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Auf einsamen Farmen des westlichen Virginien, wo die Wasser der beiden Kanawha und des Monongahela zum milderen Klima der Ohiolandschaften niederströmen, zeigt sich noch heutigentags bisweilen ein Gespenst.
Wind wühlt in den Wäldern, Teekessel summt, man sitzt geborgen vor herbstgold-buntem Knattern des Sprühfeuers am breiten Abendkamin, erzählt sich die unsterblichen Geschichten von McCullochs Sprung und McGarys Wettlauf mit dem Tode, von Kaspar Manskers niemals fehlender »Nancy« und Harrods geheimnisvollem Ende, von Daniel Boone und Simon Kenton, den alten hirschledernen Helden der Wildnis, und aus zuckenden Lichtwürfen der Flamme wachsen riesig die tragisch finsteren Schatten großer Häuptlinge heraus – da schauert es kalt von der Tür her, sträubt den fletschenden Hunden den Kamm, erfüllt den Raum mit unheimlicher Gegenwart: und da steht es fremd im geisternden Flackerschein, glimmende Augen, ein Menschtier in Fell und Vlies, Tomahawk im Gürtel, schwere Flintbüchse in der Faust, an der Hüfte ein Bündel frischer Skalpe, deren Schopfpinsel noch spitztriefend von Blut. Unbedacht angerufen, verschwindet die Gestalt auf der Stelle; allein es heißt, oft breche dann Unheil über das Haus herein, ja man erinnert sich, wie vor geraumen Jahren ein vorwitziger junger Farmer, ein gewisser Reynolds, als er den Eindringling mit Fluch und Spott begrüßt, wenige Tage hernach rätselhaft getötet und nach altem, grausamem Kriegsbrauch furchtbar verstümmelt aufgefunden worden. Mitunter aber, in bitteren Froststurmnächten zumal, läßt sich der düstere Gast zu kurzer Rast an der 4 Feuerstatt nieder, trocknet und wärmt seine pelzenen Mokassins, schraubt einen neuen Zündstein in den Schnabelhahn seiner Waffe, prüft die Schloßfeder auf Klang und Zug, zählt die schrecklichen Trophäen am Gürtel oder die Kerben am Kolben, und niemand wagt ihm zu wehren oder sein Gehaben zu stören: denn es ist Ludwig Wetzel, der vor hundertundvierzig Jahren gelebt hat.
Damals schon, in den Tagen der Kämpfe um Kentucky und die Freiheit, war er mehr Gerücht gewesen als Wirklichkeit. –
Mit dem Vorrücken der Grenze gegen den Ohio hinab erschien in den Niederlassungen zuweilen ein Mensch, den selbst die furchtlosen Ansiedler, bemalter Indianer und der Geister des Urwalds gewohnt, mit dunkler Scheu betrachteten.
Ältere Männer, die vordem ihren Mais in den langen Talstrichen zwischen den blauen und den alleghanischen Bergen gebaut, wollten sich seiner von der früheren virginischen Wanderheimat her erinnern oder wenigstens von ihm gehört haben. Auch dort sei man ihm als einem düsteren Sonderling, der Gastlichkeit so wenig begehrte als bot, Whisky, Weiber und Worte verachtete und sein Treiben wie seine Gedanken gegen alle menschliche Gemeinschaft mit finsterem Nachdruck abschloß, lieber aus dem Wege gegangen. Ernstlich Nachteiliges indessen könne man ihm kaum nachsagen, im Gegenteil, wo man ihn gekannt, habe er stets für einen Meister in den rauhen Tugenden der Wildnis und ihrer Not gegolten. Nur daß etwas mit ihm nicht richtig war; aus den Tiefen der bösen grauen Augen im bartüberwucherten Gesicht glomm es dumpf gleich faulendem Holz, die beherzten Frauen, feuererprobt und entschlossen, jeden Feind im Nahkampf zu bestehen, wandten sich erschauernd von ihm ab, und sogar 5 die Männer, hart wie Hickory, in ständigem Kriege zu Eisen erstarrt, liebten es nicht, wenn er ihren Pfad kreuzte oder gar, ein seltenes Ereignis, über ihre Schwelle trat.
Das hatte jedesmal eine bestimmte Bedeutung; keine erfreuliche. Denn nicht um einen Platz an der Feuerstatt oder einen Schnitt von der gebratenen Hirschkeule anzusprechen, nicht um nach gutem, altem Hinterwäldlerbrauch dem Nachbar beim Enthülsen der Maiskolben, beim Sud des Ahornzuckers oder sonst geselliger Verrichtung mit Hand und Rat behilflich zu sein, zeigte sich der graue Gast unter mitmenschlichem Dach. An Wildbret litt er, der seine Kugeln von besonderem Blei mit geheimer Zutat goß und aus dem Körper des erlegten Tieres sorgsam wieder herausschärfte, niemals Mangel; an Aussaat und Ernte nahm er, der das Leben eines Bauern verschmähend einsam unter den Wölfen und Adlern der Wildnis wohnte, niemals teil. So wußte man bald, daß sein Besuch immer nur einen Grund und Sinn haben könne, den der Warnung vor drohender Gefahr, und wo die schäbige Ottermütze um einen Zaun strich, griffen die Männer sogleich zu den Waffen, dem schweigenden Führer über die Klärung weg nach der Spur zu folgen, die ihnen die Nähe spähenden Feindes bewies. Auf Reden und Raten aber ließ der struppige Alte sich nicht weiter ein; hatte er seiner Wächterpflicht genügt, die Jäger auf die verdächtige Fährte gesetzt, so rückte er das Pulverhorn am Riemen zurecht und ging ohne Urlaub seiner Wege, unbekümmert um jener Beschlüsse, Pläne und Schicksal.
Auch von größeren Unternehmungen, wie solche die durch Überfälle und Greuel furchtbar gereizten Grenzer gegen die durch Treulosigkeit, Vertragsbruch und fortgesetzten Landraub ihrerseits unversöhnlich erbitterten Indianer aufboten, hielt der verdüsterte alte 6 Mann sich gehässig fern; jene ließ er ziehen und führte die Fehde auf eigene Faust. Doch gewöhnte man sich an Duldung seiner abseitigen Art; jeden anderen hätte man durch offene Verachtung und Aussperrung zur Erfüllung seiner Bürgerpflicht gezwungen; ihn, den Einsamen und Bedürfnislosen, hätte solche Schärfe ohnehin kaum geritzt, wohl aber gereizt, und gerade das wünschte man aus Vorgefühl und Erfahrung lieber zu vermeiden.
Es brannte etwas unter den Brauen dieses verwilderten Antlitzes, es spukten da Irrlichter, vor deren plötzlichem Aufflammen auch rauhen Männern der Mut gerann, und einem jungen vorlauten Kampfhahn, der Art in jeder Niederlassung etwelche die Sporen und Schnäbel wetzten, war eine unvergessene Lehre zuteil geworden. Gegen Genossen gleichen Schlages hatte er sich verwettet und verschworen, und als er eines Tages über seinen Verstand getrunken, stellte er den Alten und hielt ihm unter anzüglichen Spottreden das volle Rumglas und die blanke Klinge zur Wahl vor. Nun geschah etwas Ungewöhnliches. Jener, mit einemmal wachsend, wandte dem Prahler ganz langsam sein verwittertes Gesicht zu, traf ihn mit einem Blick, daß der Angreifer, seinem eigenen späteren Zeugnis nach, sich förmlich gebannt fühlte, und fuhr ihm mit sicheren Griffen in die Arme: das Messer klirrte unschädlich zu Boden, das Glas fiel in Scherben, die gelösten Fäuste hingen schlaff herab. Es habe ihn wie ein Krampf durchstarrt, erzählte nachträglich der tiefbetroffene junge Mensch; ohne daß er eigentlich Druck oder Schmerz verspürte, sei er von einer rätselhaften Kraft völlig gelähmt worden. Keine Hand regte sich zu seinem Beistand; aus den verhangenen Augen drohte der Blitz, niemand gelüstete die verdiente Niederlage zu teilen. Der graue Jäger aber kehrte sich gelassen ab, erledigte schweigend das Tauschgeschäft, um 7 dessentwillen er gekommen – drei Bündel Rauchwerk gegen ein mäßiges Säckel und ein Horn voll Schießpulver, davon er nach sorgfältiger Untersuchung auf Glanz und Korn eine Probe abbrannte – sah nach dem Zündkraut auf der Pfanne und ging ohne Gruß über die Klärung hinauf nach dem Walde, in dessen Dämmerung er verschwand.
Von nun an hatte er Frieden; man ließ ihn gewähren. Größerer Beute konnte sich doch kein Mann an der ganzen Grenze rühmen. Mied er auch jede Waffengemeinschaft mit den Ansiedlern, seine heimliche Kriegführung, die einer Raubkatze, mußte dem Feinde weit furchtbarer sein als die hordenweisen Unternehmungen, Streifzüge und Vorstöße der Miliz. Wie der silberbraune Berglöwe unter den Hirschen, so hauste er unterm menschlichen Rotwild, den Indianern, von denen er gleichwohl selbst seine Künste und Bräuche gelernt zu haben schien. Selten sah man ihn ohne den schrecklichen Schmuck blutfrischer befiederter Kopfhäute; die rauchenden Skalpe an seinem Gürtel wurden ebenso sprichwörtlich wie sein wölfisches Wesen, seine unversöhnliche Absonderung. Nur mit den Händlern pflog er Bedarfes wegen einigen Verkehr; von seinen näheren Umständen wußten auch sie wenig und erfuhren nichts.
Aber im dornigen Busch netzt gern die Spinne, und an den herbstlichen Abendkaminen, bei deren behaglichem Flackerschein die Nachbarn einander den Mais hülsten, die Frauen den Brustflaum des Wildschwans zu Daunen schlissen, die Männer spiegelndes Blei auf Kugeln gossen, spann sich aus weither verwehten Fäden und Flocken Garn und Geweb.
Ja, die vielen Meilen von Sandusky an den Seen drüben bis nach Wheeling am Ohio herauf sollte er einmal in drei Tagen hinter sich gebracht haben, und ein halb Dutzend ausgelöschter Verfolger dazu; die 8 Klinge eines starken Jagdmessers zerbrach er mit offenen Händen, als wär's Dürrholz zum Lagerfeuer; noch gar nichts – in schwarzer Nacht das aufglänzende Späherauge treffe er auf sechzig Ruten, den Fisch im Sprung, den scheitelrecht kreisenden Adler über Bereich des Blickes hinaus . . . Gäbe ja sogar Leute, die blind drauf schwüren, er sei fest gegen Stahl und Strahl; in Fincastle droben, man hatte es verbürgt, da war's gewesen, wo einer die gegen ihn abgefeuerte Kugel gelassen aus dem Busen des Jagdhemdes hervorholte und dem Schützen mit verächtlichem Auflachen zuwarf . . . Ah, und daher das Gerücht, daß er keinen Schatten fällte; freilich, und hat es denn Dean Shelby nicht ganz deutlich gesehen, wie einer – kein anderer als der – im Mondschein vor ihm her durch den frischgefallenen Schnee ging, ohne die geringste Fährte zu hinterlassen? . . . Ja, weiß Gott! . . . am Ende war das überhaupt derselbe, von dem der alte Isaac McCreghan – der später den Wyandots in die Hände fiel und scheußlich umgebracht wurde – vor Zeiten schon glaubhaft erzählt, er habe es mit eigenen wachen Augen geschaut, wie eine drittel Unze guten heißen Bleies, dahinter ein rechtschaffenes Maß trockenen Pulvers verbrannt, durch einen Menschen hindurchfuhren wie durch einen Nebel und dann weit hinten irgendwo auf einen Stamm schlugen . . . Ein unansehnlicher, kleiner grauer Kerl sei das gewesen. ein widerwärtiger Patron, der mit niemand seine Wege teilte, nirgends seßhaft blieb und mit seinem Erscheinen jedesmal Unglück verkündete, Waldbrand, Pest oder Überfall . . . Und McCreghans Wort, das hatte zu seinen Zeiten gegolten wie die Heilige Schrift.
Flamme knackte, Rocken schnurrte, Spinngarn schimmerte, düsterrot spiegelten die blankgescheuerten Büchsen überm Kamin: – draußen aber stand es dunkel und geisterstill, selbst von den Hunden nicht 9 gewittert, vor dem verriegelten Zauntor, und niemand ahnte die arme ruhelose Wolfsseele, die einsam in schauernder Herbstnacht die gehegten Heimstätten umkreiste, aus heißen, bösen Augen nach ihren goldenen Lichtern starrte und mit ihrer grollenden Sehnsucht, mit ihrem Leid, mit ihrem ungelösten Fluch mitten unter den Glücklichen war. Und wenn das müde Haus zur Ruhe ging, der hirschlederne Beutel, prall von sauberen runden Kugeln, an den hörnenen Haken, Rad und Rocken in den Winkel, das Gespinst in die Beikammer, das Feuer unter die Asche, die Menschen unter die warmen Felldecken, die Herzen mit ihrem Sorgen und Meinen unter Gottes Wille und Hut: hielt einer auf die lange Büchse gestützt immer noch gespenstige Wacht unter den kalten Sternen, lauschte dem Blätterfall der Wälder, dem hohen Brausen der Wandervögel und dem friedlich atmenden Schlaf. – –
Das war Johann Ludwig Wetzel, weitum in den Niederlassungen der Grenze von Tennessee bis hinauf an den Susquehannah bekannt, verrufen, gemieden und gefürchtet als »der wilde Deutsche«.
Die Kinder der Forts rannten schreiend vor seinem flechtengrauen Bart und dem langen Haar, das in wirr verfilzten Strähnen aus der räudigen Ottermütze hervorquoll; die Frauen scheuten seinen düster bewölkten, von inwendigen Blitzen durchleuchteten Blick und schauderten vor den grausig rohen Siegeszeichen in seinem Gürtel; die Mütter aber riefen ihn um Beistand gegen Ungehorsam und Eigensinn ihrer Kleinen, und wo ein Verbot nicht fruchten, eine Weisung nicht wirken wollte, da zeigte sich an der Wand der Schatten des bösen Mannes mit dem Märchenbart. »Der wilde Deutsche ist hier, gleich sag' ich's ihm, er kommt und wird dich holen.« »Wenn du nicht betest, so wirst du werden wie der wilde Deutsche, der wollt' 10 es auch nicht und kennt keinen lieben Gott und muß drum wandern in Ewigkeit.« Und die reinen Händchen falteten sich verängstigt, und die unschuldigen Lippen stammelten betränt ihr Sprüchlein; aber der graue friedlose Mann spukte dann noch lange in aufschluchzenden Träumen.
Doch in Winters heiligen Morgendämmerungen, wenn die Christsterne über den starren Schierlingstannen sich im erblassenden Frosthimmel verloren, stutzte der alte Wolf auf seinem Heimtroll zuweilen vor befremdlicher Witterung und eine frischgestapfte Fährte trat aus dem stillen Weihnachtsschnee. Rings um die Zäune der frührauchenden Siedlung führte sie und über die Stoppeln der Klärung nach dem Dunkel der Wälder zurück. Da und dort hatten pelzene Mokassins stillgestanden und der Kolben einer Büchse geruht; da und dort hatte eine gottlose Sünderseele nach dem geheimnisvollen Lichterglanz des Wunders und der verlorenen Heimat gespäht und auf den leistiefen Innenklang alter Choräle gelauscht. Aber was im Harsch des Bartes zu Eis geronnen, das hatte keine Spur hinterlassen; es gab keinen Weg zu den Menschen und ihrem geheuchelten Frieden.
Keinen Weg zu den Menschen und ihrem Wohlgefallen und ihrem Trachten und Trügen: allein der Spätsommermond, wenn er glührot aus Dunst der Wipfel heraufstieg und düster über das flüsternde Maisschilf der Feldlichtungen schien, traf mit seinem Strahl das dumpfblinkende Eisen einer Büchse, den dämmernden Umriß einer unbeweglichen Wächtergestalt. Die Männer draußen auf Streif- und Strafzügen gegen den eingeborenen Feind oder im freiwilligen Kriegsdienst gegen die englischen Truppen; die Frauen, die Heranwachsenden und untauglich Zurückgebliebenen müde von heißer Arbeit des Tages; die Feldfrucht hoch in Saft und Schaft, daß sie ganzen Schwärmen 11 ankriechender Mordbrenner Deckung bot: – wenn plötzlich Flammen an allen Ecken der Palisaden oder gar aus den kienigen Schindeln aufprasselten, und die Überfallenen sprangen geblendet in eine heulende Hölle von bemalten Fratzen, wirbelnden Beilen, blitzenden Skalpiermessern, Pfeilen und Kugeln heraus! . . . So war es damals am Shenandoah gewesen, so zum andern Male am Roanoke drüben unter den blauen Bergen . . . Damals, damals! . . . Schwarze Bilder jagten durch heiß aufglühende Erinnerung, eine unversöhnliche alte Faust ballte sich zum Krampf um den Kolbenhals wie um die Drossel eines tödlich gehaßten Gegners . . . Aber drin die Kinder, die zeternd vor dem verrufenen Graubart davonrannten, die Mütter, die sich schaudernd von ihm abwendeten, die Häuser, über deren Schwellen man ihm lieber entgegentrat als ihn einließ, sie schlummerten in der guten Hut schlafloser Spähersinne, und erst mit dem fahlen Hahnenschrei, wenn die Fledermäuse um den Niedergang des Mondes kreisten und der Whippoorwill mit letztem Klageruf über den Maisstauden spann, löste sich's unhörbar aus dem Zwielicht, zog mit dem kühlen Frühnebel durch taublasse Morgenstille der Felder und verschwand im brauenden Abgrund der Wildnis.
Das war der wilde Wetzel, von Freund und Feind gefürchtet wie kein zweiter unter all den Jägern und Helden der Grenze. –
Seine Eltern, zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges vor dem Menschenschacher und den Subsidienverträgen ihres Landesvaters geflüchtet, hatten aus der hessischen Heimat nichts mitgebracht als ihre deutsche Gottesfurcht, ihren deutschen Fleiß und ihre deutsche, unter Druck verstählte Geduld: Werkgerät, dem die unermeßliche neue Heimat lohnendes Feld bot.
Sie ließen sich zuerst in Maryland, später dann in 12 Pennsylvanien nieder, wo man damals am meisten in der Bibel las und vor den Beilen und Pfeilen der Wildnis nichts mehr zu befürchten hatte. Ihre Feldfrucht gedieh, ihre Habnis wuchs zum Wohlstand. Da vernahmen sie von den Segnungen Virginiens, brachen auf und zogen mit den beiden inzwischen geborenen Knaben und mehreren anderen deutschen Familien nach den langgestreckten Talgründen des Shenandoah, wo schon der Bau eines Blockhauses und die Pflanzung einiger weniger Maisstauden dem Ansiedler das Besitzrecht über vierhundert Acker und das Vorkaufsrecht auf weitere tausend Acker Landes sicherte.
