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Die Gesellschaft Jesu – Die Waldläufer – Etienne Brulé – Jean Nicolet – Die Sieurs des Groseilliers und Radisson – Pater Menard – Die H. B. C. – Pater Marquette und Louis Jolliet – Der Franziskaner Hennepin – René Robert Cavelier, Sieur de la Salle – Das donnernde Wasser – Crève-Coeur – Ein Gewaltmarsch – Am Ziel – Louisiana – Die Tragödie der Matagorda-Bai – Das Blutbad von Montreal – Die Stadt des zunehmenden Mondes – Die Natchez
Man muß zugeben, daß im amerikanischen Heldentum die Franzosen ihren englischen Rivalen weit zuvorgekommen sind.
Zu einer Zeit, da man im entartet frommen Neu-England, dem Kanaan der widerwärtigen puritanischen Pilgerväter, noch an nichts anderes dachte als an Psalmengeplärr und sein bißchen Leben unter den Tomahawks der »Amalekiter« und »Midianiter« – zu dieser Zeit waren französische Kundschafter, Pelzhändler und vor allem Jesuiten vom Lorenzogolf her schon tief in den fernsten Westen vorgedrungen.
Den kühnen, ausdauernden Vätern der Gesellschaft Jesu und den »Voyageurs« gebührt unstreitig der Ruhm der eigentlichen Entdeckung Inner-Amerikas und der weitaus verwegensten Reisen, die je mit ganz geringen Mitteln, fast aus dem Stegreif, ins Unbegrenzte, Unbekannte unternommen worden sind. 85
Die Jesuiten führten keine andere Waffe bei sich als das Kreuz; aber dieses allmächtige Kreuz baute ihnen Hütten und kleine Missionsstationen, deckte ihnen den Tisch mit dem täglichen Sagamité oder Hominy, trug sie über die donnernden Schnellen der geheimnisvollen Waldströme, über die dunklen Flächen stiller, wildnisumstarrter Urseen. Wohl sind einige dieser mutigen Priester in Ausübung ihres Apostelberufes den Blutzeugentod gestorben – Jouges Brebeuf, Lallemand, um nur einige der ehrwürdigsten Namen zu nennen, und mit dem ersterwähnten zusammen ein bekehrter Huronenhäuptling – aber wenigstens die algonkinischen Indianer begegneten ihnen im allgemeinen sehr freundlich, wie sie überhaupt die Verdrängung der Franzosen niemals verschmerzt, verziehen oder vergessen haben.
Aber auch die französischen »Voyageurs« und »Coureurs«, die Pelzhändler, Pfadfinder und Waldläufer waren bei den kanadischen Stämmen an den großen Seen durchaus beliebt und gerne gesehen. Ohne Wehr und Waffen konnten sie die Wildnis natürlich nicht bereisen; als Jäger und Spürer haben sie die englisch-amerikanischen Kundschafter überhaupt immer weit übertroffen. Aber der Fälle, da sie von ihren Büchsen ohne Not oder unmenschlichen Gebrauch gemacht hätten, weiß die spärliche Geschichte jener alten Zeiten kaum irgendwelche aufzuzählen. Fanatische Indianergemetzel, von deren Blut die Chronik der puritanischen Kolonien starrt, Schandtaten wie die Lebendverbrennung der Pequod und Narragassett in ihren Lagern, stehen im Buche der französischen Siedlungskämpfe nicht verzeichnet. Mit einer dunklen Ausnahme: die Ausrottung der Natchez.
Schon die Begründer Französisch-Kanadas, Cartier und Champlain haben sich vor den englischen Eroberern der Ostküste sehr vorteilhaft ausgezeichnet, wenn auch einige Gewaltstreiche – wie die Entführung des Häuptlings Donacona aus seiner Hauptstadt – vorgekommen sein mögen, was aber aus dem großen Stil damaliger Kriegsführung verständlich ist. Die katholischen Franzosen sahen in den Indianern zwar Heiden, aber doch zunächst Menschen, bedürftige Mitmenschen, die man verstehen und würdigen lernen, auf deren Art man sich einstellen müsse. Die Werke der französischen Jesuiten legen von dieser hohen Auffassung eine schönes Zeugnis ab; selbst für die Irokesen, um deren Gegenliebe sie lange vergeblich geworben, finden sie Worte der Anerkennung, ja Begeisterung. Im heimatsberechtigten Roten nichts anderes zu sehen als ein unbequemes Hindernis, den Erbfeind Christi, den Beelzebub, dieses herrliche Evangelium der 86 Nächstenliebe blieb den gepriesenen Pilgervätern, den Protestanten unter den Protestanten vorbehalten, und von ihnen, den wahren, selbstgerecht überheblichen Begründern Amerikas stammt der erhebende Lehrsatz: »Every Indian is a bad Indian, only a dead Indian is a good Indian – jeder Indianer ist unbedingt schlecht, gut nur der tote.«
Die französischen Coureurs und Voyageurs – Waldläufer und Pelztauscher – trugen nicht das geringste Bedenken, mit Indianerinnen Ehen einzugehen, und sie bürgerten sich auf diese Weise, zum tiefsten Abscheu der hochmütigen Engländer, wurzelfest in die verschwiegerten Stämme ein, deren Fehden und Jagdzüge sie dann getreulich mitmachten. So hatte ja zum Beispiel selbst der berühmte Gouverneur Graf Frontenac in voller Gala seiner Zeit, in Perücke, Federhut, betreßtem Leibrock, Schärpe und Stulpenstiefeln ohne Scheu alle Touren des großen Skalptango seiner roten Bundesgenossen mitgeschoben, eine für britische Ehrbegriffe geradezu haarsträubende Erniedrigung. Aber das wirkte, das bestach, das zog; und war überdies, wenn schon ein Mummenschanz, so doch einer von nicht übler Menschlichkeit.
Da läßt es sich ohne weiteres verstehen, wieso es den Franzosen verhältnismäßig leicht gelang, eine förmliche Kette von kleinen Pelzhändlerforts und politischen Missionsstationen vom Ontario bis an die Seenplatte von Minnesota, von den Quellen des Mississippi bis an dessen achthundert Meilen südferne Mündung zu ziehen, lange bevor noch ein einziger Engländer die ersten Bergdämme der Alleghanies überstiegen hatte. Die Zahl der größeren dieser altfranzösischen Faktoreien und Jesuitengründungen belief sich auf mehr als sechzig. Zur Zeit, da die Engländer noch an der Küste klebten und sich mit dem »König Philipp« herumschlugen, kannten Jesuit und Waldläufer schon den »Meschecabé«, den Vater der Ströme, den Missouri, die großen Siouxprärien, den Arkansas, die nordkanadische Tundra. Da kommt man nicht drum herum, den Anfall Nordamerikas an die angelsächsische Rasse und den mit soviel Abhub und Hefe angerührten Völkerbrei der Vereinigten Staaten als geschichtliche Ungerechtigkeit ersten Ranges zu begreifen. Ganz abgesehen vom natürlichen Ureigentumsrecht der Indianer selbst, die aber unter und neben – oder vielmehr mit – den Franzosen ganz anders und weit länger gelebt hätten als vor dem Rachen der sogenannten Freiheit und ihrer bastardierten Bestie. 87
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Nachdem der ausgezeichnete Samuel Champlain außer dem nach ihm benannten herrlichen See noch das riesige huronische Süßwassermeer oder wenigstens dessen georgische Bai entdeckt hatte – 1625 – machte die Erforschung des ungeheuren Lorenzo-Systems mit seinen unzählbaren Flußkanälen und Becken, wenn auch langsame doch unaufhaltsame Fortschritte.
Erben und Pfleger des Champlainschen Lebenswerkes waren jene höchst romantischen, von Geschichte und Dichtung viel zu wenig gewürdigten Männer, deren Beruf und Stand sich mit einem Worte überhaupt nicht kennzeichnen läßt. Vermittler und Unterhändler zwischen den Indianern und ihren eigenen weißen Landsleuten, selbst schon mehr als halbe Rothäute, trieben diese prachtvollen Abenteurer auf eigene Faust oder auch im Auftrage von Großkaufleuten und Genossenschaften Handel mit den Eingeborenen, indem sie ihnen gegen europäische Waren, Waffen, Schießbedarf und Schmuck das kostbare Rauchwerk der kalten kanadischen Urwälder abtauschten.
