbschlaf. Und da quälten ihn bald Träume, in denen es um Blut und Sterben ging, bald sah er das zornige Gesicht des Försters, bald wieder die lächelnden Augen der Burgei.

Es litt ihn nicht länger in der Stube. Er machte sich fertig zu einem Gang, der ihm das Herz schwer werden ließ, bevor er noch den ersten Schritt getan. Was würde der Förster sagen? Zu dieser Meldung?

Als Gaby die Hüttentür versperrt hatte, zögerte er eine Weile. Er wußte selbst nicht warum. Dann schritt er den Hügel hinunter, Burgeis Hütte entgegen.

Schon war er dem niederen Blockhaus nahe, durch dessen steinbeschwertes Schindeldach ein blauer Rauch sich in die Lüfte kräuselte. Da meinte er aus dem Innern der Hütte das Geräusch einer Tür zu hören, die man zugeworfen hatte.

Er betrat die Almstube und sah Burgei ruhig auf einem Schemel vor dem flackernden Feuer sitzen, ihr Mittagsmahl bereitend.

Die Kammertür war geschlossen. Burgei hatte sie wohl, so dachte Gaby, zugeworfen, um das Eindringen des Rauches in die Kammer zu verhindern.

Er grüßte. Und Burgei, ohne das Gesicht zu wenden, nickte stumm.

Als Gaby über dem Feuer die schwere Pfanne gewahrte, sagte er: »Heut mußt aber ein argen Hunger haben, weil dir gar so viel aufkochst.«

»Ja!« Burgei lachte. »In mich geht was eini. Lang gnug bin ich ja.«

Gaby ließ sich auf die Herdbank nieder.

»Gehst am Berg?« fragte die Sennerin, während sie mit eisernem Löffel den Inhalt der Pfanne durcheinanderrührte.

»Na, ich muß nunter zum Förster. Warum, das weißt ja. Und wenn leicht wer zusprechen tät in deiner Hütten und tät so rumfragen wegen meiner, gelt, nachher sagst nix, daß ich drunt in Barthlmä bin. Sagst halt, ich bin draußt im Berg!«

»Kommst nimmer rauf in der Nacht?«

»Vier Stund brauch ich nunter . . . und wer weiß, leicht kommt der Förster erst spät am Abend heim. Z'reden gibt's nachher auch ein bißl was. Und ich muß schon sagen, ich könnt den Ruckweg nimmer machen heut, so liegt's mir in die Füß. Ich muß schon drunt bleiben über Nacht. Und morgen wird's allweil zehne oder elfe, bis ich heroben bin.« Eine schmerzliche Bitterkeit klang aus Gabys Worten. »Wer weiß, vielleicht komm ich gar nimmer auffi. Am End schickt der Förster gleich ein andern . . . der besser is auf d' Lumpen!«

»Meinst?« fuhr es dem Mädel mit erschrockener Frage heraus. Und die Lider zuckten über den großen, funkelnden Augen, die in Sorge an dem Gesicht des Jägers hingen.

Dunkle Röte stieg in Gabys Wangen. »Burgei? Tätst dich ein bißl sorgen um mich, wenn ich nimmer käm?«

»No ja, freilich!« Sie wandte sich langsam wieder dem Feuer zu.

»Burgei? Is wahr?« Gabys Augen leuchteten. »Schau, es is net 's erstemal, daß ich um so was frag bei dir. Ein richtigs Ja hast mir nie net gsagt. Aber du hast mich auch nie net abgwiesen. Und schau, jetzt war grad die richtige Zeit, wo's mich aufrichten tät, wann ich wüßt, ich hab wen auf der Welt, der sich sorgt um mich. Da hätt ich gleich wieder ein andern Mut, wenn ich an ein Glück denken dürft, das mir zusteht, wann daheroben alles in Ruh und Ordnung is. Burgei? Kannst mich ein bißl gern haben?«

An den Lippen nagend, hatte Burgei den Worten des Jägers gelauscht. Nun hob sie die runden Schultern und duckte kichernd den Kopf in den Nacken.

»Burgei? Weißt jetzt da gar nix zum sagen?«

»Mein, da hat ein Madl ein schweres Reden, bei so was!« Als hätte sie ein verräterisches Erröten zu verbergen, so beugte sie das Gesicht über den Herd und schob einen Bissen der dampfenden Speise zwischen die Zähne, um zu kosten. »Na also, 's ganze Salz hab ich vergessen!« Geschäftig ging sie zur Balkenmauer, um das Salzfaß zu holen.

Als sie zum Herd zurückkehren wollte, vertrat ihr Gaby den Weg. Fest und ernst klang seine Stimme: »Burgei, soviel merk ich: Ja kannst net sagen. Gut! Aber so sag wenigstens: Na und nie! Nachher will ich dir nimmer im Weg sein. Und will lieber gleich selber zum Förster sagen, er soll einen andern schicken statt meiner.«

»Na, Gaby, um Gottes willen, tu so was net!« Nach dem ersten Schreck, der aus diesen Worten geklungen hatte, lächelte Burgei wieder und guckte wie verlegen zu Boden. »Bist ein rechter Hitzteufel! Fallt man denn gleich mit der Kirch ins Haus? Im Ort drunt, da hat ein Madl ein leichts Reden. Aber daheroben auf der Alm, so ganz allein, da muß man sich bsinnen, bis man zu einem Burschen sagt: Du gfallst mir! Der tät sich gleich alles Teufelszeug einbilden.« Kichernd schob sie den Jäger mit einem zutraulichen Druck des Ellbogens beiseite und wollte zum Feuer treten.