Sie fanden den unbedachten Tausch zu bereuen. Ihre Seele hatte sich von hunderterlei geliebter Entbehrlichkeit nicht trennen können; nicht gefaßt auf einen neuen tapferen Anfang waren sie, sondern voll ungeduldiger Freude, sich mit ihrem gewohnten Hausstand auf freier Scholle behaglich auszubreiten. Ahnungsvolle Einsicht einiger Männer stieß auf erbittert zähe Anhänglichkeit der Frauen; diese behaupteten sich in ihren unverminderten Schätzen, und statt mit Büchse, Axt und notwendigstem Gut allein setzte die Gesellschaft mit einigen fünfzig Packpferden, Kasten, Truhen, Verschlägen und Herden schwerfällig über den Potomac.
Am Unterlaufe des Shenandoah hatten sich schon andere Gemeinden angesiedelt, presbyterische Iren zumeist, herbe, düstere Leute, hart und starr. Mit kargem Rat warnten sie die Deutschen vor weiterem Vordringen in die weglose Wildnis, wo der Überfluß an mitgeschleppter Habe den Marsch gefährlich verzögern, außerdem die Beutegier der allgegenwärtigen Indianer unfehlbar reizen würde. Doch vor solch finsterer Nachbarschaft graute den Frauen, und auch die Männer fühlten keinerlei Hinneigung zu diesen rohen, trotzigen Menschen, die schon immer ihre Perücken und Hüte verspottet hatten und jetzt wieder ihre 13 Überlegenheit kalt geltend machten. So zog die Karawane mit Kind und Kalb, mit Huhn und Huf an den Niederlassungen vorüber in die dunkle Fremde hinein, und überm Schimmer der letzten Lichtung schloß sich dumpfdämmrig der Wald.
Die Reise führte nicht weit. Schweifende Indianer, nach mißlungenem Überfall auf weiter ostwärts abgelegene Siedlungen versprengt und desto rachsüchtiger, waren auf die sorglose Spur der Deutschen gestoßen, hatten sie verfolgt und im dichten Unterholz still umflügelt. Aus plötzlichem Schauer von Pfeilen heulte es mörderisch mit flirrenden Augen, Tomahawks und Messern über entsetzte Verwirrung herein. Vor dem Feuerhagel der Musketen wichen die bemalten Krieger zwar zurück; die Auswanderer, zumeist ungeübte Schützen, hatten mit der Postengarbe ihrer weitmündigen Trabukflinten wirklich einige der Angreifer getötet, mehrere schwer verletzt. Allein dieser Zufall war kein ermutigender Sieg. Auch die Waffen der Wildnis hatten Witwen gemacht. Zwei wackere Hausväter, die vor kurzem noch im frommen Pennsylvanien friedlichen Wohlstands genossen, lagen im Sterben, andere bluteten aus gefährlichen Wunden. Vater Wetzel war von verfehlendem Beilwurf in die Schulter getroffen worden; einer jungen Frau schwankte der befiederte Schaft eines verschlagenen und daher ermatteten Pfeils aus der vollen Mutterbrust, die sie eben ihrem Kleinsten gereicht. Ein dreijähriges Kind lag weggeschleudert mit zerschmetterter Stirn, ob durch Sturz, Hufschlag oder Streitaxt; eine andere Frau, beritten wie alle, vom scheuenden Tier ins Dickicht getragen, hatte am Dorngezweig das rechte Auge eingebüßt; die Herde und die Packpferde mit ihrer Last waren nach allen Richtungen weggebrochen, verstreut abgestreifte Habe zeichnete die Spuren ihrer Flucht. Endlich notdürftig gefaßt, 14 beschloß man in einstimmigem Kleinmut den Rückzug; gleichviel wohin, nur fort aus dieser Schrecknis und in Sicherheit. Die Frauen voran erklärten aufs bündigste, lieber auf der Stelle verhungern, als weiter in allgegenwärtig zielende Pfeile und gezückte Messer hineinreisen zu wollen, und die niedergeschlagenen Männer gaben ihnen bald recht. Indes der Abzug, so selbstverständlich, war an sich schon ein neues Wagnis. Noch lauerte rings in Deckung der Feind, glühend erbittert ob seiner Verluste; das sagte selbst geringe Erfahrung. Die Nacht nicht mehr fern, die Wunden zu matt zu scharfer Anstrengung, und die Gefallenen wollte man nicht von Späherblicken beobachtet in wilder, fremder Erde bestatten. Aber auch weder die entlaufenen Pferde und Rinder noch das verstreute Gut mochte man so ohne weiteres preisgeben, und wieder waren es die Frauen, die trotz Jammer und Leid, nachzitternd vor Schreck, hartnäckig auf Bergung des Erreichbaren bestanden. Rechtzeitige Hilfe befreite die ratlos Beratenden aus ihrer Bedrängnis und ihren Zweifeln. Jäger von der irischen Ansiedlung, die im Walde gestreift, hatten die Schüsse vernommen; flüchtig begegnendes Hausgetier, mit Pfeilen gezeichnet, bestätigte ihre augenblickliche Befürchtung. Die ungestüm gebrochenen Pfade und herumliegendes Gepäck wiesen sie leicht nach der Stätte des Unglücks; einige Pferde und Kühe, unterwegs eingefangen, brachten sie gleich mit. Was an Truhen und Ballen ohne Verzögerung zu sammeln, wurde den bebenden Gäulen neu aufgeseilt; um die wehleidigen Wünsche der Weiber kümmerten sich die schweigsamen Retter nicht. In ihrem Geleit und unter ihren strengen Anordnungen erreichten die Auswanderer den Schutz fester Dächer.
Das war des wilden Wetzel erstes Erlebnis. –
Die Wunden heilten; die erst verschmähte Nachbarschaft der düsteren Iren wurde zur neuen Heimat. Sie 15 liehen den Deutschen ihren belehrenden Beistand beim Bau warmer, behaglicher Waldhäuser, Balken auf Balken gefalzt, der Fußboden aus spitz zubehauenen Blöcken gefügt, Grundrost, Wandungen, Bohlen, Dachgerüst, jedes von besonderem Holz und sorgfältig gewähltem Baume, das Ganze wohnfertig binnen acht Tagen, und kein Zoll Eisen daran außer dem der fällenden und formenden Axt. Sie unterwiesen die minder Erfahrenen in Kenntnis des jungfräulichen virginischen Bodens, wie aus seinem Flor und Urbewuchs auf die Scholle und von dieser auf die zu erwartende zahme Frucht zu schließen; zeigten ihnen den Nutzen der Büffelwolle im Webstuhl und die Handhabung der leichten langschäftigen Beile; unterrichteten sie in den Künsten des Zucker- und des Salzsudes, des mancherlei Gerbens und des weittragenden Schusses aus gezogenem Rohr. Ihren Mitchristen gaben sie ein Beispiel ernster Nächstenliebe, ihren Mitgrenzern das Vorbild siegreich unabhängiger Bedürfnislosigkeit. Aus dieser Saat ersproßte die bescheidene Blüte einer neuen angeschwisterten Niederlassung, ein Weiler von zwölf oder fünfzehn umzäunten Hütten, über die Äcker der langsam um sich wachsenden Klärung hin verstreut; Heimweh und Erbitterung gegen den französischen Räuberkönig nannten ihn Worms, nach der schmählich niedergebrannten Domstadt am geliebten Rhein.
Aber Dankbarkeit und Gemeinschaft schlossen die Deutschen nicht enger an ihre wortkargen, harten Freunde. Sie glichen dem Urwald, der die Arbeit ums tägliche Brot tausendäugig mit seinen Gespenstern umstarrte, gegen den man das mühselig Abgerungene auch noch mit wachsamer Waffe behaupten mußte. Kein munteres Fest lohnte den Fleiß einer Jahreszeit, mit keinem bunten Feierkleid sollte man den Sabbat ehren. In deutlicher Geringschätzung wichen die herben Kelten der dringlichen Gesprächigkeit ihrer Nachbarn 16 aus, mit unverhohlener Mißbilligung mieden sie ihre müßige Geselligkeit. Ihr eigenes Leben floß eintönig zwischen wiederkehrenden Pflichten dahin; fand man sich zusammen, so war es zu gemeinsamer Arbeit und gegenseitiger Hilfe oder zu aneifernd vergleichender Übung notwendiger, ernster Fertigkeiten. Die Hausmütter spannen und woben, gerbten und nähten, körnten den Mais und schroteten ihn auf der Herdmühle; die Männer jagten und rodeten, zimmerten und schnitzten, fällten Holz zum Winterbrand und bestellten die geklärte Dammerde mit Feldfrucht. Hatten sie eben Zeit und Laune, so schossen sie um die Wette nach der Scheibe oder nach dem Licht; die Knaben stählten sich in Lauf und Sprung, die jungen Hähne maßen sich in knirschenden, erbarmungslos grausamen Ringkämpfen. Selten nur fand sich ein Fäßchen Rum nach der presbyterischen Siedlung; seltener noch schoß aus der Finsternis eiserner Frömmigkeit die plötzliche Lohe blutroter, roher Genüsse hervor. Von den europäischen Fürsten und ihren Liebschaften sprach man wie vom Antichrist und dem großen Babylon; unter den heiligen Schriften galten die Zornbücher des Alten Testaments und die Weltenbrände der Offenbarung mehr als die Holdseligkeit des Evangeliums. Als aber Suzan Bradshaw in die Jahre gekommen war, einem Manne in sein Haus zu folgen, knockten Josuah McKay und Aron Connolly zur Feier des Sabbats und zur Spannung der Zuschauer in öffentlichem Faustgang einander die Augen aus; und wie dann die Hochzeit mit dem Sieger Connolly bei Hirschbraten, Apfelpasteten und Whisky begangen, die Braut von ihren Freundinnen, der Bräutigam von seinen Gefährten zu Bett gebracht worden, entbrannte um die Hütte der Neuvermählten eine nächtliche Parteischlacht, in deren Wechselfeuer ebensoviel Holz und Luft von Kugeln durchbohrt wurden wie bei einem indianischen 17 Überfall. Niemand fand sonderlich Böses daran, am nächsten Tage war die trockene kalte Ordnung wiederhergestellt: – aber die Wormser konnten in diesem nordheidnischen Israel, in diesem alttestamentarischen Schottland oder Irland ebensowenig trautheimisch werden wie in dieser abgeschiedenen Gegend, wo dem leichten Erwerb ausgedehnter Ländereien allgegenwärtige Gefahr, stete Sorge und verdrießliche Einsamkeit als Nachteile gegenüberstanden.
Und so ergiebig die warme, frische Urwalderde, so wenig Arbeit zu ihrer Bestellung vonnöten, mit seinen Ernten, Vorräten und Erträgnissen blieb Worms immer hinter dem presbyterischen Hebron zurück. Während dort die Spindeln schnurrten, die Webstühle rauschten, die Hanfgarben dunsteten, verseufzten hier die Frauen ihre Zeit nach dem bunten Tand und den geselligen Vergnügungen der östlichen Städte, waren diese gleich bescheiden und nicht immer gemäß deutschem Brauch und Gemüt. Aber in Richmond und Charleston wurden Rennen geritten, und die reichen Pflanzerinnen trugen sich ohne Bedenken in Spitzen und Seide: da wurde man gewiß nicht gleich um jede Schleife und jedes bißchen Freude scheel angesehen.
Durch bohrende Wiederholungen solcher Klagen ermüdet und verstimmt, von unvernünftiger, durch ewige Furcht verdoppelter Anhänglichkeit belästigt und in der Ausübung ihrer Pflichten gehindert, faßten aber auch die Männer keine rechte Liebe zum Orte, wo selbst treue tägliche Arbeit nicht den Lohn häuslichen Friedens brachte, nur die Stillung einfachster Notdurft mit tränenversalzenem Brot. Sie wurden lässig und unmutig; häufiger als zu Anfang nahm ein Fäßchen Branntwein in Worms seinen Aufenthalt, kostete es gleich ein Kalb oder einen Ballen guter Bälge. Wennschon! . . . darüber vergaß man dann doch wenigstens den Preis! . . . Für solchen 18 Weiberstaat, wie ihn der Händler nach langen Monaten mit seiner Ware über die Gebirgspässe herschaffte, mußte man ja eine schöne Zuchtkuh opfern, und ein Gebünd Schießpulver, unentbehrlich wie das liebe Leben, hatte den Tauschwert gerade der Bündel Felle, zu deren Erbeutung es rein aufging. Schließlich zeigten sich die strengen Gevatterinnen von Hebron in ihrem derben Wildlinnen sauberer angetan als ihre weltlicheren Schwestern in verschlissenem Tuch; dort gingen die Männer winters in schmuck ausgepelzten Mokassins und zierlich gesteppten Lederwämsen, hier verwilderten sie in verpichten Bärten und dürftigen Lumpen, darüber die Reste ihrer Perücken sich wunderlich ausnahmen, und nur die notdürftige Arbeit bewahrte ihr Eisen vor Rost. Mit finsterem Abscheu sahen die Leute von Hebron auf diesen schnellen Verfall; die von Worms aber verwünschten es inbrünstig, daß sie von diesem trostlosen Virginien jemals etwas gehört.
In dieser Schule wuchs Johann Ludwig, der kleine Wetzel auf.
Sein Vater hatte sich vom Wurfhieb des indianischen Beiles nie ganz erholt. Die Schulter blieb lahm, ihr Arm fast untauglich zu härterer Arbeit.
Dennoch zählte gerade er nicht zu den Unzufriedenen. Mit bedächtigem Eifer übte er sich in der feinen Kunst des Büchsenschießens. Seine gemache Art kam ihm dabei zustatten, sein Gebrechen zwang ihn nur zu desto größerer Sorgfalt. Bald konnte er sich mit den besten Schützen von Hebron messen. Sowie er in windstiller Nacht das regelmäßige Knallen der benachbarten Büchsen vernahm, hakte er seine schwere Waffe herunter und ging durch den die beiden Siedlungen trennenden Waldstreifen hinüber nach dem Schall, um sich am nützlichen Vergnügen des 19 Lichtputzens zu beteiligen. Der kleine Hanns Ludwig durfte ihn dabei begleiten, den prallen Kugelbeutel tragen und dem spannenden Spiele zusehen. Ein starkes Talglicht brannte, vor Zugluft geschützt, einsam im Dunkel des Tanns; aus dem düsterroten, unstet schattenwebenden Dämmerkreis niedriggehaltener Flammen feuerten die Männer über wohl fünfzig Ellen nach dem kleinen zuckenden Ziel, mit ihrem Lot den Docht nicht etwa zu köpfen und auszulöschen – selbst dieser Treffer galt als Fehlschuß –, sondern nur eben leise zu streifen, so daß er, vom Fettruß befreit, heller aufstrahlte. Das schwierige Meisterstück wurde nur selten vollbracht und dann mit neidlosem Beifall begrüßt. Wem es wiederholt glückte, der konnte damit rechnen, bei der nächtlichen Fackeljagd das aufgefangene Licht im Auge des geblendet starrenden Wildes zu treffen, der Hauptzweck dieser kostspieligen Übung. Wetzel erwarb solche Geschicklichkeit, daß er verläßlich mit dreien von sieben Ladungen dem unsichtbaren Docht seinen schwelenden Räuber abschneuzte; er genoß darum unter den irischen Siedlern der Ausnahme einer gewissen Achtung und wurde bei ihren Veranstaltungen gern gesehen.
Seine Fertigkeit wurde sein Erwerb. Sein steifer Arm konnte nicht fällen und zimmern, roden und werken; aber den Kolben in die Achsel stemmen und den Drücker ruhig abziehen, das konnte er. Von den Nachbarn lernte er die Anfänge virginischer Jagdkunde; auf immer ausgedehnteren Streifzügen in die Wildnis erwarb er nützliche eigene Erfahrungen. Er war es, der dann den ganzen deutschen Weiler mit frischem Wildbret und Häuten versorgte; nebenher erbeutete er Rauchwerk in Überfluß zu gewinstlichem Eintausch und Unterhalt seiner Familie.
Auch auf diesen Gängen begleitete ihn der kleine Ludwig, von der Mutter mit Liebe Lützel, von den 20 Iren in treffendem Anklang Little genannt, der jüngere, aber regere der beiden Knaben.
Zuerst nahm er ihn nur in den nahen Wald mit, wenn es etwa galt, ein paar Dutzend der grauen Eichhörnchen mit leichtgeladenen Streifschüssen zu betäuben, daß sie unverletzten Balges herabstürzten und mit einem Schlage getötet werden konnten, ein sehr beliebtes und lehrreiches Weidwerk, zugleich ein vorteilhafter Zeitvertreib; denn die zarten Felle, in den üppigen Pflanzerstädten des Ostens viel begehrt, selbst nach Europa verschifft, wurden vom fahrenden Händler ansehnlich bezahlt.
Das aufmerksame stille Kind erwies sich dem Vater als angenehmer Gefährte, ja als höchst brauchbarer Gehilfe. Sein scharfer Blick entdeckte das unbedeutende Wild in der grünen Laubdämmerung; er bemerkte jeden verdächtig schwankenden Zweig, den Fall der Nagespäne von der Nußschale, das leise Niederrieseln der Schuppen vom beraspelten Zapfen. Nie verdarb er etwas, nie belästigte er mit Fragen gedankenloser Neugier. Er beobachtete und ahmte bescheiden nach.
Mit sieben Jahren schon konnte er die lange Büchse seines Lehrherrn und Vaters kunstgerecht laden. Verläßlich maß er das Pulver aus dem Horn, mit einiger Anstrengung stieß er die Kugel in ihrem getalgten Pflaster auf das Zündkraut hinab. Freilich mußte er zu solchem Unternehmen die Bank oder einen Baumstumpf besteigen; er schien kurz geraten zu wollen, das Rohr der gewichtigen Waffe ragte hoch über ihn hinaus.
Aber diesem stockigen Wuchs verband sich gedrungene Kraft. Im Waldstreifen, der die beiden Klärungen mit ihren Weilern voneinander trennte, begegnete sich die vogelfreie Knabenjugend zu Spiel und Spott. Die Kleinmannschaft von Hebron, dank früher 21 Abhärtung und Übung überlegen, erzogen in der Meinung ihrer Väter und stolz auf ihr älteres Hausrecht, ließ es an beleidigenden Herausforderungen nicht fehlen. Gegen die anderen Wormser behielt sie denn auch stets die Oberhand; in zahlreichen Schlachten und Einzelkämpfen geschlagen, mußten die Deutschen den Hochmut des Siegers demütig ertragen. Anders, wenn der kleine knorrige Lützel, an seiner besonderen Ehre gekränkt, ins Kriegsgeschick eingriff. Er war nicht immer zugegen und hielt sich überhaupt gern abseits von Haus und Gemeinschaft; traf ihn aber je ein höhnisches Wort oder wurde ihm solches hinterbracht, so rächte er furchtbar die Schmach seines Volkes mit Blut und Beulen der harten, steilen presbyterischen Keltenschädel. Viele Narben kündeten seinen Ruhm und verklagten ihn der Gewalt, Davy McCracker, ein ganz langer Kerl, büßte seinen Zweifel an Vater Wetzels – als eines Deutschen – Schießfertigkeit mit dem linken Ohrläppchen, und Sim Hemmick verlor fast ein Auge, weil er darüber gelacht, wie solch ein Knirps zum Laden einer Büchse erst am Laufe hinaufklettern müsse. Man kannte ihn als einen verbissenen Ringer; im Laufe war er bald nicht mehr einzuholen. Einst verbündeten sich die erbitterten Hebroniten, ihn für seine dreisten Übergriffe zu züchtigen. Vor der Übermacht floh er, scheinbar. Sowie aber das Feld der Verfolger sich lockerte, hielt er von hundert zu hundert Sprüngen an und empfing den atemlos Nächstankommenden mit Fußtritt, Stoß oder Finte. Bald war das Rudel der Feinde gelichtet, und unversehrt und unbesiegt erreichte er das Tor des heimischen Zaunes.