Ihr Leben bestand von Anfang bis Ende aus nichts als Gefahr; gleichwohl hätten sie es nicht um alle Schätze der Welt aufgegeben. Auf ihren zarten birkenrindenen Chippeway-Kanoes befuhren sie die reißenden Wildströme mit ihren tobelnden Schnellen und kochenden Fällen. Manchmal mußten sie das schwippe leichte Fahrzeug nebst Fracht und Bedarf meilenweit durch düsteren Urtann, über kalte finstere Moore, durch Gluten nordischer Heide und grause Schneestürme tragen; oft geschah es, daß sie in einem der jagenden Wasserschüsse mit dem gekenterten oder zerschmetterten Boot all ihr Gerät und Gewaffen, allen Vorrat und Ertrag verloren und nach verzweifeltem Schwimmkampf gegen donnernden Schwall und gischtenden Braus sich nackend und bloß der Gnade oder Ungnade der Wildnis und ihrer Geister preisgegeben sahen. Trotzdem liebten sie ihr vielbedrohtes Leben gerade so wie es war, mehr als mancher Mann sein gesichertes, und wahrscheinlich liebten sie daran eben den Reiz der Gefahr am meisten. Man muß nicht vergessen, daß die meisten dieser Männer Normannen und Bretonen waren, wie der noch heute in Unter-Kanada und im Gaspé gesprochene breite dumpfe Dialekt klar beweist; echtes Wikingerblut drängte, echtes Wikingertum lebte in ihnen, deren Vorfahren schon unvordenklich lange vor den offiziellen Entdeckern auf den neufundländischen Bänken den Codfisch gefangen und geräuchert. Sollten doch ganze Indianerstämme altem Vermuten 88 nach von verschlagenen Kelten abstammen, eine von der Wissenschaft viel verlachte Annahme.
Um wertvolle Bälge einzubringen und mit deren Erlös oder Prämie sich ein sorgloses Altenteil zusammenzusparen, dazu brauchten jene waghalsigen Abenteurer freilich nicht erst in die Frostwälder und Tundren des Nordens oder nach den »Coteaux« im fernen Westen vorzudringen. Biberfelle gab es damals noch am Simcoe, am Ottawa, am Muskoka, an den tausend kleinen Wassern zwischen dem Huron und dem Ontario mehr als alle Damen Europas in einem Jahrhundert auftragen und die Motten auffressen konnten. Aber an solcher Ausbeute und klingendem Preis allein war den Voyageurs offenbar nicht gelegen, denn bis zu den Eskimos führen ihre verwehten Spuren; Mannestrieb, der nicht nach Lohn und Fund, sondern nach dem Hochgefühl freien Schweifens, nach den Wonnen jägerischen Nomadentums geht. Darum auch reisten diese alten Coureurs und Voyageurs immer einsam oder zu zweit, ganz entgegen dem geselligen, gesprächigen Charakter des Franzosen und unähnlich den gewöhnlichen englischen Hinterwäldlern, die meist in ganzen Horden aufbrachen und dann immer furchtbar unterm massenhaften Wilde hausten. Das bessere Verhältnis der Franzosen zum Indianer machte solche Aufgebote ohnehin überflüssig; auch liebte es der Voyageur, das Geheimnis seiner Erkundungsfahrten streng zu wahren oder nur mit einem vertrauten, bewährten Freunde zu teilen. So wissen wir recht wenig über die Einzelheiten jener romantischen Lebensläufe; den dunklen Wassern der Wildnis gleich verlieren sie sich in der Dämmerung der Urwälder, in Dunst und Ferne der Sage. –
Der erste »Voyageur«, der sich schon mit dem großen Champlain und nach dessen Tod – 1635 – einen Namen machte ist Etienne Brulé, der Entdecker des eigentlichen Huronsees, vielleicht auch des Lac Supérieur und der reichen Kupfergänge in dessen südlicher Uferlandschaft, auf der Halbinsel Keweenaw, wo das rote Metall zutage steht. Merkwürdigerweise wurden viele spätere Voyageurs und Coureurs und werden heute noch französisch-indianische Mischlinge gleichsam nach diesem Stammvater einfach »Brulé« oder »Bois brulé«, gebranntes Holz genannt. Gerade diese Bois brulés, diese Mischlinge, zu denen übrigens Etienne Brulé aus Champigny nicht gehörte, taten sich als Kundschafter, Späher, Waldläufer, Pfadfinder, Jäger von unerhörter Kühnheit immer besonders hervor. 89
Noch im Jahre vor Champlains Tod brach ein anderer Voyageur, Jean Nicolet aus Cherbourg, also ein Normanne, im Auftrage einer Handelsgesellschaft nach dem fernen Westen auf und gelangte durch die berühmte Mackinac oder Mackinawstraße – algonkinisch: Mitschilimakinak – »das nordamerikanische Gibraltar«, aus dem Huron in den unermeßlichen Michigansee. Sein Auftreten unter den auf dem Westufer des Mitschi-kame (böses großes Meer) wohnenden Winebego oder Winebago erregte entschieden starkes Aufsehen. Es war genial und machte seiner Nation Ehre. In jeder Hand trug der schlaue Nicolet eine geladene Reiterpistole und über sein Lederwams hatte er einen eigens zu diesem Zweck mitgeführten prachtvollen Morgenrock aus leuchtender chinesischer Seide geworfen. So mit der Sonne und dem Feuer bekleidet, Blitz und Donner in der Faust, war es ihm natürlich leicht, Wakontánka den Herrn des Geisterlandes darzustellen und wenn auch nicht die Herzensliebe, so doch die nützlich dienstfertige Gottesfurcht der ahnungslosen Rothäute für sich zu gewinnen.
Von den Winebego zog Nicolet weiter westwärts bis an den Wisconsin und hier erfuhr er, daß er in ganz wenigen Tagereisen das »große Wasser« erreichen könne. Gemeint war natürlich der Mississippi, aber der Voyageur in seiner Unkenntnis wähnte sich nahe dem Stillen Ozean. Trotzdem kehrte er wieder um, vielleicht weil er an den Gestaden jenes von Spaniern und Engländern umstrittenen Weltmeeres Feinden zu begegnen fürchtete.
Wer weiß heute noch etwas von Medard Chouard und Pierre d'Esprit, diesen beiden Hauptkerlen, die zu ihrer Zeit unter den Kriegsnamen »Sieur des Groseilliers« und »Sieur Radisson« so viel von sich reden gemacht haben? . . . Eine Horde von Huronen und Ottawa verließ vor der unruhigen Kriegslust der irokesischen Nachbarn ihre Heimat; ihnen schlossen die beiden »Sieurs« sich an und gelangten den Wisconsin hinab an den riesigen Vater der Gewässer. Hier stieß der Zug auf die mächtigen Dakota, die selbst ihren Rassegenossen die Aufnahme in ihr Gebiet verweigerten. So wandte sich der ganze Trupp nach dem Oberen See, dem Lac Supérieur der Franzosen, dem »Kitschi Kumi« (gutes, großes Meer) der Algonkinsprachen zurück, und während die Huronen sich an den Quellen des Black River niederließen, machten die Ottawa erst an der Chaguamikon-Bai Halt. Nachdem die beiden Voyageurs einen Winter lang mit ihren indianischen Freunden fleißig gejagt, brachen sie wieder nach dem Osten auf, 90 begleitet von dreihundert Kriegern und einer Flottille von nicht weniger als sechzig schwer mit kostbarem Rauchwerk befrachteten Kanoes. Mit dieser Wasserkarawane gelangten sie durch die in scharfen Schnellen strömende Süßmeerenge des Sault de Ste. Marie aus dem Oberen in den Huronsee und dann aus der georgischen Bucht auf der kaum unterbrochenen Stromstraße des French River und Ottawa nach dem heimatlichen Montreal, damals noch Mont Royal, wo ihre Erzählungen und ihre Ausbeute nicht wenig Staunen erregten.
Allein Chouard rastete nicht. Kaum hatte er seine Pelzlasten verkauft, so machte er sich schon wieder reisefertig. Eine Fliegerfahrt nach dem Monde bedeutet heute weniger Wagnis.
Außer dem getreuen d'Esprit und den braven unentbehrlichen Indianern begleitete ihn diesmal auch ein jesuitischer Missionar, der Pater Menard mit seinem Diener Guerin. Pater Menard (oder Mesnard) hatte früher mit dem berühmten P. Le Moyne und den Vätern Chaumont und Dablon zusammen den hartnäckigen Irokesen gepredigt; jetzt wollte er, nachdem er jenes unverbesserliche Volk verlassen, den guten Huronen am Black River das Evangelium lesen. Er trennte sich von der Gesellschaft und ward nie wieder gesehen. Allem Vermuten nach verirrte er sich in der grenzenlosen Wildnis, geriet statt zu den friedfertigen Huronen zu den unbildsameren Dakotas und erlitt in einem ihrer Zeltdörfer den Martertod. Sein Stundenbuch und sein Rosenkranz jedenfalls sind später bei den Sioux gefunden worden.