Doch Gaby umspannte mit zitternden Händen ihren Arm. Die Freude blitzte in seinen Augen. »Burgei! Jetzt is alles gut! Und ich will nix weiter fragen, will mich zfrieden geben für heut. Aber schau, ich hab jetzt einen schweren Gang vor mir. Ein Bröserl Wegzehrung könntst mir schon mitgeben!«

Lächelnd wandte ihm Burgei das Gesicht zu. Und Gaby klammerte lachend den Arm um ihren braunen Nacken und küßte sie mit allem Hunger seiner Liebe. Dann griff er nach Büchse und Bergstock, rückte den Hut übers Ohr, nickte dem Mädel mit leuchtenden Augen zu und trat hinaus über die sonnenbeschienene Schwelle.

Burgei stand regungslos, den rasch verhallenden Tritten des Jägers lauschend. Ein Schauer rüttelte ihre Schultern. Hastig wandte sie sich zum Herd, spuckte ins Feuer und rieb mit dem Rücken der Hand die Lippen.

Da klappte im Innern der Kammer ein hölzerner Riegel. Lautlos öffnete sich die Tür, und in die Almstube trat eine verwitterte Mannsgestalt. Ein spottendes Lachen grinste auf dem Gesicht, das umrahmt war von einem struppigen, grauschwarzen Bart. Über die rechte Wange zog sich eine wulstige, braunrote Narbe. Ein Fernrohr, das dem Mann vom Ledergurt über die linke Hüfte hing, kennzeichnete ihn als Schafhüter. Seine Zähne mummelten den Kautabak. Er näherte sich dem halb erblindeten Fenster und blickte gegen den Pfad hinunter. Dann sprach er lachend über die Schulter:

»Der hat aber schmalzig gredt.«

Burgei schwieg.

»Das muß schon einer von die ganz Dummen sein!« Wieder spähte der Schafhirte nach dem Pfad, über den der Jäger gegen die Almhöhe wanderte. –

Aus Gabys Gliedern war alle Müdigkeit entflogen. Er hatte als Mannsbild das große Los gewonnen. Und da sah er auch gleich sein Mißgeschick als Jäger in einem helleren Lichte. Jetzt war das Glück mit ihm. Einer der nächsten Tage mußte den tückischen Wilddieb in seine Hände liefern. Auch der Gedanke an den Förster machte ihm keine Sorge mehr. Er konnte doch reden, konnte sich verteidigen, konnte berichten, wie rastlos er den Pflichten seines Dienstes nachgekommen wäre. Und ein rechtschaffener Jäger brauchte den Förster nicht zu fürchten. »Scharf is er schon, aber ungrecht nie net!«

Unter solchen Gedanken hatte Gaby die Feldalm erreicht. Von hier aus führte der Pfad über einen steinigen Hang empor zu dem Orte, wo die Felswände des Stuhljoches und des Klunkerers sich einander nähern bis auf eine schmale Lücke, um dann vereint mit jäher Steile abzustürzen in ein langgestrecktes Almental, an dessen tiefster Stelle der kleine, schöne Grünsee still gebettet liegt zwischen ragendem Felsen, während sich der höhere Teil des Tales zu einem mit grobem Geröll übergossenen Hang verengert, der, den Namen »Pflaumscharte« führend, sich einzwängt zwischen die finstern Wände des Stuhljoches und der Hochscheibe.

Als Gaby den nicht gefahrlosen Niederstieg über die in die Felsen eingelassenen Eisensprossen vollendet hatte und sich der Almhütte näherte, klang ihm lautes Lachen und heiteres Schwatzen entgegen.

Ihn lockte das nicht. Er wanderte an der Hütte vorüber, dem See entgegen. Nur noch eine kurze Strecke trennte ihn vom Ufer, als er eine Stimme rufen hörte: »Gaby! He! Gaby!«

Er wandte sich und sah vor der Tür der Sennhütte den Bartholomäer Forstgehilfen stehen, ohne Hut und Gewehr, die Pfeife im Munde – eine stämmige, mittelgroße Gestalt.

»Grüß dich, Fröbl!«

»Grüß Gott, Gaby! Jetzt bin ich nur froh, daß ich dich noch gsehen hab! Wo wärst denn hingrennt jetzt?«

»Nunter zum Förster.«

Fröbl lachte. »Willst ihm leicht den Schuß von heut in der Früh rapportieren?«

Betroffen sah Gaby auf. »Wer hat denn gsagt . . .«

»Gsagt? Kein Mensch hat was gsagt! Der Förster hat den Schuß selber ghört, wie er in die Seewänd drüben auf der Pirsch gwesen is. No, du, der hat weiters net aufbegehrt, wie er heimkommen is! Mich hat er gleich angefahren, als ob ich was dafür könnt, daß in deim Bezirk droben der Lumpengregori schon den ganzen Sommer dauert. Und jetzt hat er mich auffigschickt zu dir, und ich soll dir sagen, daß er morgen kommt in der Fruh, weil er nachschauen will, wo denn die Gschicht ihren Haken hat.«

Fröbl schwieg. Und während er den Wasserkolben seiner Pfeife entleerte, blickte er unter emporgezogenen Brauen hervor auf Gaby, der bleich geworden war.

