Ludwig Fulda
Die Zwillingsschwester
Ludwig Fulda

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Dritter Aufzug.

Dieselbe Dekoration.

Erster Auftritt.

Pietro (tanzt mit) Angiolina (ringsherum und giebt trällernd den Takt an).

Pietro. Trallirum, larum . . .

Angiolina.                           Preßt mich nicht so stark!

Pietro. Trallarum . . .

Angiolina.                 Wenn mein Fräulein käme . . .

Pietro.                                                                     Pah!
Mit meinem Herrn spaziert sie durch den Park.

Angiolina (atemlos).
Ich kann nicht mehr. 127

Pietro (läßt sie los).           Man merkt, daß Ihr bereits
In feinen Häusern habt gedient.

Angiolina.                                     O ja;
Noch jede Herrschaft wußte mich zu schätzen.

Pietro. Nach Pflicht und Schuldigkeit.

Angiolina.                                         Doch meinerseits
Hatt' ich fast überall was auszusetzen.

Pietro. Und hier?

Angiolina.           Vorläufig kann ich noch nicht klagen.

Pietro. Will's meinen! Solch ein Dienst bringt wenig Last.
Seit Euer Fräulein hier zu Gast,
Besteht die Woche nur aus Feiertagen.

Angiolina. Für mich der einzig richtige Kalender.

Pietro. So lustig war's noch niemals hier im Schloß.

Angiolina. Ihr wurdet heut mit auf die Jagd genommen? 128

Pietro. Ja, habt Ihr schon gehört? Das Fräulein schoß
'nen wahren Prachtkerl – einen Sechzehnender.

Angiolina. So?

Pietro.             Noch ein kleines Tänzchen?

(Man hört vom Hintergrund her die lachenden Stimmen von Orlando und Giuditta.)

Angiolina.                                                   Horch, sie kommen.

Pietro (schnell und flüsternd).
Nehmt mich zu Eurem Liebsten.

Angiolina.                                       Thut mir leid.
Dazu verlang' ich doch mehr Vornehmheit . . .
Höchstens zum Mann.

(Beide rasch ab, Pietro rechts hinten, Angiolina rechts vorn.)

Zweiter Auftritt.

Orlando (und) Giuditta (kommen aus dem Garten, über die Freitreppe. Sie trägt ein ausgeschnittenes Kleid von derselben lichtblauen Farbe wie das Kleid des ersten Aufzugs, die Schultern von einem Spitzentuch bedeckt; in der Hand hält sie einen unvollendeten Kranz).

Giuditta (laut lachend).       Haha, zu drollig.

Orlando (ebenfalls sehr heiter).                     Liebe Schwäg'rin . . . 129

Giuditta. Haha, vor Gott und Welt will ich's verfechten,
Daß Ihr des Rittertumes Krone seid;
Doch wer, beim Himmel, heißt Euch Kränze flechten?

Orlando. Zum Schmucke für die Stirn der kühnen Jäg'rin.

Giuditta. Und dieses Untier nennt Ihr einen Kranz?

Orlando. Ich muß gestehn, er glückte mir nicht ganz.
Mögt Ihr das Werk, doch nicht den Künstler schelten!
Die vielen Kränze wollt' er Euch vergelten,
Die reizvoll um des Alltags kahle Stunden
Ihr, seit ein guter Geist Euch hergeführt,
Aus Anmut, Witz und Laune habt gewunden.

Giuditta. Wie wunderschön gesagt! Ich bin gerührt.

Orlando. Ihr seid ein Schelm.

Giuditta.                               Nur keine Schmeichelei!

Orlando. Nein, Wahrheit.

Giuditta.                         Scherz.

Orlando.                                     Wollt Ihr, daß ich's beteure? 130

Giuditta. Ich sehe weiter kein Verdienst dabei,
Wenn ich vergnügt bin.

Orlando.                           Doch!

Giuditta.                                     Dann ist's das Eure.
Denn Eure Gastlichkeit scheint unbegrenzt,
Und mein begehrliches Gemüt umschwirrt,
Wie 'n junger Schmetterling zu Pfingsten,
Den Honig, den ein liebenswürd'ger Wirt
In hundert Blütenkelchen ihm kredenzt.

Orlando. Das Leben hier behagt Euch?

Giuditta.                                             Ueberaus.

Orlando. Ihr sehnt Euch nicht zurück?

Giuditta.                                           Nicht im geringsten.
Weiß Gott, ich fühle mich hier wie zu Haus.

Orlando. Für mein bescheidnes Mühn der schönste Lohn.

Giuditta. Und bin doch erst vor kurzem eingezogen!

Orlando. Heut vor acht Tagen erst. 131

Giuditta.                                       Acht Tage schon?!

Orlando. Ja, schneller sind sie mir davongeflogen
Als ein Feldhühnerschwarm.

Giuditta.                                   Und Ihr bekamt
Noch keine Nachricht von Giuditta?

Orlando.                                             Nein.
        (Sie betrachtend.)
Wie malerisch es Euren Wuchs umrahmt!

Giuditta. Was?

Orlando.         Dieses Kleid.

Giuditta.                             Habt Ihr schon Sehnsuchtspein?

Orlando. Wie?

Giuditta.         Nach Giuditta?

Orlando.                               Wohl.

Giuditta.                                         Ich kann begreifen,
Wie schmerzlich Ihr die große Lücke fühlt . . . 132

Orlando. Wollt Ihr dies Tuch nicht von den Schultern streifen?

Giuditta (zieht es fester an sich).
O nein.

Orlando.     Warum nicht?

Giuditta.                           Ich bin leicht verkühlt.

Pietro (von rechts hinten, mit einem Blumenstrauß).
Vom Grafen Parabosco. (Er reicht ihn Giuditta.)

Giuditta.                             Ei, für mich?

Pietro. Ja. (Ab rechts hinten.)

Giuditta.   Schwager, seht nur an: wie ritterlich!

Orlando. Der zudringliche Geck!

Giuditta.                                   So harte Worte
Für Euren Freund?

Orlando.                     Ach, Menschen dieser Sorte
Sind nur bei seltenem Genuß erträglich! 133
Doch nun, so scheint's, will er sich hier tagtäglich
Vor Anker legen . . .

Giuditta.                         Freundschaftsüberschwang.

Orlando. Er langweilt mich.

Giuditta.                           Da fürcht' ich nur, es geht
Euch ebenso mit mir, wenn wir noch lang
Den ganzen Tag von früh bis spät
Beisammen sind.

Orlando.                   Mit diesem schalen Tropf
Vergleicht Ihr Euch?

Giuditta.                       Ihr denkt von ihm geringer
Als billig.

Orlando.       Nein, Ihr habt im kleinen Finger
Mehr Geist als er in seinem ganzen Kopf.
Bei seinesgleichen ist's schon Zeitvertreib,
Wenn man zur öden Stunde sagt: Entflieh!
Ihr lehrt mich zur Minute sagen: Bleib!
Denn weilt Ihr noch so lang, Ihr langweilt nie.

Giuditta. O, daß Ihr meine Mängel blind verzeiht
Und viel zu hoch, ja, viel zu hoch mich achtet,
Verdank' ich nur der großen Aehnlichkeit 134
Mit meiner Schwester! Wenn Ihr mich betrachtet,
Dann seht Ihr Eurer Gattin Ebenbild,
Und alles Lob, das ich vernehme, gilt
In Wahrheit ihr.

Orlando.                 Nein, Euch. Im Anfang nur
Verwirrte mich dies Scherzspiel der Natur,
Sodaß die beiden Bilder mir in eins
Unlöslich immerdar zusammenflossen
Und ich, befangen halb und halb verdrossen,
Vergeblich kämpfte mit der Macht des Scheins.
Jetzt aber . . .

Giuditta.               Jetzt?

Orlando.                       . . . ist dieser Schein zerstoben.
Stets schärfer voneinander abgehoben
Rückt jedes Bild in seine eigne Sphäre,
Und wenn ich sie vergleiche . . .

Giuditta.                                         Was entdeckt
Ihr dann?

Orlando (mit leichtem Seufzer).
                Dann wird in mir der Wunsch erweckt,
Daß meine Frau noch ähnlicher Euch wäre.

Giuditta. Sie mir?

Orlando.               Nun ja, warum es Euch verschweigen?
Das lebhaft muntre Wesen, das Euch eigen, 135
Warm wie der Sonnenschein, klar wie der Aether,
Geschwellt von Jugendübermut . . .