Chouard war ein Mann von großartigen Plänen. Im Jahre 1662 streifte er mit wenigen verwegenen Genossen durch die noch heute verrufenen Nord- und Wolfswälder von Keewatin bis an die St. James-Bai, den südlichsten Buchtsack der grimmen riesigen Hudson-Bai, wo Uller der Eisgott in seiner Kristallburg Ydalir hausen mag und die starren Hrimthursen ewiglich herrschen. Wahrscheinlich hat er auf dieser unvergleichlich kühnen Fahrt den Nipigonsee entdeckt und dann den aus ihm abströmenden Albany als Wasserweg benutzt.
Unter allen Reisen Chouards war diese die folgenreichste. Was dem genialen Pfadfinder als Ergebnis seiner fast unbegreiflich kühnen Unternehmungen vorschwebte, fand in Quebec selbst zwar kein Gehör, aber das eifersüchtige England, wohin der enttäuschte »Sieur« sich wandte, zeigte für seine Schilderungen ein äußerst wachsames Interesse. Besonders Prinz Rupert, der bekannte Feldherr und 91 verschwägerte Freund der Stuarts, machte sich die Vorschläge des halbwilden kanadischen Waldläufers zu eigen, und die Frucht all dieser Züge und Unternehmungen war die berühmte, 1670 gegründete »Hudsons Bay-Company«, jene geheimnisvolle Handelsgesellschaft, die durch volle zwei Jahrhunderte den Pelzweltmarkt als unbestrittene Königin beherrscht hat. –
Kann sich schon keine moderne Polarreise mit den Wagnissen eines Chouard auch nur entfernt messen, so versetzt die große Südfahrt des Voyageurs Louis Jolliet und des prachtvollen Jesuitenpaters Jacques Marquette in noch weit höheres Staunen.
Auf einer seiner Wanderungen hatte Jolliet schon den fünften der großen Seen, den Erie entdeckt; nun schickte ihn der Gouverneur Graf Frontenac auf nähere Erforschung jenes mächtigen Stromes aus, den Chouard und d'Esprit gesehen, doch nicht befahren hatten.
Der furchtbar strenge Winter 1672/73 überraschte Jolliet am Michigansee und zwang ihn zur Unterbrechung seiner Reise. Er verbrachte die harten Eismonate in der kleinen Jesuitenmission St. Ignace und bei den umwohnenden Ottawa-Indianern; Pater Marquette vernahm von seinem Auftrag und seinen Plänen, und alsbald reifte in seinem heißen Predigerherzen der Entschluß, pro Christo mit in die Abgründe der Wildnis zu ziehen. Höchst ungern sahen die anhänglichen Indianer ihren guten Vater seine Kreuzfahrt antreten; allein vergebens blieben ihre Warnungen und Bitten, für sie war ja noch Pater Dablon da. Auch die Sioux sollten die Gnadenbotschaft des Evangeliums hören, vielleicht ließ sich eine Spur des verschollenen Paters Menard entdecken. Ende Mai brachen Jolliet und Marquette mit ein paar anderen tüchtigen Waldläufern auf; die phantastisch zerklüfteten Ufer des nun fast schon klassisch gewordenen Wisconsin sahen ihre Kanoes südwestwärts gleiten. Wahrscheinlich hatten sie den Fluß von der grünen Bai des Michigan her auf dem kleinen, im Winnebago-See sich ausbreitenden Fox-River erreicht.
Einige Wochen später fanden sie sich in der großartigen Wasserlandschaft des oberen Mississippi, der schon hier, halben Weges zur Mündung des ungeheuren, verdoppelnden Missouri sich als wahrer König der Ströme zeigt. Gepeinigt von den in Wolken anschwärmenden Moskitos steuerten sie ihre schmalen Boote zwischen all den hundert und tausend kleinen Auwaldinseln dieses fließenden Meeres hindurch, während ihr Blick die seltsamen, breiten, wie mit dem Messer geschnittenen Tafelhügel der Ufer und die in den marschigen Wiesen 92 grasenden dunklen Bisonherden bestaunte. Keine mitmenschliche Spur kreuzte ihre einsame Fahrt; über den schroffen Klippenburgen kreisten die Adler, um versunkene Baumstämme rauschte und gurgelte die Flut.
Auf das Johannisfest endlich zeigte sich ihnen ein ins Dickicht gebrochener Pfad, den sie aller Gefahr zum Trotz sogleich aufnahmen und der sie wirklich zu den Lederzelten eines freundlichen gastfreien Indianervolkes führte. Wahrscheinlich waren es Illinesen, deren längst erloschener Stamm einem Flusse und einem hervorragenden Staate den Namen gegeben hat. Die Wanderer weilten nicht lange, so aufrichtig die erfahrenen Häuptlinge vor einer Fortsetzung der Reise warnten. Nach kurzer Rast und üppiger Bewirtung brach man unverzagt auf; weiter nach Süd trug das libellenschlanke, flaumleichte Kanoe.
Seltsame Landschaften ziehen vorüber. Wie eine verfallene, von Geistern bewohnte Totenstadt ragen die zu unheimlichen Domen, Burgen, Türmen, Gassenstollen ausgewaschenen Klippen des Ostufers zum dunstschwülen Hochsommerhimmel hinan; riesige aus dem lebendigen Stein ausgehauene, zum Teil kriegerisch bemalte Götzenfratzen starren vom Gemäuer dieser schaurigen Ruinenwelt auf die Fremdlinge herab. Und eines Tages sehen sie den Wasserschwall ihrer Straße auf das Doppelte vermehrt; es ist der furchtbare Missouri, der mit lehmgelber Flut und gefährlichem Treibholz in den ruhigeren, klareren Mississippi hereinbricht und das Strombild von nun an beherrscht. Irgendeine triebhafte dunkle Abneigung gegen den trüben gewaltsamen Charakter jenes Prärieflusses mag Geographen und Entdecker bestimmt haben, dem majestätischeren, göttlicheren Mississippi die Ehre des führenden Namens zu lassen. In Wahrheit freilich ist der Missouri der eigentliche Gebieter Nordamerikas und mit seinen nahezu 7000 Kilometern weitaus der gewaltigste Strom unserer Welt.
Heute unausfühlbar, wie viel Mut dazu gehörte, die Fahrt auf dieser grausigen, gespenstischen Wasserwüste ins Unbekannte hinein unbeirrt fortzusetzen. Die Vereinigung jener beiden Stromungeheuer hat tatsächlich etwas Mystisches, Mythisches, Symbolisches. Wie die Sünde, wie wilder Trieb, getrübt von Grundschlamm und den Lehmschollen unterwühlter Ufer, so stürzt sich der Missouri mit seinen Baumleichen über den heiligen stolzen Mississippi und reißt ihn mit sich fort ins fieberbrauende Tiefland. Von hier an wird die Schifffahrt wirklich gefährlich, die Wildnis ungesund. Sümpfe und Lagunen begleiten den gleichsam entstellten Doppelstrom; an den Zacken des bösartig unterseeisch schwimmenden oder verankert lauernden 93 Treibholzes kann die arme kleine Kanoeseele jederzeit kentern oder zerschellen. Braunrot versinkt die Abendsonne in Schwaden tödlicher Miasmen; in der lauen Brake der Altwasser wohnen die gepanzerten Drachen, die Alligatoren. Allein der Jesuitenpater hatte seinen Gott und sein Vertrauen, sein Stundenbuch und sein Kreuz; Jolliet hatte seine Büchse, seine Erfahrung und sein eigenes Herz. Die Reise, eine der gewagtesten der Weltgeschichte, wurde weitergeführt.
Am Arkansas, dem kleineren aber ähnlich gearteten Bruder des Missouri, erlitt sie eine bedrohliche Unterbrechung. Nicht so bald hatten die Forscher zu ihrer Freude auf dem Westufer ein indianisches Lager erspäht, als auch schon dessen Bewohner – wahrscheinlich Quapa von der Siouxfamilie – nach ihren Booten stürzten und die weißen Fremdlinge in sehr deutlicher Absicht umschwärmten. Dem guten Pater winkte die Marterpalme und der Heiligenschein; immerhin zeigte er die von den Gastfreunden am oberen Mississippi geschenkte Friedenspfeife vor und wirklich gelang es ihm oder vielmehr diesem Talisman, der »weißen Fahne der Wildnis«, Messer und Tomahawk von seinem der wichtigsten Locke ohnehin beraubten Skalp abzuwenden und die Gesinnung der Rothäute aufs erfreulichste zu wandeln. Dem Schrecken des ersten Angriffs folgte ein überaus freundlicher Empfang, ja die hilfsbedürftigen Reisenden wurden sogar durch eigene Läufer beim Oberhäuptling des nächsten größeren Indianerdorfes namens Akansa wirksamst eingeführt.