»Ja, schau«, sprach Fröbl nach einer Weile weiter, »ich muß selber sagen: so geht's nimmer länger. Es muß ein End haben! So was fallt auf uns alle. Es reden ja d' Leut schon davon. Kaum daß sich ein Jager wo sehen lassen kann, ohne daß er gspöttelt und ghieselt wird! Und alles wegen deiner! Da möcht sich unsereins bedanken!«

»Aber Fröbl! Was kann ich denn dafür . . .«

»Dafür können tust freilich nix, aber dafür tun hättst schon lang was sollen. Es wär doch zum Teufel, wann so ein Lumpenkerl, der sich den ganzen Sommer an eim Fleckl umeinandtreibt, net zum kriegen wär. Aber natürlich, da heißt's halt d' Schuh verwetzen und net die lederne Hosen reiben auf der Sennerin ihrem Bankl.«

»Fröbl, ich sag dir's . . .«, fuhr Gaby drohend auf.

»No, no, no, was hast denn? Das is doch was Alts, daß mein guter Freund Gaby in das weißzopfete Riesenweibl da droben verschameriert is bis übern Hals.«

Tiefe Röte schoß in Gabys Wangen. »Ob's jetzt so is oder net? Wen geht's denn was an? Und wenn's so wär . . . d' Lieb müßt mich ja grad noch drauf hinweisen, daß ich ein doppelten Eifer hab im Dienst. Und daß ich mich noch härter plag, als ich mich eh schon plagt hab!« Er schilderte dem Kameraden in Hast und Erregung die ruhelose Mühe dieser vergangenen Wochen.

Dicke Rauchwolken paffend, hörte Fröbl zu und hob die Achseln. »No ja, ich glaub dir schon!«

»Na, Fröbl! Du denkst von mir net um ein Granl besser als die andern. Und wann der Förster in der Letzt allweil so hergfahren is über mich, meinst, da hab ich's net rausghört, daß aus'm Förster noch ein anderer redt, den's leicht in d' Nasen gstochen hat, daß ich die ganze Zeit bei meine Fürgsetzten so gut gstanden bin . . . und der jetzt mein Unglück nutzt, um mich noch tiefer einiz'drucken, als ich eh schon drinsteck. Recht kameradschaftlich, ja, das muß ich sagen!« Mit zitternder Hand drückte Gaby den Hut in die Stirn und starrte hinauf zur kahlen Felsenhöhe der Tauern.

Fröbl schien keine Zeit zur Antwort zu finden – so viel hatte er mit seiner leergerauchten Pfeife zu schaffen.

Da nickte Gaby, verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln und sagte: »No also, bhüt dich! Und grüß mir die andern!«

»Was hast denn? Wo willst denn hin?«

»Mein Grenzgang will ich machen, damit ich mir sagen kann, daß ich bis zum letzten Augenblick in jeder Stund meim Dienst grecht gwesen bin . . . wenn's auch sonst keiner glaubt.«

»Jetzt sei net so verruckt! Heut machst die Sach auch nimmer anders. Und am hellichten Tag wird doch kein Lump umeinandsteigen. Geh, komm mit eini in d' Hütten zur Wabei! Mit der is ein lustiges Reden.«

»Ich dank schön! Zum lustigen Reden is für mich keine Zeit net.«

Fröbl zuckte die Achseln. »No ja, meinetwegen! Morgen in der Früh komm ich schon nauf, eh der Förster droben is. Vor neune, zehne kann er net da sein. Übernachten tu ich gleich da in der Grünseehütten.«

»Da wünsch ich dir ein guts Liegen. Aber gelt, gib fein acht! Weißt, der Wabi ihr Bankl könnt auch ein bißl z' rauh sein für d' Jagerhosen. Wär schad um die deinig, wenn du's verwetzen tätst. Sie schaut so schön schwarz her.«

Gaby lüftete den Hut und folgte dem Pfade, der vom Grünsee über die Wände emporführte bis zur Kuppe des Klunkerers.

Während er über die verwitterten Felsstufen hinaufklomm, begann er seine Müdigkeit wieder zu spüren. Eine finstere Verdrossenheit lag in seinem Blick. Die eben erlebte Szene hatte ihn wieder aufgerüttelt aus dem Taumel seines Glücks.

So schlimm also stand seine Sache schon! Man hatte seine Meldung nicht mehr abgewartet, er hatte eine Untersuchung zu gewärtigen, vielleicht war er selbst schon der Mitschuld verdächtig und Fröbl zu seiner Überwachung ausgesandt?

Gabys Ehrgefühl bäumte sich unter solchen Vermutungen. Und die Gedanken, die ihm daraus erwuchsen, wurden ihm zur doppelten Marter, nun, da er um seiner Liebe willen wünschen mußte, in seinem Berufe unantastbar dazustehen.