Giuditta.                                             Sie gleicht
Mir darin nicht?

Orlando.                 Vor Zeiten, ja, vielleicht;
In unsres Ehestandes Lenz.

Giuditta.                                 Und später?

Orlando. Da kam das Kind, mit ihm die Mutterpflichten,
Die kleinen Sorgen, unnütz aufgebauscht . . .
Bald ward kein flüchtig Wörtchen mehr getauscht,
Das nicht der Lebensernst behing mit Bleigewichten.

Giuditta (wird nachdenklich).
So, so?

Orlando.     Statt mir zur Jagd zu folgen, blieb
Sie nun daheim, und wenn ihr Lachen scholl,
War's nur noch ihrem Kind, nicht mir zulieb.

Giuditta. So steht es?

Orlando.                   Ja.

Giuditta.                         Verzeiht mir nur die Frage:
Bliebt Ihr denn immer wie am Hochzeitstage?

Orlando. Dazu gehören zwei. 136

Giuditta.                               Hm! –

Orlando.                                           So gedankenvoll?

Giuditta. Mir deucht, ich bin zur rechten Zeit gekommen!

Orlando. Ja, wahrlich, Euer Einfluß könnt' ihr frommen.

Giuditta. Glaubt Ihr?

Orlando.                   Bestimmt!

Giuditta.                                   's ist nicht ganz unwahrscheinlich.
        (Ihren heiteren Ton wiederfindend.)
Nur stellt mich, wenn sie wiederkehrt,
Ihr nicht als Muster hin; das wär' mir peinlich.

Orlando. Weshalb?

Giuditta.               Mich habt Ihr Werktags nie gesehn:
Grad wie Giuditta hab' ich meine Grillen . . .

Orlando. Doch sind von einem Zauber sie verklärt.

Giuditta. Der ist?

Orlando.              Jungfräulichkeit. 137

Giuditta.                                       Ja, freilich, den
Gab meine Schwester hin um Euretwillen.

Orlando. Zum Beispiel, wie vortrefflich zu Gesicht
Steht Euch dies Hellblau.

Giuditta.                             Meiner Schwester nicht?

Orlando. O nein, nicht halb so gut.

Giuditta.                                     Aus welchem Grunde?

Orlando. Weil Ihr viel jünger ausseht.

Giuditta.                                           So?

Orlando.                                                 Mir fällt
Es schwer zu glauben, daß Ihr's nicht auch seid.

Giuditta. Ich jünger als Giuditta? Jeden Eid
Leist' ich darauf, daß in derselben Stunde
Wie ich sie hat erblickt das Licht der Welt.

Orlando. Doch Ihr, warum bliebt Ihr noch unvermählt? 138

Giuditta. Je nun, an Werbern hat's mir nicht gefehlt.

Orlando. Begreiflich.

Giuditta (setzt sich auf den Diwan).
                          Nur bisher ist unter ihnen
Der Mann, von dem ich träume, nicht erschienen.

Orlando (setzt sich zu ihr).
Der Mann, von dem Ihr träumt? Wie schaut er aus?

Giuditta. Ihr fragt zu viel.

Orlando.                         Macht Euch dies Tuch nicht heiß?
Ablegen könnt Ihr's unbesorgt.

Giuditta (es wieder fest ziehend).       Wer weiß?

Orlando. So furchtsam? –

Dritter Auftritt.

Vorige. Ghita (mit) Sandro (von rechts hinten).

Ghita (zieht den sich sträubenden Sandro bei der Hand nach).
                                    Ja, du liefst genug herum.
Komm nur!

Orlando (zu Giuditta).
                  Mein Sohn. 139

Sandro.                               Ich will noch nicht nach Haus.

Orlando (zu Ghita).
Was giebt's?

Ghita.                 Er folgt nicht.

Orlando.                                 So? (Zu Sandro.)
                                              Marsch! – Eins, zwei, drei!

Sandro (zu Giuditta, scheu).
Mutter . . .

Orlando.         Der Bursch hält Euch, weiß Gott, noch immer
Für seine Mutter. Er ist gar zu dumm.

Giuditta. Und hat solch klugen Vater.

Orlando (zu Sandro).                         Komm herbei!
        (Ghita führt Sandro nach vorn und zieht sich dann nach links hinten zurück, geht kurz daraus dort ab. – Orlando, zu Sandro, aus Giuditta deutend.)
Wer ist das, he?

Sandro.                   Die Mutter.

Orlando (zu Giuditta).                 Keinen Schimmer! 140

Giuditta (sich mühsam zurückhaltend).
Ei, laßt ihn doch! Ich find' ihn höchst ergötzlich.
Ich hätte nie gedacht, daß ich so plötzlich
'nen Sohn bekäm'.

Orlando.                     Ein dutzendmal schon nannte
Ich Euren Namen ihm. (Zu Sandro.)
                                  Merk' endlich dir:
Die Mutter ist verreist; das ist die Tante.

Sandro (zu Giuditta, weinerlich).
Ach, Mutter, sei doch wieder lieb zu mir.

Giuditta (von ihrer Empfindung überwältigt).
Ich . . . Kind, ich . . . (Sich beherrschend, zu Orlando.)
                                Sagt, was hab' ich unterlassen,
Daß mir sein kindlich Wort wie Vorwurf tönt?

Orlando (hebt Sandro auf den Diwan, so daß er zwischen ihnen sitzt).
Er will, Ihr sollt Euch nur mit ihm befassen.
Giuditta hat ihn fürchterlich verwöhnt.

Giuditta.
Darin, das fühlt er, wieg' ich sie nicht auf.
Und grade jetzt . . .

Orlando.                       Wie, jetzt?

Giuditta.                                       Daß ich's bekenne . . . 141

Orlando. Ihr wärt ihn gerne los?

Giuditta (mit leichter Koketterie).   Er unterbrach
Ein fesselndes Gespräch.

Orlando (erfreut).                 Ich selber brenne,
Es fortzusetzen. (Er stellt Sandro auf den Boden.)
                        Vorwärts, Junge, lauf
Zu Ghita! (Er ruft nach links hinten.)
                Ghita!
        (Sandro geht langsam und betrübt nach hinten. Signal eines Jagdhorns hinter der Bühne.)
                            Dieses Horngeschmetter?

Giuditta. Ein Bote?

Orlando.                 Wartet nur, ich sehe nach.

(Er eilt über die Loggia ab rechts.)

Vierter Auftritt.

Giuditta. Sandro.

Giuditta (eilt, sobald Orlando den Rücken gedreht hat, Sandro nach, zieht ihn an sich und liebkost ihn mit überströmender Innigkeit, Thränen in den Augen).
Sandro, mein Herz, mein Alles, o vergieb!
Gern wäre deine Mutter wieder lieb 142
Und muß dich doch verleugnen, um das Wetter
Zu bannen, das ob unsern Häuptern droht!
Vergieb ihr, Sandro, daß sie, glühend rot
Vor Scham, in dein Gemüt Verwirrung sendet!
Sie flieht vor ihrem Kleinod; sie erstickt
Des Mutterherzens zärtliche Begier,
Damit dein Vater wieder lieb zu ihr.
Dich täuscht die Maske nicht; doch er war leicht verblendet:
Hat er denn halb so lang mich angeblickt
In all den Jahren, wie nun jeden Tag?
Erst als mein Zwilling mußt' ich ihm erscheinen,
Damit er wieder mich beachten mag!
Ach, Sandro, soll ich lachen oder weinen,
Daß seine Frau nun besser ihm gefällt,
Nur weil er sie für eine andre hält?
        (Orlando wird in der Loggia sichtbar, über die Brustwehr nach rechts hinabsehend.)
Da ist er! (Sie trägt Sandro eilig nach links hinten.)
                Fort! Von unserm Stelldichein
Darf er nichts ahnen. – Schnell 'nen Kuß noch. – So!

(Sie schiebt ihn durch die Thür links hinten, schließt sie hinter ihm und geht dann Orlando entgegen.)

Fünfter Auftritt.

Giuditta. Orlando. (Dann) Lelio.

Giuditta. Nun?

Orlando.         Botschaft von Florenz. 143

Giuditta.                                           Giuditta traf dort ein?

Orlando. Ja, meinen Jägermeister Lelio,
Der ihr gefolgt ist, sendet sie zurück . . .

Giuditta. Was bringt er?

