Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die peinliche Lage, in der sich der so unvermuthet zum Lauscher Gewordene befand, dauerte indessen nicht lange und wich sehr bald einem lebhaften Interesse. Schon nach wenigen Minuten ruhiger Ueberlegung sah er ein, wie wichtig für die glückliche Lösung der ihm zugefallenen Aufgabe sein jetziges Verhalten sei, und so erlangte er allmälig seine völlige Ruhe wieder, um die sich ihm darbietenden Beobachtungen mit der ungetheiltesten Aufmerksamkeit anstellen zu können.
In den ersten Minuten seines Verweilens im Alkoven konnte Paul ungehindert und in aller Muße den ganzen Saal überschauen. Zur Linken und ihm den Rücken zukehrend saß unbeweglich mit tief niedergebeugtem Kopfe vor seinem Pult der Professor, der ohne Zeitverlust gleich die erste freie Stunde benutzte, um mit einiger Ruhe an seine so oft unterbrochene Arbeit zu gehen. Zur Rechten hockte der Kakadu auf seiner vergoldeten Stange und schlief. Nichts also regte sich in dem großen Raume und nur die durch ein offenes Kuppelfenster hereinströmende Luft spielte mit den Staubatomen im Sonnenstrahl, den die halb verhangenen Fenster in den Mittelraum schräg einfallen ließen. Hierdurch ward auch das grelle Sonnenlicht bedeutend gemildert und eine sanfte aber klare Helligkeit breitete sich in dem ganzen, in seiner vollen Schönheit prangenden Saale aus.
Paul mochte etwa zehn Minuten in seiner Stellung verharrt haben, die er sich durch einen herbeigetragenen Stuhl bedeutend erleichtert hatte, als er plötzlich hörte, daß die Saalthür geöffnet ward und Jemand hereintrat. Es war die strenge Wacht haltende Frau Dralling, die sogleich mit viel lauterer Stimme als gewöhnlich ihr ›Herr Professor!‹ rief.
Der Gerufene fuhr mit dem Kopf in die Höhe und drehte sich hastig um. »Mein Gott,« rief er, »warum schreien Sie denn so, Dralling, ich bin ja noch nicht taub. Was giebt's denn?«
»Der Herr Rentmeister Hummer ist gekommen,« erwiderte sie eben so laut. »Er steht draußen im Vorzimmer und bittet um Erlaubniß, Sie sprechen zu dürfen.«
»Ah!« rief der Professor mit lebhafter Freude und sprang schnell vom Sitze vor dem Pult auf – »ist er endlich da? Das ist recht, das ist mir sehr lieb. O, lassen Sie ihn rasch herein.«
Er schritt der Thür zu und ging selbst dem Ankommenden entgegen. Darauf erfolgte eine laute herzliche Begrüßung von beiden Seiten, von der Paul jedes Wort verstand, obgleich er, da dieselbe in der Nähe der Thür stattfand, noch keinen der redenden Männer sehen konnte. Die fremde Stimme aber, die er hier zum ersten Male vernahm, klang trotz der Bescheidenheit, mit der sie sich hören ließ, mochte diese nun natürlich oder künstlich sein, mehr scharf als glatt und entbehrte des so schönen vollen Metalltones, der manche Menschenstimme so unwiderstehlich macht. Dagegen waren die Ausdrücke, die der Redende gebrauchte, gewählt und fast zierlich gestellt, so daß man ihn unläugbar für einen gebildeten Mann halten mußte. Nur Eins fiel dem aufmerksamen Lauscher dabei auf, daß nämlich der Fremde jedes Wort mit einer außerordentlichen Vorsicht und Langsamkeit sprach, als habe er seinen Vortrag entweder auswendig gelernt und müsse sich dann und wann auf irgendeine Wendung besinnen, oder als überlege er jeden Gedanken mit ängstlicher Sorgfalt, bevor er ihn äußerte.
Jedoch nicht nur Paul's Ohren sollten hier lange allein beschäftigt werden, auch seinen Augen wurde alsbald der Anblick der fremden Person dargeboten. Nachdem die beiden Männer ihre ersten Begrüßungen gegenseitig ausgetauscht, verließen sie die Bibliothek und begaben sich in die Mitte des Saales, wo sie am Fenster, gerade dem Alkoven gegenüber, auf zwei nahe bei einander stehenden Sesseln Platz nahmen.
Paul's Herz bebte unwillkürlich, als er zum ersten Mal des Mannes ansichtig wurde, von dem er so viele sich widersprechende Urtheile vernommen hatte und der mit dem Schicksal seiner Verwandten, ja mit seinem eigenen so eng verflochten war. Vorsichtig drängte er sein Auge an den kleinen Spalt, der ihm für seine Beobachtung gestattet war, und gab sich dabei die größte Mühe, nicht den Vorhang zu berühren, der so leicht in Bewegung gesetzt werden und dadurch seine Anwesenheit vorzeitig verrathen konnte.
Paul war überrascht, in dem Rentmeister eine ganz andere Persönlichkeit zu finden, als er erwartet hatte. Der Mann sah viel feiner und bedeutender aus, als er sich ihn gedacht. Er war mittelgroß, von breiter Brust und kräftigem Muskelbau und sein Gesicht strotzte von blühender Gesundheit, wie sein ganzes Gehaben und Aussehen ihn als einen Mann darstellte, der noch lange nicht sein fünfzigstes Lebensjahr erreicht haben konnte. Vielleicht trug sein überaus helles, fast strohfarbig blondes Haar dazu bei, ihm ein so jugendliches Aussehen zu geben, eine Haarfarbe, die der äußeren Erscheinung des Rentmeisters, wie allen Denen, die damit begabt sind, etwas Mattes und Kaltes beifügte, zumal sie sich auch an den Augenbrauen und langen Wimpern wiederholte, die schleierartig sein graues Auge bedeckten, wenn er sprach und dabei, was er sehr oft that, die Augen mit einer gewissen unterthänigen Bescheidenheit niedergeschlagen hielt.
Mit dieser letzteren Eigenschaft stimmte auch die Haltung der sonst so wohlgebauten und kräftigen Gestalt des Mannes überein. Wenigstens als er dem Professor gegenübersaß, hielt er die Schultern und den Kopf etwas vorwärts geneigt, wie ein demüthiger und ganz in die Gnade desselben sich ergebender Supplikant, und bei jedem Wort, welches der alte Mann mit seiner gewöhnlichen Freundlichkeit und Milde sprach, verbeugte er sich unterwürfig und nahm dabei stets eine süß lächelnde Miene an, die fast eingeübt schien, da sie sich immer auf dieselbe rasch vorüberfliegende Weise einfand.
Nachdem Paul zuerst diese allgemeinen Betrachtungen angestellt, faßte er die einzelnen Züge des Mannes schärfer in's Auge und da mußte er sich freilich gestehen, daß der erste, fast angenehme Eindruck sehr bald einem anderen Platz machte, der sogar nicht wieder weichen wollte, als die leise Stimme des Redenden in ein bittendes Lispeln überging und seinen vorgebrachten Worten durch ihre demüthige Geschmeidigkeit eine Art unwiderstehlicher Dringlichkeit verleihen zu sollen schien.
Herr Hummer trug nämlich sein strohfarbenes Haar überaus kurz geschnitten, wobei seine Schädelbildung viel klarer und übersichtlicher hervorsprang. Dieser Schädel aber war fest geformt wie aus Eisen, was sich namentlich in den starken Knochenvorsprüngen auf der Stirn aussprach, deren massive Gestaltung seltsam mit der unterwürfigen Miene und der sanften Flötenstimme des Mannes contrastirte. Seine hellfarbigen Augen waren nur selten zu sehen, theils blickte er zur Erde oder er verschleierte sie mit den langen Wimpern, worin er eine fast virtuose Fertigkeit besaß, theils war ihre Bewegung und ihr Aufschlag so unstät und rasch, daß man sie selten in einer und derselben Richtung verharrend fand. Die Nase trat stark und kühn aus dem blutreichen Gesicht hervor und war, namentlich an ihrer oberen Hälfte, der am dunkelsten gefärbte Theil des ganzen Gesichts, woraus man nicht mit Unrecht schließen konnte, daß Herr Uscan Hummer kein Verächter eines guten Glases Wein sei und daß er die Vorräthe seines ehemaligen Herrn sich früher gewiß hatte schmecken lassen.
Für Paul das Unangenehmste in diesem Gesicht aber war außer der matten Haarfarbe die Bildung des Mundes. Wenn er das übrige Gesicht hübsch und sogar nicht ganz unedel nennen konnte, so war es gewiß der Mund, der dieser Bezeichnung geradezu widersprach. Denn dieser Mund des Herrn Rentmeisters war sehr groß und weit und mit übermäßig starken und etwas gelben Zähnen versehen. Die Lippen traten ungewöhnlich fleischig und beinahe plump hervor und unterlagen einer fast krampfhaften Beweglichkeit, wiewohl ihr Besitzer sich augenscheinlich bemühte, sie beim Sprechen in Ruhe zu halten, wobei es ihm nur bisweilen, gleichsam wider Willen, begegnete, daß der eine Mundwinkel sich ein wenig in die Höhe zog und so eine Art fletschender Grimasse hervorrief, die aber immer wieder rasch verschwand, als habe eine innere Stimme den Mann darauf aufmerksam gemacht, die verrätherischen Muskeln seines Mundes in gebührender Zucht und Ordnung zu halten. Wie der ganze Knochenbau des Gesichts, so war auch der des Kinnes stark entwickelt und dabei reichlich mit Fleisch und Fett begabt. Von Bart aber war auf dem ganzen Gesicht keine Spur wahrzunehmen außer auf der Oberlippe, wo ein flaumartiger, fast wie Schnee glänzender Anflug davon saß, der es trotz aller Mühe seines Pflegers nicht zu weiterer Stärkeentwickelung hatte bringen können.