Als er den Gipfel des Berges erreicht hatte, setzte er sich auf einen Stein und neigte unter grübelndem Sinnen seine Stirn in die aufgestützten Hände.

Gaby war kein Frömmler, jedoch ein frommer Sohn seines Glaubens, jenes Bauernglaubens, der untrennbar verwachsen ist mit allem Aberglauben. Hundertmal hatte sich Gaby in den vergangenen Wochen schon gesagt, daß dieses unentdeckte, geheimnisvolle Treiben nur mit Hilfe unheiliger Dinge bestehen könnte. Und als er nun in seiner Qual so dasaß auf dem kalten Steine, schoß ihm wider Willen der Gedanke durch den Kopf, daß er es gern mit einem Stück seines Lebens bezahlen würde, wenn ihm der Böse beistehen möchte zur Entlarvung des tückischen Diebes. Freilich verdammte er gleich diesen sündhaften Gedanken. Aber empfunden hatte er ihn doch. Und etwas Dunkles blieb in ihm zurück.

Bitteren Unmut gegen sich selbst im Herzen, erhob er sich endlich und ging dem Tal der Feldalm zu.

Als er eine weit über den Berghang hinausspringende Platte betrat, sah er in der Tiefe den Fundensee liegen, rot leuchtend im Widerschein der sinkenden Sonne.

Auch Burgeis Hütte lag vor seinem Blick. Das Herz schlug ihm an die Rippen, als er das Fernrohr hob. Das Mädel mußte in der Hütte sein, denn dicker Rauch qualmte aus dem Schindeldach. Vor der Türe sah Gaby die kleine Herde versammelt: die sieben Kühe und die beiden Kalben. Die beiden! Da hatte also wohl das verirrte Stücklein von selbst wieder den Heimweg gefunden. Es war dem Jäger eine Wohltat, sein Mädel um diese Sorge ärmer zu wissen.

Hastig stieg er hinunter ins Tal. Vor der verlassenen Feldalmhütte blieb er stehen. Sein Herz zog ihn heimwärts, sein Pflichtgefühl widersetzte sich diesem heißen Wunsch. Er überschritt das Weideland und klomm über das Geröll des Stuhlgrabens hinauf bis zum Fuß eines wildzerrissenen, hart an der Landesgrenze liegenden Geschröffs, das den Namen »Schottmal« führt.

Hier war eine Stelle, von dichtem Latschengestrüpp verdeckt und von einem vorspringenden Felsblock überdacht. Gaby hatte hier schon manchen Morgen und Abend mit vergeblichem Passen verbracht.

Er zwängte sich durch die dichten Büsche, breitete den Wettermantel, den er im Rucksack getragen, über das zerlegene Moos und ließ sich nieder.

Stunde um Stunde verging.

Nichts rührte sich in der weiten Runde. Einmal nur hörte Gaby ein leichtes Steingeklapper. Er sah eine Gemsgeiß mit zwei Kitzen wegziehen über das Geröll.

Tiefer und tiefer sank die Dämmerung, und immer schärfer wehte der Abendwind, der mit seinem eintönigen Liede hinfuhr über das zackige Gestein.

Ein um das andere Mal waren dem Jäger bei regungslosem Lauschen schon die Lider zugefallen, und immer noch wehrte ihm die streng geübte Pflicht den Heimweg.

Schon wurde der Abend zur Nacht, schon brachen aus dem lichtverarmten Blau die flimmernden Sterne. Und immer noch weilte Gaby. Gegen den Fels gelehnt, lag er in tiefem Schlummer, der wider den Willen des Jägers zu seinem Rechte gekommen war.

Ein Lächeln umspielte Gabys Mund.

Lautlos schwanden die Stunden der Nacht. Im Osten erglänzte der erste Schein, der die Sterne erblassen ließ und sich bald zu leuchtendem Rot verwandelte.

Da fuhr der Jäger plötzlich auf. Es war ihm, als klänge in seinen Ohren der rollende Nachhall eines nahen Schusses. Er blickte verstört umher. Ein Blick auf den Himmel ließ ihn erkennen, daß er den Heimweg verschlafen hatte.

Doch was hatte beim Erwachen in seinen Ohren geklungen? War das ein Traum gewesen?

Zitternd vor Frost und Erregung lauschte er hinaus in die nebeldurchflatterte Morgenluft.

Nun schwirrte durch die tiefe Stille ein Laut, kaum vernehmlich, nur dem scharfen Ohr eines Jägers erfaßbar. Und mit funkelnden Augen spähte Gaby hinauf zur Grathöhe des Stuhljoches.

Scharf abgezeichnet am blassen Himmel sah er den dunklen Leib einer mühsam flüchtenden Gemse. Nun tauchte hinter dem Wild eine Mannsgestalt über den Grat. Und jetzt verschwanden die beiden in dem grauen, schattendurchwirkten Ton des steilen Felsenhanges.

Gaby streckte sich. »Wart, Lump! Jetzt ghörst mein!«

Ja! Der da droben war ihm sicher. Hier gab es kein Entrinnen mehr. Von jener Höhe führte nur ein einziger Steig ins Tal – jener Steig, über den der Jäger am verwichenen Morgen herunterstürmte. Und Gaby mußte diesen Steig jetzt erreichen, bevor jener andere dort oben an die Rückkehr denken konnte.