Hier nun erfuhren Jolliet und Marquette zu ihrer Überraschung und ihrem Leidwesen, daß der von ihnen befahrene Riesenstrom nicht, wie sie angenommen, in den kalifornischen Meerbusen, sondern gleich einige Tagereisen weiter abwärts in den Golf von Mexiko sich ergieße, also nicht mit dem Colorado oder Tizon, vielmehr mit dem schon von de Soto erreichten und getauften »Rio del Espiritú Santo« identisch sei. Die erhoffte Verbindung mit dem Stillen Ozean war also nicht hergestellt, und dieser bitteren Enttäuschung gesellten sich höchst abschreckende Nachrichten über die Bösartigkeit südlich schweifender Indianerstämme. Das bewog die bisher unverzagten Männer diesmal wirklich zur Umkehr. Mit jenen verrufenen Eingeborenen hätten sie es nach all dem Überwundenen am Ende noch aufgenommen; von den Spaniern aber, fielen sie ihnen in die Hände, hatten sie keine Gnade zu erwarten. Im Kampfe um eine herrenlose Welt gilt der gemeinsame Glaube den Christen nicht annähernd so viel wie die Friedenspfeife in der Hand des fremden »Bleichgesichts« dem harmlos wilden Indianer. 94
Unter unbeschreiblichen Strapazen wurde der Rückweg bewältigt: mit einfachen Rudern gegen einen Mississippi! . . . Der Sommer glühte, die Lagunen dunsteten; öfter als stromab mußte nun angelegt und in der schwadigen Sumpfluft kampiert werden. Das schier sagenhafte Heldenstück gelang. Aber die Geister der Wasserwildnis forderten ein Opfer, und dieses Opfer war der tapfere fromme Marquette.
Er erlag nicht sogleich. In Frostgluten des Fiebers entzückte er sich noch an der lieblichen Uferlandschaft des Illinois, den die Forscher diesmal – auf Rat ihrer alten Indianerfreunde – als neue und kürzere Straße zum Michigan und der Mission St. Ignac benutzten. Ja, nach leidlich überstandenem Winter machte sich der unverdrossene Jesuit abermals auf, ganz ohne Hilfe und Geleit die Westseite des Sees zu erforschen und dann im Zeichen des Kreuzes bis zu jenem liebenswürdigen Volke vorzudringen, das ihn und Jolliet so gastlich aufgenommen und mit dem allmächtigen Talisman des Calumet beschenkt. Er kam nicht weit. Kaum einige zwölf Tagereisen tief in der Wildnis ward er von einem schweren Rückfall seiner Malaria gepackt und niedergeworfen. In seiner Not zimmerte und schlichtete der arme Gottesmann eine armselige Klause zurecht, und hier verbrachte er, einsam im düsteren Urwald, den ganzen folgenden Winter.
Im Frühjahr entdeckten zwei schweifende Jäger die heroische Einsiedelei; doch weit gefehlt, daß der von Siechtum und Entbehrung geschwächte Pater jetzt wenigstens klein beigegeben und sich demütig aufs Sterbelager verkrochen hätte. Ein Jesuit kennt keinen Zusammenbruch, kennt keine Wehleidigkeit; Gott hatte seinen Diener Marquette leben lassen, also war Gottes Wille die Bekehrung jenes Indianerstammes. Ihm wurde gehorcht, der einmal gefaßte Beschluß unter Aufgebot letzter Kräfte ausgeführt. Geleitet von den beiden Waldläufern erreichte der Mann Jesu wirklich noch einmal das rauchbraune Zeltdorf am oberen, dem guten Mississippi; hier aber griff der Tod ihm kalt ins Genick. Wunder über Wunder, unter Schaudern und Glutstürmen des Fiebers schleppte er sich die dreihundert Kilometer weit bis zu seiner Mission am vertrauten Michigan zurück; dort starb er, ein treuer Held seines Glaubens, wie es solcher nicht viele ebenbürtige gegeben.
Ja, das waren noch Kerle. Nervenschocks und dergleichen interessante Modekrankheiten gab es für kanadische Jesuiten und Waldläufer einmal nicht. 95
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Marquette soll die Pläne eines geistlichen Vorläufers, des Paters Claude Allouez, geerbt haben und von ihnen vornehmlich zu seinen Unternehmungen beflügelt worden sein. Nun ließ sein eigener bescheidener Ruhm den Ehrgeiz eines Kreuzpioniers aus anderem Orden, des Franziskaners Louis Hennepin nicht schlafen.
Wie Marquette an Jolliet, so schloß sich der Bettelmönch einem unternehmenden Abenteurer an.
Es war dies der adlige Sieur de la Salle, eigentlich René Robert Cavelier, ein vornehmer Normanne aus Rouen, dem die Gesellschaft Hennepins vielleicht schon deshalb zusagte, weil er auf seinen geplanten Fahrten fast notwendig ins Gehege des jesuitischen Missionsnetzes geraten mußte. Umgekehrt paßte das dem Franziskaner wunderschön in seinen Kram. Politik überall.
La Salles Entwürfe waren mehr als groß. Wahrscheinlich hatte er irgendeinmal den kühnen Jolliet kennengelernt und sich auf dessen Berichte seinen eigenen Reim gemacht. Nichts Geringeres wollte er, als auf der Linie der Jolliet-Marquetteschen Reise, von den großen Seen bis hinab zum Golf, seinem Könige und seiner Nation ein ungeheures, durch zahlreiche Schanzdörfer befestigtes Kolonialreich errichten. Wirklich erlangte er durch den großen Colbert ein königliches Patent, das ihn zu seinem Vorhaben in aller Form ermächtigte und ihm gleichzeitig das Monopol über den Pelzhandel jenes Zukunftsstaates verlieh. Freilich sollte aus diesen Erträgnissen die ganze Anlage bestritten werden; der sparsame Colbert – nebenher Erfinder einer unsterblichen Suppe – rückte zur Gründung jenes vorläufig utopischen Mondstaates keinen roten Sou heraus.
Sehr lange währte die Verbindung zwischen Sieur und Franziskaner nicht. Sie bereisten zusammen den Ontario und den noch jungfräulichen Eriesee und sollen auf dieser Fahrt das »donnernde Wasser«, den Niagara entdeckt haben. So behauptet der schwatzhafte, aber stockverlogene Hennepin in seinen seinerzeit vielgelesenen Schriften. Was dieser Mann Gottes zusammenfabelte, geht auf keine Bisonkuhhaut. Fünf- bis sechshundert Fuß Fallhöhe sollte der Niagara haben, und hundertfünfzig beträgt sie. Sicher haben die Jesuiten und Voyageurs schon lange vor Hennepin und La Salle das donnernde Wasser gekannt, aber, wie das nun einmal ihre Art war, darüber geschwiegen. Gedenkt man der heutigenfalls in ihrer Entwürdigung, Abschwächung und Proletarisierung durch 96 Menschenvieh und Maschinen, so kann man jenen alten stillen Missionaren nur tausendmal Recht geben.
Hennepin geriet später in die Gefangenschaft der Sioux und wurde von ihnen kreuz und quer durch das Seenland von Minnesota geschleppt. Auf dieser Zwangsreise sah er auch die Schnellen und Fälle des jungen Mississippi selbst, die er einem der berühmtesten Heiligen seines Ordens zu Ehren S. Antoine zubenannte. Von ihren ungeheuren Wasserkräften zehren heute zwei Großstädte, Minneapolis und St. Paul.
St. Antonius erwies sich übrigens auch diesmal als der bewährte, verläßliche Nothelfer. Hennepin wurde aus der Gefangenschaft entlassen, kehrte nach Kanada, dann nach Frankreich zurück, wo er in allem Behagen von sicherem Port aus seine amerikanische Odyssee zusammenfabulierte. Wahrheit an dieser Dichtung ist, daß er über den obersten Mississippi gar nie hinauskam und alle seine Erzählungen auf den stillen Helden Marquette zurückzudeuten sind.
Viel schlimmer als dem prahlerischen Bettelmönch erging es dem eigentlichen Begründer Louisianas, dem unverzagten, aber beharrlich vom Unglück verfolgten, endlich in den Tod getriebenen La Salle.