Wie sein Vater als Jäger und Schütze genoß nun auch er unter den herben Männern von Hebron einer gewissen herablassenden Achtung. Dieser eine Kleine, dieser Little, das konnte einer werden, der hatte 22 Eisen im Blut! . . . Er aber haßte die Hebroniten für ihren finsteren Hochmut; in allem wollte er es ihnen zuvortun, darauf richtete sich heimlich sein ganzer Sinn.
Eines Tages überraschte ihn der Vater, wie er mit der mühsam festgehaltenen Büchse, auf den Fußspitzen stehend, durch eine Schießscharte des Zaunes nach einem unfern aufgeblockten Hühnergeier zielte. Er belehrte ihn über den Gebrauch des Visiers, unterstützte ihn gegen den Rückprall und hieß ihn feuern. Der ahnungslose Raubvogel stürzte schräg mit zerschmettertem Flügelbug zur Erde. Wenn nicht gleich ein Meistertreffer, so war das immerhin ein versprechender Anfang. Einem Nachbar, der mit dem gezogenen Rohr seiner Waffe ohnehin nicht viel zu beginnen wußte, kaufte Wetzel das unnütze Gerät ab. Von nun an durfte der kleine Hanns Ludwig nach der Scheibe schießen, auch an geringerem Wilde seine Fertigkeit nachprüfen und sein junges Blut kühlen. Als er es dann in raschem Fortschritt dahin gebracht, den Nagel über vierzig Ellen mit der Kugel ins Holz zu treiben, nahm ihn der Vater als ernsthaften Wettbewerber zum Lichterputzen mit. Die Männer von Hebron lächelten, aber sie ließen den neuesten Meisterschützen zu. Das schwere Rohr schwankte in der Knabenfaust: doch mit drei Ladungen nacheinander wurde das scheinbare Ziel vorschriftsmäßig gestreift. Da strahlte es selbst in den Augen der düsteren Hinterwäldler; Hanns Ludwig war der unbestrittene Held dieser Nacht. Allein den angebotenen Trunk verwässerten Branntweins wies er mit bescheidenem Stolze ab. Es hieß die Deutschen tränken; er wollte anders sein.
Auf den ausgedehnteren Jagdzügen, wie der Vater sie zur stillen Sorge von Mutter Lisbeth jetzt mit ihm unternahm, konnte er seine Büchse freilich nicht mitführen. Des Alternden lahmer Schulter fiel die gewichtige Wehr oft beschwerlich; dann mußte Lützel 23 als Waffenträger dienen. Dafür überließ ihm Wetzel bisweilen den Schuß. Die beiden wurden unzertrennlich und einander unentbehrlich. Sie lernten miteinander, voneinander und füreinander, vom Mißerfolg das Vermeiden, vom Gelingen den Vorteil: – der Vater aus spätem und notgedrungenem Ungefähr, der Sohn von Grund aus, in täglicher Schärfung der Sinne, Beobachtung und erweiterter Erfahrung. Langsam drangen sie so in den Urwald und seine Geheimnisse ein. Sie enträtselten die Zeichen und Runenwürfe der Wildnis, sie buchstabierten die oft verwischte, oft unterbrochene Schrift der Fährten und Spuren und errieten ihren Sinn. Still im nächtlichen Boot, Loderbrand der Pechpfanne vornen auf dem Bug, ruderten sie den einsamen Fluß hinauf und erlegten den aus düster überflackertem Tann starrgeblendet äugenden Hirsch; sie erkundeten den Schlafbaum der wilden Truthühner und schossen von den feisten Vögeln so viele als Feuerstellen in ihrem Dorfe. Manche Weise und List dankten sie dem Rat der bewanderten keltischen Siedler; aber Wetzel der Vater schon hatte es immer vorgezogen, seine eigenen bedächtigen Wege allmählich zu bahnen und zu gehen, und der Sohn übertraf ihn noch in dieser abseitigen selbständigen Art.
Wie ihre Kenntnis sich schrittweis weiterfand, so hieben und traten sie nun auch in fortwährendem Weiterwagen ihre schmalen Richtsteige durch den dunklen Urwuchs des unermeßlichen Waldes. Sie folgten dabei den ausgelaufenen Wechseln des Wildes, und viele führten sie über Hügel weg nach einem langgeschwungenen Wiesengrund, von der Bracke seichten Bachgewässers berieselt und durchsumpft. Salzblüte, grau wie Reif, sproßte da mit rauhem Gras aus dem gesättigten Boden; so weit sie den Anger hinabpirschten, zeigten sich Hirsche in ganzen Rudeln und die Ufer des flachen Bitterbaches von Fährten 24 förmlich zerwühlt und zerstampft. Sie verschwiegen ihre Entdeckung und fanden ihre Vorsicht belohnt; denn aus häufigerem Besuch der grauen Salzwiese lernten sie, daß zu den Jahreszeiten der Gleichen, wenn die Wolken der Wandertauben den Himmel verfinsterten und der Braus und Heerruf ziehender Vogelvölker im Sturm der Nächte klang, unabsehbare Herden ausgewinterten oder rauhenden Wildes sich um deren Gesundweide versammelten, und daß dieser Austrieb noch anderes Getier, Bären, Berglöwen, Luchse, Bobkatzen, Wölfe und Wolverenen anlockte. Sie hatten die Nachbarn schon von dergleichen Gelegenheiten erzählen hören; eben diese Salztrift aber war ihnen zufälligerweise unbekannt geblieben, und desto sorgfältiger bewahrten Vater und Sohn ihr Geheimnis. Denn die Iren waren so wüste wie kundige Jäger, und besonders ihre mannbare Jugend hauste zu Wetzels ingrimmigem Abscheu verschwenderisch unter Gottes Geschöpfen.
An den Hirschen und Elken lag freilich wenig oder gar nichts. Ihrer gab es in der Nähe der Siedlung immer noch genug für den Bedarf an Häuten und Wildbret, und aus der Umgebung des Dorfes war die Strecke leichter zu bergen. Dagegen hoffte Vater Wetzel seinem eigentlichen Erwerb, dem Tauschhandel mit Rauchwerk, ein ergiebiges Revier gewonnen zu haben. Mit Hilfe der jungen kräftigen Hände errichtete er ein Rindendach als Unterschlupf am Salzwiesengrund, und hier lauschten die beiden Waldläufer, Lehrlinge in ungleichen Jahren, manche Nacht auf das ferne Brechen von Ästen unter der Last ruhender Wandertaubenschwärme, dem geheimnisvollen Rauschen und Klirren eilender Sturmsittiche hoch im lichtdurchschauerten Wolkenfluß, dem Wandern und Weiden schimmernder Herden, gespenstisch in blauwebendem Mondnebelduft: rings im Dunkel spähten die 25 unsichtbar glimmenden tausend Augen, schlichen die unhörbar tastenden tausend Geisterfüße der Wildnis.
Frau Lisbeth saß einsam beim stillen Schein der Hirschtalgkerze und spann. Nun war sie es schon gewohnt. Nicht die Sorge war erkaltet, aber der Mund hatte verschweigen, das Herz verschließen, die Seele vertrauen, der Verstand die Selbstsucht der Tränen erkennen gelernt. Gleich den Männern von Hebron verachtete ihr Wetzel die lästigen Ängste und Klagen seiner Wormser Landsfrauen; sie sah es und bezwang sich. Nicht hindern wollte sie, sondern helfen; dem Vater ihrer Kinder nicht Bürde und Verderb sein, sondern verläßliche Treugefährtin in jedweder Fremde, den starken Nachbarinnen ebenbürtig, der Heimat Ehre, und Gott eine gehorsame Magd. Festen Mutes schickte sie sich in ihr Los; gleich ihm, dem sie gehörte, dem Vorbild ihrer Söhne, gedachte sie ihre Pflicht zu erfüllen. War er rechtmäßig stolz auf seine in fleißiger Übung erworbene Geschicklichkeit, den Ertrag seines Gewerbes und die frühen Fähigkeiten seines Lieblings, so sollte er sich auch ihrer, der dies alles galt, nicht schämen müssen, weder ihrer Seele noch ihrer Hände. Kein Rocken in der ganzen deutschen Siedlung gleich emsig wie der ihre; ihrs das späteste Licht, ihrs das früheste Herdfeuer. Sie lernte mit der Ahle aus zugeschabter Hirschgeweihsprosse und Garn aus gepechter Hirschsehne Wildleder zu Wams und Schuh zu nähen und sogar zierlich farbig auszusteppen, den Mokassin mit Schoppenpelz auszufüttern, Linseytuch aus Flachs und Einschlag von Büffelwolle zu weben, Kerzen zu ziehen und Wildbret einzupökeln – Frauenkünste des Urwalds, die auch den andern Müttern von Worms gezeigt, doch bald versäumt und verschmäht worden. So erwarb sie Truhenschätze häuslicher Güter und gleich ihrem Manne die Achtung von Hebron. 26
Waren aber ihre beiden Jäger, Vater und Sohn, bei unwirschem Wetter daheim, dann holte sie gerne die schließenbeschlagene Lederbibel vor und las daraus mit leiser, fester Stimme. Wetzel, der Ältere, gedruckten Wortes unkundig, saß am hellflackernden Kamin und goß andächtig Kugel um Kugel zum heiligen Alltagskrieg um dieses rauhe Land Kanaan; Hermann, der Mittlere, Kind der Mutter und von zartem, frommem Wesen, versah dawährend irgendeine kleine friedliche Arbeit, ob er nun Linsen verlas, Bohnen sonderte oder Federn schleißte; Lützel dagegen machte sich unfehlbar mit eisernem Spielgerät zu schaffen, und in seiner zerstreut zuhorchenden Seele wurden die Amalekiter zu Irokesen, der Wachtelsegen der Wüste zu dicht niederrauschenden Wandertaubenwolken, die Füchse Simsons zu den Wölfen, die draußen im Regen des frühen Herbstdunkels heulten. –
An diesem Abend wachte Frau Lisbeth bei später Spindel die nahende Mitternacht heran. Durch ihre Finger lief mit dem wirbelnden Spinngarn die Zeit; die Kerze auf dem eisernen Leuchter knisterte, matt glänzten die blankgescheuerten Rückenwulsten der alten ledernen Bibel, in deren Weisheit sie vergeblich nach Tröstung ihrer einsamen Bangnis gesucht. Der schwindende Mond glühte düster aus Dunst des grauenvoll unermeßlichen Waldes heraus; kühl flüsterte das welke Maisschilf in der Ackerlichtung; Scharen von wildem Geflügel brausten hoch mit verklingendem Ruf über die schlummernden Dächer hinweg. Neben, in der Kammer lag Hermann längst geborgen in sorglos warmem Kinderschlaf; der Rocken schnurrte, das Licht flackerte.
Da ließ Frau Lisbeth jäh den spulenden Faden fahren.
Ein Schrei aus der Ferne kam über die stillbeglänzten Mondwälder her gehallt, hinein in ihr aufstockendes Herz. 27
Sie sprang empor, Hand aus dem Krampf, ihre Knie schwanden: – dort stand es blaß und blutüberströmt und schaute sie hohl aus toten Augen an.
Wetzel! . . . Frau Lisbeth streckte die Arme nach dem Bild. Da wich es und verging in ihren eigenen Schatten, der schwankendgroß übers Gebälk hinanwuchs. –
Die Wölfe begannen mit schaurig klagendem Geheul. Vogelzug rauschte geheimnisvoll unter den Mitternachtssternen der Jahreszeit. Im dürren Maisschilf klagten die Geister.
Wetzel blieb verschollen. –
Am dritten Tage hatte sich Lützel wieder eingefunden, wider die Hoffnung aller, mit Ausnahme der Mutter. Selbst die Jäger von Hebron hatten ihn nach erfolgloser Streifung verlorengegeben; schweren Herzens, denn das ernsthafte mutige Kind mit seiner Schweigsamkeit und seinem Trotz war der geheime Liebling der harten Männer geworden. Wahrscheinlich seien die beiden in ihrer Unerfahrenheit indianischer List zum Opfer gefallen; als sicher anzunehmen, daß der Sohn das Schicksal des Vaters geteilt. In dieser Gewißheit, von der Nähe roter Kriegsbanden und ihren drohenden Anschlägen überzeugt, brachen die Kundschafter die vergebliche gefahrvolle Suche ab und kehrten mit leeren Händen heim nach der Ansiedlung, die man jetzt nicht länger ihrer besten Büchsen entblößt lassen durfte. Und hier war er, um den sie ausgezogen, little Lützel; müd, hungrig, verstört, da er den Vermißten nicht wie erhofft antraf.
Er wußte nichts Genaueres zu erzählen. In jener Nacht mußte der Vater sich aus der Rindenhütte, dem offenen Borkendach, unter dessen notdürftigem Schutz sie zu lagern pflegten, in irgendeiner Absicht entfernt haben; vielleicht um ein Stück Wild zu schießen, das im Schein des aufgehenden Mondes sich zeigte. Er 28 selbst war erst mit der grauen Morgenkälte aus tiefem Schlaf erwacht und hatte von der sogleich entdeckten Abwesenheit zunächst nichts besorgt, obwohl der leere Platz auf dem zum Bette geschichteten Tannenreisig sich vollkommen ausgekühlt anfühlte, mithin vor geraumen Stunden schon verlassen worden war. Bis in den steigenden Vormittag hinein wartete der Lützel, unschlüssig, was zu glauben, zu befürchten, zu unternehmen. Seine eigene Büchse hatte er nicht mitgeführt, weil sie auf Weg und Dauer solch weiten Jagdzuges seinen jungen Schultern zu schwer und weil er der leicht ermüdenden Schulter des Vaters von Zeit zu Zeit ihre Last abnehmen mußte. Beil und Messer nur blieben ihm als Waffen, das unnütze zweite Pulverhorn und der Kugelbeutel, daraus der Alte den Vorrat seiner Weidtasche zu ergänzen pflegte. Gegen Mittag endlich brach er auf; spürte zunächst die Umgebung sorgfältig ab, ohne indes zu rufen oder auf die Salzwiese hinauszutreten und durch Beunruhigung dort grasenden Wildes verborgenen Spähern seine Anwesenheit zu verraten; fand nichts außer dem Kadaver eines Hirsches, der an einem schlechtsitzenden Pfeilschuß offenbar vor kurzer Zeit erst verendet, da die Wölfe ihn noch nicht gewittert und angeschnitten; weiterhin dann einen schmalen Fährtenpfad, der gegen die untergehende Sonne in die Tiefe der Wälder zu führen schien und dem zu folgen er nicht wagte. Aber der Pfeil, der Pfad, das genügte; dem Vater war ein Unglück zugestoßen. Er konnte ihm nicht helfen; ohne säumiges Überlegen trat er den Heimweg an. Ein Stück kalten Truthahnbratens vom Vortag bildete seinen ganzen Mundvorrat. Die angeschalten Malbäume, der vorsichtig ausgehauene und oft begangene Steig, auffallend hervortretende, wohlbekannte Merkzeichen, Tannengruppen, Felsen, Windbrüche wiesen ihm treulich die Richtung. Überdies wußte er, daß er gerade 29 um diese Jahreszeit immer nur der spärlich in die dumpfe Urwalddämmerung durchblitzenden Morgensonne entgegenzugehen, dem Abend den Rücken zu kehren habe, um irgendwo in Nähe der Siedlungen das Tal des Shenandoah zu erreichen. Er schlüpfte seitlich des Steiges im Dickicht, hielt bei aller Eile von Zeit zu Zeit Auslug, ließ vorüberwechselndes Wild erst in Frieden weiterziehen. Zur Nacht erkletterte er irgendeinen geeigneten Baum, aus Furcht vor Wölfen, Schlaftrunkenheit und Überfall; riemte sich im Astsitz fest und ruhte so, mit kalt absterbenden Beinen. Sturm des Vogelzugs brauste hoch über ihn hinweg, schaurige Tierstimmen riefen in der Tiefe, die Geister flüsterten und heulten in tausendäugiger Finsternis. Immer noch hegte er das kleine Schimmerflämmchen einer Hoffnung. Am dritten Tage wurde es licht und heimisch; der Fluß voll Sonne glitzerte durchs Unterholz, die Klärung mit ihren Maisfeldern tat sich auf. Aber in dieser Freude verlosch der letzte schwache Strahl: der Vater hatte sich nicht nach Hause verirrt. – Das war alles, was er mit kargen Worten zu berichten wußte.
Der befürchtete Überfall blieb aus. Allein angesichts der nahe drohenden Gefahr konnte man an weitere Streifzüge nicht denken. Umschichtige Wachsamkeit erheischte alle Mann auf dem Posten. Außerdem: es wäre jede Unternehmung gleich vergeblich, ihr ganzer Erfolg vermehrte Bitternis gewesen. Die herben Männer von Hebron betrachteten Frau Lisbeth als Witwe und machten ihr kein Hehl daraus.
Sie wußte es selbst; den Widerhall nächtlichen Todesschreies im Herzen, vor Augen das Gesicht voll Blut und Wunden . . . Als der Lützel nach kurzer Rast tapfer und trotzig wieder aufbrechen wollte, beredete sie ihn zur Gewißheit, der Vater sei tot, das schöne Wagnis umsonst. Erst hörte er gar nicht darauf, setzte seine Büchse instand, machte sich mit Ausrüstung zu 30 schaffen; dann gab er der Erkenntnis nach und griff mit großem Ernst seine neue Aufgabe an, die eines kleinen Hausvaters in der Wildnis. Was die Mutter im Schmerz ihres Verlustes auch vorstellen mochte, er stand seine Wache für ganz Worms, das Rohr geladen, Kugeln im Beutel, alle Sinne gespannt . . . Leis rauschte der Mondfluß durch den Blätterfall der Wälder, aus silbern überschauerter Ferne her wehte der strenge Brunstruch der Hirsche, ein Rotkalb klagte gellend unterm Brantenschlag des Berglöwen, Nachtgetier raschelte in den Stoppeln der Lichtung: – dort aber, im blaß durchschimmernden Innenschein hinter kühl überrieseltem Dunkel der Hickorybäume, bei Kerze, Bibel und Gespinst wachte es mutterstill um den Wächter, und eine treue Herzuhr zählte ihm mit heimlichem Schlage die Zeit. –
Die presbyterischen Hartschädel hatten nun Ruhe vor den gefährlichen Fäusten des deutschen Lützel. Büchse und Axt gaben ihm genug zu tun: schweigend trat er in das Erbe ihrer heiligen Pflichten ein. Der tägliche Herd, der bestellt sein wollte; die Spannbretter, die der Winterbälge harrten; der fahrende Händler, der für Rauchwerk gute Taler und unentbehrliche Ware gab! . . . All das lag nun an ihm. Unverzagt, heimische Arbeit dem friedfertigen Bruder überlassend, zog der kleine Jäger mit dem langen Gewehr in die schreckenstarrenden Düsterwälder hinaus, und wenn er, selten erfolglos, seine Streifgänge nicht allzu weit, nicht über den frühen Abend ausdehnte, so war's minder um der Ängste der Mutter willen denn aus eigener zärtlicher Besorgnis und in dunkler, glimmender Eifersucht.