Mit zitternden Händen riß Gaby die Schuhe von den Füßen und verwahrte sie im Rucksack. Bergstock und Wettermantel ließ er in seinem Versteck zurück. Zwei Patronen schob er, um sie rasch bei der Hand zu haben, in die Westentasche. Und nun eilte er lautlos über das Geröll, ohne zu fühlen, daß ihm die spitzen Steine die nackten Sohlen blutig rissen.

Als er den Anstieg des schmalen, steilen Pfades erreichte, hielt er kurze Rast, um seinen Atem in ruhigen Gang zu bringen. Dann faßte er die Büchse mit festem Griff, spannte die Hähne und stieg der Höhe zu, langsam, jedes lockeren Steines achtend, mit entschlossenem Blick vorausspähend über den Weg.

Schon war er der Stelle nah, an der die Felsen sich verflachen, während der Steig hinweglenkt von den steil abfallenden Wänden der Pflaumscharte.

Doppelt sein Ohr und Auge schärfend, verließ er den Pfad und strebte gebückten Leibes zwei mächtigen Steinblöcken zu, in deren schmalem Zwischenraum er günstige Deckung zu finden glaubte.

Er hatte die Steine erreicht und wollte schon in die Spalte treten, als er hinter den Blöcken ein klirrendes Geräusch vernahm.

Jäh schoß ihm das Blut im Herzen zusammen, und ein kurzes Zittern fuhr durch seine Hände. Doch diese Erregung währte nur ein paar Sekunden. Jeder Nerv an ihm war wieder entschlossene Ruhe, als er lautlos den hohen Fels umschlich.

Vor seinem Blick weitete sich ein sanft geneigter, von gelblichem Berggras und schütteren Latschen bewachsener Hang. Zwischen diesen mageren Büschen sah Gaby einen Menschen knien, der dem Jäger den Rücken kehrte und die geraubte Gemse in den Tragriemen einzuschnüren begann.

Das war nicht jener Schafhirt vom Steinernen Meer. Den hätte Gaby auf den ersten Blick erkannt. Außer Schuhen, Halbstrümpfen und kurzer Lederhose trug der Wilddieb nur ein graues, blusenartiges Hemd. Ein dickes schwarzes Tuch war um den Kopf geschlungen. Braun war der freie Nacken, weiß aber waren die Knie, als hätten sie die Sonne nie gesehen.

Gaby, jeden Busch als Deckung nutzend, huschte lautlos über den Hang.

Nun stand er hinter dem Diebe. »Lump!« Die Büchse in der Rechten haltend, schlug er die Linke mit eisernem Griff in die Schulter des Knienden. Und da fühlte er nicht die Knochen eines Mannes, sondern lindes, üppiges Fleisch.

Mit gellendem Schrei fuhr die Gestalt vor ihm so rasch in die Höhe, daß unter dem jähen Ruck das graue Hemd zerriß.

Zurücktaumelnd, mit gurgelndem Laut, starrte Gaby entgeistert auf eine halbentblößte Mädchenbrust und in das bleiche Gesicht der Geliebten.

Regungslos standen sich die beiden eine stumme Weile gegenüber.

»Burgei? Du!«

Ein Schauer rüttelte die Gestalt der Dirn. Mit zitternden Händen raffte sie die Falten des zerrissenen Hemdes über die Brust. Ihr Mund verzerrte sich unter einem erzwungenen Lächeln.

Gaby stand mit klaffenden Lippen und fuhr immer wieder mit dem Arm über die nasse, kalkige Stirn. Nun streckte er sich und wies nach einem niederen Stein: »Da! Hock dich nieder derweil!«

Schweigend gehorchte die Dirn. Und wortlos kauerte sie auf den Stein. Mit scheuem Blick verfolgte sie jede Bewegung des Jägers, als er den kurzläufigen Stutzen, der neben der Gemse lag, mit dem Fuß unter die dichten Zweige eines Latschenbusches schleuderte und sich niederkniete, um die Gemse tragfertig zu schnüren. Burgei sah, wie er die eigene Büchse zu Boden legte. Und als er mit den Händen die Riemen faßte, sprang sie auf und flüchtete dem Steige zu.

»Burgei!«

Drohend klang dieser Ruf. Die Dirn wandte das Gesicht. Und blieb stehen, als sie an Gabys Wange die Büchse sah. Wankend kehrte sie zurück. Und Gaby ließ die Waffe erst sinken, als Burgei wieder auf dem Steine saß.

Nun sagte sie, halb in Zorn und halb in Furcht: »Und du willst mir einreden, daß d' mich gern hast!«

Der Jäger schwieg. Seine Lippen waren so schmal geworden, daß sie die Zähne gar nicht mehr zu decken vermochten. Die Augen lagen eingesunken in den Höhlen. Dieses wächserne Gesicht glich einem Toten, dem liebevolle Hände die Lider noch nicht geschlossen.