Wie glücklich der Professor über die Rückkehr des Rentmeisters war, an den er sich nun schon völlig gewöhnt hatte und dessen Rath und Beistand er auch ferner kaum entbehren zu können glaubte, trat Paul jetzt erst so recht deutlich vor Augen. Sein Gesicht strahlte vor Vergnügen, sein gutmüthiges Auge blitzte freudig gegen den Liebling auf und in seinen Mienen und Geberden gab sich so ganz seine innerste Empfindung kund, daß Uscan Hummer selbst keinen Augenblick in Zweifel sein konnte, ob er hier noch immer so willkommen sei wie sonst. Mit stillem Behagen schaute er den sich so lebhaft ergießenden Besitzer von Betty's Ruh an, der ihn noch gar nicht zu Worte kommen ließ und tausend Fragen zu stellen hatte, die Jener nur kurz und fast immer nur mit Ja oder Nein beantworten konnte, da sie fast keine andere Erwiderung zuließen. Endlich aber hatte der Professor seinem Herzen genug gethan und nun war es an dem Rentmeister, seinerseits das Gespräch weiterzuführen, was er auch sogleich mit dem unterwürfigen Wesen eines seines Standpunctes sich bewußten Menschen that.
»Ich freue mich außerordentlich, Herr Professor,« sagte er, »daß bei Ihnen in meiner Abwesenheit Alles so gut und glatt gegangen ist, und Sie haben also damit den Beweis erhalten, daß Sie bald ganz ohne mich fertig werden können. Am meisten aber freue ich mich über Ihr leibliches Befinden. Sie sehen prächtig aus und die Land- und Seeluft thut bereits ihre Wirkung an Ihnen. O, Sie glauben gar nicht, wie oft ich um Sie besorgt gewesen bin. Die Gesundheit eines Menschen in Ihrem Alter ist ein eben so kostbares wie zartes Ding, ach ja! ich habe das Alles mit Ihrem Herrn Bruder zu meinem Leidwesen durchgemacht. Und gerade, wenn man von seinen Lieben entfernt ist, trägt man die lebhafteste Sorge um sie.«
»Sie sind sehr gütig, lieber Hummer,« versetzte der Professor gerührt, »aber nun wollen wir von mir genug gesprochen haben. Reden Sie lieber einmal von sich selbst. Wie ist es Ihnen denn auf Ihrer Reise ergangen und haben Sie Ihre Lieben im erwünschten Wohlsein getroffen?«
Der Rentmeister stützte beide Hände auf seine Kniee und schüttelte bedenklich den Kopf, wobei seine Miene einen fast wehmüthigen Ausdruck annahm. »Was soll ich von mir sprechen,« sagte er mit tiefster Bescheidenheit, »das ist eben kein ergiebiger Stoff. Und meine Reise war wahrhaftig keine Vergnügungsreise. In meiner Heimat traf ich nur noch einige Verwandte am Leben, zwei junge Männer, deren Ausbildung ich von nun an in meine Hand genommen habe, da ich ja jetzt – Dank der Güte Ihres Herrn Bruders – in der Lage bin, für die Meinigen sorgen zu können. Die Uebrigen waren alle« – und hier blickte der Rentmeister ergebungsvoll in die Höhe – »zur ewigen Ruhe eingegangen. Doch das ist ja einmal das Loos des Menschen und man muß leider jeden Augenblick darauf gefaßt sein, einen oder den anderen seiner Lieben zu verlieren.«
Er schwieg und, wie es Paul vorkam, hatte er die letzten Worte fast ganz ohne innere Theilnahme gesprochen, als ob seine Gedanken auf einem weit abliegenden Felde sich ergingen. Daß dies so war, sollte der Lauscher sogleich erfahren. Offenbar hatte der Rentmeister etwas Wichtiges auf dem Herzen, dessen Einleitung er nur schwer zu finden schien. Der Professor merkte natürlich davon nichts. Arglos wie immer saß er nur da, schaute freudig den Rentmeister an und nickte ihm wiederholt vertraulich zu.
Da faßte sich dieser ein Herz, räusperte sich und sagte endlich mit seinem sanftesten Stimmton: »Doch jetzt, mein werther Herr Professor, wollen wir auch meine Reise genügend besprochen haben. Sie war gewissermaßen nur eine Vorbereitung zu einer viel größeren Reise, die mir bevorsteht und von der ich mit Ihnen nun endlich reden muß. Sind Sie geneigt, ein paar Worte in Geschäftsangelegenheiten von mir zu hören?«
Der Professor rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her. »Ach du lieber Gott,« sagte er, »also schon wieder Geschäfte? Bin ich denn noch nicht genug damit geplagt worden?«
»Verzeihen Sie, es betrifft diesmal nicht Ihre, sondern meine eigenen Geschäfte, die ich bisher, indem ich allein die Ihrigen betrieb, vielleicht etwas zu sorglos außer Acht gelassen habe. Hoffentlich aber erlauben Sie mir, jetzt mit Ihnen darüber zu reden, und haben eben die Verhältnisse der Meinigen, die ich so überaus verwickelt fand, mir den Muth gegeben, Sie um Ihre gütige Beachtung derselben zu bitten.«
Der Professor erhob sein großes blaues Auge zu dem fast kläglich Redenden und sah ihn verwundert an. »Was sagen Sie da,« rief er lebhaft, »Sie bitten mich um Beachtung Ihrer Verhältnisse? Versteht sich denn das nicht von selbst? O, so reden Sie doch – warum sollte ich nicht geneigt sein, auch einmal mit Ihnen über Ihre Geschäfte zu sprechen, da Sie so oft mit mir über die meinigen gesprochen haben? Also frei von der Leber weg, obgleich ich keine Ahnung habe, wie ich Ihnen nützen kann, wenn Sie etwa dergleichen von mir verlangen.«
»Ich verlange nichts, Herr Professor, ich bitte nur,« sagte der Rentmeister mit zerknirschter Miene und sanftestem Flötenton. »Ihre Güte, die so groß ist wie die Ihres Herrn Bruders, kenne ich ja und so vertraue ich Ihnen auch, wie ich dem Verstorbenen vertraut.«
Hier machte er wieder eine Pause, athmete tief auf, als ob er allen Muth zusammenraffe, etwas Verhängnißvolles zusprechen und fuhr dann mit eindringlichem Tone und seinen Stuhl dem des Professors um einige Zolle näher rückend, also fort:
»Sie wissen, daß ich Ihrem Herrn Bruder und Ihnen das feierliche Versprechen gegeben habe, so lange bei Ihnen zu bleiben, bis alle Ihre Verhältnisse vollkommen geordnet sind.«
Der Professor schaute aufmerksam in die Höhe und nickte dann dem Schweigenden gleichsam die Bitte zu, weiter fortzufahren.
»Nun ja, ich verstehe Sie,« fuhr Jener fort, »wenn Sie auch nicht sprechen, Ihre Miene sagt mir genug und meine eigene Ueberzeugung sagt mir noch mehr. Ja, ach ja, Ihre Verhältnisse sind freilich bis jetzt nicht völlig nach Ihrem Wunsche geordnet und das empfindet Keiner schmerzlicher als ich – aber wen soll man dafür in Anspruch nehmen, wenn nicht das Walten einer höheren Hand, die unsichtbar und doch allmächtig in all' unser Thun und Lassen greift. Nein, ich gestehe es selbst, Ihre Verhältnisse sind weder nach Ihrem noch nach meinem Wunsch geordnet, allein – allein, Herr Professor – es wird doch endlich Zeit, daß ich – auch an meine Zukunft denke. Auch ich werde alt und bin doch mir selbst und den Meinigen verpflichtet, meine neue Arbeit – die mich an einem anderen Orte erwartet – noch mit rüstiger Kraft zu beginnen.«
»Wie, wollen Sie mich etwa verlassen?« fragte der Professor erschrocken, und man sah ihm an, wie schon dieser Gedanke allein ihm tief in die Seele schnitt.«
Der Rentmeister freute sich offenbar im Stillen über dieses Erschrecken; gab es ihm doch den vollgültigen Beweis, wie unentbehrlich er dem alten Manne geworden sei. Er lächelte auch mit einer eigenthümlich befriedigten Miene, denn nun hatte er ja schon den schwersten Stein von seiner Seele gewälzt, und dann fuhr er fort:
»O, beruhigen Sie sich, Herr Professor. So bald will ich Sie noch nicht verlassen, aber im Herbst – im Herbst muß ich doch vielleicht daran denken, wenn – wenn Sie mir nämlich bis dahin die mündliche und – schriftliche Erklärung geben, daß – daß ich Ihnen nichts mehr nützen kann.«
»O, o,« rief der Professor, einen Blick nach dem im letzten Sonnenstrahl blitzenden Denkmal auf dem Mausoleum werfend, »also wirklich – im Herbst! Ja, ja, kommen mußte es einmal, das habe ich mir schon oft gesagt. Also im Herbst?«
»Ja, Herr Professor, ich denke so, und leider bin ich gewissermaßen durch jene zwei lebenden Verwandten dazu gedrängt. Ich habe nämlich beschlossen, mit meinen beiden Neffen – sie sind Kaufleute, wie auch ich es war – nach Newyork und von da nach Californien und dann endlich nach Java zu gehen –«
»Du mein Himmel!« rief der Professor. »Das ist ja eine Reise um die Welt, Hummer – haben Sie das wohl bedacht?«
»Das ist sie freilich und gewiß habe ich es schon lange bedacht. Und in Java, wo mir alle Personen und Verhältnisse bekannt sind und alle Thüren offen stehen, will ich mir mit meinen Ersparnissen einen eigenen Heerd gründen, wie einst Ihr Herr Bruder es vor mir mit so gutem Erfolge gethan.«
»Gut, gut, ich habe ja nichts dagegen, lieber Freund. Der Eine liebt das Wasser, der Andere das Land, Jener eine Insel und Dieser einen festen Erdtheil – aber sagen Sie mir, warum machen Sie sich so große Kosten und Mühen mit einer so weiten Weltreise? Warum bleiben Sie nicht lieber hier? Hier ist doch Alles in einem haltbareren und minder gefährlichen Zustande – wie?«