Denn Mrs. Wetzel genoß zu guten Rufes unter den Männern von Hebron, als daß man sie schutzlos der Untüchtigkeit ihrer eigenen Landsleute und der Trübsal dauernder Wirtschaft hätte überlassen können. Nicht lange, so traten ehrenhafte Bewerber über ihre 31 Schwelle und boten wortkarg für den Fleiß ihrer kunstreichen Hand die Kraft einer hartschwieligen Faust. McKennoch, dem die Frau vor kurzem im Kindbett weggestorben, geachtet und rüstig, meinte, sie könnten sich ebensogut zusammentun, zwei ledige Hälften jede für sich, das hätte wenig Sinn. McKerry, von höheren Jahren, seit langem verwitwet, Vater tannengrader Söhne und schon Großvater tummelnder Enkel, in seinem vollen Silberhaar frisch wie der Herbstmorgen – McKerry kam und erklärte: er habe gegen Bruder McKennochs Vorschlag nichts zu erinnern, vor allem jedoch sei Ehelosigkeit des noch nicht erloschenen Weibes gegen des Herrn Gesetz und Ordnung, so stehe er denn hier und stelle sie in Gottes Namen vor die Wahl zwischen Esra, seinem Drittgeborenen, guten Willens, ihr ein wackrer Gatte und ihren Kindern ein strenger, gerechter Vater zu sein, und ihm selbst . . . Und dann war da McDoolan, im verflossenen Frühling erst nach Hebron zugewandert, im besten Mannesalter, ein mächtiger Jäger, ein unfehlbarer Schütze, kühn und stark. Noch hatte er keinen Baum zur eigenen Hütte gefällt; es fehlte ihm die Frau, um die her er sie hätte aufzimmern, die er hätte an den Herd setzen können. Was vernünftiger und einfacher, als daß er nun mit Beil und Büchse als Mitgift in die Lücke trat und seine Mokassins an einer schon gegründeten Feuerstatt trocknete? . . . Ganz Hebron billigte diesen christlichen Plan und die Ausnahme einer Mischehe mit Worms; selbst McKennoch nannte sich bereit, je nach Mrs. Wetzels eigener Entscheidung gegen McDoolan zurückstehen zu wollen.
Sein Verzicht erzeigte sich als billig. Frau Lisbeth, im Verblühen ihres unter Arbeit und Mühsal verbrachten Lebenssommers mit einemmal das begehrteste Weib einer ganzen Grafschaft, wies all die wohlgemeinten Anträge beharrlich ab. Vor allem habe sie 32 nicht das Recht, sich so ohne weiteres als Witwe zu betrachten; Wetzel, wenn auch verschollen, könne recht wohl gefangen und verschleppt, noch am Leben sein, zu eben dieser Stunde auf Flucht sinnen, unvermutliche Befreiung begrüßen, vielleicht gar längst irgendwo in ferner Sicherheit von seinen Leiden und Entbehrungen ausruhen, ohne daß sein Gruß sie bisher erreicht. Es sei vorgekommen, daß fahrende Händler, mit ihrem Flitterkram und Branntwein von den Wilden gerne gesehen, schon Todgeweihte für wenig bunten Tand loskauften; sie müsse und wolle es immer noch für möglich halten, daß der Vermißte in Fort Duquesne zum Beispiel nur auf günstige Jahreszeit und Gelegenheit warte, den weiten Heimweg zu ihr anzutreten. Den toten Wetzel jedenfalls habe kein Auge geschaut, könne kein Mund mit dem Schwur bezeugen; und solange ihr solche traurige Gewißheit nicht werde, sei sie mitnichten Witwe, sondern die Ehefrau eines Abwesenden, gleichwie eines Seefahrers oder Soldaten . . .
Mit ruhigen Überlegungen der Art, ohne ehrliche Hoffnung im Herzen, entzog sich Frau Lisbeth den Werbungen ihrer Freier; und war feierabends der Lützel finster dreinblickend zugegen, so schmiegte sie ihn wohl wie zu Stütze und Schutz unter den Arm heran und legte ihm die Hand auf den lockendunklen Kopf: »Der da ist jetzt mein kleiner Mann und Hausvater.«
Am längsten machte ihr McDoolan zu schaffen, stattlich und von freierem Wesen als die eingesessenen Iren. Trotz empfangener Abweisung und vernommener Gründe kam er immer wieder; er wußte schön zu erzählen, versuchte sein Glück mit mancherlei Dienst und nützlichem Rat, buhlte mit Lob und allerhand Gunst um die Freundschaft des spröd-mißtrauischen Lützel: er wolle ihm eine neue Kugelform ausfeilen, 33 eine Koppel scharfer Hunde schenken, vor denen Bär wie Luchs bald aufbaumten, und wie sie doch zusammen in den Winterwäldern weidewerken könnten, solchen Kerl wünsche er sich gleich zum Sohn und Gefährten . . . Aber der Lützel haßte ihn dafür unbeirrt und fast bitterer noch wie all die anderen Eindringlinge, deren Schatten nun so oft über den Frieden der aufgeschlagenen Abendbibel fiel. Mit keinem anderen zusammen jagte er seit des Vaters Abgang, er war sich selber Gefährte, Freund und Verlaß, hatte seine eigenen Sinne und Meinungen; an ihm fand McDoolan mit seinen hartnäckigen Absichten keinen wohlwollenden Fürsprech.
Allein eines Abends, nachdem sie mehrere Tage hindurch stiller als sonst vor sich hingesponnen, befreite ihn die Mutter selbst von der heimlich brennenden Sorge.
Mit Nachdruck, als hätte sie darin entscheidend zu Ende gelesen, schloß sie das aufgeschlagene Testament.
»McDoolan, es muß nun gesagt sein. Euren guten Willen in Achtung und Ehren: aber Euch macht Ihr unnütze Mühe, und mich bringt Ihr ohne Not in Ärgernis. Es wäre Sünde, wollte ich Eure Werbungen länger anhören und damit dulden. Weder Ihr habt gewisse Kunde vom Tode meines Mannes, noch kann irgend jemand hier mir sein Ende eidlich bezeugen. Solang aber erkenne ich mich mitnicht als seine Witwe, sondern halte mich für seine Ehefrau. Und wär' es auch, wie Ihr versichert und ich selber befürchten muß: darum würd' ich doch nicht Euch oder irgend andrem Manne nachgeben, da ich nichts mit ihm zu teilen hätte als Leid, und machte meine Jahre zum Spott. Ihr sollt mir als Nachbar jederzeit willkommen sein; aber das geht ferner nicht an, daß Ihr mich in solch kundiger Absicht zu dieser Stunde aufsucht. Ich spreche so zu Euch im Angesicht meiner Kinder, die mir Schutz 34 und Hilfe genug sind und mit Gottes Beistand immer mehr sein werden; und wohl wert, daß sich die Mutter ihrer und ihres Vaters würdig erzeigt.«
McDoolan hatte die gesetzte Rede ruhig vernommen; jetzt nach schweigender Überlegung erhob er sich aus dem Schein des Kaminfeuers, davor er in Sinnen gesessen.
»Schön, Ma'am; wie Ihr meint; wie Ihr denkt, daß es sein muß. Ihr seid die Meisterin.« Er nahm die Büchse, ohne die er, wie all die anderen, selbst den kurzen Weg durch den Waldstreifen zwischen den Niederlassungen nicht beschritt. »Freilich ein gut Teil alter Heimat drüben, was Euch da dreinschwatzt; wir in den Hinterwäldern, wir halten's anders.« Er lachte auf; schwer dröhnte der geschiente Kolben gegen die Blockfliesen der düsterflackrigen Diele. »Hier gilt der Mann für tot, der ohne Urlaub verschwunden und binnen natürlicher Frist nicht zurückgekehrt ist; zählt für ab und tot, seine eigene Schuld.« McDoolans Stimme klang mit einmal hammerhart wie der Schmiedebeschlag am eisern aufwuchtenden Schaft. »Mit Schatten und Seelen, Ma'am, ist's nicht getan; dies gesegnete Land braucht lebendige Hände, und ihrer ist das Recht!« Er warf die Büchse über; in der Tür wandte er sich noch einmal herum: »Das Gesetz der Wildnis, Ma'am, verzeiht; ich weiß es nicht anders.« Dann ging er in die Nacht hinaus.
Die Kerzenflamme wehte im Anhauch hereinschauernder Nebelkühle. Frau Lisbeth erwachte aus kurzem Starren; hastig stand sie auf, als wollte sie dem Ausgewiesenen nach ins Spätherbstdunkel rufen. Allein sie legte nur die Riegelbalken vor Tor und Tür, und bevor sie sich wieder an ihr Spinnwerk setzte, zog sie plötzlich mit letztem Eratmen den Lützel in den Arm und versöhnte die trotzig-ernste Knabenstirn mit ihrem 35
Er war nun vierzehn Jahre und immer noch nicht länger als die Büchse, mit der er fast täglich in den Wäldern streifte, eigenen Herd und Nachbarn mit Wildbret zu versorgen, Häute zu mancherlei Bedarf und Felle für Taler und Tauschware des fahrenden Händlers zu sammeln.
Wie einst der Vater, so weidwerkte nun er für seine verzagten und verdrossenen Landsleute. Aber tiefinwendig in ihm träumte es von ganz anderem Wild. Die alten finsteren Geschichten, wie man sie drüben in Hebron gerne zur geselligen Arbeit der Winterabende erzählte, waren ihm lebendig geworden und durchglühten ihn mit heimlicher Erwartung, spiegelten sich ihm in der Klinge seines Jagdmessers, schlummerten im erstarrten Schmelz jeder gegossenen Kugel.
Aus aufgeschatztem Erlös hatte er ein Pferd erstanden, ein starkes, treues Tier, das in gewähltem Versteck verläßlich seiner Rückkehr harrte, aufgeladene Beute geduldig trug, Nähe gewitterten Feindes, ob Bär oder Wolf, Luchs oder Berglöwe, mit klugem Schnauben verriet und in eigener Gefahr die schützende Nähe seines Herrn unfehlbar gefunden hätte. Mit Hilfe dieses Gefährten hoffte er den bescheidenen Wohlstand seiner Familie zu mehren, mit der Zeit eine gute Zuchtstute und den Ertrag ihres Nachwuchses, schließlich die benötigte Summe zur Nutzung des Vorkaufsrechtes über tausend Acker Landes zu verdienen. All dieser friedlichen Güter mochte dann der Bruder walten; er blieb bei dem freien Gewerbe, das er zusammen mit dem Vater von der Wildnis selber gelernt.
Aber nun war etwas von der ständig wachsenden Unzufriedenheit auch über die Mutter gekommen. Er las es aus ihrem wehmütig verlorenen Blick, er ahnte es aus ihren Seufzern, er spürte es aus ihrer stillen Unruhe.
Bei den Nachbarn war längst von nichts anderem 36 mehr die Rede als von Ab- und Aufbruch und Rückwanderung nach dem Osten. Die Äcker verödeten, die Niederlassung verfiel, die Männer, zermürbt von Weiberklagen, rosteten mit ihrem Eisen und überließen das kaum geklärte Feld dem Unkraut und Samenflug des Waldes, die Zäune dem Moder.
Wenig hätte ihn das bekümmert, mochten sie ziehen, desto schöner, er wünschte sich keine andere Heimat; wollte nur doch die Mutter nicht drauf hinhören und nun auch schon von solchen Dingen sprechen, der sorglosen Sicherheit der Städte, dem Frieden Pennsylvaniens, und wie sie dann so ganz verlassen, umgeben von ständiger Gefahr, hier zurückblieben. Im alten Virginien drüben zwischen den reichen Pflanzern ein ärmliches Leben führen, wo man hier frei wie der Adler den ganzen unermeßlichen Wald mit all seinem Getier unbegrenzt zu eigen besaß! . . . Das ging ihm nicht in den Sinn.
Er hatte schon alles verschwiegen überlegt. Wenn die Mutter Haus und Recht preisgab, er war finster entschlossen, ihr nicht in die Fremde zu folgen. Dann hielt er die Heimstätte, über deren Kamin des Vaters Büchse so manchen Bibelabend von ihren treuen Diensten ausgeruht; oder er schweifte weit hinüber nach dem sagenhaften Strom Ohio, in dessen Landschaften, offenen Wäldern voll Rohrwuchs und Salzsümpfen es noch unausdenkbar mehr Wild geben sollte; oder er ging auch gleich nach den Canada's hinauf, wo die Waldläufer von ihrem Erwerb ganz einträglich lebten und für ein gutes Fell in den Forts mehr bezahlt wurde als hier vom fahrenden Händler, der für seine beschwerliche Reise immer den besten Teil abzog . . . Und dann machte er sich eines Tages auf und brachte der Mutter eine Wucht klingender Taler, so viel, daß sie davon das schönste Haus in ihrer ganzen Stadt bauen konnte, aus Hickorybalken verfugt und mit drei 37 Gelassen, wie Old McKerry seins, und einem warmen Winterlehnsessel aus Minkbälgen, da saß sie dann und las behaglich geborgen in der Bibel . . . Und zuerst erkannte sie ihn gar nicht, denn inzwischen war ihm ein breiter Bart über die Brust gewachsen, aber dann sprang sie hinterm umstürzenden Rocken auf und ließ ihn gar nicht mehr, und lief und hängte ihm Pulverhorn und Kugelbeutel ab und schnürte ihm die Mokassins von den Füßen und rückte ihm den besten Stuhl ans Feuer . . . Aber wenn sie auch barmte und bat, bei ihr verweilen würde er selbst dann nicht und nimmer. Er blieb, wo die Beilklinge ihre Schrift schrieb und die Büchse ihr Recht sprach; das war beschlossen wie die Ladung im Lauf. –
Mit solchen Sorgen und Plänen machte er sich an diesem brandig-schwülen Sommerabend aus den Heimweg.
Gerade vor einigen Wochen hatten einkehrende Jäger von kriegerischer Rottung der verbündeten Irokesenstämme, nächtlich aufglühenden Feuerzeichen, vereinzelten Überfällen erzählt und damit die zornige Unruhe der Familien von Worms gemehrt, die Wachsamkeit jener von Hebron geschärft. Doch keine gewisse Kunde, keine verdächtige Spur bestätigte das Gerücht, und schließlich beschwichtigte man sich, steter Spannung müde, bei der Hoffnung, die roten Horden, seit langer Zeit wieder einmal aus ihren Wildnissen losgebrochen, könnten irgendwo mit schwerem Blutverlust zurückgeschlagen, gesprengt und eingeschüchtert worden sein.
Allein ihn selbst hatte das Ausbleiben des brennend ersehnten Feindes grimmig enttäuscht. Wohl ihrer drei Schock Kugeln hatte er gegossen, Flintsteine zurechtgesplittert, Schießpulver bereitgestellt; taub gegen die Seufzer der Mutter, dachte er an nichts anderes als an Kampf, Menschenjagd, Kopfhäute statt armseliger Tierfelle, Rache für den Vater, wie er sie längst 38 erträumt. Alles blieb ruhig, der bemalte Urwaldspuk zeigte sich nicht.
Weiter als in den letzten Tagen der stündlichen Erwartung hatte er sich diesmal von der Siedlung entfernt. Das Wild stand still im dichten Unterholz, scharf stachen die gierigen Hirschfliegen. Zwei Truthühner, weniger feist jetzt als später im beerenbunten Herbst, bildeten seine ganze Beute. Der Tag verglomm in Schwaden hinter unabsehbarem Wipfeldunst, Nacht durchbraute den Wald.
Da wurde nah vor ihm ein Hirsch hoch, der einsam im feuchten Unkraut einer Naßgalle gesessen. Nach wenigen schweren Fluchten blieb er stehen und äugte dem Jäger ins sogleich erhobene Rohr. Der Schuß brach, im Feuerstrahl stürzte das Wild zusammen. Aber wie dann die Hand über die verschauernde Decke hinstreifte, stieß sie gegen befremdend federnden Widerstand, eines Stabes, eines Schaftes. Und dieser Schaft war ein tief in die angeschwollenen Flämen eingebohrter Pfeil.
Genug zu jäher Befürchtung, Aufglühen, Verlöschen. Sie waren da.
Er ließ den Hirsch, wo er gefallen. Heim, warnen, wachen. Der Tann versank in Finsternis. Er rannte, geführt von blindem Sinn. Stimmen riefen, Schritte liefen, Gestalten. Etwas Großes, dichtdunkel vor ihm das treue Pferd. Im Sattel, unfehlbar, trug es ihn durch Wurf und Wuchs. Mutter! Wie weit noch, wie spät! Er hielt an, lauschte: Schüsse, sein eigenes Herz? Er erreichte einen Hügel: Mondrotglut in der Tiefe zwischen den Stämmen? . . . Der Richtsteig, dort drüben überm Bühl hinab dann die Feldlichtung; gespenstiger Widerschein dämmerte brandig in die dumpfe Waldnacht herauf . . . Ein Schuß, noch einer; noch einer. Noch einer . . . Garbige Feuervögel in der Luft überm Gezweig . . . Noch ein Schuß, noch einer, viele . . . Und 39 das langgedehnte schaurige Heulen von hundert wölfischen Kehlen . . . Wie damals . . . Wie damals im hereinschwirrenden Hagel von Pfeilen, im Geflirr von Tomahawks, Messern, weißschmalen Augen bemalter Teufel . . . Der Stachel in der Mutterbrust – das Kleine mit zerschmettertem Schädel – Hinbrechen sterbender Männer . . . Mutter, die Mutter! . . . Er stieß dem Braunen die Fersen in den Bauch: zu ihr, zu ihr! . . .
Da sprangen Schatten dicht vor ihm auf. Das Pferd scheute schnaubend zur Seite. Er spürte heiß einbohrenden Stich im Schenkel, wie einer riesigen Hirschbremse. Ohne Ziel warf er den Schuß seiner Büchse gegen die unsichtbare Nähe: im Strahl glüh-grell bleckende Höllenfratzen, im Blitz verlöschend ein Niedersinken, flimmernde Finsternis. Der Gaul unter ihm bockte, bäumte, kaum klammerte er sich im Sitz. Noch ein Stich, durch den Arm, ein schneidender Streif schräg über die Wange: – dann prasselte der Ritt weg durchs Holz, ohne Halt, ohne Führung, davon in die brandig durchglühte Nacht.
Dornen krallten ihm übers Gesicht: er kniff die Augen. Ein Zacken zerfetzte ihm die Kopfhaut, ein Stamm zerquetschte das Knie: mit verbissener Gewalt, blind und blutig, wahrte er nur die Büchse, den Kugelbeutel, das Pulverhorn. Immer noch, weiter her aus dem Tal, krachten Schüsse, schrillte Sturmgeheul. Jetzt schien es ihm, als fühlte er freiere Luft einer Blöße, den Anhauch von Flamme. Er öffnete die Lider und sah durch warmes Rieseln, Schweiß, Tränen oder Blut. Düster im Feuerschein klaffte der Wald, langhin gerötet spiegelte der Fluß, und dort fern zur Linken im Hügelschoß lohte es umbrüllt, brauste die Brunst, gloste geborsten die Hölle.