Er muß tatsächlich unter einem bösen Stern geboren worden sein: einer jener Menschen, denen grundsätzlich nichts gedeiht. Gleich auf dem Eriesee beginnt das Mißgeschick. Zur Finanzierung seiner Unternehmungen hatte der Sieur sein Landgut bei Montreal verkauft; mit boshafter Anspielung auf seine Träume von einer pazifischen Durchfahrt und die den Ottawa herunterkommenden chinesischen Seiden- und Porzellanflotten nannten es die Nachbarn »la Chine«, eine Bezeichnung, die dem Hafen- und Stapelviertel der alten Stadt bis heute verblieben ist. Außerdem war er in Schulden geraten; die Gläubiger drängten und bohrten; zum Spott gesellte sich noch die Gefahr. Die reiche Pelzausbeute der Wildnis nur konnte die hungrigsten Löcher stopfen. La Salle mit seinen Waldläufern baut ein festes Boot, den »Greif«, und schickt a conto eine schwere Ladung kostbarsten Rauchwerks die Seen hinunter nach Kanada; mit dem Rest seiner Mannschaft rudert und marschiert er auf den Spuren Jolliets den Illinois hinab und gründet an dessen Ufer ein Fort, sein Fort; des ungeschickten und seltsam ausgefallenen Namens »Crève-Coeur«, der »Herzbrecher«.
Der Sinn des Wortes sollte sich bald erfüllen. Seine Leute desertieren, meutern, verlaufen sich. Von einer Rückkehr des »Greif« 97 keine Spur. Monatelanges, trostloses Warten ergebnislos; der Greif kommt und kommt nicht, die Hoffnung verlischt. Was ist geschehen? . . . Und was nun? . . . Aufbrechen, mit den letzten paar Getreuen per Mokassin nach Kanada hinauf durchmarschieren; das allereinzigste; etwas anderes bleibt gar nicht übrig. Von alleine werden die Bäume nicht zu Schießpulver, die massenhaften Biber und Otter nicht zu Pelz und – Geld. Das verzweifelte Wagestück gelingt.
In fünfundsechzig Tagen, den kurzen Tagen eines selbst für kanadische Gewohnheit entsetzlich strengen Winters, werden mehr als 1700 Kilometer zurückgelegt. Man messe nach: vom Unterlauf des Illinois bis an den Ontario! Schier unglaubhaft, wäre es nicht verbürgt: mehr als 26 Kilometer auf den Tag, durch fegende Stürme, durch brusthohen Schnee ungebahnter starrender Wildnis. La Salle ist aber auch der einzige, der übrig bleibt und das Ziel erreicht. Alle anderen sind erfroren, verhungert im purpurglühenden Eisschlaf schauriger Wolfsnächte hinübergedämmert. . . . Ihn allein hat die Vorsehung aufgespart: – um ihn gleich bei seinem Eintreffen auf Fort Frontenac mit den schönsten, ausgiebigsten Hiobsbotschaften zu begrüßen.
Vom »Greif« auch hier keine Spur. Niemals angekommen, nie etwas davon gehört, verschwunden, verloren, versackt. Ein zweites, noch weit wichtigeres Schiff, von Frankreich her mit allerhand unentbehrlicher Fracht unterwegs: – vor Anticosti draußen im Schlund des Lorenzo gestrandet, gescheitert, gesunken. . . . Ja, und da La Salle doch sicher von den Indianern erschlagen worden oder sonstwie umgekommen, haben die Gläubiger all sein Eigentum mit Beschlag belegt. . . . Das heißt, soweit seine Verwalter es nicht schon vorher versilberten und mit dem Raub auf- und davongegangen sind.
Das alles auf einmal. Weit mehr tot als lebendig war der erfrorene und ausgehungerte La Salle in Frontenac erschienen, auf erstorbenen Füßen, mit wund aufgebrochenen Händen, ein hohles Gespenst. Man wundert sich nur, daß er auf solche Nachricht hin nicht glatt umfiel oder wenigstens auf die warme weiche Bärenhaut sank und die ganze verdammte übrige Welt krumm und grad sein ließ. Doch nichts davon.
Die verschwenderisch reiche Wildnis erfüllt den freien Mann mit wundersam stärkendem Unabhängigkeitsgefühl. Eigentlich kann einem ja gar nichts geschehen. Gläubiger und Gesetz können einem gar nichts 98 anhaben. Und nähmen sie alles weg: – Hirsch und Bär, Braten und Brot, Wald und Weite müssen uns doch bleiben bis an der Tage Ende. Das stählt. Solche Sicherheit im Rücken kämpft man ganz anders ruhig und überlegen um seine Habe und sein Recht. Man ist nicht darauf angewiesen; das macht's. So auch der allzeit unverzagte, allzeit schwergeprüfte La Salle, der Sieur mit der vielgekringelten Perücke, dem schmalen schwarzen Barockschnurrbart und dem gutmütig melancholischen, bedrängten und etwas beschränkten Gesicht.
Nach kurzer Rast ist er schon wieder in Montreal und ordnet mit achtbarem Geschick und nicht geringer Tatkraft seine verworrenen Angelegenheiten. Aber da ist ja noch die Besatzung auf Crèvecoeur, dem unseligen Fort fern im westlichen Urwald; und kaum hat La Salle Vorbereitungen getroffen, diesen seinen Getreuen nun schleunigst Hilfe zu bringen, da holen ihn auch schon zwei Coureurs ein mit der erfreulichen Nachricht, die lieben Leute hätten gemeutert, das Schanzdorf niedergebrannt, und befänden sich nun im geradesten Anmarsch auf Kanada, mit keiner anderen Absicht als der, dem Sieur, der sie den wilden Tieren und Indianern preisgegeben, den Kragen umzudrehen.
La Salle mag es bei dieser Kunde etwas kühl unter der Perücke geworden sein. Aber die Fassung verlor er nicht. Gleich ist er unterwegs, faßt das verräterische Gesindel auf dem Ontario ab und zwingt es in die Knie. Dann geht es beflügelt nach Crèvecoeur am Illinois, zu retten, was die Kanaille verschont haben könnte. Neue Enttäuschungen, neuer Zusammenbruch, désastre, in La Salles eigener Sprache zu reden, »crève-coeur« in jeder Beziehung! . . . Kein Balken auf dem anderen, zwischen verkohlten Trümmern hervor sprießt schon wieder verjüngtes Grün, und – – Grand Dieu! nicht nur die Stätte, da einst Crèvecoeur gestanden, das ganze Tal hinab ist verwüstet, das befreundete Indianerdorf in der Nachbarschaft niedergebrannt, das nächste, das übernächste gleichfalls, von eingerammten Pfahlstangen blicken tomahawkzerschmetterte Schädel auf erkaltete Asche herab. Später erst findet sich des furchtbaren Rätsels Lösung. Schweifende Irokesen haben, von den abziehenden Meuterern gerufen und geführt, mit diesen gemeinsame Sache gemacht, Fort und Dörfer überfallen, die wenigen Mann der treu ausharrenden Besatzung wie die eigenen roten Brüder niedergemetzelt. La Salles Lebenswerk, die bescheidene Frucht so vieler Opfer, der Lohn so vieler Mühsal und Entbehrungen war vernichtet. 99
Noch immer nicht sein zäher Mut; abermals schafft er Geld, und abermals rüstet er ein Aufgebot von dreiundzwanzig Waldläufern und ein paar Dutzenden befreundeter Indianer. Mit dieser heiligen Schar geht es den Illinois hinab, diesmal wirklich in den Mississippi hinein und glücklich über die Missourimündung hinaus. Das Reich, sein Reich, das große Kolonialreich, endlich muß es doch werden!
Ja, es wird. An den Akansas kommen sie vorüber, jenem nackten Volke, das einst ihre Vorläufer so bedrohlich angefallen; an den Taensas in ihrem luftziegelsteinernen Dorfe, in dessen mittelstem Kuppeltempel zwei uralte Männer ein ewiges Feuer bewachen; an einem hochgebildeten Volke von Sonnenanbetern, ausgezeichnet durch körperliche Schönheit und fast orientalische Würde, den so tragisch berühmt gewordenen Natchez. Und dann, eines Tages, teilt der riesige Lagunenstrom sich in drei Arme, heiße Seeluft schlägt in den schwülen Fieberdunst der Alligatorensümpfe – – noch eine kleine allerletzte Reise weiter, das schmale Land versinkt, und vor dem beglückten La Salle weitet sich blau das Meer seiner Sehnsucht, der Mexikanische Golf.
Der Mississippi war durchmessen, die Antillensee erreicht, die Lebensader des Zukunftsreiches gefunden; nun säumte La Salle nicht mehr mit feierlicher Gründung und förmlicher Besitzergreifung. Eine Denksäule kündete Ruhm und Herrschaft des Sonnenkönigs, und von ihm auch empfing das unermeßliche Neuland gebührlich seinen Namen: Louisiana.
Dieses Louisiana ist nicht zu verwechseln mit dem verhältnismäßig kleinen Baumwoll-, Nigger-, Fieber- und Moskitostaat im Westen des untersten Mississippi. Es begriff vielmehr oder sollte wenigstens begreifen und bezeichnen alle Landschaften von den Stromquellen hoch im bitteren kanadischen Norden bis zum Mündungsdelta im schwülen brauenden Süden, mit unermeßlichen Ansprüchen und Rechten nach beiden Seiten, Aufgang und Niedergang. So die Urkunde, die La Salle an jenem 9. April 1682 unter dem herrischen Wahrzeichen seines bourbonischen Frankreich mit bewegter Stimme verlas.