Die Kraft des Jägers schien gebrochen. Es gelang ihm schwer, die Gemse auf den Rücken zu heben. Dann faßten seine Hände die gespannte Büchse. »Ich denk mir, daß dein anders Gwand in der Näh wo versteckt is. Weil du's gestern so gschwind bei der Hand ghabt hast. Mach weiter! Und such's! Denn so kann ich dich net nunterführen.«

Burgei erhob sich und stammelte: »Gaby? Na! Du willst mich bloß erschrecken! Gelt? Ich kann's net glauben, daß . . .« Die Angst würgte an ihrer Kehle.

»Was denn sonst? Da gibt's kein zweiten Weg. Ich führ dich, wo ich jeden andern hingführt hätt! Und jetzt kein Wörtl nimmer! Mach weiter!«

Der Klang seiner Stimme zerdrückte ihr jede Widerrede. Wortlos ging sie dem Steige zu.

Mit schweren Tritten folgte der Jäger. In seinem Gesicht zuckte kein Nerv, und wie angeschmiedet lag ihm die Büchse zwischen den Händen.

Als sich der Weg zu gefahrvollem Pfad verengte, wurde Burgeis Gang unsicher und langsam. Bei einem Blick in die gähnende Tiefe vom Schwindel befallen, hielt sie das Gesicht gegen die Felsen gedreht und tastete sich mit zitternden Händen an den Steinen entlang. »Ich kann nimmer, Gaby!« Sie ließ sich niedersinken auf eine Felsstufe, über der sich eine nischenförmige Wölbung in die Steinwand senkte.

Schwer atmend verhielt der Jäger den Schritt und lehnte sich rastend an den Fels.

Scheu streifte Burgei sein totes Gesicht. Dann stierte sie eine Weile vor sich nieder, bis sie plötzlich, in Weinen ausbrechend, die Augen in die Hände preßte. »Du bist schuld, Gaby! Du! Verführt hast mich! Tag für Tag, ohne daß ich dich gerufen hätt, bist kommen und hast mir fürgredt, wie's nix Schönres gäb in der Welt, als so droben sein, wann d' Stern verblassen und der Tag kommt. Hundertmal hast mir gsagt, wie ei'm 's Herz auffischlagt bis in' Hals, wann der Gamsbock hersaust übers Gschröf. Ein wilds Blut hab ich ghabt, seit ich leb. Deine Reden haben's geweckt. Da hat kein Wehren gholfen. Ich hab's probieren müssen! Es is mir glückt aufs erstemal. Und da hat's mich ghalten wie mit eiserne Faust. Und naus hat's mich trieben. Allweil wieder.«

»So?« Die Stimme des Jägers war ohne Klang. »Wann jeder alles ausführen möcht, wozu 's ihn treibt im Schlechten, da tät's bald traurig ausschaun in der Welt. Und schau, bloß ein Wörtl hättst mir sagen brauchen, und ich hätt dich mitgnommen in der Fruh, so oft's dich gfreut hätt. Aber freilich, das wär nachher net gstohlen gwesen und net betrogen!«

»Ich hab mir net z' reden traut. Aber wann ich gwußt hätt, was ich weiß seit gestern . . .«

»Geh! Hast dich doch vor mir net gforchten?« Ein bitteres Lächeln. »Hast doch sonst um alles fragen können, was d' wissen hast müssen, damit du's so hast treiben können die ganze Zeit her! Daß ich dir alles sagen muß . . . das hast net erst gestern erfahren.«

»Na, Gaby!« Burgei suchte scheu die Augen des Jägers. »Aber seit gestern weiß ich's halt auch von mir!«

Gaby sah ihr schweigend ins Gesicht. Dann sagte er langsam: »Burgei! Unser Herrgott soll dich net strafen. Aber mit die Lugen hör auf! In dir soll sich was rühren für mich? Und mein Vertrauen hast gnutzt und hast mir d' Ehr bschandelt, daß mich 's Forstamt für ein Lumpen halt', den man heimlich überwachen muß! Und allweil hast zugschaut, wie ich die ganze Zeit umeinand grennt bin, halb verruckt vor Sorg und Elend. Und gestern hast mir mit deim Judaskuß den Verstand eingewickelt . . .«

»Gaby! So kannst reden . . .«

»Ja, so kann ich reden! Und wenn's mich umbringt! Meinst leicht, ich weiß net, was d' willst? Aber na, Burgei! Da gibt's kein Ausweg nimmer. Für dich net und net für mich. D' Lieb ist verspielt. Jetzt will ich d' Ehr wieder haben.«

»Die sollst haben!« fiel Burgei mit jagendem Geflüster ein. »Und beweisen will ich dir, daß ich häng an dir wie d' Rind am Baum. Der Hüter vom Steinernen Meer . . . der is an allem schuld! Der hat mir 's Gewehr verschafft, und wann ich was gschossen hab, hat er's vertragen. Jetzt paßt er schon wieder drunt in meiner Hütten. Ich will dir sein Weg verraten, und wann er 's Gams am Buckel hat, packst ihn und führst ihn nunter statt meiner. Und kommst zu mir, und alles ist gut! Denn der verrat mich net!«

»Weil er sich für sein Schweigen den gleichen Dank erhofft, den d' mir versprichst? Burgei! Jetzt erst kenn ich dich ganz! Und wenn ich schon mein', ich müßt dir d' Schand ersparen, die dir heut zusteht . . . aber eh ich zu so einer Schlechtigkeit d' Hand bieten möcht, eher springet ich lieber mit gleiche Füß da nunter über d' Wand!«

Erblassend spähte die Dirn mit funkelnden Augen in die gähnende Tiefe.