Der Reiter versuchte den Gaul zu wenden, vergeblich. Todwundem Wilde gleich floh er gradaus, die Halden hinab in die Nebelkühle des dumpf 40 schimmernden Wassers. Aber nun wurden seine Sprünge matt und kürzer und fielen auseinander. Die Hand griff nach der Mähne; da, im Halse saß der abgebrochene Pfeilstachel – vor dem Schulterbug ein zweiter –, dicht hinterm Sattel herausfedernd ein dritter. In großen Flocken troff der blasige Schaum aus den Nüstern; aus der Brust die Drossel herauf rohrte und röchelte. Dort glitt der Fluß in trübem Glutglanz durch Pappeln und Erlen; da stutzte das treue Tier, stand, schwankte, trat zurück, verlor den Grund unter sich und brach unterm Absprung seines geretteten Herrn stöhnend zusammen.
Der Lützel war gestürzt; das geschrammte Knie versagte den Dienst. Langsam, krumm vor geronnenem Schmerz, gewann er den gewohnten Bedacht. Kroch nach der weggeprellten Büchse, nach Kugelbeutel und Pulverhorn, das erste; das zweite, daß er die Waffe, Mündung und Pfanne, Hahn, Flint und Kolben sorgfältig abtastete und im Dunkel nach geübtem Gefühle lud. Hinab das Tal strahlte noch immer der wachsende Feuerdunst schaurig überm Wald. Aber das Schießen hatte aufgehört, das Wolfsgeheul war verstummt. Zuweilen flackte es loh und sprühte aus den schwarzen Wipfeln herauf und verschwärmte unter den stillen blassen Sommersternen.
Hier rettete nicht Eifer mehr, nicht Eile. Der Lützel überlegte. Vielleicht waren die roten Mordbrenner in äußerster Not dennoch abgeschlagen worden. Dann aber lagen sie sicher irgend nah im Spähversteck, und er, zur Flucht unfähig, lief ihnen in die Messer. Die Pfeilstachel brannten in den Wunden, hinderten sperrig mit frisch einwühlendem Weh jede Bewegung. Mit harter Hand, die Zähne gepreßt, riß er und schnitt die Widerhaken zusamt Fleisch aus Schenkel und Arm. Dann schleppte er sich an den buchtigen Fluß und stieg 41 unterm Schutz leisflüsternden Pappelgesträuchs ins kühle Wasser hinab.
Er schauderte von beißendem Schmerz; aber nach einiger Weile ließ die Wundglut nach. Es fiel ihm ein, daß er so, gedeckt von Ufer und Busch, die Kampfstatt unbemerkt erreichen könnte. Der Flammenschein drunten an den Hügeln war zusammengesunken; Schwaden von Kienruch erfüllten das Tal. Er watete vorsichtig weiter, begleitet von der sanft strömenden, hier und dort nur an verborgenen Grundklippen oder festgerammtem Treibholz aufrauschenden Flut. Aber dann geriet er an Tiefen längs des Ufers, wo er zum Schwimmen gezwungen, Büchse und Pulverhorn nicht wohl vor Nässe zu bewahren vermochte. Er fand Rat. Aus Weiden- und Erlenschüssen und zähem Schlinggerank als Tau schnitt und flocht er ein kleines Floß, stark und dicht genug, Waffe und Zündkraut trocken vor ihm herzutragen. So kam er ungefährdet vorwärts.
Darüber war es spät geworden. Die Sterne, deren Wiederkehr und Zeit er oft beobachtet, sagten ihm, daß die Mitte der kurzen Sommernacht vorüber. Taukühler Wind trug den dünnen beizenden Glimmrauch durchs Tal.
Nun hatte er das Flußknie erreicht, an dem die beiden Niederlassungen, durch den schmalen Streifen abgrenzenden Waldes getrennt, so lange in enger fremder Nachbarschaft nebeneinander gelebt. Im breiten Stieg der gemeinsamen Viehtränke kroch er behutsam die Böschung hinan.
Sumpf von Blut und Asche, alles, was von Worms hüben und Hebron drüben übriggeblieben. Nun waren sie vereint im Untergang und beim Gott ihrer Bibeln. Aus verkohlt zuhaufgestürzten Trümmern zuckte es noch in kleinen gespenstigen Flammen; unter den weithin webenden Schwaden von Schweldunst bewegten sich die Schattengestalten beutender Indianer. Ein anderer 42 Trupp schwärmte düster bestrahlt um einen Kreis von schwach glosendem Schutt und Bruch. In der Mitte stand ein Pfahl, der schwarzgesengte Pfosten einer niedergebrannten Hütte, und daran hing schwankend ein Mensch, gesenkten Hauptes, in Fesseln. Jetzt lohte es einmal heller aus dem aufgescharrten Sparricht; der Qualm teilte sich, Flackerschein fiel auf das sterbende Gesicht des Gemarterten. Es war McDoolan.
Der fahle Morgenwind schauerte im Pappellaub; über den verwüsteten Feldern schwebte der Whippoorwill dunkel mit klagendem Schrei.
*
Wie alt er inweilen geworden, wußte er selbst nicht. Wohl ins elfte oder zwölfte Jahr schon lebte er als argwöhnisch betrachteter Sonderling unter den Schotten von Emmaus am Roanoke, wo der junge Wildstrom mit jähen Schnellen aus den Vorhügeln der blauen Berge in die Tafel seines Schwemmlandes hinausbricht: – und mit erstem Bartflaum, mit vielen frühen Narben, wenigen Worten und dem schrumpfig zusammengeschwelten Rest einer alten Bibel im fellenen Zwerchsack war er im zweiten oder dritten Herbst nach dem Untergang der Shenandoahsiedlungen zu ihnen gekommen.
Seine rauhe Schweigsamkeit hätte den Schotten noch gefallen. Hier fragte man nicht nach Herkunft und Schicksalen, Namen und Rang: der Mann mit seiner Tüchtigkeit entschied. Seine Landsleute, die Deutschen, redeten ohnedem unmännlich viel; dieser da zeigte sich als Ausnahme. Und auch das fand keiner zu tadeln, daß er eines Tages begann und sich seine Hütte abseits vom befestigten Dorfe mit eigener Hand und Axt und ohne alle Hilfe aus selbstgefällten Bäumen, selbstbehauenen Balken, selbstgespaltenen Schindeln von Grund auf baute. Es währte lange, denn zwei Arme schaffen in zwanzig Tagen nicht soviel als 43 zwanzig in zweien; aber endlich stand die Hausung fest und schmuck da, wohlgefugt, gedichtet, die Fußböden aus sauber gepaßten Rammblöcken gesetzt, Kamin, Bank, Tisch und Schragen, alles an seinem Platz, und dazu das Ganze mit starkem Pfostenzaun bewehrt, ihrer sechs Acker Landes gegen den Wald hin zum Felde geklärt und mit Mais bestellt, Felle zur Liegestatt, Tonnen zum Einsalzen von Wildbret, die Handmühle zum Zerschroten des Brotkorns. Eins nur fehlte, und dessen wunderte man sich, mehr von Jahr zu Jahr, bis zum Ärgernis: nach des Herrn heiligem Wort war es nicht gut, daß der Mann allein sei, und das hatte man an der Grenze noch nicht gesehen, daß ein Kerl von graden Gliedern und gesunden Sinnen sich seinen eigenen Herd gründete, ohne dazu gleich eine Mutter künftiger Söhne anzuwerben. An rüstigen Mädchen fehlte es in Emmaus nicht, und dem verschlossenen Fremdling, wie er so still und zäh vorsorgte, wäre manche gern unter sein Dach gefolgt, war er auch ein Deutscher und im Wuchs kürzer geraten als die hohen knochigen Schotten.
Er aber bezeigte keinerlei Neigung zu irgendwelcher Wahl. Einsam mit seiner Büchse und der verkohlten Bibel hauste er abseits in seinen Pfählen, und keine Sarah, Suzan oder Beß konnte sich rühmen, daß er sie mit Blick oder Wort erröten gemacht.
Jedem anderen hätte die Mannsjugend von Emmaus mit rohem Spott und Herausforderungen zugesetzt, bis es zu blutigem Kampfe kam, in dem der einzelne dem Bündnis der vielen unterlag: an diesen knorrigen, dornigen Deutschen wagten sie sich kaum mit ferner Prahlerei heran. Man kannte ihn als unermüdlichen Jäger und den besten Schützen, der je in diesen alten Hinterwäldern seine Büchse geladen; er genoß die widerstrebende Achtung der ernsten Hausväter, der teilnehmenden Neugier der Frauen, und 44 man hatte es gesehen, wie er einen ausgewachsenen starken Hirsch über den Zaun warf, als wär's ein Kaninchen, wie er einen langen Balken mit einem Griff auf seine Schulter hob und davontrug, wie er einen schmiedenen Nagel mit dem gestrafften Ballen seiner Faust in zähes Holz trieb wie in linden Lehm. Das Stärkste an ihm aber waren seine Augen, grau, von buschigen Brauen verdunkelt, von Wetterleuchten durchglüht; ihr eiserner Blick warnte, und selbst die hitzigsten Raufbolde wichen ihm aus.
So hatte er seinen, die Junghähne hatten ihren Frieden vor ihm und wußten's ihm schließlich Dank; denn als Freier wäre er von mancher Tochter, als Tochtermann von manchem erfahrenen Vater vorgezogen worden. –
Er aber wußte, was er tat und worauf er wartete.
Oft genug hatte er's gesehen: blutjung wurden zweie zum Paare zusammengetan, sobald sie sich nur gefielen und der Bursch mit einem Dutzend gefällter Bäume sein eigenes Heimstättenrecht erworben. Dann half das ganze Dorf mit Armen und Äxten, und in wenigen Tagen war die neue Ehe unter Dach.
Er aber wollte niemand etwas danken. Er wollte selbst sein, haben und gelten. Es eilte nicht; er brauchte keinen Beistand, keinen Nachbar. Ein kleiner fester Verschlag, ausgelegt mit Reisig und Fellen, die Schießscharten sorgfältig mit geschabter Hirschblase bespannt, das genügte erstem Schutz gegen Winter und Wind. Von da aus baute er und zimmerte, fugte und falzte, rammte und rodete er bedächtig weiter; vergaß drüber nicht Mink und Biber, Schuppbär und Bisam, Bobkatze und Luchs; steppte zwischendurch derbe Beutel aus Wildkalbleder, schreinerte den Beuteln und ihrem Schatz ihr besonderes Gehäus, darinnen sie zusammen mit der brandgeschwärzten Bibel warm und sicher wohnten: – und derweil mit denselben Jahren gedieh 45 noch ein anderes Werk und heimliches Eigen, dem er bei einsamem Beilklang, im stillen Spurschnee der Wälder, in Feierabends warmem Herdflacker mehr nachsann als täglicher Arbeit und täglichem Brot.
Indes er meinte seine Zeit noch nicht gekommen. So blieben ihm Herbste, mit dem Pelzgetier der Berge die Taler des fahrenden Händlers zu mindern und die seinen zu mehren, Sommer, zur Feldräumde neuen Acker zu klären, Winternächte, Kammer und Gelaß mit schlichtem Hausrat zu schmücken. Schwer klirrte die Silberwucht in der verborgenen Truhe, und Gottes Wort in der Gemeinschaft hielt ihr getreue Wacht. –
Eines Tages endlich, in Jahren, da anderen nach Grenzerbrauch der Älteste schon das Kugelpflaster talgt, brach er auf, ging hinüber und warb Betty Havilland zum Weibe.
Ihr, die als kleines Mädchen von vielleicht sechs Ostern, wenig später als er selbst, mit ihren Eltern nach Emmaus gekommen, ihr hatte all das Harren, Bereiten, Bergen, Pflegen und Sammeln gegolten: und nun sollte sie ihm die Hand geben, über seine Schwelle in ihr Heim und Reich treten und ihm mit Freude und Fleiß die lange Wartschaft lohnen.
Das war Werg auf allen Spindeln. Denn gerade Betty Havilland hatte nicht einmal eine Zuchtkuh, nicht einmal eine Daunendecke in die Ehe zu bringen. Wenngleich aus altem hugenottischen Geschlecht, war sie das ärmste Mädchen in der Siedlung, und ihr ganzer Reichtum das hübsche runde Gesicht, die zierliche vollknospige Gestalt und etwa die bittere Erinnerung an die vornehme Herkunft des Vaters, der als drittgeborener Sohn eines der angesehensten und begütertsten unter den üppigen niedervirginischen Pflanzern dem starren Erbrecht hatte weichen, in den rauhen Hinterwäldern neue Heimat suchen müssen, ein Wagnis, das ihm nach verwöhnter Jugend so schlecht 46 gelang, daß er schon bald nach Ansitzung den Verdruß über harte Arbeit und stachlige Nachbarn im Rum zu ertränken begann, verdarb und starb. So hatte er weder den besten Ruf noch geordnete Güter hinterlassen, und die Witwe, eine katholische Irin, die der unselige Havilland zum Zorne seines Vaters geheiratet, mußte noch froh sein, als ein gewisser McFee, ob Trägheit und wüsten Sitten in Emmaus wenig geachtet, ihr mit seiner Hand einigen Schutz bot. Sie gebar der kleinen Betty noch mehrere Stiefgeschwister, doch zu reinlichem, kargem Wohlstand brachte sie es nicht, und ihre armselige Hütte, geduldet und gemieden, kam in dunklen Verruf. Wie nun auch McFee an der Kugel eines andern streunenden Raufbolds sein Ende fand, blieb sie herrenlos und nährte sich von freudloser Arbeit und den kalten Spenden einer kieselharten Nächstenliebe.
Der Bewerber fragte nach all dem so wenig wie nach Meinung und Ärgernis derer, denen er nun schon einmal Nachbar geworden. Er hatte das verunglückte Kind mit eigener Todesgefahr aus wühlendem Schmelzwasserschuß des Stromes gelandet; er hatte Klein-Betty vom vorschnellenden Giftrachen der Mokassinschlange zurückgerissen; seine stete Hand hatte sie mit der nie verfehlenden Kugel vor fletschendem Zorn der Mutterbärin gerettet. Seither wußte er und wollt' er's nicht anders, als daß er ihr und sie zu ihm gehörte. Schweigend sah er sie heranwachsen, während ihr Haus schon stramm und warm in seinen Pfählen dastand und ihre Güter sich mehrten; in stiller Vorfreude harrte er ihres Eintritts, da jeglich Gerät für ihre Hand zugeschnitzt und ihr Frauensitz am Kamin schon geglättet und mit lindem Fell belegt war. Traf er sie jenseits der Fenzen in den Vorwäldern bei Beerensuche oder Reisiglese, so gab er ihr wohl ein paar gute Worte und warnte sie vor Abweg und Gefahr; 47 vom Überfluß an Beute warf er gern der Witwe ein oder das andere Stück über den verfallenen Zaun. Einmal hatte er den zu rohem Schlag erhobenen Arm des betrunkenen Stiefvaters mit lähmendem Griff aufgefangen, ein andermal vernommene Übelrede mit Faust, Rüge und dem Strahl seiner bösen grauen Augen auf der Stelle gestraft. Niemand argwöhnte davon seinen geheimen Entschluß; man kannte ihn als ungesellig, streng und keusch. Vor feiger Rache schützte ihn die Achtung der Männer, der Ruhm seiner Büchse, der Ruf seiner Kraft. Und nun ging er hin und holte sich sein Weib.
Zunächst mochte die Erwählte seiner bündigen Eröffnung gar nicht glauben. Er überzeugte sie endlich durch Vorführung seines Pferdes, des stärksten und besten von ganz Emmaus, das er eigens zum gemeinsamen Ritt nach dem benachbarten Pfarrweiler gekauft. Außerdem hatte er, weiblicher Schwäche nicht unkund, vom fahrenden Händler vorzeiten schon ein schlichtes Feierkleid mit seinem Zubehör besorgen lassen; das lag nun seither in der Truhe und harrte seiner Stunde.
Einen Abend und eine warme Maiennacht lang währte das Verlöbnis. Am anderen Morgen schon ritten die Brautleute durch stillen Dunst der Wälder, zupaar nach altenglischem Brauch, wie er von den Grenzern weiter gehalten wurde, der Mann am Zügel umschlungen von der Gefährtin. Keine Zeugen, keine Gäste gaben ihnen Geleit; der zutrauliche Katzenvogel im Strauch grüßte sie mit seinem Schrei, die blauen Dohlen umschwärmten sie mit ihren Schwänken, hoch im Sonnenrauch über ihnen kreiste golden der einsame Adler. Ohne Fragen und Handeln erteilte der Priester, in der Wildnis ergraut, ihrem Bunde den Segen. Selben Abends wies der Gatte seine junge Frau in ihre Rechte und Pflichten ein; der erste eheliche 48 Herdbrand flackerte verschmolzene Schatten gegen das Wandgebälk; draußen im blühenden Tulpenbaum unter den Frühlingssternen sang der Sprosser sein nachtseliges Liebeslied.
Die Nüsse fielen, im Herbstdämmergrau rauschte Gänseflug von den kanadischen Wassern nach dem Südsumpf; das Wild rauhte, Schatten unsehbarer Taubenwolken strichen über den erwarmenden Frühlingswald; nun sahen sie schon ihren dritten Mais reifen, und ihr friedliches Glück nahm zu mit jeder Arbeit und Jahreszeit.
Aus der armen kleinen Betty war eine rüstige Grenzerin geworden, tapfer, fleißig und sparsam. Wetzel sah es mit schweigendem Behagen, und so gern er frei wie der Falk in der Wildnis schweifte, so wenig ihm je an vielen Worten gelegen, doch freute er sich der Feierabende, wenn er vor lohem Kamin bedachtsam seine Kugeln goß, und im Schein knisternder Hirschtalgkerze neigte sich ein junges Frauenantlitz über geschliffenen Federflaum, die Hornahle mit dem Sehnengarn im Öhr, dem schadhaften Mokassin.
Dann vernahm er leisen Nachhall einer versunkenen Stimme, dann brach etwas auf in ihm und sickerte aus harten Narben, er wurde traut und mitteilsam, und manchmal in tiefen Wolfsnächten, wenn unterm Abgrund der Sterne die Ahorne mit gellem Eishall klüfteten, holte er die versengte Heimatbibel hervor, erzählte von Worms und Hebron, vom ersten Schuß nach dem Hühnergeier und der großen Salzwiese, von Mutters Spinnrocken und McDoolans Martertod. Zuweilen auch löste er die krummgeglühten Schließen vom verschrumpften Bande, und beide rätselten sie über den heiligen Zeichen, soviel ihrer der Schwelbrand vom Rande herein übriggelassen. Hier im Anfange, da hatte die Mutter gern gelesen, das war die 49 Geschichte von der Klapperschlange und dem schwimmenden Blockhaus voll Bären, Hirschen, Büffeln; und hier in der Mitte, das waren die Psalmen, in deren schönsten ein Elk vorkommt, wie er verdurstend nach Wasser röhrt; und da gegen das Ende, das war der Bericht von Leben, Lieb und Marterpfahl des Herrn Jesus Christ . . . Gebälk knackte, die Wurzelknorren in der Flamme winselten und sprühten, der große alte Häuptling im flimmernden Frostmantel, den Tomahawk mit kristallner Klinge in der Knochenfaust, den Pfeil auf der Sturmsehne, spürte schattenlos um den Zaun, und in der Geisterspur seiner Schneeschuhe trabten glühäugig hechelnd die mageren Wölfe. –
Ohne Klage hatte die junge Frau sich in die Härten ihres Herrn und Ernährers geschickt. Die Hütte stand etliche zwölf Büchsenschüsse gesondert von der Ansiedlung; Unkraut und Fallaub hatten Zeit, den Pfad zu verwuchern und zu verwehen, so wenig ward er benutzt.