So waren nun Wasser und Weiten, Urwälder und Prärien, Indianer, Büffel und Alligatoren französischer Staat und damit »Lui« geworden; allerdings nur auf dem Papiere, von dessen schöner Theorie noch ein langer böser Weg lief bis zur praktischen Wirklichkeit. 100
Nach verrichtetem Werk kehrt La Salle an den Illinois zurück, wieder einige 3500 Kilometer, und erbaut dort auf einem Felsplateau das Fort Saint Louis, zur Sicherung seines Reichs sowohl wie zur Organisierung der umwohnenden Indianerstämme gegen die hartnäckig franzosenfeindlichen kriegssüchtigen Irokesen, in deren böser Nachbarschaft der Frömmste nicht in Frieden leben konnte. Notwendiger aber war eine große, ausreichend befestigte Niederlassung an der Mündung des Mississippi selbst, eine richtige Faktorei, die den neugewonnenen Landbesitz schützen und gleichzeitig den Austausch zwischen kolonialer Urware und europäischem Kulturprodukt regeln und vermitteln würde. Denn eine Versorgung der künftigen Ansiedler über Kanada herab stellte sich unverhältnismäßig teuer, war mit unberechenbaren Gefahren verbunden und darum unverläßlich. So weit sah La Salle vollkommen richtig. Systematischer konnte er gar nicht vorgehen.
Aber er hatte Feinde über Feinde, und die ihn vorher verspottet und mit allen Hunden gehetzt, wurden jetzt seine unversöhnlichen Neider. Das unverhoffte Gelingen seines Unternehmens riß breite Bresche in einen längst ausgesponnenen, zum Teil schon durchgeführten tiefstillen Plan; dieser Schlag und das Monopol in seinen Händen, soviel Glück konnte ihm nicht verziehen werden. Es kam hinzu, daß La Salles alter Gönner, der berühmte Graf Frontenac, wegintrigiert wurde und der neue Mann, Gouverneur de la Barre aus bedeutendem Adelsgeschlecht – bekannt schon durch den Zweikampf mit Maximilian I., dem »letzten Ritter« – der Partei Gehör und Wohlwollen schenkte, deren Umtrieben er sein erträgliches Amt verdankte, den Hassern und Verleumdern. Es stand erbärmlich schlecht um La Salles gute Sache, Lebenswerk und Verdienst; er mußte nach Frankreich gehen, sich Gerechtigkeit zu verschaffen und seines allmächtigen Königs Hilfe zu erbitten. Einmal hatte die verführerische Göttin ihm gelächelt; nun fielen wieder düstere Schatten über seinen Weg; seiner Tragödie zweiter Teil begann.
Zwar »Lui même« nahm ihn huldvoll auf, hörte seinen Berichten erfreut und gnädig zu und stattete ihn sogar mit vier Schiffen, Kriegsvolk, Ansiedlern und reichlichen Vorräten aus. Am 24. Juli a. D. 1684 ging das kleine Geschwader mit zweihundertachtzig Köpfen in See; aber der Feind war am Werke, und La Salles Unstern leuchtete der kleinen Flottille treulich voran. 101
Gleich der Oberkapitän Beaujeu ist eine unverträgliche böse Bestie. Die ganze Reise lang gibt es Gezänk, Reibereien, Unstimmigkeiten, höchst dienlich, La Salles Ansehen bei Soldateska und Kolonisten zu vermehren. Dann fällt eins der Proviantschiffe in der westindischen See kreuzenden Spaniern zur Beute. La Salle erkrankt schwer an übergelaufener Galle und Schiffspest oder mitgebrachter Malaria; inzwischen hat Beaujeu höchst unnötigerweise Kuba von Süden her umsegelt, vielleicht um seinerseits den Spaniern einen Tort anzutun, aus Scheu vor der großen Bahama-Bank und Kaperflotten der neuen und alten Bahamastraße, vielleicht auch aus schierer Niedertracht. Ja, und nun ist es mit La Salles bißchen Ortskenntnis natürlich aus; nach Länge und Breite hat er die Mississippi-Mündung damals mit seinen paar Waldläufern und Indianern nicht aufnehmen können! . . . Anlaß genug für Beaujeu, die arme Landratte, die auf Strömen und Seen erster Güte immerhin auch schon ihre sieben-, achttausend Knoten gefahren hat, unflätig zu verhöhnen. Na, in Gottes Namen denn wird weitergekreuzt; am 28. Dezember kriegt man auch wirklich irgendeine Küste in Sicht, und da sich hier nichts von einem Mississippi zeigt, hält man westlich so ungefähr drauflos.
Es ist aber die verwünscht öde, fiebrig versumpfte Küste von Texas, an die sechshundert Kilometer westab vom Mississippi, vor der man sich da vollkommen vergeblich herumschindet; und wie sie mit ihren Nehrungen und Lagunen sich nun auch noch südlich einkrümmt, wird der unglückliche La Salle an sich und dieser Welt rettungslos irr. So entschließt er sich endlich, durch Stachel und Stimmung des Kapitäns, Laune und Ungeduld der Soldateska und der Kolonisten vollends konfus gemacht, in Gottes Namen den nächsten etwas besseren Boden für die Mississippi-Mündung zu halten und geht zu deren Untersuchung mit Kriegsvolk und Siedlern an Land.
Es ist natürlich nicht annähernd der liebe alte »Vater der Ströme«, in dem man da Anker geworfen, sondern das Brack der ganz schäbigen Matagorda-Bai mit seinem etwa der Oder gleichkommenden, für Amerika recht armseligen Rio Colorado. Das erkennt zu seinem Jammer auch La Salle; doch zu spät, schon ist das Unglück geschehen, ein Unglück, wie es größer gar nicht ausdenkbar. Beaujeu, der Satan, hat sich einfach mit seinen Schiffen davongemacht, hat ihn mit all den verärgerten, dringlichen, hilflosen Leuten in des Wortes furchtbarstem Sinne versetzt. Und nicht allein das, noch ärger: da am Ufer liegt gestrandet, leck und halb gesunken, 102 das zweite Proviantschiff, zwei Drittel des Vorrats sind unheilbar verdorben, Kanonen, Büchsen und Schießbedarf hat der Gefühlsmensch überhaupt nicht ausgeladen, sondern als recht nützliche Fracht wohlgemut wieder mitgenommen. Er selbst, Beaujeu, rechtfertigte später ganz mühelos sein schönes Spiel. Wie? seine Aufgabe habe er ja erfüllt; das ganze Volk an dem ihm übrigens unbekannten »Mississippi« gelandet; wenn es nicht der Mississippi war, was könne er dafür? . . . Was für die Schwabenstreiche dieses Faselhanses La Salle? . . . Sonst noch etwas? . . . Louisdore rollten; die Geschichte versandete.
Trotzdem verlor der wackere Sieur in der texanischen Sumpf- und Alligatorenwildnis nicht den Kopf. Im Gegenteil, jetzt, da er den verdammten Beaujeu mit seinen Frozzeleien und Dreinredereien losgeworden, jetzt kriegte er ihn wieder. Not und Verantwortung stellten ihn auf die gewohnten eigenen Beine. Das erste, daß er an der Bai ein festes Schanzdorf errichten ließ; das zweite, daß er Zucht und Ordnung herstellte. Aber schlimm, verzweifelt schlimm blieb die Lage bei alledem. Fieber, Indianer, unermeßliche Fremde, keine Hoffnung auf Entsatz, ein Schiff, weiße Mitmenschen, den verlorenen Mississippi! . . .
Zwei Jahre währte das Elend; zweimal war der heldenmütige La Salle aufgebrochen, den großen Alten in seinen Urauen und magnoliendurchleuchteten Sumpfwäldern wiederzufinden. Vergebens; was von seinen Begleitern die Tomahawks nicht erschlugen, das fraßen die Alligatoren, was die Alligatoren verschonten, das bissen die Schlangen, was die Ottern nicht stachen, versank in den Morästen oder verschmachtete, verhungerte, ertrank. Nur er selbst kam jedesmal wie durch ein Mirakel davon. Und doch wäre er am liebsten irgendeines gnädigschnellen Todes gestorben; so grausam schwer war es, unverrichteter Dinge, mit leeren Augen und erloschenem Herzen zu den anderen zurückzukehren! . . .
Und nicht schwer allein, auch gefährlich. Not sprengt jede Zucht. Hungrige Zähne fletschen. Gestauter Trieb in der Enge wird Bestie. Fünfundvierzig nur mehr waren übrig von den zweihundertachtzig; aber von diesem letzten Fünftel jeder ein toller Wolf.
