Ludwig Ganghofer
Der Besondere
Ludwig Ganghofer

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4

Als Martl am frühen Morgen aus unruhigem Schlaf erwachte, horchte er verwundert auf. Lautlose Stille, die richtige Sonntagsruhe herrschte rings um Haus und Hof. Und an dem dünnen, bläulichen Nebel, der vor dem Fenster lag, sah Martl gleich, daß es einen prächtigen Tag geben würde. Der tobende Südwind hatte sich seit Mitternacht die Sache überlegt und hatte eingesehen, daß er noch ein halb Jährlein warten müsse, um sein frühlingsschaffendes Werk zu beginnen.

Halb angekleidet, in Hemdsärmeln und Pantoffeln, trat Martl vor die Haustür hinaus und atmete in tiefen Zügen die frische Luft des Morgens ein. Der dünne Nebel begann sich schon zu verziehen, und durch den grauen Schleier schimmerte bereits der blaue Himmel. Noch ein kleines Weilchen, und rings in weiter Runde lagen alle Bergspitzen frei, deren schneebedeckte Gehänge im Glanz der steigenden Sonne sich ansahen wie gleißende, aus purem Silber getriebene Flächen. Über ihnen die blauen Lüfte, unter ihnen die braunen Almenfelder und der schwarzgrüne Fichtenwald, in den sich die goldgelben Pyramiden der absterbenden Lärchen und die dunkelroten, kugligen Wipfel der welkenden Ahornbäume mischten.

Martl fühlte den Reiz dieses morgenschönen Bildes, aber während er emporblickte zu jenen verfrühten Schneemassen, tauchte auch gleich die richtige Bauernsorge in ihm auf. Ein paar warme Tage jetzt, und es könnte da droben recht böse Dinge absetzen. Der Schnee hatte noch keine Festigkeit, er lag auf einem ungefrorenen Grunde, und wenn nun die Sonne ihr Schmelzen begann, wenn das Sickerwasser zwischen Schnee und Erde seine zahllos verästelten Kanälchen und Rinnen grub und unter der weißen Decke die Felsplatten und Rasenflächen schlüpfrig machte, waren Lawinen unausbleiblich. Dann waren so manch ein schöner Waldspitz und manche Sennhütte bedroht, da auf den tieferen Gehängen der Schnee schon wieder abgeschmolzen war, der, träg und massig liegend wie im Frühjahr, die Wucht der von oben abrutschenden Schneemengen gedämpft und gebrochen hätte.

Während Martl vor der Haustür stand und unter solchen Gedanken prüfenden Blickes emporschaute zu den beschneiten Kuppen, näherte sich ihm der Knecht, der in der verwichenen Nacht dem Holzersepp das Betreten der Stube hatte verwehren wollen.

»Guten Morgen, Bauer! Mir scheint, er gfallt dir net, der Schnee da droben?«

Da redeten sie nun eine Weile hin und her über das ›gspaßige‹ Wetter, und Martl sagte, daß er gleich am nächsten Tage zu Berg steigen wolle, um droben in seinem Wald und auf seiner Alm nach dem Rechten zu sehen. Dann plötzlich fragte er: »Is der Sepp schon davon?«

»Gott bewahr! Aber er zieht sich schon an für'n Kirchgang.«

»So sag ihm, daß er zu mir noch in d' Stuben kommen soll, vor er fortgeht.«

Der Knecht lachte. »Ja, das werd ich ihm schon sagen müssen. Denn von ihm selber glaub ich schwerlich, daß er sich eini traut zu dir. Heut in der Früh, wie er nüchtern aufgwacht is aus'm Schlaf, hat er ein damischen Kopf hingmacht. Und mich hat er gfragt, ob er auch gwiß mit dir so grob gwesen is, wie er sich halb und halb noch drauf bsinnen hat können. Er is schon völlig gfaßt, daß er von dir sein Dienst aufgsagt kriegt.«

Martl schwieg. Als hätte er die Worte des Knechtes ganz überhört, so blickte er dem Nebel nach, der langsam noch in einzelnen zerrissenen Streifen durch die Obstbäume des Gartens zog. Dann nickte Martl vor sich hin, wandte sich ab und verschwand im Hause.