Herber noch als die kargen Schotten, pflog Wetzel ohne Not keinerlei Verkehr. Sein Weib, seine Wildnis, sein Weidwerk, seine Welt. Niemands Hilfe hatte er gesucht, hatte niemand zu danken, sein Eigen schützte er selbst, Wachens und Waltens vollauf. Wenn die drüben in regenrauschenden Spätherbstnächten einander den Mais hülsten oder mit wachsendem Tag im Monat, da die Hirsche abhornen, die Ahorne zapften und den Zucker sotten, saß er mit seiner Betty geborgen im Frieden traulich-eigenen Haushalts und tauschte nicht gegen das ganze übrige Virginien.
Bei solchen Zusammenkünften gar, wo nebst jungem Weibsvolk ein Rumfäßlein als Feuerzeug neben offenem Schießpulver zugegen, vergaßen die Flaumbärte bisweilen aller Sabbatfrömmigkeit, die Späße der Grenzen, und die Geschosse erhitzter Wechselrede geronnen nicht selten zu jähem Blei. –
Das aber sollte ihm seine Betty nicht mit Ärgernis 50 kränken; beim bloßen Gedanken ballten sich seine Fäuste. Roher Spott, oft schon vordem an der wehrlosen Waise geübt, war solch scharfen Kampfhahnschnäbeln geläufig, und noch anderer Gelüste hatte er sie in zornigem Verdacht, seit er eines Tages ungewohnt früh heimkehrend auf Josuah McDaffy, einen baumstarken, wüsten Burschen gestoßen, wie der ohne Fug Zaun und Hütte lauernd umstrich.
Nach kurzen bösen Worten, drohendem Anruf und trotziger Antwort, vor der erhobenen Büchse und dem Wettergeleucht in den grauen Augen war jener zwar scheel wie ein knurrender Köter abgezogen; aber ein Glutsplitter vom Funkenschlag brannte sich tief ein, von Abend an richtete Wetzel seine Wege und Stunden anders, unberechenbar wechselnd ein und schloß sich mit seinem hübschen jungen Weibe geradezu feindselig gegen die Siedlung ab.
Die gestandenen Männer von Emmaus, die Hausväter, selbst unerbittlich streng und von düsterer Tugend, rechneten es ihm weiter nicht übel an. Als Mann, der sich bewiesen, hatte er ein Recht auf sein eigenes Hausgesetz und seinen eigenen Willen. Dazu war man in der neuen freien Welt, in Ehr' und Gottesfurcht sein eigener Richter und Schlichter zu sein. Jedem seine Aussaat, jedem davon seine Ernte. Aber freilich, ohne Widerhall blieb der deutsche Unwirsch trotzdem nicht. Gastfreiheit, Hilfsbereitschaft, Gegenseitigkeit, das waren drei der vornehmsten und unumstößlichsten Gesetze der Hinterwäldler. Wer ihnen sich entzog, der stand außerhalb der Gemeinschaft derer, die da in steter Gefahr und Spannung unter schwersten Opfern und Kämpfen mit der Wildnis um ihr Leben rangen und kommenden Geschlechtern die Scholle bereiteten. So knapp bei ihnen das Wort und die weltliche Freude, so genau hielten sie auf Pflege nützlicher Geselligkeit, die durch Wetteifer die Arbeit förderte und alle 51 Familien im Kreislauf eines Blutstroms lebendig zusammenschloß. Jener – mochte er dann zusehen, wenn er eines Tages, zu Schaden gekommen oder siech, der verschmähten nachbarlichen Hände nun noch bedurfte. Jedem seine Ernte nach seiner Saat.
Allein mit solcher Heimzahlung hatte es noch keine Eile. Dem schnellsten und ausdauerndsten Läufer, dem mutigsten und zähesten Schwimmer, dem unfehlbarsten Pfadfinder auf und nieder die Grenze, ihm konnten Frost und Schneesturm, Wildwasser und Urwaldnacht nichts anhaben. Stets kehrte er heil, rüstig, mit Beute beladen zu seinem jungen Weibe zurück; Mangel kannten sie selbst im grimmigsten Winter nicht, der Rauch ihres Herdes trug stets Duft gebratener Hirschkeule oder Bärentatze durch die klirrstarren Weihnachtswälder; ihren Unterhalt konnten sie mit geteiltem Fleiß in sorglosem Überflusse gewinnen, aus den unbegrenzten Jagdgründen, aus der unerschöpften Scholle. Denn noch hatte der große Geist des Lebens ihr Haus nicht mit Menschenfrucht gesegnet. –
Da, eines trüben Spätsommerabends, stieß Wetzel unfern in den Hügeln auf untrügliche Spuren indianischer Späher. Der Händler schon hatte dumpfe Gerüchte von unheimlichen Gärungen wiedererzählt: daß Senecas und Mohawks vom großen Irokesenbunde im Norden, Cherokees und Catawbas im Süden und Westen, durch französische Läufer aus den Canada's aufgereizt und gewonnen, mehr als gut die große Kriegsratspfeife rauchten, Farben anrieben, Mais ausklopften, Geister und Gräber befragten. Solche Nachrichten sprachen sich fast alljährlich die Grenze entlang, und bisweilen folgte ihnen dann wirklich Wettergewölk mit seinen Pfeilschauern und Beilblitzen. Die Niederlassungen am oberen Roanoke hatten feindliche Rothäute seit langem nicht mehr heimgesucht; nun waren sie da. 52
Blutheiß schoß es dem Jäger zu Herz, und zum ersten Male bereute er, daß er sein Haus nicht in den Bereich benachbarter Büchsen gebaut. Betty! . . . Wohl wußte sie mit Pulver, Blei und Eisen umzugehen, er selbst hatte sie es gelehrt, ein zweites Gewehr hing daheim überm Kamin. Aber eine heulende Hölle von Feuerbränden und Tomahawks gegen ein Weib und ein einschüssiges Rohr! . . . Betty! . . . Es dunkelte . . . Er begann zu laufen . . . Eine Stunde Eilwegs noch . . . Betty, seine Betty! . . . Er rannte; schon roch er kienigen Qualm, sah er den Glutschein von Worms düster in die aufbrauende Waldnacht hereindämmern . . . Betty, Betty, seine Betty! . . . Er jagte dahin mit Sehnen des Hirsches, Meilenlungen des Wolfes; dachte noch, daß das rote Gezücht am liebsten in der Zeit zwischen Mitternacht und erstem Fahlgrauen, wenn der Schlaf am tiefsten und süßesten – – da löste sich's und sprang ihn schattenhaft an, grad als er vor fremder Witterung – ranziges Farbfett, Zeltrauch – zurückstutzte . . . Er drückte gegen den Nächsten ab, taub verblitzte der Funkenschlag; er riß einen Haken, schoß davon, floh, flog um zwei Leben . . . Da erhob sich's wieder dicht vor ihm, noch einmal schnellte er weg, setzte über quergestürzten Stamm, blind durch sperriges Prasselgezweig, hetzte weiter, fing sich in zäher Wurzelschlinge, Betty, Betty! . . . Hatte nur den Geist noch und den Ruf: Duncan! . . . Monaghan! . . . McMillan! . . . Indianer! Soldaten! – – – dann Hände um die Kehle, Knebel im Mund, dreißigfache Übermacht gegen sich und keine Hoffnung mehr. – –
Betty wartete diese ganze Nacht und den nächsten Tag und den folgenden; nun wußte sie, was geschehen sein mußte. Sie ging nach Emmaus hinüber: statt Trost und Hoffnung gab man ihr harte Gewißheit. Streifjäger fanden indianische Spuren, die tiefer in die Wälder nach den Bergen führten. Wetzel war verloren. 53
Die Schatten der Wandertaubenwolken strichen im lauen Sturm über die Frühlingsberge, den dünnen braunen Knospenschleier der mageren Espen, die kahlen Kastanienhaine der Sonnenhänge, das fahle Gras und die Krüppelbirken der felsigen Hochebenen. In der Tiefe rauschten die Schmelzwasser. –
Ja, hier herum hatten sie damals gelagert, dort hinab unter jenem Horst von wetterzersträubten Schierlingstannen, durch entblößtes Felsgeschicht verschanzt gegen Wind und Sicht. Kein Zweifel, und da war sie denn auch, die überwinterte Spur des sparsamen indianischen Kriegsfeuers. Hände und Füße hatten sie ihm fesseln können, nicht die Augen; Büchse, Messer und Jagdbeil nehmen, nicht Sinne und Sinn.
Der müde Mann kauerte zu kurzer Rast auf einem weggelösten Steinblock. Hoch über unabsehbare Bergwildnis zog mit leisklirrendem Flügelbraus eine Schar kanadischer Gänse, von Südens Zypressensümpfen und Lagunen unterwegs nach den vieltausend Wassern des Nordens. Sehnsüchtig folgte ihnen der hohle Blick des Erschöpften. Seit vielen Tagen hatte er nichts anderes genossen als bittere Wurzeln und das tranranzige Fleisch einer Pfeilschwanzente, die er am Waldsee durch glücklichen Steinwurf mitten in dichtgedrängt ruderndem Schwarm getötet . . . Und keine Waffe, keine Flamme, in herber Frühlingsnacht keinen Schutz; Verfolger auf der Fährte, Wölfe im Dunkel, Abgründe fremder Wildnisse vor sich; Sohlen wund von geborstenen Brandblasen, Glieder geschwollen von langer Schnürung, Frost, dumpfem Stilliegen; der Körper mit Schwären bedeckt, halbnackt unter versengten Lumpen . . . Dort verschwand jetzt das Zackenband des seligen Wanderfluges über karg beholzten, öden Höhen; dort irgendwo war es vielleicht, wo die Wasser aus den düsteren Bergen nach dem offenen Morgen hinausbrachen, der Sonne entgegen . . . Wenn er nur erst 54 das hügelige Vorland erreichte, wo Rauch überm Pappelgehölz der Auen Hilfe naher Siedlung verhieß! . . . Betty! . . . Er ballte die Faust, als könnt' er darin all seine letzte Kraft zusammenspannen. Betty! . . . Wie weit noch? . . . Auf! . . .
*
Es waren Otarees gewesen, ein Bergstamm vom großen Volke der Cherokesen, unversöhnlich und wild, durch steten Vertragsbruch und französische Sendlinge aufs äußerste gereizt. Seine letzte List wenigstens hatte gefruchtet, die Indianer getrogen, Niederlassung und Nachbarn vor Überfall oder Belagerung bewahrt. Glücklicher Zufall, gerade der Häuptling der Bande, zu trügerischen Unterhandlungen ausersehen, verstand die gröbsten Brocken weißer Sprache; das fortgesetzte Geplänkel gegen die Franzosen am Ohio und an den Seen machte die Anwesenheit durchmarschierender Rotröcke und ihrer Bajonette nicht unwahrscheinlich. Nach kurzem Rat und Verhör zogen die Mordbrenner, weniger tatkräftig als kriegführende Irokesen, erbittert in ihre Berge ab; der mitgeschleppte Gefangene sollte den Verrat am Marterpfahle büßen.
Es war eine schwere Reise, Betty im Herzen, den Tod vor sich, Lager um Lager tiefer hinein in fremdes finstres Gebirg. Die Beine, nachts mit scharfen Riemen gefesselt, versagten ihm an manchem Morgen den Dienst; dann wurde er mit Stößen und schwachen Messerstichen angetrieben. Daß er auf die unbekannten Wege, auf Zeichen und Landmarken achten konnte, blieb ihm als einzige matte Hoffnung.
Einmal schnürten sie ihn gegen einen starken Baum, schossen mit Pfeilen, warfen mit Messern und Beilen seinen Umriß ab. Er zuckte nicht; das war die Probe. Seither behandelten sie ihn etwas besser. Es lohnte der Mühe, sich mit ihm zu schleppen und ihn zum Fest der eigentlichen großen Marterung heranzupflegen. 55
Er wußte das aus den Erzählungen älterer Ansiedler, schweifender Jäger und Kundschafter, genau vertraut mit den schauerlichen Bräuchen der wilden Stämme. Manch eiserner Mann der Grenze hatte tief in den tanndunklen, wolkenverhangenen Bergen sein Leben unter hoffnungsloser Feuerpein geendet, verschwunden, verloren, verschollen. Wenige nur rettete zufällige Dazwischenkunft des fahrenden Händlers und seines Branntweins, wenigen glückte die verzweifelte Flucht. Unheimliche Andeutungen des Häuptlings gaben ihm tödliche Gewißheit.
Es ging durch starrende Talengen, Hänge hinan, über windöde, grasgraue Hochebenen, nach anderen Gründen hinab, rauschenden Waldwassern entgegen in schroff aufklaffende Schluchten. Verhohlen, rastlos schweifte, suchte, maß, merkte sein geübter Blick, in seiner Schärfe hilftreu wie die malbaumzeichnende Axtklinge. Jetzt und dann die Richtung zu Wind und Tageszeit; dort der einzelne Gratfels von Gestalt eines ungeheuren Wächters; hier die Trift voll zerschüttertem Steingetrümmer; heut das Lager unter der schrägüberhangenden aufgeborstenen Färbereiche; in jener Klippenwand droben die Höhlung, mit der auf schmalem Saum haftenden, sturmzerschlissenen Balsamtanne davor; da der brausende Fall, einen Büchsenschuß tiefer Kiesbank und Furt: – all das verbunden zur herzblutroten Spur, tag- und nachtflüchtiger Mann darauf, weit zurück getäuschte Verfolger, fern das Ziel, Dach in spätem Dämmerdunst, Abendhütte voll Bang und Not, eine verwaiste Feuerstatt – – Betty! – – –
Sie erreichten die Sommerzelte in weitem, weidegrünem Gebirgskessel; andere Horden des Stammes waren schon vor ihnen eingetroffen; mit Tänzen, Rasseln, Beschwörungen feierte man die Ankunft des Gefangenen, Sieger und Sieg.
Nicht lange währte die Rast. Fahler, warmer Dunst 56 lag über den Bergen, die Gänse zogen; Laub fiel in längeren Nächten, die Beeren verfärbten; da brach der Stamm nach dem Winterdorfe auf, vom Abend halb gegen Mittag.
Betty, wer deckt dir den Tisch? . . Betty, wer riegelt dir Tor und Tür? . . . Betty, wer wacht über dir? . . . Noch, noch leb' ich, Betty! . . .
Wieder in Fesseln durch fremde Höhen, wieder in finsteren Schluchten hinauf, von wolkigen Pässen zu Tal, weiter um viele Reisen. Da der Bergsturz, dort der breite Windbruch, hier die schaurige Enge, drüben der graue Felsturm – wann, Betty? . . . Herbstnacht, vor niedrigem Feuer hocken die Wächter, jeder sein Ende der zähen Hirschlederriemen in argwöhnischer Hand; Schein ihr Schlaf, zuweilen glimmen die schmalen Augen . . . Nun hast du vielleicht Mutters alte brandgeschwärzte Bibel vor dich hin in den Glanz der knisternden Kerze gelegt . . . In der Fenz, in der linken Ecke die Riegel sollten erneuert werden . . . Von den drei Pökeltonnen die eine, die mittlere läuft, wer wird sie dir dichten? . . . Und daß du's nicht vergäßest, Betty: unter der Bibeltruhe im ausgezimmerten Versteck, da liegt noch ein ganzes volles Fäßchen Schießpulver . . .
Das Winterdorf, in einem gegen Nachmittag offenen, gegen Frühe geschützten Talbogen, bestand aus festen Hütten; einer solchen und ihren Bewohnern wies der Häuptlingsrat den Gefangenen zu. Hier blieb er nun, nie ohne Wächter, nie ohne Bande; doch litt er keinen Mangel. Er entsann sich jetzt, daß manche der weiter abendwärts nach dem sagenhaften Allwasser-Allvater-Strome zu wohnenden Stämme als ihr höchstes Wesen die Sonne verehrten und feierten, und fürchtete zu verstehen, er solle den bösen Geistern der langen Winternacht oder später zur Zeit der Frühlingsnachtgleiche dem siegenden Lichte geopfert werden. 57 – Aber in all seinen schauervollen Ahnungen dachte er nur eins: Betty! . . . Und glomm in all seinem dumpfen Hinbrüten nur ein Wille: Betty! . . . Und lebte im unruhigen Schlaf der fettrauchdunstigen Nächte nur ein Traum: Betty! . . . Sie, die ihm Schärfe und Schwung im bauenden Beile gewesen, geheime Zündung der erntenden Büchse, das unsichtbar voranschwebende Licht auf seinen einsamen Jägerwegen: – sie allein war noch schlagendes Herz unter kalt erstarrender Hoffnung. – –
Fröste fielen. Er harrte düster des letzten Tages. Man ließ ihn nicht hungern; auch dann nicht, als mit niederdämmerndem Winter und schwerem Schneefall zuweilen Mangel an Wildbret fühlbar wurde. Aber seine abgeschnürten Gliedmaßen schwollen und brachen auf; unter den scheuernden Riemen schwärten und wucherten die Wunden. Zur Zeit, da die tiefen Nächte fast doppelt so lange währten wie die blassen Tage, befiel ihn ein fauliges Fieber. Mit Widerwillen hatte er von aufgenötigtem halbgardampfenden Hundefleische genossen; er erbrach es bald unter Krämpfen, lag Jahre und Ewigkeiten lang im Abgrund matter Gluten und Schauer. McDoolan war auferstanden von den Toten und hatte Betty gefreit; unter rauchenden Trümmern bewegte sich das Gespenst einer skalpierten Frau, die Mutter; Betty auf der Bibeltruhe schoß die schäumenden Schnellen des Roanoke hinunter, er stürzte ihr nach, rang und rang in wühlenden Wogen und konnte sie niemals erreichen . . . Er erwachte, hohlgemagert, von ergrauender Bartwildnis starrend; als er genas, war es nah an Frühling geworden, der Wasserschnee rieselte blank von den Hütten, dunkle Wolken, Vogelzüge strichen im Hochsturm über das Dorf.
Eines Tages wurde er nach einer anderen Hütte überführt. Unterwegs sah er, wie die jungen Männer unter Tanz und schaurig schleppendem Gesang eine 58 Bergzypresse zum Pfahl stümmelten und den von ihren Beilen nacktgeschälten Stumpf mit roter Farbe tünchten. Die Höhen gen Nacht und Morgen standen in düsterer Klarheit unterm unruhig treibenden Himmel; gierig trank er den schmelzgesättigten Wind, und ihm war, als brächen in den ertaubten Gliedern, die ihm den ersten Dienst beinah verweigert, die Quellen der Kraft, des Lebens aus tiefen treuen Bornen auf, wie Knospen am Gezweig. Betty! . . . Durch weite Nüstern sog er die herbe Feuchte in sein Herz, sein Blick folgte dem eilenden Sturmflug der Vogelscharen. Der Schnee wenigstens war gewichen, sein gefährlichster Feind. Betty! . . . Aber da fühlte er wieder die lähmenden Riemen, sah er die furchtbaren Vorbereitungen, und in seiner Brust ward Nacht.