Orlando.                       Gleich. Man stärkt ihn erst mit Wein.
Der Wackre hielt sich vor Erschöpfung kaum
Im Sattel, und dem Pferd quoll dicker Schaum
Von dem Gebiß.

Lelio (von links hinten. Seine Kleider sind zerrissen und mit Staub bedeckt. Er ist scheinbar völlig ermattet und außer Atem).
                          Das war ein Reiterstück!
Herr, ob das viele wohl zu stande brächten?
Damit Ihr länger nicht in Sorge wärt,
Macht' ich, am Ziel kaum eingetroffen, kehrt
Und zwang den ganzen Rückweg in zwei Nächten
Und einem Tag.

Orlando.                 Fürwahr, 'ne tolle Hetze.

Lelio. Dazu noch – uff, erlaubt, daß ich mich setze –
Dazu noch hatt' ich heute Nacht im Wald –
Ihr merkt's an diesen Fetzen – von zwei Räubern
Bedrängt, 'nen unfreiwill'gen Aufenthalt.
Die Kerle, das Gesicht geschwärzt mit Kohle, 144
Versperrten grunzend mir die Straße quer
Und wünschten, meinen Mantelsack zu säubern;
Jedoch dank Eurer trefflichen Pistole
Belästigen die keinen Wandrer mehr.

Giuditta (vor ihn hintretend).
Nur sagt uns . . .

Lelio (von ihrem Anblick scheinbar überrascht, sieht Orlando fragend an).
                          O, das Fräulein?

Orlando.                                           Ja.

Giuditta.                                                 Wie geht
Es meiner Schwester?

Lelio.                               Fräulein, man erkennt
Wahrhaftig, daß Ihr sie mit Recht so nennt!
Weit mehr, als ich erzählen könnte, steht
Gewiß im Brief, den sie dem Herrn geschrieben.

Orlando. So gieb!

Lelio (sucht in seinen Taschen).
                      Wo mag er stecken? – Gott verdamm's,
Der ist in meinem Mantelsack geblieben.

Orlando. Ich lass' ihn holen. (Er wendet sich nach hinten.)

Lelio (leise zu Giuditta).         Schnell!
        (Giuditta steckt ihm einen Brief zu. Er ruft Orlando zurück.) 145
                                                Nein, hier im Wams.
        (Er thut, als habe er den Brief in seiner Tasche gefunden, und reicht ihn Orlando.)
Hier ist er.

Orlando (zu Giuditta).
                Ich durchflieg' ihn; wollt gestatten.

Giuditta (diskret).
O, wenn die Gattin schreibt an ihren Gatten . . .
        (Leise zu Lelio, ohne Orlando, der den Brief liest, aus den Augen zu lassen.)
Das hast du gut gemacht.

Lelio (leise).                           Nicht wahr, man glaubt,
Daß endlos ich durch dick und dünn geritten?
Ich war der Räuber, der dies Wams zerschnitten,
Und seht nur an, wie kunstgerecht es staubt.
        (Er klopft sich eine Staubwolke heraus.)
Den armen Gaul hab' ich mit Peitschenhieben
Fünf Stunden im Galopp herumgetrieben
Rings um das Jagdhaus . . .

Giuditta (leise).                         Brav!

Orlando (mit dem Brief fertig, zu Giuditta). Wollt Ihr ihn lesen?
's ist kein Geheimnis drin.

Giuditta (nimmt den Brief).       Wenn Ihr erlaubt.
So voll von Neugier bin ich nie gewesen. 146
        (Zwischen dem Lesen.)
Wie hübsch sie schreibt!

Orlando.                             Ihr findet?

Giuditta.                                             Wie lebendig
Malt sie den herzlichen Empfang
Und unsrer Mutter Glück! Nur ist ihr bang
Um ihren Sandro.

Orlando.                   Ja.

Giuditta.                         Sie denkt beständig
An ihn.

Orlando.     Mehr als an mich.

Giuditta.                               Das steht hier nicht. –
Mit Ungeduld erwartet sie Bericht,
Ob ich schon angelangt. – Wie liebevoll,
Mit welchem Sehnsuchtston sie von mir spricht –
Und daß sie sich um meinetwillen quäle
Mit Selbstvorwürfen . . .
        (Sie wischt sich eine Thräne aus dem Auge.)
                                    Treue Schwesterseele! –
Sie fragt Euch, wann sie wiederkehren soll . . .
Wenn Ihr es wünscht, sofort; nur eine Zeile . . . 147
        (Ihn voll ansehend.)
Wünscht Ihr's?

Orlando.                 O nein, mir hat es keine Eile.

Giuditta. Mir auch nicht mehr. Inzwischen ward mir klar,
Daß ich mit Unrecht ungeduldig war.
Sie bleibe nach Gefallen! (Wieder lesend.)
                                      Ach, sie muß
Euch wahrhaft lieben.

Orlando.                         Wie?

Giuditta.                                 Des Briefes Schluß . . .

Orlando (mit hineinsehend).
Wieso? Was steht denn dort?

Giuditta (schamhaft).                   Ein heißer Kuß.

Orlando (verwirrt).
Hm – ja. (Sich fassend.)
              Doch das Gespräch, das uns im Bann
Gehalten – setzen wir's nun endlich fort!

Giuditta. O, gerne!

Orlando (ruft).       Lelio . . .

(Lelio, der sich nach dem Hintergrund zurückgezogen hatte, kommt nach vorn. Gleichzeitig Pietro von rechts hinten.) 148

Pietro.                               Herr . . .

Orlando (ungeduldig).
                                                Was?

Pietro.                                                     Ein Mann
Ist draußen . . .

Orlando.                 Wer?

Pietro.                             Ein Bote von Florenz.

Orlando. Noch einer?

Pietro.                       Namens Beppo.

Lelio (leise zu Giuditta).                         Pestilenz!

Giuditta (ebenso).
Was soll das heißen?

Lelio (ebenso).                 Der war wirklich dort.

Giuditta (ebenso).
Was thun?

Orlando (zu Pietro).
                Laß ihn herein!

Lelio.                                     Doch, Herr, weshalb
Anhören, was der Bauernlümmel kohlt? 149
Durch meinen Sturmritt hab' ich dieses Kalb
Zwei Tage, schlecht gerechnet, überholt.
Sein Neuigkeitenbrot ist altgebacken.

Orlando. Doch immerhin . . .

Giuditta (zu Orlando).             Kobolde sind verschworen,
Unser Gespräch zu hemmen.

Orlando.                                   Ja, 's ist grämlich!
Drum laßt uns schnell den Stier beim Horne packen.
        (Zu Pietro.)
Herein mit ihm, geschwind! (Pietro ab links hinten.)

Lelio (leise zu Giuditta).               Wir sind verloren.

Sechster Auftritt.

Vorige. Beppo.

Beppo (von links hinten).
Grüß Gott, beisammen.

Orlando.                           Deinen Auftrag?

Beppo.                                                       Nämlich . . .

Orlando. Sprich! 150

Beppo.                 Also . . .

Orlando.                             Rasch! Wir haben wenig Muße.

Beppo. Ganz richtig.

Orlando.                 Mensch, was ward dir aufgetragen?

Beppo. Der Herr, bei dem ich Knecht war sozusagen –
Wie hieß er? Wartet mal, gleich fällt's mir ein –
Herr Villa – Vulla schickt mich mit 'nem Gruße.

Orlando. Und das ist alles?

Beppo.                               Ja.

Giuditta (leise zu Lelio).             Gottlob!

Beppo.                                                 Doch nein –
Noch was!

Lelio (leise zu Giuditta).
                O weh!

Beppo.                       Jetzt kommt's mir wieder in den Sinn:
Ja, wie ich heim wollt' und am letzten Tag
Grad meine Siebensachen sammel',
Da sagt Herr Vulla zu mir: Hammel – 151
So nennt er mich Geh zu der Alten hin –
Zu Eurer Schwiegermutter . . .

Orlando.                                       Nun?

Beppo.                                                   Und frag,
Ob sie was zu bestellen hat.

Orlando.                                 Nun, und?

Beppo. 'nen schönen Gruß von ihr, sie wär' gesund.

Orlando. Und meine Frau?

Beppo.                             Wieso?

Orlando.                                     Nun, gab sie dir
Nicht auch 'nen Gruß mit?

Beppo.                                   Eure Frau? Weswegen?

Giuditta (leise zu Lelio).
O Gott!

Lelio (leise).   's geht schief.

Orlando.                           War sie denn nicht zugegen?