La Salle erkrankte schwer; zum wievielten Male in seinem Schmerzensleben? . . . Kaum genesen, umringt von heulender Verzweiflung, fuchtelnden Fäusten, drohenden Pistolen, Seele und Ohren 103 vollgegellt von Flüchen, Verwünschungen, Vorwürfen, beschloß er, der Fieberschwanke, Abgezehrte, das Ungeheuerlichste, was je ein Mensch als letzten Ausweg, letzten Versuch der Flucht aus einem Inferno, letztes Liebesopfer zur Rettung verlorener Mitbrüder geplant.
Man höre. Von der texanischen Küste herauf wollte er – wie damals vom unseligen Crèvecoeur aus – den ganzen Weg bis an die großen Seen, mußte es sein, bis Montreal in Eilmärschen, zu Fuße also durchwandern, um dort, mehr als viertausend Kilometer fern, Hilfe aufzubieten. Viertausend Kilometer weit durch größtenteils völlig unbekannte Wildnisse, reißende Ströme und brütende Kaimansümpfe, Steppenglut unermeßlicher Llanos und pfadlose Schreckenswälder, schweifende Indianerhorden, tausendgestaltig allgegenwärtige Todesgefahr! . . . Das alles ohne Führung, ohne taugliches Gerät, ohne auskömmlichen Schießbedarf, ohne Vorräte . . . Man betrachte die Landkarte und denke an das Amerika jener Zeiten . . . Kaum ein Wagnis der Geschichte kann sich an tollkühner Hochherzigkeit diesem vergleichen.
Am 7. Januar 1687 bricht La Salle mit wenigen ausgesuchten Männern, darunter sein treuer Bruder Jean Cavelier und dessen Sohn, von der verruchten Matagorda-Bai gen Nordosten auf. Der Brazos und der San Jacinto werden auf Schiff-Floßen überschritten; schwer vorstellbar, mit welcher Anstrengung und Not. Über den südlichen Prärien wabert bald glasige Loderluft, fegen bald eisige Regenstürme aus Mitternacht dahin. Die zahlreich begegnenden Indianer, ausgezeichnet beritten, erweisen sich zwar wider schlimmeres Erwarten als freundlich und gastfrei; aber ein anderer Feind, böser als Rothaut, Panzerdrache oder Raubkatze begleitete die müden Abenteurer schon von ihrem Aufbruch an – der Weiße, der Bruder selbst mit seinen inwendigen Skalpiermessern und lauernden Giftdrüsen, der weiße Christ mit seiner verpesteten Seele, seiner Erbsünde, seiner tückischen Sucht und seinem Fluch.
Man hatte den Trinity-River erreicht, zweihundert Kilometer nordostwärts der Matagorda-Lagune. 15. März: wenn das so fortging, war man frühestens nach zwei Jahren glücklich in Montreal. Vor sieben Wintern auf seinem grausigen Marsch von Crèvecoeur hinauf, ja da hatte La Salle ganz andere Tagesstrecken hinter sich gebracht. Aber Texas ist eben Texas, selbst das eisstarre Kanada mit seinen 104 nordischen Urforsten dagegen ein wirtschaftliches Land; und damals war der jetzt vierundvierzigjährige, von allen Bittersalzen und Ätzsäuren des Lebens, von Leid und Krankheit ausgehöhlte Mann ein ganz anderer Kerl gewesen. Aber nun stand er auch am Ziel seines Marterweges; seinen geliebten verlorenen Mississippi sollte er nimmer sehen.
Um Mundvorrat zu schaffen, hatte sich die Gesellschaft in mehrere Jagdpartien geteilt. Hader war schon früher ausgebrochen, dessen Keim wohl von der Elendkolonie drunten mitgenommen und verschleppt worden war. Hier am Trinity, am Flusse der Heiligen Dreifaltigkeit kommt es zu neuen Erhitzungen; La Salles Neffe, getreuer Partisan des Oheims, wird mit zwei anderen Kameraden von den übrigen Kumpanen seiner Rotte erschossen oder erschlagen. Aber nun ist La Salle selbst als Rächer und Entdecker zu fürchten; das spricht ihm das Todesurteil. Wie er in seiner Gewissenhaftigkeit das Ufergestrüpp nach dem Vermißten durchstreift, knallen die Mörder auch ihn aus dem Hinterhalt nieder. Als nackter blutiger Kadaver den Wölfen, Gallinazos und Pekaris im Rohrwald eines kleinen texanischen Flusses zum Fraß überlassen – das war das Ende und die Bestattung eines treuen Dieners seines Herrn und seiner Mitmenschen, des Begründers eines groß geschauten, kühn und planvoll angelegten Weltreiches, eines Helden von unvergleichlicher Standhaftigkeit und unerhört zähem Mut. –
Die Mörder sollen unter die Indianer gegangen sein; der Bruder des Sieur, Jean Cavelier, arbeitete sich mit ein paar Leuten bis zum Arkansas durch und fand hier nicht nur den Mississippi, sondern auch zu seinem frohen Erstaunen die unwiderleglichste Spur weißer Siedlung, ein mächtig aufragendes Holzkreuz. Das Mal war gleichsam zum Gruß und Wahrzeichen von zwei französischen Waldläufern, Couture und Delounay, errichtet worden; noch hausten sie nahebei in ihrer schlichten Blockhütte, und aus ihren Erzählungen erst erfuhren die Geborgenen zu ihrer Bestürzung und vermehrten Trauer, wie nahe ihnen, ihren hinweggerafften Gefährten und dem gefallenen Führer die Erlösung schon gewesen.
Tonty, der Kommandant des von La Salle gegründeten Forts St. Louis, ein treuer und umsichtiger Mann, war dem so lange Verschollenen mit starkem Aufgebot den Mississippi herunter entgegengefahren, hatte die Deltalandschaft, die versumpften Küstenstriche bis 105 zum Perlfluß und die schauerlichen Bayoux bis zum Red River sorgfältig abreviert, endlich aber nach vergeblicher Suche dem Häuptling eines anwohnenden Indianerstammes briefliche Botschaft für den etwa noch Eintreffenden anvertraut und die beiden beherzten Jäger als Späher und Wächter in der Einsamkeit am Arkansas zurückgelassen. Von der Not- und Pestkolonie am fernen fieberheißen Matagorda-Sund konnte er freilich nichts ahnen; wer wußte damals etwas vom unermeßlichen, vor wenigen Jahrzehnten noch geheimnisvoll verrufenen Texas! . . .
Couture und Delounay halfen den Bedürftigen wacker bis Kanada durch; aber hier, wo man die Kunde von La Salles Ende ohnehin mit heimlicher Befriedigung aufnahm, war auf ein Rettungswerk nicht entfernt zu rechnen. Der erfahrene, hohlgehungerte, sterbensmüde, von hundert Schlägen getroffene Sieur hatte damals in Frontenac gleich als erstes die Lage der Zurückgebliebenen in Crèvecoeur erwogen und zu ihrer Sicherung all seine geschwundenen Mittel und Kräfte in Bewegung gesetzt; jetzt, um die Letzten an der Todeslagune drunten wollte sich niemand bekümmern. Bitter, aber im Grunde doch nicht ganz so unverzeihlich. Denn Weh und Schrecken waren inzwischen auch über das alte Land gekommen.
Zwei Dinge konnten die stolzen Irokesen oder, wie sie damals noch genannt wurden, »fünf Nationen« den Franzosen nicht verzeihen; ihre eigene Flucht vor Champlains ersten Feuerwaffen, und das gute Einvernehmen zwischen Jesuiten, Waldläufern, Händlern mit den algonkinischen Stämmen an den Seen und am Lorenzo, zumal den von ihnen unterworfenen und zum Anschluß gezwungenen oder vielmehr in eine Art von Lehnsverhältnis niedergejochten Huronen. Britische Guineen rollten hinzu; das Ergebnis war eine dauernde Spaltung der roten Rasse in französische und englische, franko- und anglophile Indianer. Übermut der Gouverneure De la Barre und De Naville hatte diesmal das Unheil heraufbeschworen. Jener schloß mit den Huronen, Wyandot und Ottawa einen ausdrücklichen Bund gegen die Irokesen, den die Engländer sofort mit einem Gegenbündnis beantworteten; dieser baute den Briten zum Trotz ein starkes Fort an den Niagarafällen und zog sich damit die aufgehetzten fünf Nationen auf den Hals. Jählings standen sie vor Montreal; die alte Marienstadt ging in Flammen auf, an tausend Einwohner mußten Skalp und Leben lassen. Dann fegte der irokesische Feuersturm über ganz Kanada hin; 106 ein Schanzdorf nach dem anderen fiel, Niagara und Frontenac sprengten die Franzosen selbst in die Luft. Aus solcher Verwüstung heraus war an Hilfe natürlich nicht zu denken. Schweren Herzens, mit matter Hoffnung, schiffte Jean Cavelier sich nach Frankreich ein.