Der Rentmeister ließ einen seiner kurzen und scharfen Blicke über den Professor schweifen und sagte: »O ja, in vielen Dingen ist es hier besser, Herr Professor, da haben Sie Recht, aber bei Weitem nicht in allen. Der Erwerb zum Beispiel ist im hiesigen Lande sehr schwierig und verhältnißmäßig gering, so daß ich hier zwanzig Jahre gebrauche, um zu erreichen, was ich dort in fünfen gewinne; das ist ein Unterschied, den Sie als guter Rechenmeister mir gewiß zugestehen werden.«
Der Professor lachte bei dieser Appellation an seine Wissenschaft fröhlich auf, was den Rentmeister sichtbar zu erleichtern schien. »Also der Erwerb zieht Sie in's Weite?« rief er. »Darum verlassen Sie Europa, Ihre Heimat, Ihre ruhige Lage, Ihre Freunde, Ihr – mit einem Wort – Ihr Alles?«
»Ja wohl, Herr Professor, darum allein. Ich bin ja ein Kaufmann, wie Sie wissen, und ein solcher träumt und lebt nur vom Handel. In den zwanzig Jahren, welche ich bei Ihrem Herrn Bruder zugebracht, habe ich mir eine ziemlich bedeutende Geschäftskenntniß aneignen können und mir auch, das schöne Legat eingerechnet, welches ich seiner Freundschaft und seinem Vertrauen verdanke, eine hübsche Summe erspart. Damit will ich meinen Handel in der großen Welt beginnen und Gott wird mir ja wohl beistehen, daß ich den Erfolg habe, wie Ihr Herr Bruder ihn hatte.«
Der Professor seufzte laut auf. »Hm!« sagte er, »wenn es so ist, kann ich Ihnen nicht verdenken, daß Sie mich zu verlassen wünschen, ja, es wäre sogar unrecht, Sie länger als nöthig halten zu wollen. Ist es denn schon ganz fest bestimmt, wann Sie fortgehen?«
»Fest bestimmt? Das kann es ja wohl meinerseits nicht sein, Herr Professor,« sagte der Rentmeister mit einer fast demüthigen Bescheidenheit – »die Bestimmung der Zeit hängt ja ganz allein von Ihnen ab.«
»Oho! Glauben Sie etwa, daß ich Ihrem Glück im Wege stehen will, wenn Sie es in Java oder irgend sonst wo zu finden glauben? Gott bewahre mich davor – nicht einen Augenblick will ich Ihnen im Wege sein, aber Sie müssen mir den Zeitpunct genau vorherbestimmen, damit ich mich an den Gedanken, Sie zu verlieren, gewöhnen und meine kleinen Vorkehrungen dazu treffen kann.«
Ueber das Gesicht des Rentmeisters flog ein blitzartiges aber schnell vorüberschwebendes Lächeln, das einem inneren geheimen Triumphe auf ein Haar glich. Er erhob sich rasch, als wollte er gehen, und das war wirklich seine Absicht – er hatte ja lange und siegreich genug von seinen eigenen Geschäften gesprochen.
»Sie verzeihen,« sagte er, sich dem Professor nähernd und ihm freundlich und dankbar zulächelnd – »ich bin lange von Betty's Ruh entfernt gewesen und hoffe, daß meine Leute während dieser Zeit meine Befehle ausgeführt haben und thätig gewesen sind –«
»O ja, so viel ich weiß,« unterbrach ihn der Professor mit einem Tone, der Jedermann belehren mußte, daß er wirklich sehr wenig davon wußte – »haben sie tüchtig gearbeitet – wollen Sie gehen?«
»Ja, wenn Sie es erlauben, möchte ich einmal die Felder besichtigen und dann in meinem Hause mich umblicken, wo ich nur abgestiegen bin, um pflichtschuldigst Ihnen zuerst meine Ankunft zu melden.«
Der Professor, dem jetzt erst wieder Etwas einfiel, was er bisher vergessen oder zu erwähnen absichtlich unterlassen hatte, sah sich im Saal um, als suche er Jemanden. »Warten Sie doch einen Augenblick,« sagte er aufstehend, »ich habe Ihnen auch noch eine Neuigkeit und noch dazu eine recht angenehme zu verkünden –«
»Eine Neuigkeit?« fragte der Rentmeister mit ernstem Ausdruck der Miene, der eine ungemeine Spannung seines Innern verrieth.
»Ja, und Sie sollen sie sogleich mit Augen sehen –«
Diesen Augenblick hielt Paul für den rechten, um endlich sichtbar zu werden, damit sein Onkel nicht von ihm und seiner Ankunft spreche und den Rentmeister gewissermaßen auf ihn vorbereite, was Paul vermeiden wollte, um die Wirkung zu sehen, die seine unvermuthete Erscheinung auf diesen Mann ausüben würde, auf den er schon jetzt bei Weitem nicht mehr das unbegränzte Vertrauen setzte, welches der harmlose Gelehrte ihm geschenkt. So schlug er denn langsam die Vorhänge des Alkovens in der Mitte auseinander und trat plötzlich mit festem, ruhigem Schritt in den Saal, wobei zufällig der Kakadu einen grellen und gleichsam ängstlichen Schrei ausstieß, der mit eigenthümlichem Echo an der hohen Kuppel des Saales widerhallte.
Wenn Paul neugierig gewesen war, welche Wirkung dieses sein unvermuthetes Hervortreten auf den Rentmeister machen würde, so sollte er befriedigt werden, denn diese Wirkung war nicht allein eine deutlich sichtbare, sondern sogar eine auffällige, die selbst den verwundert aufschauenden Professor überraschte.
Denn als Uscan Hummer die große mächtige Gestalt des jungen Mannes so plötzlich in den Saal treten sah, als er dieses kühne, ernste Gesicht mit dem dunklen Wellenhaar und den flammenden Augen gewahrte, da erschrak er heftig, trat einen Schritt wie taumelnd zurück und stieß unwillkürlich einen Ruf höchster Ueberraschung aus. Aber diese Ueberraschung, dieser Schreck dauerte nur einen Moment, die Nerven Hummer's waren fest und elastisch genug, augenblicklich dem Willen seines Geistes zu gehorchen, und so stand er gleich darauf wieder fest und mit einer Art trotziger Kühnheit vor dem Fremden und starrte ihn mit seinen weit aufgerissenen Augen scharf und durchdringend an.
»Ah,« rief der Professor, der sich eben so schnell von seiner Ueberraschung erholt hatte, »da ist er ja schon! Sehen Sie da, lieber Hummer, es ist mein Neffe, Paul van der Bosch, der heute Morgen gekommen ist, um mir endlich einmal seinen Besuch zu schenken. Und in diesem Herrn, mein Junge, stelle ich Dir den vielbesprochenen Rentmeister Uscan Hummer vor.«
»Ihr Neffe?« stammelte der Letztere mit einem seltsam irren Blick – »hatten Sie denn einen Neffen, Herr Professor?«
»Ja, wie Sie sehen, mein Herr,« nahm nun Paul mit seiner mächtigen Stimme das Wort, »er hatte einen und Sie sehen ihn hier in mir mit Ihren eigenen Augen vor sich.«
Die Haltung und das Gesicht des Rentmeisters nahmen bei diesen Worten ein völlig verändertes Aussehen an. Sein unwillkürliches Staunen wich fast blitzartig schnell einer freudigen Verwunderung und indem er sich dem Baumeister um einen Schritt näherte, sagte er mit ziemlich ruhiger Stimme, obgleich seine Brust sich noch immer lebhaft hob und senkte: »Ihr Neffe? O, o, dann freilich ist mir meine wunderbare Empfindung erklärt, meine Herren. Ja, der so unvermuthete Anblick Ihrer Person hat mich so betroffen gemacht, daß ich fast erschrak.«
»Das sah ich,« versetzte Paul mit seiner ruhigsten Miene – »aber warum erschraken Sie so?«
»Warum? Ei, das ist doch wohl kein Wunder,« entgegnete der gewandte Mann mit allmälig sich aufhellendem Gesicht – »weil Sie eine seltsame Aehnlichkeit mit dem verstorbenen Bruder Ihres Herrn Onkels haben und ich im ersten Augenblick dachte, er selbst, um dreißig Jahre verjüngt, träte mir aus dem Alkoven entgegen, aus dem ich ihn so oft als gebeugten Greis habe hervorschreiten sehen.«
»Sie sind nicht der Erste, der mir das sagt,« erwiderte Paul, sich halb an den Professor und halb an den Rentmeister wendend. »Als ich vorher durch den Garten ging, verrieth der Gärtner ein ähnliches Staunen, da er meiner ansichtig ward – die Aehnlichkeit muß also wirklich vorhanden sein.«
»Verlassen Sie sich darauf,« fuhr der Rentmeister fort, der nun wieder sein ruhiges und geschmeidiges Wesen angenommen hatte, »die Aehnlichkeit ist auffallend und fast wunderbar. Nur war Herr Quentin van der Bosch nicht so groß und stark wie Sie, aber sein Kopf und Gesicht war wie Ihr Kopf und Gesicht, und sogar aus der Stimme klingen mir einige bekannte und liebgewonnene Töne heraus. O, mein Herr, wie sehr ich mich darüber freue, vermag ich Ihnen nicht auszudrücken – und nun, nun erlauben Sie mir, daß auch ich Sie, den so lieben Gast, in diesem Hause willkommen heiße, worin ich mir ja selbst durch vieljährige Dienste und so manche saure Arbeit das Heimatsrecht erworben habe.«
Paul verneigte sich höflich, aber doch mit einer gewissen Zurückhaltung vor dem sich tief verbeugenden Mann, der nun auch gegen ihn den sanften Ton anstimmte, den er vorher gegen den Professor gebraucht, aber er unterließ es keinen Augenblick, jede Miene des Rentmeisters zu studiren, was dieser, von einem ähnlichen Interesse angeregt, mit aller Macht seiner scharfen Augen erwiderte.