Beppo. Nein. 152

Orlando.       Seltsam.

Beppo (auf Giuditta deutend).
                          Eure Frau, die steht doch hier.

Giuditta (zu Orlando, mit gezwungener Scherzhaftigkeit).
Der auch!

Orlando.         Die Mutter sagte dir kein Wort,
Daß meine Frau nicht hier ist, sondern dort?

Beppo. Nein.

Orlando.       Nicht?! – Renata, dünkt Euch das erklärlich?

Giuditta (zitternd und stockend).
Mir? Ja. – Euch nicht?

Orlando.                           Ihr meint?

Giuditta (mit plötzlichem Gedanken).       Der Bursche war
Dort einfach vor Giudittas Ankunft.

Orlando.                                             Schwerlich.

Giuditta. Auch klingt ja sein Gefasel so verschwommen,
Daß . . . 153

Orlando.       Immerhin; der Fall ist sonderbar.
Versuchen wir, ihm auf den Grund zu kommen.
        (Er wendet sich zu Beppo.)

Giuditta (kokett).
Giebt's bess're Kurzweil nicht, als Euch zu plagen
Mit diesem Tolpatsch?

Orlando.                           Nur noch ein paar Fragen . . .

Lelio. Herr, augenscheinlich ist . . .

Orlando.                                       Laß nur, ich löse
Das Rätsel schon mit eigner Kraft.

Giuditta (leise zu Lelio).                         's wird böse.

Lelio (leise).
Was jetzt?

Giuditta (leise). Stillhalten. Reden macht's nur schlimmer.

Orlando (zu Beppo).
Also, die Mutter, wie du sie besucht,
War ganz allein?

Beppo.                     Ja, ganz allein.

Lelio (leise).                                     Verflucht! 154

Giuditta (leise).
's ist aus.

Beppo.           Doch halt – ein junges Frauenzimmer
War bei ihr.

Giuditta (überrascht).
                  O! –

Orlando (lachend).       Da haben wir's! – Wie sah
Sie aus?

Beppo.         Wenn alles man in allem nimmt,
Hat sie grad ausgesehn wie diese da.

Giuditta (leise zu Lelio).
's war meine Schwester!

Orlando.                             Das war meine Frau,
Du Schafskopf.

Beppo.                   Nur ist die da schöner.

Orlando.                                                 Stimmt.

Beppo (grinsend).
Jawohl, bei mir stimmt alles ganz genau.

Orlando. Bist du nun fertig?

Beppo.                               Fertig. 155

Giuditta (ausatmend).                     Ah!

Orlando (giebt ihm Geld).                       Nimm das
Und pack dich!

Beppo.                   Danke.
        (Er geht einige Schritte, bleibt stehen und kehrt wieder um.)
                                  Halt mal . . !

Orlando (halb ärgerlich, halb belustigt).       Noch etwas?

Beppo. Die Hauptsach'.

Giuditta (leise, mit neuem Schreck).
                              Himmel!

Beppo.                                       's liegt mir auf der Zunge . . .
Ja, so! Zuletzt beiseit nahm mich die Junge
Und sagte: Zeige meiner Schwester an,
Ich wär' hier angekommen wohlbehalten;
Nur kurze Zeit noch bleib' ich bei der Alten
Und komme dann zu ihr, so schnell ich kann.

Giuditta (lebhaft interessiert).
Ei! –

Orlando. Blitz, das alles wissen wir doch schon!

Giuditta. Gewiß. (Sie giebt Beppo Geld.)
                    Nimm auch von mir verdienten Lohn. 156

Orlando. Und schere dich zum Teufel!

Beppo.                                               Danke. (Er geht.)

Orlando (lachend zu Giuditta).                           Gräßlich!

Beppo (wendet sich an der Thür noch einmal um).
Nämlich, mein Kopf ist von Geburt vergeßlich.

Orlando. Hinaus! (Beppo ab rechts hinten. – Orlando zu Giuditta.)
                      Nun, Gott sei Dank, der ist erledigt.

Giuditta. Ja, Gott sei Dank.

Orlando.                           Und um nun fortzusetzen
Das fesselnde Gespräch . . .

Giuditta.                                   Das uns entschädigt . . .

Orlando (Lelio verabschiedend).
Freund Lelio, laß dich gehörig letzen
Mit Speis' und Trank . . .

Pietro (von rechts hinten).         Herr . . .

Orlando.                                           Blitz und Donnerschlag,
Was denn schon wieder? 157

Pietro.                                 Der Verwalter.

Orlando.                                                   Sag,
Er soll zum Henker gehn!

Pietro.                                   Es wäre dringlich.

Orlando. Ist heute das Verhängnis unbezwinglich?

Giuditta (die Nase rümpfend).
Kurzweilig wird das kaum.

Orlando.                                 'nen Augenblick!
Euch zu verschonen, werd' ich diesen Narren
Abfert'gen auf dem Flur.

Giuditta (kokett).                 Ich werde harren.

(Orlando geht rasch ab rechts hinten. Pietro folgt ihm)

Siebenter Auftritt.

Giuditta. Lelio.

Giuditta. Ja, das Verhängnis hätt' uns fast ereilt.

Lelio. Potz Hagel, schon am Hals spürt' ich den Strick! 158
        (In anderem Ton, lebhaft.)
Wie steht's?

Giuditta.           Hast du gehört? Renata weilt
Schon in Florenz. Bald ist sie hier, und dann . . .

Lelio. Zunächst habt Mitleid mit 'nem Ehemann,
Der auf dem Rost der Hölle lag und briet!
Stellt Euch nur vor: seit einer ganzen Woche
Sitz' einsam ich in meinem Mauseloche
Und zittere vor Angst, was hier geschieht.

Giuditta. Nichts.

Lelio.                 Wirklich?

Giuditta.                           Wirklich.

Lelio.                                               Habt Ihr gut gewacht?

Giuditta. Sehr gut.

Lelio.                   Und Lisa?

Giuditta.                             Seinem Sinn entschwunden.

Lelio. Hat er wohl gar 'ne Andere gefunden? 159

Giuditta. Des hab' ich ihn im dringenden Verdacht.

Lelio (mißbilligend).
O!

Giuditta. Drum, noch ehe meine Schwester naht,
Muß ich ergründen . . . (Plötzlich zusammenfahrend.)
                                  Ach!

Lelio.                                         Was ist?

Giuditta.                                                Der Schrecken!
Wie konnt' ich nur . . .

Lelio.                               Was?

Giuditta.                                   . . . wie zum Selbstverrat
In dieses ausgeschnittne Kleid mich stecken!
Renatas Muttermal – der braune Flecken
Ueber der Brust! – Daß er davon erfuhr,
Steht fest. Wie, wenn er mich aus Argwohn bat,
Das Tuch zu lüften? Was beginn' ich nur?
Das Kleid schnell wechseln? Nein, das wirkt befremdlich. –
        (Mit Einfall.)
Verschaff mir Farbstoff! 160

Lelio.                                   Farbstoff? Ei, zum Glück
Blieb uns ein Angebinde hier zurück
Von Meister Valla.
        (Er eilt zum Schrank vorn links, öffnet ihn.)

Giuditta.                     Wie?

Lelio.                                 Hier stehn sie sämtlich.

Giuditta. Was?

Lelio.               Von Dianens Bild die Farbenrester.
Sogar noch Pinsel stecken drin.

Giuditta (sich nähernd).                   Laß schau'n!

Lelio. Was wünscht Ihr? Gelb? Rot? Lila?

Giuditta.                                                 Dunkelbraun.

Lelio (hält ihr einen kleinen Farbtopf hin).
Da.

Giuditta. Gieb! Ich male mir das Mal der Schwester!
(Sie hat das Tuch auseinandergeschoben und den Pinsel aus dem Farbtopf genommen.)
Hier . . . nein, mehr links – das ist die rechte Stelle.
        (Sie tupft mit dem Pinsel einen kleinen Fleck auf ihren entblößten Hals.) 161
So! –
        (Sie reicht ihm den Pinsel zurück. – Orlandos Stimme hinter der Bühne.)
        Flink! Ich hör' ihn.
        (Lelio stellt den Farbtops schnell in den Schrank zurück. Giuditta, das Tuch wieder zusammenziehend.)
                                    Jetzt für alle Fälle
Bin ich gerüstet.

Achter Auftritt.

Vorige. Orlando. (Dann) Lisa.