»No, Sepp, du gfreu dich!« lachte der Knecht, während er die Fäuste in die Hosentaschen versenkte und den Kopf zwischen die Schultern duckte. Mit klappernden Holzschuhen stapfte er über einen gepflasterten Weg quer durch den Hof dem Gesindehause zu. Hier unter der Tür traf er mit Sepp zusammen. Der Bursche hatte sich schmuck für den Kirchgang herausgeputzt. Er trug ein rundes, grünes Hütchen, nach Jägerart mit einem Auerhahnstoß geziert, eine neue Joppe mit grünen Aufschlägen und großen Hirschhornknöpfen, grauweiße, dicke Strümpfe und eine kurze, tadellos schwarze Lederhose, der an den Säumen kleine Eichenlaubgirlanden mit grüner Seide eingestickt waren. Wie er so dastand, in seiner halb nachlässigen, halb trotzigen Haltung, mit den blitzenden Augen in dem hübschen Gesicht, zwischen den leicht geöffneten Lippen die weißen Zähne zeigend, bot er ein prächtiges Bild, das einem Mädchenauge wohl gefallen mußte.

»No also, du«, kicherte der Knecht, mit den Augen zwinkernd, »der Bauer hat schon gfragt nach dir! Sollst zu ihm in d' Stuben kommen!«

»Geh? Pressiert's ihm denn gar so, daß er den Herrn an mir zeigen kann? Meinetwegen! Mehr als aufsagen kann er mir net! Und warme Platzln gibts überall.«

»Wer weiß, ob du bald wieder eins findst, wo so gut sitzen is . . . weißt, droben im Wald, so schön . . . ja . . . und so kommode Sennhütten umeinander.«

Der Bursche hob den Kopf und machte die Augen klein. Er schien den leise spottenden Ton des Knechtes wohl vermerkt und auch den dunklen Sinn dieser Worte gut verstanden zu haben. Dennoch fragte er durch die Zähne: »Was willst sagen?«

»Ich? Nix! Gar nix! So gmeint hab ich halt . . .«

»Ein andermal bhalt's für dich, was d' meinst! Gelt? Aber daß net glaubst . . . weißt, so einer bin ich schon, der sich's richten kann, wie's ihm taugt. Das heißt . . .« Und da lachte der Sepp. »Wenn er mir kündigt jetzt, kommt's mir dengerst unglegen. Aber aus eim andern Grund, als du dir denken magst!«

»Geh! Da wär ich aber schon neugierig!«

»No, wer weiß, es könnt ja leicht was geben, was ganz Bsonders, was mich in der Gegend halt.«

»Jetzt da schau!« stichelte der Knecht. »Und ich hab gmeint, was dich ghalten hat, hätt sich seit acht Tag verzogen . . . woanders hin?«

Sepp riß die Augen auf und zeigte ein höchst erstauntes Gesicht. Aber er schmunzelte, während er fragte: »Was? Wieso?«

»Verstehst mich net? So sag mir's, geh, was dich nacher jetzt schon wieder halt?«

»Is ja der Winter bald wieder da«, lachte Sepp und wiegte sich in den Knien, »da geht's an ein lustigs Wildbretjagen.«Mit dem Ausdruck ›Wildbret‹ bezeichnen die Gebirgsjäger ausschließlich das weibliche Hochwild. Mitte Oktober schließt die Schußzeit für Hirsche, und wenn dann die kommenden Monate starken Schneefall bringen, der das Hochwild in die Talwälder und auf die Felder treibt, beginnen die Riegeljagden auf das zum Abschuß bestimmte Kahlwild, auf das ›Wildbret‹. In scherzhaftem Sinne wird von Jägern und Burschen dieser Ausdruck auf die schönere Hälfte der gut ausgewachsenen Dorfjugend übertragen. Ein hübsches, zutunliches Mädchen heißt ein ›gschmachigs Stückl Wildbret‹, und wenn der Winter die Mädchen in die vier Mauern bannt, dann gibt es in den Stunden des abendlichen Heimgartens, in den Kunkelstuben und am stillen Fensterlein, ein ›lustiges Wildbretjagen‹.