»Ich danke Ihnen für diese Bewillkommnung,« sagte Paul ruhig und nahm nun auf einem schnell herbeigezogenen Sessel Platz, indem er die beiden Herren durch Geberden einlud, seinem Beispiel zu folgen, »und es ist mir lieb, daß mir so bald nach meiner Ankunft die Gelegenheit zu Theil wird, einen Mann persönlich kennen zu lernen, von dem ich bereits von meinem Onkel so viel des Guten erfahren habe.«
Hier verbeugte sich der Rentmeister verbindlich gegen beide Herren und nahm sofort eine noch bescheidenere und unterwürfigere Miene an.
»Ja, wir haben heute den ganzen Morgen von Ihnen gesprochen und mein Onkel hat mir erzählt, was Sie ihm geleistet, wie viele Mühen Sie gehabt und wie treu Sie – seinem verstorbenen Bruder gewesen sind.«
»O mein Herr,« nahm der Rentmeister mit einer vor Rührung fast zitternden Stimme das Wort und wandte seinen Kopf mit dankender Neigung zu dem glücklich lächelnden Professor hin – »der Herr Professor ist zu gütig, wenn er das von mir gesagt hat, und es beweist mir nur wieder seine Nachsicht mit meinen schwachen Leistungen –«
»Lassen Sie uns hiervon abbrechen,« unterbrach ihn Paul, »es klingt nie gut, wenn man Jemanden zu laut in's Gesicht lobt. Doch – und hier stand er schon wieder von seinem Stuhle auf – »Sie standen im Begriff zu gehen und es wäre unrecht von mir, wenn ich Sie von Ihren wichtigen Beschäftigungen zurückhalten wollte. Wenn Sie es mir aber erlauben, so besuche ich Sie bald und dann erfüllen Sie mir vielleicht die Bitte, mich mit dem Gute meines Onkels bekannt zu machen und mit mir auf den Ländereien umherzuwandeln, da Sie doch gewiß die Person sind, von der ich die beste Unterweisung darin empfangen kann.«
Der Rentmeister verbeugte sich ehrerbietig und lächelte geschmeichelt. »Es wird mir eine große Ehre sein, Herr van der Bosch,« sagte er, »Sie mit Allem bekannt zu machen, was Ihnen hier von Nutzen oder Interesse sein kann. – Werden Sie lange hier verweilen?« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu.
Der Professor wollte eben diese Frage beantworten, als Paul rasch das Wort ergriff und sagte: »Das hängt von Umständen ab, Herr Rentmeister. Ich bin, wie gesagt, erst heute angekommen und da spricht man noch nicht gern von dem Abschied.«
»Ah, ich verstehe – gewiß! Wann kann ich Sie aber bei mir erwarten?«
»Haben Sie morgen früh um sieben Uhr Zeit?«
»Mein ganzer Tag steht Ihnen zu Gebote –«
»O, ich begnüge mich mit einigen Stunden – so ist es also abgemacht?«
»Morgen früh um sieben Uhr werde ich die Ehre haben, Sie im Pachthause zu erwarten – oder soll ich Sie vielleicht hier abholen?«
Paul besann sich einen Augenblick, dann sagte er: »Nein, ich wünsche das Pachthaus selbst zu sehen.«
»Das ist mir noch erfreulicher, Herr van der Bosch. Und jetzt – jetzt, meine Herren, habe ich die Ehre, mich zu beurlauben.«
Er verbeugte sich ehrerbietig gegen Beide; der Professor reichte ihm die Hand und Paul verneigte sich höflich. Dann nahm er seinen Strohhut und verließ mit raschen energischen Schritten den Saal, in dem er heute – das stand ihm leserlich auf dem Gesicht geschrieben – eine unerwartete Ueberraschung erfahren und – eine wichtige Stunde verlebt hatte.
Als der Professor und Paul wieder allein waren, schwiegen Beide und sahen sich lächelnd an. Endlich aber nahm der Professor zuerst das Wort und sagte: »Das muß ich sagen, Junge, diesmal bist Du mir wie gerufen gekommen. Ich wollte mich eben nach der Glockenschnur begeben und die Dralling bitten, daß sie Dich, wenn Du in der Nähe seiest, in den Saal bescheide – da tratst Du schon herein. Und, es war merkwürdig, wie der Rentmeister erschrak, als er Dich sah. Also so wie Du hat der Quentin ausgesehen. Das habe ich noch gar nicht gewußt, denn es existirt seltsamer Weise kein Bild von ihm hier. Doch nun sage mir, wie bist Du denn eigentlich in den Alkoven gekommen? Ich habe Dich doch nicht hinein gehen sehen?«
Paul lächelte unbefangen und erwiderte kurz: »Ich kam diesmal von der Galerie der Halle herunter, und da der kürzeste Weg mir immer der liebste ist, wenn ich ein bestimmtes Ziel erreichen will, so zog ich die kurze Wendeltreppe dem weiten Gange durch die vielen Zimmer vor.«
»Aha! Natürlich! Aber nun sage mir, wie gefällt Dir der Rentmeister, he?«
Paul sah seinen guten Onkel, der ohne Zweifel eine günstige Antwort von ihm erwartete, einige Secunden fest und schweigend an. Dann aber erwiderte er: »Im Urtheil über Menschen, die man noch nicht genau kennt, muß man stets vorsichtig sein, lieber Onkel. Jedenfalls ist er ein glatter und polirter Mann, der keine auffallend rauhe Außenseite bietet.«
»Ja, das ist er,« sagte der Professor, von dieser ausweichenden Antwort so ziemlich befriedigt, »und gewiß ist er noch etwas mehr. Ein Mann von vielen und reichen Kenntnissen in verschiedenen Dingen des Lebens –«
»Und gewandt und schnell gefaßt, wenn man ihm einen großen Schrecken einflößt,« fügte Paul hinzu.
»Ja, gewiß, aber daß er über Dein plötzliches Erscheinen erschrak, war kein Wunder – ich habe mich eigentlich auch erschrocken –«
»Ich habe es wohl gesehen, Ihr standet ja Beide, wie man sagt, fast verblüfft – doch, Du warst vorher bei Deiner Arbeit – willst Du nicht noch etwas rechnen?«
Des Professors Gesicht nahm einen überglücklichen Ausdruck an. »Du bist ein herrlicher Junge,« sagte er, »Du erräthst immer meine liebsten Wünsche – ja, wenn Du Dich allein etwas beschäftigen kannst, so möchte ich wohl noch ein Stündchen bei der Arbeit bleiben.«
»Laß uns das heute ein für alle Mal abmachen, Onkel,« erwiderte Paul freundlich. »Keiner von uns soll und darf den Andern je stören oder ihm lästig fallen und mag Jeder treiben, was er will. Arbeite Du, so viel Du willst, und wenn ich Deiner einmal bedürfen sollte, werde ich mir die Freiheit nehmen, Dich zu unterbrechen. So ist Jeder sein eigener Herr und mag seinen Lieblingsneigungen nachgehen; auch ich werde mir bald hier ernstlich Geschäfte machen.«
Der Professor rieb sich vergnügt die Hände und war, wie durch einen Magnet dahingezogen, seinem Sessel vor dem Pult schon um einige Schritte näher getreten. »So habe ich es mir gewünscht und gedacht,« sagte er, »und nun erfüllt es sich schon am ersten Tage. O das ist herrlich und ich lebe wieder auf.«
Paul lächelte herzlich über den eifrigen Mann und sagte ihm dann bis zum späteren Abend Lebewohl, während der Onkel sich sogleich auf seinen Stuhl niederließ und seine Arbeit ohne so wunderbare Nebengedanken, wie sie in seines Neffen Kopfe schwirrten, so lebhaft wie in früheren Tagen fortsetzte. –
Als Paul in das Gartenzimmer trat, sah er Frau Dralling mit erhitztem Gesicht an einem der Fenster die Blumen begießen. Sobald sie des jungen Mannes ansichtig ward, kam sie auf ihn zu und starrte ihn mit einem Blick an, den Paul verstand, ehe sie ein Wort sprach.
»Nun,« sagte sie, mit der Hand in's Weite deutend, »er ist fort – nach dem Pachthause hin. Und was sagen Sie nun?«
»Noch gar nichts, Frau Dralling,« lautete die mit nachdenklichem Ernst gegebene Antwort, »wenigstens heute noch nicht. Morgen kann ich Ihnen vielleicht schon etwas mehr sagen, da ich mich morgen früh mit dem Herrn Rentmeister ausführlich beschäftigen werde, den ich heute nur im Fluge sah und sprach.«
»Aber wie hat er Ihnen denn gefallen?« fragte die neugierige Frau. »Das können Sie mir doch wenigstens sagen!«
Paul sah sie mit einem eigenthümlichen Blick an, aber er erwiderte nichts als: »Thun Sie mir den Gefallen, Frau Dralling, und holen Sie mir meinen Hut und Stock aus dem Alkoven. Ich habe vergessen, sie mit in den Saal zu nehmen, und will noch einen tüchtigen Spaziergang machen.«
In zwei Minuten hatte er Hut und Stock empfangen und war in den Garten hinausgetreten, den die Strahlen der Sonne bereits seit einigen Minuten verlassen hatten. Nur im Nordwesten glühte der Himmel in goldenem Purpur und warf von da aus einen wunderbar leuchtenden Schimmer über die grünen Rasenflächen und die im lichtesten Farbenschmuck glänzenden Bäume des Parks. Paul aber sah diesmal von aller dieser Pracht des Sonnenunterganges nichts – in seinem Kopfe gährte und in seinem Herzen hämmerte es mächtig, denn so viel war gewiß, er hatte Ernstliches zu bedenken bekommen und schon der erste Tag auf Betty's Ruh war für ihn ein wichtiger und für Andere vielleicht sogar ein verhängnißvoller geworden.