Orlando (zurückkehrend).
                          Dieser Schwätzer quälte
Mich mit Fasanenzucht und Holzverkauf.
Nun aber . . . (Zu Lelio.)
                    Du noch hier?

Giuditta.                                   Ich hielt ihn auf,
Damit er etliches mir noch erzählte
Von meinen Lieben.

Lelio.                             Leicht könnt Ihr ermessen,
Wohin mein armes Herz mich zieht,
Noch ungestümer als zu Trunk und Essen:
Elendiglich verwitwet und verwaist
Sitzt hier mein Frauchen, seit ich abgereist . . .
        (Er will gehen.)

Lisa (kommt von rechts über die Loggia).
Ach, Gott, mein . . . Mann! 162

Giuditta (lächelnd, zu Orlando).     Ein neuer Störenfried.

Orlando. Verwünscht!

Lisa (zu Lelio eilend).     Du bist zu . . . rück – ich hör's grad eben –
Und . . . kamst nicht erst zu mir?

Lelio.                                               Du mußt vergeben;
Ich war mit einem wicht'gen Amt belehnt . . .

Lisa. Hab' ich nicht . . . lang genug schon . . . warten müssen?
        (weinerlich.)
Ach, Gott, ich hab' mich so nach dir ge . . . sehnt.

Lelio. Ich auch. (Zu Orlando und Giuditta.)
                  Ist's mir erlaubt, sie hier zu küssen? ^

Giuditta (lebhaft).
O, sicherlich! (Zu Orlando, während die beiden sich küssen.)
                    Ein schöner Anblick – nicht?

Orlando (unbehaglich berührt und ungeduldig).
Jawohl; doch jetzt . . .

Lelio (zu Lisa).                   Blieb dein Gewissen rein?

Lisa. Ach, ja. 163

Lelio.             Und niemand – schau mir ins Gesicht –
Hat in Versuchung dich geführt?

Lisa (mit scheuem Seitenblick nach Orlando).
                                                Ach, nein.

Lelio (auf ihre Hand blickend, überrascht).
Wie kommst du zum Besitz des feinen Rings?

Lisa. Den schenkte mir das . . . Fräulein.

Giuditta.                                               Allerdings.

Lelio. Dann auf den ersten Kuß hier noch ein zweiter!

Orlando. Jetzt aber . . .

Giuditta (scheinbar ergriffen, zu Orlando).
                              Es erquickt doch stets aufs neue,
Solch echtes Bildnis ehelicher Treue!
Wie?

Orlando.   Freilich. (Zu Lelia und Lisa.)
                      Doch nun küßt euch draußen weiter!

(Lelio und Lisa ab über die Loggia nach rechts.) 164

Neunter Auftritt.

Orlando. Giuditta.

Giuditta (ihnen nachsehend).
Ach, so geliebt zu werden! So zu lieben! –

Orlando (sich ihr nähernd).
Nun endlich, endlich ungestört!

Giuditta. Unser Gespräch . . . Wo sind wir stehn geblieben?
        (Sie setzt sich.)

Orlando (setzt sich zu ihr).
Warum Ihr keinen Freier habt erhört
Bis heute . . .

Giuditta.             Richtig.

Orlando.                         Weil nur der Euch lockt,
Von dem Ihr träumtet.

Giuditta (das Tuch lüftend).   's wird mir doch zu heiß.

Orlando (erfreut).
Legt ab!

Giuditta.       Ja. (Er ist ihr behilflich, das Tuch abzunehmen.)
                    Danke sehr. 165

Orlando (bewundernd).             O, dieses Weiß
Beschämt den Schnee der Firnen, und . . .
        (Er fixiert das braune Fleckchen.)

Giuditta.                                                       Ihr stockt?

Orlando. Ich sehe, daß vollkommner Schönheit Strahl
Nur noch verstärkt wird durch . . .

Giuditta (harmlos).                               . . . ein Muttermal?
Orlando. Und daß der Mann, den Ihr dereinst erwählt,
Sich . . .

Pietro (von rechts hinten, meldet).
              Herr, Graf Parabosco . . .

Orlando (springt wütend auf).                   Was?! Schon wieder!

Pietro. Ja.

Orlando.   Höll' und Pest, der hat mir grad gefehlt!
Ich . . . wir . . . sag' ihm, ich liege krank danieder . . .

Pietro. Er fragte nach dem Fräulein.

Orlando.                                       Gleichfalls krank. 166

Giuditta. Nein, ungern möcht' ich ihn beleidigt wissen,
Und für den Blumenstrauß schuld' ich ihm Dank . . .
        (Zu Pietro.)
Wir sind erfreut.

(Pietro ab rechts hinten, Parabosco die Thür öffnend.)

Orlando.                 Ja, wir sind hingerissen!

Zehnter Auftritt.

Vorige. Parabosco.

Parabosco (von rechts hinten, mit Blumen; grüßt Orlando im Vorbeigehen).
Nachbar, grüß Gott! (Zu Giuditta.)
                              Fräulein, darf ich dies Zeichen
Bescheidner Huldigung Euch überreichen?

Giuditta. Wie? Nochmals Blumen?

Parabosco.                                   Immer noch zu wenig.
Nur schlecht bekundet solche Spielerei,
Wie tief ich Eurer Schönheit unterthänig.
Ein Wort von Euch, ja, nur 'nen Wink, so schlepp' ich
Die Gärten der Semiramis herbei
Und streue sie zu Füßen Euch als Teppich. 167

Giuditta (lachend).
Nein, bitte, thut es nicht!

Parabosco.                           Mir um so lieber.
Weit sind die Gärten der Semiramis,
Und Heimweh, sagt man, ist ein böses Fieber;
Gerade jetzt bekäm' ich's ganz gewiß.

Giuditta. Ihr scheint ja heut besonders wohlgelaunt.

Parabosco. Weil . . .

Orlando (zwischen beide tretend).
                          Nachbar!

Parabosco.                               Was, mein Freund?

Orlando.                                                               Ich bin erstaunt,
Daß Ihr noch immer Euren Plan verschiebt.

Parabosco. Ich?

Orlando.           Wolltet Ihr nicht nach Venedig reiten?

Parabosco. Ich nach Venedig?

Orlando.                               Ja, besinnt Euch nur:
Der Stadt, die Ihr vor allen andern liebt. 168

Parabosco. Ganz recht, Ihr bringt mich wieder auf die Spur;
Und Ihr – Ihr branntet drauf, mich zu begleiten.

Orlando. Was, ich?

Parabosco (trällert halblaut).
                        »Die Jugend, trallala . . .«

Orlando (halblaut, heftig).                                 Bedenkt!

Giuditta (hat scharf zugehört).
Ein Plan der beiden Herrn, den ungebeten
Ein plötzlich Hindernis beschränkt?

Orlando. Durchaus nicht!

Giuditta.                         Wenn gar ich der Anlaß wäre . . .

Parabosco. Was mich betrifft, mein Fräulein, ich erkläre:
Ich kenne keinen lieblichern Magneten
In der gesamten Christenwelt,
Als der mich hier am Ort gefesselt hält.

Giuditta (verschämt).
O! –

Parabosco. Drum, eh nicht Ihr selber mich verbannt . . .

Giuditta. Nein, keineswegs.

Orlando (mit wachsender Mißstimmung).
                                  Nachbar, vergebt, wir wollten . . .169

Parabosco (ohne sich stören zu lassen).
Und die Bewunderung, die wohlbegründet
Von Anbeginn Euch meine Augen zollten,
Wird zehnfach noch erhöht durch dies Gewand,
Das laut und – offen Euren Ruhm verkündet.
Doch schwelgt der Blick, so sei die Lippe stumm;
Für Seltenes sind auch die Worte selten.

Orlando (wieder zwischen sie tretend, reicht Giuditta ihr Tuch).
Renata, hier das Tuch. Nehmt's lieber um.

Giuditta. Weshalb?

Orlando.                 's ist kühl. Ihr könntet Euch erkälten.

Giuditta. Nein, mir ist warm.

Parabosco (an Orlando vorbei, sich ihr nähernd).
                                      Kein Wunder; denn die Wärme
Wird rings von Eurem eignen Licht versprengt,
So daß ich wehrlos dieses Licht umschwärme,
Auf die Gefahr, daß mir's die Flügel sengt,
Und . . .

Orlando (stirnrunzelnd und sich nur noch mühsam beherrschend, tritt abermals zwischen sie).
              Nachbar!