»So, du Loder, hast schon wieder ein Stückl im Wind?«

»Kann schon sein!« schmunzelte Sepp, und mit der Zunge schnalzend, schob er den Knecht beiseite und trat in den Hof hinaus.

Lachend blickte der andere ihm nach und musterte dabei den geschmückten Hut des Burschen. »Du, gelt«, rief er ihm nach, »gib fein Obacht, daß dir kein Jäger übern Weg steigt. Leicht könnt er dich fragen, wo deine schönen Federln gfunden hast!«

»Soll nur fragen! Ich werd ihm 's Fragen schon verleiden!« prahlte Sepp über die Schulter zurück. Dann schob er sein Hütchen übers linke Ohr und trollte pfeifend dem Wohnhaus zu. Eine pausbäckige Magd begegnete ihm, und so eilig sie auch an ihm vorüberschoß, Sepp fand immer noch Zeit, sie mit einem ersichtlich geübten Griff in die Wange zu kneifen. Drinnen im Hausflur blieb er eine Weile stehen und zwirbelte an den Schnurrbartspitzen. Nun öffnete er mit unsicherem Lächeln die Tür. Die Stube war leer; aber aus der anstoßenden Kammer klang die Stimme des jungen Bauern: »Wer is da?«

»Ich bin's, der Sepp. Wie ich ghört hab, hast mich herbstellt.«

»Gleich komm ich. Setz dich nur nieder derweil!«

An der Ecke des Tisches ließ sich Sepp auf die in die Mauer eingelassene Holzbank nieder, legte den Hut neben sich und streckte die Beine.

Jetzt trat der junge Bauer aus der Kammer. Er war noch in Hemdsärmeln; doch trug er schon die geblümte Sonntagsweste und schien soeben die schwarzseidene Halsbinde um den steifen, knittrig umgelegten Hemdkragen geknüpft zu haben. Sein Gesicht war ein wenig bleich, aber es war nur ein geschäftsmäßiger Ernst, der aus seinen Mienen sprach. Er nickte zum Gruß nur leicht mit dem Kopfe. Sepp rührte sich nicht und guckte blinzelnd dem jungen Bauer nach, der auf den Wandschrank zuging und einer Lade ein kleines, strotzendes Säcklein entnahm. Als Martl das Säcklein auf die Tischplatte setzte, klangen die Münzen, die es enthielt. Bedachtsam nestelte er den Knoten auf, wickelte die Schnur ab, mit der das Säcklein gebunden war, stülpte den Rand des Tuches um, griff hinein und zählte eine Doppelreihe von Zweimarkstücken auf den Tisch.

»So, Sepp, da hast dein Wochengeld.«

Der Bursche zählte mit den Augen und machte ein verdutztes Gesicht. »Aber, Bauer, mir scheint, du hast dich verrechnet. Is ja z'viel um zehn Mark!«

»Das ghört dafür, weil dich gestern so brav am See drunten ghalten hast«, sagte Martl, während er das sorgfältig zugebundene Säcklein wieder in den Wandschrank versperrte. »Wenn d' Leut davon reden, wird's ja überall heißen: Der, wo das arme Büberl aus'm See aussigholt hat, is einer vom Bründlhof. Und so eine Ehr, mein' ich, müßt sich beim Bauern auszahlen.«

»Jetzt is gut!« platzte der Bursche los. »Und ich hab schon gmeint . . .« Aber was er gemeint hatte, verschluckte er. »No also, so sag ich halt Vergeltsgott tausendmal!« Und mit verlegenem Lächeln strich er das aufgezählte Geld in seine Tasche.