»Was aber möcht's dir helfen?« sprach der Jäger mit erwürgter Stimme weiter. »Da hättst zu allem andern noch mein Leben am Gwissen. Für nix! Heut kommt der Förster rauf, und drunt am Grünsee ist der Fröbl, der gwiß schon lang wo rumsucht in der Näh, weil er dein Schuß hat hören müssen. Und die zwei, Burgei, die haben offene Augen. Die zwei sind net verliebt! Es gibt kein andern Weg. Da heißt's halt tragen, was dir aufgladen hast. Dir und mir. So komm jetzt! Mach weiter!«

Bevor er das letzte Wort gesprochen hatte, lag Burgei vor ihm auf den Knien und krampfte die Hände in seine Hüften. »Gaby! Ich bitte dich um alles in der Welt! Tu mir so was net an: daß am Weg ins Zuchthaus d' Leut herlaufen sollen hinter meiner mit Spott und Glachter . . .«

»Und was meinst denn, wie's mir is, daß grad ich dich führen soll auf so eim Weg!« Von Gabys irrenden Augen rollten zwei dicke Tropfen über das kalkweiße Gesicht. »Wenn ich hundert Jahr noch leb . . . ich bin ein gstorbener Mensch vom heutigen Tag an.«

»Siehst es, Gaby, deim Herzen kannst net wehren! Und was ich dir allweil gwesen bin, das bin ich dir jetzt noch grad so gut! Und ich will dir's vergelten, Gaby, mit Leib und Seel . . .«

»Laß gut sein, Burgei! Ja, hast recht, ich kann meiner Lieb net wehren. Traurig gnug für mich! Aber zum Lumpen soll s' mich net machen. Auf mein Dienst bin ich eingschworen. Und geht mir auch d' Lieb schon übers Leben, so geht mir doch über d' Lieb mein Schwur!«

»So halt dem Teufel dein Schwur!« Die Büchse des Jägers beiseite schlagend, stieß Burgei dem Ahnungslosen mit wilder Gewalt die Fäuste gegen die Brust.

Wankend taumelte Gaby. Während er mit schlagenden Armen das Gleichgewicht zu halten suchte, schwirrte schon die Büchse der Tiefe zu, und unter der Wucht des Aufpralls entlud sie ihre beiden Läufe. Gaby stürzte. Er fing sich im Sturz mit beiden Händen noch an dem zackigen Bord des Pfades. Da stieß ihm die Dirn, wie vom rasenden Wahnsinn befallen, den schwergenagelten Schuh auf die eingekrampften Finger. »Burgei!« Die starrblickenden Augen ins Leere gerichtet, öffnete Gaby die blutenden Hände und verschwand in der Tiefe. Seinen letzten Schrei erstickte das Geprassel der mitstürzenden Steine. Ein dumpfes Sausen und Brummen. Ein dröhnender Aufschlag. Und nun war's wieder still da drunten.

Mit dem Rücken an die Felswand gelehnt, die Arme mit den gespreizten Fingern weit ausgespannt, so stand die Dirn und stierte hinunter in das stumme Dunkel der Schlucht.

Nun hob sie den Kopf, und während ihr die Augen aus den Höhlen quollen, sog sie röchelnd die kühle Morgenluft zwischen die Zähne.

Ein Zittern überlief ihren Leib. Die zuckenden Hände einkrallend in das verwitterte Gestein, wandte sie das Gesicht bald zur Rechten, bald zur Linken, mit irren Blicken ausspähend über den öden Pfad.

Da löste sich unter ihren Händen ein Stück des Gesteins und klirrte auf den Grund des Steiges. Heftig schrak sie zusammen. Ein gellender Schrei. Und in sinnlosem Laufe stürmte sie über den steilen Pfad dem Tal entgegen.

Immer wieder wandte sie den glasigen Blick – und jeder Stein, jeder Schatten, jeder Rasen und jeder Zweig erschien ihr wie ein bleiches Gesicht mit nassen Augen. Jedes Geräusch, das sie vernahm, das Rollen und Fallen der Steine, das Klappen der eigenen flüchtenden Tritte, alles klang in ihrem Ohr wie ein klagender Ruf.

Schon hatte sie den Stuhljochgraben erreicht. Ihre Kraft drohte zu versiegen. Aber Angst und Entsetzen trieb sie weiter, hinunter über das rasselnde Geröll und quer über das Weideland, der Feldalmhütte entgegen. Mit zitternden Fäusten drückte sie die morsche Tür aus den Fugen und verschwand in dem dunklen Raum.

Als sie nach kurzer Weile wieder aus der Hütte trat, zitternd, mit martervollem Blick die stille Runde durchirrend, trug sie wieder die lichten Zöpfe und das Senngewand, den roten Rock und das weiße Leinenhemd. Die braunen Füße waren nackt.