Parabosco.                   Wie, mein Freund? Hab' ich nicht recht? 170

Orlando. Ich hätt' ein Wort mit Euch . . .

Parabosco.                                             Ein Wort? So sprecht!

Orlando. Ein Wort mit Euch allein.

Parabosco (erstaunt).                     Allein?

Giuditta.                                                 Als dritte
Bin ich da wohl zu viel.

Orlando.                           Renata, bitte,
Verübelt nicht . . .

Giuditta.                     Hat mir doch gleich geschwant,
Daß ihr gemeinsam einen Anschlag plant,
Der nicht bestimmt ist für ein Mädchenohr.

Orlando. Das nicht!

Giuditta.                 Ach, so zwei alte Spießgesellen . . .

Orlando. Nein; aber . . .

Giuditta (nimmt die Blumen, die Parabosco mitgebracht).
                                Eure schönen Blumen, Graf,
Will ich geschwind in eine Vase stellen. (Ab rechts vorn.) 171

Elfter Auftritt.

Orlando. Parabosco.

Parabosco. Da steh' ich wie der Ochs vorm Scheuerthor.
Nachbar, des Kuckucks will ich sein, Gott straf',
Wenn ich begreife . . .

Orlando.                           Nachbar, ohne Hehl:
Diesmal geht Euer Weg vollkommen fehl!

Parabosco. Was für ein Weg, mein Bester?

Orlando.                                                   Kurz und gut –
Wenn Ihr nicht unnütz gern die Zeit verthut –
Dies Spiel gebt auf; Ihr werdet's nicht gewinnen.

Parabosco. Ein Spiel?

Orlando.                   Ich rat' Euch, Eure Abenteuer
Auf passenderem Schauplatz anzuspinnen.
Zum mindesten jedoch wollt nicht vergessen:
Dies Fräulein ist kein kleines Ungeheuer;
's ist meine Schwäg'rin und in meiner Hut.
Deshalb . . .

Parabosco (heiter). Deshalb lechzt Ihr nach meinem Blut
Und wünscht, daß wir sogleich die Klingen messen? 172

Orlando. Es scheint, Ihr habt verstanden.

Parabosco.                                             Meiner Seel',
Hier geht nur Euer Weg vollkommen fehl.

Orlando. Wie?

Parabosco.       Drum, bevor wir uns die Schädel spalten,
Hört an: Wer dieses göttergleiche Weib
Für 'n kleines Ungeheuer wagt zu halten,
Dem renn' ich selbst den Degen in den Leib.

Orlando. Doch . . .

Parabosco.             Und Ihr wähnt, ein so begnadet Wesen
Hätt' ich zu flücht'gem Spiel mir auserlesen?
Nein, Freund, vor solchem Reiz und Adel giebt
Ein alter Sünder seine Kunst verloren:
Diesmal ist's heil'ger Ernst; ich bin verliebt.

Orlando (verdutzt).
Wie? Was? Verliebt?

Parabosco.                     Bis über beide Ohren,
Und heute früh kam ich mit mir ins reine:
Heiraten werd' ich.

Orlando (starr).             Hei . . . 173

Parabosco.                               Die oder keine!

Orlando. Was?! Ihr, der's hunderttausendmal verschworen . . .

Parabosco. Gleichviel!

Orlando.                     Der alle Ehemänner Thoren,
Klägliche Narr'n und, was weiß ich, genannt,
Ihr wollt . . .

Parabosco.         Ich will.

Orlando.                         Ihr seid nicht bei Verstand!

Parabosco. Wieso denn? Ist etwa des Fräuleins Hand
Nicht frei? Wenn sie mich nimmt, was kann mich hemmen?

Orlando. Ihr, Ihr, der hartgesottne Hagestolz,
Ihr wollt Euch in das Joch der Ehe klemmen?
All Euer Freiheitsübermut . . .

Parabosco.                                   Er schmolz
Wie Butter in der Sonne. Denn vertraulich:
Gewürz, das man zur Alltagsnahrung hat,
Selbst wenn's die Freiheit ist, wird unverdaulich. 174
Nach manchem gift'gen Biß von mancher Natter
Hab' ich die kleinen Ungeheuer satt
Und gar die großen hab' ich noch viel satter.
Was blieb in diesem Kelch zurück? Nur Hefe.
Mein Scheitel, einst gar üppig, ist berupft,
Und gestern hab' ich an der linken Schläfe
Das erste weiße Haar mir ausgezupft.
Mit einem Wort, ich kann nichts Klügres thun . . .

Orlando. Als Euch im Ehehafen auszuruhn.
Und meine Schwäg'rin soll sich glücklich schätzen . . .

Parabosco. Mein Antrag kann sie keineswegs verletzen;
Denn falls ich noch so niedrig von mir dächte,
Ich bin aus uralt adligem Geschlechte
Und müßte mich vor zwanzig Ahnen scheu'n,
Wenn ich der Letzte meines Stammes bliebe.

Orlando (eindringlich).
Laßt ab davon! Ihr würdet es bereu'n!

Parabosco. Niemals! Ihr hörtet ja bereits: Ich liebe!
Dies Wunderwesen hat mir's angethan;
Wer solchen Edelstein erringt hienieden,
Hat ausgesorgt für seine Lebensbahn.
Drum heute noch . . .

Orlando.                         Was – heute? 175

Parabosco.                                           . . . sei's entschieden!

Orlando. Ihr wollt sie fragen?!

Parabosco.                             Ja, sofort.

Orlando.                                               Blindwütig
Gleich mit der Thür ins Haus, bevor Euch kund . . .

Parabosco (wird nachdenklich).
Den Teufel auch, Ihr mahnt mit gutem Grund.
Ich bin zwar sonst nicht übermäßig zag;
Doch hier . . .

Orlando (erfreut).   Nun also!

Parabosco.                           Also, seid so gütig,
Fragt sie statt meiner erst, ob sie mich mag!

Orlando. Ich soll . . .?

Parabosco.                 Ja, werbt in meinem Namen, schildert
Mein Herz als herzensgut, wenn auch verwildert;
Setzt meine Tugend in Beleuchtung; steigert
Beredt mein Ansehn; sagt, ich sei verschossen,
Vernarrt, verzückt, verzehrt von Liebesglut,
Mit einem Wort, zum Aeußersten entschlossen! –
Wie? 176

Orlando.   Nein!

Parabosco (verblüfft).
                    Versteh' ich recht? Dem Freunde weigert
Ihr diesen Dienst? Warum denn?

Orlando.                                         Weil . . .

Parabosco.                                                   Schon gut;
So werd' ich selbst . . . (Er geht nach rechts.)

Orlando (ihn aufhaltend).       Nein, laßt; ich thu's.

Parabosco.                                                       Doch gleich?

Orlando. Ja.

Parabosco.   Mit dem rechten Nachdruck?

Orlando.                                                 Ja.

Parabosco.                                                   Mit Feuer?

Orlando. Ja.

Parabosco.   Drängt sie nicht! Laßt ihr zur Antwort Zeit!

Orlando. Ja; doch nun geht! 177

Parabosco.                         Top, aus dem Schlachtbereich
Entrinn' ich in mein heimisches Gemäuer,
Und morgen – morgen hol' ich mir Bescheid.

Orlando. Ja.

Parabosco (ihm beide Hände schüttelnd).
              Dank, mein Freund! – O, wie der Puls mir schlägt! –
Lebt wohl. – (Im Abgehen.)
                    Ich bin entsetzlich aufgeregt.

(Schnell ab rechts hinten.)

Zwölfter Auftritt.

Orlando. (Dann) Giuditta.

Orlando (ihm zwischen den Zähnen nachrufend).
Brich dir den Hals! (Höhnisch vor sich hin.)
                            Was bildest du dir ein,
Elender Geck? – (Ihm wieder nachrufend.)
                          Hanswurst!
        (Von einem Gedanken erfaßt und geängstigt.)
                                            Wenn sie . . . (Beruhigt.) Nein, nein,
Undenkbar. – Solch 'nen Gimpel? – Lächerlich!
        (Er geht zur Thür rechts vorn, ruft.)
Renata! – (Die Thür ein wenig öffnend.)
                Hört, Renata! 178

Giuditta (heraustretend).         Habt Ihr mich
Gerufen, lieber Schwager?

Orlando.                               Denkt Euch nur!

Giuditta. Was denn?

Orlando.                   Ich wette drum, Ihr werdet herzhaft
Darüber lachen.