Die Faust auf die Platte stützend, stand Martl neben dem Tisch und sah dem Burschen zu. Dann fragte er: »Wie schaut's denn droben aus?«

»So weit gut. Der Holzmeister wird sich heut schon anschauen lassen bei dir zum Rapport. Ich mein' dengerst, daß der ganze Windwurf aufgeräumt is, bis der Schnee wieder kommt. Wir arbeiten aber auch drauflos wie die Wilden. Morgen in aller Früh bin ich schon wieder droben.«

»Is gut! Und somit bhüt dich Gott für heut!«

»Bhüt dich, Bauer, und Vergeltsgott noch einmal!« schmunzelte Sepp, griff nach seinem Hut und ging der Tür zu.

Da rief ihm Martl nach: »Aber gelt, wann du heut am Abend wieder im Wirtshaus bist, so halt dich ein bißl zruck!«

»No mein, wie's halt geht!« lachte Sepp und griff nach der Klinke.

Martl runzelte die Brauen, als er vorgeneigten Kopfes die Gestalt des Burschen überflog, der durch die geöffnete Tür hinaustrat in den Flur.

»Ich muß ihm's lassen: Bildsauber is er!« murmelte der junge Bauer, als die Tür sich geschlossen hatte. »So einer freilich, so einer sticht in d' Augen!«

Draußen im Hausflur aber duckte sich Sepp unter mühsam verhaltenem Lachen. Das war aber auch eine gar zu dicke Überraschung für ihn gewesen! Schelte und Kündigung hatte er erwartet, als er gekommen war, und mit klingender Tasche, belobt und belohnt, ging er nun davon. Das gab jetzt einen lustigen Sonntag ab! Da konnte er ja wieder ein Wörtlein mit jenen reden, die ihn gestern beim Seewirt drunten im Kartenspiel bis auf den letzten Knopf geplündert hatten. Das Hütlein unternehmungslustig übers linke Ohr drückend, trat er in den Hof hinaus, über dem nun schon die helle, gleißende Sonne lag. Lustig pfeifend schritt er dem Hoftor zu; doch als er durch die Obstbäume des Gartens hinüberspähte nach dem Zaun, der zwischen der Pfroint und dem Bründlhof die Grenze zog, sah er ein blaues Tuch durch Hecke und Staketen leuchten. »Heut hab ich aber ein guten Tag!« schmunzelte er, drehte den Schnurrbart und schritt durch das feuchte, welke Gras dem Zaun entgegen. Lautlos bog er die Heckenzweige auseinander, legte sich mit beiden Armen über die Staketen und schaute lachend dem Mädel zu, das in dem kleinen Blumengarten zwischen dem Grenzzaun und dem Pfrointnerhause suchend hin und her ging.

Auch Zäzil war schon im Sonntagsstaate. Über dem dunkelbraunen, eng gefältelten Rocke trug sie eine lichtblaue, violett schillernde Seidenschürze. Ein knapp sitzendes schwarzes Mieder, zwischen dessen silbernen Haken die dünnen Kettlein glitzerten, umschloß die junge Brust. Um ihre Schultern schmiegte sich, zierlich gerafft, das blauseidene, reich geblümte Fürstecktuch, dessen lange haarfeine Fransen bei jedem Schritte schwankten und schillerten. Frei hob sich der hübsche Kopf mit dem schlanken Hals aus den blauen Falten, und unter dem schimmernden Glanz, den die Sonne um die losen Härchen wob, sah das Geflecht der rotbraunen Zöpfe sich an wie ein Krönlein aus leuchtendem Golde.