Wankend schlich sie dem See entgegen. Immer verhielt sie den Schritt und preßte die Fäuste an die Schläfe. Immer wieder schloß sie die Augen. Was half es ihr? Auch in diesem Dunkel sah sie das bleiche Gesicht mit den traurigen Augen. Und was zu ihr aus diesen Augen sprach, das war nicht Zorn und Verdammung, nur Liebe!

Und plötzlich wandte sie sich – und griff ins Leere – und begann zu rennen, daß ihr der Atem verging.

Als sie den Stuhljochgraben erreichte und sich keuchend emporarbeitete über das Geröll, war ein Gefühl in ihr erwacht, unter dem ihr das Entsetzen über ihre Tat zu würgender Marter wurde: die Hoffnung, noch zu helfen und zu retten – jenen zu retten, den sie hatte morden müssen, um zu erkennen, daß sie ihn liebte.

Jeder Gedanke sagte ihr, daß es aus solcher Tiefe keine Rettung gab. Und dennoch hoffte sie.

Mit blutenden Füßen erreichte sie die Höhe des Grabens und kletterte zwischen den Wänden über die klüftigen Steine hinunter in das dämmerige Dunkel des tiefer und tiefer sich senkenden Schluchtengrundes.

Nun mußte die Stelle kommen, nun bald – und da war sie jetzt!

Ein zerdrücktes Stöhnen rang sich aus der Kehle des zitternden Weibes. Schaudernd drückte sie den Kopf in den Nacken und schlug die Hände vor das Gesicht.

Was da zu ihren Füßen lag, das war keine menschliche Gestalt mehr, nur ein graues Wirrsal zerfetzter Kleider und zerrissener Glieder, halb begraben unter Schutt und Steingeröll.

»Jesus im Himmel! Was bin ich für eine!«

Da klangen Schritte. Über das Gezack der Felsen tauchte Fröbls stämmige Gestalt herauf.

»Mar' und Josef!« schrie der Jäger in Entsetzen.

Aufkreischend hatte Burgei die Arme fallen lassen. Und nun begann sie ein wirres Murmeln und Stammeln. Rückwärts taumelnd, wandte sie sich der Höhe zu. Und mit beiden Händen die Ohren deckend, kletterte sie bergan unter wimmerndem Geschrei, dessen Sinn den entsetzten Jäger zwang, die Flüchtige zu verfolgen.

Eine wilde Jagd begann: empor über die steile Scharte zur Höhe des Stuhljochgrabens und durch den Graben hinunter ins Almtal. Auf den Steinen bezeichnete eine rote Fährte den Weg der Fliehenden. Ihre Zöpfe lösten sich, und gleich einem weißen wehenden Mantel flatterte hinter ihr das offene Haar.

Die Verzweiflung gab ihr neue, doppelte Kräfte. So dehnte sich mehr und mehr der Raum zwischen ihr und dem Jäger. Schon hatte sie den See erreicht und gewann das Felsentor der Teufelsmühle, als Fröbl, niederkeuchend über den letzten Grashang, am oberen Ende des Sees den Förster gewahrte, der dem Jägerhaus entgegenwanderte. Rasch entschlossen schoß der Jäger seine Büchse ab und schrie mit kreischender Stimme über den See hinüber: »Förster! Förster! Halten S' das Weibsbild auf!«

Unter der Tür von Burgeis Hütte war beim Hall des Schusses ein bärtiger Mensch erschienen. Der flüchtete mit jagenden Sprüngen der nahen Grenze entgegen, während die zwei Jäger das rennende Weib einzuschließen suchten auf jenem schmalen Ufersteig, der eingekeilt liegt zwischen glatten Wänden und bodenlosem Gewässer.

Inmitten dieses Pfades hielt Burgei wankend inne. Von beiden Seiten sah sie die Verfolger kommen. Sie hörte jedes Wort, das Fröbl dem Förster zuschrie. Näher und näher kamen die Jäger. Schon streckte der eine die Fäuste, um das Weib zu fassen. Da sprang sie keuchend über das Ufer hinaus und verschwand im aufspritzenden Wasser.

Triefend tauchte sie wieder auf und versuchte mit schlagenden Armen gegen das andere Ufer zu schwimmen. Doch wie mit eisigen Klammern faßte die Strömung des Grundes ihre Füße. Verzweifelt widerstrebte Burgei der dunklen Gewalt, die sie dem schäumenden Strudel der Teufelsmühle näher zog. Die Schwimmende versank. Und wieder kam sie herauf. Ein gellender Schrei:»Gaby, Gaby!« Noch ein letztes Mal hob Burgei die Arme aus dem Gewirbel des Wassers. Dann tauchte sie lautlos hinunter in den kreisenden Schlund, während ihr Haar für eine flüchtige Weile noch gleich weißem Moosgeschling die Wände des gurgelnden Trichters umspielte.

Auf dem Pfade standen mit erblaßten Gesichtern die beiden Jäger.

Unter ihren Füßen verstummte plötzlich jenes dumpfe Rollen und Tönen. Unheimliche Stille herrschte durch wenige Sekunden. Dann begann der Grund aufs neue sein Schwanken und Schüttern, aufs neue erhob sich im Innern der Erde das grollende Brummen und Brausen.

Das gestörte Werk der Mühle ging wieder den alten Gang.


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