Die Hütte, nach der man ihn geschafft, größer als die übrigen und durch seltsamen Schmuck ausgezeichnet, stand abseits auf freiem Anger; ein alter Indianer erwartete ihn auf der Schwelle, der Zauberer in rasselndem Mantel, der ihn schon während seiner Krankheit mit Beschwörungen und gespenstigen Tänzen mehrmals heimgesucht. Aus einem Scherben voll Rußfarbe schminkte er ihn schwarz, zum Zeichen des Todes. Dann führten die Häuptlinge ihn fort, an den blutroten Pfahl; zum letzten Male suchten seine Augen den Heimweg über die Berge. Betty! . . .
Allein die Marter dieses ersten Tages, bloße Vorübung, war leicht. Hatte auch der ganze Stamm sich zum festlichen Schauspiel versammelt, vor dem Ernst der Männer gehörte er den Darbietungen der unbefiederten Jugend. Bedroht, bezielt, leicht gestreift durfte er werden, um keinen Preis getroffen. Die Burschen machten ihre Sache gut; ein einziger Pfeil ritzte seine Wange, und ein Messerwurf schürfte ihm eine Klinge breit Haut vom Halse. Mit einbrechendem Abend wurde er losgebunden und nach der 59 Ratshütte gebracht; dort durfte er bei Speis, Trank und bewachtem Schlaf in Ruhe den Fortgang seines Sterbens erwarten.
Am zweiten Tage diente er den erwachsenen Kriegern zum Ziel. Doch auch jetzt noch sollten die Waffen seiner schonen, daß nicht Blutverlust, Schmerz und Angst ihn vor der eigentlichen, der echten großen Marterung schwächten und die Zuschauer um den höchsten Genuß des Festspiels verkürzten. Still und hart, unbeirrt von den Finten seiner Peiniger, stand er am Pfahl. Kaum noch fühlte er, daß ein Stümperbeil seine Schulter aufs Blut kerbte, daß ein Messer hart unter seinem Lid in die Backe schnitt und ihn durchs Ohr ans Leidensholz heftete. Scheinbar offenen Blickes schaute er den Feinden in die wilden Fratzen; in Wahrheit aber starrte er aus toten Augen durch sie hindurch, durch Wälder und Berge hinab nach einem einsam sturmumrauschten Haus, durch des Hauses Balken hinein ins Flackern und Weben der Feuerstatt, und tief in seiner Finsternis brannte bang wie der Mutter späte Bibelkerze nur noch ein schmales blasses Licht: Betty! . . . Seine kleine liebe Betty! . . .
An diesem Abend suchte ihn der Häuptling an seinem letzten irdischen Lager auf, sprach ihm nach ernsthafter Pfeife in gebrochenen Worten karge Bewunderung aus und eröffnete ihm schließlich den Vorschlag sühnender Einheirat in Pflichten und Rechte des erschossenen Kriegers. Er antwortete gar nicht. Klein-Betty mit unterspülter Uferscholle stürzte in den fahlen Schmelzgischt des Roanoke; eine todblasse Betty in seinem tröstenden Arm schluchzte und bebte vor der getöteten bunten Schlange; Betty auf stillem Brautritt durch glitzernden Waldfrühlingsmorgen umschlang ihn im Sattel, und gegen sein eigenes Herz pochte das ihre; Betty fern daheim sieht die Wolken ziehen, die Vögel reisen, die Büsche treiben, und Tag um Tag 60 altert und ermüdet ihre treue Hoffnung . . . Da erhob sich der Häuptling und ging; seine zornige dunkle Hand zuckte nach Waffe, das Todesurteil war gesprochen. –
Am letzten Morgen fand er den roten Pfahl von Stößen kleingebrochenen Brennholzes rings umschichtet. Er erkannte die Bedeutung. Starke, lang aneinandergeknotete Riemen hingen mit zwei losen Enden vom Kopf des Baumstumpfes herab. An dieser Schleife mochte er im Rund der nah und näher geschobenen Brände den Pfahl so lange umkreisen, bis er erstickend zusammenbrach und noch lebendigen Leibes im Glutatem des Feuers verschwelte. Pfeilschüsse, Beil- und Messerwürfe durch den Rauch hindurch würden ihn außerdem zur Verzweiflung anstacheln; das war die berühmte große Marter der westlichen Stämme.
Nun stand er im Ring. Der Häuptling selbst trat an ihn heran, entblößte ihm die Brust, zog Haut und Busenmuskel zu straffen Falten auf und durchstieß das Fleisch mit schartigem Messer. Ohne zu zucken, ertrug er den zersetzenden Schmerz, starr wie sein düsterer Peiniger. Sein Körper litt, seine Gedanken schweiften hoch mit den Wolken. Dunkles Murmeln lief durch das wilde Volk. Zwei roh vorgeschnitzte Knebel wurden durch die frischen Wunden gezwängt, die Enden der Riemenschleife an diesen befestigt, die Fesseln an Füßen und Händen durchschnitten. Frei! Frei zum ersten Male seit schwüler Ewigkeit; frei zum letzten Weg, zum Todestanz um den Pfahl, zur Flucht in die besseren Jagdgründe. – Das Sterben konnte beginnen.
Der Häuptling, über den Reisigwall hinausgesprungen, gab das Zeichen. Grausam eifrige Hände steckten den Holzstoß von allen Seiten her in Brand. Der Gefangene maß die Entfernung; sie betrug zunächst noch ihrer fünfzehn Schritte. Er horchte: nach 61 den Wäldern hinüber auf den tiefbrausenden Frühlingssturm, in seine Glieder hinab auf das einströmende Blut. Hellauf durchflammt, knatterte und sauste das entzündete Prasselgezweig. Noch war von Hitze nichts zu verspüren. Aber die emsigen Arme warfen Wellen frischen Astwerks über das jähe Feuer, Moos, feuchte Borke und Spreu dazu; gelber Stickqualm quoll auf, die blaß durchzuckende Lohe schien näher heranzurücken. Ein vereinzelter Pfeil huschte im Rauch vorüber und verschwirrte im getroffenen Pfahl; ein tückisches Beil wirbelte plötzlich schattenhaft im Dampf, zur letzten Not konnte er ihm ausweichen. Nun fühlte er den Anhauch der Glut, Funken bohrten sich ihm in die Haut. Jetzt barst die Flamme wieder frei aus dem dicken Schmauch; die Schwaden hatten ihn fast betäubt, der offene Glast drohte ihn zu rösten. Nur sechs oder sieben Schritte noch maß der Abstand. Schon zog es ihm Brandblasen aus der Stirn; im eingeatmeten Loder war keine Luft. Und abermals häuften sie neues Geschicht über den Brand; Dampfquall, Pfeilflüge, Axtwürfe, ein schreckliches Spiel mit dem Todesmut.
Da begann er den Pfahl zu umkreisen, wie die Peiniger es vom Opfer erwarteten. Doch nicht ihnen zu Willen; er spähte. Was Schlimmeres konnte er als sterben?
Feuchtwind wühlte stoßweise heran, drehte sich und kesselte im Tal. Er wartete noch, er suchte, lauschte aufs Erwachen seiner Glieder. Betty, seine Betty, was war mit ihr zu dieser Stunde? . . . Er vernahm sie, er sah sie; er war bei ihr. Betty! . . .
Er stand wie ein getroffenes Tier. Die Kraft der Todesangst war über ihn gekommen. Und jetzt hatte er den Qualm im Nacken, denen draußen wälzte er sich entgegen. Ein Beil fauchte dicht an seiner Schläfe vorbei, fast hätte es ihm den Schädel gespalten. Er 62 riß es aus dem Pfahl; allein seine plumpe Schärfe taugte nicht gegen die zähen Riemen. Da ballte er sich zum Äußersten.
Mit zwei schnellen Hieben zerhackte er sich das durchbohrte Brustfleisch über den Knebeln. Dann sprang er mit furchtbarer Gewalt an. Es gelang. Ein krallender Todesschmerz: das Fleisch zerriß. In zweitem Satz flog er hoch durch den Qualm, dort wo er am dichtesten. Auf einmal war er mitten unter den Feinden. Sie starrten, gelähmt. Zwei, drei im Wege schlug er nieder. Er rannte, er stob dahin wie der Gabelbock der Steppe, hinter sich Geheul und Waffen. Die Hütten, der Anger, der dunkle Wald. Der Wald! Die Berge! Er war gerettet.
Nach stundenlang rastloser Flucht in steten Absprüngen und Haken hatte er, manchmal nur auflauschend, eine fast bis zu den Wurzeln herab beastete Schirmtanne gefunden; ihrem mütterlichen Dunkel vertraute er sich endlich an, denn das letzte Stück Wegs hatte über felsigen Grund und auf langhingewuchteten Stämmen eines Windbruchs geführt. Vorsichtig, ohne auch nur eine Schuppe von der Borke zu streifen, klomm er die Astleiter hinan, dicht am Stamme, daß nicht federnde und schwenkende Zweige ihn fernen Beobachtern verrieten. Im tiefruhigen Wiegen und Rauschen des alten Baumes verbrachte er die hellblaue Frühlingsnacht, hoch über sich Sturm und brausenden Wanderflug.
Am Morgen dann kletterte er fast bis in den Wipfel hinauf und hielt Auslug. Berge hinter Bergen, Wälder ohne Grenzen, bis ans Ende der Welt. Auf rauhen Höhen, in nachtseitigen Schattenschluchten leuchtete noch Schnee. Und dort, wohin die schmelzgetränkt schweren Grauwolken trieben, wohin die geordneten Scharen der Gänse und Kraniche eilten, dort erst, weit, weit jenseits dieser Unermeßlichkeit war Betty. 63
Er stieg behutsam herab und begann seine Wanderung. Mit Absicht querte er das Schneefeld einer öden Hochebene im Rückschritt, Fersen voran, Zehen sorgfältig auswärts gestellt. So konnte er die Verfolger täuschen. Tageslicht und Wind, Wolken und Tiere waren seine Führer.
Endlich stieß er auf Spuren seines Leidensweges, Merkzeichen und Örtlichkeiten, die er sich eingeprägt. Er fand das Sommerdorf, den Wasserfall, die geborstene Eiche, den einsamen Wächterstein. Als er sorgloser geworden, schlief er mehrmals unter überhangenden Felsen, im sparrigen Gewirr der Sturmbrüche, im Dickicht. Allein die Furcht vor den frühlingsmageren Waldwölfen trieb ihn noch oft ins bergende Geäst der Schirmtannen und Zypressen hinauf. Kein Feuer, keine Waffe! . . . Er gewöhnte sich daran, auch so, in hangendem und gestütztem Lehnsitz seine Ruhe zu finden, eingewiegt von leismächtigem Braus. –
Freundliche Gesichter glitten durch seinen Schlaf. Er hörte das Spinnen von Mutter Lisbeths fleißigem Rad, im Winterkamin klagte und knackte der Brand, die Kerze knisterte, draußen in starrem Sternfrost klüfteten gellend die Stämme . . . Er war bei Betty, sie hatte ihm neue lindpelzene Mokassins genäht, darin rasteten seine wegwunden Sohlen, von der Feuerstatt her duftete heißsaftig die zarte Junghirschkeule, er erzählte und schärfte dawährend die Axt, denn gleich nach dem stärkenden Mahl wollte er die Fenz mit neuen gesunden Querriegeln ausbessern . . . Da weckten ihn die grauen Schauer des Morgens, und von seiner Warte aus sah er noch immer Berge hinter Bergen, Wälder ohne Grenzen, fahle Frühe und Vogelflug, unermeßliche Wildnis.
Aus seinem harten Wuchs heraus heilten die Wunden. Sein eiserner Körper widerstand dem Frühlingswetter mit Schneeregen und durchkältendem Wind, den 64 Bergfrösten, dem zehrenden Hunger. Hie und da glückte ihm der Fang eines Eichhörnchens; mit Zähnen und Nägeln streifte er ihm den Balg ab und verschlang es roh. Bisweilen griff er sich einen Fisch; einmal fiel ihm sogar ein halbwüchsiger Biber anheim, den sein Erbeuter, der weißköpfige Adler, in aufflügelndem Schreck hatte fahren lassen. Das war nach keimenden Eicheln ein kräftiger Leckerbissen. Ein andermal folgte er dem nahen Todesschrei eines Wildkalbes und scheuchte den Luchs, der ihm die Kehle aufgerissen. Begierig schlürfte er selbst den warmen Blutquell; mit Hilfe einer abgeworfenen Hirschstange, die er vor einigen Tagen zufällig gefunden und seither als einziges Waffengerät mit sich führte, löste er die beiden Keulen aus den Gelenken und war fürs nächste ohne Sorge. Das gab ihm den Gedanken ein, da und dort an Wasserläufen und Salzwiesen den zahlreichen beschwingten und gepelzten Jägern aufzulauern und den frischen Fang und Fraß abzunehmen. So lebte er, selbst ein verstümmeltes wildes Tier, von den Krallen der Adler, den Branten der Luchse und silberbraunen Berglöwen.
Aber eines Abends stand er auf der letzten Höhe und schaute in die eindunkelnde Heimat hinab. Es war voller Frühling geworden; die Walddrosseln sangen in der blühenden Dämmerung, Honigduft der Akazien wehte aus dem webenden Dunst der Tiefe empor. Dort zog der Roanoke durch brauende Wälder gegen den düster heraufglühenden Mond; drüben in seiner breiten Felderbucht lag Emmaus mit seinen Dächern und Zaungevierten; und da drunten, abseits im Zwielicht der einsamen Rodung, wo Herdrauch zart in der Taukühle spann und eben ein Funke golden erglomm, da wohnte und wartete Betty.
Josuah McDaffy war nicht der Mann, am genügsamen Behagen stiller Feierabende dauernd Gefallen 65 zu haben. Er liebte die rauhe Geselligkeit der Hinterwälder, darin er aufgewachsen, und der schöne Silberschatz der Truhe erlaubte es ihm, seinen Gästen außer Wildbraten und Apfelpasteten auch den selteneren Genuß eines Trunkes aus dem Rumfaß zu bieten.
So erfreute er sich nicht geringen Anhangs unter den Nachbarn, und auch Betty war mit seiner breiten Art, der aller jüngeren Männer in den Grenzdörfern, gern zufrieden. Nun bekam sie hie und da wenigstens andere Frauen zu sehen, konnte mit ihnen dies und das und so vieles Wichtige besprechen; sie erwartete zum Mittsommer und hätte vor der Strenge der erfahrenen Gevatterinnen gern in Ehren bestanden.
Später dann wollte McDaffy dies langweilige Haus mit Feld und Vorkaufsrechten losschlagen und mit ihr nach dem Potomac hinauf oder hinunter nach dem großen Pedee ziehen, wo es etwas mehr Verkehr und wohlfeileren Bedarf gab. Sie war mit allem einverstanden. Einstweilen hielt er Zaun und Dach in leidlicher Ordnung, bestellte notdürftig den Acker, prahlte mit seiner nahenden Vaterschaft und unterschied sich, durch die Ehe zu Pflicht, Besitz und Manneswürden gelangt, in nichts von anderen Ansiedlern seines Alters. –
An diesem Frühlingsabend, nachdem er tagsüber für alle Fälle noch etwas Mais in die wunde Scholle gesät, saß McDaffy breit vor dem hellen Kaminfeuer und schnitzte verdrießlich an einem neuen Schafte zur Axt, während Betty, mit ihrer Last unterm Herzen, stillgeschäftig ab und zu ging, den einfachen Imbiß zu bereiten und aufzutragen.
Verdammter öder Verschlag das, den sich der sparrige Deutsche so abseits in die Einsamkeit gebaut! . . . Und der beste gesegnete Einfall, den das rote Gesindel noch je gehabt, daß es diesen Kerl gefaßt, zum Teufel verschleppt und hinten wo in den Bergen gebraten! . . . 66
McDaffy verspürte nicht übel Lust, nach dem Essen mal 'nüberzugehen und irgendwas auf die Beine zu bringen.
Vielleicht ein kleines Scheibenschießen bei Mondschein; oder man verknallte seine zwei oder drei Faustvoll Pulver nach dem Licht und war bei Branntwein und Reibereien ein bißchen guter Dinge.
Oder am Ende kamen ein paar stramme Jungens selber wieder mal 'rüber, halfen auf die alten Dorfmucker schimpfen und den schönen braunen Rum ausrotten, der ja nach Meinung der grauen Tugend gar so schädlich sein sollte.
Da mit einemmal hatte McDaffy ein seltsames, unbehagliches Gefühl.
Das Fenztor war nach vorsichtiger Gewohnheit längst geschlossen und verriegelt; späte Gäste würden sich mit Ruf und Anschlag melden. Aber die Freunde machten sich zuweilen solch dummen Spaß, beschlichen die Hütte unterm Winde und stimmten dann plötzlich das indianische Kriegsgeheul an; er hatte sich's schon mehrmals rauh verbeten.
Er lauschte. Die Tür stand offen; aus dem dumpfbeglänzten Walde jenseits der Lichtung schauerte dunstgelb der Mond herauf. Wie ein Scharren war das gewesen – vielleicht ein Bär – und jetzt sprang es schwer über den Bohlenzaun herein.
Da stieß Betty an der Tür einen schluchzenden Schrei aus; und da stand es drohend im schwankenden Flackerschein, böse Augen hohl im starrenden Bart, ein abgezehrter Körper in blutverharschten Lumpen, eine Hirschgeweihstange zackig in der Faust, ein wildes Bergtier, ein Gespenst.
McDaffy, aufgesprungen, hatte die geladene Büchse von dem Haken überm Kaminsims gerissen. Der Deutsche! . . . Der aufstockende Schreck war verflogen, die rohe Wut quoll auf. Eine Kugel dem durch den 67 Kopf, und die Waldwölfe draußen besorgen den Rest! . . . Und wer danach fragte, der kriegte die richtige Antwort! . . . Aber da war wieder dieser graue Blick, der ihn lähmte, daß er das Rohr nicht heben, den Hahn nicht spannen konnte; die Erscheinung trat langsam ganz dicht an ihn heran.
»Was sucht Ihr hier?«
Wie gebannt starrte er auf die gespenstige Gestalt herab.
»Was sucht Ihr hier?«
McDaffy versuchte höhnisch zu lachen.
»Und was sucht – Ihr hier? He?«
»Ich? . . . Betty! Was tut der da bei dir?«
Sie antwortete nicht, gegen die Wand in den Arm gelehnt, von schluchzenden Todesängsten geschüttelt.
McDaffy grinste frech.
»Da kommt Ihr aber etwas reichlich spät, das zu fragen, Mann!«
»Euch wohl noch immer zu früh!«
»So? . . . Meint Ihr?« McDaffy, ermutigt, wurde breitspurig. »Und wer hat Eure paar verrotteten Pfähle da instand erhalten, he? . . . Und wer die Mistreß dort versorgt, gefüttert, beschützt, he? . . . Ihr vielleicht, ja? . . . Kennt Ihr Recht und Brauch der Wildnis? . . . Schätze! . . .«
Der andere erwiderte ihm kein Wort. Langsam drehte er den Kopf nach Betty hinüber, die noch immer abgewandt im fernsten Winkel duckte, aufgelöst in Furcht, Scham und nachschauerndem Schreck.