Zäzil hatte den Burschen längst bemerkt. War doch, als er die Heckenzweige auseinandergebogen hatte, ein brennendes Rot über ihre Wangen geflogen. Dennoch verriet sie mit keiner Miene, daß sie sein Kommen bemerkt hatte. Mit wichtig ernstem Gesicht musterte sie die Blumenstöcke und pflückte ab und zu eine Blüte, welche die rauhe Nässe der letzten Tage und die Gewalt des Sturmes glücklich überdauert hatte. Und Sepp stand regungslos über den Zaun gelehnt, lächelnd, mit den Augen jede Bewegung des Mädchens verfolgend. Dazu leuchtete über den beiden die warme Sonne aus klarem Himmel nieder, ringsum an allen Bäumen und Büschen glühte das welke Laub in seinen roten und gelben Farben, silbern schimmernde Fäden schwammen in der mit Glanz getränkten Morgenluft, auf den Dächern gurrten die Tauben, aus den Hecken klang das leise Gezwitscher der kleinen Meisen, und bald hier, bald dort ertönte das lockende Schnalzen der von Wipfel zu Wipfel sich schwingenden Amseln.

Endlich brach der Bursche das Schweigen. Er rückte den Hut. »Guten Morgen, Kameradin!«

Zäzil blickte auf und heuchelte ein klein wenig Überraschung. »Ah, du bist da! Grüß dich Gott! Hab dich gar net kommen hören!«

»Heut macht's aber ein schönen Tag! Das hätt sich gestern auch kein Mensch net denkt! Aber sag, wie hast denn gschlafen auf unser Wasserfahrt von gestern?«

Sie lachte. »Auf so eine Plag nauf kann eim der Schlaf net fehlen!«

»Geh! Und träumt hast gar nix?«

»Träumt?« Sie machte ein Gesicht, als wäre sie gefragt worden, ob sie in dieser Nacht vielleicht die Siegel an Salomonis Buch gelöst hätte. »Träumt? Net daß ich wüßt! Ich hab ja gschlafen wie ein Mankerl im Winter!« Hastig bückte sie sich nach einer Blume, denn sie fühlte, wie ihr unter seinem forschenden Blick die Stirne heiß wurde. Der kecke Mensch! Er meinte wohl, daß man in ihre Träume hineingucken könne wie durch das blanke Fenster in die Stube.

Da schwiegen sie nun wieder, bis Sepp den Arm erhob und, durch eine Lücke der Bäume deutend, leichthin sagte: »Da! Heut schaut er sich anders an wie gestern.« Er meinte den See, von dem man in der Ferne einen schmalen Streif gewahren konnte, wellenlos, einem grauen, hell schimmernden Seidenband vergleichbar.

Zäzil nickte schweigend und machte sich wieder mit dem kleinen Strauß zu schaffen, den sie zusammengelesen.

»Geh, sag, was machst denn da?«

»Mein, gar nix. Ein paar Blümerln such ich mir zamm für mein Hütl. Viel z'finden is freilich nimmer.«

»No schau, und ich hab gmeint, du hättst schon mehr als gnug . . . ja, gnug für zwei. Wie wär's denn jetzt, wenn teilen tätst mit mir? Es müßt net übel stehn, ein Blümerl auf meim Hut, und gar schön, wenn's von dir kommt!«

Verlegen schüttelte sie den Kopf. »Ah, na, ich kann dir net helfen. Was ich gfunden hab, brauch ich selber.«

»Wenn ich aber recht schön bitten tät, schau, da kannst ja dengerst net so neidisch sein!«

Dazu machte er ein so sanftes, frommes Gesicht, daß sie unwillkürlich lachen mußte. »Geh, tu net so schön! Allweil, mein' ich, bist net so lamperlfromm.«

»Was? Und ich hab gmeint, als wär ich der brävste von allen.«

»Hab net viel gmerkt davon, ja . . . bsinn dich nur auf gestern!« sagte sie mit spitzigem Ton und furchte die Brauen.