Als aber Frau Dralling, die ihn bis unter das Säulenportal begleitet hatte, ihn langsam und sinnend durch den Park gehen sah, lächelte sie still in sich hinein.
»Er will mir nicht sagen, wie ihm der Rentmeister gefallen hat,« kicherte sie. »Als ob das auch noch nöthig wäre, haha! Nein, nein, mein lieber junger Herr, die alte Dralling ist nicht auf den Kopf gefallen und ihre Augen sitzen an der rechten Stelle. Daß dieser Lump von einem Menschen ihm nicht behagt, das habe ich ihm an der Nase angesehen. Und es ist gut, daß ich das konnte, das beweist mir, woran ich mit ihm bin und daß er auch eins von den ehrlichen Menschenkindern ist, die sich nicht verstellen können. Gesagt hat er es freilich nicht, aber auf seiner Stirn, in seinen Augen stand es geschrieben: ›die Dralling hat Recht und der Professor hat Unrecht!‹ Und wenn es nicht so ist, so will ich keinen Polizeisergeanten zum Manne gehabt haben, und das wäre doch ein großer Verlust für mich gewesen, denn der gute alte Dralling – Gott habe ihn selig! – hat mich doch erst klug und sehend gemacht, das ist gewiß!«
Glänzend war aus leichtem Nebelgewölk die nächste Morgensonne über Betty's Ruh aufgegangen, als Paul nach der ersten unter dem Dache seines Onkels verlebten Nacht neugekräftigt sein Lager verließ und mit frischen Hoffnungen und lebhaftem Thatendrang den jungen Tag begrüßte. Er hatte sein Frühstück schon eingenommen, als der Professor erst aus festem Schlaf erwachte, und als dieser die Bibliothek betrat und sich mit lange nicht empfundener Freude an den gleichsam wiedergewonnenen Schreibtisch setzte, schritt er schon aus der Halle, bis wohin Frau Dralling ihm wie gewöhnlich das Geleit gab und, als er sie verließ, den besten Erfolg in allen seinen heutigen Unternehmungen wünschte.
Da es noch zwanzig Minuten vor sieben Uhr war, so brauchte unser Freund sich nicht zu übereilen und so schlug er den am Mausoleum vorüberführenden Weg ein, um durch die schöne Kastanienallee nach dem Pachthause hinabzuschreiten. Als er sich der Ueberfahrstelle zum Grabgewölbe näherte, fand er den alten Gärtner schon in voller Thätigkeit, die breiten Kieswege glatt und eben zu harken, bevor er an die andere, ihm so reichlich zugemessene Arbeit ging. Als der alte Mann den jungen Herrn langsam daherwandeln sah, nahm er grüßend seinen Hut ab und rief ihm schon aus der Ferne sein: »Guten Morgen, Herr!« zu.
»Guten Morgen, Barker!« entgegnete Paul freundlich. »Ihr seid ja schon früh thätig und stellt Alles wieder so hübsch her, das gefällt mir.«
»Ich muß wohl, Herr,« erwiderte der alte Gärtner, sich auf seine Harke lehnend und dem jungen Manne freudig in das edle Antlitz sehend, »ich muß wohl früh anfangen, wenn ich mit meinem Tagewerk fertig werden will. Ich bin ja nur allein in diesem Theil des Parks und habe eine lange Arbeit vor mir.«
»Das wird und muß einst anders werden, Barker,« tröstete ihn Paul, »und so viel an mir liegt, sollt Ihr bald wieder einen Gehülfen haben.«
»Wolle es der liebe Gott geben, Herr van der Bosch, es ist auch nothwendig, wenn das Beste ringsum nicht verkommen soll. Aber der Herr Professor hat ja – Sie erlauben mir gewiß das zu sagen – dafür keinen Sinn und hat alle helfenden Hände fortgeschickt.«
»Das hat er freilich gethan und zwar weil er es thun mußte,« sagte Paul bestimmt.
»Mußte er es wirklich? Na, wenn Sie das mit so ernster Miene sagen, dann will ich es glauben, obgleich wir Alle bisher noch einen gelinden Zweifel darüber hegten.«
»Zweifelt nicht mehr,« erwiderte Paul, »die Nothwendigkeit lag wirklich vor; wenn wir aber erst einen neuen Pächter haben, der einen größeren Pachtzins zahlt, dann sollt Ihr und der Garten zuerst bedacht werden, das verspreche ich Euch.«
Der Gärtner machte große und verwunderte Augen. »Einen neuen Pächter?« fragte er, die Worte fast in ihre Sylben zerlegend. »Wie soll ich das verstehen, Herr?«
»Herr Hummer wird uns wahrscheinlich im Herbst verlassen, habe ich gestern gehört, und dann müssen wir doch natürlich einen anderen Pächter haben.«
Der Alte machte eine Geberde mit der Hand, als wollte er sagen: »Ich gräme mich gar nicht darum, wenn er nur erst weit weg wäre! – Aber das ist ja etwas ganz Neues,« sagte er dann laut, »also er will fort?«
»Ja, doch ein andermal mehr darüber. – Was habt Ihr denn hier eigentlich so ernsthaft zu harken?« fuhr er fort, als Barker schon wieder zu seinem Instrumente gegriffen hatte und eifrig damit zu wirthschaften begann.
Der Alte hielt wieder inne, sah Paul blinzelnd an und lachte in sich hinein. »Es ist komisch, Herr,« sagte er, »diese Nacht ist hier seit langer Zeit wieder zum ersten Mal die alte Wirthschaft losgegangen, und wenn ich nicht der Erste gewesen wäre, der heute Morgen hierher kam, so würde alle Welt wieder von dem Spuk reden, der sich wie früher an seiner Lieblingsstelle gezeigt hat.«
»Der Spuk?« lächelte Paul, »hat sich wieder hier ein Spuk gezeigt?«
»Ja freilich, wenigstens was die dummen Leute so nennen.«
»Und worin oder wodurch hat er sich gezeigt?«
»Hm, ja, jetzt sehen Sie freilich nichts mehr davon, ich habe schon Alles wieder von da hinten her glatt gemacht. Der ganze Spuk besteht nämlich in weiter nichts, als in Fußspuren, wie wir sie früher sehr oft gefunden haben und die sich noch Niemand so recht hat erklären können. Da, sehen Sie, von jener Waldecke des Parks an begannen sie heute, früher auch von da drüben her, stets aber führen sie nach dem Wasser, obwohl der Mensch, der sie hinterlassen, sich immer bemüht, sie mit irgend einem Instrument – vielleicht mit einem scharfen Besen – hinter sich wegzuwischen, und das, glaubten die dummen Leute, rühre von dem Geistermantel her, den das Gespenst tragen soll. Haha! Als ob es solch' Ding geben könne! Na ja, und damit ich diese mir schon bekannten Spuren um so leichter wiederfinde, wenn sie sich noch einmal einstellen sollten, darum harke ich so häufig wie möglich diese Wege frisch auf.«
»Was sind es denn für Fußsparen?« fragte Paul, ohne besonders auf das Ereigniß neugierig zu sein.
»Ja, es ist nicht so ganz leicht zu sagen, Herr, aber von einem feinen oder nur gewöhnlichen Stiefel rühren sie wahrhaftig nicht her, weit eher von einem recht plumpen Holzschuh, wie die Landleute hier herum ihn tragen. Darum bin ich auch fest überzeugt, daß irgend ein Bauer aus der Nähe sich das Vergnügen macht, hierher an das Wasser zu kommen und mir meine schönsten Blumen abzubrechen.«
»Haha! Ist das wirklich geschehen? Nun, dann wäre ja der Spuk erklärt,« sagte Paul, sich nach den zunächst gelegenen Blumenbeeten umschauend.
»Ja gewiß, Herr, sehen Sie doch da – da fehlen einige ganz hübsche Dinger und ich wundere mich nur, daß er sie nicht alle mitgenommen hat.«
»Könnt Ihr denn nicht einmal eine Nacht dem Diebe aufpassen lassen, um seiner Person auf die Spur zu kommen?«
»Ach Du lieber Gott, Herr,« versetzte Barker und kratzte sich hinter dem rechten Ohr, »das möchte ein schwieriges Stück Arbeit sein. Wer soll ihm denn aufpassen? Es sind ja nur so wenige Leute hier, und die da sind, haben bei Tage alle Hände voll zu thun und schlafen Nachts fest wie die Ratten. Außerdem geschieht es nur selten und man könnte viele Nächte im Freien campiren, ehe man die rechte trifft.«
»Das ist freilich wahr. Aber Eins beweist mir doch dieser nächtliche Besuch.«
»Was denn, Herr?«
»Daß nicht alle Leute hier an Spuk glauben, denn der, der die Fußtapfen macht, fürchtet sich gewiß nicht davor.«
»Ei du mein Himmel, Herr, das thun ja auch nur die dummen Leute, die im Schlosse wohnen. Und der Dieb ist ein Fremder, das ist gewiß. Wer von uns wollte dem seligen Herrn da drüben seine Lieblinge rauben, das müßte ja ein schändlicher Bösewicht sein.«
»Da habt Ihr Recht. Doch nun muß ich Euch verlassen, Barker, und wünsche Euch einen guten Tag.«
»Der Tag ist gut, Herr, die Sonne scheint goldklar und es wird warm werden, wenn es auch jetzt noch ein Bischen frisch ist. In acht Tagen haben wir hier Alles grün und dann sollen Sie einmal die Allee da drüben mit ihren weißen und rothen Blüthenbüscheln sehen, es ist eine wahre Pracht!«
»Ich freue mich schon darauf,« sagte Paul, nickte dem Alten zu und bewegte sich nach der Allee zu, die geradeaus nach dem Pachthause führte.