Die bittere Ahnung sollte ihn nicht getrogen haben. Seine Majestät Sonnenkönig hatten ganz anderes zu tun als sich um ein paar verreckende Untertanen drüben an der texanischen Küste zu scheren. Der dritte Raubkrieg eben im schönsten Gang, da war der deutsche Rhein in jedem Sinne naheliegender und interessanter als fern im Traumreich Louisiana der indianische Mississippi. Cavelier hätte ebensowohl einem Steine seine rechtschaffenen Sorgen klagen dürfen; der Halbgott wandte sich erkaltet ab und ließ sich von Bitten und Vermittlern nicht mehr erreichen.
Spanische Chroniken unterrichten uns über das Ende der Ausgesetzten am Matagorda-Sund. Ein armer Teufel war in seiner Verzweiflung ausgerissen und auf eigene Faust südwestwärts gewandert; irgendwie gelangte er über den Rio Grande und nach Neuleon vor den Vizekönig, der auf das Verhör hin sogleich einen Schwarm Bewaffneter abschickte, die Franzosen nicht etwa zu retten, sondern aus dem von Spanien beanspruchten Texas zu vertreiben. Allein die Soldateska fand keine Opfer mehr zum Vollzug des unmenschlichen Befehls. Die Indianer hatten sich der Todgeweihten erbarmt und den Rest des durch Krankheit, Mangel, Gram und tierische Zuchtlosigkeit zersetzten Volkes erschlagen. Skelette nur und Trümmer verrieten die Stätte fast dreijähriger unbeschreiblicher Qualen, den Schauplatz einer Schicksalstragödie, wie sie allen Gründungen des braven, unbeugsamen La Salle beschieden zu sein schien. –
Nach dem Frieden von Ryswijk besann sich der Roi Soleil wieder auf sein Louisiana und beschloß, die Sonne seiner Gnade jenen fernen aber wichtigen Landen ein bißchen scheinen zu lassen. Spanien nämlich machte seine von Ponce de Leon und De Soto erworbenen älteren Rechte auf das Mississippibecken unbequem geltend, und guten Ansprüchen entgegenzutreten zögerte der vierzehnte Ludwig bekanntlich nie. So sollte nun eine wohlausgerüstete Expedition unter d'Iberville von jenen ungeheuren Strichen mit Erbauung von Forts und systematischer Besiedlung unzweideutig Besitz ergreifen.
d'Iberville fand die Mississippimündung unschwer und fuhr den Vater der Ströme hinauf; doch so wenig gefiel ihm diese sumpfschwüle Urwelt mit ihrer Brut von Drachen und todgiftigem Gewürm, daß 107 er nun seinerseits sich verirrt wähnte und schon umkehren wollte, nach La Salles verlorenem Paradies zu suchen. Da kamen Indianer, die seine Reise längst heimlich beobachtet, zu ihm aufs Schiff und überreichten ihm ernsthaft einen Brief, dessen Inhalt nun freilich jeden Zweifel beseitigte – jenen Brief, den Tonty vor dreizehn Jahren ihren treuen Händen anvertraut und den sie seither in scheuer Verehrung gehegt und aufbewahrt hatten. –
Die Franzosen gründeten nun das feste Dorf Biloxi, so genannt nach einem in den Süden verdrängten Stamm der Sioux-Familie, und zogen weiter stromaufwärts bis zum heutigen Natchez im Staate Mississippi. Hier wurde als Fort Rosalie eine zweite, mehr militärische Niederlassung angelegt. d'Iberville verfiel bald darauf dem Fieber; auch sein Nachfolger Crozat hielt es nicht lange in diesem pfuhligen Klima aus, für dessen Gefahren weder schiere Goldschätze und reiche Erze noch schöne Frauen und girondische Hochkreszenzen entschädigten. Immerhin hatte er fast tausend Ansiedler nach dem unteren Mississippi gebracht, so daß die Kolonie wenigstens nach etwas aussah.
Frischen Luftzug schaffte aber erst der Thronwechsel. Dumpfe Jahre noch hatte die alte barocke Königsmumie hingedämmert, in trübem unheimlichen Gedünst war die große Ludwigssonne untergegangen, alles stockte. Jetzt im Zeichen des Regenten gründete man Neuorleans, die »crescent city«; Reis, Indigo, Seide und Tabak standen in blühenden, der englischen Kolonialware gefährlichen Anfängen; von Norden herunter schlossen sich die kanadischen Vorposten, Pelzfaktoreien und Jesuitenmissionen mit den louisianischen Schanzdörfern und Niederlassungen zur Kette zusammen. Die hart zufassenden Briten freilich spotteten der langsamen Fortschritte Neu-Frankreichs; die Franzosen hätten untätig räsonnierend am Mississippi gelegen und auf »daherschwimmende Häuser gewartet«. Sie hatten gut höhnen in ihrem kalten Connecticut und frischen Massachusetts; im Fieberbrodem der Bayoux erschlafft auch die kernigste Natur und versinkt in dumpfe Gleichgültigkeit.
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Leider haben auch die Franzosen, klüger sonst und menschlicher als die geschäftskalten Engländer, die unduldsamen starken Schotten und nun gar die späteren, vollkommen verhärteten Yankees, leider haben 108 auch die Erben Marquettes und La Salles sich an der Unschuld der Wildnis schwer versündigt und durch schonungslose Ausrottung einer der edelsten unter den indianischen Nationen den alten Ruhm ihrer Humanität unaustilgbar befleckt.
Es war das prachtvolle, hochentwickelte Sonnenvolk der Natchez, das hier im Mississippi-Tiefland der herrischen Habsucht der weißen Bestie zuerst zum Opfer fiel.
Die Ansiedler von Fort Rosalie forderten von den rechtmäßigen Eignern des Gebietes Aufgabe und Räumung ihrer uralten Tempelstadt, einfach weil deren Boden ihnen zur Anlage einer Pflanzung geeignet schien; die Natchez, darüber mit Grund empört, wahrscheinlich durch noch andere Übergriffe gereizt und obendrein aufgehetzt von ihren kriegerischen Freunden, den Chickasaw, nahmen Fort Rosalie mit Sturm und metzelten das ganze Gesindel von geiergierigen Eindringlingen nieder. Weiber und Kinder jedoch wurden verschont, und auch zwei – Mechanikern, deren Kenntnisse ihnen nutzbar schienen, schenkten die klugen Indianer das Leben. Dieser gesunde Gegenschlag, Ausbruch einfachen und durchaus berechtigten Selbsterhaltungstriebes, konnte natürlich nicht ungerächt und unbestraft bleiben. Das Trauerspiel, selbst nur ein Akt der großen Indianertragödie dreier Jahrhunderte, endete mit Vernichtung und Vertilgung der Natchez, deren Kazike oder vielmehr Priesterkönig, »die große Sonne«, in die Sklaverei verkauft worden sein soll. Kümmerliche Reste des Stammes gingen im Völkerbunde der Creek auf. Chateaubriand hat den heroischen Stoff in seinen heute lesenswerten hochromantischen Erzählungen dichterisch verklärt, eine schöne aber unwirksame Sühne; bessere nahmen die Chickasaw, indem sie die Franzosen mehrmals so gründlich aufs Haupt schlugen und die Gefangenen so schrecklich marterten, daß man auf ihre Unterwerfung gerne verzichtete.
Die Widerrache kam. Nicht lange mehr sollten die Franzosen sich ihrer amerikanischen Vormacht, der zum geschlossenen Riesenreiche ineinander verschmolzenen Werke ihres Champlain und La Salle erfreuen. Genau ein Menschenalter, dreiunddreißig Jahre nach der Ausrottung jenes uralten Sonnenvolkes schlug ihre schimpfliche Stunde, die des Friedens von 1763, der Kanada den siegreichen Engländern, Louisiana westlich des Mississippi den Spaniern verschrieb.
Weltgeschichte ist nichts als die Geschichte einer ewigen Blutrache; und wer weiß, wie nahe uns die Zeit, da die fluchbeladenen weißen 109 Herrenvölker des Abendlandes in gegenseitiger Zerfleischung an ihrer eigenen Zivilisation, an ihrem Wahn und Wesen zugrunde gehen, zum Sühneopfer für die wahren, die unschuldigen Kinder Gottes, deren Gebeine still unter den eisenbesäeten Schlachtfeldern ihrer Mörder ruhen, deren Geister klagend über den Stätten ihrer verwüsteten Heimatgärten, ihrer verödeten Paradiese schweben. 110