»Aber Madl! Wirst mir doch um Gottes willen net harb sein! Schau, sag einmal selber, hab ich mein Bußl gestern net verdient? Ja oder na? Und weil halt gar so viel Schneid ghabt hast, da hab ich mir nimmer helfen können . . . so sakrisch hast mir gfallen! Und was kann ich denn dafür, daß mir so ein schöns Vergeltsgott von dir tausendmal lieber gwesen is wie jeder andere Dank.«

Das klang so warm, so offen und ehrlich, so lustig herzlich, daß Zäzil ihre zürnende Miene, mit der es ihr ohnehin nicht allzu ernst war, nicht länger bewahren konnte. »No ja«, lachte sie, »muß man denn aber gleich zugreifen wie der Hausknecht bei die Knödel?«

Seine Augen blitzten auf; er schien wohl zu merken, daß er halb gewonnenes Spiel hatte. »Ja weißt, wenn er lang zuschaut, der Hausknecht, so tragt man ihm d' Schüssel davon. Drum geh, laß reden mit dir! Gwiß wahr, ich hätt keine ruhige Stund nimmer, wann ich mir allweil denken müßt, ich hätt dich harb gmacht auf mich. So geh, komm her ein bißl . . . und schenk mir ein Blümerl, recht ein schöns, weißt, zum Beweis, daß d' mir wieder gut bist.«

Überlegend neigte sie das Köpfchen auf die Schulter; sie schaute zu ihm auf, und als ihre Blicke seinen blitzenden Augen ausweichen wollten, glitten sie im Zufall über den Zaun hinüber und verirrten sich durch eine Lücke der Obstbäume bis zu einem offenen Fenster. Zäzils Augen erweiterten sich. Stand nicht einer hinter jenem Fenster? Ja! Und sie erkannte ihn, so hastig er auch zurücktrat in das Dunkel der Kammer. Ein schadenfrohes Lächeln zuckte um ihren Mund. Wenn er sich schon aufs Spionieren verlegte, der da drüben, dann sollte er auch was zu sehen bekommen. Kurz entschlossen warf sie das Köpfchen auf und lächelte: »Meinetwegen, so gib halt dein Hütl her!«

»No schau, ich hab mir ja gleich denkt, daß net so neidisch sein kannst!« schmunzelte Sepp und reichte ihr seinen Hut, wobei er einen vergeblichen Versuch machte, Zäzils Hand zu erhaschen.

Sie zog die Brauen hoch und drohte mit den Augen. Und während sie von ihren Blumen die schönsten aussuchte, um sie auf dem Hute hinter die Schnur zu stecken, sagte sie: »Aber weißt, einbilden brauchst dir fein nix! Ob ich dir wieder gut sein soll, das weiß ich noch net! Aber deine Blümerln sollst haben, weil . . . weil dich gestern am See draußen als ein braven Burschen bewiesen hast, der's Herz am richtigen Fleck hat, und . . . und weil's mir halt grad so gfallt. Da hast dein Hut! Schön schaut er aus! Was?«

»Ah, ah, ah!« staunte Sepp. »Nobel! Grad nobel!« Er griff nach dem Hut, Zäzil wollte ihre Hand zurückziehen, aber sie war nicht flink genug, denn ehe sie sich's versah, lagen ihre Finger gefesselt zwischen den Händen des Burschen.

»Hörst net auf!« stammelte sie erschrocken. »Auslassen, sag ich!«

»Gott bewahr«, kicherte Sepp, »'s Glück muß man halten!«

»So sei doch gscheit und laß mich aus . . . da schau . . . steht ja mein Vater am Fenster!«

Sepp mochte wohl denken, daß mit dem alten Pfrointner nicht gut Kirschen essen wäre. Er schaute betroffen auf, und diesen Augenblick benutzte Zäzil. Mit kräftigem Ruck befreite sie ihre Hand und huschte lachend davon. An der Hausecke streifte sie mit dem Ellbogen an die Gießkanne, die auf einem Bänklein stand. Das blecherne Geschirr wankte, und sein hohles Geklapper übertönte die brummenden Worte, mit denen Sepp hinter den zusammenschlagenden Heckenzweigen verschwand.

 


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