»Betty!«
Sie rührte sich nicht.
»Betty! . . . Hast du das gehört?«
Sie schwieg.
»Betty! . . . Weißt du noch, was ich dir von meiner Mutter erzählt? Von der alten schwarzen Bibel?« 68
Sie drückte sich noch enger ins flackerige Dämmerdunkel.
McDaffy reckte sich in seiner kantigen Höhe; der rötliche Schopf auf seinem Schädelgrat stand wie ein Kamm.
»So, Mann! . . . Und damit laßt's genug sein! . . . Wo Ihr ein Recht zu klagen habt: – drüben in Emmaus jeder Graukopf kann's Euch weisen, nach Brauch und Gesetz der Hinterwäldler! Ob dessen die Frau ist, der sie nährt und hält – oder dessen, der das nicht tut, verschollen geht und damit sein Recht verliert! . . . Und wenn Euch das nicht paßt: hier in der Büchse ist Pulver und Blei genug, den Streit ohne viel Redens zu schlichten!''
Wetzel stand starr, geballt vor Haß und Rache, als wollte er dem baumstarken Gegner unbewaffnet an die Gurgel springen. Aber dann löste sich's heißbitter in ihm, und mit einem rauhen Laut wandte er sich ab. Betty, Betty hatte ihm neue pelzene Mokassins genäht, darin seine wunden Sohlen ruhten! . . . Betty, Betty rückte ihm den Sitz ans Feuer, wusch seine Narben, labte ihn mit Speis und Trank, bettete ihn auf die lindesten Felle! . . . Er ging, ohne ein Wort des Widerspruchs; aber in der Tür blieb er noch einmal stehen.
»Auch darauf hast du nichts zu sagen, Betty? . . . Weißt du, woher ich komme? Vom Marterpfahl!«
Mit seinem Geweihzacken in der Faust trat er hinaus und verschwand im Mondschatten der Palisaden.
McDaffy in jäh nachlodernder Wut hatte meuchlerisch den Hahn gespannt; da sprang es schon jenseits ins Dunkel hinab und war in der Nacht verschwunden.
Aber dann hörte Betty etwas, was sie noch nie vernommen, zum ersten Male sein Lachen: ein grausiges Lachen, das weither aus dem Dunst der glanzüberschauerten Wälder hallte, ruhlos hin und her unterm Monde irrte und sich spät erst in nebelnder Ferne verlor. 69
Am nächsten Tage schon wußte man's in Emmaus. McDaffy selbst, obwohl er's Betty rauh anbefohlen, hatte nicht schweigen können. Eine wilde Unruhe trieb ihn zu den Nachbarn; er betrank sich und gab zu trinken, prahlte, und sein rötlicher Schopf auf dem Schädelgrat stand gesträubt als Kamm.
Am dritten Tage kam Wetzel, hohl, haarig, zerfetzt, ein Gespenst; die Frauen wichen erschaudernd vor ihm zurück, die Kinder flohen schreiend vor seinem mähnigen Bart.
Zwei Nächte noch war er tierisch umhergeschweift, ohne gare Speise, ohne Feuer; nun wollte er sein Recht. Nun wollte er leben, und dazu brauchte er Waffe und Beil, Pulver und Blei, Stahl und Stein und seine vorenthaltene Habe.
McDaffy ward seiner ansichtig; wie einen Bullen mußte man ihn halten, daß er nicht in blutunterlaufener Stierwut sich auf den Wehrlosen stürzte und alles verwirkte. Er rang sich schäumend los und feuerte jenem hinterrücks seine Kugel nach; allein sein Herz schlug in der Hand, der Rum flirrte in seinem Auge, der feige Schuß ging fehl.
Es bildeten sich Parteien. Junge Kampfhähne stimmten für McDaffy, jüngere Frauen sprachen dem einstigen Spielgefährten, dem geselligeren, freigebigen Dorfgenossen das Wort. Der einsame Deutsche war nicht beliebt, seiner Rückkehr freute sich niemand; aber McDaffy hatte offenkundig das heilige Gastrecht der Wildnis verletzt, ein schweres Vergehen. Viele, die härtesten Steine flogen gegen Betty.
Amos Bryan als Ältester der Ansiedlung vertrat das Amt eines ordentlichen Friedensrichters. Bis zur nächsten Behörde der Regierung selbst wären es zwölf oder fünfzehn scharfe Ritte durch Wald und Gefahr gewesen. Amos Bryan berief die erfahrensten der ratsfähigen Männer. Sonst wurde aus Vätern, Brüdern, 70 Vettern, mannbaren Söhnen und Erben der Gegner und der umstrittenen Frau ein Gerichtshof gebildet.
Die zusammengetretenen Schöffen wiesen das Gewohnheitsrecht der Wildnis. Eine hilflose Frau in der Einöde, abseits von den Waffen und Pfählen geschlossener Ansiedlung, stündlich bedroht von Raubtieren und indianischer List, könne nicht bestehen; ein ohne Urlaub verschwundener und verschollener Mann gelte ihr daher mit Recht für ab und tot, die natürliche Wahrscheinlichkeit seines Todes mit Recht für gute Gewißheit. Die Ehe zwischen Josuah McDaffy und Betty Wetzel sei in gutem Glauben und aus Not geschlossen und vom ganzen Dorfe ohne Einspruch zur Kenntnis genommen worden; nach altem Brauch werde in solchen Fällen der Frau selbst die Wahl anheimgegeben; könne oder wolle sie binnen drei Tagen und Nächten eine solche nicht treffen, so bleibe die Entscheidung dem öffentlichen Zweikampf.
Das war das Urteil, hart, klar und einfach.
Wetzel lachte blutig auf. »Das ist eure Bibel? . . . Ich sage: meine Mutter hat anderes daraus gelernt.«
Amos Bryan maß ihn finster. »Wenn Euch das gegebene Recht nicht paßt, so holt Euch ein besseres oder sucht es bei Eurer Mutter. Das Gesetz unserer Wälder machen wir, für uns!« –
Betty zwischen zwei Todesängsten konnte sich nicht entscheiden. McDaffy würde sie erschlagen; vor Wetzel graute ihr. Wetzel hatte sie dreimal vor dem Tode gerettet, hatte sie beschützt, hatte sie zu sich genommen, hatte ihr alles gegeben, was sie besaß und genoß; von McDaffy war sie Mutter. Mit McDaffy war sie hie und da fröhlich unter Nachbarn gekommen; mit Wetzel und seinem Vorwurf blieb sie zeitlebens vereinsamt. McDaffy würde sie erwürgen, Wetzel ihr nie verzeihen. McDaffys Kind lebte ihr unterm Herzen; Wetzel kam vom Marterpfahl. 71
Sie fand keinen Entschluß. Am liebsten wäre sie selber gestorben. Sie wagte sich nicht unter die harten Nachbarsfrauen; keine kam, ihr zu helfen in ihrer bitteren Not. McDaffy saß brütend vorm Kamin; von Zeit zu Zeit stieß er wilde Reden aus. Dann trank er aus dem Rumfaß. Sie blieb allein.
Am dritten Tage erschien Amos Bryan mit zwei glaubwürdigen Zeugen und Wetzel und fragte sie im Angesicht der beiden Gegner nach ihrer Wahl. Wieder stand sie zwischen ihren Männern und ihrem unversöhnlichen Haß. Sie schwieg. Zweimal noch wiederholte jener die ernste Frage; sie konnte sich's nicht vom Herzen ringen. Da wandte sich der Alte und schritt finster hinaus. McDaffy mußte alle Waffen ablegen und ihm folgen. Der öffentliche Zweikampf auf Leben und Tod, der Holmgang sollte entscheiden. –
Sie hatte sich in einem Winkel zusammengekrümmt und wartete mit verrungenen Händen in tränenloser Erstarrung. Wetzels letzter Blick brannte sie wie ein giftiger Pfeilschuß. Sie kannte den Anger, darauf jetzt das ganze Dorf sich versammelte, Männer, Frauen und sogar Kinder; sie selbst hatte solch unerbittliche, knirschende Kämpfe gesehen, Kämpfe, die auch der Sieger um Stunden nur überlebte. Jetzt schlossen sie drüben den Ring, die Männer auf ihre langen Büchsen gestützt in kalter Erwartung, die Burschen und Knaben gierig in entzweiter Spannung . . . Jetzt entblößten die Gegner sich bis zum Gürtel, McDaffy die breite, rotbevlieste Brust, Wetzel den abgezehrten, von frischen Narben starrenden Leib. Sie wollte sich aufraffen; es zwang sie nieder. Wühlender Schmerz, eine furchtbare Kralle, benahm ihr den Atem. Es wurde blutige Nacht.
Als sie erwachte, bewegte sich die Gestalt eines Mannes vor neuentfachtem Feuer. Der Flammenschein glomm durch breitverwilderten Bart; es war Wetzel. 72
Er hatte sie auf Felle gebettet, die erste Hilfe geleistet, das Kind an ihrer Brust geborgen; im Kessel kochte frischgeschöpftes Wasser, im Topf auf den schwelenden Wurzelstücken sott eine zarte Wildbrühe. Wie er nun sorglich herantrat, schloß die Mutter schaudernd die Augen vor seinen Händen. Aber diese selben Hände wuschen das Frühgeborene, einen schwächlichen Knaben, und diese selben Hände fertigten noch an diesem Abend eine Waldwiege aus der im ganzen abgeschälten Borke des Hickorynußbaums. Dann erst, als die ermattete Wöchnerin schlief, pflegte der müde Mann seiner selbst. Lange noch wachte und lauschte er beim Licht der knisternden Hirschtalgkerze; vor ihm auf dem Tisch lag die brandgeschwärzte Bibel, draußen über der Rodung spann und klagte der Whippoorwill. –
Betty genas unter seiner schweigenden Wartung; das Kind blieb erhalten. Still und fremd lebten sie nebeneinander hin. Nie erfuhr sie von ihm, wie er den baumstarken McDaffy besiegt, wie er ihm mit einem Satz an die Hüften gesprungen, sich in seine Drossel verbissen, die Augen mit den Daumen aus den Höhlen quetschte und den Geblendeten mit drei furchtbaren Fausthieben in den Nacken totschlug. Sie fragte nicht; er war zum Stein verstummt.
Selbst von seiner Gefangenschaft, von seinem Leiden, von Flucht und Wanderung erzählte er kein Wort. Darüber, daß er von seinen Talern im Truhenschatz kaum die Hälfte wiedergefunden, verlor er keine Klage. Nach einigen Wochen hatte er seine vollen Kräfte wiedererlangt und ging wie früher seinem Gewerbe nach. Die Schotten von Emmaus mieden ihn noch schroffer als je zuvor; damit taten sie ihm nur seinen eigenen Willen. Sie wußten nicht, daß er in höchster Not die Niederlassung vor dem Untergang bewahrt; er hatte nicht die geringste Lust, sich dessen zu rühmen.
Aber in dieser vereinten Einsamkeit brannte nicht 73 wie einst das Licht traulich geborgener Feierabende. Ein Schatten ragte im Haus, der Schatten des Marterpfahls; und ein Dritter lebte zwischen den beiden, ein Unsichtbarer, ein Allgegenwärtiger, der Erschlagene.
Denn McDaffy war nicht tot, er lebte, er wuchs. Er lebte im Kinde, er lebte in Gelaß und Gefach; er lebte in grabendem Verdacht, er lebte in aufzuckendem Argwohn; er lebte im beredten Schweigen, er lebte im vermiedenen Wort; er lebte in ungesprochenem Vorwurf, er lebte in unheilbarer Bitterkeit. McDaffy lebte in allem, in der schwarzen Brandbibel, im Flachsgespinst, in der Flackerflamme der Kerze. Winternächte lang, wenn draußen wieder die Stämme mit gellendem Eishall barsten, lauschte Wetzel vorm Kamin den klagenden Stimmen des Feuers, und seine Gedanken in unzerreißbaren Fesseln kreisten ruhlos im Glutring um einen glimmenden Marterpfahl.
Er trieb wie vordem das Gewerbe eines Pelzjägers, und der Händler war noch der einzige Mensch, den er über die Schwelle ließ. Aber nun dehnte er seine Streifzüge immer weiter aus; mitunter, wenn er Betty und das Kind gehörig versorgt, blieb er wochen- und monatelang in der Wildnis, und wenn er endlich heimkehrte, ruhte er nur wenige Tage, seinen Bedarf zu ergänzen, seine abgenutzte Kleidung zu erneuern, vielleicht mit dem zu bestimmten Zeiten durchreisenden Kaufmann sein Geschäft zu schließen. Dann brach er wieder auf; draußen in den Wäldern, unter Wipfeln und Wolken, bei den Adlern und Wölfen hatte er seinen Frieden.
Eines Jahres aber kehrte er gar nicht mehr zurück. Im Frühling, als die Wandertauben den Himmel verdunkelten und die Heerscharen der Schwäne und Kraniche nächtlich mit dem Sturm über das einsame Haus rauschten, da war er ausgezogen; als der nächste Schnee schmolz und starb, und als im Ahorn zum 74 andern Male der süße Saft stieg, und als der Tulpenbaum vor der Hütte zum dritten Male seine geröteten Blumen trug, war er noch nicht wiedergekommen.
Er hatte ein neues, grenzenloses, unerschöpfliches Jagdland gefunden, weit jenseits der Berge, Schluchten voll Bären, grüne Rohrdickichte, bevölkert von Hirschherden, Hochebenen, dumpfdröhnend vom Donner der Büffel. Mit seinem Beil baute er sich eine verborgene Hütte, aus dem Schaft der Silberpappel höhlte er sich das Boot. Einsam steuerte er sein Fahrzeug mit der Beutefracht den stillen Waldfluß hinab in den Strom, an dessen Ufer die nächste befestigte Niederlassung stand; hier kannte ihn niemand, niemand fragte ihn nach Namen und Schicksal. Dann schaffte er den eingelösten Bedarf unter Mühsal und Gefahr wieder in sein unzugängliches Versteck. Die Wolken wanderten, das Laub fiel, die Sterne kreisten, hoch hinweg über das Felstal weinte der Winterwind; die heulenden Wölfe, manchmal der heiße Schrei der schweifenden Berglöwin, die Spiele der blauen Dohlen, die Flüge des weißköpfigen Adlers, die Geisterstimmen der Nacht . . . Er vergaß.
Aber noch einmal, nach Jahren, die er selbst nicht mehr gezählt, streifte er vom Shenandoah her über die blauen Höhen und stieg zu den Ansiedlungen am Roanoke hinab. Dort, wo einst Worms und Hebron gestanden, der Mutter Spindel geschnurrt und McDoolan Martertodes gestorben, blühten junge Dörfer auf dem grünüberwucherten Brandschutt; hier fand er nichts mehr als schwarze Trümmer, schon von frischem Rankenwerk übersponnen, im hohen Unkraut ästen sich furchtlos die Hirsche, unter den verkohlten Balken heckte lichtscheues Getier. Der unkenntliche Überrest eines zum Klumpen zusammengeschwelten dicken Buches, das war alles, was Indianer, Wölfe und Geier übriggelassen. 75
So kam Wetzel zum dritten Male an den Marterpfahl. Er hätte Betty nicht verlassen oder er hätte jenen anderen nicht erschlagen dürfen. Drei Tage lang lagerte er schwermütig auf der düsteren Statt; dann brach er auf und wanderte in die Tiefen seiner Wildnis zurück. Über der längst erstorbenen Asche spann und klagte der Whippoorwill. –
Trotz eigener Rache und Abrechnung hatte sich Wetzel bisher nicht sonderlich viel um die Indianer bekümmert; nun aber wurden sie sein eigentliches Wild, nun wurde er ihr unerbittlicher Jäger. Friedlos, heimatlos, erbarmungslos schweifte er zwischen Wäldern und Niederlassungen auf ihren Spuren; niemals sah man ihn ohne den schrecklichen Schmuck frischer Skalpe. Man erzählte von ihm, er habe mit eigener Hand mehr Kopfhäute genommen als andere Waldläufer zeitlebens Bären erlegt; als später die Regierung für jeden Kriegerskalp den Sold von fünfzig Pfunden ausschrieb, hieß es, er sei binnen kurzem zu geheimem Wohlstand gelangt.
Aber auch darin wurde er zuzeiten irr. Manchmal an spätem Herbstfeuer, wenn er ins Buntspiel der singenden Flammen starrte, verlassen unter Geistern und Stimmen der tausendäugigen Nacht, da schien es ihm, als folgte er der falschen Fährte, als rächte er sich an den unrechten Köpfen, als hätte er besser getan, bei den Indianern zu bleiben, sich zur Rothaut zu schminken, mit ihnen zu sengen, zu morden und zu vergelten. Aber nun war es zu spät; er konnte es nicht mehr lassen. Er mußte weiter töten und schinden oder getötet und geschunden werden.
Zweimal noch wurde er gefangen und sein Gesicht schwarz bemalt; jedesmal entkam er auf rätselhafte Weise, und noch auf der Flucht machte er blutige Siegesbeute.
Schließlich wurde er zum Gerücht, unter den Indianern wie unter den Weißen der Niederlassungen. 76 Niemand mehr kannte ihn wirklich, niemand wußte seinen Namen, niemand seine Herkunft und Schicksale. Nur seine Taten lebten, wuchsen und wurden Sage, gleich ihm selbst. Er schoß mit unfehlbaren Kugeln; er besaß übernatürliche Kräfte; er war fest gegen Blei und Stahl; er lebte seit zweihundert Jahren.
Unstet zog er vor den Einwanderern her; neue Geschlechter, neue Zeiten folgten seinem einsamen Kriegspfad durch die Wildnis. Die Männer scheuten, die Frauen fürchteten ihn, den Kindern wurde der wilde Deutsche zum Gespenst. Niemals schlief er unter mitmenschlichem Dach; betrat er je ein Haus, so brachte er schlimme Warnung. Bald da, bald dort, bald am Kanawha, bald am Kentucky, am Tennessee im Süden, am Tippecanoe im Norden tauchte er auf und verschwand nach kurzer Erscheinung wieder in Dunst und Dämmer der unergründlichen Wälder. –
In La Fayette am Wabash, wo er sich mehrmals gezeigt, hatten vorwitzige junge Leute sich's in den Kopf gesetzt, den Schlupf des geheimnisvollen Alten aufzuspüren und sein verborgenes Treiben zu bespähen. Sie folgten seiner Fährte weit über Hügel und Moor, aber was sie unter einem überhangenden Felsen schließlich fanden, war nichts als ein Häuflein grauerkalteter Asche. Der Friedlose war weitergezogen, mit den aussterbenden Wandertauben, mit den verdrängten Büffeln, mit den betrogenen Indianern, seinen Todfeinden. Später will man ihn noch am Wisconsin gesehen haben, in den Fiebersümpfen des Mississippi, in den geisterhaften Bergen des schlechten Landes am Missouri, in der großen Alkaliwüste . . . Von seinem Ende ist nichts bekannt. –
Das ist die Geschichte von Ludwig Wetzel, dem wilden Deutschen, der vor hundertundvierzig Jahren gelebt hat und vielleicht heute noch nicht gestorben ist. 77