Mit kurzem, energischem Schritt, wie er immer ging, trat er in dieselbe ein und seine Augen schweiften vergnüglich von Baum zu Baum, deren Blätter sich bereits mächtig entfalteten und den befiederten Sängern, die lustig ihr Morgenlied zwitscherten, schon einen erquicklichen Schatten boten. Auch Eichkätzchen waren sichtbar und kletterten gewandt von Ast zu Ast, oft den Wanderer furchtlos dicht an sich herankommen lassend und dann doch wie der Blitz verschwindend, aber immer noch hinter den breiten Stämmen hervor ihn mit den klaren Aeuglein verfolgend, bis er aus ihrer Nähe gewichen war.
So kam er dem Pachthause näher und näher und endlich stand er auf einer größeren Lichtung dicht vor dem altersgrauen umfangreichen Gebäude, das mit seinem spitzen Schieferdach und seinen breiten Seitengiebeln sich als ein ganz ansehnliches Bauwerk darstellte und früher gewiß ein noch besseres Aussehen geboten haben mochte. Es zeigte auf jeder Seite der breiten Hausthür von geschnitztem, durch das Alter schwarz gewordenem Eichenholz, vier hohe Fenster, vor denen in geeigneten Zwischenräumen vier große Lindenbäume standen, die bis hoch über das aus Mansardenzimmern bestehende obere Stockwerk emporragten und das Ganze im Sommer fast zu düster beschatteten. Auch die Tiefe des Hauses war beträchtlich und an die hintere Front schloß sich ein großer weiter Hofraum, von Scheunen und Ställen umgeben, deren Bewohner durch ihr Blöken und Brüllen sich dem Näherkommenden bald zu erkennen gaben, so weit sie sich nicht auf den fern liegenden Wiesen und Angern tummelten.
Als Paul sich dem Hause näherte, sprangen ihm laut kläffend ein paar tüchtige Jagdhunde entgegen, aber ein kräftiger Pfiff aus einem der Fenster rief sie schnell in das Haus zurück und gleich darauf trat der Rentmeister in seiner alltäglichen Landtracht, einem kurzen grünen Jagdrock, schwarzen ledernen Beinkleidern und langen Sporenstiefeln hervor, die ihm fast noch besser stand als die modischen Kleider, welche er am vorigen Tage getragen hatte. Der Bewohner des Pachthauses trug keine Kopfbedeckung und trat dem erwarteten Gaste mit einem freundlich begrüßenden Lächeln entgegen, allein er streckte seine fleischige Hand nicht nach demselben aus, der seinerseits nur leicht den Hut lüftete und ein kurzes »Guten Morgen, Herr Rentmeister!« sprach.
»Ich heiße Sie bei mir willkommen, Herr van der Bosch,« sagte der Pächter mit etwas befangener Miene, »und bemerke gleich, daß Sie es in meinem alten Hause etwas weniger wohnlich finden werden, als bei Ihrem Herrn Onkel. Mir genügt es indessen und somit müssen auch meine Gäste damit vorlieb nehmen.«
Er sprach dies in kurzer natürlicher Weise, indem er auf dem Hausflur, in den Paul bereits eingetreten, die erste Thür zur Rechten öffnete und den Gast mit einer höflichen Verbeugung zum Voranschreiten einlud.
Dieser, obgleich durch jene Worte auf eine gewisse ländliche Einfachheit vorbereitet, war dennoch erstaunt, als er in das geöffnete Zimmer trat, welches außer einem daneben liegenden Schlafcabinet, das einzige mit Möbeln versehene Gemach im ganzen Hause war und außerdem seit vielen Jahren weder neu geweißt noch tapezirt zu sein schien, so verwohnt und fast verräuchert sahen Wände und Decke aus. Ueberdieß konnte man die innere Einrichtung nicht nur einfach, sondern fast dürftig nennen, obgleich die vorhandenen Gegenstände ziemlich neu und sichtlich erst vor kurzer Zeit angeschafft waren. Hier war nirgends ein Möbel der Bequemlichkeit oder gar der Behaglichkeit wahrzunehmen, als ein fast bretthartes, mit gestreiftem Drell überzogenes Sopha, und nur die nothwendigsten und unentbehrlichsten Dinge standen rings an den Wänden herum. Diese Einfachheit erschien fast zu studirt, um natürlich zu sein, und erst, als Paul sich erinnerte, daß der Rentmeister gleich bei seiner Einrichtung nur einen kurzen Aufenthalt in diesem Hause vor Augen gehabt, konnte er sie erklärlich und somit auch sachgemäß finden.
»Ja,« sagte der Rentmeister, während er Paul's Gesicht bei der Wahrnehmung dieser Wohnungseinrichtung neugierig musterte, »ich habe es Ihnen schon gesagt, es ist einfach und ländlich bei mir, aber das ist ja ganz natürlich. Ich wußte ja vorher, daß ich nur kurze Zeit hier wohnen und wirken würde, und da wäre es doch thöricht gewesen, wenn ich mein Geld für überflüssigen Tand hätte wegwerfen wollen. Nein, Herr, ein Landmann kann sein Geld besser zu anderen Dingen gebrauchen. Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen und eine Cigarre rauchen?«
»Ich danke für Beides,« erwiderte der Gast höflich doch entschieden, »ich rauche so früh des Morgens nie und will mich auch nicht länger als nöthig aufhalten. Lassen Sie uns gleich mit der Besichtigung Ihres Hauses und dessen Zubehör beginnen und dann wollen wir uns auf die Felder verfügen.«
»Gut. Reiten, fahren oder gehen wir nachher?«
»Wie weit haben wir zu gehen?« fragte Paul dagegen.
»In zwei Stunden können wir so ziemlich Alles abgelaufen haben, außer der kleinen Waldung da drüben, die unsere Gränze nach Hannover hin bildet und ein ganz hübsches Wild hegt.«
»Dann lassen Sie uns gehen, denn ich gehe gern. Mit dem Reiten bin ich überdieß, offen gesagt, nicht sonderlich vertraut; ich habe es wohl gelernt, aber ich sitze vielleicht doch nicht sicher im Sattel.«
»Das lernt sich sehr leicht, wenn man nur einiges Geschick dazu besitzt. Ich reite fast den ganzen Tag; es bringt Einen schneller vom Fleck. – Aber was für eine Lebensweise haben Sie denn früher geführt, wenn ich fragen darf? Ich hätte in Ihnen sogar einen tüchtigen Reiter und Jäger vermuthet.«
»Man irrt sich bisweilen in den Fähigkeiten der Menschen. Ich bin Baumeister und habe mich bisher mehr mit dem Studium meiner Kunst und Wissenschaft als mit anderen Dingen beschäftigt.«
Der Rentmeister, dessen sichtliche Neugierde nun endlich befriedigt war, verbeugte sich. »O,« sagte er mit lächelnder Miene, »wenn Sie ein Baukünstler sind, so werden Sie drüben im Schlosse manches Schöne gefunden haben, was wohl Ihrer Beachtung werth sein mag.«
»Sehr viel Schönes sogar und ich werde mich noch lange daran erfreuen. Es muß ein tüchtiger, obgleich origineller Baumeister gewesen sein, der das Schloß erbaut hat.«
»Ja, das war er, obgleich das Originelle mehr auf Seiten des Bau herrn lag. Ersterer war ein Holländer aus dem Haag, van der Boos mit Namen, der leider zwei Jahre nach Vollendung dieses Baues in Hamburg gestorben ist. Aber mein seliger Herr war ein Freund und Kenner von schönen Bauwerken und so hat er es sich etwas kosten lassen, nach seinem Geschmack und Entwurf ein sicheres Dach über seinem Haupte zu haben.«
»Ja,« erwiderte Paul mit ironischem Lächeln, »so viel, daß dabei fast sein ganzes Vermögen darauf gegangen zu sein scheint.«
Der Rentmeister hatte sich eben nach der Wand umgedreht, um von einem Riegel Mütze und Stock zu nehmen, die daran aufgehängt waren. Es dauerte etwas lange, bis er unter drei oder vier wuchtigen Stöcken die richtige Auswahl traf. Endlich aber war er fertig, drehte sich herum und sagte: »Wenn es gefällig, so sehen wir uns erst das Haus, dann den Hof mit den Stallungen und Scheunen an.«
Paul trat rasch aus dem Zimmer, dessen Luft ihm dumpf und feucht zu sein schien. Auch die öden, kahlen und ausgewohnten übrigen Räume des großen Hauses behagten ihm wenig und so verließ er es endlich mit Vergnügen und schritt erheitert über den sonnigen Hof, wo er sich die in gutem Stande erhaltenen Gebäude, das Vieh und die Pferde betrachtete, die namentlich tüchtig und zum Theil aus dem früheren Besitz seines Onkels angekauft waren. Der Rentmeister gab auf diesem Gange einen geschulten Führer und Erklärer ab. Er sprach über Alles ruhig und verständig und machte nie mehr Worte als nöthig. Auch glaubte Paul zu bemerken, daß sein Gehaben bei diesem Geschäftsgespräch allmälig natürlicher wurde und weit von dem erkünstelten und unterthänigen Wesen abwich, welches er am vorigen Tage gegen den Professor hervorgekehrt hatte.
Endlich war man auch mit der Besichtigung des Hofes, der Stallungen und Scheunen fertig und nun ging es auf's Feld. Hier zeigte sich Alles lustig, grün und frisch. Die Lerchen schmetterten in den Lüften, die Mücken spielten schon im warmen Sonnenstrahl und die Felder waren so sorgsam bestellt und bebaut, wie man es nur bei einer vollkommen geregelten und einsichtsvollen Bewirthschaftung zu seiner Freude sehen kann.