Giuditta.                 Nun?

Orlando.                         Dem Grafen fuhr
Ein Kobold ins Gehirn.

Giuditta.                           Was ist mit ihm geschehn?

Orlando. Heiraten will er Euch. Ist das nicht scherzhaft?

Giuditta. Je nun, das hab' ich kommen sehn.

Orlando. Ihr lacht ja gar nicht?

Giuditta.                                 Nein, warum denn lachen?
Im Gegenteil, ich fühle mich geehrt. 179

Orlando. Wie?!

Giuditta.           Wenn man eines Mädchens Hand begehrt,
Dann hält man sie wohl kaum für einen Drachen.
Der Fall ist reiflicher Erwägung wert.

Orlando. Sprecht Ihr im Ernst?

Giuditta.                                 Schon vierundzwanzig Jahre
Zähl' ich; man wird nicht ewig um mich werben . . .

Orlando. Jedoch . . .

Giuditta.                   Soll ich als alte Jungfer sterben?
Daß mich der liebe Gott davor bewahre!

Orlando. Ihr, die noch für den Edelsten zu edel,
Wegwerfen könntet Ihr Euch an den Wicht,
Den Gauch, den Tagedieb, den hohlen Schädel?!

Giuditta. Ich wiederhol's, Ihr schätzt ihn zu geringe.
Mir scheint, er ist noch lang der Schlimmste nicht:
Ein hübscher Mann . . .

Orlando.                             Hübsch – der! 180

Giuditta.                                                   Stets guter Dinge,
Reich, ritterlich . . .

Orlando.                       Jawohl, ein saubrer Ritter!
Streift von ihm ab des Anstands äußre Flitter,
Was bleibt zurück? Ein dreister Schürzenheld,
Ein Bruder Liederlich, der's toll getrieben;
Ja, dieser Mensch, der vorgiebt, Euch zu lieben,
Hat jüngst noch Eurer Zofe nachgestellt!

Giuditta. Das schreckt mich nicht.

Orlando.                                     Der würd' Euch ohne Scheu
Auch in der Ehe jeden Tag betrügen.

Giuditta. Darein muß wohl ein armes Weib sich fügen.

Orlando. Das muß sie nicht!

Giuditta.                             Oft hab' ich sagen hören,
Kein Mann sei zuverlässig treu,
Selbst jene nicht, die's tausendmal beschwören.

Orlando. O, doch!

Giuditta.               Daß manche gar, die schlau genug
Zuerst als Tugendengel sich gebärden, 181
Nachher Vertrauen lohnen mit Betrug.
Drum sagt: Ist's besser nicht, man giebt von Anbeginn
Sich keiner gleißnerischen Hoffnung hin,
Als hinterdrein grausam enttäuscht zu werden?

Orlando. Damit Ihr solch ein Bettelglück erreicht,
Habt Ihr so viele Freier abgewiesen?
Liebt Ihr ihn denn?

Giuditta.                     Hm, ich . . .

Orlando.                                       Ist er vielleicht
Der Mann, den Ihr in Euren Traumgesichten
Erblicktet?

Giuditta.         Nein; jedoch . . .

Orlando.                                 Jedoch?

Giuditta.                                             Auf diesen,
Der unter allen einzig, unvergleichbar –
Kein Zweifel mehr – auf den muß ich verzichten.

Orlando. Ihr müßt? – Warum?

Giuditta (mit niedergeschlagenen Augen).
                                        Weil er mir unerreichbar. 182

Orlando (hingerissen).
Giebt's einen, der Euch nicht zu Füßen läge,
Wenn . . .

Giuditta.         Still davon! Wenn auf dem Schicksalswege
Die rechten Herzen nicht einander trafen,
Dann folgt man der Vernunft. – (Entschlossen.)
                                                Drum sagt dem Grafen,
Daß . . .

Orlando (mit hervorbrechender Leidenschaft).
              Daß, bevor er Euch besitzen soll,
Ich ihn erwürge!

Giuditta.                 Schwager, seid Ihr toll?

Orlando. Ja, toll, ich bin es, toll durch Eure Schuld,
Und sterben, sterben wird von meinen Händen,
Wer nur ein Fünkchen hascht von Eurer Huld.

Giuditta (vermag kaum ihren Triumph zu verbergen).
O, still doch!

Orlando.             Hört mich an! Laßt mich vollenden!
Ahnt Ihr denn nicht, Renata, was gewaltsam,
Wenn ich noch schweige, mir die Brust zersprengt?
Seht Ihr denn nicht, was heftig, unaufhaltsam
Gleich einem Strom sich übers Ufer drängt?
Fühlt Ihr denn nicht, daß Eurer Himmelsmacht 183
Ich ganz erlag, daß Ihr ein Meer von Flammen,
Von wilden Flammen in mir angefacht?
Sie schlagen lodernd über mir zusammen . . .

Giuditta (sich fast vergessend, leise).
Ist's wahr?

Orlando.         Ich lieb' Euch; Herz und Sinne hangen
An Euch mit heiß inbrünstigem Verlangen.
Erbarmt Euch mein, helft mir dies Feuer stillen;
Sonst rettungslos stürzt meines Lebens Bau
In Schutt und Asche hin!

Giuditta (versucht die Herrschaft über sich selbst wiederzugewinnen).
                                      Um Gottes willen,
So sprecht Ihr zu der Schwester Eurer Frau!

Orlando. Seid, wer Ihr wollt, ich lieb' Euch! So zu sprechen
Zwingt mich der Sturm, der mir im Herzen tobt.

Giuditta. Habt Ihr Giuditta Treue nicht gelobt,
Als Ihr die Ringe tauschtet am Altar?
Und diesen heil'gen Schwur – wollt Ihr ihn brechen?

Orlando. Renata, redet nicht von dem, was war.

Giuditta. Ihr liebt sie nicht mehr? 184

Orlando.                                     Nein, das ist vorbei.

Giuditta. O Gott!

Orlando.             Erstorben war mein Herz, erfroren;
Euch dankt es einen zweiten goldnen Mai,
So daß es blüht und schwillt wie neugeboren
Und lachend staunt ob seiner eignen Schätze.

Giuditta. O, welch ein Frevel!

Orlando.                               Liebe frevelt nicht.
Ihr göttlich Recht ist heil'ger als Gesetze
Und schmettert in den Staub die starre Pflicht.
Gebt mir Gewähr, daß Ihr für mich empfindet,
Was ich für Euch, ja, nur ein winzig Teil,
Dann . . .

Giuditta.         Schweigt, ich bitt' Euch!

Orlando.                                             Dann, bei meinem Heil,
Spott' ich der Menschensatzung, die mich bindet.

Giuditta. 's ist meine Schwester!

Orlando.                                   Erst in Euch gefunden
Hab' ich das Weib, das meine durst'ge Seele 185
Von lebenslanger Sehnsucht läßt gesunden,
Das nach des Himmels heimlichem Befehle
Von Anfang mir bestimmt war und geweiht,
Das mir ein Glück verheißt von ew'ger Dauer
Und mich bestrickt mit allem süßen Schauer
Jungfräulicher Holdseligkeit.

Giuditta. Wer sagt mir, ob – fünf Jahre kaum ist's her –
Ihr all die schönen Worte, ja, noch mehr,
Nicht auch Giuditta zurieft, als Ihr sehnlich
Um sie gefreit!

Orlando.               Ich war ein junger Fant!
Ja, hätt' ich damals Euch gekannt . . .
Doch sie – sie war zum mindesten Euch ähnlich.
Die Zeit hat mich gereift; ich lernte wägen:
Was ist sie gegen Euch? Der blasse Schein
Des Mondes, der dem Sonnenglanz erlegen.
Zur Sonne fleh' ich nun empor: Sei mein.
        (Er nähert sich ihr leidenschaftlich, will sie umfassen.)
Sei mein!

Giuditta (ihn zurückstoßend).
              Hinweg!

Orlando.                     Renata!

Giuditta.                                 Weh mir! Wehe!
Ihr glaubt mich fähig einer solchen That,
Daß schmählichsten, fluchwürdigsten Verrat 186
An meiner einz'gen Schwester ich begehe?!
Nein, eher soll . . .

Orlando.                     Was hilft ihr deine Treue?
Wohl kannst du mich verschmähn, doch sie nicht retten;
Ja, töten kannst du mich, doch nicht aufs neue
Mein freigewordnes Herz an ihres ketten.