Hier auf freiem Felde wurde der Rentmeister noch natürlicher als innerhalb der Räumlichkeiten des Pachthofs. Alle Befangenheit, die er anfangs an den Tag gelegt, war verschwunden und er sprach mit dem jungen Gaste fast in vertraulicher Weise über Alles, was den Grund und Boden betraf, wie es früher damit gehalten worden, was er selbst daran gethan und was künftig damit geschehen müsse, so daß Paul von dieser Unterhaltung völlig befriedigt war und dem ruhigen Sprecher an seiner Seite von Zeit zu Zeit ein freundlicheres Gesicht zeigte. Der Rentmeister merkte das sehr wohl, und je heiterer und aufmerksamer der Baumeister ward, um so ruhiger, überlegter wurde er selber, bis er endlich ganz schwieg und irgend einen Gedanken im Stillen zu verfolgen schien. –
Da war man an den Rand einer kleinen Tannenwaldung gelangt und hier stand der Rentmeister still. »So, wie hier die Bäume stehen,« sagte er, »geht es durch den ganzen Belauf, und wenn dem Wald ein grüner Anger folgt, so stehen Sie auf hannoverschem Boden. Lassen Sie uns nicht in den Wald, sondern lieber auf jenen kleinen Hügel daneben gehen – es ist unsere Hauptschaaftrift – und dort oben können wir uns einen Augenblick auf eine Bank setzen, die Ihr verstorbener Herr Onkel hat anbringen lassen und von der aus man das Schloß, den Park, so wie überhaupt das ganze Gut so ziemlich überschauen kann.«
Paul stimmte bei und man erreichte bald die Bank auf dem Hügel, die auf der Spitze desselben in einer dichten Umhägung dunkler Tannen aufgestellt war, um sie vor den dort oben hausenden Winden möglichst zu schützen. Der Blick, den man hier gewann, war sehr hübsch und ziemlich reich. Geradeaus auf dem nächsten grünen Hügel, lag das herrliche Schloß mit seinem Thurm und seinen Kuppeln, die man aus dieser hochliegenden Ferne deutlich zwischen den Oeffnungen der Giebel hindurchschimmern sah. Zu beiden Seiten desselben ragten die frischgrünen Pappeln, Linden, Buchen und sonstigen Bäume auf, die den Park bildeten, und in der Mitte davor, als wäre sie wirklich der Haupt- und Mittelpunct des Ganzen, um welchen Quentin van der Bosch seinen schönen Besitz geordnet, erhob sich auf ihrem gewölbten Hügel die Psyche, die wie Silber in den Strahlen der Morgensonne glänzte, obgleich sie, von hier aus gesehen, nur sehr klein erschien. Zur Linken dagegen lugte hinter der langen Kastanienallee und den es halb verdeckenden Lindenbäumen das graue Pachthaus mit seinem schwarzen Dache hervor, und weit darüber hinaus, jenseits grüner von Deichen eingehegter Anger und Wiesen, Obstgärten und Ackerland, zog sich eine im Sonnenschein schneeweiß blitzende, unendlich lange Linie, hinter der das gewaltige Meer brauste und wogte, aus dem sich hie und da, wie kleine schwarze Puncte erscheinend, die großen Schiffe erhoben, die mit allen Segeln in die Elbe hineinstrebten oder auch durch ihre lange Rauchsäule sich als Dampfer erwiesen, ein Anblick, der Paul van der Bosch lange fesselte und ihn wieder in die Stimmung versetzte, die er vor zwei Tagen gehabt, als er zum ersten Mal in seinem Leben dem gewaltigen Elemente so nahe gekommen war.
»Ja,« sagte der Rentmeister, als er den angenehmen Eindruck bemerkte, den dieser Anblick auf den jungen Mann an seiner Seite hervorbrachte, »man muß gestehen, daß Ihr älterer Herr Onkel seinem Bruder ein hübsches Stück Land hinterlassen hat, nicht wahr? Schade nur, daß der Herr Professor – Sie verzeihen mir gewiß, daß ich in meiner gewohnten Offenheit hier vor Ihnen den wunden Fleck der sonst so schönen Erbschaft berühre – daß der Herr Professor, sage ich, vielleicht eine zu große Idee von seinem Erbe gehegt hat, welche sich, wie gewöhnlich im Leben, leider nicht verwirklicht hat.«
Er schwieg und schaute anscheinend tief bewegt vor sich in das lachende Gefilde hin, während Paul aus seinen Träumereien auffuhr und einen raschen Blick über das Gesicht seines Gefährten schweifen ließ.
»Da irren Sie,« sagte er ruhig; »ich glaube nicht, daß mein Onkel Casimir eine höhere Idee von seinem Erbe gehegt, als es sich ihm erwiesen hat, denn es giebt wenige so genügsame und bescheidene Menschen in der Welt, wie er einer ist.«
»Das ist gewiß wahr,« bestätigte der Rentmeister, »aber es wäre doch gut, wenn es eben anders und besser mit seiner Erbschaft gestanden hätte. O, Herr van der Bosch,« fuhr er mit lebhafterer Wärme fort, als bräche er mit Gewalt den Bann, der bisher seine Zunge gefesselt, »Sie glauben gar nicht, wie lieb es mir ist, daß ich mich einmal über dieses dunkle und räthselhafte Ereigniß, das sich da unten zugetragen hat, aussprechen kann, ein Ereigniß, welches ich nie vergessen werde, da ich persönlich am meisten darunter gelitten habe. Es ist auch fast unbegreiflich, wie sich, wenn man den Zusammenhang von Anfang bis zum Ende überschaut, Alles so seltsam hat gestalten und entwickeln können. Stellen Sie sich vor, daß der frühere Herr von Betty's Ruh in seiner Art fürstlich gelebt hat und daß nun ein stiller, bescheidener Erbe kommt und diesen fürstlichen Haushalt mit aller seiner Fülle und seinem Ueberfluß vorfindet. Natürlich mußte er denken, daß da, wo so viel Glanz herrscht, wo so viele Diener unterhalten werden, auch große Reichthümer vorhanden seien. Und da werden die gerichtlichen Siegel abgenommen, da öffnen sich die Schränke, da wird das Testament verlesen, welches so zahlreiche und große Legate festsetzt und – für den bescheidenen Erben, nachdem er alle ihm aufgebürdeten Pflichten erfüllt hat, bleibt außer dem liegenden Besitz nur ein ganz unbedeutendes Vermögen übrig. Ist das nicht gar zu seltsam und sollte man es nicht fast für unmöglich halten?«
Paul war sehr aufmerksam geworden bei dieser eifrigen Rede, die ihm anfangs fast zu absichtlich vom Zaune gebrochen, deren Fortsetzung aber so viel Interessantes zu verheißen schien, daß er über die Motive dazu jetzt nicht weiter nachdenken mochte. Um daher den Rentmeister sich ganz aussprechen zu lassen, vermied er es in sein Gesicht zu schauen und sagte nur:
»Ja, es ist allerdings merkwürdig, sogar auffällig, und ich habe es im ersten Augenblick, wie Sie selbst sagen, für unmöglich gehalten.«
»O, wer sollte es nicht, die ganze Welt mußte es dafür halten – und ich, ich, Herr van der Bosch, am allermeisten. Ich war förmlich erstarrt, als ich die kleine Erbsumme des Herrn Professors vor mir liegen sah, die sich trotz allen Rechnens nicht vergrößern wollte! Sie glauben nicht, wie ich mir Tag und Nacht den Kopf zerbrochen habe, um zu entdecken, zu erdenken, wo das Vermögen des Verstorbenen geblieben sein könne, denn daß er bei Weitem mehr im Besitz gehabt, als wir gefunden, lasse ich mir durch keinen Menschen streitig machen, mag er darüber philosophiren und sophistisiren, so viel er will.«
»Wo hat er es denn aber gelassen?« fragte Paul mit wachsender Spannung und indem sein Herz heftig zu schlagen begann.
Der Rentmeister zuckte die Achseln. »Das weiß Gott!« sagte er seufzend. »Ich weiß nur, daß der sonst so gute, klare und immer richtig calculirende Herr in Geldangelegenheiten stets sehr eigensinnig und leider auch zu geheimnißvoll war, daß er in diesem Puncte Niemanden – ich sage Niemanden vertraute, daß er seine Gelder immer nur in einzelnen Summen bald hier, bald dort, bald in diesem, bald in jenem Papier anlegte, daß er die Briefe darüber stets eigenhändig abfaßte und selbst mich, dem er doch sonst Vertrauen schenkte, niemals einen Blick in diese Verhandlungen thun ließ. So kann es allerdings sehr leicht geschehen sein, daß er einen großen Theil seines baaren Vermögens – unedlen und untreuen Händen überlieferte, daß der geheimnißvolle Geschäftsmann die Eigenthümlichkeit des Herrn kannte und darauf seinen Plan gründete, und daß er also nach dem Ableben desselben, da er allein im Besitz des Geheimnisses war, schwieg, weil Niemand vorhanden war, der ihm hätte beweisen können, daß er der Vertraute in Geldangelegenheiten des seligen Herrn gewesen sei.«
»Das ist wahr – es kann wenigstens wahr sein,« sagte Paul nachdenklich, »und Sie eröffnen mir da eine ganz neue Aussicht. Ja, so kann es sein und es ist vielleicht auch so.«
»Nicht wahr?« fuhr der Rentmeister wärmer und vertraulicher fort. »Ich wenigstens lasse es mir nicht streitig machen, bis ich etwas noch Sichereres und Entscheidenderes entdecke.«
Paul schüttelte bedenklich den Kopf. »Freilich,« erwiderte er, »es läßt sich vielleicht noch etwas Sichereres und Haltbareres entdecken, und ich – das sage ich ehrlich – habe noch nicht die Hoffnung aufgegeben, daß dies Dunkel sich einst lichten wird.«
»Das sage ich auch – es muß sich einst lichten.«
»Aber wie seltsam ist es dann doch,« fuhr Paul langsam redend fort, als überlege er erst, was er sprechen wolle, »daß sich nicht einmal irgend ein Verzeichniß unter den Papieren des Verstorbenen gefunden hat, welches dem Erben an die Hand giebt, wieviel er an baarem Vermögen zu erwarten und wo er es zu suchen hat. Das pflegen vorsichtige Geldmänner doch in der Regel zu thun und mein Onkel Quentin soll, wie ich von allen Seiten höre, ein sehr vorsichtiger und umsichtiger Mann in Geldangelegenheiten gewesen sein.«
»Das ist er gewiß gewesen!« fuhr der Rentmeister mit einer Art frohlockenden Ungestüms auf. »Was Sie da sagen, hat seine volle Richtigkeit und ich bin über das Nichtvorhandensein eines solchen Verzeichnisses, wie Sie es nennen, selbst überaus betroffen gewesen.«
Diese Worte sprach er mit solcher Natürlichkeit und Wärme im Ton der Stimme und im Ausdruck der Miene, daß Paul nicht umhin konnte, die Empfindung des Redenden dabei für eine wirkliche zu halten.