Giuditta. O! –

Orlando.         Drum, wenn du mich liebst . . . Sprich doch! Bekenne!

Giuditta. Ich . . .

Orlando.             Liebst du mich? Nur einen Hoffnungsschimmer . . .

Giuditta. Ihr bleibt Giudittas Mann!

Orlando.                                       Und wenn für immer
Um deinetwillen ich von ihr mich trenne?

Giuditta. Orlando, könnt Ihr . . . dürft Ihr . . .

Orlando.                                                       Wohl, ich darf,
Ich kann, ich will! 187

Giuditta.                     Nein, nein, es wäre schändlich!

Orlando. Auf mich allein die Schuld. Ich unterwarf
Dem Papst zehn Städte; daß er mir erkenntlich,
Bezeugt er gern. Mit einem Federzug
Löst er die Fessel, die zu lang ich trug,
Und ich bin frei, Renata, frei für dich!

Giuditta. Orlando . . .

Orlando.                     Drum gieb Antwort! – – O, dein Schweigen
Ist Folterqual. Gieb Antwort: Liebst du mich?

Giuditta. Und sie, die fern von Euch vertrauend weilt,
Glaubt sie denn Euer Herz nicht noch ihr eigen?
Ahnt sie denn, welch Geschick sie hat ereilt?

Orlando. Sie soll's erfahren!

Giuditta.                             Wähnt Ihr mich so schwach,
So niedrig, daß ich unter einem Dach
Mit Euch nur eine Stunde noch verbleibe,
Bevor . . .

Orlando.         Und wenn ich augenblicks ihr schreibe?

Giuditta. Was? 188

Orlando.           Alles! Daß ich Klarheit nun gewann,
Mit Leib und Seele nur zu dir gehöre . . .
Wenn ich sie bitte, flehend sie beschwöre,
Mein übereiltes Treuewort
Freiwillig mir zurückzugeben?

Giuditta.                                     Dann . . .

Orlando. Wirst du mir dann gestehn . . .

Giuditta.                                               Erst schreibt!

Orlando.                                                                   Sofort!

(Er eilt ab links vorn.)

Dreizehnter Auftritt.

Giuditta. (Dann) Lelio.

Giuditta (allein, in stürmischer Erregung).
O Schmach! O Glück! O Schändlichkeit! O Wonne!
Verfemt, vergöttert! Mond zugleich und Sonne!
Sturz und Triumph! Betrogen und begehrt!
O Männer, Männer, unerhörte Sippe,
All miteinander keinen Heller wert
Und alle scheiternd an derselben Klippe!
Du Lächerlicher, Teurer! Narr und Held!
Wie dumm, wie schön, wie spaßhaft ist die Welt! 189

Lelio (ist über die Loggia von rechts aufgetreten, erst vorsichtig umherspähend, kommt dann rasch nach vorn).
Herrin!

Giuditta.     Was giebt's?

Lelio.                             Das ist noch gut gegangen!

Giuditta. Was?

Lelio.               Einen Boten hab' ich abgefangen
Mit einem Brief an Euch.

Giuditta (hat ihm den Brief schnell abgenommen).
                                      Renatas Hand!
        (Sie öffnet den Brief, überfliegt ihn.)
O – sie verließ Florenz, hierher gewandt,
Vorgestern früh auf einem flinken Roß,
Wird in Rovigo bleiben heut zur Nacht,
Und morgen Abend ist sie hier im Schloß.
        (Sie faltet den Brief zusammen, steckt ihn ein.)
Ein Tag noch mein. Er sei gut angewendet!
Sodann der wirklichen Renata macht
Die falsche Platz.

Lelio.                         Und ich?

Giuditta.                                   Ja, freilich, du
Wirst nach Florenz nochmals zurückgesendet. 190

Lelio. O jerum, wieder ins Versteck?

Giuditta.                                         Nicht lang;
Denn morgen, gleich nach Sonnenuntergang,
Im Schutz der Dunkelheit eil' ich, verstohlen
Von hier entschlüpfend, flugs dem Jagdhaus zu,
Um mir mein wahres Ich zurückzuholen.
        (Sie sieht Orlando eintreten, flüstert.)
Das weitre dort.

Vierzehnter Auftritt.

Vorige. Orlando.

Orlando (mit einem Brief in der Hand von links vorn zurückkehrend, zu Giuditta).
                            Der Brief ist fertig.

Giuditta.                                                 Ah!

Orlando (hat Lelio bemerkt).
Jetzt, Lelio, kannst du dich neu bewähren.

Lelio. Ich stehe zu Befehl.

Orlando.                           Traust du die Stärke
Dir zu, noch heut dahin zurückzukehren,
Woher du kamst?

Lelio.                         Herr, wenn es dringlich – ja. 191

Orlando. Sehr dringlich. – Hier, nimm diesen Brief und merke:
Du wirst ihn niemand anderm übergeben
Als meiner Gattin selbst.

Lelio (hat den Brief an sich genommen, wechselt einen Blick mit Giuditta).
                                    Bei meinem Leben!

Orlando. So spute dich!

Lelio.                           Bevor Ihr hundert zählt,
Sitz' ich im Sattel schon. (Ab rechts hinten.)

Fünfzehnter Auftritt.

Orlando. Giuditta.

Orlando (nähert sich ihr leidenschaftlich).
                                    Nun ist's besiegelt,
Renata! Nichts – nichts hab' ich ihr verhehlt.
Der Brief, der ihr mein ganzes Innre spiegelt,
Ist unterwegs; mit ihm hab' ich die Brücke
Zertrümmert, die nach rückwärts führt zum Einst;
Versinken muß ich, wenn du noch verneinst,
Den Weg mir aufzuthun zu neuem Glücke!
Mein Schicksal hängt an deinen Lippen; sprich
Das Wort, das mich von Zweifelsqual befreit,
Das Tod verkündet oder Seligkeit . . . 192

Giuditta. Orlando . . .

Orlando.                     Zögerst du?

Giuditta.                                         Ach, ich bin schwächer,
Als ich geglaubt.

Orlando.                 Das Wort . . .

Giuditta (leise, mit voller, wahrer Empfindung).
                                              Ich liebe dich.

Orlando (vor ihr niedersinkend und ihre Kniee umklammernd).
Geliebte!

Giuditta.       Dich, den ich doch sollte hassen
Als falsch, meineidig, treulos, flatterhaft,
Dich, den Verräter, dich, den Ehebrecher!
Ja, hätt' ich noch ein Restchen Stolz und Kraft
Ich müßte dich verachten, dich verlassen,
Und dennoch – dennoch fliegt mein Herz dir zu;
Denn jener einzige, den es erkoren
Und schon voll Pein auf ewig sah verloren,
Der Mann, von dem ich träumte – der bist du.

Orlando (ist aufgesprungen, preßt sie an sich).
Mein, mein! 193

Giuditta (sich völlig vergessend).
                    Ja, dein.

(Leidenschaftliche Umarmung; langer Kuß.)

Orlando.                           O, daß es Lippen giebt,
Die so berauschen, das erfuhr ich nie
Bis heut!

Giuditta (durch diese Worte wieder zum Bewußtsein der Situation gebracht).
              Und hast doch einmal schon geliebt.

Orlando (sie fester an sich ziehend).
Nein, niemals, niemals. Laß den Kelch uns leeren
Bis auf den Grund!

Giuditta (ihn abwehrend). Bist du von Sinnen?

Orlando.                                                     Wie?
Du, bald mein süßes Weib . . .

Giuditta.                                       Noch nicht.

Orlando.                                                         Vor Gott sind wir
Vereinigt, und du willst mir noch verwehren . . .

Giuditta. Gedulde dich!

Orlando.                       Bis wann? 194

Giuditta.                                       Laß mich erwägen
Bis morgen . . .

Orlando.                 Soll verschmachtende Begier
Mich töten?

Giuditta.           Morgen – das gelob' ich dir –
Will ich dein Weib sein – ohne Priestersegen.

Orlando. Nein, heut, Renata, heut!

Giuditta (sich von ihm losreißend).     Nicht jetzt! Nicht so!

(Sie eilt zur Thür rechts vorn.)

Orlando (ihr nacheilend).
Renata!

Giuditta (in der Thür).
              Morgen.

(Sie schlägt schnell die Thür vor ihm zu.)

Orlando.                     Bleib!
        (Er versucht umsonst zu öffnen, rüttelt an der Thür.)
                                      Verschlossen! – O! – 195


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