»Ja,« fuhr der Rentmeister mit steigender Erregtheit fort, »an ein solches Verzeichniß hatte auch ich bestimmt gerechnet, aber auch darin habe ich mich getäuscht, und man kann daraus wieder entnehmen, daß das, was man für das Gewisseste hält, immer noch nicht gewiß genug ist. – Das aber – ach! Herr van der Bosch, ist erst die eine Seite dieser wunderbaren Erbschaftsangelegenheit, und sie betrifft den Erben. Sie hat noch eine andere Seite, und die betrifft mich. Denken Sie nun einmal an mich und versetzen Sie sich so recht in meine Lage dabei. Ach, die ist in Wahrheit so qualvoll und bitter gewesen, daß ich keine Worte habe, um meine Empfindungen auszudrücken. Fassen Sie meine Stellung genau in's Auge und dann urtheilen Sie. Ich war der erste und einer der ältesten Diener eines von Jedermann für sehr reich gehaltenen Herrn und auch ich hielt ihn für sehr reich. Bei Lebzeiten hatte er ein großes Vertrauen in mich gesetzt und das bewies er mir auch nach seinem Tode. Er starb und setzte mir nicht allein ein bedeutendes Legat aus, sondern – er ernannte mich auch, ganz gegen meinen Wunsch und gegen meine Erwartung, zum alleinigen Testamentsvollstrecker. O, hätte er das doch nicht gethan, denn das ist die traurigste Ehre gewesen, die mir in meinem Leben zu Theil geworden, und zugleich die reichste Quelle eines mir bisher unbekannten Elends! Ja, dieses Vertrauen hat mir ein großes Herzleid bereitet. Natürlich glaubte kein Mensch, daß der Herr Professor nur einundvierzigtausend Thaler geerbt haben könne und daß also hier ein Irrthum oder wohl gar ein ungeheurer Betrug vorliegen müsse. Auf Wen fiel nun der Verdacht dieses Irrthums oder dieses Betruges? Auf mich, Herr van der Bosch, auf mich ganz allein, und das erkannte ich nicht nur selbst, sondern das deuteten mir auch hämische und neidische Menschen mit Worten an, die ich nicht mißverstehen konnte. Nun denn, ich bin ein Mann, Herr Baumeister, der in allen Dingen sein ganzes Leben hindurch sicher zu gehen gewohnt ist, und so mußte ich, um meinen Ruf und meine Ehre sicher zu stellen, einen kurzen Proceß machen und ich beantragte die Untersuchung gegen mich selbst, ich rief die Gerichte herbei, legte ihnen mein ganzes Vermögen und den Nachweis des Ursprunges desselben vor und sagte ihnen, wenn Ihr nur einen Schilling findet, der nicht redlich erworben oder mir nicht gesetzlich zugefallen ist, so mögt Ihr mich hängen oder deportiren, mir ist Alles recht. O, ich bin da in einer verzweiflungsvollen Lage gewesen, das mögen Sie mir glauben, und wenn die Natur mir nicht eine so zähe Widerstandskraft gegeben, ich hätte diesen furchtbaren Schicksalsschlag nicht überwinden können.«
Er schwieg, starrte wie zerknirscht vor sich hin und kaute dabei heftig an den Nägeln seiner rechten Hand, als könne er die in ihm tobende Leidenschaft kaum bezähmen.
»Ich kann es mir wohl vorstellen,« sagte Paul nach einer Weile, »daß dieser Schlag Sie hart betroffen haben mag. Doch nun ist es ja vorüber und das Gericht hat, wie mein Onkel mir gesagt, Ihren Ruf und Ihre Ehre durch seinen Ausspruch gerettet.«
»Ja, das hat es,« rief der Rentmeister fast überlaut, als breche seine alte Wunde von Neuem gewaltsam auf, »aber der Stachel davon bleibt doch im Herzen und noch heute sitzt er darin und wird so lange darin sitzen, bis das weite Meer zwischen mir und Betty's Ruh liegt und ich endlich vergesse, was mir hier so Bitteres, so Ungerechtes, so – Unverdientes geschehen.«
Bei diesen Worten waren ihm Thränen in die Augen gekommen und Paul wurde einen Augenblick wirklich von der Wahrheit und Tiefe seines Schmerzes zum Mitleid bewegt.
»Sie sollten nicht mehr so lebhaft daran denken,« sagte er beschwichtigend; »wer ein reines Gewissen hat, kann das Aergste im Leben standhaft ertragen, und dem Redlichen ist sein eigenes Bewußtsein stets der beste Schild gegen äußere Ungebühr.«
»Ja, das habe ich mir auch schon gesagt und sage ich mir jeden Tag wieder!« rief der Rentmeister mit seltsam frohlockender Stimme und Miene und brach damit das Gespräch kurz ab, als habe er nun seine Schuldigkeit gethan, nachdem er sich gegen den jungen Mann an seiner Seite so energisch ausgesprochen und auf diese Weise die auf seiner Brust liegende Last abgeschüttelt hatte.
Dieser rasche und so sichtbar in innere Befriedigung übergehende Umschwung in dem Wesen des Rentmeisters fiel Paul auf. Er wurde nur noch stiller und nachdenklicher, als er schon den ganzen Morgen gewesen, und so trat er mit seinem Begleiter, der sich rasch erhob, den Rückweg nach dem Park an, ohne zu bemerken, daß Jener, von allen übrigen und kürzeren Wegen zum Schlosse abbiegend, den weiteren, sich vielfach schlängelnden Weg nach dem Mausoleum einschlug. Als sie endlich davor angekommen waren, warf der Rentmeister einen schmerzlichen Blick nach dem stillen Grabhügel hinüber und nickte dabei dem grüßenden Barker zu, der mit dem Kahn über das Wasser gesetzt war, um den Blumenbeeten am Fuße des grünen Hügels seine Sorgfalt zu widmen.
Als sie langsam an dem Mausoleum vorübergeschritten waren, sagte der Rentmeister lächelnd zu Paul: »Der alte Barker ist ein thätiger Mann und ersetzt durch Fleiß, was ihm an Arbeitskraft abgeht. Es ist immer seine Hauptbeschäftigung gewesen, die Umgebung des Mausoleums in Ordnung zu halten und – sehen Sie, wie regelrecht und reinlich hier Alles aussieht.«
Paul dachte in diesem Augenblick an etwas ganz Anderes; der Spuk, von dem ihm am Morgen der alte Gärtner erzählt, kam ihm daher nicht in den Sinn und so sprach er auch nicht davon. Endlich blieb der Rentmeister stehen, nahm höflich den Hut ab und sagte:
»Das war unser erster Spaziergang auf Ihres Herrn Onkels Gut, Herr van der Bosch, und ich bedaure, daß ich Ihnen denselben nicht durch angenehmere Gespräche habe verkürzen können. Aber doch ist es gut, daß wir gleich zuerst die Hauptsache abgehandelt haben. Ich wenigstens fühle mich erleichtert und so ist doch Einer von uns befriedigt. Leben Sie wohl, Herr Baumeister. Jetzt, da Ihr Herr Onkel Ihre Gesellschaft genießt, wird er meiner weniger bedürfen als früher, sollte er aber irgend einmal Verlangen nach mir tragen, so werde ich jederzeit bereit sein, mich auf seinen Wunsch vorzustellen. Ich mag dem guten alten Herrn nicht lästig fallen. Wollen Sie die Güte haben, ihm diese meine Ansicht mitzutheilen, so werden Sie mich sehr verbinden.«
Paul erwiderte einige zusagende Worte, nahm dann seinen Hut ab und die beiden Männer schieden von einander, ohne daß sie sich durch ihre Unterhaltung näher gekommen wären. Paul wußte selbst nicht, warum die letzten Worte des Rentmeisters ihm so stark und scharf in's Ohr gefallen waren. Hatte derselbe sie lauter oder mit einem bestimmteren Ausdruck als seine früheren gesprochen, oder lag etwas Anderes, gleichsam eine gewisse übermüthige Sicherheit oder eine Art Pochen auf seine Unentbehrlichkeit zwischen denselben, was ihn auf den Wechsel im Wesen und Gebahren des Mannes aufmerksam zu machen geeignet war? Wie gesagt, er wußte es nicht, auch kannte er ihn noch nicht genau genug, konnte sich also leicht in ihm irren, und darum legte er sich selbst noch kein Urtheil über ihn ab. So schritt er vor der Hand ruhig den Weg entlang, um seinen Spaziergang noch ein Stündchen fortzusetzen, da er noch lange nicht ermüdet und noch weit weniger mit seinen Ueberzeugungen in's Reine gekommen war. Kaum aber hatte der Rentmeister die Kastanienallee erreicht und war seinen Blicken entschwunden, so zog er sein Cigarrenetui aus der Tasche, zündete sich eine der geerbten Cigarren an und schritt lächelnd und sich jedes Wort und jede Miene wiederholend, die er so eben gehört und gesehen, an dem Schlosse vorüber, um auch den jenseits desselben gelegenen Park zu besuchen, den er bisher nur oberflächlich in Augenschein genommen hatte.